Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.
Es ist heute nur darauf hinzuweisen, dass es eine in-
terfraktionelle Vereinbarung gibt, die verbundene Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP VI
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({0}), Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines
Registers über unzuverlässige Unternehmen
({1})
- Drucksache 17/11415 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck ({4}), Marieluise Beck
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den am 12. September und am 4. Oktober
2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden
- Drucksache 17/11555 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Verteidigungsausschuss
ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP VII
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wertschöpfung im ländlichen Raum absi-
chern - Erzeugung und Einsatz reiner Pflan-
zenöle in der Land- und Forstwirtschaft aus-
bauen
- Drucksache 17/11552 -
Wie in solchen Fällen üblich, soll dabei von der Frist
für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, ab-
gewichen werden.
Gibt es dazu schon zu diesem frühen Zeitpunkt des
Tages größeren Widerstand? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist das damit so vereinbart.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({7})
- Drucksachen 17/10200, 17/10202 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({9})
Otto Fricke
Priska Hinz ({10})
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.14 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Präsident Dr. Norbert Lammert
- Drucksachen 17/10809, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Dr. Florian Toncar
Priska Hinz ({11})
Zu diesem Einzeletat liegt ein Änderungsantrag der
SPD-Fraktion vor.
Interfraktionell ist eine Aussprache von zwei Stunden
vorgesehen. - Auch dies findet offenkundig große Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
({12})
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Es ist immer sehr schön, zu hören, dass man freundlich
dabei ist.
Bevor ich zum Haushalt komme, möchte ich es nicht
versäumen, mich zuallererst wirklich aufrichtig bei den
Berichterstattern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsreferats im Wirtschaftsministerium
und auch bei Ihnen, Herr Minister, für die offene und
faire Zusammenarbeit zu bedanken. Sie war, wie immer,
durch Vertrauen geprägt, auch wenn es inhaltlich durchaus Unterschiede gibt. Die Zusammenarbeit auf dieser
Ebene war in der Tat sehr ordentlich; ich finde, so muss
es auch sein.
Heute gilt es, Resümee zu ziehen. Der Bundesminister hat Deutschland noch im letzten Jahr in der Haushaltsdebatte als die „Wachstumslokomotive in Europa“
gelobt.
({1})
So schwach, wie diese Lokomotive inzwischen auf der
Strecke ist, müssen selbst Sie von den Koalitionsfraktionen sagen: Da fehlt es ein bisschen an Kohle und Befeuerung. - Von Wachstumslokomotive kann ja nun wahrlich
keine Rede mehr sein.
Beim Wirtschaftswachstum treten wir auf der Stelle.
Die Konjunkturprognosen der EU sprechen von einem
rückläufigen Bruttoinlandsprodukt, und auch die steigende Arbeitslosenquote ist signifikant.
({2})
Auch die Eckdaten des Sachverständigenrates zeichnen
für Deutschland ein schlechtes Bild, sowohl beim Bruttoinlandsprodukt als auch - man höre! - bei den Konsumausgaben, die rückläufig sind. Bei einem Rückgang
der Investitionen, insbesondere auch der Ausrüstungsinvestitionen, und einem sehr deutlichen Rückgang der
Exporte
({3})
verzeichnen wir zudem steigende Arbeitslosenzahlen.
Das muss uns alarmieren.
({4})
- Sie mögen das ja verhöhnen, Herr Lindner, aber uns ist
schon aufgefallen, dass die Arbeitslosenzahlen vor dem
Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung steigen.
Wenn Sie mit Ihrer Lächerlichkeit, die Sie hier preisgeben, deutlich machen wollen, dass Sie die Lage nicht als
ernst bezeichnen, dann tut es mir leid; denn dann sind
Sie nicht auf der Höhe der Zeit, Herr Lindner.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
keiner kann darüber hinwegtäuschen, dass die Unternehmen weniger Expansionspläne haben. Viele Unternehmen denken über Jobabbau nach. In dieser Ausgangssituation legen Sie einen wenig ambitionierten Haushalt
vor, der keine besonderen Impulse für ein dauerhaftes,
nachhaltiges Wachstum setzt. Der Haushalt ist kraftlos
und nicht ambitioniert. Zusätzliche Wachstumsimpulse
sucht man in der Tat vergebens.
Herr Bundesminister, ich finde, diese Entwicklung
war absehbar. Es war absehbar, dass die Folgen der Finanzkrise vor Deutschland nicht haltmachen würden.
Natürlich hat diese Krise auch Auswirkungen auf unsere
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Situation.
({6})
Ihre Aufgabe wäre gewesen, hierfür Vorsorge zu treffen,
auch in dem Wissen, dass Reformen, die man heute angeht, erst nach einem Jahr oder sogar noch später greifen
werden. Jetzt geht die Reise rückwärts. Und was tun Sie?
Ein aktiver Gestaltungswille ist jedenfalls im Haushalt
des Wirtschaftsministeriums nicht erkennbar.
Auch im letzten Jahr haben Sie willkürlich und zaghaft überall ein bisschen verändert. Man konnte den Eindruck gewinnen, hier bewegt sich etwas. Aber es war
eben überall nur ein bisschen: ein bisschen hier gekürzt,
ein bisschen da zugegeben. Eine erkennbare Linie war
nicht gegeben. Schon gar nicht haben Sie die Spielräume
genutzt, um ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum
zu aktivieren.
Als Beispiel sei nur die Steinkohlebeihilfe zu nennen.
Wegen der anhaltend guten Weltmarktpreise ist es möglich, die Mittel dafür im Haushalt 2013 sogar um 52 Millionen Euro zu kürzen.
({7})
Diese 52 Millionen Euro fallen Ihnen quasi in den
Schoß.
({8})
Doch auch von diesen 52 Millionen Euro nutzen Sie nur
einen geringen Teil, um zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ aufzustocken. Hier wäre es ein Leichtes gewesen, unserem Antrag zu folgen und die benötigten Mittel
zumindest wieder wie auf Vorjahresniveau zur Verfügung
zu stellen.
({9})
Schließlich, so sei deutlich angemerkt, ist die GRW ein
Wachstumstreiber.
Bei den Haushaltsberatungen vor zwei Wochen haben
Sie noch verkündet, dass für die schwarz-gelbe Koalition der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern nach wie vor hohe Priorität habe. Die Realität ist
aber eine andere. Wo Mut und Entschlossenheit gefragt
sind, wo Sie Gas geben müssten, da kommen Sie nur im
Kriechgang voran. Schaut man sich die Zahlen für die
GRW aus den letzten Jahren an, so stellt man fest, dass
hier kontinuierlich gekürzt wurde.
Dass wir uns überhaupt noch auf dem heutigen Niveau befinden, ist insbesondere dem Engagement der
SPD und, wie ich meine, auch dem Abgeordneten Luther
zu verdanken, der sich immer wieder für eine ausreichende Finanzausstattung im Bereich der GRW ausgesprochen hat.
({10})
Ja, der Ansatz für das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand wird um 11 Millionen Euro erhöht. Das begrüßen wir natürlich. Dennoch kann eine Erhöhung beim
ZIM kein Ersatz für eine Kürzung bei der GRW sein. Im
Übrigen muss deutlich sein, dass man zwei sinnvolle
Förderprogramme nicht gegeneinander ausspielen darf,
sondern dass sie sich sinnvoll ergänzen müssen.
({11})
Meine Damen und Herren, Wachstumsimpulse vermisse ich auch bei der Energiewende. Der Koalitionsvertrag von 2009 sieht noch ein neues Energiekonzept
vor. Wir alle wissen, dass das zwischenzeitlich bei Ihnen
mehrmals hin und her gegangen ist. Am Anfang setzten
Sie auf Atomstrom. Jetzt setzen Sie auf den schnellen
Ausstieg. Das ist gut so. Aber die Hausaufgaben dazu
haben Sie nicht gut gemacht.
Sie sagen, Sie wollen eine szenarienbezogene Leitlinie für eine saubere, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung entwickeln. Was ist eigentlich davon übrig geblieben?
({12})
Sie wollen eine Erhöhung der Energieeffizienz. Was ist
davon übrig geblieben?
({13})
Das hört sich zwar schön an, aber erreicht haben Sie in
diesem Bereich nach drei Jahren nicht viel.
Die Energiewende - das wissen wir - ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Ziel muss sein, bezahlbare Energie zur Verfügung zu stellen und Versorgungssicherheit herzustellen. Aber dazu fehlt Ihnen ein
Masterplan. Es fehlt eine vernünftige Koordinierung der
Energiekonzepte zwischen Bund und Ländern.
Während Bayern beispielsweise auf Autarkie setzt
und am liebsten den Strom, der dort verbraucht wird,
vollständig selbst herstellen möchte, möchte SchleswigHolstein selbstverständlich den Strom, den es in den Offshorewindparks erzeugt, an die ganze Bundesrepublik
verteilen. Das passt nicht zusammen. Hier muss ein
schlüssiges Gesamtkonzept her. Das schreit geradezu
nach Koordinierung, zu der Sie bisher keine ausreichenden Beiträge geleistet haben.
Weiterhin stellt sich die Frage, wie es vereinbar ist,
dass Sie erneuerbare Energien ausbauen und die Effizienz erhöhen wollen, aber gleichzeitig die Mittel für
Energieforschung um annähernd 5 Prozent und die Mittel für Energieeffizienz um 2 Prozent kürzen. Auch im
weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen haben Sie
nicht die Kraft besessen, dem Einhalt zu gebieten, diesen
falschen Weg zu verlassen und deutlich zu machen, dass
Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
durch finanzielle Unterlegung tatsächlich umsetzen können. Ich finde, das ist ein fatales Signal.
({14})
Noch können Sie auf eine zentrale Voraussetzung für
das Gelingen der Energiewende - die Akzeptanz und die
Unterstützung durch die Mehrheit der Bevölkerung - zurückgreifen. Diese Chance nutzen Sie aber nicht. Die
Akzeptanz beim Netzausbau schwindet. Wegen fehlender Koordinierung blühen die Einzelinteressen. Wir erleben überall in unseren Wahlkreisen, dass da, wo Netzausbau stattfinden soll, der Ruf nach gallischen Dörfern,
nach Selbstversorgung, nach Autarkie zu hören ist. Oft
wird auf den kompletten Erdkabelausbau gesetzt. Der
Zickzackkurs, den Sie eingeschlagen haben, hat dazu geführt, dass die Akzeptanz für die Energiewende immer
weiter schwindet. Das haben Sie, Herr Minister, alleine
zu verantworten.
({15})
Da hilft es auch nicht, wenn Sie sagen, dass Sie dafür
Sorge tragen wollen, dass neue Trassen anstatt in zehn in
vier Jahren gebaut werden können, und dass Sie das dadurch erreichen wollen, dass über Klagen gegen den
Netzausbau sofort höchstrichterlich entschieden werden
soll und dass Sie Umweltauflagen zeitweise außer Kraft
setzen wollen. Das ist gerade kein Paradebeispiel für ordentliche Bürgerbeteiligung. Dabei können Sie nicht auf
unsere Unterstützung zählen.
({16})
Sie werden natürlich sagen: Ihr habt die EEG-Umlage
eingeführt. - Das ist ein richtiger Schritt gewesen. Wir
haben das mit Augenmaß gemacht. Ihre ausufernden
Ausnahmeregelungen für Unternehmen führen dazu,
dass die privaten Verbraucher am Ende derart belastet
werden, dass auch aus diesem Grund die Akzeptanz für
die Energiewende schwindet. Einzig erfreulich in diesem
Zusammenhang ist der Aufwuchs an Personal bei der
Bundesnetzagentur. Diese Erhöhung ist wichtig. Damit
ist ein Beitrag geleistet, dass die Aufgaben dort zukünftig schneller und kompetenter erledigt werden können,
damit die Energiewende doch noch gelingt.
Ein anderes Beispiel dafür, dass Wachstumschancen
vergeben werden, ist die Förderung der Existenzgründung. In der Tat gibt es gerade durch Existenzgründungen gute Möglichkeiten, dringende Wachstumsimpulse
zu setzen. Doch indem Sie die Aufhebung des Gewinnausschüttungsverbots der KfW beschließen, sorgen Sie
dafür, dass erstens die Eigenkapitaldecke der KfW
schwindet und zweitens die Möglichkeiten für das Fördergeschäft erheblich eingeschränkt werden.
({17})
Herr Kollege, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.
Damit sorgen Sie dafür, dass ein weiterer wichtiger
Beitrag für Wachstumsimpulse durch Ihre Politik der angeblichen Haushaltskonsolidierung unterlaufen wird.
Die Wachstumslokomotive, die wir jetzt dringend brauchen, wird dadurch nicht gestärkt, sondern geschwächt.
Sie haben im Haushalt zu wenig Wachstumsimpulse gesetzt und zu wenig Zukunftsvorsorge getroffen. Deshalb
können wir den Haushalt in dieser Form nicht mittragen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich
ebenfalls bei den Berichterstattern für die vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit bedanken.
Trotzdem wundere ich mich ein bisschen, sehr geehrter Herr Abgeordneter Brandner, über das eben Gesagte.
Schauen Sie sich die Zahlen doch einmal ganz in Ruhe
und objektiv an - Sie sind doch auch Haushälter -: die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit mehr als 20 Jahren,
({0})
die höchste Beschäftigung überhaupt in der Geschichte
unseres Landes,
({1})
1 Million Arbeitsplätze mehr als zu Ihrer Regierungszeit.
({2})
Deutschland geht es gut. Den Menschen geht es gut.
Diese Regierungskoalition steht dafür, dass genau dies
auch in Zukunft so bleibt.
({3})
Natürlich wissen wir alle, Herr Brandner: Die Zeiten
werden schwieriger,
({4})
zurückgehende Wachstumsdynamik in allen Regionen
der Welt, auch in Europa und in der Euro-Zone. Deswegen ist es unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, die
Wachstumskräfte zu stärken und gleichzeitig die EuroZone weiter zu stabilisieren.
({5})
Genau das werden wir erreichen. Dabei sind wir gemeinsam auf gutem Wege.
Alle europäischen Staaten arbeiten daran, ihre
Haushalte in den Griff zu bekommen, anders als die
Opposition im Deutschen Bundestag. Gleichzeitig wird
versucht, durch strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt,
({6})
in den sozialen Sicherungssystemen, in der Verwaltung
und bei der Privatisierung die Schwierigkeiten zu lösen
und durch eigenes Wachstum aus den selber gemachten
Schulden wieder herauszukommen.
({7})
Ihr Weg der Konjunkturpakete, noch dazu durch
Schulden finanziert, ist falsch; er ist eine Sackgasse.
({8})
Das zeigt, dass es gut ist, dass Sie keine Verantwortung
tragen, weder in Deutschland noch für Europa.
({9})
Die beste Basis für mehr Wachstum sind natürlich
solide Haushalte. Das gilt zuallererst auch für den Bundeshaushalt.
({10})
Was haben die Grünen auf ihrem Bundesparteitag beschlossen? Ein neues Motto: „Grün statt Sparen“. Ich
finde das angesichts einer weltweiten Krise aufgrund zu
hoher Staatsschulden nicht witzig oder lustig.
({11})
Es ist zynisch, meine Damen und Herren, wenn man
sieht, wie sehr Sie die Gefahr, die von Staatsschulden
ausgeht, unterschätzen.
({12})
Sie sind die parteigewordene Verschuldung in
Deutschland.
({13})
Deswegen will ich Ihnen eines sagen: Ihre Schulden führen am Ende immer genau zu dem, was Sie danach in
einem zweiten Schritt fordern, nämlich neue Steuern und
Abgaben, weil Sie irgendwie die Schulden, die Sie
gemacht haben, wieder decken müssen. Das führt zu
weiteren Belastungen. Das beste Beispiel ist doch Ihre
merkwürdige Idee einer Vermögensabgabe bzw. in der
Folge eine Vermögensteuer.
({14})
Man kann immer über Ertragsteuern diskutieren - zugegebenermaßen nicht mit uns. Aber über eine Substanzsteuer sollten wir alle gemeinsam nicht reden. Denn
sie trifft gerade den unternehmerischen Mittelstand in
Deutschland und die gesellschaftliche Mitte gleichermaßen.
({15})
Was tun Sie denn für die Wettbewerbsfähigkeit in
Deutschland? Nichts. Die Regierungsfraktionen haben
gehandelt,
({16})
als es zum Beispiel darum ging, ein Hauptproblem
gerade für den Mittelstand zu lösen. Sprechen Sie mit
mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern!
({17})
Sie werden Ihnen sagen: Wir brauchen zuallererst
Spezialisten, Techniker und natürlich auch Akademiker;
wir brauchen Fachkräfte.
({18})
Wir arbeiten gemeinsam daran durch Hebung des inländischen Fachkräftepotenzials. Aber gleichzeitig
kämpfen wir auch für die qualifizierte Zuwanderung in
den ersten Arbeitsmarkt.
({19})
All das, was wir auf den Weg gebracht haben - unser
Willkommensportal, aber auch die gezielte Suche nach
Zuwanderern aus einzelnen Staaten, ob Indonesien, Indien oder Vietnam; da kommen übrigens hervorragende
Fachkräfte her -, leisten wir gemeinsam,
({20})
auch mit dem vorliegenden Haushalt für 2013. Denn wir
wissen: Eine der Hauptwachstumsbremsen ist der Fachkräftemangel in Deutschland.
Diese Regierungskoalition handelt. Wir sorgen dafür,
dass es auch künftig Fachkräfte geben kann, die zu uns
kommen und willkommen sind, weil sie einen Beitrag
dazu leisten, für unser Wachstum in Deutschland, für
Wohlstand und Beschäftigung.
({21})
Herr Brandner, Sie haben die Energiepolitik angesprochen. Ich habe, um auf den großartigen Parteitag zurückzukommen,
({22})
bei den Grünen gelesen, dass dort ein Antrag verabschiedet wurde: Wo erneuerbare Energien wachsen, weicht
die Kohle. Das klingt ein bisschen wie ein Kirchenlied.
Das ist der Einfluss von Frau Göring-Eckardt.
Bei der Energiepolitik hilft aber nicht beten, sondern
wir müssen handeln.
({23})
Wir müssen bei den Hauptkostentreibern bei den Strompreisen in Deutschland ansetzen. Wir brauchen eine
grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der
erneuerbaren Energien.
({24})
Anders werden wir die Strompreise nicht in den Griff
bekommen. Dazu haben wir uns gemeinsam entschlossen.
({25})
Geradezu absurd ist Ihr Vorwurf, wir würden nichts
im Bereich der Energieeffizienz machen.
({26})
Mit der Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit
stellen wir 1,5 Milliarden Euro zur Förderung der Energieeffizienz zur Verfügung. Ein Regierungsentwurf dazu
liegt im Vermittlungsausschuss.
({27})
Und wer blockiert diesen Entwurf aus rein ideologischen
Gründen? Das sind die Kollegen von der Opposition. Es
ist doch unglaubwürdig, wenn hier jetzt Maßnahmen zur
Energieeffizienz gefordert werden.
({28})
Wenn es darauf ankommt, dann können sich die Menschen eben nicht auf Rote und Grüne, schon gar nicht
auf die Linken, verlassen, auch nicht bei dem Thema
Energieeffizienz.
({29})
Wenn wir schon beim Thema Vermittlungsausschuss
sind: Wer Wachstumskräfte stärken will, der stärkt diejenigen, die Wachstum für unser Land möglich machen.
({30})
Das sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Deswegen haben wir einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der kalten Progression auf den Weg gebracht. Wir
wollen, dass gerade die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen etwas von ihrer geleisteten Arbeit haben.
Auch diesen Gesetzentwurf blockieren Sie im Bundesrat. Ich frage mich: Was ist eigentlich aus der sozialdemokratischen Partei geworden, wenn sie aus parteitaktischen und ideologischen Gründen eine Politik gegen
die kleinen Leute in unserem Lande macht?
({31})
- Ich weiß, dass Ihnen das wehtut, Herr Kollege Heil,
aber das ist nun einmal die Wahrheit. Sie haben längst
vergessen, wer eigentlich in Deutschland die Leistung
tatsächlich erbringt.
({32})
Deswegen werden wir alles dafür tun, um unseren
Unternehmen neue Märkte zu erschließen. Ein gutes
Beispiel ist die künftige Verschmelzung der Industrie
- eine bekannte Stärke der deutschen Wirtschaft - mit
modernen Kommunikationstechnologien.
({33})
Wir nennen das Industrie 4.0, wenn Industrie und Telekommunikation miteinander verschmelzen.
({34})
- Ich weiß, Sie haben ganz aktuell einige Probleme mit
Telekommunikation und IT-Beratern. - Aber das ist die
Chance für die deutsche Industrie. Gerade hier setzen
wir Akzente, auch mit dem vorliegenden Etat.
({35})
Es geht darum, junge, kreative Menschen und Unternehmen zu fördern. Wir wollen die Gründungskultur in
Deutschland stärken.
({36})
Deswegen haben wir erstmals die Möglichkeit geschaffen, auf Risikokapital zurückzugreifen. Im nächsten Jahr
stellen wir 30 Millionen Euro zur Verfügung, in der
Folge 120 Millionen Euro, also 150 Millionen Euro zur
Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Gerade wenn es darum geht, in dem hochinnovativen
Bereich der IT-Technologie neue Unternehmen zu fördern, ist das sehr wichtig.
({37})
Das ist ein ganz konkretes Beispiel für die Stärkung des
Mittelstandes in Deutschland und für die Stärkung der
neuen Industrien.
({38})
Fachkräftesicherung, Bezahlbarkeit von Energie,
neue Chancen durch neue Märkte, durch Neugründungen, durch Innovation - all das zeigt, dass wir es natürlich schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit auch in schwierigen Zeiten weiter zu stärken. In Kombination mit
solidem Haushalten ist das der beste Weg, um für
Wachstum auch in dem schwierigen Jahr 2013 zu sorgen. Ihre Rezepte werden am Ende nicht funktionieren:
nur neue Schulden, auch zulasten nachfolgender Generationen, und Steuern und Abgaben zulasten aller Generationen in unserem Lande.
Daran zeigt sich der entscheidende Unterschied zwischen der Opposition, die es auch ewig bleiben wird,
({39})
und der Regierungskoalition. Sie denken nur an das
Umverteilen, aber diese Koalition kämpft für diejenigen,
die den Wohlstand, den wir erleben dürfen, alltäglich erarbeiten. Wir denken an das Erwirtschaften. Es würde
Ihnen gut anstehen, wenn Sie das Gleiche täten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({40})
Roland Claus ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesminister Rösler, damit sich dieser
Irrtum nicht bei Ihnen festsetzt und Sie die Opposition
im Deutschen Bundestag und die Kirchen gleich mit
nicht weiter diskriminieren,
({0})
sage ich Ihnen hier eindeutig: Opposition ist Verantwortung und nicht Verantwortungslosigkeit. Das haben Sie
bis vor kurzem auch noch so gesehen. Daran muss man
Sie erinnern.
({1})
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es angebracht
ist, sich mit Schadenfreude über die Umfragewerte anderer Parteien zurückzuhalten. Dem will ich auch gerne
nachkommen. Aber es geht hier nicht um den Parteivorsitzenden Philipp Rösler, sondern um den Bundeswirtschaftsminister. Was Sie für Ihren Nebenjob versprochen
haben, Herr Minister, muss doch auch für das Ministeramt gelten: Sie wollten liefern. Mit Ihrem Etat und mit
der Rede, die wir soeben gehört haben, sind Sie aber
- das muss ich Ihnen so deutlich sagen - in einen einzigen Lieferstreik getreten, und das nehmen wir natürlich
nicht hin.
({2})
Das würde Ihnen keine Opposition dieser Welt durchgehen lassen und schon gar nicht die demokratische Linke
im Deutschen Bundestag.
Sie sagen: Es ist alles gut am Arbeitsmarkt. Aber Fakt
ist: Leiharbeit und Niedriglohn haben ein ungeheures
Ausmaß angenommen. Dieses Ausmaß ist im Osten
- daran will ich erinnern - doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Junge Leute beginnen ihr Arbeitsleben
in aller Regel mit Zukunftsungewissheit. Sie erhalten
beispielsweise im Gastronomiegewerbe Arbeitsverträge
mit einer Laufzeit von zehn Monaten und sollen dann die
restlichen zwei Monate bei der Bundesagentur für Arbeit
quasi überwintern. Gestern haben wir Ihre neue Losung
gehört, wir hätten es hier mit der erfolgreichsten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung zu tun.
({3})
Das Bundespresseamt hatte die Losung der Woche formuliert - das ist von Ihnen, nicht von mir -: Der
Aufschwung ist bei den Menschen angekommen. - Ich
erlebe immer wieder, dass Menschen, die in schlecht
bezahlten Jobs arbeiten, diese Losungen und diese
Schönrederei als einen Zynismus und als eine Verhöhnung ihres Lebens empfinden.
({4})
Ihr Haushaltsplan ist während der Beratungen leider
nicht besser geworden. Aber wir haben redlich versucht,
ihn zu korrigieren. Bei aller selbstkritischen Analyse, die
ich unserem Antrag gegenüber noch einmal an den Tag
gelegt habe, musste ich feststellen: Es waren allesamt
gute Vorschläge. Ich will Ihnen nur vier Beispiele
nennen:
Erstens. Wir wollten uns dafür einsetzen, dass es eine
bessere Ausstattung des Bundeskartellamtes gibt. Das ist
eine Behörde, bei der interessanterweise jeder Euro, den
man ihr zukommen lässt, 7 Euro hervorbringt. Eine bessere Ausstattung ist auch deshalb erforderlich, weil das
Kartellamt bekanntlich dafür zuständig ist, den Wettbewerb zu überwachen. Die Leute interessiert es
momentan wirklich sehr, ob es an den Zapfsäulen und an
den Stromzählern mit rechten Dingen zugeht.
({5})
Es wäre also gut gewesen, unserem Antrag zu folgen.
Ich bin mir ziemlich sicher: An diesem Vorschlag kommen Sie nicht vorbei. Irgendwann werden Sie das Ganze
selber machen, und Sie werden sehen: Opposition wirkt;
Opposition ist alles andere als Verantwortungslosigkeit.
Mir wird zuweilen mit Blick auf das Kartellamt vorgehalten: Man darf das mit der Kontrolle nicht übertreiben.
Ich gehe einmal davon aus, dass auch der Freiheitsbegriff der Liberalen nicht die Freiheit zu Gesetzesverletzungen meint.
({6})
Zweitens. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, im Bereich von Luft- und Raumfahrt Subventionen abzubauen. Dieser Bereich wird gigantisch subventioniert.
Sie protegieren hier staatsnahe Monopolisten, und das
mit einem FDP-Minister. Dass Ihnen das noch ein Sozialist sagen muss, das ist ja nun wirklich ein dicker Hund.
Mit diesen Subventionen fördern Sie auch die Rüstungs25368
produktion. Wir sagen Ihnen: Wer Rüstungsgüter produziert, verdient natürlich auch am Gebrauch dieser Güter.
Klarer gesagt: Rüstungsproduktion verdient am Krieg.
Das wollen wir nicht. Sie haben zwar auch unsere
Anträge, die sich darauf bezogen, abgelehnt, aber Sie
werden damit wieder zu tun haben.
({7})
Drittens. Die Wirtschaft im Osten verdient mehr
Unterstützung. Die Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ - sie
ist hier schon angesprochen worden - betrifft zu sechs
Siebteln den Osten. Deshalb unterstützen wir auch die
Anträge, die Mittel für diese Aufgabe wieder auf das bisherige Niveau anzuheben.
Ich muss Ihnen noch eine Vorhaltung machen. Sie haben vollmundig verkündet, bis zum Jahre 2019 500 Millionen Euro mehr für die Forschung in Ostdeutschland
einzubringen. Das hat natürlich auch mit Ihrem Etat zu
tun, Herr Minister Rösler. Wir haben einmal nachgeschaut, was genau passiert ist. Ich wiederhole: 500 Millionen Euro zusätzlich waren versprochen. Was haben
Sie gemacht? Sie haben alles, was bisher schon vorhanden ist, neu sortiert, haben neue Überschriften formuliert. Sie haben es gerade einmal geschafft, im Etat für
2013 zusätzlich 10 Millionen Euro - versprochen waren
500 Millionen Euro - einzustellen. Das kann man Ihnen
nicht durchgehen lassen.
({8})
Viertens. Wir haben angesichts komplizierter wirtschaftlicher Entwicklungen, die bevorstehen, vorgeschlagen, wenigstens die Kriseninstrumente auf Standby zu stellen, also sicherzustellen, dass man das Arbeitslosengeld I schnell abrufen könnte, dass man den Investitions- und Tilgungsfonds und Konjunkturprogramme,
so wie Sie es eben getan haben, nicht diskriminiert, sondern gewissermaßen vorhält. Auch diese Vorschläge haben Sie abgelehnt.
Meine Damen und Herren, die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die Mittelstand und Existenzgründern
Chancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft,
von der Beschäftigte sorgenfrei leben können, und die so
zu mehr Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen beiträgt. Kleiner geht es nicht.
Die Linke hat mindestens vier Alleinstellungsmerkmale, vielleicht auch Erfahrungsvorsprünge in Sachen
vernünftiger Wirtschaftspolitik.
({9})
Erstens. Die Linke weiß genau, wie es nicht geht.
({10})
Es möge sich melden, wer mit mir in den Wettbewerb
treten will.
({11})
Zweitens. Die Linke will als Einzige die Übermacht
der Finanzmärkte über die Realwirtschaft stoppen.
({12})
In dieser Woche haben wir bei den sogenannten Schattenbanken von einem Umsatz von über 50 Billionen
Euro gehört. Da geht es nicht mehr um Regulieren, sondern um Abschalten.
({13})
Drittens. Die Linke kann als einzige von sich sagen:
Wir können auch Osten.
({14})
Die Linke ist die Einzige, die nicht von der Finanzbranche und der Großindustrie Parteispenden einsteckt. Die
wollen wir auch gar nicht.
({15})
Ihr Plan A von einer vernünftigen Wirtschaftsentwicklung hat versagt. Es muss ein Plan B her.
({16})
Viertens. Auch der Nachbau des Westens im Osten
funktioniert nicht. Deshalb brauchen wir einen neuen sozialökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, bei dem Soziales und Ökologisches in der Tat zusammengehen. Das geht zu machen. Das geht immer
auch anders, aber das geht nur mit links.
({17})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Michael Luther das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als die Debatte heute durch den Kollegen
Brandner eröffnet wurde, habe ich mich kurz orientiert,
ob wir tatsächlich im Deutschen Bundestag sind. Der
Adler zeigt mir, dass ich doch richtig bin. Dann ist Herr
Brandner gedanklich woanders, vielleicht vor dem französischen Parlament oder dem spanischen Parlament.
Wenn er davon redet, dass die Arbeitslosigkeit in
Deutschland steigt, dann erinnere ich ihn daran, dass die
rot-grüne Regierungszeit mit 5 Millionen Arbeitslosen
geendet hat. Wir haben diese Zahl jetzt fast um die
Hälfte reduziert.
({0})
Sie ist im Monatsvergleich von September bis Oktober
wiederum, wenn auch nur leicht, zurückgegangen. Ich
weiß nicht, von wem Sie geredet haben, aus welchem
Land Sie berichtet haben. Wir sind hier in Deutschland.
({1})
Sie haben bezweifelt, dass Deutschland die Wachstumslokomotive in Europa ist. Vielleicht schauen Sie tatsächlich einmal in andere Länder. Ich will Ihnen das an einem Beispiel versuchen zu erklären. Schauen Sie sich
die Goethe-Institute in Südeuropa an:
({2})
in Spanien, in Portugal, in Griechenland. Sie können
sich kaum vor Leuten retten, die Deutsch lernen wollen.
({3})
Warum? Weil sie eine Chance für sich sehen, in
Deutschland Arbeit zu finden. Das heißt also, die Menschen außerhalb von Deutschland schätzen die Situation
hier ganz anders ein. Deswegen stellt sich für mich die
Frage, über welches Land Sie in Ihrer Rede gesprochen
haben.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will klar sagen: Wir
stehen gut da in Europa. Wir bieten Chancen für die
Menschen in unserem Land. Sie haben Arbeit. Sie bekommen Arbeit. Die Beschäftigungsquote ist so hoch
wie noch nie. Die Arbeitslosgenquote ist so niedrig wie
seit langem nicht mehr. Das sind Fakten, an denen man
einfach nicht vorbeikommen kann. Dafür gab es auch
Gründe. Wir haben in Deutschland zeitig genug einen
Reformkurs eingeleitet, im Übrigen mit der SPD. Sie hat
sich allerdings heute von den richtigen Erkenntnissen
und den Fakten, die damals eingeleitet wurden, mittlerweile verabschiedet. Das ist das Wichtige und das Wesentliche. Die schwarz-gelbe Koalition hat in dieser Legislaturperiode mit ihrer soliden Konsolidierungspolitik
ganz konsequent diesen Weg fortgesetzt. Das Ergebnis
sehen wir heute: Deutschland steht so gut da, wie seit
langem nicht mehr.
Meine Damen und Herren, darauf dürfen wir uns aber
nicht ausruhen, sondern wir müssen nach vorn schauen.
Wie geht es weiter? Wir leben in einer globalen Welt,
und eine globale Welt verändert sich. Dabei denke ich
zum Beispiel an China, an Brasilien und an andere Länder. Diese werden in einer globalen Welt immer stärker.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es in Zukunft andere Wettbewerbsbedingungen gibt, und das machen
wir. Das machen wir auch ganz konkret mit unserem
Haushalt. Ich will mit ein paar Beispielen zeigen, wie
wir diesen Prozess durch Haushaltspolitik unterstützen.
Dabei denke ich an den Bereich Innovation, Mobilität
und Technologie sowie den Bereich der Spitzentechnologie. So erhält zum Beispiel die Luft- und Raumfahrt
im nächsten Jahr 35 Millionen Euro mehr. Die Opposition hat in den Haushaltsberatungen bisher immer eine
Absenkung dieser Mittel verlangt. Ich glaube, Sie haben
nicht begriffen, dass es hierbei um Hightechförderung
geht. Das ist keine sinnlose Spielerei, vielmehr sind die
Erkenntnisse der Hightechforschung, die wir heute gewinnen, die Basis für die Wirtschaft von morgen.
Ich denke auch an den Mittelstand, das Rückgrat unserer Gesellschaft. Wir unterstützen die Forschungsinfrastruktur des Mittelstands mit 200 Millionen Euro.
Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz
ZIM genannt, wird im nächsten Jahr über ein Volumen
von über einer halben Milliarde Euro verfügen. Das ist
mehr als am Anfang der Legislaturperiode.
Ich denke aber auch an den Außenhandel. Als größte
europäische Volkswirtschaft können wir auf eine überzeugende Außenwirtschaftsförderung nicht verzichten.
Aus vielen Gesprächen mit Mittelständlern weiß ich,
dass wir gerade auf diesem Gebiet gut aufgestellt sind.
Das Engagement auf internationalen Fach- und Industriemessen braucht keinen Vergleich zu scheuen. Als
Haushälter tragen wir auch gerne dafür Sorge. Auch das
neu gebündelte Programm „Erschließung von Auslandsmärkten“ mit einem Volumen von 80 Millionen Euro
leistet einen Beitrag zu diesem Erfolg.
Da ich gerade beim Außenhandel bin, will ich an dieser Stelle einen kleinen Einschub machen. In diesem
Jahr fand die Weltausstellung in Südkorea statt. Der
deutsche Pavillon hat zum zweiten Mal in Folge nach
der Expo in Schanghai den ersten Preis gewonnen. Damit hat der deutsche Pavillon gezeigt, was Deutschland
ist, nämlich ein Land, das in der Lage ist, Zukunftsfragen zu beantworten, und ein Land, das innovativ ist. An
dieser Stelle möchte ich mich noch einmal recht herzlich
bei der Mannschaft des BMWi bedanken.
({5})
Ich will noch ein Wort zur Energiewende sagen. Die
Energiewende ist und bleibt unsere gemeinsame wichtige Herausforderung.
({6})
Die Bundesregierung hat beschlossen, dass wir weg vom
Atomstrom wollen. Mittelfristig bedeutet das auch, dass
wir weg wollen von fossilen Energieträgern und hin zu
erneuerbaren Energien. Ein Anfang ist gemacht. Ich sage
aber ganz bewusst: nur ein Anfang.
({7})
Ich weiß nicht, ob jedem hier im Haus und insbesondere
jedem bei der Opposition wirklich klar ist, was es bedeutet, die Energiewende zum Erfolg zu führen.
({8})
Ich will eines unterstreichen, was der Minister auch
schon gesagt hat. Das EEG hat bislang seine gute Wirkung gezeigt. Es muss aber geändert werden; denn es ist
eine grenzenlose Angebotsförderung.
({9})
Deshalb muss das EEG geändert werden hin zu einer
nachfragegerechten Förderung; denn sonst wird uns die
Energiewende nicht gelingen.
({10})
Mit dem Haushalt konnten und mussten wir die Voraussetzungen schaffen, dass der Netzausbau gelingt. In
diesem Zusammenhang gibt es das Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Deshalb haben wir bei den Behörden, die
für die Umsetzung verantwortlich sind, dem Bundeskartellamt und der Bundesnetzagentur, die entsprechenden
auch personellen Voraussetzungen geschaffen, damit sie
ihre Aufgaben administrativ bewältigen können.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch Bezug
nehmen auf ein besonderes Thema, und zwar auf das
Thema Wismut. Ich bin mit dieser Situation bestens vertraut. Seit 1990 bin ich im Parlament; etwa 1991 war ich
im Wirtschaftsausschuss zuständiger Berichterstatter für
dieses Thema. Es begleitet mich also seit 20 Jahren. Wir
befinden uns jetzt in der finalen Phase. Es ist gelungen,
mit diesem Haushalt die finanziellen Voraussetzungen
zu schaffen und den bis 1990 aktiven Wismut-Bergbau
mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, sodass
die Sanierung zu Ende gebracht werden kann.
Darüber hinaus kann man sagen, dass das sogenannte
Folgeabkommen zur Sanierung der Wismut-Altstandorte, das sich etwas schwierig gestaltet hat, auch auf einem guten Weg ist. Wir haben im Haushalt auf jeden
Fall die Voraussetzungen geschaffen und für 2013 und
die folgenden Jahre die Barmittel und die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Das Geld
steht bereit. Sobald die Länder die letzten rechtlichen
Voraussetzungen geschaffen haben, kann das Geld dann
abfließen.
Ich will mich an dieser Stelle noch einmal herzlich
beim Deutschen Bundestag für die hervorragenden solidarischen Leistungen bedanken, die bei diesem schwierigen Thema mittlerweile zu einem guten Erfolg geführt
haben.
Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist ebenfalls angesprochen
worden. Es ist schon richtig erwähnt worden, dass wir
bei den Haushaltsberatungen in der Bereinigungssitzung
dafür gesorgt haben, dass die GRW-Mittel gegenüber
dem Regierungsentwurf aufgestockt worden sind, und
zwar um den Betrag, den wir Anfang der Legislaturperiode vereinbart hatten, nämlich 14 Millionen Euro in
den Barmitteln und entsprechend in den Verpflichtungsermächtigungen.
Man kann sich natürlich mehr wünschen, aber man
kann nicht auf der einen Seite von Haushaltskonsolidierung reden und dann auf der anderen Seite keine Maßnahmen treffen. Wir haben, glaube ich, einen guten Mittelweg gefunden, indem wir sagen: Wir erhöhen um den
Betrag, der notwendig ist - um die besagten 14 Millionen Euro - und leisten gleichzeitig einen Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung. Im Übrigen reduzieren wir
den Einzelplan 09 insgesamt um 60 Millionen Euro, um
damit auch einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten.
({11})
Herr Brandner, eines muss ich an dieser Stelle noch
einmal sagen - das habe ich bereits in der ersten Lesung
gesagt -: Die SPD hat in der Zeit rot-grüner Regierungsverantwortung die GRW halbiert. Ja, halbiert. In der Opposition ist es einfach, zu erzählen, wie schön das Leben
ist.
({12})
Wenn es jedoch drauf ankommt, dann müssen Sie zeigen, was Sie können.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch zwei Bemerkungen machen. Auch ich will
mich recht herzlich beim Wirtschaftsminister und bei
seinen Mitarbeitern für die gute Vorbereitung des Haushaltes bedanken. Ich möchte mich auch bei meinen Mitberichterstatterkollegen für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken. An dieser Stelle möchte ich mich auch
einmal bei unseren Mitarbeitern bedanken, die, glaube
ich, in den letzten Wochen und Monaten viel zu leiden
hatten und immer unsere Zuarbeit machen mussten.
Der Etat des Wirtschaftsministeriums ist solide und
gut beraten. Aus diesem Grunde kann ich die Annahme
empfehlen.
Danke schön.
({14})
Das Wort erhält nun die Kollegin Priska Hinz vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Rösler, ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt, auf welchem Weg Sie eigentlich sind, und bin zu
dem Schluss gekommen: Sie sind mit Ihrer Wirtschaftspolitik auf dem Weg ins Nirwana.
({0})
Die Euro-Krise geht ins vierte Jahr. Aufgrund der einseitigen Sparpolitik, die die Regierung in Europa durchgedrückt hat und an der der Wirtschaftsminister ja nicht
unschuldig ist, gibt es inzwischen in vielen EU-Mitgliedstaaten eine Rezession, darauf folgend eine Konjunktureintrübung auch in Deutschland.
Man fragt sich: Mit welchem Politikansatz stemmt
sich ein Wirtschaftsminister in Deutschland gegen diesen Trend? Welche wirtschaftlichen Anreize werden im
positiven Sinne gegeben? Welche Rahmenbedingungen
werden denn für uns und die EU verändert? Da kann ich
nur sagen: große Fehlanzeige, was das Handeln dieses
Wirtschaftsministers und dieser Koalition angeht.
({1})
Priska Hinz ({2})
- Uns ist keine einzige Initiative von diesem Wirtschaftsminister in Erinnerung, die irgendwie zu etwas
Positivem geführt hat. Da paart sich aus meiner Sicht
Unvermögen mit Unwillen.
Zum Thema Energiewende. Wir hören da nur, dass
das EEG geschleift werden muss. Von der Steigerung der
Energieeffizienz und ihren positiven Konsequenzen hat
der Wirtschaftsminister anscheinend noch nie etwas gehört. Er hat auf die Frage der steuerlichen Förderung der
Gebäudesanierung angespielt.
({3})
Da kann man doch nur sagen: Es ist ein Unding, zuerst
immer nach Steuersenkungen zu rufen, den Ländern die
Kassen zu leeren
({4})
und hinterher zu glauben, die Länder könnten bei der
steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung die
Hauptbürde tragen. Das funktioniert so nicht, meine Damen und Herren.
({5})
Der Wirtschaftsminister hat der Einrichtung eines
Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“, EKF, zugestimmt. Damit ist er die Hauptverantwortlichkeit für
das Energiethema sozusagen los. Denn bei diesem Topf
herrscht so ein Gemauschel: Keiner weiß so recht, was
daraus eigentlich finanziert wird. Das Ende vom Lied ist,
dass nicht einmal die Energieforschungsmittel erhöht
werden.
Zum Thema „Nationale Plattform Elektromobilität“.
Da ist auch kein positives Signal zu vermelden. Sie erreichen doch gar nicht die Zielzahlen, die Sie in den
Raum gestellt haben. Das ist keine positive Politik für
die Wirtschaft in diesem Lande, meine Damen und Herren.
({6})
Zum Thema Mittelstand und Mittelstandsförderung.
Außer einer eigenwilligen Interpretation des Ministers,
was eigentlich „Mittelstand“ bedeutet, haben wir in den
Beratungen nicht viel gehört. Mittelstand sei, wenn sich
ein Eigentümer mit seinem Unternehmen verbunden
fühle, das ist die Aussage des Wirtschaftsministers. Kein
Wunder, dass viele Förderprogramme so ausgestaltet
sind, dass der Anteil der KMUs an den geförderten Unternehmen unter 5 Prozent liegt. Man muss die Programme doch so ausrichten, dass sie den Mittelstand erreichen, dass sie kleine und mittlere Unternehmen in der
Transformation unterstützen. Wir haben mit unseren Anträgen gezeigt, wie man ökologische Modernisierung
buchstabieren muss und sie in einem Haushalt ausfinanzieren kann.
({7})
Meine Damen und Herren, wo bleibt eigentlich der
Wirtschaftsminister, wenn es um die KfW geht?
({8})
Da sitzt er in einer Koalitionsrunde, die beschließt, dass
die KfW künftig
({9})
Gewinnausschüttung betreiben und den Haushalt sanieren soll. Aber die KfW ist eine Förderbank für die Wirtschaft, für die kleinen und mittleren Unternehmen, für
die ökologische Modernisierung. Und da hebt der Wirtschaftsminister die Hand, wenn beschlossen wird, dass
die KfW geplündert werden soll? So sieht Wirtschaftspolitik bei Ihnen aus.
({10})
Ich weiß gar nicht, woher Sie es nehmen, zu behaupten, dass Sie auf einem guten Wege sind, zum Beispiel
bei den Fachkräften. Die Bluecard - die Einführung war
Ihre wunderbare Initiative für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland - wurde bislang 139-mal vergeben.
({11})
139 Bluecards wurden vergeben, und 112 der Menschen,
die sie bekommen haben, waren bereits in Deutschland.
Das ist die positive Bilanz dieses Wirtschaftsministers,
was Fachkräftegewinnung angeht. Man glaubt es einfach
nicht.
({12})
Man fragt sich, warum Fachkräfte jetzt primär in Indonesien, Indien und Vietnam angeworben werden sollen.
Wenn man nach Portugal und Spanien reist, erlebt man,
dass dort händeringend darum gebeten wird, gemeinsam
mit ihnen die Sprachbarrieren zu senken, um gut ausgebildeten, hochqualifizierten Menschen die Möglichkeit
zu geben, in Krisenzeiten Mobilität zu beweisen und
hierherzukommen, zumindest temporär, bis der Aufschwung in diesen Ländern wieder ankommt. Das wäre
gelebte europäische Solidarität und eine Möglichkeit,
hier den Bedarf an Fachkräften zu decken. Aber davon
versteht der Wirtschaftsminister auch nichts.
({13})
Beim Thema Euro-Krise und Griechenland hat er sich
völlig vergaloppiert. Während der Wirtschaftsminister
von einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone geschwafelt hat, ist er mit einer Unternehmerdelegation
dorthin gereist. Aber wenn man Unsicherheiten verbreitet, dann bringt man natürlich keinen deutschen Unternehmer dazu, zu investieren. Die Troika hat deutlich gemacht - wörtlich -:
Priska Hinz ({14})
Die breite Diskussion über einen „Grexit“ auf den
Märkten und sogar unter den Gläubigern hat Griechenland sehr geschadet.
Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen,
Herr Minister Rösler. Noch am 26. August haben Sie
wörtlich gesagt:
Die Forderung der Griechen, ein halbes oder gar
zwei Jahre nachzugeben, kann schon deswegen
nicht funktionieren, weil es nicht nur eine Frage der
Zeit ist. … Sondern jeder muss wissen: Zeit bedeutet immer auch Geld.
({15})
Damals haben Sie das also noch abgelehnt. Als Fazit
kann man nur ziehen: Wenn Sie in Bezug auf den Euro
und die Wirtschaftspolitik in Deutschland immer so
falsch liegen, dann gehören Sie in die Opposition.
({16})
Wenn Sie, falls überhaupt, in der Opposition sitzen, werden Sie erleben, dass die Wählerinnen und Wähler klüger sind, als Sie uns heute in Ihrer Rede Glauben machen
wollten.
Danke schön.
({17})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Martin Lindner
nun das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren!
Nach drei Jahren Regierungszeit ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, und die macht man in einer Haushaltsdebatte üblicherweise mit Zahlen.
Die erste schwarz-gelbe Zahl, die ich hier in den
Raum stelle, ist 41,6 Millionen. Im August 2012 waren
insgesamt 41,6 Millionen Menschen mit Wohnort in
Deutschland erwerbstätig und damit 423 000 mehr als
im Vorjahr. Noch nie hatten mehr Menschen Arbeit in
Deutschland als heute. Das ist gut so.
({0})
500 Industriearbeitsplätze entstehen jeden Tag, auch
2012. 6,5 Prozent beträgt die Arbeitslosenquote. Unter
Schwarz-Gelb hat die deutsche Wirtschaft 1,6 Millionen
zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
geschaffen. Das ist eine Erfolgsstory, wie sie im Moment
kaum in einem anderen Land der Erde geschrieben wird.
({1})
Das hat eine Ursache. Herr Heil, es ist doch kindisch,
zu behaupten, das alles habe mit Schwarz-Gelb nichts zu
tun.
({2})
Schröder war 1998 noch gar nicht im Amt und hat den
Aufschwung Ende 1998 bereits damit erklärt, dass dies
im Vorgriff auf seine Kanzlerschaft geschehen sei.
({3})
Nun billigen Sie uns nach über drei Jahren an der Regierung unsere Erfolge nicht zu. Damit machen Sie sich lächerlich. An der Wahrheit geht das vorbei. Das ist ganz
klar.
({4})
Die nächste Zahl: 12 Milliarden. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt im Klassenzimmer, sagte
Henry Ford. Das haben wir verinnerlicht.
({5})
Wir haben bis 2013 12 Milliarden Euro mehr in Bildung
und Forschung investiert, so viel wie keine andere Regierung vorher. Auch das ist eine Ursache für die Arbeitsmarktzahlen.
({6})
Nächste Zahl: 1 Billion. Die deutschen Exporte sind
im Jahr 2011 weiter gewachsen und haben mit über
1 Billion Euro erstmals die magische Billionengrenze
geknackt. Das Einzige, was Ihnen, vor allem von der
Ultralinken, dazu einfällt, ist, herumzumäkeln, dass dies
auf Rüstungsexporten beruhe. So etwas Lächerliches!
Die haben nur einen marginalen Anteil daran. Es ist eine
Exportleistung der deutschen Industrie. Mit der Einführung der Erleichterungen in der Novelle zum deutschen
Außenwirtschaftsgesetz werden wir an dieser Erfolgsstory weiterschreiben. Wir kümmern uns darum, dass
der deutsche Export weiter stark bleibt. Sie können rummäkeln und rumkritteln, wie Sie wollen. Die deutsche
Industrie kann sich auf uns verlassen.
({7})
Auf Sie kann man sich nicht verlassen. Sie haben den
deutschen Industriearbeiter doch schon längst aufgegeben.
({8})
Sie haben doch nur noch Assistenten, Referenten, Politologen und Soziologen in Ihrer Anhängerschaft. Man
muss klar sehen: Der deutsche Industriearbeiter kann
sich auf alle verlassen, nur nicht auf die SPD.
({9})
Dr. Martin Lindner ({10})
1 307 Weltmarktführer gehören dem deutschen Mittelstand an. Zum Vergleich: Deutschland hat damit mehr
Weltmarktführer als die USA, Japan, Österreich, die
Schweiz, Italien, Frankreich, China und Großbritannien
zusammen. Auch für diese Unternehmen tun wir etwas:
Mit der Stärkung der GWB-Novelle haben wir dafür gesorgt, dass in Deutschland weiterhin ein fairer Wettbewerb stattfindet. Wir haben dafür gesorgt, dass gerade
kleine und mittlere Betriebe beim Markteintritt faire
Möglichkeiten vorfinden, sodass auch sie sich entwickeln können und nicht nur die Großindustrie. Auch dies
ist eine Erfolgsstory von Schwarz und Gelb.
({11})
17,3 Milliarden Euro. Schwarz-Gelb investierte im
Jahr 2011 ganze 17,3 Milliarden Euro in den Kampf gegen den Klimawandel. Im internationalen Vergleich war
das das größte Budget. Damit ist Deutschland Umweltmeister.
({12})
Das ist der Unterschied, meine lieben grünen Freunde,
zwischen uns und Ihnen: Sie schwätzen, wir handeln.
({13})
Das Einzige, was Sie können, ist, dreiste Klientelpolitik
zu betreiben, die ihresgleichen sucht.
({14})
Sie schämen sich nicht, in Debatten, in denen es darum
geht, die üppigen Pfründe, die üppigen Subventionen,
die es auch für die Solarwirtschaft gibt, in vernünftige
Bahnen zu lenken, Ihre ganze Garde von Eurosolar-Lobbyisten auftreten zu lassen.
({15})
Sie kümmern sich um Ihre Lobby, wir kümmern uns ums
Land, das ist der Unterschied.
({16})
18,9 Prozent. Schwarz-Gelb hat die Senkung des Rentenbeitragssatzes um weitere 0,7 Prozent auf 18,9 Prozent
beschlossen und damit gegen die Forderung der rot-grünen Opposition geltendes Recht durchgesetzt.
({17})
So werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen entlastet, und auch die Rentner profitieren. Gleichzeitig haben wir einen Puffer in zweistelliger Milliardenhöhe in der Rentenkasse geschaffen. Auch dies ist in der
jüngeren Geschichte dieses Landes beispiellos.
515 800. In Deutschland gibt es so viele Studienanfänger wie noch nie. 515 800 Neueinschreibungen
konnten die deutschen Hochschulen im Jahr 2011 verzeichnen. Das ist eine Steigerung gegenüber rot-grünen
Zeiten um 45 Prozent, trotz oder vielleicht auch gerade
wegen Studiengebühren; auch das sage ich an dieser
Stelle einmal.
({18})
Die Studiengebühren haben die Studienanfängerquote
nicht verringert, sondern gestärkt. Die Universitäten sind
besser ausgestattet. Deswegen ist es richtig - auch das
sage ich an dieser Stelle -, dass unsere bayerischen
Freunde dafür kämpfen, dass sie erhalten bleibt.
({19})
50 Prozent. Schwarz-Gelb hat die Neuverschuldung
trotz - trotz! - der Erleichterungen für die Menschen um
50 Prozent im Vergleich zu den Plänen Ihres großen
Kanzlerkandidaten reduziert. Unser nächstes Ziel - auch
dies werden wir erreichen - ist ein ausgeglichener Haushalt.
Wir haben weitere Stärkungsmaßnahmen für die Bürger beschlossen, die aber von Ihnen blockiert werden.
Wir sehen für die Bürger Entlastungen in Höhe von
6,1 Milliarden Euro vor. Dabei geht es nicht um üppige
Steuersenkungen. Dabei geht es darum, dass die Menschen, die täglich für diese Erfolgszahlen arbeiten, ein
Stück mehr davon haben.
({20})
Das gönnen Sie ihnen nicht. Sie gönnen ihnen die Beitragssenkungen bei der Rentenversicherung nicht. Sie
gönnen ihnen auch die Abschaffung der Praxisgebühr
nicht.
({21})
Sie gönnen ihnen die steuerlichen Entlastungen nicht.
Sie blockieren alles. Sie blockieren auch die steuerlichen
Ermäßigungen für den Bereich der energetischen Haussanierung.
Frau Hinz, Sie haben hier erklärt, dass das auf Kosten
der Länder geht. Das kann doch nicht ernsthaft Ihre Auffassung sein. Wir haben die Länder allein im Jahr 2013
um 10,5 Milliarden Euro entlastet. 2014 entlasten wir sie
um weitere 12 Milliarden Euro. In den Jahren 2010 bis
2016 entlasten wir die Länder um 62 Milliarden Euro.
Angesichts dessen ist es ein dreister Akt, sich hier hinzustellen und die Tatsache, dass Sie den Menschen die
steuerlichen Entlastungen nicht gönnen, damit zu begründen, dass die Länder davon - angeblich - nichts haben.
({22})
Dr. Martin Lindner ({23})
Sie können nicht wirtschaften. Das zeigt sich in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen. Das ist aber
eine völlig andere Geschichte. Das hat nichts damit zu
tun, dass die Länder kein Geld haben. Sie sind unfähig,
hauszuhalten. Das zeigen Sie überall dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen.
({24})
Sie blockieren das Steuerabkommen mit der Schweiz.
Diese Information läuft gerade wieder über den Ticker.
Sie blockieren alles, was Geld in die Kasse bringt. Sie
ergehen sich stattdessen in Fantasien über noch mehr
Steuern, die Sie einnehmen wollen. Schauen Sie sich
doch Frankreich an! Das Aufkommen aus der dort erhobenen Milliardär- bzw. Millionärsteuer beträgt gerade
einmal 230 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig wird
die Industrie aus dem Land getrieben; das ist doch keine
sinnvolle Politik. Das ist aber Ihre Blaupause für unser
Land. Dies werden wir verhindern.
({25})
Diese Bundesregierung ist - da hat die Bundeskanzlerin recht - die beste Regierung seit der Wiedervereinigung.
({26})
Diese Bundesregierung wird auch im nächsten Jahr bestätigt werden. Wir werden weiterhin regieren, Sie werden weiterhin schwätzen. Dafür werden wir sorgen.
Herzlichen Dank.
({27})
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Tiefensee
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Minister, ich möchte meine Redezeit in dieser Haushaltsdebatte nutzen, um mich mit Ihren Argumenten auseinanderzusetzen. Kurz eine Vorbemerkung: Herr Minister, mich stört massiv die Chuzpe, mit der Sie sich hier
hinstellen und die Erfolge, die es in Deutschland - auch
im Vergleich zu anderen europäischen Staaten - gibt, für
sich reklamieren. Warum die Entwicklung in Deutschland irgendetwas mit Ihrer Wirtschaftspolitik zu tun haben soll - Sie tun so, als ob das der Fall wäre -, erschließt sich mir nicht. Das nehmen wir so nicht hin.
({0})
Erster Punkt. Sie stellen sich hier hin und sagen, wir
hätten eine niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe
Beschäftigungsrate zu verzeichnen. Das ist richtig. Aber
by the way, der Bericht aus Ihrem Wirtschaftsministerium zeigt, dass wir von August bis Dezember eine Stagnation beim Aufwuchs der Beschäftigungsverhältnisse
und eine leicht ansteigende Arbeitslosenquote zu verzeichnen haben.
({1})
Unabhängig davon nehme ich es nicht hin, dass Sie
das Konjunkturpaket für Verkehr und Bau, das wir während der Zeit der schwarz-roten Koalition in meinem
Haus zwischen Weihnachten 2008 und Neujahr 2009
konzipiert haben, auf diese Weise desavouieren. Sie reklamieren die Erfolge dieses Konjunkturpakets für sich
und ruhen sich auf ihnen aus. Dieses Konjunkturpaket
war die Grundlage dafür, dass der Mittelstand in den
Jahren 2009, 2010 und 2011, also mitten in der Krise,
überhaupt noch Aufträge bekommen hat.
({2})
Wenn Sie das nun desavouieren, dann kann ich nur feststellen, dass Sie weder dieses Instrument noch die Ursachen für den damaligen Aufschwung verstanden haben.
({3})
Zweiter Punkt. Sie stellen sich nun hier hin und reden
davon, dass das industrielle Rückgrat Deutschlands
wichtig sei und eine Erfolgsbasis darstelle. Herr Minister
und Herr Lindner, ich habe bei Ihren Reden ganz genau
zugehört und frage Sie nun: Welche Maßnahme können
Sie hier am Pult verkünden, die dazu geführt hat, dass in
den letzten zwei, drei Jahren die industrielle Basis gestärkt worden ist? Nennen Sie mir ein einziges Beispiel,
und tun Sie nicht so, als ob das Ihr Erfolg wäre!
({4})
Der entscheidende Punkt ist, Herr Minister: Wenn
man sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruht
- wir wollen uns damit nicht zu lange aufhalten -, dann
vergisst man, das zu tun, was notwendig ist, um Vorsorge für die kommenden Jahren zu treffen. Wir haben
- die Frau Bundeskanzlerin hat es gestern leicht angedeutet - schwierige Jahre vor uns. Sie haben die Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt von 1,6 auf
1,0 Prozent senken müssen. Die Sachverständigen gehen
sogar von nur 0,8 Prozent aus. Die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt und der Beschäftigungsquote habe ich bereits angedeutet. Das europäische Umfeld ist höchst kritisch. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie gegensteuern
und konkrete Maßnahmen ergreifen und nicht einfach
nur Zahlen vortragen, Herr Lindner, die wir auch den
statistischen Jahrbüchern entnehmen können.
Was tun Sie? Sie kürzen die Mittel für die GRW, also
die Förderung für strukturschwache Gebiete. Prima! Genau diese Förderung ist für die industrielle Basis und den
Mittelstand nicht zuletzt im Osten wichtig. Wenn Sie
also im Rahmen des Haushalts wirklich fördern und ein
Signal setzen wollen, sollten Sie die GRW-Mittel auf das
alte Niveau aufstocken. Noch besser wäre es, wenn Sie
die fehlende Investitionslage durch eine Erhöhung der
GRW-Mittel kompensierten. Das tun Sie nicht. Wir können Ihnen das so nicht durchgehen lassen.
({5})
Wenn ich, sehr verehrter Herr Minister, Ihre Koalitionsvereinbarung richtig in Erinnerung habe, dann muss
ich feststellen, dass darin etwas zur steuerlichen Forschungsförderung steht. Sinngemäß heißt es: Wir streben
an, mit der steuerlichen Forschungsförderung Forschungsimpulse für die kleinen und mittleren Unternehmen auszulösen. - Was haben Sie geliefert? Wo ist die
steuerliche Forschungsförderung, die wir dringend brauchen und die ja in Ihrer Koalitionsvereinbarung steht?
Wie erklären Sie das dem Mittelstand? Wie sollen Innovationen im Mittelstand entstehen, wenn Sie dort nicht
vorankommen?
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir brauchen
die KfW, um mittelständische Unternehmen zu fördern.
Was tun Sie stattdessen? Sie plündern das Geld und stecken es in die Schuldentilgung und damit in die allgemeine Haushaltssanierung. Damit minimieren Sie das,
was an Investitionshebel für Mittelstand und Industrie
nötig ist; denn Sie wissen, jeder eingesetzte Euro generiert einen Effekt von mindestens 6 bis 8 Euro. Wir können nicht hinnehmen und akzeptieren, dass Sie die KfW
in dieser Weise plündern. Das ist der völlig falsche Weg.
({6})
Ich komme zur energetischen Gebäudesanierung. Das
ist ein wunderschönes Beispiel für Ihre Politik. Ich
möchte dazu coram publico - vor allen Dingen für unsere Zuschauer - Folgendes sagen: An einem Verhandlungstisch sitzen auf beiden Seiten Verhandlungspartner.
Auf der einen Seite sitzen ein Finanzminister und ein
Wirtschaftsminister, dem nichts anderes einfällt, als die
energetische Gebäudesanierung auf dem Wege steuerlicher Förderung voranzubringen. Daher müssen Sie doch
verstehen, dass die andere Seite sagt: Moment mal! Das
kommt doch gar nicht bei denen an, bei denen es ankommen soll. - Warum ergreifen Sie nicht die gleichen Instrumente, die einzusetzen wir seit 2005 geübt haben,
nämlich über die KfW Gelder auszureichen bzw. verbilligte Kredite an die entsprechenden Hausbanken zu geben, damit aus 1 Euro wieder 8 Euro werden und der
Mittelstand endlich zu seinen Aufträgen kommt?
({7})
Bewegen Sie sich an der anderen Seite des Tisches, damit wir uns aufeinander zubewegen können! Erzählen
Sie nicht das Märchen, dass die Länder sich dagegen
sperren! Wir müssen die Förderung richtig machen, dann
werden die Länder auch zustimmen.
({8})
Ich komme zur Vermögensabgabe. Sie kritisieren die
Vermögensabgabe und wissen doch ganz genau, dass in
unserem Lande in den letzten fünf, sechs Jahren das Vermögen - Sie wissen, dass es sich aus Geldvermögen, Immobilien und Wertpapieren zusammensetzt - von 4 Billionen Euro auf 10 Billionen Euro angestiegen ist.
({9})
Diese 10 Billionen Euro befinden sich zu 40 Prozent bei
den oberen 10 Prozent.
({10})
Wieso ist es nicht vernünftig, diejenigen, die starke
Schultern haben, heranzuziehen, damit wir zum Beispiel
bei der Infrastruktur vorankommen? Wir stehen dafür,
dass die starken Schultern in der Wirtschaftspolitik, der
Sozialpolitik, der Bildungspolitik sowie auch bei ökologischen Fragen herangezogen und nicht die kleinen
Leute belastet werden.
({11})
Ich komme zur Energiepolitik. Da fehlt ein Masterplan. Ich habe auch heute wieder nicht gehört, dass von
diesem Pult aus etwas dazu gesagt wurde, wie wir die
Länder untereinander, die Länder mit dem Bund und die
Länder mit den Kommunen koordinieren wollen. Die
Frau Bundeskanzlerin hat gestern von einer Art Koordinationsgremium gesprochen, das es geben wird. Es ist
gut, dass wir das nach eineinhalb Jahren endlich bekommen. Da wird sich aber bis zum September 2013 vermutlich nichts tun. Wieso belasten Sie die Bürger - insbesondere die Privathaushalte und auch die von Ihnen so
viel gelobten und angeblich von Ihnen unterstützten Mittelständler -, indem Sie bei den Offshorewindparks die
Haftungsregelung so ausgestalten, dass über 1 Milliarde
Euro von den privaten Stromkunden zu tragen ist, anstatt
im Energiewirtschaftsgesetz dafür Sorge zu tragen, dass
die Haftung anderweitig getragen wird? Das ist ein Teil
der Infrastruktur.
Sehen wir uns einen anderen Teil der Infrastruktur an.
Ich schaue da meinen Nachfolger im Amt an. Wir müssen bei der Infrastruktur etwas tun. Auch das ist Mittelstandsförderung. Genauso wie Sie die KfW plündern,
plündert der Finanzminister die Deutsche Bahn AG. Sie
zahlt 525 Millionen Euro Zwangsdividende pro Jahr in
den Jahren 2012, 2013 und 2014. 25 Millionen Euro von
diesen 525 Millionen Euro gehen wieder in die Infrastruktur. 500 Millionen Euro werden zur Haushaltssanierung verwandt. Sie fehlen dann, um die Infrastruktur
über der Erde voranzubringen. Das soll Wirtschaftspolitik sein? Ich kann darin überhaupt keine Wirtschaftspolitik erkennen, sondern nur ein weiteres Durchwurschteln.
({12})
Sehr verehrter Herr Minister, ich kann nur sagen: Ruhen Sie sich nicht auf dem aus, was andere für Sie vorbereitet haben. Legen Sie sich nicht in das gemachte Nest.
Schlafen Sie nicht in einem Bett, das andere Ihnen aufgeschüttelt haben. Fangen Sie endlich an, zu arbeiten,
und ergreifen Sie konkrete Maßnahmen, die dazu führen,
dass Deutschland weiter so gut dasteht wie bisher. Der
aktuelle Erfolg ist nicht Ihr Erfolg. Wir erwarten, dass
Sie in den nächsten Monaten zumindest ein kleines
Stückchen zum weiteren Erfolg beitragen. Das wäre Ihre
Aufgabe.
({13})
Nun hat das Wort der Kollege Michael Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Kollege Tiefensee, Sie müssten es eigentlich besser
wissen. Sie waren so lange im Amt, dass man davon ausgehen kann, dass Sie es besser wissen. Diese Regierung
schafft weit mehr Investitionsmöglichkeiten, als Sie jemals fertiggebracht haben.
({0})
Sie wissen auch, dass wir beispielsweise in den Etat des
Bundesverkehrsministers zusätzlich 750 Millionen Euro
eingestellt haben.
({1})
Das haben die Fraktionen beschlossen. Damit werden
wir zum Beispiel im Straßenbau neue Akzente setzen.
Das ist notwendig, das ist gut, und das werden wir so
tun.
({2})
Deutschland geht es gut. Daher kann ich dieses Gejammer der Opposition nicht mehr hören. Es gibt jetzt
halb so viele Arbeitslose als zu Ihrer Regierungszeit unter Gerhard Schröder; die hohe Arbeitslosigkeit hatten
Sie mit zu verantworten.
({3})
Wir haben vor allen Dingen eines: Wir haben eine
ganz stark reduzierte Jugendarbeitslosigkeit. Das ist für
mich eine der großen Erfolgsstorys dieses Landes.
({4})
Schauen Sie sich doch die Zahlen an. In etlichen Regionen in Deutschland gibt es de facto keine Jugendarbeitslosigkeit. Ich kann die Zahlen für meinen eigenen Wahlkreis nennen. Wir haben 300 offene Stellen und noch
150 zu vermittelnde Jugendliche, die aber, wie die Agentur sagt, multiple Einstellungshemmnisse haben. Mit anderen Worten: Sie haben schlechte Deutschkenntnisse,
sie können nicht richtig rechnen, nicht richtig schreiben
und nicht richtig lesen. Das muss geändert werden. Diesen Jugendlichen muss geholfen werden. Dafür müssen
Programme aufgelegt werden. Da sind wir dran; das ist
richtig.
Für mich ist eine der zentralen Aufgaben der Politik,
jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Das haben
wir geschafft. Darauf können wir stolz sein. Alle haben
dabei mitgeholfen. Ich bin froh, dass es gelungen ist,
dass wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz
Europa haben.
Wir haben außerdem die Möglichkeit, jungen Menschen aus anderen Ländern zu helfen. Ich habe in meinem
Wahlkreis mit der Handwerkskammer ein Programm aufgelegt, mit dem wir junge Spanier aus Valencia zu uns
holen. Wir geben ihnen zuerst in Spanien Deutschunterricht, anschließend werden sie in Deutschland ihre Lehre
machen. Ich finde, das ist ein ganz hervorragendes Programm. Ich bin der Handwerkskammer dankbar, dass sie
solche Programme auflegt. Das ist Zukunft und gelebte
europäische Solidarität. Darüber können wir froh sein.
({5})
Allerdings ist nicht alles gut. Ein Punkt macht mir erhebliche Sorgen. Das sind die Energiepreise.
({6})
Sie entwickeln sich überall, und zwar weltweit, zu einem
extrem wichtigen Standortfaktor. Bei uns hängen Wohlstand und Beschäftigung in weit größerem Umfang von
der Leistung und Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes ab als in vergleichbaren Ländern; denn
wir sind nach wie vor ein gutes Industrieland. Wir sind
ein Land mit Wertschöpfungsketten vom Grundstoff bis
zum Hightechendprodukt. Genau das ist der Grund, warum gerade wir bei den Strompreisen für die Industrie
besonders aufpassen müssen.
Wir haben hier vor zwei, drei Tagen ein Gespräch mit
italienischen Senatoren geführt. Sie sagten mir: Eure
Probleme würden wir gerne haben.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Deutschland gut geführt. Das hat dazu geführt, dass die Italiener uns heute
beneiden und uns sagen, dass sie dankbar wären, wenn
sie unsere Probleme hätten und nicht ihre.
({8})
Ich glaube, dass wir gerade bei den Strompreisen sehr
aufpassen müssen. Ich ärgere mich darüber, Herr Kollege Heil, dass hier ständig behauptet wird, die EEGUmlage sei aufgrund der Freistellungen der energieintensiven Industrie so hoch.
({9})
Selbst wenn wir alle Ausnahmen strichen, wäre die Umlage 2013 immer noch rund 0,7 Cent höher als in diesem
Jahr. Interessanterweise ist dieses Befreiungsgesetz unter Rot-Grün entstanden. Wer hat denn den Blödsinn gemacht und zum Beispiel die Verkehrsunternehmen befreit, obwohl sie nicht im internationalen Wettbewerb
stehen? Ich weiß nicht, inwiefern die S-Bahn in Rostock
im internationalen Wettbewerb steht. Das war Herr
Trittin, das war Rot-Grün. Das ist aber Unfug, und den
müssen wir ändern. Der Bundesumweltminister ist dabei.
({10})
Es waren Ihre ideologischen Vorstellungen, aufgrund
derer Sie Straßenbahnen und ähnliche Verkehrsträger
von der EEG-Umlage ausgenommen haben.
({11})
Das ist Quatsch. Sie gehören in das Gesetz zur Befreiung
von der EEG-Umlage nicht hinein. Wir müssen dafür
sorgen, dass sie den Strom genauso bezahlen wie alle
anderen auch.
Es kommt ein weiterer Punkt hinzu. In etlichen Ländern hat man mittlerweile erkannt, dass es im Boden
Energiereserven gibt, die bis jetzt nicht genutzt werden,
und zwar Schieferöl und Schiefergas. Die Amerikaner
werden in kürzester Zeit unabhängig von Energieimporten sein. Im Gegenteil, Amerika wird sogar zum Energieexporteur. Die Amerikaner sind zurzeit dabei, ihre
LNG-Terminals, die Liquefied-Natural-Gas-Terminals,
die bis jetzt auf Import eingestellt sind, auf Export umzubauen. Das wird uns, meine Damen und Herren,
Schwierigkeiten bereiten.
({12})
Machen wir uns nichts vor: In Amerika wird es mit
ziemlich großer Sicherheit die niedrigsten Energiepreise
auf der Welt geben. Auf diese Art wollen die Amerikaner ihr Land reindustrialisieren.
({13})
Das wird für uns zu einer neuen Wettbewerbsszenerie
führen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
({14})
Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiepreise in
Deutschland wettbewerbsfähig genug sind, damit die
Industrie in Deutschland nicht verloren geht.
({15})
Die geschätzten Schiefergasreserven, die wir in
Deutschland haben, sollen für bis zu 23 Jahre ausreichen. Nebenbei: Das steht im Gegensatz zu dem, was der
Club of Rome in der Vergangenheit schon alles behauptet hat, zum Beispiel, dass es nach 1990 keine fossilen
Energien mehr geben wird.
({16})
Daran kann man wunderbar erkennen, dass all diese
Prognosen in die völlig „richtige“ Richtung gehen.
({17})
Mir macht es Sorge, wenn in anderen Ländern die
Energiepreise nach unten gedrückt werden. Die Amerikaner wollen die Kilowattstunde für unter 2 US-Dollarcent anbieten. Dann dürfte es für unsere besonders energieträchtigen Unternehmen nicht gerade einfach werden.
Die Firma SGL Carbon zum Beispiel ist bereits abgewandert. Die Produktion ist in die USA verlegt worden.
Die Firma hat ihren Sitz zwar nach wie vor in Wiesbaden; aber die Produktion wird nicht mehr in Deutschland stattfinden, weil das Unternehmen zu deutschen
Strompreisen nicht mehr wettbewerbsfähig arbeiten
kann. Vor diesem Hintergrund wird es für uns allerhöchste Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen,
wie wir verhindern, dass Wertschöpfungsketten in
Deutschland durchbrochen werden. Wenn das nämlich
erst einmal passiert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann werden wir sehen, dass ganze Industriezweige abwandern. Dann wandern nämlich andere Unternehmen
hinterher.
({18})
Was SGL Carbon angeht, muss man sagen: Was dieses Unternehmen macht, ist absolut Hightech. Es produziert Kohlenstofffasern, die zusammen mit Aluminium
völlig neue Werkstoffe bilden. Ein A380 würde nicht
fliegen, wenn es diese Werkstoffe nicht gäbe; er wäre
nämlich schlicht zu schwer, wenn er konventionell hergestellt würde. Wir müssen darauf achten, dass solche
Industriezweige nicht abwandern.
({19})
Deutschland ist nach wie vor eine Technologienation,
und die wollen wir auch bleiben.
Als ich am letzten Samstag ein paar Stunden Zeit
hatte, habe ich mir Teile des Parteitags der Grünen angesehen.
({20})
Ich habe gedacht, ich bin auf einem fremden Stern; denn
die Forderungen, die da aufgestellt wurden, sind bemerkenswert. Allein Ihre Forderung, den Hartz-IV-Satz um
50 Euro pro Monat anzuheben, kostet - die Bundesagentur für Arbeit hat das gerade ausgerechnet - 7,5 Milliarden Euro.
({21})
Außerdem haben Sie beschlossen, den Grundsatz des
Forderns, den Sie selbst in die Hartz-IV-Gesetze eingebaut haben, abzuschaffen. Sie wollen die Herrschaften,
die Hartz IV beziehen, von jeglichen Nachfragen der
Bundesagentur freistellen. Ja, sagen Sie mal: Haben Sie
denn aus Ihrer eigenen Historie überhaupt nichts
gelernt?
({22})
Es kann doch nicht wahr sein, dass alles, was Sie 2004/
2005 vernünftigerweise eingeführt haben, jetzt nicht
mehr gelten soll. Die Vaterschaft für Hartz IV haben Sie
komplett abgelegt. Machen Sie sich aber keine Sorgen:
Wir werden sie für Sie übernehmen. Wir achten darauf,
dass es hier weitergeht; denn nur so werden wir Deutschland über die Runden bringen.
({23})
Ich finde es unverschämt, dass Sie den Menschen die
Möglichkeiten, die wir ihnen jetzt bieten können, vorenthalten wollen. Wir haben endlich die Chance, den
Rentenversicherungsbeitragssatz zu senken.
({24})
Nach dem Gesetz müssen wir das tun. Also tun wir das
auch. Wir ändern doch nicht das Gesetz, nur damit das
Geld in der Kasse bleibt. Sie haben das nicht fertiggebracht. Eichel musste sogar Kassenkredite aufnehmen,
um die Rente überhaupt auszahlen zu können. Wir
hingegen sind in der Lage, den Rentenversicherungsbeitragssatz zu senken; darauf sind wir stolz.
({25})
Wir sind auch in der Lage, quasi den Krankenversicherungsbeitragssatz zu senken, und zwar aufgrund des
Wegfalls der Praxisgebühr; auch das ist etwas Positives.
({26})
Allein diese beiden Maßnahmen entlasten die Bürgerinnen und Bürger zum 1. Januar um fast 10 Milliarden
Euro. Das ist das beste Konjunkturprogramm.
({27})
Wir meinen: Das Geld ist in den Taschen der Bürger
besser aufgehoben als in den Taschen des Staates.
Vielen Dank.
({28})
Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Michael
Schlecht für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Kanzlerin und ihr Herausforderer wie auch andere streiten sich hier über das Copyright einer vermeintlich besseren wirtschaftlichen Entwicklung. Das Entscheidende
haben sie aber noch nicht gemerkt: dass die Wirtschaftspolitik, die hier betrieben worden ist, gescheitert ist. Der
nächste Abschwung droht. Im nächsten Jahr will jedes
vierte Unternehmen Arbeitsplätze abbauen. Ergreifen
Sie Gegenmaßnahmen? Fehlanzeige. Das ist das eigentliche Thema, mit dem wir uns hier beschäftigen müssen.
({0})
Der Ausgangspunkt dieser gescheiterten Wirtschaftsentwicklung ist die von Ihnen, Herr Fuchs, so hoch gelobte Agenda 2010. Sie hat viele Missstände herbeigeführt. Der Ausgangspunkt der Agenda 2010 war die
Kampfformel: Wir müssen die deutsche Wettbewerbsfähigkeit stärken. - Eingedenk dieses Leitsatzes haben damals SPD und Grüne in Tateinheit mit Union und FDP
- Herr Fuchs hat diese Tateinheit gerade noch einmal
erwähnt - die Löhne in Deutschland nach unten gedrückt, die Arbeitszeitflexibilität dramatisch nach oben
getrieben und darüber hinaus - das ist der eigentliche
Skandal - Millionen von Menschen in prekäre, in miese,
in schlechte Jobs hineingetrieben. Das geben Sie heute
als großes Beschäftigungswunder aus. Was hier veranstaltet wird, ist zynisch hoch drei.
({1})
Die Reallöhne sind in Deutschland seit 2000 um
5 Prozent gesunken. Gleichzeitig sind die Profite um
30 Prozent gestiegen. Wenn Sie meinen, Sie hätten eine
erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben, dann heißt das,
dass Sie meinen, dass es sinnvoll sei, den Menschen weniger Geld zu geben, aber die Profite nach oben zu treiben. Das ist Klientelpolitik von den anderen vier Fraktionen in diesem Hause. Wir unterstützen das nicht, wir
wollen etwas anderes.
({2})
Sie loben, dass das Exportvolumen deutlich ansteigt.
Mit der Strangulierung der deutschen Binnennachfrage,
mit der Strangulierung der Löhne und der öffentlichen
Ausgaben in Deutschland haben Sie dafür gesorgt, dass
das Importvolumen längst nicht in dem Tempo gestiegen
ist, wie es notwendig gewesen wäre. Im Resultat haben
wir seit 2000 eine enorme Spreizung zwischen Exporten
und Importen. Dies hat zu einem Außenhandelsüberschuss von mittlerweile 1,5 Billionen Euro geführt.
Finanziert worden ist dieser Außenhandelsüberschuss
immer durch die Verschuldung anderer Länder, vor allen
Dingen der Euro-Länder. Sie wundern sich, dass wir eine
Euro-Krise haben, und beschreiben immer die Verschuldungskrise in Europa. Der Ausgangspunkt für diese Verschuldungskrise liegt jedoch hier in Deutschland: in der
Politik der Agenda 2010. Das muss umgekehrt werden.
({3})
Alle reden seit Jahren von der Euro-Krise und
darüber, was man machen kann, um die Verschuldung
abzubauen. Doch auch im Jahre 2012 hat Deutschland
einen Außenhandelsüberschuss von rund 150 Milliarden Euro.
({4})
Das heißt im Klartext: Ihre Wirtschaftspolitik hat dafür
gesorgt, dass sich das Ausland, vor allen Dingen die
Länder der Euro-Zone, bei uns um weitere 150 Milliarden Euro verschuldet hat.
Das hat Methode: Man sieht nicht das Loch im Eimer,
man kippt einfach immer mehr Wasser in den Eimer und
hofft, dass er irgendwann wieder voll wird. Das ist natürlich ein vollkommen untaugliches Unterfangen; denn
das Loch muss gestopft werden - durch eine andere
Wirtschaftspolitik in diesem Lande.
Zentral ist, dass wir im Hinblick auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung wieder zu einer ganz anderen
Orientierung kommen. Wenn wir eine andere binnenwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland haben wollen, dann müssen wir zuallererst dafür sorgen, dass die
Löhne in Deutschland wieder deutlich ansteigen. Es
muss Schluss mit dem Lohndumping sein. Dafür müssen
wir auch die Rahmenbedingungen für die Gewerkschaften verbessern, damit sie wieder vernünftige Lohnerhöhungen aushandeln können. Das muss das oberste Ziel
sein.
Dazu gehört natürlich vor allem, dass eine entscheidende Bremse für die Kampffähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit der deutschen Gewerkschaften gelockert
wird, nämlich das Sanktionsregime von Hartz IV, das
Sie, Herr Fuchs, eben noch so gelobt haben. Das Sanktionsregime von Hartz IV muss beendet werden, weil
heutzutage Millionen von Menschen Angst vor Hartz IV
und davor haben, in Arbeitslosigkeit zu rutschen.
({5})
Dies hat eine ungeheuer negative Wirkung auf zig Millionen Menschen, die heute noch arbeiten und die durch
Sie in menschenunwürdige Verhältnisse getrieben werden. Das ist Zynismus und eine zynische Politik, die alle
Parteien außer der Linken hier im Parlament betreiben
und betrieben haben. Das muss beendet werden; wir
kämpfen dafür. Vor allen Dingen das Sanktionsregime
von Hartz IV muss weg.
({6})
Wenn Sie die Zeichen der Zeit erkennen würden,
dann würden Sie wissen, dass es in Anbetracht der bedrohten weiteren wirtschaftlichen Entwicklung sehr
viele Gegenmaßnahmen, auch Sofortmaßnahmen, gäbe,
die man ergreifen könnte.
({7})
- Ich meine zum Beispiel die sofortige Wiedereinführung des Kurzarbeitergeldes.
({8})
- Es ist auch keine schlechte Idee, den Sozialismus einzuführen. Ich danke Ihnen für das Stichwort.
({9})
Ich will Sie jetzt aber mit solchen intellektuell anspruchsvollen Themen gar nicht weiter belasten, Herr
Lindner. Das ist, glaube ich, eine Nummer zu groß für
Sie.
({10})
Ich bleibe erst einmal bei ganz einfachen Dingen: Wir
brauchen die Wiedereinführung des Kurzarbeitergeldes,
damit die notwendigen Maßnahmen sofort bereitstehen,
wenn im nächsten Jahr die konjunkturellen Gefahren
deutlich zunehmen und Arbeitsplätze verlustig gehen
könnten. Über diese Maßnahme hinaus gibt es natürlich
die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen für die
Löhne wieder zu verändern, sodass es zu Lohnsteigerungen kommt.
({11})
Daneben besteht die dringende Notwendigkeit, endlich
auch den Kurs der öffentlichen Ausgaben zu ändern. Wir
brauchen einen sozial-ökologischen Umbau und wieder
viel mehr Ausgaben für Erziehung und Bildung. Hier
liegt vieles im Argen.
In meinem Bundesland hat die grün-rote Landesregierung, die mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet ist, als
eine ihrer ersten Aktionen 6 000 Lehrerstellen gestrichen. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass die
Finanzausstattung der öffentlichen Hände zu schlecht ist.
Wir müssen deshalb eine Millionärssteuer einführen,
damit wir mehr für Bildung tun und den sozial-ökologischen Umbau voranbringen können.
Diese entscheidenden Punkte sind momentan notwendig. Sie werden bei dieser Regierung aber vollkommen
ausgeblendet. Wir treten dafür ein! Sozial-ökologischer
Umbau und höhere Löhne: Das sind die entscheidenden
Punkte, die wir nach vorne treiben müssen.
Danke schön.
({12})
Ich mache nur der Übersichtlichkeit halber darauf
aufmerksam, dass ein konkreter Antrag zur Einführung
des Sozialismus dem Präsidium im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht vorliegt. Darüber werden wir
heute also auch nicht abstimmen können.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bei manchem, was man heute Morgen gehört
hat - Einführung des Sozialismus -, kann einem in der
Tat angst und bange werden.
Was sind die Tatsachen? Kollege Lindner hat sie vorhin anhand der Zahlen und Fakten bereits hervorragend
dargestellt. Wir konsolidieren. Deutschland geht in Rich25380
tung Reduktion der Staatsverschuldung. Der Anteil der
Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt wird zurückgehen, weil das Wachstum höher als die Verschuldung ist
und weil wir in diesem und auch im letzten Jahr gesamtwirtschaftlich bereits mehr oder weniger die schwarze
Null geschrieben haben. Wenn Sie sich den Rest Europas
anschauen, dann sehen Sie, dass es dort ganz anders aussieht. Insofern stimmt die Richtung hier eindeutig. Wir
machen den Einstieg in den Schuldenabbau.
Was passiert aber in den Ländern, wo Sie, meine
Kolleginnen und Kollegen von Grün und Rot, Verantwortung tragen? Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen ist
die Schuldenweltmeisterin. Dort, wo Sie die Regierung
übernommen haben, gibt es nichts als neue Schulden.
({0})
- Herr Krischer und Herr Lindner, jetzt komme ich zu
Ihnen. Schauen wir einmal nach Baden-Württemberg:
Dort kann man lernen, was Grün statt Sparen heißt.
({1})
Das kann man dort besichtigen. Die Vorgängerregierung
hat zweimal einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorgelegt.
({2})
Die Vorgängerregierung hat dafür gesorgt, dass wir
- wie auch Bayern - die Schulden hätten abbauen können. Und was macht die grün-rote Landesregierung in
Baden-Württemberg? Zweimal war der Haushalt ausgeglichen; auch im letzten Jahr war er ausgeglichen. Jetzt
sagen Sie: Wir übernehmen einen Haushalt, der ausgeglichen ist, und deshalb müssen wir uns die nächsten
acht Jahre verschulden und können die Neuverschuldung
erst 2020 auf null bringen. - Das ist Grün statt Sparen,
und zwar dort, wo Sie Verantwortung tragen.
({3})
Reden Sie also bitte nicht von Konsolidierung und
Schuldenabbau; denn das glaubt Ihnen sowieso kein
Mensch.
Zu Forschung und Entwicklung. In Deutschland
wurde in der Tat noch nie so viel wie jetzt für Forschung,
Entwicklung und Bildung ausgegeben.
({4})
Herr Tiefensee, Sie haben vorhin gefragt, wo die industrielle Basis gestärkt wird. Das kann ich Ihnen sagen.
Sie wissen es eigentlich; wahrscheinlich war das eine
rhetorische Frage. In dieser Legislaturperiode haben wir
beispielsweise die Mittel für das ZIM-Programm - das
ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand - mit
500 Millionen Euro verstetigt. Das kommt direkt an und
stärkt die industrielle Basis, weil es die mittelständischen Unternehmen in die Lage versetzt, ihre Ideen sowie ihre Forschung und Entwicklungen unbürokratisch
auf die Piste zu bringen. Das stärkt die industrielle Basis
in diesem Land.
Seit 2005, als wir die Regierung übernommen haben,
haben wir den Forschungsetat des Bundes um über
50 Prozent auf fast 14 Milliarden Euro im nächsten Jahr
erhöht. Das stärkt die industrielle Basis.
Nach dem, was wir bereits getan haben, hören wir
aber nicht auf, sondern wir machen in diesem Haushalt
neue wichtige Schritte voran. Wir stärken beispielsweise
die Gründungen und das Wagniskapital. In diesem Haushalt wird ein Investitionszuschuss für Wagniskapital,
insbesondere zur Verbesserung der Finanzsituation junger innovativer Unternehmen, neu eingeführt. In den
kommenden vier Jahren werden rund 150 Millionen
Euro dafür zur Verfügung gestellt. Das ist Säen zur rechten Zeit, damit wir auch in Zukunft Wachstum und Arbeitsplätze ernten können.
Jetzt möchte ich die Gelegenheit nutzen - dazu ist
heute schon sehr viel gesagt worden -, noch das eine
oder andere zum Thema Arbeitsmarkt zu sagen. Wenn
man Sie hört, Herr Claus, Herr Schlecht - und wie Sie
alle heißen -, dann kann einem wirklich angst und bange
werden. Da meint man, wir wären hier in einem Land
des Prekariats und die Leute würden am Straßenrand sitzen und verhungern. Diesen Eindruck kann man wirklich gewinnen.
Aber das Gegenteil ist der Fall - der Kollege Lindner
hat das angesprochen -: 41,6 Millionen Menschen sind
in Lohn und Brot und nicht in Not.
({5})
Vor allem sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
sind entstanden, keine Teilzeitbeschäftigungen und
keine nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.
({6})
Das ist doch die Wahrheit. Die Menschen, die in Lohn
und Brot sind, zahlen in diesem und im nächsten Jahr so
viele Steuern wie noch nie. Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte, rund 260 Milliarden
Euro, und die Kassen der Sozialversicherung sind voll.
Das ist beschäftigungsorientierte Lohnpolitik, wie wir
sie uns vorstellen.
Das führt dazu, dass wir nicht nur die höchste Beschäftigung haben, sondern dass auch die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Sie geht insbesondere auch dort zurück,
wo sie problematisch ist. Kollege Fuchs hat die Jugend
angesprochen. Ich möchte die Langzeitarbeitslosen ansprechen. Es ist gelungen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen von 1,7 Millionen auf 1 Million zu reduzieren. Das
ist noch immer 1 Million zu viel - nicht dass wir uns
falsch verstehen -, aber die Richtung stimmt. Das sind
700 000 Langzeitarbeitslose weniger, als es in der Vergangenheit waren.
({7})
Was schlagen Sie vor? Die Grünen haben gerade beschlossen, den Regelsatz für Hartz IV von 374 auf
420 Euro anzuheben. Was bedeutet dies? Das bedeutet
einen Anstieg der Neuverschuldung um 15 Prozent im
nächsten Jahr. Das wäre die Wirkung Ihres Vorschlags,
wenn wir ihn umsetzen würden.
Was wollen Sie noch? Sie wollen die Sanktionen für
Hartz-IV-Empfänger abschaffen, nicht nur die Grünen,
sondern auch die Linken und die ganz Linken.
({8})
Das ist aber nicht nur populistisch. Nein, das ist auch
sachlich falsch. Ich sage es einmal ganz pointiert: Es
wäre asozial, sie abzuschaffen.
({9})
Warum wäre das asozial? Die Zahl der Bezieher von
Grundsicherung beträgt heute statt 5 Millionen 4,3 Millionen Menschen, also 700 000 weniger, als das noch
2008 der Fall war. Die Betreuungsintensität hat zugenommen. Das ist genau das, was wir in den letzten Jahren gepredigt haben. Die Arbeitsuchenden werden nicht
verwaltet, sondern sie werden wirklich betreut und aktiviert. Es werden Eingliederungsvereinbarungen geschlossen. Weiterbildung wird angeboten, und diese
Angebote werden wahrgenommen. Die Zahl der Jobangebote für Arbeitsuchende nimmt zu. Das heißt, es gibt
Auswahlmöglichkeiten. Es gibt ein wirkliches Kümmern
- Fordern und Fördern - um die Arbeitslosen. Sie werden durch die Fallmanager gefordert.
Was würde es bedeuten, wenn wir jetzt die Sanktionen abschafften? Was ist der Grund für diese Sanktionen? Sie sind im Wesentlichen auf Meldeversäumnisse
zurückzuführen. Das kann man auch andersherum interpretieren. Wenn ich wirklich eine Arbeit suche, dann bin
ich bereit, zu arbeiten, und dann melde ich mich auch.
Bei einigen ist es aber vielleicht so: Ich will gar keine
Arbeit und suche auch gar keine Arbeit. Deshalb melde
ich mich nicht oder versäume es, mich zu melden. - Es
ist vorhin schon angesprochen worden: Vielleicht hat der
eine oder andere Angst vor der Arbeit, die ihm angeboten wird.
Genau deshalb ist das asozial. Die Mehrheit der Menschen sucht nämlich Arbeit. Diese Menschen werden
dann in einen Topf mit denen geworfen, die keine Arbeit
wollen. Deshalb wäre es grundfalsch, dieses Verfahren
jetzt zu ändern.
({10})
Das wäre ein Schlag ins Gesicht derer, die ernsthaft nach
Arbeit suchen. Es ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen,
die dafür sorgen, dass die Gelder für die Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung gestellt werden. Hartz-IV-Leistungen sind nämlich für diejenigen gedacht, die ihre Arbeitsleistung zur Verfügung stellen und sich nicht nur
alimentieren lassen. Insofern wäre das das völlig falsche
Signal. Das werden wir nicht mitmachen.
Sie reden immer von der Stärkung des Binnenkonsums und des Binnenmarktes. Wir haben durch unsere
beschäftigungsorientierte Lohnpolitik eine Lohnsteigerung von 3,7 Prozent der Bruttolöhne in diesem Jahr und
von 3,2 Prozent im nächsten Jahr erreicht. Wir wollen,
dass diese Bruttolöhne beim Arbeitnehmer und beim
Rentner auch ankommen. Was machen Sie? Sie blockieren im Bundesrat das Gesetz zur Abschaffung der kalten
Progression und zur Erhöhung des Grundfreibetrages.
Damit verhindern Sie, dass diese Lohnsteigerungen
beim Arbeitnehmer und Verbesserungen beim Leistungsempfänger ankommen. Damit machen Sie das Gegenteil dessen, was Sie hier immer im Munde führen.
Ich möchte am Ende ganz kurz auf das Thema Vermögensteuer eingehen. Die Kapitalflucht ist hier schon
angesprochen worden, auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, was die Grünen fordern.
({11})
Was heißt das? Sie tun im Rahmen einer Neidkampagne
so - das Stichwort „Millionäre“ ist schon gefallen; es
wird auch immer von Jachten gesprochen -, als ginge es
darum, diese Menschen zu treffen. In Wahrheit würden
Sie mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen
aber das Herz der deutschen Wirtschaft treffen, den Mittelstand. 80 Prozent der Personengesellschaften wären
von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Einführung der Vermögensteuer betroffen. Das heißt, Ihre
Steuerpläne sind ein Angriff auf den deutschen Mittelstand, auf den Träger von Wachstum und Beschäftigung.
Das werden wir so nicht mitmachen.
Angesichts dessen, was Grün und Rot hier planen, hat
der Satz von Heine: „Denk ich an Deutschland in der
Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ eine ganz
neue und andere Bedeutung.
({12})
Wir werden dafür sorgen, dass die Deutschen auch weiterhin ruhig schlafen können und dass es mit Wachstum,
Konsolidierung und Beschäftigung in diesem Land weiter vorangeht.
Vielen Dank.
({13})
Zu einer kurzen Intervention erhält der Kollege
Michael Schlecht das Wort.
({0})
Herr Pfeiffer, ich will Sie nur darauf hinweisen, dass
Sie von einer vollkommen falschen Faktenlage zur Beschäftigung und vor allen Dingen zu der mittlerweile
einsetzenden Prekarisierung ausgehen.
Wir haben in Deutschland in den Jahren 2000 bis
2011 in der Tat einen Aufwuchs von 4,1 Millionen Arbeitsplätzen erlebt. Aber diese 4,1 Millionen Arbeits25382
plätze sind praktisch samt und sonders sogenannte Bad
Jobs. Das sind Jobs von Leiharbeitern bis hin zu Soloselbstständigen. Sie haben in der gleichen Zeit, als wir
einen Aufwuchs von etwas mehr als 4 Millionen Arbeitsplätzen hatten, die, wie gesagt, deutlich minderer
Qualität sind, um das noch höflich zu formulieren,
2,3 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet, sodass unter dem Strich ein Plus von 1,8 Millionen an zusätzlichen Arbeitsplätzen übrigbleibt. Das sind aber schlechte
Arbeitsplätze: Leiharbeit, Soloselbstständige, Werkverträge und dergleichen mehr. Das sind häufig Jobs, von
denen man nicht leben und nicht sterben kann. Die guten
Jobs - ich wiederhole die Zahl: 2,3 Millionen Vollzeitarbeitsplätze - sind vernichtet worden. - Danke schön.
({0})
Herr Schlecht, durch ständiges Wiederholen werden
falsche Zahlen auch nicht richtig. Sie haben sich gerade
schon selber korrigiert. Auf der einen Seite sagen Sie,
dass sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weggefallen sind. Auf der anderen Seite konstatieren Sie, dass
es einen Zuwachs von fast 2 Millionen Arbeitsplätzen
gibt.
({0})
In der Tat: Wir haben 2 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als vorher. Das ist das Ergebnis der Politik.
Differenzieren wir doch einmal: Die Beschäftigungsquote hat zugenommen. Sie umfasst aber alle Beschäftigten. Es gibt viele Menschen,
({1})
die beispielsweise noch in der Familienphase sind oder
ein gewisses Alter haben. Die Alterserwerbstätigkeit
zum Beispiel ist dramatisch - im positiven Sinne - ausgeweitet worden. Wie Sie wissen, haben im Jahr 2000 in
Deutschland gerade einmal 38 Prozent der Menschen im
Alter zwischen 55 und 64 Jahre gearbeitet. Heute sind es
60 Prozent. Das sind 22 Prozentpunkte mehr. Das heißt,
wir schöpfen das Arbeitskräftepotenzial besser und mehr
aus.
({2})
Zu diesem Ausschöpfen gehört natürlich auch die
Teilzeit. Es gibt Menschen, die nur teilzeitbeschäftigt
sein wollen. Deshalb ist die Zahl dieser Arbeitsplätze
ausgeweitet worden. Insofern vergleichen Sie Äpfel mit
Birnen.
Sie haben die richtige Zahl genannt. Insofern haben
Sie sich schon selber entsprechend korrigiert. Es gibt
nicht 27 Millionen, sondern 29 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze. Das sind die
Zahlen und Fakten.
Nur wenn wir diese Beschäftigungsquote weiter erhöhen und auf über 70 Prozent ausweiten - das sind auch
die europäischen Ziele; manche skandinavischen Länder
haben bereits 75 Prozent erreicht -, haben wir die
Chance, bis 2025 dem Defizit, das sich aus der Demografie ergibt und das schon angesprochen wurde, zu begegnen. Das ist nicht mehr lange hin; diese Zeit werden
hoffentlich alle von uns noch erleben. In zwölf Jahren
fehlen in diesem Land 6 Millionen Fachkräfte. Deshalb
müssen wir alle mobilisieren: die Menschen, die noch in
der Familienphase sind, die Älteren und auch die Mühseligen und Beladenen.
Ich habe es vorhin angesprochen: Wir können es uns
nicht mehr leisten,
({3})
dass jemand zurückbleibt und alimentiert werden muss.
Es müssen vielmehr alle aktiviert werden, damit wir den
Herausforderungen im Hinblick auf die Fachkräfte auch
in Zukunft entsprechend begegnen können.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Krischer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kein Redner der Koalition hat es ausgelassen, den grünen Parteitag zu erwähnen. Das muss eine beeindruckende Veranstaltung gewesen sein.
({0})
Damit haben wir das Hauptziel schon erreicht. Unsere
Botschaften sind bei Ihnen in der richtigen Art und
Weise angekommen.
({1})
Herr Pfeiffer, im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit Menschen in unserem Land, die nicht auf
der Sonnenseite des Lebens stehen, den Begriff „asozial“ zu gebrauchen, finde ich skandalös.
({2})
Dafür müsste es eine Entschuldigung geben.
Sie hätten sich beinahe versprochen. Sie hätten fast
„Not und Brot“ gesagt. Genau das trifft es nämlich.
Wenn etwas asozial in unserem Land ist, dann ist es die
Tatsache, dass Menschen Vollzeit arbeiten und von dem
Geld, das sie dafür bekommen, nicht leben können und
aufstocken müssen. Das gehört durch einen gesetzlichen
Mindestlohn abgestellt.
({3})
Meine Damen und Herren, auch wenn man es nicht
glauben mag und wahrscheinlich der Großteil der deutschen Öffentlichkeit das noch nicht mitbekommen hat:
Herr Rösler und das Wirtschaftsministerium sind in
Deutschland für die Energiewende zuständig. Bei einem
Blick in den Wirtschaftsetat, den Einzelplan 09, finden
sich viele schöne Dinge wie Luft- und Raumfahrt und
maritime Wirtschaft. Aber eines finden Sie dort überhaupt nicht: Die Energiewende findet in diesem Etat
nicht statt.
({4})
Das ist ein Skandal. Wenn sein Kabinettskollege
Altmaier sagt, dass das das größte industriepolitische
Projekt in diesem Land ist, dann hat dieser Minister versagt, weil es im Etat nicht vorkommt.
({5})
Herr Lämmel, das wird nirgendwo deutlicher als bei
der Energieeffizienz. Wir kommen bei der Energieeffizienz nicht voran. Und was macht diese Bundesregierung? Sie verkündet, Deutschland solle Energieeffizienzweltmeister werden. Gleichzeitig blockiert Deutschland
in Brüssel alles, was mit dem Thema Energieeffizienz zu
tun hat.
({6})
Nun hat Brüssel endlich eine Richtlinie verabschiedet.
Das Einzige, was das Wirtschaftsministerium tut, ist, daran zu arbeiten, wie man diese Richtlinie wieder umgehen kann. Das ist ein Skandal.
({7})
Ich sage: Wir brauchen einen Energieeffizienzfonds, der
uns beim Thema Energieeffizienz endlich voranbringt.
({8})
Ich komme zum Netzausbau. Dafür ist - man glaubt
es nicht - Herr Rösler zuständig. Aber was haben wir
von Herrn Rösler zum Thema Netzausbau in den letzten
Jahren gehört? Das Einzige, was in der breiten Öffentlichkeit wirklich angekommen ist, war, dass er gegen
Naturschutzverbände gepöbelt hat, um Stammtische zu
bedienen, und behauptet hat, Naturschutz würde den
Netzausbau verhindern. Aber hier in diesem Hause
musste Herr Hintze - er sitzt dort hinten - zugestehen,
dass die Bundesregierung all das, was der Minister fordert, nämlich die Änderung der Naturschutzgesetzgebung, nicht machen wird. Nur Sprechblasen, nur Stammtischparolen - das ist das, was wir von Herrn Rösler zum
Thema Netzausbau hören.
({9})
Kommen wir zu dem Thema Offshore. Es ist seit Jahren allen, die sich damit auseinandersetzen, klar, dass
wir bei der Netzanbindung der Offshorewindparks auf
ein riesiges Problem zusteuern. Was macht dieser Minister? Er macht jahrelang überhaupt nichts. Er lässt das
Problem auflaufen, und jetzt sind Schäden von mindestens 1 Milliarde Euro entstanden, für die Schadensersatzzahlungen geleistet werden müssen. Man verständigt sich darauf, dass wieder die Verbraucher zahlen
sollen. Wieder sind es die Privatverbraucher, die alleine
zahlen, die Industrie ist komplett von der Zahlung ausgenommen. Das ist ein Skandal. Das können Sie so nicht
machen.
({10})
Herr Kollege Krischer, darf der Kollege Pfeiffer Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Gerne.
Ich wollte keine Zwischenfrage stellen, sondern eine
Kurzintervention machen.
Ja, aber der Zweck unserer Tagesordnung besteht
nicht darin, dass sich die Redner anschließend jeweils
noch einmal durch Kurzinterventionen zusätzliche Redezeit verschaffen.
({0})
- Ist ja in Ordnung. Das kann durch eine Zwischenfrage
geklärt werden.
Dann versuche ich, das, was ich sagen wollte, in eine
Frage zu kleiden.
Kollege Krischer, gehe ich recht in der Annahme,
dass wir hier keine falschen Behauptungen oder Feststellungen machen wollen? Sind Sie mit mir der Meinung,
dass ich in meiner Rede vorhin keinen Menschen als
asozial bezeichnet habe, sondern dass ich es als asozial,
als unsozial bezeichnet habe, dass Sie die Regelung, die
Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger vorsieht, wenn sie
die Meldepflicht verletzen, zurücknehmen wollen? Denn
damit erreichen wir das Gegenteil von dem, was wir
wollen. Ich glaube, ich habe ausführlich beschrieben,
was ich damit meinte.
Insofern will ich klarstellen, dass ich hier niemanden
als asozial bezeichnet habe, sondern das, was Sie vorschlagen, als asozial und als unsozial kritisiert habe.
({0})
Herr Pfeiffer, ich wäre mit dem Benutzen des Begriffs
„asozial“ vorsichtig, gerade in diesem Raum und gerade
im Zusammenhang mit Menschen, die wirklich nicht auf
der Sonnenseite der Gesellschaft stehen.
({0})
In diesen Zusammenhang haben Sie das gestellt.
({1})
Bei mir ist es so angekommen, und das ist nicht in Ordnung. Sie sollten mit Ihrer Wortwahl vorsichtiger sein.
Das sollten Sie einfach üben.
({2})
Sie sollten lernen, ein Vokabular zu benutzen, das Ihrem
Anspruch von Bürgerlichkeit entspricht.
({3})
- Dass sich jemand von Ihnen hier hinstellt und solche
Worte benutzt, finde ich nicht in Ordnung. Da sollten Sie
sich an die eigene Nase fassen.
({4})
Ich will zu einem Punkt kommen, den wir nächste
Woche hier im Plenum beraten werden. Eben war viel
von Sozialismus und Planwirtschaft die Rede. Der Wirtschaftsminister dieser Bundesregierung plant etwas, was
nichts anderes als Sozialismus und Planwirtschaft ist: ein
- man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen „Kraftwerkszwangsbetriebsgesetz“. Kraftwerksbetreiber
in Deutschland sollen zur Aufrechterhaltung des Betriebs ihres Kraftwerks verpflichtet werden, wenn die
Bundesnetzagentur bzw. die Bundesregierung das will.
Meine Damen und Herren, was anderes als Sozialismus
und Planwirtschaft kann es sein, wenn man ein solches
Gesetz macht?
({5})
Das kann nicht sein. Wir schlagen etwas anderes vor.
Wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente in der
Energiewirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Schaffung von Kapazitätsmärkten endlich vorankommt.
Ich könnte mir eigentlich vorstellen: Wenn man ein
solches Gesetz macht, dann müsste das bei den Linken
zu Verzückungen führen. Es müsste sie verzücken, dass
der Staat anordnen kann, dass ein Kraftwerk weiter betrieben wird. Diese Regierung toppt es ja noch. Ich habe
vor drei oder vier Tagen in einer Tickermeldung gelesen,
dass man jetzt sogar den Neubau von Kraftwerken anordnen will. Das werde in der Bundesregierung überlegt.
Hier vorne sitzt die Kollegin Gesine Lötzsch. Sie befindet sich auf der Suche nach dem Kommunismus. Sie
wird bei Herrn Rösler fündig; denn genau das, was für
die Energiewirtschaft geplant wird, ist Sozialismus, wie
ihn die Linke offensichtlich anstrebt.
({6})
Vor diesem Hintergrund möchte ich zu einem weiteren energiepolitischen Punkt kommen. Dieser Minister
will das EEG quasi abschaffen; auch das ist heute schon
ein paarmal angesprochen worden. Er will es nicht reformieren, sondern er will ein Quotenmodell einführen. Gerade zu dem Zeitpunkt, wo in Großbritannien das Quotenmodell gescheitert ist und die konservative britische
Regierung es abschaffen will, will dieser Wirtschaftsminister es in Deutschland einführen.
Diese Woche habe ich auf der ersten Seite der Aachener Nachrichten gelesen, dass das von Herrn Rösler verwendete Wort „Anschlussverwendung“ noch im Rennen
ist als mögliches Unwort des Jahres 2012. Meine Damen
und Herren, „Unwort des Jahres“, das passt zu diesem
Wirtschaftsminister.
Ich danke Ihnen.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Nüßlein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich
wollte eigentlich mit ein paar Worten zum Haushalt anfangen. Ich muss aber zunächst auf das eingehen, was
Sie, Herr Krischer, hier gerade abgeliefert haben. Es ist
nämlich ein Skandal - um eines Ihrer Worte zu gebrauchen -, was Sie hier tun. Sie haben es sich einfach gemacht: Sie verunglimpfen das, was der Kollege vorher
gesagt hat. Ich unterstelle Ihnen einmal, dass Sie es intellektuell durchaus begriffen haben. Aber Sie schaffen
sich eine Basis, um leichter dagegen anargumentieren zu
können, und das ist, mit Verlaub, extrem unanständig.
({0})
Kollege Pfeiffer hat ganz deutlich formuliert, dass er
nicht Menschen, sondern das, was Sie als Regelungen
vorschlagen, gemeint hat. Er hat nicht einmal gesagt, er
habe Sie gemeint. Auch das könnte man vielleicht noch
glauben; das wäre in diesem Zusammenhang ja nicht
ganz abwegig. Er hat klar gesagt, er habe Regelungen
gemeint, zu denen Sie sagen: Derjenige, der in Zukunft
Hartz IV bekommt, soll sich dem Arbeitsmarkt nicht
mehr zwingend zur Verfügung stellen. - Sie wollen einen falschen Weg einschlagen. Das wird man im Deutschen Bundestag doch wohl noch sagen dürfen.
({1})
Wenn Sie wenigstens nicht so weitergemacht hätten.
Sie behaupten falsche Dinge, nur weil es gerade in Ihre
Argumentation passt. Sie sagen: Offensive Energiepolitik findet mit diesem Etat nicht statt. - Das ist falsch.
Das Ganze wird allerdings von einem Jahrzehnte währenden Subventionstatbestand überlagert, nämlich der
Steinkohlethematik. Sie hätten sagen können: Lassen Sie
uns alle miteinander aufpassen, dass uns dergleichen mit
den erneuerbaren Energien nicht noch einmal passiert.
Das wäre einmal ein richtiges Wort von Ihnen gewesen.
Wir sollten uns Probleme dieses Ausmaßes nicht noch
einmal einhandeln.
Sie behaupten, offensive Energiepolitik fände nicht
statt, wohl wissend, dass sich die Finanzierung der Energiewende über mehrere Etats verteilt. Beispielsweise
sind die Mittel für die Umsetzung des EEG insbesondere
im Einzelplan des Umweltministeriums veranschlagt.
Das alles wissen Sie, und trotzdem stellen Sie die Dinge
hier in einen falschen Zusammenhang. Ich halte das für
ausgesprochen unredlich. Ich würde mir wünschen, dass
Sie das in Zukunft unterlassen. Ich hatte mehrfach genau
dieses Problem mit Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen. Es ging sogar so weit, dass ich einmal jemanden
abmahnen musste, weil sie explizit das Gleiche gemacht
hat, nämlich etwas Falsches behauptet und dann dagegen
argumentiert hat. Das sollte man im Umgang miteinander nicht tun. Das sagt jemand, der durchaus etwas
hemdsärmelig ist. Es ist nicht so, dass ich nichts ertragen
kann. Aber es wäre schön, bei der Wahrheit zu bleiben.
({2})
Lassen Sie mich, weil es schon angemahnt wurde,
jetzt über das Thema reden. Der Etat des BMWi beträgt
6,1 Milliarden Euro. Überschlägig sind es 2 Prozent des
Gesamthaushaltes. Er ist klein, aber oho. Das mag vorkommen. Aber, meine Damen und Herren, die Schwerpunkte sind spannend.
Die Innovationsförderung ist mit 2,3 Milliarden Euro
einer der Schwerpunkte im Haushaltsansatz des BMWi.
Darunter fällt das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz: ZIM, das auf 510 Millionen Euro aufgestockt werden soll.
Ich habe mir erlaubt, die IHK Schwaben zu bitten,
dieses Programm zu evaluieren. Dies ist ganz spannend.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, vor Ort zu schauen, was
wir damit organisieren und provozieren. 40 Prozent der
200 Unternehmen, die an dieser Umfrage, die die IHK
organisiert hat, teilgenommen haben, hätten ihr Innovationsprojekt ohne das ZIM nicht bewerkstelligt. 37 Prozent verfügen nun durch das ZIM über Kontakte zu anderen Unternehmen des Kammergebietes, welche zuvor
nicht bestanden. Fast jedes fünfte Unternehmen hat auf
Grundlage des ZIM Kontakte zu Universitäten, zu Hochschulen und zu diversen Forschungseinrichtungen geknüpft. 95 Prozent der neu entstandenen Jobs sollen über
den Programmlauf hinaus beibehalten werden. Und
96 Prozent der Unternehmen haben angegeben, sie würden sich wieder an einem solchen Innovationsprojekt beteiligen. Das ist beeindruckend. Es hat mich nicht nur
gefreut, dass die Umfrage gemacht wurde, sondern auch,
dass sich die Wirkung dieses Programmes bestätigt hat.
Das zeigt, dass wir einerseits zu Recht auf Innovation
und andererseits zu Recht auf den Mittelstand setzen.
Dem Mittelstand ist ein spezielles Kapitel im Haushalt gewidmet unter dem Motto „Gründen, Wachsen, Investieren“. Es wird mit 874 Millionen Euro dotiert. Ich
möchte noch einmal sagen, weil wir heute schon viel
über die Konjunktur gehört haben: Wir alle wissen - jedenfalls unsere Seite; bei Ihnen bin ich mir nicht immer
sicher -, dass wir die robuste konjunkturelle Lage dieses
Landes dem deutschen Mittelstand und den produktiven
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verdanken.
({3})
Wir haben viele negative Dinge zur konjunkturellen
Lage gehört. Dies ist offenbar dem Wahlkampf geschuldet. Wir übersehen überhaupt nicht, dass das europäische Umfeld natürlich Auswirkungen darauf hat, was
sich in Deutschland abspielt, Herr Schlecht. Spannend
fand ich Ihre Abgrenzung nach Good and Bad Jobs. Ich
verstehe nicht, wie Sie diese Abgrenzung machen. So
wie Sie es beschreiben, kann es nicht sein. Selbst wenn
es so wäre, hätten wir keine Überschusse in den Sozialkassen. Das wäre doch nicht so, wenn dies alles Jobs wären, die prekär bzw. jenseits der Sozialversicherungspflicht sind. Das glaube ich nicht. Das ist angesichts der
Zahlen unrealistisch. Deshalb bitte ich auch Sie, keine
Unwahrheiten zu verbreiten.
({4})
Natürlich spielt das europäische Umfeld eine Rolle.
Man kann sich die Frage stellen: Wie geht man damit
um? Die Linke hat angedeutet, die deutschen Exporte
seien daran schuld. Ich weiß nicht, was Sie tun wollen.
Wollen Sie dafür Sorge tragen, dass wir weniger exportieren?
({5})
Bei einer exportorientierten Nation bedeutet das im Umkehrschluss den Abbau von Jobs. Das halte ich für ausgesprochen schlecht, Herr Schlecht.
Im Übrigen finde ich, dass die Themen, die hier sonst
angesprochen werden - Euro-Bonds, Bankenunion, die
grüne Altschuldentilgung -, sicher kein Beitrag dazu
sind, mit der Schuldenkrise richtig umzugehen. Diese
Vorschläge senken die Zinsen in den Schuldnerländern.
Damit verursachen wir falsche Marktsignale. Ferner gehen sie zulasten unserer Bonität. Sie erhöhen unsere Zinsen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Schwierigkeiten das in unseren Haushalten auslösen würde.
In den Haushaltsdebatten habe ich vielfach gehört,
wie wenig ambitioniert dieser Haushalt in toto sei. Ich
möchte einmal festhalten: Die Aufstockung des Stammkapitals des ESM um 8,7 Milliarden Euro belastet unseren Haushalt. Die SPD hat - wenn ich es richtig zusammengerechnet habe - 6,3 Milliarden Euro Mehrausgaben
beantragt. Dabei haben Sie vorgeschlagen, was man
denn alles noch zusätzlich machen könnte.
Bei den Grünen habe ich nur die Vorschläge zum Umwelt- und dem Entwicklungshilfeetat zusammengezählt.
Dabei bin ich auf 3,4 Milliarden Euro gekommen, die
Sie gern mehr hätten.
({6})
Also, Haushaltskonsolidierung heißt bei Ihnen jedenfalls nicht sparen.
({7})
Jetzt komme ich zum Parteitag der Grünen und zu
dem, was gelegentlich von der SPD vorgeschlagen wird.
Sie haben ganz deutlich gesagt, was Sie machen wollen:
Sie wollen Steuern erhöhen; Sie wollen Substanzsteuern
erheben.
({8})
Sie wollen genau die Dinge, die hier mehrfach andiskutiert wurden. Das ist Ihre Vorstellung von Sparen. Mich
ärgert in diesem Zusammenhang, dass Sie es auch noch
fertigbringen, die Leute zu täuschen.
Ich habe vor kurzem mit einer netten Ärztin gesprochen. Diese hat mir erklärt, dass sie alles toll findet: Die
Millionäre werden zur Kasse gebeten. Ich habe ihr daraufhin gesagt: Überlege einmal, was du verdienst und
was du am Ende bezahlen wirst. - Sie hat mir das erst
dann geglaubt, als ich ihr vorgerechnet habe, ab wann
Ihr erhöhter Spitzensteuersatz greifen wird. Dann ist ihr
klar geworden, dass sie mit dabei ist.
Tun Sie also doch hier nicht so, als ob es am Schluss
die Millionäre treffen würde. Das stimmt doch nicht. Die
Mittelschicht wird es sein. Sie sind wieder auf dem Weg,
eine Kuh auf einer Wiese melken zu wollen, auf der es
keinen Zaun gibt. Nur die wenigen Kühe, die angepflockt
sind, die Mittelständler, die Mittelschicht, werden Sie am
Schluss damit erwischen, wenn Sie denn gewählt werden. Ich glaube nicht, dass man mit einem solchen Vorschlag, mit einem solchen Programm gewählt wird. Ich
glaube, dass es gut ist, dass wir auf dieser Seite des Hauses dafür sorgen, dass der konjunkturelle Aufschwung in
Deutschland anhält. Die Voraussetzung hierfür ist, dass
wir im nächsten Jahr eine entsprechende Mehrheit bekommen, und diese werden wir bekommen.
Vielen herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank, Kollege Dr. Georg Nüßlein. - Nächster
Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus
Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ganz offen sagen: Ich bin
mir mit Blick auf die Menschen, die uns vor den Fernsehschirmen und auf der Tribüne zuschauen, nicht ganz
sicher, ob die unterkomplexe Art und Weise, in der die
politischen Ränder eine wirtschaftspolitische Debatte
führen, wirklich immer eine Werbung für unsere Demokratie ist.
({0})
Was meine ich? Was haben wir heute gehört? Auf der
einen Seite haben wir das eine Extrem gehört: Alles
wunderbar, rosarote Brille, regierungsamtlich. Auf der
anderen Seite hat die Linkspartei gesagt: Die Welt geht
unter.
Ein realistischer Blick auf unsere wirtschaftspolitische Situation würde uns auf Folgendes bringen: Ja, es
ist richtig: Wir stehen nach wie vor stärker da als andere
Volkswirtschaften in Europa, die vergleichbar sind. Das
hat Ursachen, über die man diskutieren kann.
Es stellt sich die Frage, wer das gemacht hat. Sie sagen: Wir haben es gemacht. - Wir sagen: Wir haben es
gemacht. - Ich glaube, das interessiert die Leute gar
nicht mehr; denn Tatsache ist: Es ist vor allem das Verdienst von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von tüchtigen Unternehmen in diesem Land,
die dafür gesorgt haben, dass wir so gut dastehen.
({1})
Tatsache ist, dass wir eine starke industrielle Wertschöpfungsbasis haben. Es ist vollkommen richtig, Herr
Fuchs, was Sie da beschrieben haben. Auf der anderen
Seite gibt es aktuell in diesem Land aber auch Fehlentwicklungen. Es ist sozialversicherungspflichtige, gute
Arbeit entstanden. Es ist aber auch prekäre Arbeit entstanden, die man zurückdrängen muss. Es ist nicht in
Ordnung, wenn Menschen 3 oder 4 Euro pro Stunde verdienen. Es gibt einen Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit.
Meine Bitte an die beiden extremen Ränder hier im
Hause ist,
({2})
weder mit einer rosaroten Brille noch mit Untergangsszenarien unser Land zu beschreiben, sondern mit einem
realistischen Blick festzustellen, dass wir nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung im kommenden
Jahr in schwieriges Fahrwasser geraten.
Herr Rösler, was Sie sich zurechnen lassen müssen,
ist Folgendes: Sie haben sich in den letzten drei Jahren
auf einer guten Konjunktur ausgeruht sowie auf Entscheidungen von Vorgängerregierungen, auf den Leistungen von anderen. Sie mahnen jetzt immer Strukturreformen in anderen Ländern an. Das ist gar keine Frage;
das muss in vielen Ländern sein. Aber sagen Sie mal:
Hubertus Heil ({3})
Welche einzige Strukturreform haben Sie eigentlich in
Ihrer Amtszeit zu verantworten? Mir fällt keine ein.
Sie müssen sich als Bundesminister für Wirtschaft berechtigte Fragen stellen lassen. Diese sind vorhin angesprochen worden. Ich will diese nur noch einmal unterstreichen. Dabei geht es um die Frage, welche Initiativen
Sie ergriffen haben, um dem Mittelstand in Deutschland
wirksam zu helfen. Wo sind Ihre Initiativen für eine
durchgreifende Entlastung des Mittelstands von überflüssiger Bürokratie?
Wo ist Ihre versprochene steuerliche Forschungsförderung, um Innovationen zu unterstützen? Worin besteht
eigentlich Ihre Initiative gegen den Fachkräftemangel?
Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Bluecard! 138 Menschen sind darüber ins Land gekommen. Ist das wirklich
die Antwort auf die sich auftuende Spaltung des Arbeitsmarktes? Immer mehr Unternehmen suchen händeringend qualifizierte Fachkräfte, und auf der anderen Seite
sind Menschen in unserem Land nach wie vor abgehängt
in prekärer Beschäftigung oder stehen ganz draußen.
Meine Damen und Herren, zum Thema „Fachkräftesicherung“ muss man eines sagen: Wenn die Fachkräfte in
der Regierung fehlen, ist es kein Wunder, dass das Fachkräftekonzept dieser Regierung fehlt.
({4})
- Herr Kauder, Sie können in Ihrer berühmten Art herumblöken, wie Sie wollen.
({5})
Sie werden nicht verhindern können, dass dieser Wirtschaftsminister sich einer weiteren Frage stellen muss,
nämlich der Frage, ob er seiner Verantwortung im Bereich der Energieversorgung gerecht wird. Mit dieser
Frage möchte ich mich etwas intensiver auseinandersetzen.
({6})
Sie halten sehr viele Reden dazu. Dabei muss ich Folgendes feststellen: Die Energiewende in diesem Land
droht aufgrund Ihrer Untätigkeit zu stocken oder gegen
die Wand gefahren zu werden.
({7})
Sie beklagen die Erhöhung der EEG-Umlage in diesem Herbst. Ja, seit wann ist die denn explodiert? Seit
dem Jahr 2010, unter schwarz-gelber Regierungsverantwortung, und das deshalb, weil Sie keine Vorstellung haben, wie diese Energiewende gemanagt wird und wie
eine Umsetzung erfolgen muss.
Lassen Sie uns darüber unterhalten, wie man die
Energiewende angesichts dieser kurzen Zeiträume bewerkstelligen könnte. Es handelt sich ja um eine doppelte Energiewende, mit sehr ehrgeizigen Klimaschutzzielen und dem Ausstieg aus der Atomkraft. Versuchen
Sie nicht immer, den anderen die Schuld zuzuschieben,
sondern werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht!
Wir werden Vorschläge machen und durchsetzen, die
klar besagen: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen ein Marktdesign, um Stück für Stück
über das EEG die Erneuerbaren marktfähig zu machen
und in die Direktvermarktung zu überführen. Wir müssen dafür sorgen, dass auch im konventionellen Bereich
gesicherte Kapazitäten vorhanden sind, um die Versorgungssicherheit in diesem Land zu gewährleisten.
Sie haben nichts gemacht seit Fukushima. Sie sind einen Zickzackkurs gefahren. Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit kaputt gemacht. Mit Blick auf Niedersachsen - unsere gemeinsame Heimat, Herr Rösler will ich Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Sie haben
im Bereich Offshore große Ankündigungen gemacht,
sind untätig geblieben, und heute erleben wir die katastrophalen Folgen.
Sagt Ihnen das Unternehmen SIAG Nordseewerke in
Emden etwas?
({8})
Da verschwinden gerade Tausende von Arbeitsplätzen
im Bereich der erneuerbaren Energien, in der Offshoreanbindung, weil Sie nicht dafür gesorgt haben, dass die
Voraussetzungen für Planungs- und Investitionssicherheit geschaffen werden konnten.
Große und kleine Unternehmen, sowohl die großen
EVU als auch die Stadtwerke, ziehen sich von den Offshoreinvestitionen zurück, weil Sie keine Planungs- und
Investitionssicherheit geschaffen haben. Sie haben keine
Antwort darauf gegeben, wie der Netzausbau vorankommen soll. Damals, als wir gesagt haben: „Wir brauchen
eine deutsche Netz AG, um privates Kapital öffentlich
abgestützt zum Netzausbau zu mobilisieren“, haben Sie
sich geweigert. Heute haben wir den Salat, weil das zuständige Unternehmen - übrigens ein holländisches
Staatsunternehmen - nicht investitionsstark ist.
Meine Damen und Herren, dieser Minister ist ein
Energiewendeversager. Das ist ein Standortrisiko für
Deutschland.
({9})
Sie müssen sich zurechnen lassen, dass Sie Verantwortung dafür tragen, dass nicht nur die Versorgungssicherheit für dieses Industrieland mittlerweile zu einem Problem geworden ist, sondern auch die Bezahlbarkeit der
Energie sowohl für die Unternehmen als auch für die
Verbraucher.
Lassen Sie mich einen Satz sagen zu den Ausnahmen
für energieintensive Unternehmen. Es bleibt dabei: Ausnahmen für energieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, für Betriebe in den Grundstoffindustrien, sind hochgradig richtig; denn diese
Unternehmen würden sonst ihre Standorte verlagern,
weil es in anderen Ländern bestimmte Regime nicht gibt
und die Energiekosten niedriger sind. Für die energieintensiven Unternehmen, die alle Effizienzmaßnahmen
Hubertus Heil ({10})
ausgeschöpft haben, die im internationalen Wettbewerb
stehen, sind diese Ausnahmen richtig.
Aber falsch ist Ihre Ausweitung auf Unternehmen, die
überhaupt nicht im Wettbewerb stehen. Sie diskreditieren
die notwendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe, indem Sie diese Ausnahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Das Ergebnis ist, dass die Verbraucher, aber auch andere Unternehmen für die Folgen
zu zahlen haben, nämlich durch eine erhöhte EEG-Umlage. Das ist die Wahrheit. Wir müssen diese Ausnahmen
zurückführen auf die Unternehmen, die sie tatsächlich
brauchen.
({11})
Sie bekommen es nicht einmal hin, ein vernünftiges
Management dieser Energiewende zu organisieren. Da
verhakeln sich Ressorts. Früher war es Herr Röttgen gegen Herrn Rösler, heute ist es Herr Altmaier gegen Herrn
Rösler. Ramsauer sitzt noch irgendwo herum, Schavan
wäre auch zuständig. Ich sage ja nicht, dass es nicht auch
zu anderen Regierungszeiten Ressortauseinandersetzungen gegeben hätte. Das ist ganz natürlich, weil man ja
unterschiedliche Zuständigkeiten hat. Nur: In rot-grüner
Zeit gab es damals am Ende des Tages beispielsweise
immer eine Koordinierung durch das Kanzleramt. Als
sich Werner Müller und Jürgen Trittin nicht immer einig
waren, hat Frank-Walter Steinmeier dafür gesorgt, dass
wir zu Lösungen gekommen sind. Wo ist eigentlich Herr
Pofalla im Bereich der Energiewende, meine Damen und
Herren? Wenn Sie es nicht schaffen, auf Bundesebene
einig zu sein, dann ist es kein Wunder, dass Sie die Koordinierung mit den Ländern nicht hinbekommen.
Sie haben keinen Masterplan.
({12})
Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie wir die
Energiewende hinbekommen. Sie sind verantwortlich
für steigende Strom- und Energiekosten in diesem Land.
Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit kaputt
gemacht. Deshalb sage ich: Wir müssen 2013 mit dem
aufräumen, was Sie hinterlassen haben.
({13})
Das ist für mich der entscheidende Punkt: Sie haben
sich drei Jahre lang auf einer guten Konjunktur ausgeruht. Sie haben keine Zukunftsvorsorge betrieben, weder
in der Energiepolitik noch in Bezug auf die demografische Entwicklung. Wie Sie es nach drei Jahren guter
konjunktureller Entwicklung schaffen, ein Loch von
1,6 Milliarden Euro in die Arbeitslosenversicherung zu
reißen, das müssen Sie uns eigentlich einmal erklären.
Sie haben die Sozialversicherungskassen ausbluten lassen. Sie plündern die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Diese Regierung hat keine Zukunftsvorsorge für die
schwierigen Zeiten getroffen, vor denen wir jetzt stehen,
weil die Euro-Krise wie ein Bumerang auch nach
Deutschland zurückkommt. Hoffentlich wird es nicht so
schlimm wie 2008/2009, als wir gegengesteuert haben,
hoffentlich nicht! Aber es gibt erhebliche Risiken.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ergreifen Sie Maßnahmen,
um Schlimmeres von unserem Land abzuwenden! Ändern Sie zum Beispiel die Regelungen zur Kurzarbeit.
Frau von der Leyen hat sich da offen gezeigt; Sie blockieren, hoffentlich nicht so lange, bis es zu spät ist. Das
Instrument der Kurzarbeit hat uns schon einmal geholfen, durch die Krise zu kommen. Sorgen Sie dafür, dass
die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren Job als Förderbank machen kann! Sie wird in vielen Bereichen gebraucht. Plündern Sie nicht ihre Kassen!
Meine Damen und Herren, wir werden 2013, nach einem Regierungswechsel, im Bereich der Wirtschaftspolitik die Dinge anpacken müssen, die Sie drei Jahre
liegen gelassen haben. Deutschland ist ein starkes Land
- wir sind nach wie vor stark -; aber wir dürfen uns nicht
auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Wir stehen in einer stärkeren internationalen Konkurrenz. Wir
haben den demografischen Wandel zu bewerkstelligen.
Es gibt einen Fortschritt in Wissenschaft und Forschung,
bei dem wir mithalten müssen, zum Beispiel mithilfe
steuerlicher Forschungsförderung, damit auch der Mittelstand profitiert. Schließlich haben wir die Energiewende in diesem Land zu schultern. Das sind die Zukunftsaufgaben, denen wir uns stellen werden.
Herr Rösler, es ist gut, dass es Restlaufzeiten gibt,
nicht nur für Atomkraftwerke, sondern auch für Ihre
Amtszeit. Ich bin mir sicher: Die Laufzeiten werden von
den Wählerinnen und Wählern nicht verlängert werden,
weder bei der niedersächsischen Landtagswahl noch bei
der Bundestagswahl. Um dafür zu sorgen, dass Deutschland ein starkes, auch ein soziales Land bleibt, brauchen
wir diesen Regierungswechsel, gerade im Bereich der
Wirtschaftspolitik. Sie haben die schlechteste Bundesregierung seit 1949 zu verantworten.
({14})
Das gilt auch für die Wirtschaftspolitik.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat unser Kollege
Dr. Martin Lindner.
Man überlegt sich in einem solchen Moment, ob es
sich überhaupt lohnt.
({0})
Aber ich muss Ihre Äußerungen natürlich förmlich zurückweisen. Die Tatsache, dass Sie eine Partei wie die
FDP, die von 1949 bis heute mehr als doppelt so lang in
Regierungsverantwortung stand wie die SPD,
({1})
als „extremen Rand“ bezeichnen, und Ihre Ausfälligkeiten und Pöbeleien gegenüber dem Vorsitzenden der
Unionsfraktion zeigen doch, wo Sie gerade stehen, in
Dr. Martin Lindner ({2})
welch orientierungslosem Zustand Sie sich gerade befinden.
Eine Partei, die vormals eine Industriepartei in der
linken Mitte war und sich heute selber ein Programm
wie das Ihrige gibt, das irgendwo zwischen Hollande
und der Linkspartei mäandert, und auf der anderen Seite
einen Kanzlerkandidaten kreiert
({3})
- anders kann man es gar nicht bezeichnen; richtig gewählt ist er ja nicht -, der selber für die Rente mit 67, für
das Betreuungsgeld, für die Flexibilisierungselemente
am Arbeitsmarkt stand und überhaupt nicht zu Ihrem komischen Programm zwischen Hollande und Linkspartei
passt, eine solche Partei - Herr Heil, das haben Sie uns
gerade wirklich eindrucksvoll vorgeführt - braucht noch
vier bis acht Jahre, um sich zu regenerieren, um sich zu
finden, um einen Diskurs zu führen, ob man Deutschland
aus der Mitte oder eben vom Rand regieren will. Treten
Sie hier wieder an und bemühen Sie sich um die Wählerschaft, wenn dieser Prozess abgeschlossen ist und Sie jemanden gefunden haben, der zu Ihrem Programm passt,
({4})
damit es Hand in Hand geht! Bis dahin wünsche ich Ihnen, Herr Heil, einen wirklich erfolgreichen Selbstfindungsprozess.
({5})
Das Wort zur Antwort hat unser Kollege Hubertus
Heil.
Ich widerstehe der Versuchung, über Cannabis zu reden, Herr Lindner; das ist Ihr privates Vergnügen.
Ich will Ihnen erklären, warum ich von Rändern gesprochen habe. Das meine ich nicht im Sinne von Extremismen in allen möglichen Politikfeldern, sondern im
Bereich der Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftsradikale
Vorstellung, die Sie liberal nennen, nach dem Motto
„Der Markt kann alles viel besser; wenn jeder sich um
sich selbst kümmert, dann ist an alle gedacht“, das ist
nicht meine Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft.
({0})
Sie müssen begreifen, dass Ihre Vorstellung von
Entstaatlichung in allen Lebensbereichen nicht mehr
zeitgemäß ist. Das sehen wir an den Finanzmärkten, wo
Regulierung gefragt ist. Das gilt für viele andere Bereiche auch.
Unsere Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft ist
klar: So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.
Das unterscheidet uns von radikalen Entstaatlichern, wie
Sie es sind. Ich habe zwei Parteien beschrieben, die in
wirtschaftspolitischer Hinsicht - das sieht man auch an
der Sitzordnung in diesem Hause - an den Rändern
sitzen.
({1})
Wir wollen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale
Gerechtigkeit keine Gegensätze sind; wir wissen: Das
sind wechselseitige Bedingungen. Wir wollen uns darum
kümmern, und zwar gemeinsam mit Bündnis 90/Die
Grünen, mit denen wir viele Gemeinsamkeiten haben,
wenngleich es vereinzelt Unterschiede gibt.
({2})
Eines lasse ich mir von Ihnen nicht nachsagen, Herr
Lindner. Mit Blick auf meinen Wahlkreis und mit dem,
was ich politisch zu verantworten habe, können Sie alles
dumm finden.
({3})
Offensichtlich sind Sie der Meinung, der politische Gegner hat immer unrecht. Dass Sie jemand sind, der sich
für die Industriearbeiterschaft in diesem Land einsetzt,
das halte ich für ein schräges Gerücht. Wir haben durch
die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung dafür
gesorgt, dass dieses Land nach wie vor eine Industrienation geblieben ist. Als Sie Leitbildern wie Irland hinterhergelaufen sind, die rein auf Finanzwirtschaft und
nicht mehr auf produzierendes Gewerbe gesetzt haben,
als Sie uns als kranken Mann Europas darstellen wollten,
({4})
weil wir auf die Wertschöpfungsketten, angefangen bei
den Grundstoffindustrien, gesetzt hatten, als Sie gesagt
haben: „Die Zukunft liegt allein bei Dienstleistung“
- und gemeint war Finanzdienstleistung -, in dieser Zeit
haben wir dieser Mode widerstanden. Das unterscheidet
uns, Herr Lindner.
In meiner Heimat in Niedersachsen, in der es Stahlindustrie, Volkswagen und Grundstoffindustrien gibt,
bleibt die Wirtschaft nicht stehen. Sie wird sich weiter
wandeln und sich den anstehenden Herausforderungen
stellen,
({5})
und das mit einer gesunden industriellen Basis.
Welchen Bezug Sie zum Thema Industriepolitik haben, erschließt sich mir überhaupt nicht. Das haben wir
in den Verhandlungen darüber, was in Europa notwendig
ist, gemerkt.
({6})
Hubertus Heil ({7})
Sie halten allein eine Politik des Kürzens für richtig. Sie
halten überhaupt nichts von Wachstumsimpulsen.
({8})
Insofern sage ich Ihnen ganz deutlich, Herr Lindner:
Machen Sie sich um meine Partei nicht so wahnsinnig
viel Gedanken. Wir kümmern uns schon um uns selbst.
Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, warum die
Wählerinnen und Wähler der Meinung sind, dass Sie
nicht nur nicht mehr in die Regierung gehören, sondern
in vielen Ländern auch nicht mehr in die Parlamente.
Setzen Sie sich besser mit sich selbst auseinander.
({9})
Ich sage es noch einmal: Ich halte Sie politisch, was
demokratische Fragen betrifft, nicht für einen Extremisten. Sie sind ein liberaler Geist.
({10})
Aber ich stelle fest: Wirtschaftspolitisch sind Sie nicht
nur am Rand des Mainstreams, wirtschaftspolitisch befindet sich die FDP am Rand der Gesellschaft.
Kollege Hubertus Heil, bitte Ihren letzten Satz.
Ich finde, Sie sind eine zu vernachlässigende Größe.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank.
({0})
Letzter Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
Andreas Lämmel für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte
schön, Kollege Andreas Lämmel.
({1})
Sehr geehrter Herr Heil, man kann überall lesen, dass
Sie in das Schattenkabinett aufgerückt sind als zukünftiger Wirtschaftsminister. Ich kann nur sagen: Im Schatten
ist es kalt und auch dunkel; das scheint Ihr Gesichtsfeld
ziemlich einzutrüben.
({0})
Wir sind sicher, dass Sie in diesem Schatten bleiben
werden. Das ist auch gut für Deutschland; denn Sie als
Wirtschaftsminister, das wäre ein Abstieg für unser
Land.
({1})
Vielleicht sollten Sie mit Herrn Steinbrück noch
einmal reden. Sie würden sich besser für Agitation und
Propaganda eignen.
({2})
Wie man das macht, darüber können Sie mit Ihren linken
Freunden sprechen. Dort wären Sie wirklich sehr gut
verortet.
In wenigen Minuten wird die Mehrheit des Plenums
den Haushalt für das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie verabschieden.
({3})
Sie würden gut daran tun, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, wenn Sie diesem Haushalt
zustimmen würden.
Ich habe die Debatte intensiv verfolgt. Ich habe wirklich versucht, Argumente zu finden, die gegen den vorliegenden Haushaltsentwurf sprechen.
({4})
Ich habe keine gefunden. Ich werde gleich auf zwei
Themen eingehen, die Sie immer wieder angesprochen
haben. Ansonsten haben Sie über die Welt und die Energiewende gefaselt. Die Grünen haben gesagt, dass sie
sich im Haushalt des Bundeswirtschaftsministerium
nicht wiederfindet. Die Milliarden, die über das EEG
ausgegeben werden, laufen nicht über den Haushalt des
Bundeswirtschaftsministers. Das hätten Sie in den letzten Jahren eigentlich lernen können.
Sie fordern immer wieder, dass wir Vorsorge treffen
für eine Zeit, in der es wirtschaftlich schwieriger ist. Das
ist unbestritten. Ich glaube, das haben alle Redner hier so
dargestellt.
({5})
Herr Brandner, mit diesem Haushalt sorgen wir für die
Zeit einer wirtschaftlichen Abschwächung vor. Vor allen
Dingen treffen wir eine Vorsorge für den deutschen
Mittelstand.
({6})
Dabei geht es um die Ideen, die Projekte und die Produkte der Zukunft. Schauen Sie sich das einmal genau
an: 70 Prozent der gesamten Haushaltsmittel des BMWi,
wenn man die Mittel für die Steinkohle abzieht, fließen
in die Bereiche Investitionsanreize und Innovationsanreize. Zeigen Sie mir einen anderen Haushalt, in dem
dieser Anteil so enorm hoch ist.
({7})
Herr Brandner, Ihnen ist sicherlich noch nicht aufgefallen, dass der Haushalt des BMWi völlig neu strukturiert ist. Er ist ziemlich klar strukturiert, sodass auch
jemand, der nicht in der Politik tätig ist, die Chance hat,
durch den Haushaltsplan durchzusteigen. Sie können
ganz schnell erkennen, dass 36 oder 38 Prozent, also fast
40 Prozent, des gesamten Geldes für Innovationen,
Technologien und neue Mobilität ausgegeben werden.
Verschiedene Redner, vor allen Dingen mein Kollege
Nüßlein, Herr Fuchs und auch Herr Pfeiffer, haben schon
darauf hingewiesen, dass dieses Geld benötigt wird, um
neue Ideen umzusetzen, um neue Produkte zu schaffen,
die der deutschen Wirtschaft morgen und übermorgen
helfen werden, ihren Weltrang zu behalten.
({8})
Herr Dr. Nüßlein hat die Umfrage zum ZIM-Projekt
angesprochen. Es fehlen nur noch zwei Aussagen dazu,
die aber sehr wichtig sind: Erstens. Das ZIM ist das erste
wirklich kompakte Förderprogramm. Früher war das
eine sehr zersplitterte Landschaft. Im ZIM wurden verschiedene Programme zusammengefasst. Zweitens. Alle
Unternehmen, die man auf dieses Programm anspricht,
sagen ganz klar: Das ist das unbürokratischste Förderprogramm im Bereich Forschung und Technologie, das
es in Deutschland je gegeben hat. Das ist der große
Erfolgsfaktor dieses Programms.
Jetzt komme ich zu Ihren Argumenten. Die SPD hat
das Thema GRW angesprochen. Kollege Tiefensee, das,
was Sie diesbezüglich hier von sich gegeben haben, war
ein bisschen lächerlich.
({9})
Ich kann mich erinnern, dass Sie Aufbau-Ost-Minister
waren. Damals gab es auch noch den Herrn Stolpe. Ich
kann mich daran erinnern, dass damals - ich bin mir
nicht mehr ganz sicher, ob das in der Amtszeit des Kollegen Tiefensee oder in der Amtszeit von Herrn Stolpe
war;
({10})
das ist auch egal; jedenfalls war es ein SPD-Minister über Nacht die Mittel für die GRW halbiert wurden.
Damals haben Sie nichts getan,
({11})
um die GRW-Mittel wieder auf eine angemessene Höhe
zu bringen. Trotzdem stellen Sie sich heute hier hin und
sagen: Die SPD hat mit ihrem Antrag dafür gesorgt, dass
die GRW-Mittel aufgestockt wurden.
({12})
Das ist lächerlich, Herr Brandner. Wir haben die Mittel
aufgestockt, weil wir die Verantwortung für die GRW
haben.
({13})
Sie müssen bei Ihren Argumenten redlich bleiben. Sie
dürfen die Jahre, in denen Rot-Grün regiert hat, nicht
einfach ausblenden.
({14})
Zu der GRW stehen wir.
({15})
Auch das BMWi steht zu der GRW. Gefahr droht im
Moment eher aus Brüssel; denn die Strukturfonds, über
die zurzeit in Brüssel verhandelt wird, sind ja letztendlich eine Ergänzung der GRW-Mittel auf Bundes- und
Landesebene. Wir müssen aufpassen, dass auch auf
europäischer Ebene eine angemessene Ausstattung der
Strukturfonds erhalten bleibt.
Frau Hinz, Sie haben - das war der größte Schlager die steuerlichen Anreize für die energetische Gebäudesanierung angesprochen. Sie haben gesagt: Wir stimmen
doch nicht zu, wenn Sie die Kassen der Länder plündern
wollen. - Das ist wirklich grenzwertig und einfach
lächerlich. Herr Tiefensee hat ähnlich argumentiert. Die
Koalition entlastet die Bürger in Deutschland um
10 Milliarden Euro pro Jahr. Nun stellen Sie sich einmal
vor, wir hätten die steuerliche Förderung der CO2Gebäudesanierung und die Bürger würden 5 Milliarden Euro in die Sanierung ihrer Häuser und Wohnungen
stecken. Was würde das für die Einnahmesituation der
Länder bedeuten? Dann gäbe es wieder Arbeit für das
Handwerk. Das Handwerk ist ein ganz entscheidender
Teil der deutschen Wirtschaft. Lohn- und Einkommensteuern sowie Gewerbesteuern würden generiert. Das
Argument, wir würden die Kassen der Länder ausräumen, ist einfach lächerlich. Geben Sie doch die
Blockade auf!
({16})
Es gibt überhaupt kein vernünftiges Argument gegen die
steuerlichen Anreize zur energetischen Gebäudesanierung. Sie wollen das nur ideologisch und parteipolitisch
ausnutzen.
Nun auch noch zu Herrn Schlecht. Herr Schlecht, Sie
sind ja Sozialismustheoretiker und haben das in Gewerkschaftsseminaren gelernt. Fragen Sie doch einmal Ihre
Parteikollegen, die mehr Erfahrung haben und es geschafft haben, die ehemals siebtgrößte sogenannte
Volkswirtschaft der Welt gegen die Wand zu fahren. Ihre
Kollegen hatten damals die gleichen Ideen. Der einzige
Unterschied ist, dass Sie das in schwäbischem Dialekt
aussprechen, während Ihre Kollegen das zum Beispiel in
brandenburgischem Dialekt ausdrücken. Aber die Ideen
sind die gleichen.
Angesichts der von Ihnen abgelieferten Darstellung
des Arbeitsmarktes frage ich Sie: Warum sind denn die
Sozialkassen in Deutschland so hervorragend gefüllt?
Doch nicht deswegen, weil es keine ausreichende
Anzahl an sozialversicherungspflichtigen Jobs in
Deutschland gibt, sondern deswegen, weil die christlichliberale Koalition dafür gesorgt hat, dass die Menschen
in sozialversicherungspflichtige Jobs kommen. Das hat
eine unmittelbare positive Wirkung auf die Sozialkassen
und damit auf das Gesamtsystem. Damit ist die Theorie,
die Sie hier verbreitet haben, eigentlich hinfällig.
Zur Bluecard. Sie dürfen nicht verschweigen, dass die
Regelung zur Bluecard gerade einmal acht Wochen in
Kraft ist. Liebe Kollegen von der SPD, denken Sie nur
an die Greencard-Initiative von Gerhard Schröder! Wir
sollten hier keinen Popanz aufbauen. Es ist schwierig, in
Deutschland ausländische Arbeitskräfte anzuwerben.
Der Grund dafür ist, dass Sie jahrelang blockiert haben.
Wir müssen die Arbeitsmarktregelungen erst so weit
lockern, dass es für ausländische Fachkräfte überhaupt
attraktiv wird, in Deutschland tätig zu sein.
Wir finden, dass der Haushalt des BMWi sehr ausgewogen ist. Wir setzen damit auf Innovationen und Investitionen und setzen damit ganz klar den Fokus auf die
Zukunft. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Ihre Stimme
heute für diesen Haushalt abzugeben.
Vielen Dank.
({17})
Vielen Dank, Kollege Andreas Lämmel. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09
- Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11543 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Das sind die Fraktion der SPD und
die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Bündnis 90/Die
Grünen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 09 ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Einzelplan 11 - Punkt I.15 - auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Drucksachen 17/10811, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({0})
Dr. Claudia Winterstein
Priska Hinz ({1})
Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der Sozialdemokraten, ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Sie
sind alle damit einverstanden und haben sich auf die
Debatte vorbereitet. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer
Aussprache ist unsere Kollegin Bettina Hagedorn für die
Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kollegin Bettina Hagedorn.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Zu Beginn der Debatte möchte ich mich als Hauptberichterstatterin für den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums im Haushaltsausschuss - sicher auch im
Namen meiner Kolleginnen und Kollegen - bei den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsund Sozialministeriums, der Bundesagentur für Arbeit,
der Rentenversicherungsträger, des Bundesrechnungshofes und vor allen Dingen unseres Haushaltsausschusssekretariats bedanken. Wir haben in den letzten Wochen
intensive Beratungen gehabt und viele Berichte angefordert. Die Antworten waren umfassend, sie kamen zügig.
Damit wurde unsere parlamentarische Arbeit sehr erleichtert. Es ist in diesem Haus gute Sitte, dass man den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Anfang einer sicherlich kontroversen Debatte dafür ein Dankeschön
ausspricht.
({0})
Dieser versöhnliche Einstieg, Frau Ministerin, ist leider schon alles, was ich an Positivem über Ihren Etat berichten kann. Die Schwerpunktsetzungen stellen - Frau
Ministerin, man muss es so deutlich sagen - Ihren persönlichen Offenbarungseid dar.
({1})
Schon in den letzten Tagen war zu Recht davon die
Rede, dass der schöngerechnete Wahlkampfetat, den Sie
hier vorlegen, letzten Endes einem Bankraub gleichkommt, und zwar in erster Linie einem Raub an den sozialen Sicherungssystemen und damit an der zukünftigen
Absicherung der Menschen in diesem Lande. Das ist ein
Skandal, unangemessen, unverantwortlich, und das ist
Ihnen, Frau Ministerin, persönlich anzulasten; denn der
größte Teil von den sage und schreibe über 70 Milliarden
Euro, die mit diesem Haushalt und diesem Finanzplan
den sozialen Sicherungssystemen von 2013 bis 2016 entnommen werden, spielt sich in Ihrem Etat - und zwar bei
der Bundesagentur für Arbeit, bei den Jobcentern und
bei der Rente - ab.
({2})
- Nein, da kann man nicht klatschen, das ist wahr. Man
muss es aber deutlich aussprechen; denn am Anfang jeder Debatte gehört erst einmal die Wahrheit auf den
Tisch.
({3})
Mit Ausgaben von knapp 120 Milliarden Euro
({4})
- wenn Sie die Zahlen nicht nachvollziehen können,
können Sie mir eine Zwischenfrage stellen; ich erläutere
Ihnen die gerne - umfasst dieser Etat knapp 40 Prozent
des gesamten Bundeshaushaltes. Diese Tatsache bemühen Sie von der schwarz-gelben Koalition immer wieder
- allerdings völlig zu Unrecht - als angebliches Indiz dafür, dass der Sozialbereich bei Ihnen einen hohen Stellenwert hat. Mit dieser Aussage betreiben Sie aber vorsätzliche Volksverdummung;
({5})
denn Sie verschweigen, dass dieser Etat das dritte Mal in
Folge der große Steinbruch von Schwarz-Gelb ist. Es
gab allein in Ihrem Etat, Frau von der Leyen, seit 2010
ein Minus von 24 Milliarden Euro. Das ist die bittere
Wahrheit und Zeugnis eines beispiellosen sozialpolitischen Kahlschlags in der Verantwortung dieser schwarzgelben Koalition.
({6})
Sicherlich: Aufgrund drei Jahre brummender Konjunktur, sprudelnder Steuerquellen und klingelnder Beitragskassen mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und
glücklicherweise hoher Beschäftigungsquote bilden sich
in diesem Etat erfreulicherweise milliardenschwere konjunkturelle Einsparungen ab, über die wir uns alle gemeinsam freuen. Diese Einsparungen aber, Frau Ministerin, die Ihnen anstrengungslos in den Schoß fallen,
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie seit 2010
darüber hinaus mit Ihrem damals so genannten Sparpaket einen brachialen Kahlschlag - auf dem Rücken der
Arbeitsuchenden und ihrer Familien vollzogen - haben.
({7})
Zusätzlich haben Sie die Bundesagentur für Arbeit
ausgequetscht wie eine Zitrone, sodass es dort ab 2014
praktisch keine nennenswerte Rücklage geben wird, die
den Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Vergangenheit bei sich eintrübender Konjunktur - Stichwort
„Kurzarbeitergeld“ - Perspektive und Chance gab und
Belegschaften in der Krise vor Arbeitslosigkeit bewahrt
hat. Mit dem Haushalt 2013 legen Sie null Vorsorge für
eine sich abzeichnende Krise vor. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung für die Menschen in diesem Land
nicht gerecht.
({8})
- Wenn Sie sagen, das sei gar nicht wahr, antworte ich
Ihnen: Wir wollten in der Großen Koalition - dies war
das gemeinsame Ziel -, dass die Bundesagentur für Arbeit mit abgesenkten Beitragssätzen - wir haben sie von
6,5 auf 3 Prozentpunkte gesenkt - trotzdem langfristig
auskömmlich finanziert ist. Dafür haben wir ihr die Einnahmen aus einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer gegeben, was mindestens 8 bis 9 Milliarden Euro pro Jahr
ausmacht.
Mit diesem Haushalt ist der Mehrwertsteuerpunkt
komplett aus der Finanzierung verschwunden. Sie wollen die Öffentlichkeit glauben machen, dass die Bundesagentur für Arbeit mit einem Beitragssatz von 3 Prozentpunkten dennoch stabil finanziert ist. Das ist mitnichten
der Fall, und Sie wissen das ganz genau. Sie haben die
Rücklage geplündert. Sie umfasst jetzt gerade einmal
2 Milliarden Euro. Schon im nächsten Jahr muss die
Bundesagentur für Arbeit wieder auf die Rücklage zurückgreifen. Das heißt, sie löst sich in Luft auf, falls sich
die Krise verstärkt. Dies hoffen wir zwar nicht; wir tragen aber die politische Verantwortung, dafür Vorsorge zu
treffen.
({9})
Sie tun also das Gegenteil dessen, was wir in der Großen Koalition gemacht haben, und wir sind damals gut
damit gefahren. Weil wir der BA 2008 eine Rücklage
von 18 Milliarden Euro zugestanden hatten, war sie in
der Lage, mit uns die Konjunkturpakete aufzulegen und
die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu verlängern.
Unsere Maßnahmen waren gut und richtig. Sie profitieren seit drei Jahren von den Auswirkungen dieser Maßnahmen. Aber statt Ihre Schlüsse daraus zu ziehen, machen Sie genau das Gegenteil. Sie versündigen sich so an
der Zukunft.
({10})
Sie behaupten, die Tatsache, dass dieser Haushalt
40 Prozent des Gesamtetats ausmacht, zeige, wie sozial
der Haushalt ist. Dazu muss man sagen: Sie machen den
Leuten etwas vor; denn schon 85 Milliarden Euro in Ihrem Etat sind durch den Rentenzuschuss und die Grundsicherung gesetzlich gebunden. Bis 2016 werden diese
Leistungen auf 93,5 Milliarden Euro anwachsen. Das
heißt: 8,5 Milliarden Euro mehr in nur vier Jahren. Es ist
normal, dass eine älter werdende Gesellschaft etwas kostet und sich dies in Ihrem Etat abbildet. Das ist aber eben
kein Ausweis von sozialer Gerechtigkeit; denn bei dem
Einzelnen kommen nicht mehr Leistungen an.
Wenn wir sehen, wie Ihre Zukunftsaufgaben wachsen
und Ihr Etat sinkt, dann ist klar, dass Kahlschlag stattfindet. Wo findet er statt? Ausnahmslos bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
({11})
Viele können sich nicht vorstellen, dass der große Kahlschlag noch bevorsteht. Sie dachten vielleicht, dass sie
ihn schon hinter sich haben.
Sie sehen im Finanzplan bis 2016, von 2013 an gerechnet, bei den Jobcentern Kürzungen in Höhe von
18,5 Milliarden Euro vor und bei der Bundesagentur für
Arbeit zusätzliche Kürzungen in Höhe von 36 Milliarden
Euro. Das sind gewaltige Summen. Herr Weise hat gesagt, dass er schon gar nicht mehr weiß, wo er noch kürzen soll. Zunächst einmal wird die Bundesagentur bis zu
15 000 Mitarbeiter in den Jobcentern und bei der BA in
den nächsten Jahren abbauen müssen. Dort sind diese
Botschaften längst angekommen. Nicht nur die Budgets
der Fallmanager sind leer. Diejenigen, die befristete Verträge haben, wissen schon heute, dass sie in ein paar Jahren auf der anderen Seite des Tisches sitzen werden. Sie
planen diese Kürzungen, Frau von der Leyen, obwohl wir
alle, die wir uns mit Arbeits- und Sozialpolitik beschäftigen, wissen, dass man zwar einerseits Geld im Budget
braucht, um Maßnahmen zu finanzieren, dass man andererseits aber vor allen Dingen engagierte Mitarbeiter
braucht. Um zum Beispiel die 900 000 Menschen, die
langzeitarbeitslos sind, die keinen Schulabschluss und
keine Berufsausbildung haben, wieder in Lohn und Brot
zu bringen, braucht man Geld. Ihnen ist mit einem Bewerbungstraining nicht gedient. Sie brauchen qualifizierte Maßnahmen; aber sie brauchen auch eine enge
und intensive Begleitung durch eine motivierte Mitarbeiterschaft. An dieser Stelle, Frau von der Leyen, wird im
Haushalt die Axt angelegt.
({12})
Ich komme zum Thema Rente. Zum Thema Rente haben Sie, Frau von der Leyen, hier vor einem Jahr gesagt,
dass Sie einen Rentendialog machen werden. Super. Was
ist das gewesen? Eine Showveranstaltung. Sie haben
sich wieder medienwirksam verkauft.
({13})
Es gab wieder einmal viele bunte Broschüren, Interviews und Talkrunden, obwohl das Ergebnis - jedenfalls
für Sie - von Anfang an feststand. Eine echte Partizipation war das ja nicht. Das Ergebnis sollte Ihre werbewirksam intonierte Zuschussrente sein.
Die Zuschussrente war ein echter Rohrkrepierer, aber
nicht etwa, weil die Opposition gesagt hätte: „Die Zuschussrente ist ein Fake“, sondern weil das alle gesagt
haben. Das haben nicht nur die Gewerkschaften, die Arbeitgeber oder die Wohlfahrtsverbände gesagt, sondern
alle. Dann fand ein Koalitionsgipfel statt, vier Tage vor
der Bereinigungssitzung. Dabei kam etwas Neues heraus: Über Nacht wurde aus der Zuschussrente die Lebensleistungsrente.
({14})
„Etikettenschwindel“ ist dafür noch eine zurückhaltende
Bezeichnung.
({15})
Ganz genau wissen Sie ja selbst noch nicht - das gilt
auch für Ihre Koalition -, wie Sie sie eigentlich ausgestalten wollen. Aber eines kann man den Menschen
schon sagen: Um sie zu bekommen, müssen sie auf jeden Fall 40 Jahre gearbeitet haben; ob es sich dabei allerdings um Versicherungsjahre oder Beitragsjahre handelt, weiß man noch nicht genau. Außerdem müssen sie
private Vorsorge betrieben haben, auch das 40 Jahre
lang. Oder nur 30 Jahre? Wie lange eigentlich? Was
heißt übrigens: „nur“ 30 Jahre? Wer von den Menschen,
die heute in Rente gehen wollen, hat schon 30 Jahre zusätzlich privat vorgesorgt? So viele sind das nicht. Aber
es sollen auch gar nicht viele sein. Denn das Ganze ist ja
ein Billigmodell; dafür sorgt schon die FDP.
Sie sagen also: Wer 40 Jahre gearbeitet und jahrzehntelang privat vorgesorgt hat, der soll für diese Lebensleistung - man höre und staune - 10 bis 15 Euro im Monat mehr bekommen.
({16})
Wissen Sie, was das ist, Frau von der Leyen? Das ist
eine Verhöhnung der Menschen und ihrer Arbeit.
({17})
Frau Ministerin, dass Sie sich als Arbeits- und Sozialministerin damit überhaupt an die Öffentlichkeit wagen
und auch noch erwarten, dass dieses Ergebnis einen
Schulterklopfer wert ist, ist vor allen Dingen deshalb bitter, weil Sie den ganzen Sommer über das Thema Altersarmut gesprochen haben. An dieser Stelle will ich mich
bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Thema in die
Öffentlichkeit getragen haben.
({18})
Aber eine Ministerin sollte ein Problem nicht nur ansprechen, sondern auch Lösungsvorschläge machen.
({19})
Das, was Sie getan haben, hat mit der Bekämpfung von
Altersarmut jedenfalls überhaupt nichts zu tun.
Vielen Dank.
({20})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Axel Fischer.
Bitte schön, Kollege Axel Fischer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kollegin Hagedorn, es ist schon bezeichnend,
wenn in einer Debatte zum Thema „Arbeit und Soziales“
einer Sozialpolitikerin der SPD kein Wort zur guten
Arbeitsmarktlage und zur guten Konjunkturlage in
Deutschland über die Lippen kommt.
({0})
- Trotz der Regierung?
({1})
Das ist ja wieder das übliche Spiel. Sind die Arbeitsmarktdaten gut, wenn die Union mit der FDP regiert, sagen Sie: trotz der Regierung. - Sind die Arbeitsmarktdaten gut, wenn Sie mit den Grünen regieren, sagen Sie:
wegen Ihrer Regierung.
Axel E. Fischer ({2})
({3})
- Genau, Herr Heil, so ist das; das ist Ihre Position. Sie
passt zu dem, was vorhin gesagt wurde: Sie betreiben
Propaganda durch und durch. Das hat mit der Realität
aber nichts zu tun. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir
ordentlich gearbeitet haben. Ich werde Ihnen das jetzt an
Beispielen darlegen.
({4})
Der Bundeshaushalt 2013, den wir debattieren, ist
nach überwundener Wirtschafts- und Finanzkrise ein
weiterer Schritt auf dem erfolgreichen Konsolidierungspfad der christlich-liberalen Koalition. Wir haben die
vorgesehene Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf um knapp 10 Prozent auf 17,1 Milliarden
Euro verringert. Für 2014 sehen wir damit einem strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt entgegen. Das ist
eine Leistung, die man anerkennen muss.
({5})
Im Bereich des Einzelplans 11 sollen die Ausgaben
für 2013 gegenüber dem Regierungsentwurf um rund
500 Millionen Euro auf 119,2 Milliarden Euro ansteigen. Das sind über 7 Milliarden Euro weniger, als für
2012 eingeplant waren. Damit beweisen wir, dass man
auch mit weniger Geld für den Einzelplan 11 eine bessere Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik machen kann.
({6})
Außerdem, Frau Hagedorn, entlasten wir die Kommunen
bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung um weitere 555 Millionen Euro. Das gibt den Kommunen die Luft zum Atmen, die sie so dringend brauchen.
({7})
Wir entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch
die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung
auf 18,9 Prozent und stärken so die Binnenkonjunktur.
Wir kümmern uns um die Menschen, die mit ihrer Arbeit
unsere Gemeinschaft tragen. In diesem Zusammenhang
möchte ich nochmals an die Solidarleistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erinnern, die mit der
Kürzung des Bundeszuschusses zur allgemeinen Rentenversicherung in Höhe von 1 Milliarde Euro im Jahr 2013
einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts
leisten.
Trotz abnehmender Konjunkturdynamik haben wir
eine anhaltend gute wirtschaftliche Entwicklung, vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Staaten.
({8})
Dank unseres mutigen Vorgehens, insbesondere dank
des Wachstumspaktes und einer zeitgemäßen Modernisierung unseres Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren, haben wir die krisenhaften Untiefen des Jahres 2009
hinter uns gelassen. Zentrale Faktoren unserer erfolgreichen Politik sind neben der schrittweisen Umsetzung der
Ergebnisse der Gemeindefinanzkommission die Entlastung bei den Sozialausgaben durch den Bund, vor allem
aber eine auf Wachstum ausgerichtete Politik dieser erfolgreichen Koalition.
({9})
Mit der Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Jahr 2010 haben wir eine neue Phase
der Zusammenarbeit von kommunalen Trägern und
Bundesagentur für Arbeit eröffnet. Ziel war eine möglichst effiziente und nachhaltige Hilfestellung für Hilfsbedürftige. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf unter 3 Millionen gesunken. Wir bringen Menschen in Arbeit.
({10})
Im Jahr 2012 haben wir bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik mit 8 Milliarden Euro den Stand von 2006 wieder
erreicht. Damals lag die Zahl der Arbeitslosen jedoch bei
4,5 Millionen Menschen, das heißt, um mehr als 1,5 Millionen höher als heute. Das bedeutet: Für jeden Arbeitslosen stehen heute über 50 Prozent mehr Mittel zur
Verfügung als damals. Um diese Mittel möglichst erfolgreich für die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt einsetzen zu können, stecken wir erheblich mehr
Geld in die Erforschung der Wirkungen der einzelnen arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Die Evaluation der
Arbeitsmarktpolitik liefert laufend Ergebnisse, die von
Einzelfall zu Einzelfall helfen, die jeweils beste Maßnahme zu finden. Ziel ist es, mit den Mitteln, die zur
Verfügung gestellt werden, jedem Arbeitslosen die optimale Hilfe zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu geben.
An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, ganz besonders aber dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Herrn Weise, für
die engagierte Arbeit danken. Nicht zuletzt durch seinen
Einsatz ist die Entflechtung der Finanzen zwischen Bundesagentur für Arbeit und Bund möglich geworden.
({11})
Aus heutiger Sicht erscheint die Finanzausstattung der
Bundesagentur für die Erfüllung ihrer laufenden Aufgaben wie zum Aufbau einer Rücklage für Krisenzeiten
auskömmlich und langfristig tragfähig.
Dieser Tage haben die Grünen auf ihrem Parteitag die
Abschaffung der Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV
und damit ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Alle Menschen im Land sollen ein Anrecht auf einen auskömmlichen Lebensunterhalt von Staats wegen
haben. Das Ziel ist sozusagen: Deutschland, Land der
Sozialrentner.
({12})
Axel E. Fischer ({13})
Das erinnert mich ein wenig an meine Jugendzeit, als die
Jusos in der Nach-Schmidt-Ära das „Recht auf Faulheit“
proklamierten.
Meine Damen und Herren, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Es gibt nicht nur ein Holrecht für Bedürftige,
es gibt auch eine Bringschuld jedes Einzelnen gegenüber
der Gesellschaft wie gegenüber der Gemeinschaft.
({14})
Hartz-IV-Empfänger sind arbeitsfähig, und unser Sozialsystem ist subsidiär aufgebaut, insbesondere auf Hilfe
zur Selbsthilfe. Gerade deshalb nehmen wir mit dem
Haushalt 2013 diejenigen Menschen stärker in den
Blick, die in unserer Wirtschaft für geringe Löhne teilweise große Anstrengungen auf sich nehmen. Sie ernähren sich selbst ohne Staatshilfe und leisten auch noch einen Beitrag dazu, dass andere arbeitsfähige Menschen
ohne eigenes Zutun auch ihr Auskommen haben. Wir
müssen diese gesetzestreuen, fleißigen Menschen mehr
als bisher in den Blick nehmen; denn es gibt eine zunehmende Verärgerung über dreiste Beispiele des Missbrauchs staatlicher Leistungen.
Wir haben in den vergangenen Jahren den gesamten
Hartz-IV-Prozess optimiert. Das System Hartz IV gibt
jetzt endlich auch Langzeitarbeitslosen einen stärkeren
Anreiz und mehr Möglichkeiten, sich aus der Abhängigkeit von staatlichen Transfers zu befreien.
({15})
Wir wollen und können nicht hinnehmen, dass sich zu
viele Menschen dauerhaft darauf einrichten, Arbeitslosengeld II mit Minijob oder gar Schwarzarbeit zu kombinieren. Eines muss klar sein: Hartz IV ist kein garantiertes Grundeinkommen. Es ist eine Unterstützung für
Menschen, die Arbeit suchen.
({16})
Deshalb ist es nur richtig, dass die Sanktionsmöglichkeiten von der Bundesagentur für Arbeit ausgeschöpft und
Leistungen gekürzt werden, wenn zumutbare Arbeit
mutwillig abgelehnt wird oder vereinbarte Termine nicht
eingehalten werden. Unser Ziel lautet: Beschäftigung im
ersten Arbeitsmarkt und nicht Durchfüttern mit Sozialtransfers.
({17})
Wenn wir dauerhaft Akzeptanz für unseren Staat sichern wollen, dann müssen wir auch und gerade diejenigen in den Blick nehmen, die mit ihrer Arbeit unseren
Staat, insbesondere auch unseren Sozialstaat, tragen. Ob
Facharbeiter oder Angestellte, Selbstständige oder Freiberufler,
({18})
sie alle finanzieren mit ihren Steuern und Sozialabgaben
unseren Staat. Auch und gerade diese vielen gesetzestreuen Bürger, deren Verzicht unseren Staat am Leben
hält, haben ein Recht auf die Berücksichtigung ihrer Belange durch die Politik; denn unser jetziger Aufschwung
und unser Konsumniveau sind Ergebnisse ihrer Leistung. Bei aller Freude an der Umverteilung und bei aller
Hilfsbereitschaft darf Leistungsgerechtigkeit nicht zum
Fremdwort werden.
Meine Damen und Herren, mit der beispiellosen
finanziellen Entlastung der Kommunen haben wir die
einstige rot-grüne Politik korrigiert,
({19})
und kommunale Aufgaben und Finanzausstattung sind
wieder im Gleichgewicht. 3,9 Milliarden Euro erstatten
wir den Kommunen für die laufenden Nettoausgaben für
die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Durch die beschlossene dauerhafte Übernahme der
Nettoausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung
({20})
entlastet der Bund die Kommunen allein bis 2016 voraussichtlich um 20 Milliarden Euro.
({21})
Die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung
im Alter steht für einen Paradigmenwechsel in der Bundespolitik. Wir belasten die Kommunen nicht mit immer
neuen Aufgaben und Ausgaben, sondern wir stärken die
Städte, Gemeinden und Landkreise. Das ist die größte
Kommunalentlastung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({22})
Der vorgelegte Haushalt ist ein zukunftsgerichteter
Haushalt, der die Schwerpunkte für den Bereich der Arbeit und für die Fortentwicklung unseres Sozialstaats
ausgewogen abdeckt. Ich danke an dieser Stelle ganz
besonders unserer Hauptberichterstatterin Bettina
Hagedorn sowie den Kolleginnen Winterstein, Hinz und
Lötzsch und der Bundesregierung, namentlich Ministerin Dr. von der Leyen und Staatssekretär Fuchtel, für die
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
({23})
Ihnen allen danke ich für die Aufmerksamkeit.
({24})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist unsere Kollegin Frau Dr. Gesine
Lötzsch für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! „Sozial ist, was
Arbeit schafft“ - dieser Satz ist Programm für Kanzlerin
Merkel. Immer mehr Menschen spüren aber am eigenen
Leib, wie zynisch er sein kann. Über 1 Million Menschen in unserem Land müssen aufstocken. Das heißt,
sie können von ihrem geringen Lohn nicht leben und
müssen beim Jobcenter betteln.
({0})
Bei 350 000 vollzeitbeschäftigten Menschen reicht der
Lohn nicht für das tägliche Überleben. Das ist nicht sozial. Das verletzt die Würde jedes Einzelnen und steht
im Widerspruch zum Grundgesetz.
({1})
Allein im Jahr 2010 wurden 4 Milliarden Euro an Steuergeldern ausgegeben, um diese Hungerlöhne anzuheben.
Arbeitgeber von über 1 Million Menschen weigern sich,
gerechte Löhne zu zahlen, und die Bundesregierung unterstützt Lohndrücker und bestraft Unternehmen, die
ehrliche Löhne zahlen. Dagegen gibt es ein wirksames
Mittel, nämlich den gesetzlichen Mindestlohn. Den müssen wir hier im Bundestag endlich beschließen.
({2})
Wir Linke fordern einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn in Höhe von 10 Euro die Stunde. Bisher hat
Frau von der Leyen viel über Mindestlöhne gesprochen;
aber real subventioniert sie weiter Hungerlöhne. Das,
Frau von der Leyen, ist nicht Ihre Aufgabe.
({3})
Über 1 Million Menschen wurden von Juli 2011 bis
August 2012 vom Jobcenter mit Sanktionen abgestraft;
das spielte in dieser Debatte schon eine Rolle. Das ist ein
neuer Negativrekord. Aber zwei Drittel dieser Sanktionen beruhten auf Meldeversäumnissen. Das sind also
keine Missbrauchsfälle, wie hier immer suggeriert wird.
Die Missbrauchsfälle betragen laut dieser Statistik nur
3,2 Prozent. Es geht also nicht um Arbeitsverweigerung;
diese Menschen haben nur einen Termin nicht wahrgenommen. - Ich mache einen Vorschlag an alle, Herr Präsident: Es wäre doch nur gerecht, wenn auch das Gehalt
der Minister bei Meldeversäumnissen gesenkt würde.
Wer zum Beispiel einen Bericht an den Bundestag nicht
rechtzeitig vorlegt, dem wird das Gehalt um 20 Prozent
gekürzt.
({4})
Das wäre eine sehr wirksame Maßnahme, um die Autorität des Bundestages wieder zu stärken. Vielleicht besprechen Sie das einmal im Ältestenrat.
Die Bundesagentur für Arbeit besteht auf diesen
Sanktionen. Die Begründung lautet - ich zitiere -, es
solle „keine Hängematte auf Kosten des kleinen Arbeitnehmers geben“. Ich frage Sie: Warum dürfen Arbeitgeber auf Kosten von Arbeitnehmern Hungerlöhne zahlen?
Und warum liegt die Ministerin in der Hängematte und
schaut diesem Lohndumping zu? Das muss endlich ein
Ende haben.
({5})
Der aktuelle Konjunkturbericht der Deutschen Bank
ist mit folgendem Satz überschrieben: „Euro-Krise
bringt Wirtschaft im Winterhalbjahr zum Stillstand“.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre Freunde von der Deutschen Bank sagen das,
nicht nur die Linke. Da sollte man doch endlich Vorsorge
treffen. Sie fordern jeden Tag die Menschen auf, für das
Alter und Probleme vorzusorgen. Doch diese Regierung
ist unfähig, Vorsorge auch nur für das nächste halbe Jahr
zu treffen. Das ist doch ein Armutszeugnis.
({6})
Wir brauchen dringend einen Schutzschirm für Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslose und Familien. Erinnern
wir uns: In der Krise 2008 wurde die Regelung zur Kurzarbeit vereinfacht. Das brauchen wir jetzt wieder. Schützen Sie die heutigen und zukünftigen Rentnerinnen und
Rentner vor Altersarmut! Schon heute arbeiten immer
mehr über 70-Jährige, weil die Rente nicht zum Überleben reicht. Sollen sie etwa bis zum Tod malochen?
({7})
Das können wir nicht hinnehmen. Wir brauchen endlich
eine solidarische Mindestrente.
({8})
Doch was machen Sie in Ihrem Haushalt? Sie nehmen
der Bundesagentur für Arbeit Geld weg; Frau Hagedorn
ist schon darauf eingegangen. Sie schwächen im Angesicht der Krise die solidarische Arbeitslosenversicherung. Damit öffnen Sie das Tor für mehr und nicht für
weniger Altersarmut, und das ist absolut verantwortungslos.
({9})
Erinnern wir uns: Die Mehrwertsteuererhöhung aus dem
Jahr 2005 war eine Wahllüge der Großen Koalition aus
CDU/CSU und SPD. Um sie den Menschen einigermaßen schmackhaft zu machen, wurde versprochen, die
Einnahmen aus einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer
in die Arbeitslosenversicherung zu geben. Doch jetzt
fließen diese Steuergelder nicht mehr in die Arbeitslosenversicherung, sondern versickern irgendwo im Haushalt. Das, meine Damen und Herren, ist eindeutig eine
Zweckentfremdung von Steuermitteln. Das dürfen wir
nicht hinnehmen.
({10})
Die Linke fordert: Es muss weiter ein Zuschuss an die
Bundesagentur für Arbeit gezahlt werden. Alles andere
ist grob fahrlässig.
Zum Schluss möchte ich auf etwas hinweisen, das augenscheinlich in Vergessenheit geraten soll. Das größte
Kürzungspaket in der Geschichte der Bundesregierung
wurde im Jahr 2010 beschlossen. Alle Sozialkürzungen
wurden eins zu eins umgesetzt: Sie haben das Elterngeld
für Arbeitslosengeld-II-Empfänger abgeschafft.
({11})
Sie haben den Heizkostenzuschlag gestrichen. Sie haben
den befristeten Zuschlag auf das Arbeitslosengeld II und
den Zuschuss an die Rentenversicherung gestrichen. Alles das haben Sie umgesetzt. Die vorgesehene Beteiligung der Unternehmen, insbesondere der Finanzindustrie, ist teilweise oder ganz ausgefallen. Das zeigt, dass
für diese Regierung soziale Gerechtigkeit nichts anderes
als ein Fremdwort ist.
({12})
Fazit: Kein Mitglied dieses Hauses, das sich ehrlich
für soziale Gerechtigkeit einsetzt und seinen Wählerinnen und Wählern zu Hause in die Augen schauen können
will, kann diesem Haushalt zustimmen. Wir Linke lehnen ihn ab.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin für
die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Frau
Dr. Claudia Winterstein. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Winterstein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich muss zu Beginn erst einmal etwas richtigstellen. Bettina Hagedorn, das waren eben lauter reißerische Schlagwörter: sozialpolitischer Kahlschlag, Bankraub, Skandal.
({0})
Alles Unsinn!
({1})
Sie reden hier von einem Griff in die Sozialkassen.
({2})
Sie unterstellen also, es würden Beitragsgelder zweckentfremdet. Das trifft nicht zu.
Bei der Rentenversicherung werden die Beiträge gesenkt. Das nützt den Arbeitnehmern wie auch den Arbeitgebern.
({3})
Nach wie vor fließen über 80 Milliarden Euro aus Steuermitteln als Zuschuss in die Rentenversicherung. Wenn
aber die Kassen übervoll sind wie zurzeit, dann ist es nur
recht und billig, diesen Zuschuss aus Steuermitteln etwas
zurückzuführen. Das tun wir hier bei der Rentenversicherung, und zwar lediglich in einer Höhe von 750 Millionen
Euro.
({4})
Das sind die Fakten. Nehmen Sie sie bitte zur Kenntnis!
({5})
Nun zurück zum Haushalt. Nach all dem Lamentieren
der Opposition möchte ich erst einmal festhalten: Wir
haben wirklich ausgesprochen erfolgreiche Haushaltsplanberatungen hinter uns. Die Gesamtausgaben 2013
liegen niedriger als zu Beginn der Legislaturperiode.
Das ist Ausgabendisziplin. Die Neuverschuldung für
2013 ist auf dem niedrigsten Stand dieser Legislaturperiode. Sie liegt nicht bei 86,1 Milliarden Euro, wie zuletzt bei Peer Steinbrück für das Jahr 2010 vorgesehen,
sondern bei 17,1 Milliarden Euro. Das ist Konsolidierung, meine Damen und Herren.
({6})
Das Volumen des Einzelplans 11 wurde im Laufe der
Beratungen gegenüber dem Entwurf um etwa eine halbe
Milliarde Euro erhöht. Die Ursache dafür ist eine zusätzliche Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung
im Alter in Höhe von 555 Millionen Euro. Insgesamt
werden die Kommunen im kommenden Jahr allein in
diesem Bereich um 3,2 Milliarden Euro entlastet. Auch
das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
({7})
Der Einzelplan 11 liegt mit seinen Gesamtausgaben
jetzt bei 119,2 Milliarden Euro. Das sind 6,9 Milliarden
Euro weniger als im Haushaltsplan 2012,
({8})
hat aber überhaupt nichts mit Kahlschlag zu tun. Zu verdanken ist das vor allem der guten Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt. Das ist gut für die Menschen, und das ist
natürlich auch gut für den Bundeshaushalt.
Nehmen Sie doch einfach einmal die positiven Zahlen
zur Kenntnis, Frau Hagedorn! Wir haben mit 41,8 Millionen so viele Erwerbstätige wie noch nie.
({9})
Wir haben mit 29,1 Millionen so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie. Wir haben mit
2,7 Millionen Arbeitslosen den niedrigsten Stand seit
20 Jahren.
({10})
Zugleich haben wir so wenig Hartz-IV-Empfänger wie
noch nie. Die aktuellen Zahlen zeigen also: Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor in einer robusten Verfassung.
({11})
Im Übrigen sorgen wir mit der Senkung des Rentenbeitragssatzes von 19,6 auf 18,9 Prozent und damit der
Senkung der Lohnnebenkosten gerade für einen weiteren
positiven Impuls für den Arbeitsmarkt. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, schlagen vor, mehr
Geld für Arbeitsmarktprogramme auszugeben - und das
gleich in Milliardenhöhe.
({12})
Die SPD will 1,6 Milliarden Euro ausgeben, die Linke
2,7 Milliarden Euro und die Grünen 330 Millionen Euro.
Wir dagegen setzen unser Sparpaket konsequent um und
führen die Mittel auf circa 8 Milliarden Euro zurück,
also auf das Niveau von 2006.
Das ist für die Betroffenen keine Kürzung; denn heute
gibt es - das ist sehr erfreulich - deutlich weniger Arbeitslose im SGB-II-Bezug, nämlich 1,9 Millionen Menschen, als im Jahr 2006, da waren es nämlich 2,8 Millionen Menschen. Wenn wir für diesen Personenkreis nun
aber die gleiche Summe an Fördermitteln zur Verfügung
stellen wie 2006, dann ist das logischerweise ein deutlicher Pro-Kopf-Anstieg. Das müsste uns Haushältern
doch klar sein. Das Lamento der Opposition ist hier also
völlig unverständlich.
({13})
Im Bereich der Rentenversicherung haben wir zwei
Elemente, die sich auf den Bundeshaushalt auswirken:
Zum einen senken wir den Bundeszuschuss an die Rentenversicherung für die Jahre 2013 bis 2015 vorübergehend ab. Das ist ein gezielter Konsolidierungsbeitrag
von 750 Millionen Euro - das wurde schon gesagt - in
2013. Wenn die Kassen überquellend voll sind, dann ist
es zulässig, diesen Zuschuss aus den Steuermitteln entsprechend zurückzufahren. Zum anderen wirkt sich positiv aus, dass der Rentenversicherungsbeitragssatz sinkt;
denn damit haben wir auch beim Bundeszuschuss eine
Einsparung.
Frau Hagedorn, dass Sie sich gegen die Entlastung
der Beitragszahler wenden und das als Griff in die Sozialkassen diskreditieren, kann wirklich keiner verstehen.
({14})
Wenn wir den Beitragssatz jetzt nämlich nicht gesenkt
hätten, käme es bei der Rentenversicherung bis 2020 zu
einer Rücklage von 82 Milliarden Euro. Dieses Geld
wollen Sie den Beitragszahlern vorenthalten? Nein,
meine Damen und Herren, das Geld ist bei den Beitragszahlern besser aufgehoben.
({15})
Bei der Bundesagentur für Arbeit liegen nach der
Herbstprognose jetzt neue Haushaltszahlen vor. Das Jahr
2012 wird die BA voraussichtlich mit einem Überschuss
von 2,2 Milliarden Euro abschließen. Das ist ein gutes
Ergebnis, das auch die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt
zeigt.
({16})
Im kommenden Jahr wird nun auch endlich eine alte
Forderung der FDP umgesetzt. Sie haben es schon angesprochen. Wir entflechten die Finanzbeziehungen zwischen Bundeshaushalt und Bundesagentur. Ab 2013 erhält die Bundesagentur vom Bund keine laufenden
Zahlungen mehr - das ist der Mehrwertsteuerpunkt -;
({17})
im Gegenzug muss die BA auch nichts mehr an den
Bund zahlen. Das ist der Eingliederungsbeitrag.
({18})
Sie haben recht: Im nächsten Jahr entsteht ein Defizit
von 1,14 Milliarden Euro. Das weiß ich sehr wohl. Das
ändert sich aber sofort in den Jahren darauf. Insofern
werden wir bis zum Jahr 2017 wieder eine Rücklage von
6,2 Milliarden Euro zu verzeichnen haben. Auch das
müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({19})
Die Vorschläge von SPD und Grünen hingegen laufen
fast ausschließlich auf Steuererhöhungen hinaus. Damit
wollen Sie Mehrausgaben finanzieren. 6 Milliarden Euro
Mehrausgaben haben die Grünen in den Haushaltsberatungen gefordert; 7 Milliarden Euro Mehrausgaben sind
es bei der SPD. Das kann sich Deutschland nicht leisten.
Diese Regierung geht einen soliden Weg. Wir schaffen es bereits 2013, die Schuldenbremse einzuhalten,
und damit drei Jahre früher als notwendig.
({20})
Unser Ziel ist ein strukturell ausgeglichener Haushalt im
Jahr 2014.
({21})
Mit diesem Haushalt sind wir auf einem sehr guten Weg.
Danke.
({22})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Brigitte Pothmer. Bitte
schön, Frau Kollegin Brigitte Pothmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin von der Leyen, Sie sind in diesem
Monat seit drei Jahren Arbeits- und Sozialministerin.
({0})
Ich hätte Ihnen, quasi von Niedersächsin zu Niedersächsin, gerne einen großen Blumenstrauß überreicht. Ich
habe mir dann aber Ihre Bilanz noch einmal genau angeguckt und beschlossen, den Strauß doch lieber selber zu
behalten.
({1})
Dabei fehlt es Ihnen wahrlich nicht an Talent, zumindest was die Präsenz in den Medien angeht. Der Mangel
zeigt sich woanders: Der Mangel zeigt sich bei der Empathie für die Schwächsten in dieser Gesellschaft. Es
fehlt dieser Regierung ein Gerechtigkeits-Gen.
({2})
Soziales rangiert bei Schwarz-Gelb auf der Resterampe. Das kann man anhand dieses Haushaltsentwurfs deutlich nachempfinden. Kein Etat wurde in Ihrer
Zeit so geschröpft wie der Etat des Sozial- und Arbeitsministeriums. Gemeinsam mit Herrn Schäuble haben
Sie, Frau von der Leyen, die Axt an die Arbeitsförderung
gelegt.
({3})
In Ihrer Amtszeit wurden die Mittel hierfür um
40 Prozent reduziert. Die Arbeitslosigkeit ist aber im
SGB-II-Bereich nur um 10 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeit ist nur um 1 Prozent zurückgegangen.
Nein, Frau Ministerin, die Langzeitarbeitslosen sind die
großen Verlierer Ihrer Arbeitsmarktpolitik.
({4})
Für sie waren Schwarz-Gelb drei verlorene Jahre.
Aber auch die prekäre Beschäftigung hat sich in Ihrer
Amtszeit deutlich ausgeweitet. Fast 8 Millionen Niedriglöhner, fast 5 Millionen Minijobberinnen, Hunderttausende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter - für diese
Menschen gilt: Armut trotz Arbeit im Hier und Jetzt und
Altersarmut für die Zukunft. Diesen Menschen, die ein
Leben lang fleißig gearbeitet haben - um das einmal mit
Ihren Worten zu sagen, Frau von der Leyen -, treten Sie
mit einem regelrechten Betrugsmanöver entgegen.
({5})
Sie versprechen diesen Menschen eine Lebensleistungsrente. Sie versprechen sie denen, denen Sie den gesetzlichen Mindestlohn verweigern,
({6})
Sie versprechen sie denen, denen Sie Equal Pay vorenthalten, und Sie versprechen sie denen, die Sie selber
durch die Ausweitung von Minijobs ins berufliche Abseits gedrängt haben.
({7})
All diesen fleißigen Leuten versprechen Sie nach 40 Jahren Arbeit, am Ende ihrer prekären Erwerbsbiografie,
10 Euro zusätzlich zur Grundsicherung im Alter. Meine
Damen und Herren, das ist zynisch; das ist mehr als zynisch.
({8})
Sie wissen genauso gut wie ich: Entscheidend ist, was
vor der Rente kommt. Wir brauchen einen gesetzlichen
Mindestlohn, wir brauchen Equal Pay, wir brauchen eine
Reform der Minijobs, und wir brauchen endlich gleichen
Lohn für gleichwertige Arbeit.
({9})
Das wäre im Übrigen auch ein Instrument zur Armutsbekämpfung. Der Armuts- und Reichtumsbericht
hat in aller Deutlichkeit gezeigt, in welchem Ausmaß die
soziale Spaltung in dieser Gesellschaft zugenommen hat.
Es ist nicht nur eine Spaltung entlang der Einkommensgrenzen - das auch -, sondern es geht um eine völlig
neue Qualität von Armut, um eine Armut, die sich geradezu vererbt.
Sie, Frau von der Leyen, nehmen für sich in Anspruch, dass Sie mit dem Bildungs- und Teilhabepaket
dieser kulturellen Armut begegnen wollen. Ich will an
dieser Stelle gar nicht darüber reden, dass das Bildungsund Teilhabepaket ein bürokratisches Monster ist, das
bei den meisten Kindern nicht ankommt.
({10})
Ich rede vom Inhalt dieses Bildungs- und Teilhabepakets. Ich rede zum Beispiel vom Nachhilfeunterricht.
Ich war letzte Woche in meinem Wahlkreis unterwegs
und habe eine Kinderbetreuungseinrichtung besucht, die
in einem sozialen Brennpunkt liegt. Die Mitarbeiterinnen dieser Einrichtung engagieren sich in hohem Umfang dafür, mit Nachhilfeunterricht den Kindern neue
Chancen zu eröffnen. Wissen Sie, Frau von der Leyen,
was das Drama ist? Wenn diese Kinder sich mühselig
von einer Fünf auf eine Vier hochgearbeitet haben, dann
wird ihnen der Nachhilfeunterricht gestrichen. So belohBrigitte Pothmer
nen Sie die Anstrengung dieser Kinder: Dann ist diese
Unterstützung weg.
({11})
Mit diesem Bildungs- und Teilhabepaket verhindern Sie
vielleicht das Sitzenbleiben; den sozialen Aufstieg ermöglichen Sie damit mit Sicherheit nicht.
({12})
Frau von der Leyen, zu Ihrem Jubiläum wird es keine
Lobeshymnen geben. Auch die Medien reagieren inzwischen ziemlich sparsam. Als Staatsschauspielerin wurden Sie neulich im Spiegel beschrieben.
({13})
Drei Rollen wurden Ihnen zugeordnet: die Powerfrau,
die Supermutti und die Barmherzige. Alle drei Rollen
hatten Sie gut einstudiert, aber das ist alles nur Theater.
Ihr Krippenprogramm kam nicht in Gang, Ihre Bildungsgutscheine sind ein bürokratisches Monster, und Ihre Zuschussrente ist ein falsches Versprechen. Sie dürfen sich
wirklich nicht beschweren, dass dafür keine roten Rosen
regnen.
Ich danke Ihnen.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist Frau Bundesministerin
Dr. Ursula von der Leyen. Bitte schön, Frau Bundesministerin.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Dann fangen wir einmal an mit der
Bilanz, die Sie, Frau Pothmer, gerade eingefordert
haben. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann:
({0})
Wir haben in Deutschland so viel Beschäftigung wie
noch nie. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit seit
der Wiedervereinigung. Wir haben die niedrigste
Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dafür werden wir
international hoch anerkannt.
({1})
Das sind nachhaltige Entwicklungen.
Wir haben seit 2005 einen Rekord bei den Erwerbstätigen. Wir haben einen Rekord bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Übrigens, der Anteil der
erwerbstätigen über 55-Jährigen ist auf 60 Prozent gestiegen, der Anteil der erwerbstätigen über 60-Jährigen
ist auf 44 Prozent gestiegen. Wir haben damit in Europa
Platz zwei hinter Schweden. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht, Frau Pothmer.
({2})
Wir haben die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen
halbiert. Wir haben die Zahl der Langzeitarbeitslosen gesenkt,
({3})
und zwar um 40 Prozent seit 2007.
Meine Damen und Herren, das sind die Fakten in dem
Land, in dem Angela Merkel seit sieben Jahren Kanzlerin ist. Darauf sind wir stolz.
({4})
Wir haben übrigens auch in der Grundsicherung nachhaltige, langfristige Erfolgszahlen. Die Hilfequote ist
heute so niedrig wie noch nie seit Einführung von
Hartz IV; das muss man der Opposition einmal sagen.
Wir haben die Hilfequote gesenkt.
({5})
Wir haben rund 450 000 Bedarfsgemeinschaften in
Hartz IV weniger als 2007. Wir haben rund eine Viertelmillion Kinder weniger in Hartz IV, und das ist etwas,
worüber wir uns freuen, meine Damen und Herren. Das
ist der richtige Weg.
({6})
Wir haben 900 000 Menschen aus der Grundsicherung
herausgeholt und ihnen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht.
Das zeigt, dass wir es mit Fordern und Fördern ernst
meinen, dass wir den Menschen wirklich eine Chance
auf dem ersten Arbeitsmarkt geben, dass wir mehr
Arbeitsangebote machen können. Wir haben inzwischen
einen besseren Betreuungsschlüssel in den Jobcentern.
Die Arbeitsmarktdaten sind der beste Beweis dafür, dass
unsere Politik stimmig ist.
({7})
Es sind die Reformen der letzten Jahre, die sich als
richtig erwiesen haben.
({8})
Es sind die Arbeitsmarktreformen vom Anfang des letzten Jahrzehnts, von denen Sie sich gerade förmlich im
Schweinsgalopp verabschieden.
({9})
- Ich werde Ihnen das gleich noch zeigen. - Es ist im
Übrigen die Jobcenterreform, die Sie nicht geschafft
haben.
({10})
Wir haben diese Reform zum Abschluss gebracht. Heute
stehen die Jobcenter deshalb hervorragend da.
({11})
Wir haben die Zeitarbeit als flexibles Instrument
erhalten, aber wir haben sie reguliert. Das war nötig,
Stichworte „Drehtürklausel“ und „Mindestlohn“.
({12})
Das heißt, wir haben die schlechten Anteile des rot-grünen Gesetzes korrigiert. Das war nötig.
Wir haben in der Tat das SGB II reformiert und das
Bildungspaket eingeführt. Ich freue mich, dass Sie mehr
davon fordern, Frau Pothmer. Es ist der richtige Weg,
den wir gegangen sind. Wir haben den Übergang von
Schule in den Beruf neu geordnet. Es spricht Bände, dass
sich Europa in diesen Tagen genau nach diesen Erfolgsrezepten ausrichtet, aber die Opposition sich davon verabschiedet und eine Rolle rückwärts macht.
({13})
Wir stehen zu diesem Erfolgspfad. Wir stehen zu den
Arbeitsmarktreformen, und wir stehen auch zu der
schrittweisen Einführung von Arbeit bis 67.
Wir haben uns einmal angeschaut, was Sie auf den
letzten Parteitagen bzw. die SPD in ihrem Rentenpapier
beschlossen haben.
({14})
- Der Parteitag kommt noch! - Die Grünen haben auf ihrem Parteitag beschlossen, den Regelsatz auf 420 Euro
zu erhöhen.
({15})
Das betrifft Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, steuerlichen
Grundfreibetrag. Meine Damen und Herren, die Grünen
haben beschlossen: auf einen Schlag 8 Milliarden Euro
Kosten mehr
({16})
und auf einen Schlag 1,5 Millionen Menschen in
Hartz IV mehr.
({17})
Das müssen Sie nicht nur denen erklären, die Sie jetzt
neuerdings zu Bedürftigen machen,
({18})
sondern auch den Menschen, die jeden Tag aufstehen
und fleißig dafür arbeiten, dass dieses Geld dann auch in
der Kasse klingelt.
({19})
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Kollege Markus Kurth, bitte.
({0})
Das haben wir gerade gemacht. Unsere Bilanz haben
wir gerade dargestellt. Soll ich sie Ihnen noch einmal
darstellen?
Jetzt stellt der Kollege Markus Kurth seine Zwischenfrage.
Danke, Herr Präsident. - Frau von der Leyen, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil im Februar 2010 klar gesagt hat, dass das soziokulturelle Existenzminimum dem
Grunde nach unverfügbar ist, und dass es klare Kriterien
festgelegt hat, nach denen ein Regelsatz zu berechnen
ist?
({0})
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie in Ihren Berechnungen weder die verdeckte Armut ausgeschlossen
haben noch zum Beispiel Mittel, die für die Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen notwendig sind, in
den Regelsatz einbezogen haben? Sind Sie bereit, nachzuvollziehen, dass man, wenn man diese Bestandteile
einberechnet, auf diese rund 420 Euro kommt?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir auf
unserem Bundesparteitag ein Steuerkonzept beschlossen haben, in dem die Erhöhung des Grundfreibetrages,
die den geringen Einkommen zugutekommt, durch eine
Erhöhung des Spitzensteuersatzes gegenfinanziert ist?
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns nach den Angaben Ihres eigenen Hauses im Bereich der Transferzahlungen direkt zu
einer Entlastung von 1,5 Milliarden Euro führt
({1})
und das dann sowohl verfassungsrechtlich und menschenrechtlich geboten als auch zusätzlich gut gegenfinanziert ist?
({2})
Das war also eine Frage. Bitte schön, Frau Ministerin.
Das war ein ausführliches Statement. - Da Sie das
Bundesverfassungsgericht bemüht haben, bitte ich Sie,
Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:
Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz explizit auf unser gutes Gesetz Bezug genommen und damit indirekt
bestätigt, dass diese Rechnungen richtig sind.
({0})
Zweitens. Kommen wir zum Rentenpapier der SPD.
Wir stellen fest, dass die SPD in ihrem Rentenpapier die
Rentenpolitik von Schröder und Müntefering rückabgewickelt hat.
({1})
- Es war die Frage von Herrn Kurth nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil und danach, ob wir zur Kenntnis nehmen, dass seine Ausführungen richtig seien.
({2})
Nein. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regelsätzen, nach denen Sie gefragt haben,
({3})
richtig sind, so wie wir sie berechnet haben. Ich kann
aber gerne, Herr Präsident, diesen Satz noch dreimal
wiederholen, falls Herr Kurth es nicht versteht. - Danke.
Jetzt zu den Rentenplänen der SPD. Ich merke, wenn
Sie versuchen, immer wieder auf Herrn Kurth abzulenken, dann, weil Sie Angst davor haben, dass wir Ihnen
jetzt sagen, was in Ihren Papieren steht.
({4})
In Ihren Papieren steht nämlich - ich finde das ganz
spannend -: Erstens. Alles, was Schröder und
Müntefering in der Rentenpolitik gemacht haben, wird
wieder rückabgewickelt.
({5})
Der Gedanke von Generationengerechtigkeit - nicht
drin! Beitragszahler werden massiv belastet. Ich zähle es
Ihnen einmal auf: Erwerbsminderungsrente, Teilrente,
abschlagsfreier Zugang, Aussetzung der Rente mit 67,
Anhebung des Sicherungsniveaus, Solidarrente. Kostenpunkt 2030: 90 Milliarden Euro.
({6})
Wie verträgt sich das eigentlich mit der Beinfreiheit des
Kandidaten, meine Damen und Herren? Diese Frage
stellen wir uns gemeinsam.
({7})
Für uns bleibt nach wie vor nicht das Ziel, mehr Menschen in Hartz IV zu bringen, nicht das Ziel, die junge
Generation mehr zu belasten, wie es offensichtlich Ihre
Ziele sind.
({8})
Unsere Ziele bleiben, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen und Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu
bringen.
({9})
Deshalb stehen 8 Milliarden Euro für Eingliederung und
Verwaltung bereit. Das sind pro Arbeitslosen genauso
viel Mittel wie vor der Wirtschafts- und Finanzkrise in
2008 und deutlich mehr, als es 2006 der Fall war. Wir
setzen die Akzente auf Bildung, auf Ausbildung und
Weiterbildung. Der Eingliederungstitel der Bundesagentur für Arbeit bleibt nicht nur stabil. Er wächst. 2013 stehen 800 Millionen Euro mehr zur Verfügung, als das voraussichtliche Ist für 2012 - also das, was tatsächlich
gebraucht wird - beträgt.
({10})
Frau Hagedorn, Sie haben die Bundesagentur für Arbeit als Zitrone bezeichnet.
({11})
Nein, die Bundesagentur für Arbeit ist keine Zitrone,
und die Unkenrufe aus dem Frühjahr,
({12})
als Sie uns sagten, welche Defizite entstehen würden,
haben sich nicht bestätigt.
({13})
Die BA braucht keine Zuschüsse. Sie hat 2,1 Milliarden
Euro Überschuss. Das ist der richtige Weg. Sie geht sogar selbst davon aus, dass wir 2017 wieder 6 Milliarden
Euro Rücklage in der BA aufgebaut haben.
Ich möchte noch einmal zur Rente Stellung nehmen,
was unsere eigenen Pläne angeht. Das Rentensystem ist
gut aufgestellt. Wir sind der Meinung, dass wir mit der
gesetzlichen und der privaten oder betrieblichen Absi25404
cherung das Risiko auf zwei Beine verteilt haben, aber
auch die Chancen auf zwei Beine verteilt haben. Dafür
werden wir weltweit gelobt. Wenn das Rentenniveau
zum Schutz der jungen Erwerbstätigen sinkt, dann ist
unsere Antwort nicht, dass wir das gesamte Niveau wieder erhöhen nach dem Motto: Vor allem die hohen und
mittleren Renten bekommen etwas, aber - nach uns die
Sintflut! - die Jungen können das bezahlen.
({14})
Wir wollen gezielt für die Geringverdiener etwas tun.
Wer jahrzehntelang in den Generationenvertrag eingezahlt hat, ihn durch Beiträge oder Kindererziehung
sichert, und wer privat oder betrieblich vorsorgt - wir
halten beide Formen der Vorsorge für richtig -, muss im
Alter eine Rente aus dem Rentensystem erhalten.
({15})
Deshalb führen wir die Lebensleistungsrente ein, meine
Damen und Herren.
({16})
Wir werden die Höhe der Entgeltpunkte festlegen.
Das ist im Rentensystem üblich. Die Niedrigrenten werden durch Steuermittel aufgewertet.
({17})
Dabei wird die private und betriebliche Vorsorge nicht
verrechnet. Wir wollen nicht, dass Bezieher von Niedrigrenten umsonst in die private oder die betriebliche
Vorsorge eingezahlt haben,
({18})
sondern wir wollen einen Anreiz für sie schaffen, sozialversicherungspflichtig zu arbeiten. Außerdem wollen
wir einen Anreiz für sie schaffen, private und betriebliche Vorsorge zu betreiben.
Nach unserer Vorstellung muss nach wie vor gelten:
Es muss einen Unterschied machen, ob man sich anstrengt oder nicht.
({19})
Das gilt für den Arbeitsmarkt genauso wie für die Rente,
meine Damen und Herren. Deshalb ist dieser Haushalt
gut aufgestellt.
Vielen Dank.
({20})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte
schön, Kollege Hubertus Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Ministerin von der Leyen, bei
Ihrer Rede habe ich mich erinnert an ein großartiges
Buch von George Orwell aus dem Jahr 1948. Das Buch
heißt: Big Brother is watching you.
({0})
- 1984. Entschuldigung. Das Buch heißt: 1984. Danke
für die Hilfe! Literarisch bewanderte Kollegen!
({1})
- Hören Sie kurz zu!
1984 ist ein wunderbares Buch. In diesem Buch gibt
es eine Regierung, die eine Sprache erfindet, die immer
das Gegenteil dessen zum Ausdruck bringt, was gemeint
ist. Diese Sprache heißt „Neusprech“.
Übertragen wir das einmal auf Ihre Rede und gehen
die einzelnen Begriffe durch, die Sie in den Raum geworfen haben. Sie sind eine Meisterin darin, Begriffe zu
erfinden. Sie haben einen ganzen Sommer lang den
Begriff der Bildungschipkarte in Interviews verbreitet.
Damit haben Sie die Erwartungshaltung geweckt - ich
stelle es einmal überspitzt dar -, dass Kinder von HartzIV-Empfängern demnächst alle Reitunterricht und
Geigenunterricht bekommen. Herausgekommen ist ein
Bildungspaket, das wir zwar verbessern konnten, das
aber in der Abwicklung ein bürokratisches Problem ist.
({2})
Auch da: viel Wortgeklingel, wenig Substanz.
Wir haben erlebt, dass Sie beim Thema Mindestlohn
mit dem Begriff der Lohnuntergrenze operieren.
({3})
Herausgekommen ist dabei nichts.
({4})
Meine Damen und Herren, Frau von der Leyen ist
eine Anscheinserweckerin. Sie tut so, als ob. Aber Tatsache ist: Diese Regierung hat es nicht hinbekommen, Sie
persönlich haben es nicht hinbekommen, das zu tun, was
notwendig ist, nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn
in Deutschland durchzusetzen, damit Menschen, die hart
arbeiten, von ihrer Arbeit leben können. Schweigen Sie
lieber von Ihrer Lohnuntergrenze und handeln Sie!
({5})
Bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung“
sind Sie bei Appellen offensichtlich auf der richtigen
Seite. Durchgesetzt haben Sie aber nichts. Auch wieder
nur Wortgeklingel! Ihre Kollegin Frau Schröder hat dann
einen neuen schönen Klingelbegriff erfunden, die sogenannte Flexi-Quote.
({6})
Hubertus Heil ({7})
Das setzt sich fort mit dem Wortgeklingel „ Zuschussrente“, die Sie jetzt umgetauft haben in „Lebensleistungsrente“. An dieser Stelle hört der Spaß auf, Frau
Ministerin. Wer Menschen, die hart arbeiten, so verhöhnt, wie Sie das mit diesem Unsinn tun, der sollte bei
diesem Thema schweigen. Eine Bundesministerin für
Arbeit und Soziales, die sich über Altersarmut und über
Ängste von Menschen vor Altersarmut verbreitet, aber
bei den Themen „Erwerbsarmut“ und „Kampf gegen
prekäre Arbeit“ schweigt, hat ihren Job verfehlt, meine
Damen und Herren.
({8})
Ich sage Ihnen das, weil Frau Pothmer vollkommen
recht hat: Altersarmut ist das Ergebnis von Erwerbsarmut, von Langzeitarbeitslosigkeit, von prekärer Arbeit
und von schlechter Entlohnung. Die Frage, ob wir im
Jahr 2025 oder 2030 die Altersarmut abwenden können,
die die Menschen heute fürchten, hängt mit der Frage
zusammen, welche Ordnung wir am Arbeitsmarkt
haben, ob wir dafür sorgen, dass Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse hineinkommen
und dass sie von ihrer Arbeit leben können, dass das
Arbeitsvolumen von Frauen durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigt und sie nicht in
Teilzeitfallen gefangen sind. Es kommt darauf an, dass
wir den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit nicht mit
einem Wortgeklingel abtun, wie Sie es vorhin getan
haben, sondern durch den Grundsatz „gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ abwenden, dass wir gegen den Missbrauch von Werkverträgen angehen und dass wir den
Unsinn der Minijobs nicht ausweiten, sondern den Missbrauch von Minijobs in diesem Land zurückdrängen,
meine Damen und Herren. Das sind die Aufgaben.
({9})
Frau von der Leyen, die Sprache bei George Orwell
heißt „Neusprech“. Sie sind eine Meisterin des „Neusprechs“. Sie erfinden neue Begriffe. Ihre Aufgabe ist es
aber nicht, als stellvertretende Parteivorsitzende der
CDU das Spiel - wie nennen Sie das in Ihrer Partei? der asymmetrischen Demobilisierung anderer Parteien
durch Wortgeklingel zu spielen. Es ist nicht Ihre
Aufgabe, lediglich Begriffe zu besetzen, sondern Ihre
Aufgabe ist es, als Ministerin für Arbeit und Soziales die
Verhältnisse der Menschen in diesem Land substanziell
zu verbessern.
Was haben Sie aber in den vergangenen drei Jahren in
Ihrem Amt getan, nachdem Sie dieses ziemlich plötzlich
von Herrn Jung geerbt haben? Drei Jahre lang gab es
eine gute konjunkturelle Entwicklung, auf der Sie sich
ausgeruht haben!
({10})
Sie haben aber als Arbeitsministerin keine Vorsorge für
konjunkturell schlechtere Zeiten getroffen. Nach drei
Jahren guter konjunktureller Entwicklung in der Abschlussbilanz des kommenden Jahres, wenn Sie das Amt
verlassen werden, Frau von der Leyen, ein Loch von
1,6 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit zu
hinterlassen - das hinzubekommen, ist schon eine richtig
dolle Leistung!
({11})
Zu vielen Themen haben Sie hier nichts gesagt, zum
Beispiel zur Frage: Welche Vorsorgemaßnahmen treffen
wir eigentlich am Arbeitsmarkt, wenn sich die Konjunktur durch die Krise in Europa verschlechtert? Wir haben
Ihnen vorgeschlagen, nachdem Sie die Fristen für Kurzarbeit verkürzt haben, die früheren Regelungen wieder
einzuführen, ins Gesetz zu schreiben bzw. per Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Das haben Sie beim letzten Mal noch abgelehnt. Inzwischen habe ich erlebt, dass
Sie eine solche Überlegung im Stil von Copy and Paste
in einem Interview wieder als prüfenswert ausgegeben
haben.
({12})
Ihr Minister Rösler findet das ganz blöd. Inzwischen
geht Zeit ins Land, die dringend für Vorsorge am Arbeitsmarkt genutzt werden müsste.
Frau von der Leyen, ich kann es Ihnen nicht ersparen:
Sie sind eine Ministerin, für die Interviews wichtiger
sind als Initiativen,
({13})
eine Ministerin, die auf Show setzt und nicht auf
Substanz,
({14})
eine Ministerin, die mithilfe des großen Apparats für Öffentlichkeitsarbeit im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales eine wunderbare Fassade entwickelt hat. Sie
sind sehr begabt, sich in den Medien, in Talkshows
selbst zu inszenieren. In diesem Land brauchen wir jedoch eine Politik, die sich am Arbeitsmarkt orientiert,
und eine vernünftige Sozialpolitik, in der nicht die
Selbstinszenierung der Ministerin im Vordergrund steht,
sondern die Lebenslagen von Menschen. Der soziale
Aufstieg in diesem Land, der soziale Zusammenhalt sind
viel zu wichtig, als dass man diesen Bereich weiterhin
Staatsschauspielern überlassen darf.
Herzlichen Dank.
({15})
Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer
Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Hubertus Heil! Ich gehöre nun auch schon einige
Jahre diesem Hause an, und mich besorgt wirklich, dass
wir in letzter Zeit bei den Debatten hier den Trend erle25406
ben, dass kein Vergleich zu billig ist und überdies die
Hemmschwellen fallen.
({0})
Man kann die Regierung sicherlich hart attackieren.
Das kann man tun. Ich finde es aber unerträglich, wenn
diese Bundesregierung oder ein Mitglied dieser Bundesregierung in Bezug zu George Orwells 1984 gesetzt
wird.
({1})
Wir sind keine Regierung im Sinne von „Big Brother“
oder „Big Sister“, sondern wir sind eine Regierung, die
sehr darauf achtet, dass die Unverletzlichkeit der Privatsphäre der Menschen in diesem Lande gewährleistet ist.
Das will ich zu Beginn erst einmal feststellen.
({2})
Weiterhin haben Sie sich nach unserer Sprache erkundigt. Wir sprechen eine klare Sprache.
({3})
Ich will es Ihnen für die FDP-Bundestagsfraktion sehr
deutlich sagen: Für uns ist Haushaltskonsolidierung ein
hohes Ziel,
({4})
und das insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir derzeit in Europa mit der Schuldenkrise
machen müssen. Wir arbeiten wirklich hart an dieser
Aufgabe, Frau Hagedorn. Wir betreiben nicht eine „angebliche Haushaltskonsolidierung“, wie der Kollege
Brandner uns heute Morgen vorzuwerfen meinte, sondern eine Haushaltskonsolidierung mit echten Zahlen.
Ich will Ihnen noch einmal in Erinnerung führen: Als
wir den Haushalt übernommen haben - Sie haben die
Zahlen doch selbst genannt -,
({5})
2010, da gab es im Einzelplan 11, Arbeit und Soziales,
ein Soll von 143,2 Milliarden Euro.
({6})
Dieses Soll ist jetzt bis 2012 auf 119,2 Milliarden Euro
zurückgeführt worden.
({7})
Und dennoch - das will ich Ihnen ganz deutlich sagen machen wir mit weniger Geld die bessere Sozialpolitik,
als Sie es damals gemacht haben.
({8})
Die Zahlen sind doch heute schon genannt worden.
Man kann sie gar nicht oft genug nennen: ein absoluter
Hochstand bei der Erwerbstätigkeit: 41,8 Millionen,
({9})
Niedrigstand bei der Arbeitslosigkeit: 2,7 Millionen, und
vor allen Dingen ein Rekordniedrigstand bei der Jugendarbeitslosigkeit, im Grunde ein Europarekord: Wir sind
mit diesem Niedrigstand Europameister. Das sind wir
übrigens aufgrund eines Systems, nämlich der dualen
Ausbildung, um das uns ganz Europa beneidet.
({10})
Diese duale Ausbildung, Frau Kollegin Hagedorn, wird
übrigens zum ganz überwiegenden Teil von dem Mittelstand in unserem Lande geschultert.
({11})
70 Prozent der Ausbildung in Deutschland findet im
Mittelstand statt,
({12})
aber 75 Prozent der mittelständischen Unternehmen in
Deutschland werden in der Rechtsform der Personengesellschaft geführt. Das sind genau diejenigen, die Sie mit
Ihrer Anhebung des Höchststeuersatzes treffen wollen.
({13})
Sie greifen tief in den Mittelstand in Deutschland ein
({14})
und zerstören so die Bereitschaft, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das werfen wir Ihnen in aller
Deutlichkeit vor.
({15})
Wir sind der Meinung, dass es jetzt unsere Aufgabe
ist, diesen Erfolg eines Hochstandes bei der Beschäftigung in Deutschland, auch bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, fortzuführen.
Ich will übrigens mit einem Vorurteil aufräumen. Es
wird immer gesagt, es gäbe für junge Menschen in unserem Lande keine Chancen mehr. 2005 gab es in der
Gruppe der 15- bis 25-Jährigen 1,18 Millionen Normalarbeitsverhältnisse - so will ich es einmal nennen -, also
unbefristete, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in Vollzeit. 2011 waren es 1,24 Millionen eine Steigerung um 5 Prozent. Das zeigt deutlich: Die
Entwicklung ist nicht so, wie Sie sie gerne darstellen.
Vielmehr findet der Hauptzuwachs bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung über alle Altersklassen hinweg im Bereich der Vollzeitbeschäftigung statt,
und andere Beschäftigungsformen entwickeln sich notwendigerweise entsprechend mit.
Ich will Ihnen ein Weiteres sehr deutlich sagen. Wenn
die SPD, was wir alle nicht hoffen und auch nicht erwarten, in Deutschland wieder an der Regierung wäre, wäre
es mit dem Jobwunder, das ich eben beschrieben habe,
sehr schnell wieder vorbei. Denn Sie sind nicht bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, Frau Hagedorn, dass auch Beschäftigte in den Beschäftigungsformen, die Ihnen nicht
genehm sind, aber aus unserer Sicht notwendigerweise
zum gesamten Repertoire der Beschäftigungsformen dazugehören, in die öffentlichen Kassen einzahlen. Man
kann darüber streiten, ob Teilzeitarbeit sinnvoll ist oder
nicht. Es gab einmal Zeiten, in denen manche die Teilzeitarbeit als Errungenschaft gefeiert haben, weil Frauen
dadurch Familie und Beruf besser vereinbaren konnten.
({16})
Jedenfalls zahlen auch Teilzeitbeschäftigte in die Sozialkassen ein und tragen dazu bei, dass die Steuerkassen in
unserem Land aktuell so überbordend gefüllt sind.
Man kann darüber streiten, ob befristete Beschäftigung ein erstrebenswerter Zustand ist. Tatsache ist, dass
auch diese Beschäftigungsverhältnisse durch Steuern
und Beiträge zur derzeitigen komfortablen Situation in
Deutschland beitragen.
({17})
Das gilt auch für die Zeitarbeit.
Ich will Ihnen hier Ihr ganzes Problem deutlich machen. Es waren SPD und Grüne, die die Zeitarbeit in
Deutschland sehr stark dereguliert haben, mit dem Effekt, dass wir dann fast 900 000 Beschäftigte in diesem
Bereich hatten. Als dann die ersten Probleme aufkamen
- Schlecker und anderes -, da waren Sie diejenigen, die
das sofort wieder dichtmachen wollten und sagten: Wir
wollen das nicht länger haben. - Wir, Karl Schiewerling
und ich, haben gesagt: Wir müssen da mit Augenmaß herangehen, wir regulieren das; der Drehtüreffekt muss
vermieden werden.
Als dann die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes
für Menschen aus Osteuropa kam, sagten Sie: Die Osteuropäer werden Deutschland überrennen, und dann
wird das hier alles ganz schlimm. - Der 1. Mai 2011
kam, und es ist nichts passiert. Wir haben ein halbes Jahr
später einen Mindestlohn eingeführt. Aber schon damals
war klar, dass in der Zeitarbeit nicht der Mindestlohn das
Problem ist, sondern die Frage des Equal Pay. Wir haben
diesen Begriff übrigens als erste Fraktion in diesem
Haus in die Diskussion eingeführt.
({18})
Dann waren Sie sofort wieder dabei, zu sagen: Zeitarbeit
nur, wenn es vom ersten Tag an Equal Pay gibt.
({19})
- Die Kollegin möchte eine Zwischenfrage stellen, Herr
Präsident.
Vielen Dank. - Der Redner hat es schneller gesehen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kolb, ich habe eine ganz kurze Frage an Sie: Ab
welchem Tag nach der Einstellung wollen Sie Leiharbeitnehmern gleiches Geld für gleiche Arbeit garantieren? Ich habe gehört: nach neun Monaten.
Frau Kollegin Mast, ich habe eine etwas längere Antwort auf Ihre Frage.
Aber Sie denken daran, dass Ihre Redezeit ohnehin
abgelaufen war?
Ja, ich denke daran. Ich versuche, die Antwort ein
bisschen zu kürzen.
({0})
Ich glaube, Equal Pay ist wichtig, um die Akzeptanz
von Zeitarbeit in Deutschland auf Dauer zu garantieren
bzw. herzustellen.
({1})
Sie wollen Equal Pay vom ersten Tage an; wir wollen
das nicht.
({2})
Wir haben übrigens immer gesagt: Das ist eine Frage,
über die man die Tarifpartner in unserem Land entscheiden lassen kann. Wir haben den Tarifpartnern die entsprechende Zeit eingeräumt.
Sie müssen jetzt feststellen, dass in Branche für Branche
Lösungen mit Augenmaß gefunden werden, unter Zustimmung der IG Metall, der IG Chemie, der EVG und
anderer.
({3})
Die Frist von neun Monaten, die Sie jetzt immer ansprechen, ist übrigens genau die Schwelle, auf die sich die
Tarifpartner jetzt Branche für Branche verständigen;
({4})
ab diesem Zeitpunkt erreichen die Branchenzuschläge
sozusagen ihren Höchststand.
Das ist der beste Weg. Sie von der SPD wollen immer
staatlich regulierend eingreifen. Warum soll man das
tun? Die Tarifpartner regeln das sehr viel besser selbst;
({5})
sie werden das in den genannten Bereichen und auch in
anderen Branchen weiterhin tun. Es besteht hier für den
Gesetzgeber überhaupt keine Notwendigkeit, zu handeln.
Seien Sie ganz entspannt. Diese Regierung trägt mit
großer Sorgfalt dazu bei, dass sich die Beschäftigung in
Deutschland positiv entwickelt und dass Sozialbeiträge
und Steuereinnahmen sprudeln. Dafür werden wir auch
in Zukunft sorgen. Für einen Aktionismus nach rot-grüner Art stehen wir nicht zur Verfügung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Sabine
Zimmermann. Bitte schön, Kollegin Sabine Zimmermann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, lieber Kollege Heil,
Sie haben gerade den Niedriglohnsektor gegeißelt, berechtigterweise.
({0})
Sie erinnern sich aber schon noch daran, dass Sie mit
Hartz IV die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen haben? Das werden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger
nicht vergessen, und das sollten Sie nicht vergessen.
({1})
Des einen Freud ist des anderen Leid, so ein englisches Sprichwort. Während sich die Regierungskoalition
darüber freut, dass es ihr gelungen ist, auch in diesem
Haushalt wieder drastische Einsparungen im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik zu erzielen,
({2})
verschlechtern sich die Chancen erwerbsloser Menschen, einen ordentlichen Job zu bekommen.
({3})
Die Betonung liegt auf „ordentlich“. Das ist einfach so.
Angesichts der Kürzungen der vergangenen Jahre
könnte man wirklich sagen, dass es wahrlich eine Leistung von Ihnen ist, immer noch in dieser Größenordnung
zu sparen. Die Linke sagt Ihnen ganz deutlich: Diese
Kahlschlagpolitik ist unanständig und arbeitsmarktpolitisch unsinnig.
({4})
Mit dem Wegfall der Beteiligung des Bundes an der
Arbeitsförderung zementieren Sie die chronische Unterfinanzierung der Bundesagentur für Arbeit. Ich weiß
nicht, ob es bei Ihnen schon angekommen ist, dass wir
auf eine Krise zusteuern bzw. schon längst drin sind.
Selbst die BA weist darauf hin, dass sie im Falle einer
Krise keine nennenswerten Rücklagen mehr hat.
({5})
Das ist doch eine klare Botschaft, aber Sie, die Bundesregierung, ignorieren das beharrlich.
Frau Ministerin von der Leyen, wir fordern Sie auf:
Hören Sie auf, die Bundesagentur für Arbeit und die erwerbslosen Menschen wie eine Zitrone auszupressen.
({6})
Sie sollten sich ein Herz fassen und sagen: So kann es
nicht weitergehen.
({7})
Im Bereich Hartz IV standen 2010 noch 6,6 Milliarden Euro für Eingliederung in Arbeit zur Verfügung, im
nächsten Jahr sollen es nur noch 3,9 Milliarden sein. In
der beruflichen Weiterbildung hatten wir in den letzten
zwei Jahren einen Rückgang an Teilnehmerinnen und
Teilnehmern von 30 Prozent zu verzeichnen. Das ist Ihre
Politik: 1 Milliarde mehr für Panzer, aber bei der Qualifizierung sparen. Das tragen wir nicht mit.
({8})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Was sollen denn die Arbeitsvermittler
vor Ort in Zukunft noch anbieten, wenn ihnen kaum
noch Mittel zur Verfügung stehen? Somit wird den Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit der Schwarze
Peter zugeschoben. Das finden wir nicht richtig.
({9})
Damit nicht genug: 17 000 Stellen sollen bei der BA
abgebaut werden. In vielen Jobcentern sind schon derzeit die Beschäftigten völlig überlastet. Gehen Sie einmal in ein Jobcenter oder in eine Arbeitsagentur, und lassen Sie sich erzählen, wie der Stand dort ist. Die
Betreuungsschlüssel sind schöngerechnet. Mit guter Vermittlung, Chancen eröffnen und Fördern hat das alles
aus meiner Sicht überhaupt nichts zu tun.
({10})
Fakt ist: Die Langzeiterwerbslosigkeit ist in den letzten zwei Jahren von 33,5 auf 37 Prozent gestiegen. Fast
die Hälfte aller Arbeitslosen verfügt nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Da ist doch Qualifizierung das A und O. Hier streichen Sie.
({11})
Wo bitte sind denn die bahnbrechenden Erfolge am
Arbeitsmarkt, die Sie, Herr Schiewerling, Herr Vogel
- mein netter Kollege Vogel ist gerade nicht da -, immer
so hochhalten
({12})
Deutschland hat einen überdurchschnittlich hohen Anteil
an Langzeitarbeitslosen. Diejenigen, die in Arbeit sind,
sind überwiegend in prekärer Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs gelandet, und davon kann man nicht
leben.
Wir fordern Sie zu einem grundlegenden Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik auf; denn Sie haben Langzeitarbeitslose, ältere Erwerbslose und Menschen mit
Behinderungen abgeschrieben, und das ist aus unserer
Sicht ein Skandal.
({13})
Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen brauchen wir mehr Geld für Förderleistungen. Die Krise ist
auf dem deutschen Arbeitsmarkt angekommen, doch die
Bundesregierung verschließt davor die Augen.
Wir brauchen eine solide Finanzierung und Ausstattung der Jobcenter und Arbeitsagenturen. Deshalb fordern wir, dass sich der Bund an den Kosten für Arbeitsförderung beteiligt und die Leistungen für Eingliederung
in Arbeit auf dem Niveau von 2010 stabilisiert.
Ich komme zum Schluss.
({14})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
beherzigen Sie einfach unsere Vorschläge! Dann klappt
es auch mit guter Arbeit. Dann können Sie wirklich inbrünstig das Jobwunder Deutschland hier präsentieren.
Danke schön.
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl
Schiewerling.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel von
Arbeitsmarktpolitik ist es, gute Rahmenbedingungen zu
schaffen, damit Menschen wieder in Beschäftigung
kommen. Ziel von Arbeitsmarktpolitik ist es nicht, Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist Aufgabe der Wirtschaft.
Das geschieht in den Unternehmen.
Wir haben die Rahmenbedingungen zu setzen und
den Menschen zu helfen, damit der Sprung in Beschäftigung gelingt.
({0})
Und wir haben denen, die möglicherweise von Arbeitslosigkeit bedroht sind, durch Weiterbildung und Qualifizierung zu helfen, damit sie in Beschäftigung bleiben.
Und denjenigen, die arbeitslos sind, haben wir die nötige
Unterstützung zu geben, damit sie wieder in Beschäftigung kommen. Weil genau das in den letzten Jahren gelungen ist, wird und kann im Haushalt der Bundesarbeitsministerin gekürzt werden. Ein hoher Etat eines
Ministeriums sagt noch nichts darüber aus, ob das eigentliche sozialpolitische Ziel erreicht worden ist.
({1})
Wir haben unser Ziel erreicht: Wir haben 42 Millionen
erwerbstätige Menschen - das ist Rekord -; 29 Millionen
Menschen üben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus. Vorhin hat die Bundesarbeitsministerin
zu Recht auf diese Entwicklung hingewiesen und unsere
Leistungen herausgestellt: weniger als 3 Millionen Arbeitslose - darum beneiden uns andere Länder -; ein
Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit um 16 Prozent im
Vergleich zu 2009 - wir haben die niedrigste Quote in
Europa -; die Beschäftigungsquote bei den über 55-Jährigen ist gestiegen; die Quote der Langzeitarbeitslosen ist
seit 2007 um 40 Prozent gesunken.
({2})
Ich will Ihnen sagen: Wir sind stolz auf diese Entwicklung. Ich gestehe gerne zu, dass die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen dazu geführt haben; aber die Arbeitsmarktpolitik hat eben geholfen, damit diese Schritte
bewältigt werden konnten. Übrigens hat auch das, was
damals im Rahmen der Agenda 2010 beschlossen
wurde, mit dazu beigetragen, dass wir diesen erfolgreichen Weg gehen konnten. Deswegen verteidigen wir die
richtigen Schritte, die damals gegangen worden sind,
und setzen uns weiter dafür ein.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben die Instrumente
reformiert. Deswegen haben wir eine Organisationsreform bei den Jobcentern durchgeführt. Wir haben im Bereich der Zeitarbeit, in dem die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, Regulierungen vorgenommen; Herr Kollege
Kolb hat darauf hingewiesen. Wir haben im Bereich der
Zeitarbeit einen Mindestlohn. Wir haben es geschafft,
dass sich die Tarifpartner mit den Zeitarbeitsfirmen auf
ein vernünftiges System verständigt haben, sodass sie
sich jetzt nach und nach an das Ziel Equal Pay heranarbeiten, aber nicht aufgrund von staatlichen Vorgaben,
sondern weil es die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer
verstanden haben, entsprechende Lösungen zu finden.
Das alles zu begleiten, ist unsere Aufgabe.
({4})
Wir haben auch Überschüsse im Bereich der Sozialversicherungen. Das ist natürlich ein Zeichen für die Prosperität und den Aufwuchs im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. In den
letzten zwei Jahren sind übrigens über 900 000 Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse eingetreten, während die Zahl der Minijobber, die immer wieder beklagt wird, in diesem Zeitraum
nicht nennenswert angestiegen ist.
({5})
Es ist also wichtig, die Zusammenhänge richtig darzustellen, und man darf nicht so tun, als gäbe es in
Deutschland eine blanke Verelendung und eine Versandung des gesamten gesellschaftlichen Klimas. Meine
Damen und Herren, das stimmt mit der Wirklichkeit
nicht überein.
({6})
In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, ob
wir die Rahmenbedingungen richtig setzen. Ich habe
nicht verstanden - das muss ich ehrlich sagen -, dass auf
dem Parteitag der Grünen gefordert wurde, den Hartz-IVSatz auf 420 Euro zu erhöhen.
({7})
- Frau Kollegin Hinz, Sie haben gleich Gelegenheit, sich
entsprechend zu äußern. - Das Bundesverfassungsgericht hat Kriterien benannt und uns die Aufgabe erteilt,
die Leistungen transparent darzustellen. Das Bundesarbeitsministerium hat sorgsam gerechnet. Klagen gegen
Leistungsbescheide sind bei vielen Landessozialgerichten eingegangen. Von allen Sozialgerichten - mit Ausnahme von einem - sind die Klagen zurückgewiesen
worden. Wenn Sie wirklich davon überzeugt wären, dass
das, was wir getan haben, verfassungswidrig ist, dann
wäre schon längst eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Weil aber die obersten Sozialgerichte
bestätigt haben, dass das nicht der Fall ist, rate ich Ihnen
dringend, mit Äußerungen wie „Das ist nicht verfassungskonform“ sehr vorsichtig zu sein.
({8})
Meine Damen und Herren, in der jetzigen Situation
müssen wir uns nicht nur mit - Gott sei Dank - sinkender
oder stagnierender Arbeitslosigkeit befassen, sondern
auch über Fachkräftemangel reden. Deshalb ist es gut,
dass zum Beispiel im Haushalt der Bundesarbeitsministerin - leider von der Öffentlichkeit kaum bemerkt - Mittel zur Verfügung gestellt werden, um jungen Leuten aus
Osteuropa die Möglichkeit zu geben, in Deutschland eine
Ausbildung zu machen oder hier beruflich tätig zu werden. Das Bundesarbeitsministerium schafft die Voraussetzungen für die nötige Mobilität. Ich halte diesen Hinweis auch im europäischen Kontext für einen wichtigen
Punkt.
Wir stehen vor der großen Herausforderung, das hohe
Beschäftigungsniveau in Deutschland auf Dauer zu halten und mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Es ist
viel geschafft worden. Schauen Sie auf den Haushalt der
Bundesarbeitsministerin.
Das Bildungs- und Teilhabepaket - oft geschmäht entwickelt seine positive Wirkung für Kinder, deren Eltern im Hartz-IV-Bezug sind bzw. auf Wohngeld angewiesen sind.
Das Programm „Gesünder Leben und Arbeiten“ zielt
darauf ab, dass die Zukunft Deutschlands davon abhängt, wie in den Betrieben miteinander umgegangen
wird und welche Rahmenbedingungen gesetzt werden.
Hier hilft die Bundesregierung, neue Wege zu gehen.
Das Instrument der Bürgerarbeit entfaltet ebenfalls
seine Wirkung.
Es gibt Hilfe für junge Menschen, spezielle Angebote
und Unterstützung für Alleinerziehende sowie Hilfen für
Ältere und Langzeitarbeitslose.
Ich freue mich - das liegt mir sehr am Herzen -, dass
die Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Behinderungen - übrigens
in guter Zusammenarbeit mit den behindertenpolitischen
Sprechern aller Fraktionen und dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung - weiterhin alles dafür tut,
dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, in unsere Gesellschaft inkludiert zu werden. Inklusion ist das große Thema. Ich danke ausdrücklich allen,
die sich hier bemühen und Akzente setzen. Ich freue
mich, dass ein Kongress zu Inklusion und Arbeitswelt
stattgefunden hat. Damit hat der Bundestag ein wichtiges Zeichen gesetzt. Ich danke allen behindertenpolitischen Sprechern.
({9})
Meiner Kollegin Maria Michalk, die die Federführung
hatte, gebührt ein herzliches Dankeschön.
({10})
Meine Damen und Herren, es geht natürlich auch um
die Zukunft der gesetzlichen Rente. Wir drücken uns
hier nicht. Aber ich will Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir
genügend Geld hätten, wenn wir eben 50 Milliarden
oder sogar 90 Milliarden Euro in die Hand nehmen
könnten, dann hinge der Himmel voller Geigen, und wir
könnten die Welt bunt malen. Das können wir aber nicht.
({11})
Ich erinnere die Kolleginnen und Kollegen von der SPD
daran, dass Gerhard Schröder, als er den Nachhaltigkeitsfaktor, der nichts anderes als der zuvor von ihm abgeschaffte Demografiefaktor ist, einführen musste, am
10. September 2003 - übrigens um 9.40 Uhr, wie mir ein
Sachkundiger mitgeteilt hat - gesagt hat: „Wir haben uns
geirrt.“ Ich rate Ihnen dringend, bei Ihren rentenpolitischen Vorstellungen nicht die finanziellen Gesichtspunkte außer Acht zu lassen. Sonst werden Sie eines Tages wieder hier stehen und sagen müssen: „Wir haben
uns geirrt.“ Ich halte es aus Gründen der Ehrlichkeit für
notwendig, darauf hinzuweisen, dass wir uns in der Rentenpolitik manches wünschen, aber unter finanziellen
Gesichtspunkten leider nicht alles umsetzen können.
({12})
Dennoch müssen die alten Menschen und die zukünftigen Generationen darauf vertrauen können, dass wir sie
nicht im Stich lassen, sie fördern und in ihrer Lebenssituation unterstützen.
({13})
Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, dass
wir die Grundprinzipien der christlichen Gesellschaftslehre beachten: Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Davon lassen wir uns in unserem politischen Handeln leiten.
({14})
Das hat bisher zum Erfolg geführt. Ich freue mich, dass
wir auch im kommenden Jahr erfolgreich Arbeitsmarktpolitik in Deutschland betreiben können.
({15})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Priska Hinz. Bitte schön,
Frau Kollegin Priska Hinz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition redet bei diesem Einzelplan im Wesentlichen ausdrücklich von Konsolidierung. Damit haben Sie auch
völlig recht. Das Einzige, womit Sie sich bei diesem
Einzelplan rühmen können, ist, dass dies der einzige Etat
ist, der seit Jahren gekürzt wird. Er ist der einzige, der
dafür herhalten muss, dass der Haushalt insgesamt konsolidiert wird, und zwar auf Kosten der Arbeitslosen sowie der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
Ich wundere mich allerdings, dass Sie angesichts Ihrer angeblich ach so erfolgreichen Sozialpolitik kein
Wort darüber verlieren, dass die soziale Schere in diesem
Land weiter auseinandergeht, dass es immer noch keinen
Mindestlohn gibt, dass es kein Konzept für eine armutsfeste Rente von Erwerbstätigen gibt, dass es keine Qualifizierung Langzeiterwerbsloser gibt und dass es keine
auskömmliche Existenzsicherung von Arbeitslosen gibt.
({0})
Frau Ministerin, es ist richtig: Die Konjunkturdaten
sind noch einigermaßen gut. Die Konjunktur trübt sich
aber ein. Wenn Sie sagen, dass auch die BA gut aufgestellt ist und einen Puffer von 2,5 Milliarden Euro hat,
müssen Sie aber, bitte schön, nicht nur dazusagen, dass
der Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr 2 Milliarden Euro entnommen werden, sondern auch, dass der
Präsident der Bundesagentur für Arbeit deutlich gemacht
hat, dass die BA ab nächstem Jahr ins Defizit geht, weil
nämlich die Prognose der Arbeitslosenzahlen erwarten
lässt, dass es schwieriger wird. Wenn die BA nächstes
Jahr ins Defizit läuft, kann sie ihren Puffer für Krisenzeiten - gemäß der Planung sollte er 2016 9,5 Milliarden
Euro betragen - nicht aufbauen. Wenn nun die Zeiten
schwieriger werden und wir wieder Kurzarbeitergeld
brauchen, muss aus dem Bundeshaushalt zugeschossen
werden, da Sie keine Vorsorge für diese Zeiten treiben.
({1})
Frau Ministerin und liebe Kollegen von der Koalition,
dass Sie behaupten, unser Beschluss, das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro pro Monat aufzustocken, würde
über 7 Milliarden Euro kosten, verblüfft mich etwas. Zunächst einmal bin ich verblüfft, dass Sie eine falsche
Grundlage der BA zur Grundlage Ihrer Ausführungen
machen.
({2})
Ich hätte von Ihnen zumindest erwartet, dass Sie so viel
Redlichkeit an den Tag legen, das auch deutlich zu machen. Im Übrigen scheinen Sie alle sich nicht mit dem
auseinandergesetzt zu haben, was wir für den Haushalt
2013 beantragt haben. Da haben wir die Aufstockung
auf 420 Euro beantragt, und wir haben die Aufstockung
des Grundfreibetrages beantragt. Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir, wenn ein Mindestlohn von
8,50 Euro eingeführt wird - und dieser muss kommen -,
nicht davon ausgehen, dass der Empfängerkreis ausgeweitet wird.
({3})
Damit haben wir unsere Haushaltsanträge gegenfinanziert.
Man höre und staune: Nach unseren Planungen liegt
die Nettokreditaufnahme im Endeffekt trotzdem noch
um 4,6 Milliarden Euro niedriger als die der Koalition,
({4})
weil wir nämlich auch an ökologisch schädliche Subventionen und andere Tatbestände herangehen. Wir sind
nicht der Meinung, dass man zuallererst in der Sozialpolitik kürzen muss, sondern wir sind der Meinung:
Existenzsicherung tut not; wir sind der Meinung, Garantierente tut not; wir sind der Meinung, dass Qualifizierung nottut, deswegen auch ein sozialer Arbeitsmarkt
ausfinanziert werden muss; und wir sind der Meinung,
dass eine Existenzsicherung in Höhe von 420 Euro - fragen Sie einmal die Sozialverbände, auch die Diakonie;
die liegen weit darüber - verfassungsgerecht ist. Deswegen streben wir das auch an.
({5})
Frau Ministerin, Sie sind wirklich gut darin, Begrifflichkeiten zu bilden. Ich finde aber besonders interessant, dass Sie sich der von Ihnen als bildungspolitische
Katastrophe bezeichneten Maßnahme jetzt gar nicht
mehr entgegenstemmen - es geht um das Betreuungsgeld -, sondern in Ihrem Haushalt tatsächlich auch noch
Vorsorge dafür treffen. Beim Betreuungsgeld handelt es
Priska Hinz ({6})
sich nun um eine Leistung, die zuallererst von alleinerziehenden Frauen oder alleinerziehenden Männern in
Anspruch genommen werden muss. Diese Frauen und
Männer müssen zum Jobcenter gehen und diese Leistung
beantragen. Das verursacht Verwaltungskosten in Millionenhöhe, aber hilft keiner Frau und keinem Mann, einen Kinderbetreuungsplatz zu finden, um erwerbstätig
sein zu können.
({7})
Damit bewahrheitet sich bei Ihrer Politik wieder der
Spruch: Wer arm ist, wird arm bleiben. Wir wollen die
Spirale durchbrechen. Deswegen sagen wir: Weg mit
dem Betreuungsgeld, und her mit den Kinderbetreuungsplätzen! Das wäre echte Bildungspolitik.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Reden allein hilft nicht, Frau Ministerin, man muss
auch etwas tun, wenn man solche Begriffe in die Welt
setzt.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich will mich zuerst bei meinem Kollegen
Karl Schiewerling bedanken; denn er hat die Ehre der
Koalition gerettet. Er hat zwei wichtige Themen angesprochen, die weder von der Ministerin noch von irgendeinem anderen Redner heute angesprochen worden sind.
Er hat über Behindertenpolitik und Inklusion gesprochen, und er hat über den drohenden Fachkräftemangel
in dieser Gesellschaft gesprochen. Dafür ein herzliches
Dankeschön.
({0})
Ich möchte mich mit den Argumenten, die genannt
wurden, befassen. Gestern in der Generaldebatte hat die
Kanzlerin hier gesagt: Wir sind die Koalition, die die
Bildungsausgaben in dieser Republik erhöht hat.
({1})
Das stimmt, zumindest wenn ich mir nur den Haushalt
des Bildungsministeriums anschaue. Ich habe die Zahlen
einmal herausgesucht. Von 2011 bis 2016 gibt es im
Bildungshaushalt ein Plus von 1,9 Milliarden Euro. Das
ist eine gute Leistung; das ist ordentlich. Im Bund ist
aber die echte Bildungspolitik die Arbeitsmarktpolitik;
({2})
denn dort wird gefördert und gefordert. Dort kürzen Sie
im gleichen Zeitraum um 36,5 Milliarden Euro. Ergo
kürzen Sie die Mittel für Bildung von 2011 bis 2016 um
38,4 Milliarden Euro. Sie sind die größte Bildungsklauregierung, die diese Republik jemals hatte.
({3})
Diese Kürzungen nehmen Sie in einer Situation vor, in
der Fachkräftemangel droht. In einigen Bereichen, zum
Beispiel bei Erzieherinnen und Erziehern und in der
Altenpflege, besteht er sogar schon.
Deshalb hat die Opposition Ihnen diese Anträge zum
Haushalt vorgelegt. Unsere Anträge setzen auf vorsorgende Arbeitsmarktpolitik, auf Arbeitsmarktpolitik, die
heute agiert und nicht erst reagiert, wenn das Kind in den
Brunnen gefallen ist, auf Arbeitsmarktpolitik, die
vorsieht, dass wir mehr Geld für Bildung in der Bundesrepublik Deutschland ausgeben. Deshalb haben wir Sie
mit unserem Antrag konfrontiert, den Sie übrigens abgelehnt haben. Wir hatten beantragt, den Eingliederungstitel nur im Jahr 2013 - um diesen Haushalt geht es in
dieser Debatte - um 1,6 Milliarden Euro zu erhöhen, und
zwar solide gegenfinanziert, unter anderem durch die
Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns.
({4})
Daran lassen wir uns gerne messen, wenn wir an der
Regierung sind.
({5})
Mit diesem Geld können wir an den Arbeitsmarktreformen der SPD festhalten. Denn nicht wir sind diejenigen, die das Prinzip des Förderns und Forderns aufgeben
wollen, sondern Sie schaffen es durch Ihre Arbeitsmarktpolitik ab.
({6})
Ich will auf die Punkte, die wir fordern, eingehen;
denn Politik wird immer im Konkreten nachvollziehbar.
({7})
Erstens. Wir haben einen Antrag gestellt, in dem wir
fordern, dass ein Programm der zweiten Chance aufgelegt wird. Es gibt in Deutschland 1,5 Millionen junge
Menschen zwischen 20 und 29, die keine Berufsausbildung haben. Sie stehen teilweise im Erwerbsleben. Diese
Menschen müssen wir dringend zu Fachkräften qualifizieren. Deshalb sagen wir: In einer guten Arbeitsmarktsituation müssen wir Geld in die Hand nehmen, um
diesen jungen Leuten eine zweite Chance auf Ausbildung zu geben.
({8})
Zweitens. Es gibt auch viele Menschen über 30 Jahre
- sie sollen ja alle länger arbeiten -, die keine Ausbildung haben oder die eine Ausbildung haben, die vom
Arbeitsmarkt heute nicht mehr nachgefragt wird. Auch
diese Menschen wollen wir für den beruflichen Aufstieg
qualifizieren. Das wäre ebenfalls möglich, wenn man
den Eingliederungstitel, wie wir fordern, um 1,6 Milliarden Euro erhöhen würde.
Drittens. Eine Gruppe wurde von Ihnen heute noch
gar nicht erwähnt - es handelt sich um eine am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppe -: Menschen mit Migrationshintergrund. Für Menschen mit Migrationshintergrund braucht man manchmal besondere Antworten bei
der Arbeitsvermittlung und der Qualifizierung; dabei
geht es unter anderem um den Spracherwerb. Auf diese
Gruppe reagieren Sie in Ihrer Arbeitsmarktpolitik gar
nicht. Wir sagen: Wir brauchen die Initiative MigraPlus.
Wir wollen nicht die Isolation von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern ihre Integration in diese
Gesellschaft.
({9})
Viertens. Perspektivisch wollen wir die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Wir wollen vorsorgende Arbeitsmarktpolitik.
Vorsorge heißt, dass wir nicht erst dann reagieren, wenn
jemand arbeitslos geworden ist, sondern dass wir agieren, und zwar schon dann, wenn jemand noch in der
Erwerbstätigkeit ist.
({10})
In unserem Antrag fordern wir, dafür die notwendigen
Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.
({11})
Noch einmal: Zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik
bedeutet für Sie „keine Chance“, für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten „zweite Chance“. Bei
Ihnen heißt es Stillstand, bei uns Aufstieg. Sie wollen
Isolation, wir Integration. Von Ihnen hört man warme
Worte, wir handeln. Sie wollen reagieren, wir agieren
und schauen mit Zuversicht in die Zukunft. Wir brauchen nämlich qualifizierte Fachkräfte in der Bundesrepublik Deutschland.
({12})
Das Wort hat nun Max Straubinger für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Frau Kollegin Hagedorn hat ihre Rede ja mit den Worten
begonnen: Man muss die Wahrheit sagen.
({0})
Diesen Weg hat sie allerdings ziemlich schnell verlassen.
Daher ist es wichtig, zum Schluss noch einmal kurz über
die Wahrheit zu reden.
Die sozialen Grundlagen, die wir in Deutschland
haben, sind dank der Arbeit der Ministerin und der
Bundesregierung hervorragend. Wir können auf einige
Erfolge verweisen: Wir haben die seit über 21 Jahren
niedrigste Arbeitslosenquote und die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in Europa zu verzeichnen. Bei sämtlichen Arbeitslosenzahlen ist ein starker Rückgang zu beobachten, besonders bei den Langzeitarbeitslosen. Frau
Kollegin Zimmermann, Sie haben eben versucht, durch
einen Zahlendreher darzulegen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit gestiegen sei. Sie ist aber nicht gestiegen.
({1})
Vielmehr ist die Vermittlung von Kurzzeitarbeitslosen
wesentlich schneller vorangegangen als die Vermittlung
von Langzeitarbeitslosen. Deshalb ist möglicherweise
noch ein etwas höherer Anteil von Langzeitarbeitslosen
zu verzeichnen. Aber auch die Langzeitarbeitslosigkeit
ist effektiv zurückgegangen. Das ist ein Erfolg der Politik, die wir betrieben haben.
({2})
Es befinden sich wesentlich mehr Ältere im Erwerbsleben. Wir haben die höchste Erwerbstätigenquote zu
verzeichnen, die es in dieser Republik jemals gab. Dies,
werte Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich auch daran,
dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die auf soziale Hilfe angewiesen sind, mittlerweile den niedrigsten
Stand erreicht hat.
({3})
Das lässt sich an Zahlen belegen. 2006 waren
10,1 Prozent der Menschen in Deutschland auf soziale
Hilfe angewiesen. Im Jahre 2011 waren es - das sind die
jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes - nur
noch 8,9 Prozent. Bei den Hartz-IV-Empfängern war in
diesem Zeitraum ein Rückgang um 16 Prozent zu verzeichnen. Trotzdem, werte Kolleginnen und Kollegen,
wurde nicht daran gespart, Geld für Soziales auszugeben. Im Gegenteil: Die Sozialausgaben sind vom letzten
Jahr bis heuer um 4,5 Prozent gestiegen; sie betragen
über 27 Milliarden Euro.
({4})
Dies zeigt sehr deutlich: Diese Bundesregierung und die
sie tragenden Fraktionen kommen ihrer sozialen Verantwortung nach und unterstützen die Menschen in unserem
Land.
Die Arbeitsmarktpolitik baut auf dem Prinzip „Fordern und Fördern“ auf. Die Frau Bundesministerin ist
auf die Arbeitsmarktreformen, die Bündnis 90/Die Grünen vornehmen wollen, eingegangen, insbesondere unter
finanziellen Gesichtspunkten und unter dem Gesichts25414
punkt, dass wesentlich mehr Menschen der Sozialhilfe
anheimfielen.
Damit verbunden fordern die Grünen, dass die Sanktionsmöglichkeiten eingeschränkt werden
({5})
bzw. abgeschafft werden.
({6})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das
ist letztendlich die Unterstützung von Faulenzertum und
Drückebergerei.
({7})
Das wollen wir nicht in unserem Land. Es gab jüngst
Kritik daran, dass über 1 Million Sanktionierungen stattgefunden haben, über 60 Prozent davon nur deshalb,
weil Termine nicht eingehalten worden sind. Ich sage
Ihnen: Die arbeitenden Menschen haben ein Anrecht
darauf, dass, wenn jemandem Arbeit zugewiesen werden
kann, wenn Arbeit vermittelt werden kann, diese Arbeit
auch angenommen wird - ob der Zumutbarkeit von
Arbeit.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heil?
Gerne.
Lieber Kollege Straubinger, Sie wissen, dass ich Sie
persönlich sehr schätze.
Ich Sie auch.
Danke.
({0})
- Nein; aber das darf parteiübergreifend einmal möglich
sein.
Ich habe eine ganz herzliche Bitte an Sie. Ich möchte
nicht, dass Gift in der Debatte bleibt. Mein Job ist nicht,
die Grünen zu verteidigen. Aber ich habe zur Kenntnis
genommen, dass die Grünen nicht die Abschaffung von
Sanktionen fordern, sondern lediglich über den Umfang
andere Vorstellungen haben. Das ist schon ein kleiner
Unterschied.
Herr Straubinger, bitte nehmen Sie eines mit: Niemand bei Bündnis 90/Die Grünen oder bei der SPD will
das Prinzip „Fordern und Fördern“ infrage stellen. Wir
finden es richtig, dass man Anstrengungen an dieser
Stelle verlangt. Meine Bitte ist allerdings, in der Argumentationsführung im aufziehenden Wahlkampf nicht
auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen eine Stimmung zu befördern, in der arbeitende Menschen und
Langzeitarbeitslose gegeneinander ausgespielt werden.
Das finde ich nicht in Ordnung. Die Mehrheit der Menschen - auch der arbeitslosen - will Arbeit.
({1})
Herr Straubinger, das ist nur eine Bitte; denn ich traue
Ihnen nicht zu, ein solches Gift zu versprühen, wie wir
es bei Herrn Westerwelles „spätrömischer Dekadenz“
schon einmal erlebt haben.
({2})
Ich weiß, dass wir von verschiedenen Standpunkten ausgehen. Meine Bitte ist einfach, von dieser Form des
Argumentierens abzusehen. Sie vergiftet nur die Debatte. Das ist kein Meinungsstreit um eine vernünftige
Lösung. „Faulenzer befördern“ will hier keiner, glaube
ich. Wir reden über die Ausgestaltung des Prinzips „Fördern und Fordern“.
Herr Kollege Heil, ich muss Sie fragen: Sind Sie der
Meinung, dass die jetzigen Sanktionsmöglichkeiten
falsch sind?
({0})
Ich bin überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagenturen mit den Instrumentarien
sehr verantwortungsvoll umgehen. Das alles kann ja
gerichtlich überprüft werden.
({1})
Ich bin überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit eine hervorragende
Arbeit leisten. Deshalb gibt es keine Kritik an den Sanktionsmöglichkeiten, die gegeben sind.
({2})
- Die Sanktionsmöglichkeiten wurden unter Rot-Grün
eingeführt, sagt der Kollege Kolb zu Recht. Das kann
also nicht so schlecht gewesen sein.
Dass die Grünen die Sanktionsmöglichkeiten einschränken wollen, zeigt sehr deutlich, dass sie das
Fordern nicht mehr wollen, dass sie sozusagen nur noch
das Fördern wollen. Das ist meines Erachtens ein falscher Weg.
({3})
- Das ist ein falscher Weg, Frau Müller-Gemmeke.
Ein Letztes noch: Wir diskutieren aktuell über die
Rente und über mögliche Altersarmut. Bezeichnenderweise wird die SPD dieses Wochenende ein Programm
beschließen, das dem Motto folgt: Wünsch dir was,
Weihnachten steht bevor. - Damit hat sich die SPD bei
der Rentenpolitik schon einmal fürchterlich verrannt: als
sie - noch unter einem anderen Vorsitzenden - 1998 im
Bundestagswahlkampf gegen den demografischen Faktor polemisierte.
Darüber hinaus musste sie später feststellen, dass zur
Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels
hier entsprechende Grundlagen geschaffen werden müssen.
Ich bin schon erstaunt über die gesamten Beschlüsse,
die hier vorbereitet werden. Die Frau Bundesministerin
hat ja bereits aufgezeigt, welche Kosten das verursachen
wird.
Ich bin auch ganz gespannt darauf, wie der zukünftige
Kanzlerkandidat der SPD - wir wissen das ja noch nicht
abschließend; bis dahin ist ja noch eine Wegstrecke zu
bewältigen - diese Beschlüsse mit sich vereinen kann.
Ich erinnere nur daran, was er in seinem Buch Unterm
Strich niedergeschrieben hat - Herr Präsident, mit Ihrer
Zustimmung darf ich daraus zitieren -:
Die ungebrochene Tendenz, Lasten in der Sozialversicherung in die Zukunft zu verschieben und
dort anzuhäufen, um heute notwendigen Korrekturen zu entfliehen, die natürlich auf konfliktträchtige
Zumutungen hinauslaufen, wird die Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen immer weiter anspannen.
… Zusammen mit der ausgewiesenen Staatsschuld
ergibt dies eine Nachhaltigkeitslücke von etwa
7,8 Billionen Euro, die voll auf die Knochen nachfolgender Generationen schlägt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, das hat
Ihr zukünftiger Kanzlerkandidat niedergelegt. Es zeigt
sehr deutlich: Das, was Sie im Rentenkonzept beschließen werden, wird letztendlich die kommende Generation
zu bezahlen haben, und das ist verantwortungslos.
In diesem Sinne wollen wir hier eine sachgerechte
Rentenpolitik diskutieren und dann auch verabschieden - im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen auch im Sinne einer guten Altersversorgung
für die Menschen in unserem Land.
Es wäre gut, Sie würden diesem Haushalt Ihre Zustimmung geben, weil Sie damit etwas Gutes für
Deutschland tun würden.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor. Wir beginnen mit der Abstimmung über zwei Änderungsanträge
der Fraktion der SPD:
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11544. Wer
stimmt dafür? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11545. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor abgelehnt.
({1})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11546. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der Linken mit den Stimmen aller anderen
Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen schließlich zu dem Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/11547. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen
die Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzel-
plan 11 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktio-
nen angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte VI a bis d so-
wie Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
VI a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien ({2})
- Drucksache 17/11270 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten
- Drucksache 17/11554 25416
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Jung ({5}), Marie-Luise Dött, Michael
Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die UN-Klimakonferenz in Doha - Globalen
Klimaschutz wirksam vorantreiben
- Drucksache 17/11514 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu den
Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Berichtsjahr 2010
- Drucksache 17/8342 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({7})
Innenausschuss ({8})
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Federführung strittig
ZP 1a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({9}), Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung
eines Registers über unzuverlässige Unternehmen ({10})
- Drucksache 17/11415 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11})
Rechtsausschuss ({12})
Innenausschuss
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck ({13}), Marieluise Beck
({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den am 12. September und am 4. Oktober
2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden
- Drucksache 17/11555 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({15})
Verteidigungsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei
denen die Federführung strittig ist.
Tagesordnungspunkt VI d. Interfraktionell wird Über-
weisung der Stellungnahme der Bundesregierung zu den
Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ auf Drucksache
17/8342 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch
strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wün-
schen Federführung beim Haushaltsausschuss. Die Frak-
tionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen wün-
schen Federführung beim Innenausschuss.1)
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen ab-
stimmen, also Federführung beim Innenausschuss. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungs-
vorschlag ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen und der Linken gegen die Stimmen von SPD
und Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Federführung
beim Haushaltsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor ange-
nommen.
Zusatzpunkt 1 a. Es wird vorgeschlagen, den Entwurf
eines Korruptionsregistergesetzes der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11415 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. Auch hier ist die Federführung strittig. Die Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Bünd-
nis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Rechts-
ausschuss.
Ich lasse zuerst über den Vorschlag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen - Federführung beim Rechts-
ausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die
Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zum Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung
1) Anlage 3
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
beim Wirtschaftsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen.
Tagesordnungspunkte VI a bis c sowie Zusatzpunkt 1 b.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten VII a bis f sowie Zusatzpunkt 2. Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt VII a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Übereinkommen von
2004 zur Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser und Sedimenten von Schiffen ({16})
- Drucksache 17/11052 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({17})
- Drucksache 17/11433 Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11433, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11052 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist ebenso einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt VII b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 494 zu Petitionen
- Drucksache 17/11358 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 494 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VII c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 495 zu Petitionen
- Drucksache 17/11359 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 495 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Ablehnung der Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt VII d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 496 zu Petitionen
- Drucksache 17/11360 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 496 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von
Linken und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt VII e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 497 zu Petitionen
- Drucksache 17/11361 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 497 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen
von SPD und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt VII f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 498 zu Petitionen
- Drucksache 17/11362 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 498 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 2:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wertschöpfung im ländlichen Raum absichern - Erzeugung und Einsatz reiner Pflanzenöle in der Land- und Forstwirtschaft ausbauen
- Drucksache 17/11552 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die
Haushaltsberatungen fort.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 17/10816, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Dr. Florian Toncar
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
der SPD sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD werden wir später namentlich
abstimmen. Des Weiteren haben die Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen je einen Entschließungsantrag eingebracht, über die wir am Freitag nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Caren Marks
für die SPD-Fraktion das Wort.
({23})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob eine
Bundesregierung einen gesellschaftspolitischen Kompass hat oder nicht, offenbart kaum ein anderer Etat so
deutlich wie der des Bundesfamilienministeriums. Hier
zeigt sich wirklich, welche Vorstellungen die Regierung
von Familien-, von Kinder- und Jugend-, von Gleichstellungs- und Seniorenpolitik hat. Wenn man so will, ist der
Etat Ihres Hauses, Frau Schröder, der Lackmustest dafür,
ob eine Bundesregierung Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen unserer Zeit hat.
Wie können Eltern Beruf und Familie unter einen Hut
bringen? Wie können Frauen und Männer gleichberechtigt leben und ihre Potenziale wirklich entfalten? Wie
kann ein junger Mensch es schaffen, in der Gesellschaft
Fuß zu fassen und sich auch zu engagieren? Wie können
ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt leben?
Das alles sind wichtige gesellschaftliche Fragen, auf die
auch der Bundeshaushalt Antwort geben muss - wenn
diese Bundesregierung all diese gesellschaftspolitischen
Herausforderungen und Fragen denn ernst nehmen
würde.
Das Betreuungsgeld, das Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, in der letzten Sitzungswoche beschlossen haben, ist jedenfalls keine vernünftige Antwort
auf die drängende Vereinbarkeitsfrage, die Zigtausende
Familien und insbesondere Alleinerziehende tagtäglich
beschäftigt.
({0})
Ganz im Gegenteil: Das kleine Handgeld für Familien, das statt der Inanspruchnahme einer öffentlich geförderten Kita gezahlt werden soll, ist ein familien- und
gleichstellungspolitischer Rückschritt. Es konterkariert
den seitens des Staates vorangetriebenen Ausbau der
frühkindlichen Bildung. Das sieht eine große Mehrheit
in unserem Land so. Das Betreuungsgeld verschlingt
mittelfristig Milliarden im Bundeshaushalt. Das ist einfach absurd. Deshalb wollen und werden wir es zügig
wieder abschaffen.
({1})
Meine Kolleginnen und Kollegen, auch beim Thema
Jugendpolitik vermissen wir von der SPD ernsthafte
Antworten. Von der großspurig angekündigten eigenständigen Jugendpolitik, Frau Ministerin, ist im Haushalt
nichts, aber auch wirklich gar nichts spürbar. Der Kinder- und Jugendplan fristet - so kann man das wirklich
sagen - ein Schattendasein. Die Jugendverbände brauchen definitiv mehr Geld, als eingeplant ist. Beispielsweise fehlen Mittel, um die Tariferhöhung für ihre Beschäftigten nachzuvollziehen. Dieses Problem hat unsere
Fraktion schon mehrfach angesprochen. Sie haben das in
den Haushaltsberatungen wieder einmal einfach ignoriert und zur Seite geschoben.
Nicht nur ich befürchte, dass sich ab 2013 die Lage
für den Kinder- und Jugendplan dramatisch zuspitzen
wird.
Die derzeit noch vorhandenen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds brechen in den kommenden Jahren
weg. Das ist jetzt schon ganz deutlich abzusehen. Wenn
Sie als Bundesregierung nicht schnell gegensteuern,
dann ist die wichtige Infrastruktur für junge Menschen in
unserem Land gefährdet. Das ist definitiv nicht hinnehmbar.
({2})
Ich komme zur Gleichstellungspolitik.
({3})
- Völlig richtig. Wenn ich mich bei der Gleichstellungspolitik auf den Tatendrang der Ministerin beziehe, bin
ich eigentlich fertig. - In der Gleichstellungspolitik bewegt diese Ministerin rein gar nichts.
({4})
Auch hier fallen ESF-Mittel weg, mit fatalen Auswirkungen. Ob es um drängende Probleme der Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern oder um die
Einführung einer Quote geht, damit Frauen endlich vermehrt in Führungspositionen ankommen, still ruht der
See oder auch die Ministerin.
Es gibt zwar Veranstaltungen des Ministeriums unter
dem Titel „Frauen verdienen mehr“, in denen faire Einkommensperspektiven für Frauen gefordert werden.
Doch es lebe die Doppelzüngigkeit, ganz besonders bei
Ihnen, Frau Ministerin,
({5})
zur gleichen Zeit stimmen Sie nämlich am Kabinettstisch
der Ausweitung der Minijobs zu: prekäre Beschäftigung
und Minijobs - eine Frauendomäne und gleichzeitig eine
Sackgasse für die Frauen - und eine Ministerin der blumigen Worte und gleichzeitig der Tatenlosigkeit.
({6})
Aber in der Debatte um die Notwendigkeit zur Einführung einer Quote entrüsten Sie sich dann ganz plötzlich über die Aktivitäten aus der EU und wollen sich gegen unnötige Vorgaben aus Brüssel wehren. Hört! Hört!
Welch plötzlicher Tatendrang, Frau Ministerin, wenn es
darum geht, wichtige Dinge zu verhindern. Das ist also
leider wieder einmal ein Tatendrang an der falschen
Stelle.
({7})
Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, falls
Sie heute vorhaben, sich auf die eigenen Schultern zu
klopfen, weil für den Kitaausbau zusätzliche Bundesmittel in Höhe von über einer halben Milliarde Euro bereitgestellt werden, sage ich Ihnen schon jetzt: Dieses
Finanzpaket geht mitnichten auf das Konto der Bundesfamilienministerin, sondern vor allem auf das der SPDgeführten Länder.
({8})
- Ja, die Wahrheit tut weh. - Wir haben in den vergangenen Jahren in Anträgen und auch in Haushaltsberatungen
immer wieder zusätzliche Hilfen für den Krippenausbau
gefordert, mit den Grünen und den Linken oftmals an
unserer Seite. Aber die Familienministerin hat sich stets
weggeduckt. Erst im Juni dieses Jahres, in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Umsetzung des
Fiskalvertrages, konnten Kurt Beck und Olaf Scholz erreichen, dass der Bund endlich mehr Investitionen in den
Krippenausbau bereitstellt. Das ist die Wahrheit, Frau
Ministerin.
({9})
Im nächsten Schritt wollen wir mehr in die Qualität
der frühkindlichen Bildung und in den Ausbau von Kitas
zu Familienzentren investieren. Daher hat die SPD-Fraktion einen Antrag auf Erhöhung von über 300 Millionen
Euro vorgelegt. Unsere Forderung ist im Übrigen sauber
gegenfinanziert. Wir schlagen den Abbau von Subventionen wie zum Beispiel Steuergeschenken für Hoteliers
vor.
Mit unserem Finanzierungskonzept wollen wir jährlich 2 Milliarden Euro mehr in Bildung und Ausbildung
investieren. Wir machen auch Vorschläge, wie die
Finanzsituation der Kommunen verbessert werden kann.
Zur Sicherung der kommunalen Infrastruktur für Familien, Kinder und ältere Menschen ist es wichtig, die
Kommunen zu unterstützen. Hier haben Sie, SchwarzGelb, mit einer verantwortungslosen Steuersenkungsund Klientelpolitik großen Schaden in den Kommunen
angerichtet.
Unser Fundament ist ein solides Fundament für eine
zukunftsfähige Familien-, Gleichstellungs-, Kinder-, Jugend- und Seniorenpolitik. Die Haushaltspolitik der Regierungskoalition hingegen ist nicht nur unsolide; sie ist
auch nicht zukunftsfähig und schon gar nicht sozial gerecht.
Es ist definitiv Zeit für eine Ablösung von SchwarzGelb, zumindest in der Politik. Zukünftige Erfolge für
diese Farbkombination sehe ich definitiv nur im Fußball.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Andreas Mattfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir blicken in diesem Jahr auf sehr
konstruktive Beratungen des Bundeshaushaltes 2013 zurück. Ich möchte mich vor allem bei Ministerin Schröder
und allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die
konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
({0})
Wir Koalitionäre haben immer das Ziel der Schuldenbremse in den Beratungen im Blick gehabt; dies kann ich
leider von der Opposition nicht behaupten. Ich habe oft
den Eindruck, dass dieser Seite des Hauses der Umgang
mit hart erarbeiteten Steuergeldern mehr am Herzen liegt
als Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition.
({1})
Ihre Anträge nur in der Bereinigungssitzung auf immense Mehrausgaben in Höhe von fast 9 Milliarden
Euro allein im Familienetat sprechen eine deutliche
Sprache.
({2})
Deshalb ist es gut, dass es unserer christlich-liberalen Koalition in den Haushaltsberatungen gelungen ist, die Nettokreditaufnahme im Gesamthaushalt um 1,7 Milliarden
Euro zu senken. Damit werden wir drei Jahre früher als
geplant die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse
einhalten. Das ist gerade für die junge Generation in unserem Land von besonderer Bedeutung und deshalb Familien- und Jugendpolitik pur.
({3})
Wir setzen damit die erfolgreiche Politik der wachstumsfreundlichen Konsolidierung fort, und wir schaffen
die Grundlage dafür, dass Deutschland Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker in Europa bleibt. Deutschland zeigt, dass die richtige Mischung aus Haushaltskonsolidierung und Wachstumspolitik, gepaart mit einer
ausgewogenen Entlastung der Bürger, der erfolgreiche
Weg für die Zukunft kommender Generationen ist. Gerade das ist für das Familienressort von besonderer Bedeutung.
({4})
Wir haben den Familienetat an einigen Stellen angehoben, an anderen Stellen ein wenig gesenkt, sodass wir
jetzt bei einem Volumen von 7,127 Milliarden Euro sind.
Das sind immerhin 567 Millionen Euro mehr als noch
im Entwurf für den Haushalt 2010. Beispielhaft möchte
ich den größten Ausgabeposten des Familienetats anführen: Das ist das Elterngeld. Hierfür sah der Ansatz 2010
noch 4,48 Milliarden Euro vor. Für 2013 haben wir
4,9 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit diesem höheren
Ansatz tragen wir nicht nur dem Umstand Rechnung,
dass erfreulicherweise die Löhne derzeit steigen und die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Aufschwung
partizipieren, sondern auch dem Umstand, dass das Konstrukt der Vätermonate stetig Erfolg zeigt.
Ich bin dankbar, dass sich immer mehr Männer dafür
entscheiden, einen oder mehrere Monate Auszeit zu nehmen, um ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten intensiv zu begleiten. Deshalb sage ich hier auch ganz offen:
Die Verkürzung der Elternzeit - darüber wird zurzeit diskutiert - steht für mich nicht zur Disposition. Es ist nicht
hinnehmbar, dass Frauen ausschließlich als arbeitsmarktpolitische Manövriermasse betrachtet werden. Das
geht zu weit, und das erschreckt mich zutiefst.
Wir haben die Gelder für einige sinnvolle Projekte erhöht. Beispielhaft möchte ich hier die Zuwendung für
das Deutsch-Französische Jugendwerk nennen.
({5})
Wir haben den Titel um 1 Million Euro angehoben, um
zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages ein Zeichen zu
setzen. Seit 50 Jahren wurden die Mittel nicht erhöht.
Ich bin sicher, dass unsere Entscheidung dazu beitragen
wird, dass auch unsere französischen Freunde in sehr
schwierigen Zeiten ihren Beitrag zum Deutsch-Französischen Jugendwerk in gleicher Höhe aufstocken werden.
Somit kann das Jugendwerk im Jubiläumsjahr mit über
2 Millionen Euro mehr an Mitteln rechnen.
Wir haben aber auch die Gelder für einige Einrichtungen in den vergangenen Jahren reduziert. Bemerkenswert dabei war, wie einige Einrichtungen versucht haben, uns über Medien unter Druck zu setzen. Noch
bemerkenswerter war, dass andere noch nicht einmal bemerkt haben, dass sie weniger Geld erhalten. Als Berichterstatter für den Familienetat habe ich mir in den
vergangenen Jahren zahlreiche Einrichtungen und Institute, die Geld aus unserem Einzelplan bekommen, angesehen. Ich darf sagen: Ich bin auf engagierte Menschen
gestoßen, die wertvolle und gute Arbeit leisten, ich habe
aber gleichzeitig durch Besuche vor Ort auch erschreckende Erkenntnisse gewonnen.
({6})
Das ging von der Beschreibung der eigenen Arbeit als
„Wir machen Netzwerke für Netzwerker“ bis hin zum
Bekenntnis, gerne weiterhin mit Organisationen zusammenarbeiten zu wollen, die ganz offen diesen Staat bekämpfen.
({7})
Um Letzteres zu unterbinden,
({8})
hat Kristina Schröder gemeinsam mit dem Innenminister
völlig zu Recht die Demokratieerklärung eingeführt, die
Einrichtungen zu unterzeichnen haben, die Gelder aus
ihrem Haushalt erhalten.
Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, Herr Kindler, diese Demokratieerklärung ist
für Sie eine Zumutung. Aber, mit Verlaub, es muss doch
dem Geldgeber erlaubt sein, ein Bekenntnis zum Grundgesetz unseres Landes zu verlangen. Diejenigen, die
eben nicht auf dem Boden unserer Verfassung stehen,
können doch nicht ernsthaft meinen, dass sie hierfür
auch noch Unterstützung vom Staat bekommen. Das
geht für mich eindeutig zu weit.
({9})
In keiner Weise hinnehmbar ist für mich die stets wiederkehrende Unterstellung der Opposition, die Ministerin setze sich nicht genügend gegen den Extremismus
ein. Ich habe häufig den Eindruck, Sie leiden unter kollektivem Gedächtnisverlust. Es war nämlich Ministerin
Schröder, die erst kürzlich den Extremismustitel um
5 Millionen Euro angehoben hat. Wir hatten allein im
vergangenen Jahr dadurch, dass wir die Verwaltung von
Extremismustiteln selbst übernommen und nicht teuren
Fremdfirmen überlassen haben, zusätzliche Mittel in
Höhe von 2 Millionen Euro für Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung zur Verfügung.
Zu Ihren Vorwürfen, wir verhinderten eine kontinuierliche Arbeit der Institutionen, die sich gegen Extremismus einsetzen, weil wir keine ausreichenden Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht hätten, kann ich
nur sagen, dass Sie doch ganz genau wissen, dass erhebliche Ausgabereste von fast 4 Millionen Euro in diesem
Jahr und aufgelaufene Reste im kommenden Jahr zur
Verfügung stehen. Hiermit und mit der vorläufigen
Haushaltsführung stehen genügend finanzielle Mittel zur
Verfügung, die auch in 2014 genutzt werden können.
Dadurch ist eine kontinuierliche Finanzierung gesichert.
Ich betone, dass niemand in dieser Koalition auch nur
ein Wort darüber verloren hat, diesen Ansatz zu kürzen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe
fast den Verdacht, das mag bei Ihnen anders sein.
Wenn wir der Logik Ihres Antrags folgten, dann
müssten wir in unzähligen Haushaltsstellen Verpflichtungsermächtigungen einbringen, überall dort, wo genau
das Gleiche gilt. Dies macht man unter Demokraten bewusst nicht.
({10})
Eine Ausbringung von Verpflichtungsermächtigungen in
der von Ihnen geforderten Höhe im letzten Haushalt vor
einer Bundestagswahl bindet nachfolgende Regierungen
in einer nie dagewesenen Weise. Wenn wir im Gesamthaushalt boshaft wären, könnten wir überall, wo uns
Dinge wichtig sind, VEs einbringen, um damit für nachfolgende Regierungen unsere Prioritäten schon heute zu
zementieren.
({11})
Meine Damen und Herren, ich finde es bedauerlich,
dass Sie in jedem Jahr ein derart emotionales Thema wie
die Bekämpfung des Rechtsextremismus zur ideologischen Agitation benutzen.
({12})
Das ist für uns - ich sage das auch vor meinem ganz persönlichen familiären Hintergrund - inakzeptabel. Dieses
Problem ist viel zu ernst, als dass man Extremismus derart missbrauchen dürfte. Deshalb kann ich nur an Sie appellieren: Orientieren Sie sich bitte an Fakten und nicht
an populistischen Aussagen.
({13})
Wir als Demokraten sollten hier Seite an Seite stehen.
({14})
Bei den Haushaltsberatungen hat sich mir aber ein
ganz anderer Verdacht aufgedrängt. Es ist schon interessant, dass allein zum Etat des Familienministeriums insgesamt sieben gemeinsame Anträge von SPD, Grünen
und Linksfraktion eingebracht wurden. Auch wenn vor
allem Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, eigentlich nicht müde werden, immer wieder zu
betonen, Sie möchten mit der Linksfraktion nicht regieren, verhärtet sich durch derartige Fakten doch einfach
der Verdacht, dass Sie bereits von einer gemeinsamen
Koalition träumen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
träumen ist erlaubt. Ich sage Ihnen aber: Es ist immer
hart, in der Realität aufzuwachen.
({15})
Ich bin fest davon überzeugt, die Bürger dieses Landes wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen einer
Koalition der Konsolidierung, des Wachstums und der
sinkenden Arbeitslosenzahlen, auch zugunsten einer guten Familienpolitik und Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, die Sie für eine massive Verschuldung und ausufernde Ausgaben stehen. Lassen wir ruhig
im kommenden Jahr die Wähler entscheiden.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat Steffen Bockhahn für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man kurz vor der eigenen Rede
eine Rede hört, von der einem so schlecht wird, dann ist
das Wettbewerbsverzerrung.
({0})
Herr Kollege Mattfeldt, Sie haben sehr wohl recht damit, dass wir als Demokratinnen und Demokraten im
Kampf gegen den Rechtsextremismus an einem Strang
ziehen sollen und gemeinsame Sache machen sollten.
Das Problem ist nur, dass diejenigen, die immer wieder
den Keil in die Front der Demokraten treiben, Sie sind,
indem Sie sich gemeinsamen Aktionen verweigern.
({1})
Das kann ich Ihnen an Beispielen belegen. Sie meinen, dass noch nie so viel gegen Extremismus getan
worden sei wie jetzt unter dieser Koalition. Ich sage Ihnen: Es ist richtig, dass noch nie so viel Geld in den Etat
eingestellt worden ist. Ich muss Ihnen allerdings auch
sagen, dass noch nie so oft versucht wurde, das Geld
wieder einzusparen bzw. in Richtungen zu drängen, wo
man es gar nicht mehr loswerden kann. Anders gesagt:
Vor einem Jahr gab es noch Bestrebungen Ihrer Fraktion,
diesen Teil des Haushaltes zu kürzen. Es gab dann das
Auffliegen des NSU. Das wiederum hat dazu geführt,
dass die Kürzungen nicht durchgeführt worden sind. Das
sind die Fakten. Das muss Ihnen nicht passen, aber das
sind die Fakten.
({2})
Insofern tun Sie nicht so, als ob Sie die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer im Kampf gegen den Rechtsextremismus wären. Das sind Sie nicht. Das erkennt man
allein daran, dass während Ihrer Regierungszeit die Titel
für die verschiedenen vermeintlichen Phänomene des
Extremismus in einen Haushaltstitel zusammengefasst
wurden und nicht mehr getrennt werden und Sie meinen,
dass das alles die gleiche Soße sei. Das ist eine unzulässige Verharmlosung des Rechtsextremismus.
({3})
Wenn Sie auf Fakten bestehen, dann sage ich Ihnen:
Seit 1990 sind 180 Menschen durch Nazis ermordet worden. Das sind die Fakten. Das müssen Sie bitte zur
Kenntnis nehmen. Das macht deutlich, wie notwendig
die Arbeit gegen Rechtsextremismus ist. Bei Ihnen ist da
leider viel zu wenig.
({4})
Das gleiche Engagement, mit dem Sie erklärt haben,
dass es in diesem Bereich keine Verpflichtungsermächtigung geben darf, wünsche ich mir auch in Bezug auf andere Punkte, beispielsweise bei der Frage, wie es mit den
Bildungszentren, den ehemaligen Zivildienstschulen,
weitergehen soll. Kurz zur Genese: Am 15. Dezember
2010, also vor fast zwei Jahren, hat das Kabinett
beschlossen, den Wehrdienst und damit auch den Zivildienst auszusetzen. Das ist am 28. April 2011 zum
Gesetz geworden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war
klar, dass man sich Gedanken über die Zukunft der Bildungszentren machen muss. Am 29. September 2011 hat
der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dem
Ministerium den Auftrag erteilt, ein Konzept für die Zukunft der Bildungszentren vorzulegen. Die haben sich
beeilt und schon am 22. Juni dieses Jahres ein Papier
vorgelegt, das den Namen Konzept leider nicht verdient.
Das hat auch der Bundesrechnungshof so gesehen.
Freundlich formuliert habe ich mir aufgeschrieben: Er
hat dieses Konzept nicht gelobt. Mehr Zurückhaltung
geht nicht. Dann haben auch Sie festgestellt, dass das,
was vorgelegt wurde, nicht haltbar ist. Dann sind Sie
ganz schlau geworden und haben zur Bereinigungssitzung am 8. November den Antrag eingebracht, dass ein
Jahr lang, bis zum 30. November 2013, extern evaluiert
werden soll. Was lernen wir daraus?
Erstens. Sie brauchen drei Jahre, um sich auf eine
vergleichsweise kleine Aufgabe einzustellen. Das ist ein
solches Armutszeugnis für die Handlungsfähigkeit
dieser Regierung. Das kann man gar nicht besser
beschreiben.
({5})
Zweitens. Sie vertrauen offensichtlich den eigenen Institutionen nicht so weit, dass sie das selbst evaluieren
können; denn sie müssen auch dort externe Evaluationen
in Anspruch nehmen. Das ist ziemlich traurig. Das
Schlimmste dabei ist, dass das alles auf dem Rücken
derer passiert, die in den Bildungszentren arbeiten und
für die völlig unklar ist, ob sie sich um einen neuen Job
kümmern müssen oder ob sie mit einer gesicherten
beruflichen Perspektive rechnen können. Das ist nicht
anständig. Das ist leider Ihre Form der Politik.
Ein Punkt ist noch offen: das Betreuungsgeld. Zu diesem sensationellen Wahnsinn ist schon alles gesagt
worden. Ich finde es aber beachtenswert, dass Sie es
schaffen, selbst bei einer solch sinnfreien bildungs- und
integrationsfeindlichen Maßnahme die soziale Spaltung
in diesem Land noch weiter voranzutreiben. Das muss
man erst einmal schaffen. Darauf kann man stolz sein,
sollte man aber nicht. Warum sage ich das? Betreuungsgeld bekommt nämlich nur der, der schon etwas hat, der
offensichtlich auch genug hat. Wenn man ALG-IIEmpfängerin ist, wenn man Elterngeld bezieht, wenn
man Asylbewerberin ist, dann bekommt man nichts. Sie
bekommen es nur dann, wenn die Partnerin zu Hause
bleibt, weil der Partner - selten die Partnerin - ein gutes
Einkommen hat. Das heißt, es werden diejenigen animiert, zu Hause zu bleiben, die zweifelsfrei keine Sorge
haben, Kitagebühren zu entrichten. An dieser Stelle tut
sich der Verdacht auf, dass wir nicht über ein Betreuungsgeld reden, sondern über eine Kitafernhalteprämie,
und das ist, meine Damen und Herren, ein echtes
Problem.
({6})
Deshalb kann ich Sie nur dringend dazu ermahnen,
sich das genau zu überlegen.
Ich wünsche mir, dass wir in der Opposition gemeinsam dazu kommen, gegen dieses Gesetz zu klagen, und
es damit den Betroffenen ersparen, selbst vor Gericht
ziehen zu müssen. Ich kann Sie wirklich nur dazu einladen, zu einem Konsens zu kommen.
Die SPD hat zwar versprochen - ich kann es mir nicht
verkneifen, das zu sagen -, das im Falle eines Wahlsieges rückgängig zu machen. Allerdings haben Sie im Jahr
2005 auch versprochen, dass es keine Mehrwertsteuererhöhung geben soll. Das muss man leider auch dazu
sagen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über den Etat
des Familienministeriums reden, darf man auch einmal
an seine Familie denken. Ich denke heute an meine
Mutti: Mutti, du bist immer die Allerbeste gewesen und
wirst es auch immer bleiben. Herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag!
({7}) - Bartholomäus
Kalb [CDU/CSU]: Für deine Mutti klatschen
sogar wir!)
Das Wort hat nun Miriam Gruß von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Marks, ich kann Ihnen überhaupt nicht zustimmen. Ich finde, Sie haben hier von
A bis Z eine Fehlanalyse vorgetragen. Die Kanzlerin hat
gestern gesagt, dass wir die erfolgreichste Koalition seit
der Wiedervereinigung sind. Das kann ich nur noch einmal bestätigen.
({0})
Das gilt auch für die Familienpolitik. Ich möchte die
nächsten Minuten nutzen, um Ihnen das aufzuzeigen.
Die Rahmenbedingungen sind grandios. Wir haben
die geringste Jugendarbeitslosenquote Europas. Damit
haben wir im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben,
eben doch gute Bedingungen für die jungen Menschen.
Mein Kollege Jörg von Polheim wird auf die Jugendpolitik und auf das Thema Extremismus noch genauer eingehen.
Ich will mit den Kindern beginnen. Kinder brauchen
Schutz und Chancen. Ich freue mich, dass wir im nächsten Jahr mit dem Programm Familienhebammen starten
können. Hierfür haben wir 45 Millionen Euro in den
Haushalt eingestellt. Das ist oft vorgestellt und versprochen worden. Wir haben das erste deutsche Kinderschutzgesetz eingeführt. Ich denke, das ist ein erster
Erfolg.
({1})
- Ein Meilenstein.
Ebenso ein Meilenstein ist es, dass wir die Vorbehalte
gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen haben. In dieser Woche haben wir den Jahrestag der
UN-Kinderrechtskonvention begehen können. Ich freue
mich, dass wir das dritte Land sind, das dieses Zusatzprotokoll ratifiziert hat. Damit sind wir weltweit eines
der Länder, das dieses Protokoll am schnellsten ratifiziert hat. Vor über 20 Jahren, als die UN-Kinderrechtskonvention geschaffen wurde, waren wir nur der
108. Staat, der unterzeichnet hat. Auch daran erkennt
man den Bewusstseinswandel, was uns als christlichliberale Koalition Kinderrechte bedeuten.
({2})
Wir haben die Klagemöglichkeit gegen Kinderlärm
abgeschafft. Außerdem haben wir die „Offensive Frühe
Chancen“ auf den Weg gebracht. Damit profitieren
360 000 Kinder von einer frühen Sprachförderung.
Auch für die Familien haben wir viel geleistet. Wir
haben die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege verbessert. Wir freuen uns gemeinsam, dass die Vätermonate
beim Elterngeld so angenommen werden, wie es heute
das statistische Bundesamt erneut gemeldet hat.
Darüber hinaus haben wir die Finanzierung der künstlichen Befruchtung verbessert. Auch das ist etwas, bei
dem Rot-Grün die Zuschüsse zurückgeführt hat. Wir
werden die Zuschüsse wieder aufstocken und die Länder
unterstützen wie beispielsweise Sachsen und SachsenAnhalt, die eigene Programme aufgelegt haben. Wenn
Sie dabei nicht mitmachen, müssen Sie das den verzweifelten Paaren erklären, die uns wöchentlich Briefe
schreiben, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als
Kinder. Wir tun etwas dafür. Auch das ist ein Beleg
dafür, dass wir es ernst meinen mit der Familienfreundlichkeit in Deutschland.
Lassen Sie mich noch etwas zum Ausbau der U-3Betreuung sagen. Wir sind die Koalition, die hierfür am
meisten Geld ausgibt. Keine Bundesregierung vor uns
hat jemals so viel Geld für den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen ausgegeben, für eine Aufgabe, für die
wir nicht originär zuständig sind. Deshalb lasse ich Ihr
Argument nicht gelten, wir hätten hierbei versagt. Im
Gegenteil, wir schreiten voran. Sagen Sie endlich einmal
Ihren Ländern, dass sie dabei endlich hinterherkommen
sollen. Ich nenne nur das Beispiel Bayern. Wir sind
ziemlich weit hinten gestartet und sind jetzt ganz weit
vorne. Das müssen uns Ihre Länder erst einmal nachmachen.
({3})
Zur spezifischen Unterstützung von Frauen und
Männern kann ich nur sagen, dass Sie das immer wieder
gefordert haben. Wir aber haben beispielsweise das
Frauenhilfetelefon gesetzlich eingeführt, mit dem es im
nächsten März losgeht. Auch das ist eine spezifische
Förderung. Sie können sich aufregen, so viel Sie wollen.
Wir halten das aber für richtig. Unsere Politik kommt
aber auch dem anderen Geschlecht zugute. Deshalb
haben wir eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik
auf den Weg gebracht und die Rechte unverheirateter
Väter gestärkt, meine Damen und Herren. Wir werden
uns auch einer Regelung zur anonymen vertraulichen
Geburt widmen. Ich freue mich, dass wir hier weit vorangeschritten sind. Von daher kann sich unsere Bilanz
durchaus sehen lassen.
Ich freue mich auch, wenn im nächsten Jahr die
Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen
vorgelegt wird; denn wir müssen nach wie vor konstatieren: Wir geben eine Menge Geld aus, wir haben eine
geringe Geburtenrate. Daher brauchen wir eine familienpolitische Gesamtstrategie. Hier schreiten wir voran. Die
Argumente von der Opposition kann ich nicht gelten
lassen. Unsere Arbeit ist erfolgreich, auch in der Familienpolitik.
({4})
Das Wort hat nun Sven Christian Kindler Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor kurzem war ich in Hannover bei einer Gedenk- und Mahnaktion der Türkischen Gemeinde in Niedersachsen zum
ersten Jahrestag der Aufdeckung der Naziterrorzelle
NSU. In den Reden dort, in den Gesprächen mit den
Menschen konnte ich immer wieder feststellen: Es gibt
bei unseren deutsch-türkischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern ein großes Misstrauen, eine große Skepsis
gegenüber dem Staat angesichts des katastrophalen Versagens der Sicherheitsorgane, auch angesichts eines
strukturellen Rassismus in den Medien sowie bei den
Sicherheitsorganen. Ich sage nur: „Soko Bosporus“ oder
„Döner-Morde“, zu Recht das Unwort des Jahres 2011.
({0})
Die Frage lautet: Was ist eigentlich in diesem Jahr
passiert? Was hat die Bundesregierung, was hat die
Ministerin Schröder in diesem Jahr gemacht? Noch vor
einem Jahr haben wir genau hier im Deutschen Bundestag einstimmig einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen beschlossen; das war eine Premiere. Ich zitiere aus diesem Antrag, da heißt es:
Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren.
Was haben Sie gemacht? Diese Regierung hat nichts
gemacht. Nichts ist passiert. Sie haben nur Lippenbekenntnisse im Kampf gegen Nazis und gegen Rassismus übrig.
({1})
Zu den Fakten. Die Frage ist nämlich, Kollege
Mattfeldt: Haben Sie geprüft, welche Hindernisse es für
demokratische Gruppen gibt, die sich gegen Nazis und
gegen Rassismus engagieren? Nein, das haben Sie nicht
geprüft. Sie halten weiter an der Extremismusklausel
fest, obwohl das Verwaltungsgericht Dresden entschieden hat, dass diese Klausel mit der Verfassung nicht
vereinbar ist. Sie haben die Klausel zwar inhaltlich leicht
verändert; trotzdem halten Sie im Grundsatz am Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft fest. Das ist
schwarz-gelbe Politik. Diese Politik zeugt von Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft. Darum muss die
Extremismusklausel endlich weg.
({2})
Was ist mit den Kofinanzierungsanforderungen, die
für einige Programme ein großes Problem darstellen?
Diese Anforderungen haben Sie auch nicht heruntergesetzt. Oder haben Sie sich Gedanken darüber gemacht,
wie man diese Programme langfristig finanzieren kann?
Das haben Sie nicht gemacht. Wir haben mehrfach
darauf hingewiesen: Man braucht dafür Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt. Das Problem besteht nämlich darin, dass die Programme planmäßig Ende 2013
auslaufen und dass man sie nicht nur aus Ausgaberesten
finanzieren kann. Es handelt sich nicht um eine dauerhafte Ausgabe, sondern um ein Programm, bei dem immer wieder Modellprojekte aufgelegt werden. Dadurch
besteht immer wieder eine Form von Unsicherheit für
die Initiativen. Deshalb brauchen wir hier die Verpflichtungsermächtigungen.
Kollege Mattfeldt, ich kann ja nichts dafür, wenn Sie
das Thema „Kampf gegen Nazis und Rassismus“ nicht
kapiert haben. Wir machen dann natürlich gemeinsame
Anträge mit der SPD und der Linkspartei. Das ist in diesem Fall notwendig.
({3})
Sie halten lieber an Ihrem ideologischen Extremismusansatz fest, bei dem alles gleichgesetzt wird. Das ist
gefährlich, falsch und unwissenschaftlich. Was wir jetzt
eigentlich bräuchten, wäre ein langfristiges Programm
mit mehr Geld für demokratische Kultur, für den Einsatz
von Menschenrechten und gegen gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit sowie gegen Rechtsextremismus.
Die Zivilgesellschaft braucht endlich wieder Vertrauen
in diesem Land; sie braucht keine schwarz-gelben Störaktionen.
({4})
Ich will noch auf einen zweiten Punkt eingehen. Wir
haben in diesem Plenum schon häufig über den Irrsinn
des Betreuungsgeldes diskutiert. Gestern ist auch Kanzlerin Merkel in der Generalaussprache kurz darauf
eingegangen. Sie wollte allerdings nicht weiter darüber
reden. Das kann ich verstehen, das ist ihr ziemlich peinlich. Das wäre es mir auch, wenn ich es beschlossen
hätte.
Das Problem ist nur, dass die Koalition immer behauptet, es gehe um Wahlfreiheit. Darum geht es im
Kern aber nicht. Wir haben so lange keine Wahlfreiheit,
solange Eltern ihre Kinder nicht in die Krippe ihrer Wahl
schicken können, nämlich wohnortnah und bedarfsgerecht. Leider haben wir bislang keine Wahlfreiheit
erreicht. Deswegen ist das Betreuungsgeld ein bildungspolitischer Irrsinn.
({5})
Kristina Schröder konnte sich übrigens drei Jahre
lang nicht gegen Wolfgang Schäuble und gegen das Finanzministerium durchsetzen. Es gab drei Jahre lang
kein zusätzliches Geld für den Krippenausbau. Das zu
ändern, war ein Verhandlungserfolg der rot-grünen Länder und, Frau Marks, des grün-roten Landes; denn Herr
Kretschmann hat eine Menge dazu beigetragen. Das war
ein wichtiger Erfolg der Länder, hat aber nichts mit dieser Bundesregierung zu tun.
({6})
Wir wissen aber auch: Wir müssen noch mehr für
echte Wahlfreiheit tun, weil es Kommunen und insbesondere Städte mit einem besonders hohen Bedarf gibt;
wir müssen ihnen helfen. Wir müssen mehr für qualitativ
gute Kitaplätze und den Ausbau der Ganztagsbetreuung
tun.
Wir haben dazu Änderungsanträge eingebracht. Wir
wollen ein Sonderprogramm für Kommunen, die einen
hohen Bedarf haben, und ein Sonderprogramm für den
Ausbau der Ganztagsbetreuung schaffen. Dafür wollen
wir in den nächsten zwei Jahren 1 Milliarde Euro mehr
einsetzen.
Kollege Mattfeldt, wir sehen auch eine sinnvolle
Gegenfinanzierung vor: Wir wollen nicht mehr Schulden
machen, sondern das Betreuungsgeld streichen und das
Ehegattensplitting abschmelzen, weil diese beiden
Maßnahmen Frauen Anreize geben, eben nicht am Arbeitsmarkt aktiv zu werden. Auf diese Weise gelingt uns
eine sinnvolle Gegenfinanzierung des Kitaausbaus. Bei
diesem Haushalt zeigt sich die Alternative ganz klar: Sie
verteilen mit dem Betreuungsgeld ein Wahlgeschenk
zugunsten der CSU in Bayern; wir wollen einen schnellen Kitaausbau, um echte Wahlfreiheit für Familien zu
schaffen.
({7})
Ich möchte kurz auf einen weiteren Punkt eingehen,
der sich auf den Bundeshaushalt insgesamt bezieht. Wir
diskutieren in dieser Haushaltswoche auch über die
Frage: Wie kann ein Haushalt eigentlich geschlechterpolitisch sensibel aufgestellt werden? Ich habe die Bundesregierung gefragt, was sie eigentlich tut, um geschlechterpolitische Maßnahmen zu analysieren und zu
evaluieren, was sie im Bereich des Gender Budgeting
tut, um die Vorgaben des Grundgesetzes wirklich umzusetzen und für eine tatsächliche Gleichberechtigung von
Männern und Frauen zu sorgen. Die Antwort der Bundesregierung auf meine Anfrage war: nichts, nada. Die
Bundesregierung macht in dem Bereich also gar nichts.
Das ist schon ziemlich peinlich; denn die Europäische
Union sieht so etwas in ihren Programmen vor. Aber das
ist nicht der erste Fall, in dem sich Kristina Schröder gegen Europa, gegen Brüssel wendet. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Ministerin für Frauen in Brüssel gegen
die Frauenquote kämpft.
({8})
Frauenpolitisch waren es leider drei verlorene Jahre
unter Kristina Schröder. Deswegen ist es gut, dass es der
letzte Haushalt von Kristina Schröder und von SchwarzGelb ist.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun die Ministerin Kristina Schröder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen in der Familie Verantwortung füreinander übernehmen. Der erneute Mittelaufwuchs im Einzelplan 17
auf knapp 6,9 Milliarden Euro im Haushalt 2013 stärkt
die Verantwortungsgemeinschaft Familie.
Ich danke den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und im Familienausschuss für die konstruktiven Beratungen, insbesondere den Berichterstattern im Haushaltsausschuss, Herrn Bockhahn, Herrn
Mattfeldt, Herrn Dr. Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn
Kindler.
Der größte Posten im Einzelplan 17 bleibt das Elterngeld, und das aus guten Gründen. Das Elterngeld ermöglicht etwas, was sich nahezu alle Familien in Deutschland wünschen, nämlich nach der Geburt eines Kindes
eine Auszeit aus dem Beruf nehmen zu können. Heute
früh hat das Statistische Bundesamt neue Zahlen zur
Väterbeteiligung veröffentlicht: Sie liegt jetzt bei stolzen
27,3 Prozent.
({0})
Die 4,9 Milliarden Euro, die wir 2013 für das Elterngeld
ausgeben, sind also nicht nur in familienpolitischer,
sondern auch in gleichstellungspolitischer Hinsicht gut
angelegtes Geld. Eltern haben damit mehr Wahlfreiheit.
Zur Wahlfreiheit tragen auch das Betreuungsgeld und
der Kitaausbau bei. Mit dem Betreuungsgeld, für das im
Jahr 2013 55 Millionen Euro vorgesehen sind, unterstützen wir Eltern,
({1})
die die Betreuung ihrer ein- oder zweijährigen Kinder
selbst organisieren wollen. Genauso unterstützen wir mit
Milliardeninvestitionen in den Kitaausbau diejenigen
Eltern, die für ihr Kind Betreuung wollen oder brauchen.
({2})
Die Eltern verlassen sich auf unsere Zusagen.
({3})
Auch deswegen wird in der christlich-liberalen Koalition
nicht am Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gerüttelt.
({4})
Wir, der Bund, unterstützen die Länder bei der Mammutaufgabe des Kitaausbaus, wo wir nur können. Die
zusätzlich von uns zur Verfügung gestellten 580 Millio25426
nen Euro können von den Kommunen rückwirkend zum
1. Juli eingesetzt werden. Sie ermöglichen Ländern und
Kommunen die Einrichtung von 30 000 zusätzlichen Betreuungsplätzen.
Ich freue mich, dass wir uns mit den Ländern darauf
geeinigt haben, dass sie in Zukunft deutlich häufiger
über den Ausbaufortschritt berichten. Wichtig war auch,
dass wir in Bezug auf die neuen Gelder die parallele
Gemeinschaftsfinanzierung festgeschrieben haben. Zur
Erinnerung: Bisher hatten wir die sogenannte serielle
Gemeinschaftsfinanzierung. Die serielle Gemeinschaftsfinanzierung war ein vornehmer Ausdruck für das Prinzip „Erst zahlt der Bund, dann zahlen die Länder“. Was
als Tempomacher gedacht war, wurde von einigen
Ländern allerdings missverstanden. Sie haben serielle
Gemeinschaftsfinanzierung übersetzt mit „Erst einmal
alle Bundesgelder verbraten, und dann schauen wir
mal“.
Frau Marks, Sie hatten vorhin Rheinland-Pfalz und
Kurt Beck erwähnt. Die rheinland-pfälzischen Kommunen haben gestern öffentlich die Verweigerungshaltung
ihres Landes kritisiert. Ich möchte den Geschäftsführer
des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz zitieren: „Vom Land kam bisher nicht einmal 1 Cent.“
({5})
Deshalb rate ich Ländern wie Rheinland-Pfalz dringend,
einen Blick in die schriftlich fixierten Abmachungen von
vor fünf Jahren zu werfen. Dort heißt es wörtlich:
Die Länder werden ebenfalls finanzielle Voraussetzungen dafür schaffen, dass die vereinbarten Ziele
erreicht werden.
Im Klartext heißt das: Der Bund hilft den Ländern beim
Ausbau. Es heißt aber nicht: Die Länder dürfen zuschauen, wie der Bund für sie die Arbeit macht.
({6})
Bei allem Engagement für den Kitaausbau sollten wir
nicht vergessen, dass die Bedürfnisse von Eltern unterschiedlich sind. Der Anteil der Eltern, die ihre Kinder im
Alter von einem oder zwei Jahren in einer Kita betreuen
lassen wollen, liegt bei knapp 40 Prozent. Wir wollen,
dass die Eltern selbst entscheiden, was gut für ihre
Kinder und was gut für ihr Familienleben ist, und wir
wollen, dass diese Entscheidungen respektiert werden.
({7})
Ich sehe es deshalb mit Sorge, dass sich in der Familienpolitik zunehmend eine Allianz aus Volkswirten und
Volkserziehern gebildet hat, der es nur darum geht, dass
möglichst alle Mütter und Väter schnellstmöglich nach
der Geburt eines Kindes wieder Vollzeit arbeiten.
({8})
BDA-Präsident Hundt hat das mit seinem Vorschlag, die
Elternzeit zu verkürzen, ganz deutlich gemacht. Mir
macht diese Haltung Sorge, weil sie die Bedürfnisse von
Eltern und Kindern komplett ignoriert oder sie nur als
Sand im Getriebe der ökonomischen Effizienz wahrnimmt,
({9})
den man loswerden muss, damit Mütter und Väter dem
Arbeitsmarkt als Humankapital zur Verfügung stehen.
Familien sind aber nicht der Steinbruch der Wirtschaft
zur Fachkräftesicherung.
({10})
Bis zu Peer Steinbrück scheint sich das leider noch
nicht herumgesprochen zu haben; denn Herr Steinbrück
hat kürzlich allen Ernstes erklärt, das Betreuungsgeld
gefährde das Recht der Frau auf berufliche Selbstbestimmung.
({11})
Da frage ich mich: Was hat Herr Steinbrück eigentlich
für ein Frauenbild?
({12})
Glaubt er ernsthaft, nur weil man uns Frauen 100 Euro
hinhält, würden wir sofort sämtliche Ambitionen und
Wünsche vergessen und töricht in irgendwelche Fallen
tappen? Wenn das das Bild ist, das Herr Steinbrück von
Frauen in Deutschland hat, dann zeigt das: Er hat
wirklich ein Problem mit Frauen.
({13})
Herr Hundt und Herr Steinbrück sind Brüder im
Geiste. Beide denken, sie wüssten besser, was gut für
Familien ist. Beide haben nicht verstanden, worum es in
der Familienpolitik geht. Es geht um die Frage, wie sich
Eltern ein gutes und erfülltes Familienleben vorstellen.
Sie dabei zu unterstützen, das ist Aufgabe von Familienpolitik.
({14})
Eine Verkürzung der Elternzeit wird es mit mir daher
nicht geben. Die Wirtschaft hat es selbst in der Hand, für
familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu sorgen: Sie
kann Betriebskitas schaffen - diesbezüglich startet im
nächsten Monat ein neues Programm -; sie kann die
Arbeitszeiten familienfreundlicher gestalten; sie kann
sich von der unseligen Präsenzkultur - bester Mitarbeiter
ist, wer am längsten hinterm Schreibtisch sitzt - verabschieden. Die Wirtschaft kann selbst genug dafür tun,
damit Mütter und Väter gerne an den Arbeitsplatz zurückkehren.
({15})
Zum Schluss komme ich auf einen Punkt zu sprechen,
den Sie, Herr Kindler, angesprochen haben, nämlich auf
die Präventionsprogramme gegen Extremismus. Ich
habe im Haushaltsausschuss klar und deutlich gesagt,
dass die bestehenden Programme zur Prävention von
Extremismus auf jeden Fall weiterlaufen werden. Ich
habe immer wieder betont - das ist der politische Wille
von uns allen -, dass wir 24 Millionen Euro für die
Bekämpfung des Rechtsextremismus und 5 Millionen Euro für die Bekämpfung des Linksextremismus
und des Islamismus - so viel zu Ihrem Vorwurf der
Gleichmacherei - zur Verfügung stellen und dass es unser aller Wille ist, dass diese Mittel auch für das Jahr
2014 bereitstehen. Deswegen kann ich nur sagen: Dieses
Versprechen steht. Hören Sie auf, die Menschen, die sich
gegen Extremismus engagieren, zu verunsichern! Ihr
Engagement ist viel zu wertvoll, um im Wahlkampf als
Spielball zu dienen.
({16})
Mit dem Einzelplan 17 - es ist ein vergleichsweise
kleiner Etat - geben wir Antworten auf eine Vielfalt von
gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir haben unsere
knappen Mittel gut investiert: in die Unterstützung des
familiären Zusammenhalts, insbesondere durch das
Elterngeld; in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
insbesondere durch den Kitaausbau; in die frühkindliche
Bildung, insbesondere durch die „Offensive Frühe Chancen“; in einen besseren Kinderschutz, insbesondere
durch das neue Kinderschutzgesetz; in die Stärkung des
bürgerschaftlichen Engagements - ich nenne den Bundesfreiwilligendienst und die Jugendfreiwilligendienste -;
in den Zusammenhalt zwischen Alt und Jung durch die
Fortführung des Programms für die Mehrgenerationenhäuser; in Unterstützung für Frauen in Notlagen, insbesondere durch das neue Hilfetelefon „Gewalt gegen
Frauen“.
Das ist eine breite Vielfalt an gesellschaftspolitischen
Maßnahmen,
({17})
die für faire Chancen sorgen, die die Übernahme von
Verantwortung unterstützen, die den gesellschaftlichen
Zusammenhalt stärken und die den Menschen dabei die
Freiheit lassen, so zu leben, wie sie selbst leben wollen.
Das ist moderne Familienpolitik.
({18})
Das Wort hat nun Rolf Schwanitz für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
sprechen in der heutigen Debatte über den Haushalt
2013. Damit haben wir zum ersten Mal die gesamte
Legislaturperiode im Blick. Mein Fazit, was Ihre Arbeit,
Frau Ministerin, angeht, ist völlig klar: Das sind vier
verlorene Jahre.
({0})
Aus dem reichhaltigen Angebot an Fehlleistungen,
die bei Ihnen zu beobachten sind, will ich drei herausgreifen:
Ich fange mit dem Thema Kitaausbau an. Wir haben
schon am Anfang dieser Legislaturperiode gesagt, dass
dies das wichtigste Thema für Ihr Ressort ist. Sie haben
dieses Thema ungefähr zweieinhalb Jahre lang grundsätzlich ignoriert. Sie haben so getan, als sei das überhaupt nicht Ihre Angelegenheit.
({1})
Sie haben sich auf das schon existierende Programm gesetzt, und das war es dann.
Vor einem Jahr haben die Sozialdemokraten Ihnen im
Rahmen der Haushaltsdebatte einen Vorschlag unterbreitet: Wir brauchen aufgrund des Rechtsanspruchs ein Ergänzungsprogramm mit einem Volumen von 300 Millionen Euro. Das haben Sie abgelehnt.
({2})
Dann hat man sich für das Verstärkungsprogramm entschieden. Aufgrund der Initiative des Bundesrates und
nicht aufgrund Ihrer Tätigkeit ist es zum Verstärkungsprogramm gekommen. Weil dieses Programm ein halbes
Jahr vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs natürlich zu
spät kommt, wenden Sie nun mehr Kraft für die
Beschimpfung der Länder als die Sache selbst auf. Das
ist eine glatte Fehlleistung.
({3})
Die zweite Fehlleistung - auch wenn Sie es nicht
mehr hören wollen - ist das zentrale Versagen beim
Thema Betreuungsgeld. Als Familienministerin wäre es
eigentlich Ihre Aufgabe gewesen, sich gegen diese Vergangenheitspolitik zu stellen. Das hätte man aufgrund
Ihres Amtes erwarten können.
({4})
Stattdessen haben Sie Vorschläge zur Umsetzung gemacht. Nirgendwo sonst ist der konservative Eifer von
Frau Schröder so klar erkennbar geworden wie beim
Thema Betreuungsgeld.
({5})
Ich glaube, dass das ramponierte Image der Ministerin in der Öffentlichkeit damit zu tun hat; denn für innerparteiliche Auseinandersetzungen braucht man Stärke
und Kraft. Aber Frau Schröder ist schon längst der
Rückhalt von Kanzlerin Merkel viel wichtiger als die Interessenlagen des eigenen Ressorts. Das ist die Situation.
({6})
Frau Schröder, Sie haben sich als koalitionstreu erwiesen, und die CSU-Landesgruppe wird Ihnen sicherlich anerkennend auf die Schulter klopfen, keine Frage.
Aber Ihre Aufgabe, Anwältin für Familien und Kinder
zu sein, haben Sie nicht wahrgenommen. Sie sind an dieser Stelle eine komplette Fehlbesetzung.
({7})
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem Änderungsantrag machen, über den in der letzten Sitzungswoche
hier im Plenum entschieden wurde. Dieser Änderungsantrag hat die politische Lage noch einmal verändert.
Das Ganze steht schlicht und einfach unter der Überschrift „Tarnen und Täuschen“.
({8})
Warum? Das Ganze diente nur einem einzigen Zweck,
nämlich die milliardenschweren Finanzlasten aus dem
Bundeshaushalt 2014 in den Bundeshaushalt 2015 zu
verschieben. Das ist der Vorgang, der hier letzte Woche
passiert ist. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass
Sie noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr einen
Entwurf für den Bundeshaushalt 2014 vorlegen müssen.
Das ist nichts anderes als der Versuch, vor der Bundestagswahl die finanziellen Belastungen und die Kürzungen, die Sie im Sozialbereich zur Gegenfinanzierung
vornehmen müssen, aus dem Blickfeld der Wählerinnen
und Wähler verschwinden zu lassen. Aber das ist bemerkt worden. Wir werden Ihnen das nicht durchgehen
lassen.
({9})
Der Gipfel Ihres Amtsversagens ist aber - das ist die
dritte Fehlleistung -, wie Sie sich in den letzten drei Jahren beim Thema Rechtsextremismus verhalten haben.
Ich wollte an dieser Stelle die Koalition eigentlich dafür
loben, dass es doch noch gelungen ist, einen fraktionsübergreifenden Konsens herzustellen. Aber das kann ich
mir seit gestern leider schenken.
Was hat Frau Schröder als Erstes gemacht? Als Erstes
hat sie die Mittel für die Programme gegen Linksextremismus und Islamismus, ihre beiden Spezialthemen, in
die Ansätze für Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus eingestellt. Dann hat sie unwissenschaftliches und fehlerhaftes Material für die deutschen Schulen, die sich mit Linksextremismus befassen sollten,
erarbeiten lassen. Das waren die ersten Aktionen von
Frau Schröder.
Sie hat dann als Zweites eine Verfassungstreueerklärung aufgelegt und damit quasi kollektiv alle Initiativen
vor Ort unter Extremismusverdacht gestellt.
({10})
Sie hat damit gespalten und Vorbehalte aufgegriffen, die
sie wahrscheinlich selber hat. Im letzten Jahr - Kollege
Bockhahn, das haben Sie zu Recht in Erinnerung gerufen - gab es den Versuch, die Mittel für diesen Bereich
um 2 Millionen Euro zu kürzen. Was heißt „Versuch“?
Das sah der Entwurf von Frau Schröder vor. Die Koalition hat hier im Plenum - ein außergewöhnlicher Vorgang - gerade noch einmal diese Kürzung um 2 Millionen Euro verhindern können.
Nun, Frau Schröder, verweigern Sie den bruchlosen
Übergang der Projektförderung in das Jahr 2014 nach
dem Auslaufen des Programmes 2013. Ich finde es übrigens schamlos, zu sagen, wir instrumentalisierten das.
Monatelang haben wir mit Ihnen verhandelt und auf die
Notwendigkeit von Verpflichtungsermächtigungen hingewiesen, damit nach Auslaufen des Programms die
Projekte weiterlaufen können. Das ist übrigens auch intern von Ihnen nie infrage gestellt worden. Es hat nur nie
einen Konsens, was Handeln betrifft, gegeben.
Deswegen sage ich: Was hier droht, ist in seiner Dimension eigentlich noch gar nicht richtig zu erfassen.
Dieses Programm mit 29 Millionen Euro ist das wichtigste Förderprogramm des Bundes, das wir an der Stelle
haben. Aufgrund der bestehenden Unterdeckung kann
der Übergang nach 2014 nicht vollständig erfolgen. Angesichts der bereits laufenden Projekte können in 2014
also nahezu keine Neubewilligungen vorgenommen
werden. Es wird monatelang dauern - ich schätze, ein
halbes Jahr -, bis der Haushalt 2014 in Kraft ist und das
neue Förderprogramm anlaufen kann. Ich finde das unverantwortlich.
({11})
Frau Schröder, Sie werden Ende 2013 hoffentlich
nicht mehr im Amt sein. Ihre Verantwortlichkeit zieht
sich aber bedauerlicherweise in das Jahr 2014 hinein.
Dieser Verantwortlichkeit sind Sie in keiner Weise gerecht geworden.
Es waren vier verlorene Jahre, meine Damen und
Herren. Unsere ausgestreckte Hand ist nicht angenommen, sondern arrogant zurückgewiesen worden. Die Demokraten sollten an dieser wichtigen Stelle zusammenstehen und nicht nur reden, sondern gemeinsam handeln.
Das ist nicht gelungen. Dafür trägt die Koalition Verantwortung. Frau Schröder hat die Zusammenarbeit von
Anfang an nie gewollt. Ich sage deswegen: Nirgendwo
hat es ein so sichtbares Versagen der Merkel-Regierung
gegeben wie in Ihrem Amt.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird Sie nicht überraschen, dass sich die Wahrnehmung
der Politik der letzten vier Jahre, die ich hatte, deutlich
von dem unterscheidet, was der Kollege Schwanitz gerade vorgetragen hat.
Wir befinden uns nicht in der leichtesten Phase, um
Politik zu machen bzw. sie finanziell zu gestalten. Nach
einer schweren Wirtschaftskrise haben wir einen Haushalt übernommen, der nicht mehr in der Balance war. Er
wies ein hohes Defizit auf. Nach den Vorschlägen der
Vorgängerregierung sollte ungefähr jeder vierte Euro
über neue Schulden finanziert werden. Für nur 3 von
4 Euro waren Einnahmen eingeplant. Das war die Ausgangslage, und das musste korrigiert werden. Wir sind
da mit diesem Haushalt auch schon ein ganzes Stück vorangekommen.
Ich würde davor warnen, den Bürgern oder unseren
Zuhörern irgendwie vorzugaukeln, dass es in den letzten
vier Jahren einfach gewesen sei, teure Projekte oder
teure Ideen umzusetzen. Das war es nicht, sondern das
musste mit Augenmaß geschehen. Uns ist das auch gelungen.
Wir haben gleichwohl vor allem im Bildungsbereich
Schwerpunkte setzen können, ohne die Schulden nach
oben zu treiben. Auch der Haushalt dieses Einzelplans
hat davon profitiert. Über die Qualifizierungsoffensive
wurde Personal für Kindertagesstätten geschult und in
den Kommunen auch eingestellt, um eine Sprachförderung für Kinder, die diese brauchen, durchzuführen.
Diese Förderung wird ausgesprochen gut angenommen.
Es ist ein Beispiel dafür, dass wir gerade auch in diesem
Haushalt den Bildungsbereich verstärkt haben.
Ich darf daran erinnern, dass wir im Jahr 2010 unter
anderem die Familien durch Erhöhung des Kindergeldes
und des Kinderfreibetrages mit 5,5 Milliarden Euro gefördert haben. Sie sind also trotz Haushaltskonsolidierung in finanzieller Hinsicht die großen Gewinner der
letzten vier Jahre gewesen.
({0})
Ich komme zum wichtigen Thema Kitaausbau. Das
haben wir uns von Anfang an immer zu eigen gemacht.
Der Kollege Schwanitz hat jetzt kritisiert, man hätte sich
auf ein schon existierendes Programm draufgesetzt. Daran merkt man, Kollege Schwanitz, dass Sie mehr oder
weniger nach irgendetwas suchen, was Sie beanstanden
können. Sie hätten doch sagen können: 2007 wurde ein
Krippengipfel durchgeführt, an dem der Bund, die Länder und die Kommunen - eigentlich alle staatlichen Ebenen - teilgenommen haben, und man hat sich darauf verständigt, wie man zwischen 2008 und 2013 die
Kindertagesstätten ausbauen bzw. die entsprechenden
Plätze schaffen könnte. Das Programm von damals war
bis 2013 angelegt. Niemand musste sich also auf dieses
Programm draufsetzen, sondern man musste sich nur
einfach an die Vereinbarungen halten, die getroffen wurden. Dass dies ausgerechnet von Ihnen kritisiert wird,
zeigt, glaube ich, sehr deutlich, dass es Ihnen hier gar
nicht um die Sache geht.
({1})
Sie haben Ihre Aussage, dass man sich auf das bestehende Programm sozusagen draufgesetzt hat, noch mit
dem Nachsatz ergänzt, dass es das dann war. Aber auch
das ist falsch. Denn wir sind nicht nur die Qualifizierung
von Personal für Sprachförderung angegangen - das
habe ich gerade schon erklärt; das ist während der letzten
Jahre dazugekommen -, sondern wir haben darüber hinaus 580 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Ich frage mich übrigens, wo da die Länder waren.
Die Länder, die ja von Anfang an dabei waren, sollten
eigentlich ein Drittel zahlen. Sie haben sich aber von ihrer Beteiligung verabschiedet, und der Bund macht den
Rest jetzt allein. Das muss man einmal hervorheben. Wir
haben da mehr getan, als ursprünglich geplant war.
({2})
Wir alle sollten die Entlastungen für die Kommunen
nicht unterschätzen. Die Kommunen sind natürlich zurzeit ganz stark dadurch finanziell beansprucht, dass sie
viele Betreuungsplätze schaffen müssen. Diese kosten
viel Geld. Deswegen haben sie zu Recht darauf hingewiesen, dass es schwer ist, alles gleichzeitig zu finanzieren. Wir haben die Kommunen in noch nie dagewesener
Weise entlastet. Sie werden insgesamt über 4 Milliarden
Euro pro Jahr mehr zur Verfügung haben. Dieses Geld
kann natürlich dafür eingesetzt werden - damit fällt es
den Kommunen zumindest leichter -, Kitaplätze zu
schaffen und sich um Familien zu kümmern.
({3})
- Kollege Bockhahn, ich weiß nicht, ob Sie hier das Monopol auf Ahnung von irgendetwas beanspruchen sollten. Nach Ihrer Rede hier heute wäre ich da an Ihrer
Stelle eher zurückhaltend.
({4})
Ich glaube, dass es den Kommunen etwas bringt,
wenn sie zusätzliches Geld bekommen oder sie an anderer Stelle entlastet werden.
Ich möchte noch einen Punkt herausstellen, der oft als
Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Es geht um das
Thema Bundesfreiwilligendienst. Durch die Aussetzung
der Wehrpflicht musste innerhalb kürzester Zeit etwas
Neues aufgebaut werden. Man musste schauen, wie man
die Zivildienstleistenden ersetzt. Ich muss sagen: Gemessen an der Größe dieser Aufgabe, Frau Ministerin,
ist es ausgezeichnet gelungen. Es gab fast keine Brüche.
Der Bundesfreiwilligendienst ist sehr gut angenommen
worden.
({5})
Das war nicht selbstverständlich. Viele - hier und
auch außerhalb dieses Hauses - hatten vorher Zweifel,
ob es wirklich so gut laufen wird, wie es letzten Endes
gelaufen ist. Man muss festhalten: Hier ist etwas gut gemacht worden. Mein Herz als Liberaler schlägt höher,
wenn ich feststellen kann: Es gibt Menschen, die bereit
sind, sich freiwillig für eine gute Sache zu engagieren.
Das ist ein tolles Zeichen der Stärke der Gesellschaft in
Deutschland.
({6})
Das Wort hat nun Jörn Wunderlich für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Toncar, wenn sich jemand zurückhalten sollte, dann
Sie. Sie sagen hier, man müsse sich an Verabredungen
halten. Angesichts der Tatsache, welche Verabredungen
laut Koalitionsvertrag existieren und an welche man sich
nicht gehalten hat, könnte ich ein Fass aufmachen.
({0})
In der ersten Lesung zum Haushalt hat unsere Ministerin gesagt - ich zitiere -:
Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten können
sich Familien in Deutschland auf Union und FDP
verlassen.
({1})
Ich sage: Die sind schon verlassen.
({2})
Wenn ich die Aktivitäten unserer Ministerin zur Bekämpfung von Extremismus sehe, bin ich im Grunde
froh, dass man so wenig von ihr sieht und hört. Ich persönlich nenne das Schadensminimierung.
({3})
Der zitierte Aufwuchs im Einzelplan 17, der ja so
hoch gelobt wird, soll vor allem Familien und Kindern
zugutekommen. Frau Ministerin, das ist die Zielgruppe
im Einzelplan 17.
({4})
Dass man Sie daran erinnern muss, finde ich erstaunlich.
Einer der größten Posten bei diesem Aufwuchs ist dummerweise das Betreuungsgeld.
({5})
- Frau Fischbach, zu Ihnen komme ich noch.
({6})
Zum Thema „Faire Chancen für Frauen und Männer“
- ich nenne jetzt einzelne Punkte - kann ich nur fragen:
Wo bleiben die entsprechenden Maßnahmen? Nichts.
Quotierung ist für Frau Schröder ja ein Bäh-Wort, solange nicht „Flexi“ davor steht. Mit ihrer Flexi-Quote
würde es in den Dax-Unternehmen eine Steigerung der
Quote bis zum Jahr 2014 um 0,8 Prozent geben. Super!
Frau Reding will auf EU-Ebene 40 Prozent erreichen.
Wir wollen doch immer EU-konform sein. Was sagt
Frau Schröder dazu? Nichts.
Equal Pay Day. Alle trafen sich am Brandenburger
Tor und haben geschrien, dass ungleiche Bezahlung eine
Unverschämtheit ist. Auch die Frauen von der CDU waren dort. Frau Fischbach hat auf der Bühne ins Mikrofon
getönt: Es ist eine Sauerei, dass die Frauen weniger verdienen.
({7})
Was passiert? Nichts.
({8})
Für die Antidiskriminierungsstelle gibt es nach unserer Auffassung nicht ausreichend Mittel. Nun sind die
Kürzungen Gott sei Dank zurückgenommen worden.
Aber jeder, der sich einmal den Aufgabenbereich der
Antidiskriminierungsstelle angeschaut hat - die Berichterstatter und die Ausschussmitglieder können sich hier
nicht auf Nichtwissen berufen -, weiß, dass die Mittel
bei weitem nicht ausreichen und eigentlich 1,5 Millionen
Euro zusätzlich notwendig sind.
({9})
Das Unterhaltsvorschussgesetz ist hier schon mehrfach debattiert worden. Es gab Versprechungen, den Unterhaltsvorschuss auszubauen. Aber was ist passiert?
Nichts.
Das Elterngeld sollte ausgebaut werden. Im Haushalt
heißt es, dass es aufgestockt worden ist. Ja, aber das
geschah aufgrund von Sachzwängen. Das liegt nämlich
daran, dass die Gehälter gestiegen sind und ein paar
Väter statt eines Monats zwei Monate Elternzeit in
Anspruch genommen haben. Für eine Anspruchsverlängerung auf 24 Monate und die Anhebung des Mindestelterngeldes wären 4 Milliarden Euro notwendig gewesen.
Was ist passiert? Nichts.
Das Hilfetelefon sollte Anfang 2013 freigeschaltet
werden. 6 Millionen Euro waren dafür veranschlagt.
Jetzt sind dafür nur noch 5 Millionen Euro vorgesehen.
Es ist preiswerter geworden, soll dafür aber auch erst
später freigeschaltet werden. Noch in der ersten Lesung
des Haushalts hat Frau Schröder gesagt:
Wer eine ungefähre Vorstellung davon hat, was gewaltbetroffene Frauen physisch und psychisch
durchmachen, der weiß auch, wie wichtig dieses
Hilfetelefon ist.
Aber dann wurde ständig verschoben, verschoben, verschoben.
Zur Familienpflegezeit brauche ich nichts zu sagen.
Hier kommt es auf den Goodwill der Arbeitgeber an. In
der Form, in der der Gesetzentwurf jetzt vorliegt, könnte
man auch auf ihn verzichten.
Zum Betreuungsgeld ist schon genug gesagt worden;
das muss man nicht aufwärmen. Es ist eine Katastrophe.
Über die Mittel für den Kitaausbau ist, wie gesagt, im
Rahmen des Fiskalpakts mit den Ländern verhandelt
worden. Frau Schröder hat immer betont: Der Bund hat
geleistet, was er leisten konnte. - Wir haben von Anfang
an gesagt: „Das reicht nicht aus“, und eine Aufstockung
des Sondervermögens um 4 Milliarden Euro gefordert.
Was ist passiert? Nichts.
Nun zu der so viel gepriesenen Initiative „Offensive
Frühe Chancen“. Da macht Frau Schröder einmal etwas
Gutes - die 4 000 Stellen für die frühe Sprachförderung
im Kindergarten sind ja bewilligt -, und dann haut das
Betreuungsgeld voll rein. Gerade die Zielgruppen, die
damit erreicht werden sollten, bleiben der Kita jetzt fern.
Super! Das ist „verantwortungsvolle“ Politik aus Sicht
unserer Ministerin.
({10})
Seit der 16. Legislaturperiode wird evaluiert und
evaluiert und evaluiert. Ich sage Ihnen: Wir Fachpolitiker, die wir hier sitzen, haben doch keine Erkenntnisprobleme. Die Regierung hat Umsetzungsprobleme. Konstruktive, zielführende, gute Vorschläge der Opposition
werden rigoros abgelehnt. Außer heißer Luft und Langeweile - ab und zu hören wir, wie vorhin beim Wort
„Verbrechen“, auch einmal einen kleinen Versprecher verströmte Frau Schröder eigentlich nichts. Wenn ich es
mir genau überlege, muss ich sagen: Das ist auch gut so.
Ich hoffe nur, dass in Bälde wieder jemand Verantwortung hat, der weiß, was zu tun ist.
Bestimmt fragt noch jemand: Was ist denn mit der
Finanzierung? Ja, die Finanzierung ist wichtig. Wir
haben in unserem Antrag Finanzierungsvorschläge gemacht. Durch die Vorschläge der Linken könnte man
Mehreinnahmen in Höhe von 68 Milliarden Euro erzielen. Allein durch die Einführung des Mindestlohns
könnten wir steuerliche Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben in Höhe von 12 Milliarden Euro verzeichnen.
Auf den Einzelplan 17 bezogen bedeutet das: Wenn wir
lediglich die Bundeswehrgroßprojekte Fregatte 125
({11})
und Eurofighter nicht fortsetzen würden, könnten wir
durch die Umsetzung unserer Forderungen den Einzelplan 17 komplett, also in Gänze, finanzieren und darüber
hinaus 3 000 - ich wiederhole: 3 000 - zusätzliche
Kindertagesstätten bauen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen
Kindler und Wunderlich, Sie sollten einmal in sich
gehen. Sie meinen wohl, gegenüber der Ministerin persönlich werden zu müssen, weil sie keine Argumente
mehr haben.
({0})
Sie beide sollten sich einmal fragen, ob Sie sich auch so
benehmen würden, wenn der Familienminister ein Mann
wäre.
({1})
Ich fand es sehr chauvinistisch, wie Sie beide die Ministerin angegangen sind. Das ist nicht redlich.
({2})
Aber Sie müssen sich vor Ihrem eigenen Spiegelbild
dafür verantworten, ob es in Ordnung ist, so mit ihr
umzugehen.
({3})
Ich habe vorhin gegoogelt und mich erkundigt: Wo ist
Steinbrück? Diese Frage richte ich nun an die SPDFraktion. Er hat sich ja in der letzten Sitzungswoche hier
hingestellt, als sei er plötzlich Deutschlands Familienpolitiker.
({4})
Wo ist er denn heute, da es um den Einzelplan des Bundesfamilienministeriums geht?
({5})
Herr Steinbrück meint, jetzt der große Frauenversteher
zu sein. Er besucht Frauensalons,
({6})
wo er nicht gut ankommt, und er hat hier eine Rede zum
Betreuungsgeld gehalten, die nicht gut ankam.
({7})
In seiner viel beachteten Rede hat er gesagt - wörtliches
Zitat des Kollegen Steinbrück -: „Das Erwerbspersonenpotenzial geht deutlich nach unten.“ Das ist natürlich
entlarvend. Ich habe nachgeschaut, ob das Wort
„Kinder“ in Steinbrücks Rede überhaupt einmal vorgekommen ist.
({8})
Ergebnis: Das Wort „Kinder“ ist immer nur dann vorgekommen, wenn er gemeint hat, dass Kinder nicht der
Grund dafür sein dürfen, dass das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland nicht ausgeschöpft werden
kann. Das finde ich schon beeindruckend.
Als die Ministerin vorhin davon gesprochen hat, dass
Mütter und Väter von manchen nur als ökonomische
Manövriermasse betrachtet würden, und in diesem
Zusammenhang auf Dieter Hundt verwiesen hat, hat sich
bei keiner der drei Oppositionsfraktionen auch nur eine
Hand gerührt. Das zeigt ganz deutlich, dass Sie das genauso sehen, dass Sie nie vom Kind her denken, sondern
immer nur von der Ökonomie her. Hier hat sich leider,
wie man bei Frau Marks und Herrn Schwanitz gehört
hat, nichts geändert. Da agiert immer noch die alte
Fraktion mit ihren Ansichten von „Gedöns“ und „Lufthoheit“. Das finde ich sehr schade.
({9})
Im Haushalt des Bundesfamilienministeriums ist
- man kann es nicht oft genug sagen - ein Aufwuchs zu
verzeichnen. Wir sind diejenigen, die es wirklich
geschafft haben, dass Eltern in diesem Lande etwas
zugetraut wird, dass es Eigenverantwortung gibt in der
Familienpolitik, dass es Wahlfreiheit gibt.
Es tut mir wirklich leid, Herr Kindler, ich dachte, Sie
würden verstehen, was Wahlfreiheit bedeutet. Wahlfreiheit bedeutet nicht, dass eine 100-prozentige Abdeckung
da sein müsste. Das wäre Wahnsinn, das wäre weit über
Bedarf.
({10})
Es geht vielmehr darum, den Eltern zuzutrauen, dass sie
am besten wissen, was gut für ihre Kinder ist.
Wir lösen ein Versprechen ein, das der Bevölkerung
bereits 2007 gegeben wurde.
({11})
Zu einer redlichen Politik gehört es, zu sagen: 2007 versprochen, 2012 nicht gebrochen. Zum 1. August 2013
können die Eltern in diesem Land wirklich wählen.
({12})
Sie können wählen, und sie haben einen Rechtsanspruch.
({13})
Es ist unserer christlich-liberalen Koalition zu verdanken, dass an diesem Rechtsanspruch nicht gerüttelt wird,
dass dieser Rechtsanspruch aufrechterhalten bleibt. Bis
zum Starttermin werden genügend Plätze zur Verfügung
stehen.
Schauen Sie sich einmal an, wer die Länder regiert, in
denen der Ausbau nicht vorankommt!
({14})
Fassen Sie sich an die eigene Nase! Es ist Wahnsinn, wie
Sie hier behaupten können, dass Sie etwas tun, während
die Länder, die rot-grün oder grün-rot oder wie auch immer regiert werden, ihre Hausaufgaben nicht machen.
({15})
Der Bund hat, obwohl er primär nicht zuständig ist,
viel für den Ausbau getan. Wir haben für die Schaffung
von mindestens 30 000 zusätzlichen Plätzen noch einmal
580,5 Millionen Euro zugesagt. Bis 2013 stellt der Bund
für den Ausbau insgesamt 4,6 Milliarden Euro zur
Verfügung. Ab 2014 beteiligt er sich an den laufenden
Betriebskosten mit 845 Millionen Euro jährlich.
({16})
- Das ist schon spannend: Wenn irgendetwas gut ist,
dann heißt es: Da waren wir mit in der Regierung. Wenn
Ihnen dagegen etwas nicht passt, dann wollen Sie davon
nichts wissen. Auf der linken Seite des Hauses ist eine
Teilamnesie zu beobachten, die schon beeindruckend ist.
Das ist nicht akzeptabel.
({17})
Den größten Posten im Etat des Bundesfamilienministeriums bildet das Elterngeld. Das Elterngeld bleibt da können noch so viele Arbeitgeberpräsidenten meinen,
daran rütteln zu müssen. Ich freue mich, dass wir bei der
Zahl der Väter, die Elternzeit nehmen, einen neuen
Höchststand verzeichnen. Wir erleichtern jungen Paaren
damit das Ja zu Kindern. Es ist ein unschätzbarer
Gewinn, dass immer mehr Väter aussteigen, um sich an
der Betreuung der Kinder partnerschaftlich zu beteiligen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei
dem wir eine wirklich nachhaltige Politik betrieben
haben und auch Haushaltsmittel bereitgestellt haben:
Das ist die Bundesinitiative Familienhebammen, für die
im Jahr 2012 im Zusammenhang mit dem Bundeskinderschutzgesetz extra ein neuer Titel geschaffen wurde.
Familienhebammen stärken als Teil der Frühen Hilfen
nachhaltig den Kinderschutz. Hierfür stellt der Bund
2013 45 Millionen Euro, 2014 und 2015 jeweils 51 Millionen Euro zur Verfügung.
({18})
Seitens der Länder gab es an dieser Stelle Kosteneinwände. Nach den Vorstellungen der Länder sollten normale Hebammen die Betreuung weiterführen. Das sehen
wir anders. Kinderschutz gibt es nicht umsonst. Er ist
uns diese zweistelligen Millionenbeträge wert.
Wir haben - das ist gelobt worden, aber von Herrn
Wunderlich mit dem anderen Teil seines Körpers gleich
wieder eingerissen worden ({19})
eine ganz wichtige Maßnahme - „Schwerpunkt-Kitas
Sprache und Integration“ - auf den Weg gebracht. Der
Bund fördert dabei in 4 000 Einrichtungen besonders
Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien mit und
ohne Migrationshintergrund, die einen hohen Sprachförderbedarf haben.
An diesen ganzen Positionen sehen Sie, dass innerhalb der letzten drei Jahre in der Familienpolitik der
christlich-liberalen Koalition ein Erfolgsmodell das
nächste jagt.
({20})
- Dass Ihnen das wehtut, ist doch völlig klar. An Ihrer
Stelle würde es mich natürlich auch nerven, wenn ich
wüsste, dass ich die nächsten Jahre und Jahrzehnte in der
Opposition bleiben muss.
({21})
Natürlich tut es weh, dass wir eine gute Politik für Familien machen
({22})
und die Eltern, wie eingangs erwähnt, primär selbst Verantwortung tragen lassen.
Damit komme ich zu einem weiteren Erfolgsmodell.
Sie sehen: Wir können gar nicht genug davon aufzählen.
Meine Redezeit reicht gar nicht aus, um alle Erfolgsmodelle zu erwähnen.
({23})
Wir haben den Bundesfreiwilligendienst eingeführt.
Ich bin Florian Toncar dankbar dafür, dass er ihn schon
angesprochen hat. Dieser Bundesfreiwilligendienst war
von Ihnen schon totgesagt, bevor er begonnen hat.
({24})
Herr Wunderlich hat gefragt: Warum hören Sie nicht
öfter auf die Opposition? Genau deswegen nicht, weil
Sie nicht wissen, wie es richtig funktioniert! Junge
Menschen in diesem Land verschreiben sich freiwillig
der guten Sache.
({25})
Im Moment engagieren sich 37 000 Freiwillige im
Bundesfreiwilligendienst. In einigen Regionen würden
sich gerne noch viel mehr junge Leute engagieren. Uns
wird beim Bundesfreiwilligendienst also wirklich die
Bude eingerannt.
Ganz besonders wichtig ist mir auch, dass wir mit den
über 27-Jährigen eine ganz neue Zielgruppe erschlossen
haben. Diese stellen einen Anteil von knapp 40 Prozent
der Freiwilligen. Rund 21 Prozent sind älter als 50 Jahre.
Auch das ist wirklich positiv. Ich kann dazu nur sagen:
Jawohl, hier ist gelebtes Engagement, gelebte Freiwilligkeit und gelebtes Bürgerengagement, das gar nicht hoch
genug bewertet werden kann.
Sie sehen also: Wir haben in allen Bereichen schon
jetzt unsere Hausaufgaben gemacht, obwohl die Legislaturperiode noch ein Jahr läuft. Wir werden unsere
Familienpolitik selbstverständlich mit dem gleichen
Engagement und der gleichen Leidenschaft weiterführen.
({26})
Meine Mutter hat heute nicht Geburtstag, aber der
Staatssekretär hatte gestern Geburtstag. Deswegen an
dieser Stelle: Hermann Kues, meine Rede widme ich dir.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Bär, Gleichberechtigung und Gleichstellung bedeuten natürlich auch, dass eine Debatte auf Augenhöhe geführt wird, und zur Debatte auf Augenhöhe
gehört auch, Kritik auf Augenhöhe äußern zu dürfen.
({0})
Wenn man sich den Einzelplan 17 anschaut, dann erkennt man: Die Kollegen hier haben komplett recht. Die
Ministerin hat wenig gesät, und deshalb ist die Ernte
auch so dürftig. Das darf man hier auch einmal so sagen.
({1})
Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bereich
Kitaausbau an. Warum kritisieren wir das so? Lange Zeit
wurde hier nichts getan. Ich weiß von wirklich unzähligen Anträgen, Entwürfen und Debattenbeiträgen von
allen Fraktionen, in denen gesagt wurde: Sie kann da
nicht nur zuschauen. Der Rechtsanspruch kommt. Wir
müssen das ernst nehmen. - Bewegt hat sich aber nichts.
Erst als Druck von den Eltern mit ihren Klagedrohungen, von den Kommunen, die gesagt haben: „Das kommt
auf uns zu“, und von den Ländern, die gesagt haben: „Da
muss etwas getan werden“, aufkam, gab es hier Bewegung - und auch das nur im kleinsten Stil.
Wir haben noch immer keine Antwort darauf, was wir
eigentlich machen, wenn uns 220 000 Kitaplätze fehlen,
und darauf, woher die Erzieherinnen und die Erzieher
kommen sollen und wo wir sie ausbilden. Wir haben
überhaupt noch keine Antwort darauf,
({2})
wie wir sie für ihre Arbeit mit unseren Kindern jemals
besser bezahlen können. Noch weniger Debatten gibt es
darüber - zumindest kenne ich aus Ihren Reihen,
geschweige denn vom Ministerium, keine einzige Debatte darüber -, wie es eigentlich um die Qualität in den
Tagesstätten bestellt ist.
Wo sind Ihre Antworten, wenn es um Bildung geht?
Sie tun nichts und sitzen die Dinge aus. Das muss man
hier auch einmal sagen.
({3})
Schauen Sie sich zum Beispiel Nordrhein-Westfalen
an. Ihre Partei, die CDU, hat doch immer wieder
gebremst. Jetzt stehen Sie da und sagen: Wir waren erfolgreich mit unserer Bremse. - Deshalb sind Sie hintendran. So funktioniert das nicht.
({4})
Entweder wir haben ein Ziel für die Kinder, dann müssen wir handeln, oder aber Sie lassen es sein. Das zeigen
Sie uns auch mit Ihrer Debatte über die Betreuung. Aber
dann sagen Sie doch einmal ehrlich, was Sie eigentlich
wollen.
({5})
Ich will Ihnen noch etwas sagen, Frau Ministerin, da
Sie das Betreuungsgeld als eine Falle für Frauen bezeichnen. Herrgott, warum haben Sie es dann vertreten?
Warum verteidigen Sie es noch immer? Dann können
Sie sich doch davon verabschieden. Das ist übrigens
Politik - für den Fall, dass es Ihnen noch niemand erklärt
hat. Politik hat auch dann Stellung zu beziehen, wenn es
etwas schwieriger wird, und dann muss man das auch
durchhalten. Ich habe noch nie erlebt, dass Sie einmal
Stellung bezogen und das dann auch durchgehalten haben. Das wünschte ich mir von einer Familienministerin
für alle Familien in diesem Land.
({6})
Vorhin wurde gesagt, bei Hartz IV machten Sie jetzt
Bildungssparen. Ich bitte Sie: Warum schaffen Sie nicht
einfach gute Bildungseinrichtungen für Kinder, statt auf
Bildungssparen zu setzen?
({7})
Sie verlangen von Menschen, die von Hartz IV leben,
dass sie auch noch Geld zurücklegen sollen, das sie aber
nicht haben. Woher sollen sie es denn nehmen? Wie
nachhaltig ist das denn? Am Ende gewinnt immer die
Bank. Das werden Sie erreichen, aber die Kinder bleiben
auf der Strecke. Das können Sie drehen und wenden, wie
Sie wollen. Das funktioniert nicht.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gestern
noch etwas Furchtbares gehört. Ich habe einen Anruf
von einer Journalistin erhalten, die aus der Pressekonferenz der Ministerin gekommen ist. Dabei ging es um
sexuellen Missbrauch. Sie sagte: Wissen Sie was, Frau
Deligöz, ich bin verzweifelt. Ich sehe in diesen Ministerien die organisierte Nichtverantwortlichkeit. Alle machen Pressekonferenzen, aber niemand hat eine Antwort.
Was ist denn eigentlich mit der Lage der Opfer und der
Opferentschädigung? Es geht hin und her. Keiner verhandelt, keiner macht etwas, keiner tut etwas. Alle reden
darüber, alle feiern sich. Aber niemand nimmt etwas in
die Hand und bringt etwas voran. Die Opfer bleiben bei
der ganzen Geschichte auf der Strecke. - Die organisierte Nichtverantwortung prägt die Zeit, in der Sie
Ministerin waren, Frau Ministerin.
({9})
Sie werden als die Ministerin in die Geschichte eingehen, die nie da war, weder im Parlament noch in den
Debatten noch wenn es darum ging, Lösungen für die
Probleme der Familien zu finden. Das prägte die Zeit, als
Sie Ministerin waren.
({10})
Das Wort hat nun Jörg von Polheim für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin, zum Thema Bildungssparen
kann ich nur sagen: Sie haben effektiv nicht verstanden,
was da gemacht wird.
({0})
- Doch, es ist sehr gut zu verstehen. Man muss nur lesen.
Wir beraten heute den Einzelplan 17. Hierzu ist schon
einiges gesagt worden. Ich muss erst einmal mein Erstaunen ausdrücken angesichts der Vorschläge der Opposition, vor allem des Änderungsantrags der SPD-Fraktion. War es nicht Ihr Kanzlerkandidat, der dieser
schwarz-gelben Koalition in der Generalaussprache
mangelnden Sparwillen vorgeworfen hat? Weil Sie uns
ja immer vorwerfen, wir würden nicht genug für die
Menschen tun, also nach Ihren Vorstellungen nicht genug Geld ausgeben, wobei Sie im nächsten Atemzug
schon wieder kritisieren, dass wir nicht genug sparen
würden, habe ich mir einmal die Frage gestellt: Was machen Sie eigentlich, wenn Sie regieren?
({1})
Zwei Beispiele: Grün-Rot in Baden-Württemberg ist
mit vollmundigen Versprechungen gestartet. Im Bildungsbereich sollte es Millioneninvestitionen geben.
Was ist davon geblieben? Sie haben die Verschuldung
des Landes nach oben geschraubt und streichen im
nächsten Jahr 11 600 Lehrerstellen. Das ist wohl die
neue grün-rote Bildungspolitik - gut zu wissen.
({2})
Oder schauen wir uns einmal die Jugendpolitik in
Hamburg an: Die SPD-Regierung reduziert den Ansatz
für die Jugendsozialarbeit um 3,5 Millionen Euro - auch
hochinteressant.
({3})
Im Gegensatz zur SPD haben wir keine neuen Ausgaben auf Pump finanziert. 2013 gibt der Bund weniger
Geld aus als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Damit
sind wir die erste Regierung, die das in der Geschichte
dieses Landes überhaupt hinbekommt. Darauf können
wir stolz sein.
({4})
Damit schaffen wir die Perspektiven für einen strukturell
ausgeglichenen Haushalt 2014 und für mehr Generationengerechtigkeit. Das ist ein wichtiger Erfolg; denn nur
so erhalten wir auch in Zukunft Handlungsspielräume
für junge Menschen.
Trotzdem haben wir andere Aufgabenfelder nicht außer Acht gelassen. Zum Beispiel haben wir mit der Freiwilligendienstreform das bürgerschaftliche Engagement
in unserem Land in historischem Maße vorangebracht.
Oder nehmen wir die Extremismusprävention. Es ist
schon abenteuerlich, wenn sich Politiker der Opposition
öffentlich hinstellen und behaupten, diese Koalition unternähme nicht genug gegen den politischen Extremismus. Wir haben die Mittel hierfür von 24 Millionen auf
29 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. Damit gibt der
Bund heute fast dreimal so viel aus wie im Jahr 2005 unter Rot-Grün.
({5})
Wir haben durch die Verlagerung von Verwaltungsaufgaben auf das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zusätzlich 2 Millionen Euro für die
Programme ermöglicht. Wir haben mit dem neuen Programm „Demokratie stärken“ die Perspektive erweitert
und auch den religiösen Extremismus ins Visier genommen. Angesichts mehrerer Übergriffe auf jüdische Mitmenschen in den letzten Monaten war das eine vorausschauende Entscheidung.
Abschließend möchte ich auf etwas eingehen, was
mich während der ersten Beratung des Haushaltes im
September wirklich gestört hat. Es ist in Ordnung, wenn
man sich in der Sache hart und klar auseinandersetzt.
Aber unsachliche Vorwürfe, mit deren Hilfe die Realität
absichtlich verzerrt dargestellt wird, gehören nicht dazu.
({6})
Der Vorwurf, Union und FDP hätten die Jugendpolitik
vernachlässigt, ist genauso unsachlich wie falsch.
({7})
Sie ignorieren damit wissentlich und absichtlich eine
Menge Erfolge dieser Koalition, sei es die Stärkung des
Partizipationsgedankens im Kinder- und Jugendplan, die
Förderung der U-18-Wahl oder die von uns erreichte
Fortsetzung des Programms „Schulverweigerung - Die
2. Chance“. Das alles haben wir mit unserem Antrag zur
eigenständigen Jugendpolitik beschlossen.
Wenn all das für Sie, liebe Damen und Herren der Opposition, nicht erwähnenswert ist, dann stellen Sie das
öffentlich klar. Sagen Sie doch, dass Sie die Mittel für
diese Programme kürzen wollen. Dann schenken Sie den
Menschen wenigstens reinen Wein ein. Aber hören Sie
mit der Schwarzmalerei auf. Diese dient nicht den Menschen, sie dient nur Ihren eigenen Zwecken, dem Wahlkampf. Aber da machen wir nicht mit.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Sönke Rix für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal zu der Frage, ob man in solchen
Debatten etwas schärfer angreifen darf. Anscheinend hat
das, was wir gesagt haben, gesessen, Frau Bär; denn Kritik, die ankommt und vielleicht auch einmal wehtut, ist
vielleicht berechtigte Kritik. Wenn die Ministerin für
diesen Haushalt nicht die Verantwortung übernehmen
und sich vor Kritik wegducken will, dann tut sie mir
wirklich sehr leid.
({0})
Wir haben heute schon öfter gehört: Das ist die beste
Regierung seit 1990 oder sogar aller Zeiten.
({1})
Gerade eben haben wir sogar gehört, das sei die erste
Regierung seit langem, die keine neuen Schulden aufnehme. - Das stimmt nicht: 17 Milliarden Euro neue
Schulden werden gemacht. Aber gut, man kann auch
einmal mit Unwahrheiten hantieren, um sich zur besten
Regierung aller Zeiten zu machen. Damit sollten Sie
aber vorsichtig sein, das werden die Wähler nicht honorieren.
({2})
Ein Erfolgsmodell jagt also das nächste. Da haben wir
zum Beispiel die eigenständige Jugendpolitik. Da wurde
uns gerade - mein Vorredner hat es gesagt - klargemacht: Natürlich ist man in der Jugendpolitik sehr aktiv.
Die Ministerin hat dazu sehr wenig oder fast gar nichts
gesagt. Aber gut, wir nehmen einmal an, dass auch die
Ministerin weiß, dass sie für die Jugend zuständig ist.
Gerade wurde die Förderung der U-18-Wahlen erwähnt. Es ist interessant: Das sehen Sie also als gutes
Projekt an, das halten Sie für eine gute Maßnahme. Dann
ziehen Sie doch einmal die richtigen Schlüsse aus diesem Projekt, und führen Sie als Wahlalter 16 Jahre ein.
Damit würden Sie eine konkrete Maßnahme umsetzen.
({3})
Das nächste Erfolgsmodell soll angeblich das Betreuungsgeld sein, auch wenn dazu von der FDP auffälligerweise nicht intensiv Stellung bezogen worden ist. Na ja,
man muss nicht jedes Erfolgsmodell mittragen. Aber Sie
werden sich vorwerfen lassen müssen: Sie haben es mitgetragen. Sie haben mitgestimmt. Die Mehrheit Ihrer
Fraktion war dafür. Sie haben dazu beigetragen, dass es
jetzt tatsächlich kommen wird.
Diesen Vorwurf müssen Sie sich immer wieder anhören, auch wenn Sie sich lieber wegducken und zu dem
Thema am liebsten nichts sagen würden. Es ist etwas anderes, ob ein Gesetzentwurf noch geprüft wird oder ob
man mit den eigenen Stimmen dazu beiträgt, dass dieser
Entwurf als Gesetz in Kraft tritt. Das haben Sie zu verantworten.
({4})
Jetzt wird immer darauf hingewiesen, es sei ein
schlechtes Argument, dass der BDA-Präsident dies als
schlecht für den Arbeitsmarkt bezeichnet hat. Mir ist es
neu, dass Schwarz-Gelb selten auf den BDA-Präsidenten
hört. Aber es gibt eine Vielzahl von Argumenten, die dagegensprechen, und ein Argument ist das, was der BDAPräsident gesagt hat: Es ist für den Arbeitsmarkt kontraproduktiv. Das ist eines von vielen Argumenten, aber
nicht einmal dem hören Sie zu.
({5})
Andere Argumente wie die damit einhergehende Integrationsfeindlichkeit und Bildungsfeindlichkeit muss ich
nicht noch einmal erwähnen.
Aber es wird auch immer wieder von wirklicher und
wahrer Wahlfreiheit gesprochen; Frau Bär hat das heute
auch wieder getan. Kein Mensch hat gesagt, wir brauchen für 100 Prozent der Kinder Plätze. Für jedes Kind
ein Platz würde schließlich in der Konsequenz bedeuten:
Wir wollen auch, dass unbedingt jedes Kind in eine Kita
geht.
({6})
Wir sagen: Das entscheiden die Eltern selbst. Wir müssen aber den Eltern die Möglichkeit geben, dass genügend Plätze zur Verfügung stehen, damit sie wirklich die
Wahlfreiheit haben. Das erreichen Sie aber nicht, wenn
Sie so etwas Kontraproduktives einführen wie das Betreuungsgeld. Das ist das Gegenteil von Wahlfreiheit,
Frau Bär.
({7})
Die Kanzlerin hat in ihrer Rede zum Haushalt ganz
beiläufig erwähnt, dass man den Wehrdienst abgeschafft
hat - auch wenn das wahrscheinlich eher eine Zufallsentscheidung der schwarz-gelben Regierung war - und
dass man den Bundesfreiwilligendienst eingeführt hat,
der, so die Kanzlerin wortwörtlich, „seinesgleichen“
sucht. Natürlich sucht er seinesgleichen, aber man hätte
ihn gar nicht einführen müssen;
({8})
denn es gab erfolgreiche Modelle von Freiwilligendiensten durch den Jugendfreiwilligendienst. Das hätten Sie
sich sparen können. Hätten Sie stattdessen Geld in erfolgreiche Projekte wie FSJ und FÖJ gesteckt, dann wären wir alle zufrieden, und die Kanzlerin hätte wahrscheinlich gar nicht sagen müssen, dass es ein Modell
gibt, das seinesgleichen sucht.
({9})
Denn was Sie mit dem neuen Modell geschaffen haben, sind Doppelstrukturen und Konkurrenz unter den
Modellen. Sie haben es geschafft, dass man innerhalb einer Einrichtung für Freiwilligentätigkeiten unterschiedlich bezahlt wird bzw. unterschiedliches Taschengeld
bekommt und dass es verschiedene rechtliche RahmenSönke Rix
bedingungen gibt. Das hätten Sie sich sparen können.
Das hätten Sie nicht machen müssen, hätten Sie einfach
FSJ und FÖJ gestärkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend zur
Debatte um die sogenannten Extremismusprogramme.
Wir haben tatsächlich einstimmig einen überparteilichen
Antrag beschlossen, in dem wir gesagt haben: Wir wollen die demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen
Rechtsextremismus engagieren. Ich habe dann zuerst gedacht: Wunderbar! Wir haben einen einstimmigen Beschluss des Parlaments; jetzt wird die Regierung ja wohl
handeln.
Der Innenminister hat in seinen Bereichen gehandelt,
indem er mehr Geld für die Bekämpfung von Rechtsextremismus ausgibt, und er wird andere Strukturen
schaffen. Ich habe mich darauf gefreut, dass sich wahrscheinlich auch die Jugendministerin dazu äußern wird
und entsprechend handeln wird. Aber was ist passiert?
Nichts. Gar nichts ist passiert. Es ist keine Erhöhung erfolgt. Es werden keine Grenzen abgebaut. An dieser
Stelle ist überhaupt nichts passiert. Dafür sollten Sie sich
angesichts dieses einstimmigen Beschlusses des Parlaments schämen, Frau Ministerin.
({10})
Wir haben nach wie vor die Extremismusklausel. Wir
haben nach wie vor Ungerechtigkeiten, was die Kofinanzierung anbelangt. Wir haben nach wie vor eine Vermischung verschiedener angeblicher Extremismusformen,
und wir haben nach wie vor keine kontinuierliche Finanzierung, obwohl wir es eigentlich alle gemeinsam wollen. Oder behaupten wir nur, dass wir es alle gemeinsam
wollen?
Jetzt hätten wir die Möglichkeit, in der namentlichen
Abstimmung zumindest ein kleines Signal an die Verbände, Organisationen und Projekte zu senden, die sich
gegen Rechtsextremismus engagieren. Es wäre ein kleines Signal, indem wir ihnen sagen: Ihr müsst euch bis
zum nächsten Haushaltsjahr keine Sorgen machen; wir
schaffen eine Verpflichtungsermächtigung. Ihr bekommt
weiter euer Geld für die guten Projekte gegen Rechtsextremismus. - Aber dafür sind Sie sich wohl zu schade.
Warum machen Sie nicht mit, liebe Kolleginnen und
Kollegen?
({11})
Sie haben heute die Möglichkeit, dieses kleine Zeichen zu setzen, statt nur dann ein paar Worte zu sagen,
wenn man tatsächlich einmal aktuell darauf angesprochen wird. Wenn Sie dieses Zeichen jetzt nicht setzen,
dann werden wir spätestens nach der nächsten Wahl dafür sorgen, eine kontinuierliche Finanzierung hinzubekommen, so wie wir auch versuchen werden, Ihre Fehler
auszubügeln. Das wird eine harte Arbeit, aber ich
glaube, wir werden es auf jeden Fall besser machen.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Erwin Rüddel für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 17 macht deutlich, dass die christlich-liberale
Koalition auch vor dem Hintergrund von Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung nachhaltig in die
Zukunft unserer Gesellschaft investiert. Familien und
Kinder, Frauen und Senioren können sich auf diese Koalition verlassen.
({0})
Wir fördern den gesellschaftlichen Wandel mit zukunftsweisenden Projekten, von denen ich in der Kürze der
Zeit nur einige wichtige anführen kann.
Dazu gehört das Elterngeld, mit dem Mütter und Väter dabei unterstützt werden, Familie und Beruf partnerschaftlich zu gestalten. Dass sich immer mehr Väter
- wir haben es heute lesen können - in den ersten Monaten um ihre Kinder kümmern, begrüßen wir ausdrücklich. Übrigens fördern wir damit auch den frühen Wiedereinstieg von Müttern in den Beruf.
({1})
Ich betone das deshalb, weil die Opposition in diesem
Haus mit Vorliebe das Phantom des Heimchens am Herd
beschwört. Das Gegenteil ist richtig: Wir sorgen mit dem
Elterngeld dafür, dass die Kindererziehung keineswegs
den Abschied vom Beruf bedeutet; vielmehr haben
Frauen die Chance, frühzeitig wieder in den Beruf einzusteigen und sich eine eigene Altersversorgung aufzubauen.
Zu unseren herausragenden familienpolitischen Leistungen gehören die Zuwendungen für die Kitas, die weit
über die ursprünglichen Zusagen des Bundes hinausgehen: 4,6 Milliarden Euro für den Kitaausbau und ab
2014 über 800 Millionen Euro jährlich für die Betriebskosten. Das sind enorme Summen. Ich wünsche mir nur,
dass endlich das Gejammere und die falschen Schuldzuweisungen einiger Bundesländer aufhören.
({2})
Aber das Thema Kitaausbau ist nur die Spitze des
Eisberges. Beim Engagement für die Familienhebammen, für die Sprachförderung benachteiligter Kinder und
für ungewollt kinderlose Paare stehen wir vor derselben
Sachlage. Der Bund hat die Initiative ergriffen und den
Löwenanteil der Kosten übernommen. Das gilt für die
Familienhebammen - Stichwort „Frühe Hilfen“ -, das
gilt für die Sprachförderung in 4 000 Kitas - Stichwort
„Frühe Chancen“ -, das gilt für die Bereitschaft des
Bundes, die Zuschüsse für Leistungen bei ungewollter
Kinderlosigkeit aufzustocken.
Dagegen haben wir von manchen Landesregierungen
höchst fadenscheinige Argumente zu hören bekommen.
In besonderer Weise hat sich hier Frau Dreyer aus Mainz
hervorgetan. Wenn es allein nach ihr gegangen wäre,
würde auch die Erfüllung des Kinderwunsches weiter
entscheidend von den individuellen Vermögens- und
Einkommenssituationen der betroffenen Paare abhängig
sein. Was daran sozial sein soll, weiß ich nicht. Aber
jetzt zahlen ja die Kassen. Auch so kann man sich aus
der Verantwortung stehlen und aus der Affäre ziehen.
Wir sind der Frau Ministerin Schröder besonders für
das Projekt „Frühe Chancen“ dankbar, geht es doch darum, in einem schwierigen Umfeld möglichst schnell die
deutsche Sprache zu lernen. So bringen wir die Integration voran und schaffen die Voraussetzungen für gute
Bildung und gute berufliche Chancen.
Beleg für die erfolgreiche Arbeit der Ministerin ist in
besonderer Weise auch der Bundesfreiwilligendienst.
Die Opposition hat dieses Projekt zu Unrecht in Zweifel
gezogen und ist beeindruckend widerlegt worden; denn
der Bundesfreiwilligendienst ist ein Erfolgsmodell, das
alle Erwartungen übertrifft.
({3})
Wir haben ebenfalls dank einer Initiative der Ministerin die Familienpflegezeit, mit der wir die Vereinbarkeit
von Pflege und Beruf erleichtern. Mit dem Gesetz werden wir sicherlich nicht alle Probleme lösen, aber es ist
ein sehr wichtiger Schritt auf dem Weg, das große
Thema der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch alternden Gesellschaft zu bewältigen.
Ein weiteres Erfolgsmodell sind die Mehrgenerationenhäuser. Sie stehen exemplarisch für die Förderung eines bürgerschaftlichen Engagements, das alle Generationen zusammenführt.
Kurz vor dem Abschluss steht ein wichtiges frauenpolitisches Projekt, nämlich das bundesweite Hilfetelefon. Wir verbinden damit, auch mit Blick auf die Integration, ein konkretes Ziel; denn das Hilfetelefon wird
gerade Frauen, die der deutschen Sprache vielleicht nur
unvollkommen mächtig sind, Rat und Hilfe in ihrer Muttersprache bieten.
({4})
Nicht vergessen sollten wir die Finanzierung der beiden Entschädigungsfonds für die Heimkinder West und
Ost in Höhe von 15 Milliarden Euro.
Nicht vergessen sollten wir außerdem, dass wir die
Kinderrechte gestärkt haben.
({5})
Abschließend noch ein Wort zum Betreuungsgeld;
denn für die Opposition scheint es ja kaum ein wichtigeres Thema zu geben. Wir wollen Wahlfreiheit und Vielfalt. Deshalb bieten wir die unterschiedlichsten Instrumente in der Familienförderung und alternative Anreize
zur privaten Altersvorsorge und zum Bildungssparen an.
Wir halten nichts davon, die Lebensentwürfe von Familien polemisch oder gar diffamierend gegeneinander auszuspielen.
({6})
Wir betrachten es als Beleidigung für alle Mütter und
Väter, wenn so getan wird, als bestünde die größte Gefahr für ein Kleinkind in Deutschland ausgerechnet darin, von den eigenen Eltern betreut zu werden.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Än-
derungsanträge vor.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/11548, zu dem namentliche
Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. -
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Abstimmungen über weitere Ände-
rungsanträge fort.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der SPD auf
Drucksache 17/11549. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsan-
trag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
Fraktion, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dage-
gen haben CDU/CSU und FDP gestimmt.
Wir kommen zu zwei Änderungsanträgen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Drucksa-
che 17/11550 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die SPD-Frak-
tion hat sich enthalten. CDU/CSU und FDP haben ihn
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11551. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustim-
1) Ergebnis Seite 25439 C
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
mung durch die Oppositionsfraktionen. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 567. Mit
Ja haben gestimmt 261, mit Nein haben gestimmt 306.
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 261
nein: 306
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Frank Hofmann ({6})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({7})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({8})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({9})
({10})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({11})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({12})
Werner Schieder ({13})
Ulla Schmidt ({14})
Carsten Schneider ({15})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({16})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Waltraud Wolff
({17})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({18})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Sabine Zimmermann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({19})
Volker Beck ({20})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({21})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Monika Lazar
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({22})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Claudia Roth ({23})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({24})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({25})
Manfred Behrens ({26})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({27})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({28})
Axel E. Fischer ({29})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({30})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Dr. Egon Jüttner
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({31})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({32})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({33})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({34})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({35})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({36})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({37})
Anita Schäfer ({38})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({39})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({40})
({41})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({42})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({43})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({44})
Peter Weiß ({45})
Sabine Weiss ({46})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({47})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({48})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth ({49})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({50})
Michael Link ({51})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({52})
({53})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Manfred Todtenhausen
Serkan Tören
Johannes Vogel
({54})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({55})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Einzelplan 17 angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben
dagegen gestimmt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte II a und II b
auf:
II a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes
- Drucksache 17/11295 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({56})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Marlene Rupprecht ({57}), Katja Dörner,
Diana Golze und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Umfang der Personensorge und die Rechte des
männlichen Kindes bei einer Beschneidung
- Drucksache 17/11430 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({58})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({59})
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
({60})
Ich eröffne die Aussprache, wenn im Saal Ruhe
herrscht. Ich bitte diejenigen, die anderweitige Gespräche führen, diese entweder zu unterbrechen oder woandershin zu verlegen.
Ich gebe das Wort der Bundesministerin der Justiz,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
({61})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es gibt auf der Welt kein Land, das die religiöse Beschneidung von Jungen generell unter Strafe
stellt. Dass sich Eltern straffrei für eine medizinisch
fachgerechte Beschneidung ihres Sohnes entscheiden
können, wurde bis vor kurzem auch in der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte hinweg nicht ernsthaft
bezweifelt.
Im Mai dieses Jahres bewertete das Landgericht Köln
einen einzigen Fall anders. Erstmalig seit dem Bestehen
der Bundesrepublik hat damit ein deutsches Gericht die
insbesondere von Juden und Muslimen praktizierte
Beschneidung von Jungen rechtlich infrage gestellt. Das
Kölner Urteil hat über den Einzelfall hinaus zwar keine
Bindungswirkung. Dennoch führte es zu großer Verunsicherung - ({0})
Frau Bundesministerin. - Ich bitte sehr um Ruhe. Wir
führen hier eine wirklich ernsthafte Debatte. Ich finde,
wenn Gespräche jenseits dessen, was hier diskutiert
wird, geführt werden sollen, dann können sie woanders
stattfinden, aber nicht hier im Saal. - So.
Das Kölner Urteil hat über den Einzelfall hinaus zwar
keinerlei Bindungswirkung. Dennoch führte es zu großer
Verunsicherung bei Ärzten. Es wurden Strafanzeigen
gestellt. Juden und Muslime sehen sich in ihrer Religionsausübung gefährdet. Mit dem heute zu beratenden
Gesetz wollen und müssen wir zu der Normalität zurückkehren, die weltweit und bis zum Mai dieses Jahres auch
in Deutschland als selbstverständlich galt. Eltern dürfen
einer fachgerechten Beschneidung ihres nicht einwilligungsfähigen Sohnes zustimmen, ohne den Staatsanwalt
fürchten zu müssen.
Das ist die weit überwiegende Auffassung dieses
Hauses, wie der fraktionsübergreifende Beschluss vom
19. Juli 2012 gezeigt hat. Dies entspricht auch der
Vorgabe unseres Grundgesetzes. Das Grundgesetz legt in
Art. 6 die Pflege und Erziehung der Kinder in die Hände
der Eltern. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass
Eltern - ich zitiere grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie
ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen.
Ziel, Inhalt und Methoden der elterlichen Erziehung liegen im Verantwortungsbereich der Eltern.
Nicht der Staat, sondern die Eltern entscheiden also zuallererst, was für ihre Kinder das Richtige ist. Der Staat
muss sich zurücknehmen. Er hat eine Reservefunktion
und ist auf ein Wächteramt beschränkt.
Grenzen des elterlichen Sorgerechtes können sich aus
dem Recht des Kindes auf Persönlichkeitsentfaltung
ergeben, wie zum Beispiel im Fall der Verwahrlosung,
wo der Staat einzuschreiten hat. Genauso gilt das für das
Recht des Kindes auf Achtung seiner körperlichen
Unversehrtheit. Deshalb ist zum Beispiel eine Genitalverstümmelung von Mädchen wegen der dauerhaften
und schwerwiegenden physischen und psychischen
Belastung ein auch mit der Personensorge nicht zu rechtfertigender Eingriff. Dies hat auch der Bundesgerichtshof festgestellt.
({0})
Die männliche Beschneidung kann damit nicht
gleichgesetzt werden. Deshalb umfasst die Personensorge auch die Zirkumzision, wenn sie die Regeln ärztlicher Kunst, wie zum Beispiel Sterilität oder maximale
Schmerzlinderung, einhält. Eltern können eine Beschneidung ihres Sohnes aus unterschiedlichen - nicht
nur religiösen - Gründen für geboten halten. Solange das
Kindeswohl damit nicht verletzt ist, hat der Staat kein
Recht, in diese Auffassung der Eltern korrigierend einzugreifen.
({1})
Die Personensorge umfasst auch das Recht der Eltern,
zu entscheiden, welcher Religionsgemeinschaft ihre
Kinder angehören sollen. Denn das Recht der Eltern umfasst zusammen mit der von Art. 4 Grundgesetz geschützten Religionsfreiheit auch die Kindeserziehung in
religiöser und weltanschaulicher Sicht. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass - ich zitiere die Eltern ihren Kindern diejenigen Überzeugungen
in Glaubens- und Weltanschauungsfragen vermitteln können, die sie für richtig halten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass jüdisches und
muslimisches Leben in Deutschland möglich sein muss,
darin sind wir uns bestimmt einig.
({2})
Wie die Religion ausgeübt wird, ist nicht der Gestaltung
des Gesetzgebers unterworfen. Die weltanschauliche
Neutralität des Staates ist im Sinne einer kooperativen
Zuordnung zu verstehen, nicht negativ ausgrenzend. Ein
moderner, pluralistischer Staat braucht auch die Glaubens- und Religionsgemeinschaften als bedeutsame gesellschaftliche Akteure.
Zur Glaubensfreiheit gehört … nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die
Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen
zu leben und zu handeln.
Der Schutz umfasst - so das Bundesverfassungsgericht die Teilnahme an religiösen Handlungen,
die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet.
Nach dem Selbstverständnis des Judentums ist die
Beschneidung des männlichen Kindes am achten Tag
nach der Geburt zentraler Bestandteil der jüdischen
Identität. Im Islam gilt die Beschneidung bei Sunniten
und Schiiten als islamische Pflicht bzw. empfohlene
Tradition und gehört zu den Glaubensüberzeugungen der
Muslime, auch bei den Aleviten.
Die vorgesehene Regelung im Personensorgerecht der
Eltern im Bürgerlichen Gesetzbuch enthält jetzt die
Voraussetzungen, die die Zirkumzision rechtfertigen: die
Vornahme nach den Regeln der ärztlichen Kunst und
natürlich nach umfangreicher Aufklärung der Eltern.
Auch haben die Eltern wie bei allen Erziehungsentscheidungen vorhandenen Kindeswillen in ihre Entscheidung
miteinzubeziehen. Wenn im Einzelfall das Kindeswohl
gefährdet würde, ist selbstverständlich von der Beschneidung abzusehen. Dies wird auch in die vorgesehene Vorschrift ausdrücklich aufgenommen.
Der Gesetzentwurf enthält auch eine besondere Regelung für von einer Religionsgemeinschaft vorgesehene
Personen, die auch die erforderlichen Kenntnisse und
eine Ausbildung für die Vornahme dieses Eingriffes
haben müssen.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis
eines äußerst intensiven Austausches mit Vertretern der
Religionsgemeinschaften, mit Medizinern, mit Rechtswissenschaftlern, mit vielen zivilgesellschaftlichen
Gruppen und Experten in den letzten Wochen und
Monaten. Auch wenn es Stimmen gibt, die dem Gesetzentwurf kritisch gegenüberstehen, appelliere ich ausdrücklich an uns alle, mit großem Respekt und gegenseitiger Toleranz dieses wichtige Thema zügig zu beraten.
Wir brauchen Rechtssicherheit.
({3})
Die Bundesregierung bringt mit diesem Gesetzentwurf auch zum Ausdruck, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland ausdrücklich erwünscht ist.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Burkhard Lischka hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
nicht verhehlen: Die Debatte, die seit der Entscheidung
des Kölner Landgerichts zu religiös motivierten Beschneidungen geführt wird, löst bei mir teilweise sehr
zwiespältige Gefühle aus. Ich weiß: In dieser Debatte
kann kein noch so guter Gesetzentwurf rundum zufriedenstellende Antworten geben, auch der heute vorliegende nicht. Es geht hier nämlich weniger um rein
formaljuristische Fragen und Abwägungen; es geht hier
um einen echten Wertekonflikt, einen Wertekonflikt, der
zum Teil sehr grundsätzliche Fragen aufwirft, die sehr
weit über das Thema Beschneidung hinausgehen.
Da ist zum einen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das insbesondere auch für die Schützenswertesten in unserer Gesellschaft, nämlich die Kinder, gilt.
Dieser Schutz ist für unsere Rechtsordnung, für unsere
Verfassung genauso elementar wie mancher Glaubensinhalt für eine Religion.
Auf der anderen Seite wirft diese Debatte aber auch
die Frage auf, wie viel Toleranz und Freiräume wir uns
in einer Gesellschaft, die weltoffen und plural sein will,
gegenseitig zugestehen, wie viel Respekt die Mehrheit
dieser Gesellschaft einer Minderheit entgegenbringt.
„Respekt“ ist übrigens ein gutes Stichwort. Denn diesen
Respekt habe ich bei der Debatte außerhalb dieses Hauses in den letzten Monaten leider manches Mal vermisst.
({0})
Die teilweise doch sehr aggressive Argumentation sowohl aufseiten der Befürworter als auch aufseiten der
Gegner einer gesetzlichen Regelung hat mich manches
Mal irritiert. Nein, egal welchen Standpunkt man in dieser Debatte einnimmt: Es ist weder gerechtfertigt, dem
jeweils anderen Antisemitismus und Islamophobie in
seiner Argumentation zu unterstellen, noch der anderen
Seite vorzuwerfen, sie betreibe hier einen Ausverkauf
der Kinderrechte zugunsten barbarischer Riten. Wir sollten es aushalten, uns gegenseitig zuzuhören bei diesem
Wertekonflikt. Eine Demokratie ist der beste Ort, einen
solchen Konflikt sachlich und mit dem gebotenen Respekt zu diskutieren.
({1})
Aber am Ende all dieser Diskussionen muss eine Entscheidung stehen, wohl wissend, dass jeder Versuch,
diese Werte mithilfe eines einzigen Paragrafen in ein
Gleichgewicht zu bringen, unperfekt bleiben muss.
Ich räume ein: Ja, die Beschneidung ist mir persönlich
fremd, sehr fremd sogar. Sie entspricht nicht meinen
Vorstellungen, wie ich mit meinem Sohn umgehen
möchte. Aber will ich damit meinen jüdischen und muslimischen Mitbürgern, will ich Eltern mit einem anderen
Glauben absprechen, dass auch sie ihre Kinder lieben,
nur weil sie eine Beschneidung vornehmen, die für ihren
Glauben identitätsstiftend ist? Nein, ich glaube, weder
unsere muslimischen noch unsere jüdischen Mitbürger
brauchen Nachhilfeunterricht in Sachen Kinderliebe und
Menschenrechte.
({2})
Diesen Eindruck sollten wir in unserer Debatte hier unbedingt vermeiden; denn das würde viel, unendlich viel
Porzellan zerschlagen.
Wir brauchen eine gesetzliche Regelung - das ist zumindest meine Überzeugung -, weil die Alternative
wäre, alle Eltern, alle Ärzte und Rabbiner, die eine Beschneidung vornehmen, mit Freiheitsstrafen und Geldstrafen zu belegen, gläubige Juden und Muslime zu
Rechtsbrechern und Straftätern zu erklären. Nein, es ist
eben nicht Aufgabe des Strafrechts, dass eine Mehrheitsgesellschaft einer Minderheit erklärt, ihr Glaube sei unzureichend oder sogar mittelalterlich. Das Strafrecht ist
auch kein Instrument zur religiösen und kulturellen Belehrung und Bekehrung.
Im Übrigen ist auch für mich undenkbar, dass wir
ausgerechnet in Deutschland als erstem Land weltweit
einen elementaren Teil jüdischen Glaubens unter Strafe
stellen und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger mit
strafrechtlichen Mitteln nur deshalb verfolgen, weil sie
eine Praxis ausüben, die für sie seit Jahrtausenden identitätsstiftend ist. Wir haben aufgrund unserer Geschichte
die dauerhafte Verpflichtung, gerade mit jüdischen Belangen in unserem Land besonders sensibel umzugehen.
Es wäre eine unentschuldbare Geschichtsvergessenheit,
wenn wir diese Sensibilität in Zukunft nicht mehr aufbringen würden.
({3})
Das alles enthebt uns aber nicht der Verpflichtung,
Regelungen zu finden, um Kinder vor unnötigen
Schmerzen und unsachgemäßen Eingriffen zu schützen.
Klar ist deshalb für mich, dass ein Eingriff medizinisch
fachgerecht durchgeführt werden muss, dass über Art,
Umfang und Folgen des Eingriffs eine medizinische
Aufklärung erfolgt, dass unnötige Schmerzen durch eine
lokale Betäubung vermieden werden und dass älteren
Jungen ein Vetorecht hinsichtlich einer Beschneidung
eingeräumt wird.
Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist eine gute
Diskussionsgrundlage. Lassen Sie uns gemeinsam in den
kommenden Tagen darüber beraten, ob und gegebenenfalls wie dieser noch verbessert und präzisiert werden
kann. Lassen Sie uns das ruhig, sachlich und vor allen
Dingen mit dem gebotenen Respekt tun.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Anfang meines heutigen Redebeitrages
steht der Dank an das Bundesministerium der Justiz, an
die Ministerin. Der Deutsche Bundestag hat auf Antrag
der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD in diesem
Sommer mit einer sehr großen Mehrheit die Bundesregierung aufgefordert - ich zitiere das auszugsweise -,
„unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen
grundsätzlich zulässig ist“. Dieser Bitte bzw. Aufforderung des Bundestages ist die Bundesregierung vollumfänglich nachgekommen. Von daher bedanke ich mich
für diesen wirklich gut ausgearbeiteten, hervorragend
abgewogenen Entwurf. Ganz herzlichen Dank!
({0})
Ähnlich wie mein Vorredner habe auch ich sehr großes Verständnis, wenn die Praxis der Beschneidung in
Deutschland von vielen als sehr fremd, ja, archaisch
wahrgenommen wird. Trotz dieses Gefühls, das viele bei
diesem Thema überkommt - das ist festzuhalten -, müssen wir einigen Wahrheiten ins Auge sehen: Wir dürfen
die Augen nicht davor verschließen, dass dies eine seit
zumindest 6 000 Jahren geübte Praxis in mehreren Teilen der Welt ist, dass 30 Prozent der männlichen Weltbevölkerung beschnitten sind, dass die Beschneidung der
Jahr für Jahr weltweit am häufigsten vorgenommene chirurgische Eingriff ist, dass es kein Land auf der Welt
gibt, in dem die Beschneidung von Jungen grundsätzlich
verboten ist, und dass es zwei große Weltreligionen gibt
- Moslems und Juden -, die die Beschneidung als ein
wichtiges, zum Teil sogar als ein die Mitgliedschaft begründendes Ritual ansehen. Die Angehörigen dieser Religionen leben auch in unserem Land, und sie gehören zu
uns.
Ich will allerdings auch Folgendes sagen: Ich nehme
gerne all die Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher
nicht zu einer Unterstützung dieses Gesetzentwurfs haben durchringen können, vor dem Vorwurf in Schutz,
dass sie vorhätten, das Leben von Moslems und Juden in
Deutschland unmöglich zu machen. Ich glaube, das ist
das Anliegen von niemandem.
({1})
Fakt ist aber auch, dass dieses Leben sehr stark erschwert würde, wenn wir die Beschneidung von Jungen
nicht rechtsklar regeln und für zulässig erklären würden.
Genau das wollen diejenigen, die diesen Gesetzentwurf
unterstützen, nicht. Meine Fraktion will das nicht. Deshalb werbe ich auch heute bei jedem Einzelnen in diesem Haus um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.
({2})
Ich will auch klarstellen: Dieser Gesetzentwurf ist
keine Befürwortung inhaltlicher Art oder gar eine Werbung für die Praxis der Beschneidung. Schon im
19. Jahrhundert gab es in Deutschland, etwa im Reformjudentum, kontroverse Debatten darüber, ob man die Beschneidung durch symbolische Handlungen ersetzen
kann. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn diese Diskussion in den Religionsgemeinschaften und auch in der
Gesellschaft als solche weiter ernst und offen geführt
würde. Aber sie darf eben nicht unter dem Damoklesschwert einer Strafandrohung geführt werden.
({3})
In der Sache geht es bei diesem Gesetzentwurf um
eine Grundrechtsabwägung zwischen dem Elternrecht
und der Religionsfreiheit der Eltern einerseits und dem
Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Unversehrtheit und
Religionsfreiheit des Kindes andererseits. In einem Verfassungsstaat kann ein Konflikt zwischen Grundrechten
aber nicht durch eine K.-o.-Entscheidung gelöst werden
- einer muss dem anderen weichen -, sondern eben nur
durch eine Abwägung, wenn man so will, durch eine
praktische Konkordanz. Die Religionsfreiheit darf auch
aus Sicht des Kindes nicht primär als eine Freiheit von
Religion verstanden werden, sondern eben auch als eine
Freiheit zur Religion.
({4})
Natürlich ist auch und gerade bei der Frage der Knabenbeschneidung das Kindeswohl der entscheidende
Maßstab. Dieses Kindeswohl kann aber nicht isoliert
von der Vorstellung der Eltern definiert werden. Art. 6
Abs. 2 unseres Grundgesetzes legt sehr klar offen - ich
zitiere -:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
Ich glaube, diese Lektüre rückt die Perspektive auch für
die Politik zurecht. Hier geht es um ein natürliches
Recht. Das heißt, dass der Staat die Kinder nicht den Eltern anvertraut bzw. sie ihnen zeitweise zur Erziehung
überantwortet, um sie nach seinen, nach staatlichen
Maßstäben zu erziehen. Kinder gehören vielmehr von
Natur aus zu ihren Eltern. Die Eltern wiederum haben
eine korrespondierende Pflicht zu Pflege und Erziehung.
Daher ist es für mich gar nicht anders vorstellbar, als
dass die Eltern im Rahmen ihrer primären Erziehungsverantwortung einen Vertrauensvorschuss genießen, solange die Grenzen der Kindeswohlgefährdung nicht erreicht sind.
Natürlich gibt es klare Grenzen für die elterliche
Sorge. Es gibt wichtige Beispiele im Familienrecht. Entscheidungen beispielsweise, die die ganze Lebensführung eines Kindes unwiderruflich determinieren, können
natürlich nicht getroffen werden. Ein ganz extremes Beispiel ist § 1631 c, das Verbot der Sterilisation. Aber eine
Sterilisation beispielsweise ist in keiner Weise vergleichbar mit einer Beschneidung; denn eine Beschneidung bedeutet ebenso wenig wie die christliche Taufe eine lebenslange Festlegung auf eine Religion oder auf eine
soziale Gruppe. Zudem gibt es im Strafrecht die Grenzen
der Sittenwidrigkeit bei der Einwilligung. Auch diese
Grenze wird hier nicht erreicht; denn die Beschneidung,
die seit Jahrtausenden in verschiedenen Religionen gängige Praxis ist und in nahezu allen Staaten anerkannt ist,
kann man in Deutschland kaum mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit versehen.
Wichtig ist ebenfalls, dass die Regelung im Familienrecht und nicht im Strafrecht verankert werden soll. Es
geht eben um mehr als um den bloßen Ausschluss von
Strafbarkeit. Während im Strafrecht nur verbotenes Tun
definiert wird, umschreibt das Familienrecht positiv die
Reichweite der elterlichen Sorge. Hierhin gehört die Regelung auch.
In allen Punkten des Regelungsinhalts ist klar ersichtlich, dass exakte Grenzen gesetzt werden. Die Beschneidung wird aus der elterlichen Sorge heraus legitimiert.
Aber sie ist an sehr klare Voraussetzungen geknüpft,
nämlich zuerst an eine fachgerechte Durchführung nach
den Regeln der ärztlichen Kunst, wie es im Gesetzentwurf heißt. Diese ärztliche Kunst beinhaltet eine Aufklärung der Eltern über den Eingriff und seine Risiken, eine
effektive Schmerzbehandlung, eine schonende Durchführung und eine dem Einzelfall angemessene Betäubung. Die Eltern dürfen selbstverständlich nur für Kinder entscheiden, die selbst noch nicht einsichts- und
urteilsfähig sind. Kann ein Junge seinen Willen bereits
selbst bilden, entscheidet er. Auch unterhalb der
Schwelle einer wirklichen Urteilsfähigkeit im Rechtssinne muss ein irgendwie zum Ausdruck gebrachter entgegenstehender Wille des Kindes ernst genommen werden. Der Eingriff muss in der Regel durch einen Arzt
und darf nur ausnahmsweise von fachkundigen Personen
ohne Medizinstudium, die eine besondere fachliche Ausbildung, eine dem Arzt vergleichbare Befähigung haben,
unter strengen Bedingungen vorgenommen werden.
Das alles geht aus dem Gesetzestext und der Begründung klar hervor. Wenn man den Gesetzestext und die
Begründung aufmerksam liest, dann wird einem klar,
dass sich die Kernforderungen aller bisher vorliegenden
Änderungsanträge hier in wesentlichen Punkten widerspiegeln. Damit können meines Erachtens manche Befürchtungen und Bedenken zumindest im Kern als erledigt angesehen werden. Wichtig ist, dass der
Gesetzentwurf keine Beschränkung der Beschneidung
auf religiöse Gründe vorsieht. Auch andere Gründe sind
achtenswert. Ich möchte nicht, dass unser Staat in die
Lage kommt, eine Art Glaubenskontrolle bei diesem
Eingriff vornehmen zu müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
des Abg. Dr. Gregor Gysi ({5})
Lassen Sie mich einen letzten wichtigen Aspekt nennen, der für uns hier im Haus selbstverständlich ist, der
aber nach außen, in die Öffentlichkeit, noch einmal klar
kommuniziert werden sollte. Dieser Gesetzentwurf enthält auch eine klare Abgrenzung von der barbarischen
Praxis der Genitalverstümmelung bei Mädchen. Viele
Mädchen sterben dabei oder werden lebensgefährlich
verletzt. Dieser barbarische Eingriff bei Mädchen ist
eben nicht Ausdruck der Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft, sondern Ausdruck einer Erniedrigung von
Frauen. Deshalb lehnen wir ihn hier im Deutschen Bundestag strikt ab.
({6})
Die Genitalverstümmelung ist und bleibt deshalb in
Deutschland eine schwere Straftat. Ich persönlich bin
der Auffassung, dass wir über die Grenzen Deutschlands
hinaus noch viel konsequenter dagegen vorgehen müssen.
({7})
Dieser Eingriff ist mit der Beschneidung von Jungen in
keiner Weise vergleichbar.
Vor uns liegt ein ausgewogener Gesetzentwurf, der
die Beschneidung von Jungen unter klaren und strengen
Voraussetzungen zulässt. Bei einer Praxis, die weltweit
akzeptiert ist, muss man schon sehr gute Gründe haben,
um sie ausgerechnet in Deutschland von der elterlichen
Sorge auszunehmen und im Ergebnis unter Strafe zu
stellen. Ich sehe solche guten Gründe nicht und werbe
sehr für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({8})
Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt,
wie bei vielen Fraktionen hier, auch in unserer Fraktion
unterschiedliche Auffassungen zum Thema Beschneidung. In einer Sache sind wir uns einig - ich habe die
Debattenbeiträge so verstanden, dass das eigentlich für
das ganze Haus gilt -, nämlich darin, dass wir das jüdische und muslimische Leben in Deutschland schätzen
und achten. Wir betrachten es als eine kulturelle Bereicherung unserer Gesellschaft. Daran führt kein Weg
vorbei.
({0})
Ich kann hinzufügen, dass ich kein Jude, kein Moslem
und auch kein Christ bin; aber ich bin dankbar für jeden
Menschen in Deutschland, der den Menschen nicht als
Mittelpunkt des Universums betrachtet.
Gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein habe ich dafür gekämpft, dass die Synagogen in Kiel, Flensburg und Lübeck vor Übergriffen von
Rechtsextremen bzw. Nazis geschützt und gesichert werden. Ich habe in Schleswig-Holstein zwischen den
Moscheevereinen und den Anwohnern vermitteln dürfen, als es darum ging, wie laut der Muezzin zum Gebet
rufen darf. Ich durfte an den Freitagsgebeten in den
Moscheen teilnehmen. An hohen jüdischen Festen durfte
ich teilnehmen und habe die Gastfreundschaft in Synagogen genossen. Die Gastfreundschaft meiner Gastgeber
ging so weit, dass sie Wert darauf gelegt haben, dass ich
nicht nur koscheres, sondern auch vegetarisches Essen
bekam. Ich weiß um die Toleranz und die Gastfreundlichkeit von Juden und Muslimen, und ich weiß sie sehr
zu schätzen.
Als in diesem Sommer das Kölner Urteil kam, haben
mich meine Freunde gefragt: Willst nicht auch du eine
Solidaritätsadresse abgeben bzw. eine Erklärung, damit
wir uns gegen dieses Urteil verwahren können? Ich bin
in mich gegangen, habe das Urteil studiert und mich mit
Ärzten - Kinderärzten, Chirurgen, Anästhesisten und
Urologen - beraten. Danach musste ich schweren
Herzens sagen: Nein, ich kann euch da leider nicht
unterstützen, weil ich finde, dass das Urteil abgewogen,
nachvollziehbar und in der Sache richtig ist.
({1})
Der Staat hat nicht die Aufgabe, die Religionsausübung
zu gestalten und Vorgaben zu machen. Er hat aber die
Aufgabe, Interessen abzuwägen und einen Rahmen vorzugeben, in dem sich alle in dieser Gesellschaft bewegen
müssen. Wenn wir anfangen, Sonderrechte für diese oder
für jene Religionsgemeinschaft zu schaffen, sind wir auf
einer schiefen Bahn. Dann gibt es auch keine Unteilbarkeit von Menschenrechten bzw. von allen Rechten.
Das aber ist genau das, was wir brauchen. Religionsfreiheit ist wie jede Freiheit in einem demokratischen Staat
nie grenzenlos. Sie findet ihre Schranken dort, wo die
Rechte bzw. die schutzwürdigen Interessen anderer beeinträchtigt werden. Genau das ist hier der Fall. Das
Landgericht Köln hat dies auch richtig festgestellt.
Wir hätten eine ruhige, ausgewogene und sachliche
Debatte gebraucht mit einer Offenheit, wie sie zum Beispiel der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in
Deutschland, Stephan Kramer, an den Tag gelegt hat, als
er sehr offen, ohne die Position seiner Religionsgemeinschaft aufzugeben, gesagt hat: Wir haben so vieles über
Bord geworfen, was in der Thora steht. Wir können und
müssen auch über diese Frage reden. - Vor allem die
Religionsgemeinschaften müssen darüber reden; aber
auch der Staat muss seiner Aufgabe gerecht werden.
Was hat der Staat gemacht? Ich hätte von der Bundeskanzlerin, die ansonsten nicht für Hyperaktivität bekannt
ist, erwartet, dass sie hier mit ruhiger Hand versucht, zu
mäßigen, auszugleichen und die unterschiedlichen Interessen darzulegen. Das hat sie nicht getan. Frau Merkel
hat hier davor gewarnt, dass wir zu einer Komikernation
werden. Dazu sage ich: Die Komikernation Deutschland
hat vor 20 Jahren auch die UN-Kinderrechtskonvention
unterzeichnet. Die Ratifizierungsurkunde zu dieser Kinderrechtskonvention trägt die Unterschrift unserer Bundeskanzlerin. Da frage ich mich natürlich auch - ich
hätte gerne Frau Merkel gefragt, wenn sie denn hier gewesen wäre -, was ihre Unterschrift eigentlich wert ist.
Hat das alles keine Bedeutung?
({2})
Die UN-Kinderrechtskonvention wird wie viele
Gesetze, die wir hier im Bundestag beschlossen haben
- allerdings nicht mehr einstimmig; oft war die CDU/
CSU dagegen -, von dem Gedanken getragen, dass die
Kinder nicht nur reine Erziehungsobjekte ihrer Eltern,
sondern Träger eigener Rechte und zu schützen sind. Ich
möchte es mit den Worten des libanesischen Dichters
und Philosophen Khalil Gibran sagen: Unsere Kinder
gehören uns nicht. Sie sind die Söhne und Töchter der
Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Diesen Gedanken haben wir mittlerweile in vielen
Rechtsordnungen verankert, auch im BGB. Die Kinderrechte wurden im Laufe der Jahre gestärkt.
Ich hätte mir gewünscht, die Bundesregierung wäre
bei ihrem Gesetzentwurf nach ruhiger Abwägung zu der
Auffassung gekommen, dass wir auch die Kinderrechte
schützen müssen. Das hat sie aber nicht gemacht. Sie
haben die Regelung zwar richtigerweise im Recht
der Personensorge verankert - dort muss es geregelt
werden -, aber überhastet und leichtfertig. Sie haben
nicht ein Recht geschaffen, mit dem wir alle leben können und mit dem auch Kinderrechte geschützt werden.
Sie haben übrigens auch nicht die Betroffenen gehört. Es
wäre das Mindeste gewesen, diejenigen, die heute unter
den Folgen einer Beschneidung leiden, in die sie als KinRaju Sharma
der nicht einwilligen konnten oder durften, anzuhören.
Das haben Sie nicht zugelassen.
Uns liegt ein alternativer Gesetzentwurf vor. Ich
danke den Verantwortlichen aus der Kinderschutzkommission und den kinderschutzpolitischen Sprecherinnen
der Grünen, der Linken und der SPD, dass sie diesen Gesetzentwurf eingebracht haben. Er ermöglicht es uns,
nicht nur Nein zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
zu sagen; er bietet auch eine Alternative, zu der wir Ja
sagen können, weil hier sorgfältig abgewogen wird: die
Religionsfreiheit auf der einen Seite und die Kinderrechte auf der anderen Seite. In diesem Gesetzentwurf
steht: Es ist keine Beschneidung zulässig bei einem Kind
unter 14 Jahren. Der Betroffene muss selbst einwilligen.
Die Beschneidung muss von einem Facharzt oder einer
Fachärztin vorgenommen werden, und das Kindeswohl
muss betrachtet werden. - Diese Abwägung brauchen
wir, wenn wir zu einem sachgerechten Gesetzentwurf
kommen wollen. Ich bin dankbar, dass es diesen Gesetzentwurf gibt, und werbe nachhaltig dafür, dass wir uns
diesem Gesetzentwurf anschließen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Jerzy Montag hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wollt ihr uns Juden noch?“ Mit diesem verzweifelten
Zwischenruf hat die Grande Dame des deutschen Judentums, Charlotte Knobloch, auf die Beschneidungsdebatte
in Deutschland reagiert. Ihre bitteren Worte zeigen, wie
tief und essenziell diese Debatte und manchmal auch der
in der Öffentlichkeit angeschlagene Tonfall die religiösen Minderheiten der Juden und der Muslime bewegen.
Wir Abgeordnete sind diejenigen, die den Menschen mit
Grenzen vorschreiben, was richtig und was falsch ist,
was sie dürfen und was nicht. Wir entscheiden, was
erlaubt ist und was verboten ist in Deutschland. Deshalb
müssen wir uns der Konsequenzen bewusst sein, die
aus unserem Handeln, aus unseren Entscheidungen
erwachsen.
An die Kolleginnen Marlene Rupprecht und Katja
Dörner sowie die Unterstützer ihres Gesetzentwurfs gerichtet, sage ich: Sie wollen festlegen, dass eine Einwilligung von Eltern zur Beschneidung ihres Sohnes vor dem
14. Lebensjahr die den Eltern zustehende Personensorge
nicht umfasst. Dies macht - Sie müssen sich dieser Konsequenz bewusst sein - alle diese Beschneidungen zu
Körperverletzungen, die verfolgt und bestraft werden.
Dies macht alle diese Eltern und auch die Ärzte und
Beschneider zu Straftätern. Egal, wie man zur Beschneidung steht - mir ist sie auch fremd; auch ich lehne sie
ab -: Ich will über die betroffenen Eltern kein sozialethisches Unwerturteil fällen.
({0})
Ich will weder gegen die Eltern noch gegen die Ärzte mit
dem Mittel des Strafrechts vorgehen.
Nach Deutschland sind über Jahrzehnte hinweg
Muslime eingewandert. Nach langen Jahren des Gastarbeiterstatus sehen wir alle die Notwendigkeit der Integration dieser circa 4 Millionen Menschen in unsere
Gesellschaft. Ich habe in dieser Integrationsdebatte von
der CSU bis zu den Linken noch nie von jemandem die
Aussage vernommen: Ihr seid in Deutschland willkommen, ihr könnt und sollt in Deutschland leben, wir
wollen euch als einen Teil von uns; aber ihr müsst euren
Ritus der Beschneidung ablegen. Wenn ihr das nicht tut,
wird der Staat euch deswegen verfolgen.
Erinnern wir uns an die Worte, die wir bei jeder passenden Gelegenheit an Jüdinnen und Juden in Deutschland richten. Es ist ein Geschenk, für das wir uns zu bedanken haben, dass Juden wieder in Deutschland leben
wollen. Neue Synagogen werden eingeweiht, Rabbiner
werden in Deutschland wieder ausgebildet, jüdische
Kindergärten und Schulen entstehen, und jedes Mal erklären wir ihnen: Ihr seid willkommen. - Jetzt plötzlich
soll es heißen: Schön, dass ihr da seid. Schön, dass ihr
Kinder habt. Aber Hände weg von euren Söhnen!
({1})
Sonst schicken wir euch die Kripo, die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt ins Haus. - Das will ich nicht,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Keine muslimische Mutter, kein muslimischer Vater
- für die Juden gilt das genauso - will die eigenen Söhne
beschneiden lassen, weil ihnen dies Schmerzen zufügt.
Weder ist ihnen das Wohl ihrer Kinder egal, noch wollen
sie entgegen dem Wohl der Kinder handeln. Ganz im
Gegenteil: In ihrer Vorstellung, die wir nicht teilen müssen, wollen sie das Beste für ihre Söhne. Das hat die
Mehrheitsgesellschaft in Deutschland jahrzehntelang akzeptiert. Jetzt plötzlich soll, jedenfalls nach dem Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil
richtig sein. Ich sage noch einmal in vollem Ernst: Die
Verfolgung, die Bestrafung, das Jugendamt im Hause,
das alles erwächst als Konsequenz aus dem Gesetzentwurf, der die Beschneidung männlicher Kinder als eine
Kindeswohlverletzung durch die eigenen Eltern zu einer
Straftat werden lässt.
Ich persönlich unterstütze den Gesetzentwurf der
Bundesregierung, den ich für richtig halte und zu dem
ich lediglich zwei für mich wirklich wichtige Änderungsvorschläge habe. Mir ist es zu wenig, Herr Kollege
Krings, dass in der Begründung steht, dass der kindliche
Wille von den Eltern zu bedenken, aber nicht immer zu
befolgen ist. Ich möchte gerne, dass das kindliche Veto
ein Ausschlussgrund für eine Beschneidung des Kindes
ist. Ich möchte auch gerne, dass die Ausnahmevor25448
schrift, die wir für Nichtärzte installieren, auf das wirklich notwendige Mindestmaß, nämlich auf 14 Tage und
nicht auf sechs Monate, verkürzt wird. Ich hoffe, dass
wir in den Debatten, die wir in den nächsten Tagen führen werden, zu einer guten Lösung kommen werden.
Ich danke Ihnen.
({3})
Stephan Thomae hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte
Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist
ein tolerantes Land. Von Zeit zu Zeit muss diese
Toleranz Bewährungsproben bestehen. Das heutige
Thema ist eine solche Prüfung, weil hier Grundrechte
miteinander konkurrieren. Deshalb verdient diese
Debatte Ernst, Sachlichkeit und Respekt vor anderen
Meinungen als der eigenen.
Bei Grundrechtskollisionen müssen immer Grundrechte untereinander zum Ausgleich, in eine praktische
Konkordanz gebracht werden. Das eine Grundrecht
muss oft ein wenig zurücktreten, damit das andere noch
wirken kann. Heute geht es um das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit des Kindes aus Art. 2 Grundgesetz, um das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6
Grundgesetz und um das Recht der Eltern und des Kindes auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Grundgesetz.
Aus vielen Zuschriften, die uns alle in den letzten
Wochen und Monaten erreicht haben, spricht echte
Sorge um das Kindeswohl. Aus manchen spricht aber
auch eine Religionsfeindlichkeit, die sich manchmal
hinter einer vorgetäuschten Sorge um Kinder und einer
vorgetäuschten Aufgeklärtheit nur verbirgt.
({0})
Gewiss, für denjenigen, der für sich selbst vom Grundrecht auf Religionsfreiheit keinen Gebrauch macht, weil
er nicht religiös ist, hat dieses Recht verständlicherweise
keinen hohen Rang. Er kann die Bedeutung, die dieses
Grundrecht für andere Menschen hat, nur schwer nachvollziehen. Objektiv hat dieses Recht aber für viele
Menschen eine hohe Bedeutung.
In vielen Zuschriften sind wir aufgefordert worden,
den demokratischen Mehrheitswillen der Bevölkerung
nicht zu missachten und das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit über das Recht auf freie Religionsausübung zu stellen. In dieser Logik stecken zwei
Punkte, denen ich nicht zu folgen vermag:
Erster Punkt. Es geht diesmal nicht um demokratische
Mehrheitsentscheidungen; denn das Recht auf freie Religionsausübung schützt gerade auch Minderheiten.
({1})
Insbesondere ist das Grundrecht auf freie Religionsausübung kein Grundrecht zweiter Klasse; denn - damit
komme ich zum zweiten Punkt - unser Grundgesetz
kennt keine Rangfolge von Grundrechten. Die Grundrechtsdogmatik verlangt von uns, kollidierende Grundrechte in einen solchen Ausgleich zu bringen, dass jedes
Recht seine Wirkung behalten und entfalten kann.
Es geht bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
nicht darum, etwas bisher Verbotenes künftig zu erlauben, sondern es geht darum, etwas Sozialadäquates und
in der Vergangenheit von unserer Rechtsordnung bisher
immer Akzeptiertes gesetzlich zu untermauern. Zugleich
behält der Regierungsentwurf das Kindeswohl im Auge,
weil - erstmals - ausdrücklich verlangt wird, dass der
Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu erfolgen hat - wozu eine Schmerzbehandlung, eine Aufklärung und anderes gehören - und dass der Eingriff ab einem gewissen Alter nur noch von einem Arzt
vorgenommen werden darf. Derartiges gab es bislang
nicht. Damit gelingt es dem Regierungsentwurf, die kollidierenden Grundrechte in einen bestmöglichen Ausgleich zu bringen.
In vielen der Zuschriften, die wir erhalten haben, ist
versucht worden, die Beschneidung zu ironisieren oder
sie rhetorisch ad absurdum zu führen, indem sie mit eindeutig nicht mehr sozialadäquaten Praktiken wie etwa
der Genitalverstümmelung von Mädchen in eins gesetzt
wurde. Es geht bei der Beschneidung aber nicht um ganz
und gar abstruse oder menschenverachtende Praktiken,
die einen Menschen erniedrigen oder bestrafen sollen
oder bei denen ihm ein Leid oder ein Schaden zugefügt
werden soll, sondern es geht um kulturelle und religiöse
Riten, mit denen Kinder Mitglieder einer anerkannten
Glaubensgemeinschaft werden. Das ist ein Unterschied.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
abschließend unmittelbar ein Wort an Menschen jüdischen und moslemischen Glaubens in Deutschland richten: Viele von Ihnen haben auf die öffentliche Diskussion in unserem Land mit Unverständnis und
nachvollziehbarer Empfindlichkeit reagiert. Ich kann
nachvollziehen, was Sie in dieser Diskussion bewegt haben muss. Einige von Ihnen haben an uns die Frage gerichtet: Will man uns überhaupt noch in Deutschland?
Ich möchte Ihnen stellvertretend antworten: Ja; Sie sind
in Deutschland nicht nur geduldet, Sie sind in Deutschland erwünscht.
({2})
Dafür ist der Regierungsentwurf ein Beleg, und er ist
eine gute Beratungsgrundlage. Ich freue mich auf die
Beratung dieses Entwurfes.
Vielen Dank.
({3})
Marlene Rupprecht hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr verehrte Gäste, die Sie heute von der Tribüne
aus hören, worüber wir debattieren! Ich kann Ihnen eines
versichern: Auch die, die den Alternativentwurf eingebracht haben, haben ihn mit großer Ernsthaftigkeit erstellt. Vorne auf dem Entwurf stehen die Namen derjenigen aus drei Fraktionen, die seit Jahren für die Belange
von Kindern zuständig sind.
Wir haben es uns nicht leicht gemacht, sondern haben
abgewogen. Wir haben die Kinderrechte und das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt;
({0})
denn jedes Kind hat ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Das war uns wichtig.
Darauf zu achten, dass Kinder ihre Rechte bekommen, ist die vornehme Pflicht und die große Verantwortung der Eltern. Diese Verantwortung will ihnen niemand
hier in diesem Hause - das unterstelle ich gar nicht - nehmen.
Es heißt dann weiter: „Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft.“ Das ist Art. 6 des Grundgesetzes. Sie wissen, dass ich das Grundgesetz immer bei mir
habe, weil ich nicht alle Artikel auswendig kenne. Diesen kenne ich aber; den habe ich mit der Muttermilch
aufgesogen. Das gilt genauso für die UN-Kinderrechtskonvention.
Eltern haben das Recht, ihre Kinder zu erziehen, auch
religiös. Goethe sagte einmal: Eltern müssen ihren Kindern Wurzeln und Flügel mitgeben, damit sie leben können. - „Wurzeln mitgeben“ heißt, sie kulturell und religiös oder auch nicht religiös zu verankern, jedenfalls mit
Werten auszustatten. Dieses Recht der Eltern endet aber
dann, wenn es mit dem Grundrecht des Kindes auf Unversehrtheit kollidiert.
({1})
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lösekrug-Möller zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank. - Liebe Kollegin Rupprecht, ich weiß,
Sie sind Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, und hier ist mehrfach angesprochen
worden, dass wir uns zu Recht sehr sorgfältig auf eine
Gesetzgebung vorbereiten. Ich denke, dass Sie das
Thema Kinderschutz auch im Europarat vertreten.
Deshalb möchte ich einfach wissen - das ist wichtig
für unsere Beratung -, wie es in anderen europäischen
Staaten aussieht. Wird dort eine ähnliche Auseinandersetzung geführt wie hier, und gibt es dort Lösungsvorschläge, die möglicherweise denen entsprechen, die wir
hier im Hause haben? Das könnte ja in der gemeinsamen
Beratung helfen.
Vielen Dank. - Ja, dort gibt es ähnliche Diskussionen.
Im April dieses Jahres bin ich von der Parlamentarischen
Versammlung des Europarats einstimmig als Generalberichterstatterin für die Belange von Kindern eingesetzt
worden. Ich habe den Auftrag, auf die Kinderrechte hinzuweisen und darauf hinzuarbeiten, dass sie in den
47 Mitgliedstaaten gewahrt und umgesetzt werden.
Am Montag hatten wir eine Sitzung des Sozialausschusses. Dort ging es um einen großen Bericht über
körperliche Unversehrtheit, für den ich als Berichterstatterin benannt wurde. Die Beschneidung ist dabei ein
Thema, aber es geht noch viel weiter. Dort geht es auch
um Intersexualität, Schönheitsoperationen und um die
Frage, was Eltern an ihren Kindern vornehmen lassen
dürfen.
Das ist europa- und weltweit ein Thema, und zwar
nicht erst seit dem Urteil in Deutschland. Dieses Urteil
hat das Thema vielleicht nur noch mehr an die Öffentlichkeit gespült. Viele Organisationen beschäftigen sich
schon seit Jahren damit - übrigens auch in Deutschland.
Die Kinderärzte haben schon vor Jahren Stellungnahmen
darüber verlangt, wie sie mit der Thematik umgehen sollen, und sie von Strafrechtlern und Verfassungsrechtlern
auch bekommen. Ich denke, das ist kein neues Thema.
Es kam nicht erst durch das Urteil auf, sondern wurde
dadurch nur mehr an die Oberfläche gespült.
Das vielleicht noch zur Ergänzung: Für uns im Parlament ist das Thema neu. Es hätte uns gut angestanden,
uns viel Zeit zu lassen, um zu lernen und mit all den
Gruppen zu reden, die es betrifft,
({0})
weil Veränderungen wehtun. Sie sind schmerzhaft, und
man muss sich auf den Weg machen. Dazu braucht man
Zeit. Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier so souverän
sind, uns diese Zeit zuzugestehen.
({1})
Unser Gesetzentwurf, den wir als Alternative vorlegen, stellt klar, dass die Einwilligungs- und Einsichtsfä25450
Marlene Rupprecht ({2})
higkeit des Kindes Voraussetzung für einen solch massiven und vor allem irreversiblen Eingriff in den Körper
des Kindes ohne medizinische Notwendigkeit sein muss.
Da aber der Gesetzgeber nicht jedes Kind individuell darauf prüfen kann, ab wann es einwilligungs- und einsichtsfähig ist, generalisiert er und setzt Altersgrenzen
fest.
Die Altersgrenze von 14 Jahren spielt ja auch schon
bei der Religionsmündigkeit, der Teilgeschäftsfähigkeit
usw. eine Rolle. Wir gehen davon aus, dass man mit
14 Jahren schon sehr genau weiß, ob man in seinen
Körper eingreifen lassen will oder nicht. Deshalb haben
wir das Alter von 14 Jahren festgelegt.
Die Beschneidung des männlichen Kindes hat weitreichende Folgen. Deshalb darf der Eingriff nur nach
heutigem medizinischem Standard erfolgen. So ist unser
Gesetzentwurf ausgelegt. Das heißt, er darf nur von Medizinern durchgeführt werden, die in der Kinderchirurgie
oder Urologie ausgebildet sind.
Wie kommen wir zu dieser Auffassung? Ich glaube,
hier unterscheiden wir uns gravierend. Die Regierung
geht in ihrem Entwurf davon aus, dass dies ein minimaler Eingriff in den Körper des Kindes ist und dass deshalb die Eltern aufgrund ihrer elterlichen Sorge darüber
entscheiden dürfen. Wir sagen: Es ist ein sehr massiver
Eingriff. Auch er unterliegt der Sorge. Wir wollen dies
den Eltern nicht nehmen. Aber er ist so gravierend, dass
er weitreichende, in ein Erwachsenenleben hineinreichende Folgen hat. Deshalb muss das Kind mit einbezogen werden.
({3})
Wir haben aus 30 Jahren medizinischer Entwicklung
Erfahrungen gesammelt. Denken Sie einmal zurück:
1987 hat man neugeborene Kinder ohne Narkose operiert, weil man glaubte, sie hätten kein Schmerzempfinden. Das sind Erkenntnisse, die wir doch nicht ignorieren dürfen, wenn wir hier Entscheidungen treffen. Wir
wissen heute, dass sich Schmerzen im Gehirn niederlegen, dass sie ein Leben lang dort verankert sind. Das
wollen wir nicht außer Acht lassen. Manches muss einfach neu gelernt werden.
Im Rechtsbereich ist es ähnlich. Erinnern wir uns einmal daran, dass im Jahr 2000 die gewaltfreie Erziehung
im BGB niedergelegt wurde. Hier im Haus ist der Untergang des Abendlandes beschworen worden, als wir dies
durchsetzten.
1989 ist die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet worden - wir haben sie ratifiziert, und 2010 sind
auch die Vorbehalte zurückgenommen worden -, in der
die Rechte der Kinder verankert sind.
1968 hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt
und eindeutig festgestellt: Kinder sind Grundrechtsträger
und damit Rechtssubjekte. Auch das dürfen wir doch
nicht ignorieren.
({4})
Ich bedauere es wirklich, dass wir durch den Antrag
vom Sommer so massiv unter Zeitdruck geraten sind.
Wir haben uns bei der Verankerung der gewaltfreien Erziehung im BGB Zeit gelassen, um mit den Menschen zu
reden und sie nicht zu kriminalisieren. Jerzy Montag, wir
beide sind in der Parlamentarischen Versammlung des
Europarats. Wir haben dort Kämpfe für Menschenrechte
gefochten, auch für Kinderrechte. Das, was gerade gelaufen ist, war nicht ganz fair. Wir wollen niemanden
kriminalisieren, weder Eltern noch Ärzte.
({5})
Wir wollen, dass Eltern die Entscheidung treffen können. Aber wir wollen, dass sie aufgeklärt sind, bevor sie
ihr Kind beschneiden lassen, damit sie wissen, welche
Folgen dies für ihr Kind hat.
Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Montag
zulassen?
Ja.
Bitte.
Liebe Marlene, ich danke dir dafür, dass du darauf
aufmerksam machst, dass wir beide in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sind und dass wir
dort Schulter an Schulter gegen so manche stehen, die
von Menschenrechten wenig verstehen und sie oft mit
Füßen treten.
Ich habe dir persönlich und auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die diesen Gesetzentwurf von
euch unterschrieben haben, nicht vorgeworfen, dass ihr
Leute kriminalisieren wollt, dass ihr die Eltern und die
Ärzte kriminalisieren wollt. Ich habe lediglich darauf
aufmerksam gemacht, dass das die logische Konsequenz
eures Gesetzes ist.
({0})
Ich habe an euch appelliert, dass ihr euch diese Konsequenz vor Augen haltet.
Ja.
Ihr formuliert kein Strafrecht.
Nein.
Ihr formuliert ausschließlich eine Tatsache. Ihr sagt:
Die Eltern dürfen zu einer solchen Beschneidung keine
Einwilligung erteilen. Das heißt aber - das ist die logische Folge; das kann gar nicht anders sein -: Wenn euer
Vorschlag Gesetz wird, begehen Eltern, die die Beschneidung durchführen lassen, obwohl ihr Kind noch
nicht 14 Jahre alt ist, eine Straftat und sehen sich der
Strafverfolgung ausgesetzt, im Übrigen auch einer Nachschau durch das Jugendamt im präventiven Bereich.
Ich habe lediglich - dazu stehe ich - auf die Konsequenzen und Folgen eures Vorschlags aufmerksam gemacht.
({0})
Frau Rupprecht, die Antwort auf diese Zwischenfrage
wäre mit dem Ende Ihrer Redezeit verbunden.
Ja. - Wir wollen nicht, dass Eltern vor den Kadi gestellt werden. Wir alle wären bereit gewesen, ein zweijähriges Moratorium mitzutragen, in dem wir Straffreiheit zusichern. Dann wären alle, die unterschrieben
haben, dabei gewesen.
Wir werden aber jetzt gezwungen, uns zu entscheiden. Da haben wir abgewogen zwischen dem Leid der
Eltern, zwischen Tradition und Religion, die sie vertreten, und dem Recht und dem Leid des Kindes, beschnitten zu werden. Es ist nun einmal ein körperliches Leid,
wenn ich die Erkenntnisse der modernen Medizin, Psychologie und Hirnforschung ernst nehme.
Deshalb kann ich da nicht mitmachen. Wir leben im
Jahrhundert des Kindes. Deshalb brauchen wir die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung, wo eindeutig ablesbar ist, dass Kinder gleichrangig auch mit all
den Menschen sind, die nicht nur 5 Pfund, sondern
50 Pfund oder 100 Pfund wiegen. Es kommt nicht aufs
Körpergewicht oder Alter an. Auch ein kleines Kind ist
ein Mensch mit gleichen Rechten - von Geburt an. Für
dieses Recht kämpfen wir, die wir hier unterzeichnet
haben.
Danke.
({0})
Die Bundesministerin Kristina Schröder hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die religiöse Beschneidung von Jungen im Judentum
und im Islam musste sich nach dem Urteil des Landgerichts Köln in Deutschland erstmals einem breiten
öffentlichen Diskurs stellen. Eine weit zurückreichende,
historische, kulturelle und religiöse Tradition, die bisher
ganz selbstverständlich praktiziert wurde, musste sich
die Frage gefallen lassen, ob sie im Widerspruch zu einem fundamentalen Grundrecht steht: dem Recht des
Kindes auf körperliche Unversehrtheit.
Umgekehrt musste sich unsere säkulare Gesellschaft
die Frage gläubiger Eltern gefallen lassen, welche
Bedeutung die ebenfalls grundgesetzlich verbriefte
Religionsfreiheit und das Elternrecht haben, wenn die
Ausübung eines Jahrtausende alten religiösen Brauchs
unter Strafe gestellt wird.
Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, ob wir es wirklich verantworten wollen, dass gläubige Menschen uns
sagen, dass ohne das Recht auf Beschneidung für sie jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland nicht
mehr möglich ist.
Diesen Konflikt zwischen unterschiedlichen Grundrechten können und wollen wir zum einen juristisch
klären, indem wir - das ist der Auftrag heute - einen
staatlichen Rahmen schaffen, in dem Beschneidungen
von Jungen möglich sind. Damit können wir Rechtsfrieden schaffen. Diesem Auftrag kommen Bundesregierung
und Parlament mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
nach, und zwar, wie ich denke, in guter und ausgewogener Weise.
Das ist aber nur ein Teil der Aufgabe, vor der wir stehen. Der andere Teil ist die gesellschaftspolitische
Debatte, eine Debatte, die über die Frage der Beschneidung weit hinausweist. Es geht um eine Verhältnisbestimmung, um das Verhältnis zwischen den Rechten des
Kindes und dem Recht der Eltern und ebenso zwischen
Religionsfreiheit und anderen grundgesetzlich garantierten Rechten.
Mir persönlich - das gebe ich offen zu - ist diese
schwierige Abwägung nicht leicht gefallen. Als Kinderund Jugendministerin, aber auch als Mutter eines kleinen
Kindes, tue ich mich schwer damit, zu akzeptieren, dass
männliche Säuglinge oder kleine Jungen als Zeichen der
Zugehörigkeit zu einer Religion einen keinesfalls harmlosen Eingriff über sich ergehen lassen müssen. Umgekehrt möchte ich natürlich wie wir alle, dass Juden und
Muslime in Deutschland weiterhin ihren Glauben leben
können.
Deshalb finde ich es wichtig, dass wir heute auch für
gegenseitiges Verständnis in dieser manchmal sehr emotional geführten Debatte über religiöse Beschneidung
werben. Niemand sollte den Befürwortern religiöser
Beschneidung unterstellen, das Kindeswohl gering zu
schätzen. Umgekehrt sollte niemand das Argument des
Kindeswohls abtun als Ausdruck eines religionsfeindlichen Zeitgeistes. Vor allem sollten wir nicht zulassen,
dass diese Debatte genutzt wird, um antisemitische und
islamfeindliche Ressentiments zu pflegen.
Wenn Sie die Debatte hierüber im Internet verfolgt
haben - Sie alle haben sicherlich auch Briefe bekommen -, dann ist für Sie offenkundig: Es gab in dieser
Debatte glasklaren Antisemitismus, und es gab antimus25452
limische Ressentiments. - Das ist beschämend. Deshalb
bin ich sehr froh, dass wir hier in diesem Haus die
Debatte anders geführt haben und anders führen und
dass wir uns vollkommen einig sind: Juden und Muslime
gehören zu unserem Land. Sie sind Teil unserer Gesellschaft. Wer glaubt, diese Debatte nutzen zu können, um
gegen Juden und Muslime zu hetzen, stellt sich damit
selbst ins Abseits und wird auf Widerspruch und Widerstand der breiten Mehrheit in unserer Gesellschaft
stoßen.
({0})
Wichtig ist mir aber auch: Diejenigen, die wirklich
gewichtige Argumente gegen das Recht auf Beschneidung anführen und deren Argumentation nichts, aber
auch gar nichts mit Antisemitismus oder mit antimuslimischen Ressentiments zu tun hat, müssen gegen
Vorwürfe in Schutz genommen werden. Hinterfragen,
Kritik und Diskussion sind demokratische Errungenschaften, und auch religiöse Traditionen dürfen kritisch
hinterfragt werden.
Es gibt auch viele Juden und Muslime, die die
Beschneidung selbst kritisch hinterfragen. Stephan
Kramer zum Beispiel, Generalsekretär des Zentralrates
der Juden in Deutschland, hat dazu kürzlich in einem Interview sehr differenziert Stellung bezogen. Er sagte, an
die jüdische Gemeinde gerichtet:
Wir müssen begründen, wie wir rechtfertigen, dass
die körperliche Züchtigung eines Kindes - zu
Recht - verboten ist, aber ihm ein Stück von der
Vorhaut abzuschneiden soll in Ordnung sein.
Auch innerhalb der Religionsgemeinschaften gibt es
also ein Bewusstsein dafür, dass Religion offen sein
muss für Verständigung und für Veränderung.
Verständigung setzt Verständnis voraus. Verständnis
haben sollten wir dafür, dass viele jüdische und muslimische Gläubige das Urteil des Landgerichts Köln als existenzielle Bedrohung empfinden. Ich bin dankbar für die
Gespräche, die ich unter anderem mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden oder auch mit dem Oberrabiner Israels darüber geführt habe. Es war für mich
wichtig, nachvollziehen zu können, warum Beschneidung religiös konstitutiv ist und warum erst die Beschneidung Zugehörigkeit verwirklicht. Denn wir sind
doch verpflichtet, die Bedeutung und damit das Motiv
religiöser Beschneidungen zu verstehen, um uns ein
sachgerechtes Urteil bilden zu können.
Für Juden besiegelt die rituelle Beschneidung am achten Tag nach der Geburt körperlich sichtbar den Bund
mit Gott. Es ist die traditionelle Form, jüdisch zu werden. Deshalb betrachten die meisten Juden es als eine
moralische Verpflichtung, ihre Söhne beschneiden zu
lassen. Es gehört zu ihrer Vorstellung von einem guten
Leben. Für sie verwirklicht sich gerade darin auch das
Kindeswohl. Das verdient, auch wenn man anderer
Auffassung ist, zumindest Respekt in der Auseinandersetzung.
Unsere Aufgabe, meine Damen und Herren, ist deswegen nicht mehr und nicht weniger, als uns zu verständigen und damit in diesem Konflikt eine Kluft zu überbrücken, die nicht verschwinden wird.
Es gehört zu den Merkmalen einer pluralistischen Gesellschaft, dass es weltanschauliche Unterschiede gibt,
die sich nicht auflösen lassen. Dazu gehört zweifellos
die Frage, ob die religiöse Beschneidung des männlichen
Kindes notwendig ist oder nicht. Das ist eine Frage, die
wir nicht politisch entscheiden können, sondern die die
Religionsgemeinschaften für sich klären müssen.
Unsere politische Aufgabe besteht darin, uns darüber
zu verständigen, unter welchen Rahmenbedingungen
eine säkulare Gesellschaft Beschneidungen dulden kann.
Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf. Er trägt zur
Verständigung bei. Er sagt zum einen klar Ja zu jüdischem und muslimischem Leben in Deutschland. Er sagt
zum anderen aber auch: Zum Wohle des Kindes müssen
bei einer religiösen Beschneidung bestimmte Bedingungen erfüllt sein; sie wurden eben bereits vorgetragen.
Ich halte den Gesetzentwurf der Bundesregierung für
ausgewogen und angemessen.
({1})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Christine Buchholz.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
spreche hier für den Teil meiner Fraktion, der im Grundsatz den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützt.
Ich sage „im Grundsatz“, weil ich vor dem Kölner Urteil
nicht der Meinung war, dass ein Gesetz zur Regelung der
religiös motivierten Beschneidung in Deutschland nötig
ist. Aber das Kölner Urteil war ein Schock für die übergroße Mehrheit der Juden und Muslime in Deutschland.
Es hat eine Situation geschaffen, in der ein Ritus, der für
die Mehrheit der Juden und Muslime zentrale Bedeutung
hat, kriminalisiert wird und bereits beschnittene Jungen
und Männer als andersartig und nicht zur Gesellschaft
dazugehörig stigmatisiert werden.
Ich glaube, vor zehn Jahren wäre ein solches Urteil
nicht möglich gewesen. Ich kann es mir nicht anders erklären: Es steht im Zusammenhang mit steigendem
antimuslimischen Rassismus und einer in diesem Land
immer noch weitverbreiteten antisemitischen Haltung.
Vor wenigen Wochen haben wir hier den Antisemitismusbericht diskutiert. Daher war es absolut richtig, dass
die Regierung die Initiative ergriffen hat, eine Lösung zu
suchen, die den Kindern und Eltern hilft, die niemanden
an den Pranger stellt und keine weiteren Ressentiments
schürt.
In der teilweise sehr emotional geführten öffentlichen
Debatte wird die Beschneidung mit der Verstümmelung
weiblicher Genitalien gleichgesetzt oder in einem AtemChristine Buchholz
zug mit Körperverletzung, Gewalt und Misshandlung
genannt. Damit wird Vorurteilen Vorschub geleistet. Das
ist nicht die Intention vieler Befürworter der Einschränkung des Rechts auf Beschneidung, aber es ist leider die
Wirkung. Damit müssen sie sich auseinandersetzen.
Ich halte es auch für in der Sache nicht gerechtfertigt;
denn auch medizinische Fachmeinungen haben immer
einen Bezug zu der Gesellschaft, in der sie entstehen,
und sind keine universellen Urteile. Im Gesetzentwurf
der familienpolitischen Sprecherinnen der Oppositionsfraktionen selbst wird auf die „weltweit unterschiedlichen Fachmeinungen und -empfehlungen“ in Bezug auf
die Beschneidung hingewiesen. Sie könne, so ist zu lesen, durchaus „Ausdruck von im Interesse des Kindes
gelebter Elternverantwortung“ sein. Es heißt: Aus der
Sicht von deutschen Ärzten ist eine medizinisch nicht
notwendige Beschneidung nicht ratsam.
Meine Damen und Herren, ich halte es für unzulässig,
den Juden und Muslimen in Deutschland die christlich
geprägte Sichtweise eines Teils der medizinischen Zunft
zum Maßstab zu machen. Das ist nicht mein Verständnis
einer lebendigen, toleranten, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft.
Es wurde hier von der Kinderrechtskonvention gesprochen. Ich möchte auf den Art. 14 hinweisen, der die
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit beinhaltet
und in dem ganz klar formuliert ist, dass Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auch Teil dieser Konvention sind und dass das Kind bei der Ausübung dieses
Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden
Weise zu leiten ist. Daher denke ich, dass die Beschneidung nicht im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention
steht.
({0})
Manche setzen das Bekenntnis zur Religionsfreiheit
mit Freiheit von Religiosität gleich. Ich als Nichtjuristin
möchte den Blick auf die Rolle zweier Juristen richten,
die gewissermaßen Stichwortgeber des Kölner Urteils
sind, auf den Strafrechtler Holm Putzke, der zufrieden
erklärt, mit dem Kölner Urteil sei nun mittel- und langfristig das Ende der religiösen Beschneidung eingeleitet,
und auf seinen Doktorvater, Rolf Dietrich Herzberg, der
erklärt, schließlich habe man ja auch die Praxis der Kastration im Morgen- wie im Abendland überwunden.
Wer die theologische Bedeutung der Beschneidung,
die im Judentum das Schließen des Bundes mit Gott ist,
mit der historischen Praxis der Kastration gleichsetzt, ist
nicht nur ignorant gegenüber den Gläubigen; er haut in
die Kerbe des alten christlichen antijüdischen Klischees,
das in dem geistigen Bund mit Gott eine Erhebung über
die angeblich barbarische Praxis des Judentums sieht.
Das dürfen wir nicht zulassen.
({1})
Eine Änderung der Religionspraxis muss von innen,
aus den Religionsgemeinschaften selbst, kommen. Es ist
doch auffällig, dass es zwar viele Berichte von Einzelnen gibt, die ihre Beschneidung als traumatisch erlebt
haben - und keiner in diesem Raum spricht ihnen diese
Erfahrung ab -, aber es gibt keine innerjüdische oder
innermuslimische Initiative von Betroffenen gegen die
Beschneidung.
({2})
Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte in diesem Sinne mit den Worten des
Schriftstellers Navid Kermani schließen:
Darum müssen Minderheiten in dem Augenblick
nervös werden, in dem sie vom Recht nicht mehr
gegen die Urteile und Vorurteile der Mehrheit
geschützt werden. Das ist jetzt Deutschlands
Minarettverbot - allerdings mit viel weitreichenderen praktischen und symbolischen Folgen, falls das
Urteil Bestand haben sollte.
Deswegen unterstützen ich und einige meiner Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
({3})
Katja Dörner hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Das Thema „Beschneidung von Jungen“ kann man nur sehr sensibel diskutieren. Bis zu dem
vorangegangenen Beitrag wollte ich mich eigentlich dafür bedanken, dass wir heute eine so sensible, respektvolle Diskussion führen. An die Adresse aller anderen
Rednerinnen und Redner möchte ich diesen Dank auch
weiterhin richten.
({0})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Bundestag hat
die Bundesregierung im Juli beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach „unter Berücksichtigung der
grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung“ die Beschneidung von Jungen grundsätzlich zulässig sein soll.
Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf aus unserer
Sicht nicht gerecht. Er wird dem Anspruch nicht gerecht,
weil die Rechte des Jungen, sein Recht auf körperliche
Unversehrtheit, unzureichend berücksichtigt werden.
({1})
Das ist der Grund, weshalb ich gemeinsam mit rund
65 Kolleginnen und Kollegen von Grünen, SPD und
Linken einen alternativen Gesetzentwurf zur Beratung
eingebracht habe. Wir sind der Ansicht, dass die körperliche Unversehrtheit des Kindes, hier die körperliche
Unversehrtheit des Jungen, nicht zur Disposition gestellt
werden darf - nicht aus religiösen Gründen und auch
nicht aus anderen Erwägungen.
({2})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eine Beschneidung ist keine Bagatelle. Sie ist schmerzhaft, gerade
auch im Heilungsprozess, und sie ist risikobehaftet. Hierauf weisen insbesondere die deutschen Kinder- und Jugendärzte eindringlich hin. Deren Dachverband unterstützt unseren Gesetzentwurf auch ausdrücklich.
Jenseits der Frage der Komplikationen führt die Beschneidung zur Entfernung eines Körperteils, das durchaus wichtige Funktionen hat. Sie kann negative Folgen
für die Psyche und auch die Sexualität haben, und sie ist
- das versteht sich von selbst - nicht rückgängig zu machen. Das ist, wie ich finde, in diesem Zusammenhang
ein ausgesprochen relevanter Punkt. Ein solcher Eingriff
darf nicht ohne die Zustimmung des Jungen selbst erfolgen. Der Junge muss das Recht haben, über einen solchen nicht rückgängig zu machenden Eingriff in seinen
Körper selbst zu entscheiden. Unser Gesetzentwurf fordert deshalb ein, dass eine Beschneidung nur durchgeführt werden kann, wenn auch der mindestens 14-jährige
Junge diesem Eingriff zustimmt.
({3})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist richtig: Damit greifen wir in Elternrechte ein. Das macht der Gesetzentwurf der Bundesregierung übrigens auch, indem
er für die Zulässigkeit bestimmte Bedingungen formuliert. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass er auch
diejenigen, die eine Beschneidung durchführen, unter
Strafe stellt, wenn sie sich nicht an diese Bedingungen
halten.
({4})
Wir haben uns in Deutschland nach vielen Jahren Diskussion entschieden, das Recht auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich zu verankern. In Deutschland ist nicht
einmal eine kleine Backpfeife erlaubt, und es ist auch
absolut richtig so, dass das so ist. Jetzt soll die Einwilligung der Eltern in eine medizinisch nicht notwendige, risikobehaftete Operation, die zudem unwiderbringlich einen Körperteil entfernt, in Ordnung sein. Ich finde, das
steht einfach in keinem Verhältnis zueinander.
({5})
Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, der
auch schon thematisiert worden ist und den viele in dieser Debatte nicht so gerne hören. Selbstverständlich ist
die Beschneidung von Jungen nicht mit der barbarischen
weiblichen Genitalverstümmelung zu vergleichen, die
uns in den Kopf kommt, wenn wir an Genitalverstümmelung denken.
Frau Dörner, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Beck zulassen?
Selbstverständlich.
Liebe Kollegin, ich möchte eine Frage stellen, von
der ich weiß, dass sie eher vermieden wird und dass man
sich, wenn man sie stellt, auf einem sehr schmalen Grat
bewegt. Sie ist wohl deshalb bisher nicht auf die Tagesordnung gesetzt worden, weil sie an sehr schwierige Debatten erinnert, die wir hier geführt haben, bevor es zu
einem gesellschaftlichen Kompromiss kam. Ich meine
die Erlaubnis bzw. das Verbot bei gleichzeitiger Nichtstrafverfolgung der Abtreibung. Ich habe an den Debatten Ihrer Gruppe nicht teilgenommen, möchte Sie aber
bitten, mir zu erklären, ob Sie diese Überlegungen mit
einbezogen und eine entsprechende Abwägung vorgenommen haben. Es geht ja immer um die Abwägung von
Rechtsgütern. Bei der Straffreistellung der Abtreibung
haben wir die Abwägung der Rechtsgüter damals so vorgenommen, dass es erlaubt ist, wenn sich Frauen in entsprechenden Zwiespaltsituationen befinden, dass zugunsten der Frau und zugleich gegen das Leben des
heranwachsenden Embryos entschieden wird.
Wir haben bei der Vorbereitung des Gruppenantrages
sehr wohl auch diese Variante diskutiert. Ich wünsche
mir, dass sie beispielsweise bei den Beratungen im
Rechtsausschuss und in der Anhörung eine Rolle spielt.
Wir sind aber bei der Abwägung zwischen Unversehrtheit des Körpers des Kindes versus Elternrecht bzw. Religionsfreiheit zu dem Ergebnis gekommen, den Gesetzentwurf so vorzulegen, wie wir ihn hier eingebracht
haben.
({0})
Ich komme noch einmal zu dem Thema zurück, das
ich gerade angesprochen habe, nämlich zur Frage der
weiblichen Genitalverstümmelung. Namhafte Verfassungsrechtler, einige NGOs und eben auch Terre des
Femmes als eine in diesem Punkt besonders prominente
NGO weisen auf Parallelen zu bestimmten Formen der
weiblichen Genitalverstümmelung hin. Ich mache mir
einfach Sorgen hinsichtlich dieser Fragestellung. Deshalb ist an dieser Stelle aus meiner Sicht eine klare Regelung angesagt, damit wir keine Türen aufmachen, die
niemand von uns öffnen möchte.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es uns
mit der Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter
nicht leicht gemacht. Selbstverständlich nehme ich die
Haltung der jüdischen Gemeinden und der Vertreter und
Vertreterinnen der Muslime sehr ernst. Ich habe insgesamt große Bauchschmerzen. Ich hätte mir gewünscht,
dass der Deutsche Bundestag an dieser Stelle keine Entscheidung fällen muss. Aber Fakt ist, wir müssen uns
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung verhalten. Hier
ist für mich klar, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht der Jungen
vor Tradition und Religion gehen müssen.
Vielen Dank.
({2})
Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Beschneidung hat eine in die Jahrtausende
zurückgehende Tradition in der Menschheit. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, wie Herr Krings schon gesagt hat, dass weltweit 30 Prozent der Männer beschnitten sind, und sie empfiehlt die Beschneidung im Kampf
gegen HIV.
Diskussionen über Beschneidung haben in unserem
Land keine Rolle gespielt. Sie war eigentlich unbestritten bis zum Urteil von Köln. Durch dieses Urteil von
Köln ist tatsächlich eine Unsicherheit entstanden. Deswegen muss durch ein Gesetz diese Unsicherheit beseitigt werden. Die Bundesregierung hat ein Gesetz vorgelegt, das von der Begründung her kaum besser gemacht
werden kann. Ich habe noch nie einen Gesetzentwurf gesehen, der auf die verschiedenen Argumentationen so
intensiv und so begründet eingegangen ist wie der vorliegende Gesetzentwurf. Dafür ist, denke ich, ein Dankeschön angebracht.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gesetzentwurf beschränkt sich die Bundesregierung allein auf
das Sorgerecht und schaut nicht auf die hinter einer Beschneidung stehende Motivation. Für mich ist allein die
Frage entscheidend: Ist die Beschneidung erfasst vom
Sorgerecht oder widerspricht sie dem Sorgerecht? Ein
richtig verstandenes Sorgerecht, verehrte Frau Rupprecht,
bindet natürlich die Rechte des Kindes mit ein. Eine
richtig verstandene Wahrnehmung des Sorgerechts
nimmt immer Rücksicht auf das Wohl des Kindes. Ansonsten würde eine solche Maßnahme, die das Wohl des
Kindes nicht berücksichtigt, dem Kindessorgerecht entschieden widersprechen, das aus der Verfassung kommt
und im BGB festgelegt ist.
({1})
Ich glaube aber nicht, dass die Kinderrechte nicht berücksichtigt werden, wenn wir die Beschneidung zulassen, wie Sie es sagen, Frau Rupprecht. Sicherlich liegt
eine Zeit hinter uns, in der die Rechte der Kinder nicht
so gewahrt worden sind, wie das heute der Fall ist. Aus
dem römischen Recht wissen wir, dass das Kind der Gewalt des Vaters unterworfen war. Außerdem stand der
Begriff der elterlichen Gewalt bis in unsere Zeit hinein
im Gesetzbuch. Es ist also schon ein Kampf notwendig
gewesen, an dem auch Sie mitgewirkt haben, liebe Frau
Rupprecht, bis die Rechte der Kinder anerkannt worden
sind. Inzwischen sind sie aber anerkannt. Wir wissen
auch, dass sich diese Rechte auf unser Grundgesetz
gründen können.
Deswegen glaube ich nicht, dass insoweit noch eine
Diskussion erforderlich ist. Die Frage ist nur, ob diese
Rechte verletzt werden, wenn sich die Eltern dazu entscheiden, das Kind beschneiden zu lassen. Da gehen die
Meinungen auseinander.
Sie sagen, diese Rechte würden allein schon deshalb
verletzt, weil dem Kind Gewalt angetan werde. Das ist
aber so nicht zu sehen. Sie beziehen sich dabei auf
§ 1631 Abs. 2 BGB, in dem es heißt, dass eine Bestrafung des Kindes nicht mit gewaltsamen Mitteln durchgeführt werden darf. Dies ist aber nicht so bei der Beschneidung. Die Beschneidung ist keine Bestrafung und
hat deshalb mit dieser Vorstellung, die Sie erwähnt haben und die auch Frau Dörner erwähnt hat, nichts zu tun.
Bei der Beschneidung geht es um etwas ganz anderes.
Herr Geis, möchten Sie die Zwischenfrage von Frau
Rupprecht zulassen?
Bitte sehr.
Bitte.
Herr Kollege Geis, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass ich nicht von einer Bestrafung gesprochen habe. Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass
in § 1631 Abs. 2 BGB das Recht auf gewaltfreie Erziehung verankert ist. Damit ist zum Beispiel das Elternrecht beschnitten. Wir können mit den Kindern also
nicht alles machen. Ich habe keineswegs Beschneidung
als Bestrafung gewertet. Das möchte ich ganz weit von
mir weisen. Das habe ich niemals in den Mund genommen. Die Beschneidung sehe ich nicht als Gewaltanwendung an.
({0})
Marlene Rupprecht ({1})
Der einzige Unterschied besteht darin - das möchte
ich hier feststellen -, dass wir von einem massiven körperlichen Eingriff ausgehen. Medizinisch kann ich begründen, warum massiv eingegriffen wird. Sie gehen davon aus, dass der Eingriff harmlos ist und daher im
Rahmen der elterlichen Sorge durchgeführt werden
kann. Wir stimmen dem zu, dass das in den Bereich der
elterlichen Sorge fällt. Ein solcher Eingriff ist aber so
massiv, dass man den Willen des Kindes sowie die Einsichtsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit des Kindes
beachten muss.
Das habe ich hier zum Ausdruck gebracht. Darauf
lege ich sehr großen Wert. Es kommt ganz leicht ein falscher Zungenschlag hinein, was ich Ihnen nicht unterstelle. Ich möchte aber, dass das klargestellt ist.
Ich akzeptiere das. Mit dem, was Sie sagen, bringen
Sie aber indirekt zum Ausdruck, dass die Beschneidung
ein gegen das Kind gerichteter Akt der Gewalt ist. Wenn
Sie das so sehen, dann - ({0})
- Sie haben gesagt, dass sei keine Bestrafung, aber ein
Akt der Gewalt. Sonst hätten Sie § 1631 Abs. 2 BGB gar
nicht heranziehen können. Lassen wir das aber einmal
auf sich beruhen. Ich akzeptiere jedenfalls Ihre Erklärung. Wir können das auf sich beruhen lassen.
Liebe Frau Rupprecht, Sie sagten eben noch einmal,
es handele sich um einen schwerwiegenden Eingriff.
({1})
Dem widerspricht der Entwurf ganz entschieden. Der
Entwurf sagt, dass es sich nicht um einen schwerwiegenden Eingriff handelt. Wir wissen, dass dies in anderen
Ländern genauso gesehen wird. Auch viele Mediziner
werten dies nicht als einen schwerwiegenden Eingriff.
Wenn es ein schwerwiegender Eingriff wäre, was ich
verneine, muss man sich aber doch die Frage stellen:
Entspricht dieser Eingriff dem Wohl des Kindes? Das ist
die ganz entscheidende Frage. Die ganz entscheidende
Frage ist, ob das Wohl des Kindes gewahrt ist, wenn sich
die Eltern für die Beschneidung entscheiden. Ich glaube,
das ist der Fall. Hier kommt man allerdings nicht allein
mit dem Sorgerecht aus, sondern muss auch nach dem
Motiv der Beschneidung fragen. Deswegen wird ja immer in diese Debatte wieder eingebracht, dass entscheidend ist, aus welchen Motiven heraus die Beschneidung
geschieht.
Im jüdischen Glauben und auch im muslimischen
Glauben geschieht sie aus dem Motiv heraus, dass gerade dadurch das Wohl des Kindes gewahrt bleibt, wenn
es in die Religionsgemeinschaft aufgenommen wird.
Das ist zumindest im jüdischen Glauben der Fall. Wir
wissen aus der Thora und aus dem Buch Genesis, dass es
über Abraham einen Bund gibt zwischen Gott und den
Menschen. Und da sagt eben Gott: Damit dieser Bund
nach außen hin klar sichtbar ist, sollen die Kinder beschnitten werden. Das ist so im Buch Genesis zu finden.
Deswegen - das sagt auch der Zentralrat der Juden - ist
die Beschneidung konstitutiv für den jüdischen Glauben.
Wenn dem jedoch so ist, dann muss man den Eltern das
Recht einräumen, eine solche Beschneidung vornehmen
zu lassen, und zwar im Interesse des Kindes. Die Eltern
wollen ja das Wohl des Kindes. Für sie besteht das Wohl
des Kindes eben darin, dass es im richtigen Glauben erzogen wird und diesen Glauben auch lebt.
Ähnliches gilt für die Muslime. Auch die Muslime
wollen durch die Beschneidung sicherstellen und dafür
Sorge tragen, dass ihre Kinder im muslimischen Glauben erzogen werden.
Die Beschneidung geschieht nach der Vorstellung besagter Eltern ganz und gar zum Wohle des Kindes. Das,
glaube ich, berücksichtigen Sie zu wenig. Bei den Eltern
herrscht ganz klar der Gedanke vor: Ich handele zum
Wohl des Kindes, wenn ich es aus religiösen Gründen
beschneiden lasse. Diese Denkweise ist den Menschen
in einem säkularisierten Staat fremd und tut ihnen weh.
Zu den Prinzipien eines säkularisierten Staates gehört
es aber vor allen Dingen auch, die Religionsfreiheit zu
achten. Die Religionsfreiheit ist wie alle anderen Freiheitsrechte konstitutiv für unser Staatsverständnis. Deswegen ist es auch richtig, dass die Religionsfreiheit hier
eine wichtige Rolle spielt; Herr Thomae hat das vorhin
sehr schön dargelegt. Art. 6 Grundgesetz regelt das
Recht der Eltern auf Sorge für die Kinder sowie die ihnen obliegende Pflicht. In diesen Diskussionszusammenhang gehört aber auch Art. 4 Grundgesetz, das
Recht auf Religionsfreiheit. Eine Abwägung dieser
Rechte - Recht auf Religionsfreiheit sowie Recht der Eltern auf Sorge für ihre Kinder - führt dazu, dass wir sagen können: Es entspricht unserer Rechtsordnung, wenn
wir zulassen, dass Kinder beschnitten werden.
Es ist natürlich wichtig, dass die Kinder in einer
Weise beschnitten werden, die wir de lege artis nennen.
Der Eingriff sollte von Medizinern vorgenommen werden. Gemäß § 1631 d Abs. 2 des Gesetzentwurfs dürfen
auch Personen Beschneidungen durchführen - sogenannte Beschneider -, wenn sie dafür besonders ausgebildet sind. Auch diese Personen müssen aber nach den
Regeln der ärztlichen Kunst handeln. Diese Bedingung,
liebe Frau Dörner, ist nicht so auszulegen, dass wir eine
Beschneidung gar nicht zulassen dürften. Es handelt sich
nur um eine Bedingung, wie die Beschneidung durchzuführen ist. Eine solche Bedingung darf man durchaus
stellen. Wir müssen sie auch stellen, in diesem Fall im
Interesse des Wohles des Kindes.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen:
Das „Wohl des Kindes“ kann sich nicht allein auf den
Aspekt der körperlichen Unversehrtheit beziehen, sondern darunter ist auch die Erziehung des Kindes zu verstehen und seine religiöse Ausrichtung. Auch das gehört
zum Wohl des Kindes.
({2})
Wir dürfen beides nicht trennen, sonst würden wir der
Sache nicht gerecht werden.
Danke schön.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat Wolfgang Thierse das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben es in unserer Debatte - das ist jetzt schon oft
gesagt worden - über das Erlaubtbleiben der Beschneidung mit einer Güterabwägung zwischen verschiedenen
Grund- und Menschenrechten zu tun: dem Recht des
Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit,
dem elterlichen Sorgerecht und der Religionsfreiheit.
Letztere ist als Gedanken-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit ein umfassendes Menschenrecht
und in einer pluralistischen Gesellschaft besonders anstrengend; wir erleben es gerade. Deswegen will ich
mich diesem Aspekt in aller notwendigen Kürze widmen.
Jürgen Habermas hat in einer kritischen Kommentierung des Kölner Urteils betont:
In der Rolle von demokratischen „Mitgesetzgebern“ gewähren sich alle Staatsbürger gegenseitig
den grundrechtlichen Schutz, unter dem sie als Gesellschaftsbürger ihre kulturelle und weltanschauliche Identität wahren und öffentlich zum Ausdruck
bringen können … Das universalistische Anliegen
der … Aufklärung erfüllt sich erst in der fairen Anerkennung der partikularistischen Selbstbehauptungsansprüche religiöser und kultureller Minderheiten.
Darum geht es beim heutigen Thema.
({0})
Eine Gemeinschaft kann nicht funktionieren ohne den
Respekt vor den Unterschieden. Dieser Respekt ist auch
vom Staat zu verlangen. Wollen wir uns daran gewöhnen, dass der Staat darüber entscheidet, was zum Kern
der Identität einer Religionsgemeinschaft gehört, gehören darf, und was nicht, ein veralteter Ritus zum Beispiel
nicht? Nein, das zu entscheiden, ist Sache der inneren
Auseinandersetzung in der Religionsgemeinschaft selbst
und in der Zivilgesellschaft. Der weltanschaulich neutrale Staat darf die Änderung traditionaler Einstellungen
jedenfalls nicht strafrechtlich erzwingen wollen.
({1})
Schließlich ist der Staat des Grundgesetzes kein Staat einer säkularistischen Weltanschauung.
Den lebensgeschichtlich prägenden Einfluss auf die
religiöse, die weltanschauliche Entwicklung des Kindes
weist unser Grundgesetz ausschließlich den Eltern zu.
Das nicht zu berücksichtigen, widerspräche auch und gerade der UN-Kinderrechtskonvention, liebe Marlene
Rupprecht. Dort ist nämlich vom untrennbaren Zusammenhang von Kindeswohl und Elternrechten und -pflichten die Rede, ebenso vom Kinderrecht auf auch religiöse
Erziehung und auf Zugehörigkeit zu einer kulturellen
und religiösen Gemeinschaft.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kulturelle Eigenarten oder religiöse Motive und Praktiken sind allerdings
nicht einfach sakrosankt. Auch sie müssen abgewogen,
die Gründe gewichtet, die Schwere des Eingriffs berücksichtigt werden. Ich sage es auch: Die Vorhautbeschneidung bei Jungen ist eben keine Verstümmelung, wie es
die Klitorisbeschneidung von Mädchen ist. Der Staat,
der Gesetzgeber hat sich bei der Wahrnehmung seiner
Schutzpflicht gegenüber dem Schutzrecht des Kindes
gerade im Respekt vor der Religionsfreiheit von Kind
und Eltern sowohl eines Übermaßes wie auch eines Untermaßes an Regelungen zu enthalten. Das scheint mir
durch den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf
gewahrt. Die im Änderungsantrag von Lischka und
Lambrecht formulierten Ergänzungen sollten aber ernsthaft erwogen werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Entscheidung
in der Sache wird nicht zuletzt von der Antwort auf die
Frage abhängen: Sollen wir uns daran gewöhnen, dass
das Kindeswohl, also das Menschenwohl, allein in materiellen Dimensionen bestimmt wird, sodass darüber am
Schluss allein Ärzte befinden, und geistige, geistliche
und kulturelle Dimensionen ausgeschlossen zu sein haben? - Der Nutzen der Beschneidung müsse messbar
und rational begründbar sein, so Holm Putzke, der geistige Vater des Kölner Urteils; deshalb sei sie nicht zu erlauben. „Metaphysische Behauptungen“ seien in der
Rechtsordnung nicht zu berücksichtigen, so Rolf
Dietrich Herzberg. Heiner Bielefeldt nennt das „inquisitorischen Rationalismus“.
({4})
Wer dem folgt, der reduziert das volle Freiheitsrecht der
Religion auf negative Religionsfreiheit und propagiert
faktisch Säkularismus als staatlich verordnete Weltanschauung. Bei der Diskussion um Beschneidung geht
es eben auch um eine mögliche Beschneidung der Religionsfreiheit
({5})
und - das füge ich hinzu - eben nicht um ein Sonderrecht für Juden und Muslime, wie es ein Professor
Merkel behauptet hat.
Ein Verbot oder eine radikale Beschränkung der Beschneidung jüdischer und muslimischer Kinder aber
würde faktisch bedeuten, dass jüdisches und islamisches
Leben in Deutschland auf Dauer legal nicht mehr möglich sein würde. Ich sage ganz deutlich: Das will ich
nicht,
({6})
und zwar nicht nur aus historischen Gründen, die gewichtig genug sind, auch nicht, weil Deutschland das
erste Land wäre, das diesen Weg ginge, sondern um der
Freiheit der jüdischen und muslimischen Bürgerinnen
und Bürgern und aller religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisse in unserem Land willen.
({7})
Wir waren uns doch gelegentlich einig: Wenn Freiheit
auch die der Andersdenkenden ist, so darf diese nicht
nur von denen definiert werden, die sich selbst zu den
Aufgeklärt-Säkularen zählen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Maria
Flachsbarth das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste! In fast allen Reden wurde betont: Es geht uns um das Kindeswohl. Genau um das
Wohl ihres Kindes willen entscheiden sich Eltern, die
dem jüdischen oder muslimischen Glauben angehören,
ihren Sohn beschneiden zu lassen. Wie alle anderen Eltern verfolgen auch diese Eltern in allem, was sie tun,
vor allem ein Ziel: Sie möchten das Beste für ihr Kind.
Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: Das Elternrecht
beruht auf dem Grundgedanken, daß in aller Regel
Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt
als irgendeiner anderen Person oder Institution.
Diese Tatsache sollten wir bei unserer Debatte nicht aus
den Augen verlieren.
Wir sollten auch mit der notwendigen Sensibilität darüber diskutieren, was wir Gott sei Dank heute Nachmittag getan haben. Wir sprechen nämlich über einen religiösen Ritus, der für einige Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land eine zentrale Bedeutung für ihr Leben hat.
Auch ich warne vor dem Zungenschlag, den ich in der
öffentlichen Debatte - noch einmal ausdrücklich: heute
Nachmittag hier nicht - und auch in Zuschriften, die ich
bekommen habe, wahrgenommen habe. Es gibt nämlich
Stimmen, die ausklammern oder vielleicht sogar bewusst infrage stellen, dass selbstverständlich das Kindeswohl das Motiv ist, das die Eltern dazu veranlasst, ihr
Kind beschneiden zu lassen.
Ich möchte betonen, dass sich dieses Wohl des Kindes
eben nicht nur in seiner körperlichen Unversehrtheit erschöpft. Das Wohl des Kindes zu fördern, heißt, seine
ganzheitliche Entwicklung zu fördern. Gerade die religiöse Sozialisation ist ein zentrales Element des Kindeswohls. Eltern, die selbst religiös sind, möchten doch
auch ihrem Kind Räume erschließen, in denen es Gott
begegnen kann, Räume, in denen es Antworten finden
kann auf Fragen, die in seinem Leben unausweichlich
sind: Fragen nach dem Sinn, nach Leben, nach Tod und
nach Liebe. Sie möchten ihm ethische und religiöse
Orientierung geben, ja, eine geistige Heimat geben, und
ihr Kind auch dem besonderen Schutz Gottes unterstellen. Das ist die Motivation, die Eltern dabei leitet, auch
jene Riten vollziehen zu lassen, die ihre Religion als unverzichtbar für die Annahme und Zugehörigkeit in einer
Glaubensgemeinschaft sieht. In meinem Glauben gehört
die Taufe dazu, für Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens die Beschneidung ihres Sohnes.
Eltern lassen ihren Sohn beschneiden, weil sie ihm
die Möglichkeit einer religiösen Heimat geben wollen.
Ich sage bewusst „Möglichkeit“; denn natürlich gilt das
Menschenrecht, seine Religion frei wählen zu dürfen
und damit auch zu wechseln oder sich gegebenenfalls
völlig von der Religion abzuwenden, auch für Jungen,
die im Knabenalter beschnitten wurden. Alle Jugendlichen haben das Recht, sich mit Erreichen der Religionsmündigkeit, also mit 14 Jahren, gegen eine Religion zu
entscheiden, die ihre Eltern ihnen im Kindesalter angeboten haben. Ich kenne keine Religion, die die Aufnahme eines Mitglieds ablehnt, weil jemand beschnitten
ist. Wir wissen zum Beispiel aus den USA, wo sehr viele
Jungen aus Gründen gesundheitlicher Prävention beschnitten sind, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass auch
Christen beschnitten sind.
Den Vorschlag, die Beschneidung eines Jungen bis
zum 14. Lebensjahr zu verbieten, lehne ich ab. Als
Christin und auch als Mutter kann ich sehr gut nachvollziehen, dass Eltern ihrem Kind so früh als irgend möglich eine religiöse Heimat, und zwar die volle und nicht
eine vorläufige oder möglicherweise symbolische Aufnahme in ihre Religionsgemeinschaft wünschen.
Ich respektiere, wenn mir Juden darlegen, dass für sie
das Gebot der Thora, ihre Söhne am 8. Lebenstag zu beschneiden, um in den Bund mit Gott und in die Gemeinschaft der Juden aufgenommen zu werden, bindend ist.
Genauso respektiere ich, wenn muslimische Familien
nach dem Beispiel des Propheten Mohammed die Beschneidung ihres Sohnes vornehmen lassen und feiern
möchten.
Ich sage deshalb auch: Wir haben als Staat einfach
nicht das Recht, diese Glaubensinhalte infrage zu stellen.
Das ist eine Frage des Respekts vor der Trennung von
Kirche und Staat in unserem Land; das hat der Kollege
Thierse eben sehr zutreffend ausgeführt.
Doch natürlich legitimiert die religiöse Erziehung
keineswegs alles. Ihr sind Grenzen gesetzt, die sich am
Maßstab des Kindeswohls orientieren müssen. Deshalb
nennt der Gesetzentwurf ausdrücklich die Voraussetzungen, unter denen Eltern in die medizinisch nicht erforderliche Beschneidung ihres Kindes einwilligen dürfen:
Sie wird nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Das umfasst eine umfassende Aufklärung der ElDr. Maria Flachsbarth
tern über die Risiken, die fachliche Qualifikation und
eine angemessene Schmerztherapie.
Urologen bestätigen uns, dass die Komplikationsrate
bei Beschneidungen, egal welcher Indikation, insgesamt
bei unter 1 Prozent liegt. Die Kritik an der Ausnahmeregelung für die beauftragten Personen der Religionsgemeinschaften, die in den ersten Monaten nach der Geburt die Beschneidung vornehmen dürfen, teile ich nicht.
Gerade Beschneidungen in Israel, wo sie besonders häufig durch Mohalim, also jüdische, durch medizinische
und religiöse Ausbildung beauftragte Personen, durchgeführt werden, weisen nach Studien eine besonders geringe Komplikationsrate auf. Eine potenzielle Gefährdung der kindlichen Gesundheit würden wir dagegen
zumindest billigend in Kauf nehmen, würde ein Verbot
der Beschneidung durchgesetzt. Dann nämlich wären religiöse Familien wirklich gezwungen, die Beschneidung
ihrer Söhne unter gegebenenfalls schlechteren Bedingungen in einem anderen Land oder gar in der Illegalität
vornehmen zu lassen.
Die Beschneidung von Jungen wurde und wird in
Deutschland seit Jahrhunderten durchgeführt, in der
Bundesrepublik seit Beginn ihrer Geschichte, und sie
stand vor dem Kölner Urteil niemals zur Disposition. Es
gibt weltweit kein Land, das die Beschneidung nichteinwilligungsfähiger Jungen völlig verbietet. Der Verzicht
auf Beschneidung durch jüdische Eltern stand dagegen
historisch immer im Zusammenhang mit antisemitischer
Repression.
Ich finde es abstrus, dass man nun gerade in Deutschland auf den Gedanken kommt, jüdische Söhne vor ihren
Müttern und Vätern zu schützen. Es ist ein großes und
unverdientes Geschenk für uns, dass sich nach dem
Grauen der Schoah wieder jüdisches Leben in all seinen
Glaubensrichtungen in Deutschland entfaltet. Mit einer
breiten Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf könnten
wir einmal mehr beweisen, dass dies nicht nur so dahergesagt ist, sondern es uns mit dieser Aussage ernst ist.
Wir freuen uns über lebendige jüdische Gemeinden in
Deutschland genauso wie über die muslimischen Gemeinden.
Lassen Sie uns dieses Gesetz deshalb nach parlamentarischer Diskussion und Expertenanhörung mit breiter
Mehrheit verabschieden, als Zeichen der Verbundenheit,
der Toleranz und des Respekts vor den jüdischen und
muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem
Land.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kerstin Griese für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zum Ende dieser Debatte will ich mich erst
einmal dafür bedanken, dass wir diese Debatte in einer
sehr ernsthaften und sehr respektvollen Art und Weise
geführt haben. Es ist gut, dass wir jetzt nach einigen aufgeheizten Diskussionen in diesem Hause so respektvoll
darüber sprechen. Vielen Dank dafür!
({0})
Ich möchte noch einmal auf den Auslöser unserer Debatte zurückkommen, auf das Urteil der kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, das
interessanterweise zunächst öffentlich gar nicht zur
Kenntnis genommen worden ist, sondern erst sechs Wochen später, als die Financial Times Deutschland darüber berichtet hat. Dann setzte eine, glaube ich, beispiellose Entwicklung ein, die viele Juden und Muslime
in unserem Land sehr verunsichert hat.
Seit über 50 Jahren leben Muslime in Deutschland.
Bis zu diesem Urteil hat niemand ihren Ritus, ihre Söhne
beschneiden zu lassen, wenn diese im Grundschulalter
oder jünger sind, infrage gestellt. Auch das jüdische Ritual, männliche Säuglinge am achten Tag nach der Geburt zu beschneiden, stand bisher nicht zur Disposition.
Aber in diesem Sommer war die Empörung groß.
Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir zuerst einmal
unseren jüdischen und muslimischen Bürgerinnen und
Bürgern zugehört hätten, dass wir sie gefragt hätten: Warum macht ihr das? Welche Bedeutung hat das für euch?
Gibt es vielleicht eine Veränderung, eine Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften darüber, wie sich
diese Praxis ändern, entwickeln kann?
({1})
Wenn man zuerst zuhört, dann kann man anschließend
auf Augenhöhe miteinander darüber sprechen, welche
Regeln der Staat dafür setzen soll und wie sich die Praxis
in Zukunft vielleicht verändern kann.
Ich weiß - das habe ich in vielen Gesprächen erfahren -,
wie verletzt Juden und Muslime von dieser Debatte sind,
in der ihnen - nicht heute hier, wohl aber sehr häufig an
anderer Stelle, wie wir alle in den Zeitungen und im Internet lesen konnten - unterstellt wird, sie quälten ihre
Kinder und missachteten Kinderrechte. Ich halte eine
solche pauschale Herabwürdigung von Menschen für
unerträglich.
({2})
Für mich und sicherlich auch für viele andere in diesem Parlament gilt: Juden und Muslime gehören zu
Deutschland. Sie leben hier. Sie sind hier willkommen.
Sie sind Bestandteil unserer Gesellschaft, und zwar mit
ihrer Religion.
({3})
Das gilt für mich nicht nur aufgrund unserer historischen
Verantwortung, sondern auch und gerade für die Zukunft
einer multireligiösen Gesellschaft.
Mir ist besonders wichtig, dass wir die Kinderrechte
und die Religionsfreiheit nicht gegeneinander ausspielen; denn sie sind kein Gegensatz. Wir können und wol25460
len beides vereinbaren. Deshalb habe ich besonders darauf geachtet, was der UN-Kinderrechtsausschuss zu
diesem Thema gesagt hat. Ich habe mit dem langjährigen
deutschen Vertreter im UN-Kinderrechtsausschuss gesprochen. Laut Art. 14 der UN-Kinderrechtskonvention
- sie wurde schon zitiert - haben Kinder das Recht, dass
Eltern sie bei der Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit leiten, also das Recht auf religiöse Erziehung.
Der UN-Kinderrechtsausschuss kritisiert zwar, dass die
Beschneidung von Jungen in afrikanischen Ländern teilweise unter hygienisch nicht einwandfreien Bedingungen stattfindet. Aber die Beschneidung von Jungen wird
vom UN-Kinderrechtsausschuss nicht grundsätzlich infrage gestellt. Mir ist wichtig, das noch einmal zu betonen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines der großen
Missverständnisse in der aktuellen Debatte ist die Annahme, dass man Religion von Kindern so lange fernhalten müsse, bis sie sich im Alter von 14 Jahren - quasi
vollkommen aus dem Nichts heraus - für die eine oder
andere Religion entscheiden könnten. Selbstverständlich
gilt ab 14 Jahren die Religionsfreiheit. Jugendliche
könnten sich dann entscheiden, aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten oder in eine Religionsgemeinschaft einzutreten. Aber das kann man doch nur, wenn
man die Chance hatte, in einer Religion aufzuwachsen
und sie kennenzulernen und zu erleben. Selbstverständlich kann man dann mit 14 Jahren aus der Religionsgemeinschaft austreten. Viele Schüler wählen den Religionsunterricht ab, egal ob sie beschnitten oder getauft
sind.
Die Praxis, dass jüdische und muslimische Söhne beschnitten werden, ist nicht ein Akt der Misshandlung,
sondern ein Akt des Aufwachsens in ihrer Religion und
Kultur. Heribert Prantl hat das in der Süddeutschen Zeitung treffend beschrieben - ich zitiere -: „Sie macht das
Kind zum Subjekt des Glaubens, bedeutet den Eintritt in
die Gemeinschaft.“ Man mag das für sich selbst nicht
glauben oder annehmen - das muss auch niemand -,
aber es geht darum, dass wir akzeptieren, was das für Juden und Muslime bedeutet. Deshalb ist es mir wichtig,
noch einmal daran zu erinnern - darauf haben schon
viele hingewiesen -, dass die Beschneidung am achten
Tag für Juden konstitutiv ist, wenn nicht der Gesundheitszustand dagegenspricht. Wir haben in vielen Gesprächen erfahren, wie wichtig die Gesundheit gerade im
Judentum ist. Die Beschneidung findet durch jüdische
Mohalim in der Synagoge statt, die eine medizinische
und theologische Ausbildung haben. Einige sind auch
ausgebildete Ärzte. Schon jetzt ist es so, dass zuvor ein
Kinderarzt das Kind begutachtet und dass schmerzstillende Mittel eingesetzt werden. Wichtig ist auch zu wissen, dass die Beschneidung von allen jüdischen Richtungen unterstützt und durchgeführt wird.
Bei den Muslimen findet die Beschneidung meistens
in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis unter Betäubung oder Narkose statt. Wir haben in den letzten
Wochen mit vielen aus den Bereichen der Medizin und
der Rechtswissenschaft sowie mit jüdischen und muslimischen Vertretern gesprochen. Dafür bedanke ich mich
ganz ausdrücklich; denn das war sehr hilfreich. Besonders hilfreich waren die Vorschläge des Ethikrats, der
vier Punkte definiert hat, unter denen die Beschneidung
von Jungen in Deutschland geregelt werden soll und die
meines Erachtens im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Großteil umgesetzt worden sind. Ich plädiere
dafür, über die Änderungsanträge sehr ernsthaft zu beraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere Debatte
im Bundestag ist wichtig: Es geht jetzt in der Gesetzgebung um die Frage, ob wir, wie es das Kölner Urteil nahelegt, die Beschneidung von Jungen verbieten wollen
oder nicht. Eigentlich wäre ein solches Gesetz unnötig,
wenn nicht ein einzelnes Gericht ein solches Verbot erlassen wollte. Ein solches Verbot lehne ich ab. Wir brauchen jetzt ein Gesetz, mit dem wir - das ist sicherlich ein
guter Schritt - auch Standards für die Beschneidung von
Jungen regeln. Ich bin sehr dafür, dass wir im Gesetz
klare Standards setzen, und zwar bei der medizinischen
Ausbildung der Mohalim, bei der fachgerechten Durchführung, bei der qualifizierten Schmerzbehandlung und
bei der umfassenden Aufklärung sowie bei der Anerkennung des Vetorechts des Kindes. Das Kindeswohl muss
in unseren Beratungen im Vordergrund stehen; das ist
mir besonders wichtig. Ich hoffe und wünsche, dass wir
eine Regelung finden, die das Kindeswohl berücksichtigt sowie Juden und Muslime auch in Zukunft bei uns
willkommen heißt.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11295 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie mit diesem
Überweisungsvorschlag einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 soll
ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden, die Federführung ist jedoch
strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
wünschen Federführung beim Rechtsausschuss, die Abgeordneten Rupprecht, Dörner, Golze und weitere wünschen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Abgeordneten Rupprecht, Dörner, Golze und weitere also Federführung beim Familienausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist damit mehrheitlich abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Federführung
beim Rechtsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mehrVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
heitlich angenommen. Damit liegt die Federführung
beim Rechtsausschuss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen nun die
Haushaltsberatungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Heinz-Peter Haustein
Michael Leutert
Die Fraktion Die Linke hat einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen René
Röspel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte, die wir gerade geführt haben, bedürfte es eigentlich, dass man sie noch ein bisschen reflektiert. Es fällt mir gar nicht leicht, nach diesem
schwierigen ethischen Thema wieder auf die Haushaltspolitik umzuschalten. Ich will aber trotzdem versuchen,
jetzt den Angriff zu starten.
Es überkommt einen doch ein bisschen Wehmut,
wenn man hier steht; denn das wird für viele Jahre der
letzte Etatentwurf einer schwach-gelben Regierung im
Bildungsbereich sein.
({0})
Dabei fing das damals gar nicht so schlecht an. Ich erinnere mich, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel vor einigen Jahren fast wie das Ungeheuer von Loch Ness in der
Bildungspolitik auftauchte:
({1})
Sie verkündete die Bildungsrepublik Deutschland und
tauchte dann wieder ab. Das war übrigens ein Plagiat;
denn der Begriff „Bildungsrepublik Deutschland“ wurde
viele Jahre vorher vom Wissenschaftsminister der SPD
Jürgen Zöllner geprägt.
({2})
- Eben! - Bei Loch Ness überlegen einige, ob es dieses
Ungeheuer wirklich gibt. Bei der Bildungsrepublik
Deutschland ist die Meinung relativ einhellig: Sie ist
nicht gekommen.
Es ist jetzt Zeit, Bilanz zu ziehen und zu fragen: Was
haben denn die Menschen von diesen vier Jahren
schwach-gelber Regierungszeit im Bildungsbereich gehabt? Woran werden sie sich erinnern? Was wird bleiben? Wir werden sicherlich gleich auch ein paar buchhalterische Reden hören, wie viel Geld ausgegeben
worden ist. Wir finden es ausdrücklich gut, dass diese
Regierung den Kurs fortgesetzt hat, den die rot-grüne
Regierung 1998 begonnen hat,
({3})
nämlich Bildung und Forschung endlich wieder einen
neuen Stellenwert zu geben.
({4})
Nachdem der Etat jahrelang abgewirtschaftet worden
war, hat Rot-Grün ihn wieder nach oben gefahren.
({5})
Wir haben das in der Großen Koalition fortgesetzt. - Das
war mein Lob an Sie. Wir finden es ausdrücklich gut,
dass Sie das - nämlich Geld für Bildung und Forschung
auszugeben - in Ihrer Regierungszeit fortgesetzt haben.
Wir sind überzeugt, dass es von Ihnen sehr klug war,
einen Großteil dieses Geldes - 75 oder 80 Prozent; das
kann man nicht genau beziffern - in Projekte zu investieren, die nicht diese Regierung auf den Weg gebracht hat,
sondern eben die Vorgängerregierung. Das waren im
Wesentlichen Projekte, welche die Sozialdemokratie auf
den Weg gebracht hat.
({6})
- Herr Schirmbeck, es ist, wie es ist.
({7})
Den Pakt für Forschung und Innovation hat nämlich
nicht die CDU/CSU ins Leben gerufen, sondern das war
die SPD-Bildungs- und Forschungsministerin Edelgard
Bulmahn.
({8})
Es war ein wichtiges Versprechen gegenüber Wissenschaftlern und Forschern, ihnen jedes Jahr einen kontinuierlichen Zuwachs an Geldmitteln für ihre Arbeit zur
Verfügung zu stellen. Wir sind froh und dankbar, dass
Sie das aufgenommen und sogar noch von 3 auf 5 Prozent pro Jahr erhöht haben.
Das zweite für diese Republik und für die Menschen
so wichtige Projekt war die Exzellenzinitiative - auch
dies war eine SPD-Initiative -, die viel Bewegung und
Dynamik in die deutsche Forschungs- und Hochschullandschaft gebracht hat. Von dem dritten Projekt, dem
Hochschulpakt, der mithilfe der SPD-regierten Länder
geschlossen wurde, wird gleich noch die Rede sein.
Diese Projekte waren und sind wichtig. Es war gut,
dass Sie viel Geld hineingesteckt haben. Aber wenn man
sich den Haushalt genau ansieht, erkennt man, dass Sie
die Mittel zwar 2013 noch einmal ein bisschen erhöhen
- das ist das Wahljahr -, aber dann nicht das Versprechen halten, das wir alle gemeinsam den Wissenschaftlern gegeben haben, nämlich 2014 und 2015 erneut für
einen Zuwachs zu sorgen.
({9})
Die mittelfristige Finanzplanung - Herr Schirmbeck,
lesen Sie es nach - weist keine Zuwächse mehr auf.
Vielmehr werden die Ausgaben für Bildung und Forschung eingefroren. Das ist keine nachhaltige Politik.
Unser Versprechen werden Sie 2014 und 2015 brechen bzw. Sie würden es brechen, wenn Sie noch an der Regierung wären,
({10})
worüber die Menschen nächstes Jahr entscheiden werden. Jedenfalls braucht man kein großer Prophet zu sein,
um zu behaupten, dass diese Koalition nicht mehr an der
Regierung sein wird. - Herr Braun möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Röspel, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass es die SPD war, die die Exzellenzinitiative
auf den Weg gebracht hat. Dann haben Sie darauf hingewiesen, dass Sie sich Sorgen um die Zukunft machen,
weil die CDU/CSU-geführte Regierung keine ausreichenden Mittel in die mittelfristige Finanzplanung
einstellt. Können Sie bestätigen, dass der damalige
Finanzminister, der 2005 Steinbrück hieß, für die Exzellenzinitiative in der mittelfristigen Finanzplanung nicht
einen einzigen Euro vorgesehen hatte?
({0})
Es war in der Großen Koalition nicht immer einfach
mit Ihnen als Partner.
({0})
Wir werden in unserem Wahlprogramm entsprechende
Maßnahmen aufführen. Auch für diesen Haushalt hatten
wir Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu beitragen, dass
man diese Programme weiterhin finanzieren kann. Wir
wollen zum Beispiel höhere Steuereinnahmen über einen
höheren Spitzensteuersatz und die Wiedereinführung der
Vermögensteuer erreichen. Ich bin sehr gespannt, wie
Sie diese Maßnahmen, wenn Sie sie denn fortsetzen
möchten, finanzieren wollen. Dazu findet sich bei Ihnen
überhaupt nichts. Sind Sie bereit, Steuern zu erhöhen?
Wo wollen Sie einsparen, um die Exzellenzinitiative und
den Pakt für Forschung und Innovation weiterzuführen?
Nichts, aber auch gar nichts findet man bei Ihnen dazu.
Ich bin gespannt, zu hören - das können die nachfolgenden Redner gleich erklären -, wie Sie das finanzieren
wollen.
({1})
Ich denke, dass Sie nichts dazu sagen werden.
({2})
An den Stellen, an denen Sie Verantwortung tragen
oder überlegt haben, selbst Maßnahmen auf den Weg zu
bringen, kann man wirklich nicht von Erfolgen sprechen.
Wir haben Sie mehrfach aufgefordert, im Bereich der
Validierungsforschung etwas zu tun. Dabei geht es um
die Überlegung, wie man gute wissenschaftliche Ergebnisse aus den Hochschulen sozusagen kommerziell in
Technologie umsetzen kann. Da haben Sie lange nicht
reagiert. Dann hat das Bundesministerium die Fördermaßnahme VIP aufgelegt; das ist alles andere als Validierungsforschung. Das ist nichts anderes als fortgesetzte Projektförderung. Das überzeugt nicht wirklich.
Über das Deutschlandstipendium - eine Ihrer großen
Hoffnungen - wird gleich noch etwas gesagt werden.
Dafür reicht meine Redezeit nicht.
Sie haben das Vorhaben, steuerliche Forschungsförderung zu machen, also jene Unternehmen steuerlich zu
entlasten, die in Forschung und Entwicklung investieren,
in den letzten Jahren wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Dieses Vorhaben haben Sie nicht umgesetzt.
Ein letztes Beispiel: Im Rahmen des Programms
„Zwanzig20“ wollen Sie in Ostdeutschland 500 Millionen Euro zu Forschungszwecken investieren. Auch dies
ist im Haushalt nicht finanziell unterlegt. Das wird eine
Luftnummer sein.
In anderen Bereichen, in denen tatsächlich mehr
Investitionen stattfinden müssen - dies wird von Expertenkommissionen außerhalb der Regierung und des Parlaments gefordert -, kürzen Sie den Etat. Im Bereich der
Mikrosystemtechnik kürzen Sie den Etat auf den Stand
von 2009. Im Bereich der Produktionssysteme fahren
Sie die Mittel herunter auf den Stand von 2009. Im Bereich der Dienstleistungs- und Arbeitsforschung wird es
eine Kürzung der Mittel geben. Im Bereich der neuen
Werkstoffe und der Nanotechnologie wird der Etat auf
den Stand von 2009 abgeschmolzen. Dies alles sind Bereiche, die dazu beitragen, dass die mittelständische Industrie, dass Unternehmen neue Werkstoffe zur Verfügung gestellt bekommen; darauf sind sie angewiesen.
Überall dort kürzen Sie. Sie kürzen sogar bei der EnerRené Röspel
gieeffizienz und Energietechnologie. Auch die Mittel
dieses für die Energiewende wichtigen Bereichs reduzieren Sie auf den Stand von 2009. Wenn man die Menschen fragt, was für sie Bildungsrepublik bedeutet, dann
hört man: Sie machen sich zum Beispiel Sorgen, ob es
gelingt, mehr Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen; sie wollen für ihre Kinder nämlich eine U-3-Betreuung. Aber: völlige Fehlanzeige bei dieser Regierung! Da
passiert gar nichts. Sie bieten den Ländern nicht einmal
in vernünftigem Maße Hilfe an.
Bei der Ganztagsschulbetreuung - viele Jahre von Ihnen bekämpft - passiert nichts, obwohl die Eltern und
die Oberbürgermeister wissen, wie wichtig sie ist und
wie wichtig auch eine Förderung des Bundes wäre.
Vom Kooperationsverbot und von der Möglichkeit
des Bundes, den Kommunen, die kein Geld mehr haben,
eine Hilfestellung zu geben, weil die Eltern dringend auf
Unterstützung angewiesen sind, wird noch die Rede
sein.
Das Fazit zum Thema Bildungsrepublik, die von Ihnen ausgerufen wurde, ist schlecht. Sie schleppen sich
bis zum Wahltag. Für die Zeit danach haben Sie keine
Visionen, Sie machen keine Angebote und stellen keine
Überlegungen an, wie Ihre Vorhaben finanziert werden
können. Eigentlich müsste man Ihnen wünschen, dass
Sie eine weitere Legislaturperiode dranhängen müssen,
({3})
damit Sie die Suppe, die Sie der nächsten Regierung eingebrockt haben, selbst auslöffeln müssen. Aber das darf
nicht sein; denn Deutschland hat eine bessere Zeit verdient. Dementsprechend werden sich die Menschen im
Herbst 2013 auch entscheiden.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich glaube, Herr Röspel, Sie haben sehr deutlich
gemacht, was uns unterscheidet:
({0})
Sie meinen, Bildung und Forschung finanzieren zu
können, indem Sie den Menschen in Deutschland in die
Tasche greifen.
({1})
Wir haben in den letzten Jahren eine andere Politik gemacht. Wir haben durch Wachstum Steuermehreinnahmen generiert: beim Bund in Höhe von 30 Milliarden Euro und bei den Ländern in Höhe von
30 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren. Insgesamt
konnten Bund und Länder aufgrund des Wirtschaftswachstums also Steuermehreinnahmen von 60 Milliarden Euro verzeichnen.
({2})
Gleichzeitig haben wir, beginnend mit den entsprechenden Maßnahmen unter Schwarz-Rot bis hin zum
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, die Bürgerinnen und
Bürger entlastet, und zwar, bezogen auf die volle Jahreswirkung, in Höhe von 38 Milliarden Euro. Meine sehr
verehrten Damen und Herren, das verstehen wir unter
Politik: den Menschen Freiräume lassen, den Menschen
Chancen geben und aus Freiräumen und Chancen politische Vorhaben finanzieren. Das ist soziale Marktwirtschaft. Das ist die Politik der christlich-liberalen Koalition.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Röspel?
({0})
Sehr gerne.
Herr Rehberg, Sie haben gerade gesagt, dass Sie die
Finanzierung Ihrer Vorhaben vom Wachstum abhängig
machen und dass Sie auf Wachstum hoffen. Nach den
Daten, die uns vorliegen - ich weiß nicht, ob Sie andere
haben -, wird sich das Wachstum in Deutschland, für das
Sie wahrscheinlich genauso wenig können wie wir - da
muss man ehrlich sein -,
({0})
in Zukunft leider nicht so positiv entwickeln; schließlich
ist Deutschland auch in die Weltwirtschaft eingebunden.
Wie wollen Sie die Aufwüchse der nächsten Jahre also
konkret finanzieren, wenn Wachstum und damit zusätzliche Einnahmen ausbleiben?
Sehen Sie, Herr Röspel, auch das unterscheidet uns:
Unsere Politik ist wachstumsorientiert; das haben die
letzten Jahre gezeigt.
({0})
Deutschland ist deutlich stärker aus der Krise herausgekommen, als es in sie hineingegangen ist. Sie verfol25464
gen nur einen Ansatz: den Menschen in die Tasche zu
greifen.
({1})
Sie sollten einmal an Ihre eigene Regierungszeit zurückdenken.
({2})
Unter der Regierung Schröder haben Sie den Spitzensteuersatz, der unter Helmut Kohl bei 53 Prozent lag, auf
42 Prozent und den Eingangssteuersatz von 24 auf letztendlich 15 Prozent gesenkt.
({3})
Sie haben den Arbeitsmarkt flexibilisiert und die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt. Aber jetzt
schlagen Sie sich in die Büsche und wollen eine ganz andere Politik machen.
Herr Röspel, wenn Ihnen das an dieser Stelle noch
nicht reicht, schlage ich vor: Schauen Sie sich doch einmal die Situation in Frankreich an. Innerhalb weniger
Wochen ist die Politik des französischen Sozialisten
Hollande völlig in sich zusammengebrochen.
({4})
Nun blickt er nach Deutschland, um zu sehen, wie man
erfolgreiche Politik macht, Herr Röspel.
({5})
Wenn Sie sagen, dass Bildung und Forschung für RotGrün einen hohen Stellenwert hatten, muss ich Ihnen widersprechen. Die Zahlen belegen etwas ganz anderes.
Sie haben in sieben Jahren Rot-Grün durchschnittlich
7 Milliarden Euro pro Jahr für Bildung und Forschung
ausgegeben.
({6})
Wir haben in den Jahren der Merkel-Regierung unter der
Bildungs- und Forschungsministerin Schavan 10,5 Milliarden Euro pro Jahr für Bildung und Forschung ausgegeben. Das sind 50 Prozent mehr als zu Ihrer Regierungszeit. Ich werde Ihnen beweisen: Dieses Geld für
den Bereich Bildung und Forschung ist gut angelegtes
Geld.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
Wort gehalten: Wir haben für diese Legislaturperiode bei
Bildung und Forschung einen Zuwachs von 12 Milliarden Euro versprochen. Es sind letztendlich 13,3 Milliarden Euro geworden.
Die Zahlen sind beeindruckend. Nehmen wir zum
Beispiel die Zahl der Studienanfänger: Heute nimmt
jeder Zweite eines Jahrgangs ein Erstsemesterstudium
auf. Dies finanzieren wir über den Hochschulpakt.
({8})
Wir haben die Mittel für Bildung um 800 Millionen Euro
aufgestockt. Der Hochschulpakt II umfasst insgesamt
3,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Hochschulabsolventen
ist in den letzten 15 Jahren von 14 Prozent auf 30 Prozent eines Jahrgangs gestiegen. Im Bereich der Ingenieurwissenschaften ist die Zahl der Studienanfänger im
letzten Jahr um 24 Prozent gewachsen.
({9})
Wenn Sie an diesen Zahlen nicht erkennen, dass das gut
angelegtes, gut investiertes Geld ist, dann leben Sie in einem anderen Land, Herr Röspel, oder Sie können Zahlen
nicht lesen oder leiden an der einen oder anderen Stelle
an Gedächtnisschwund.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein weltoffenes Land. Wir haben die Zahl der
Studenten mit ausländischem Pass in den letzten 15 Jahren vervierfacht, von 10 000 auf fast 38 000.
({10})
Es hat sich gelohnt, die Mittel für den DAAD oder die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung aufzustocken, nicht
nur im Einzelplan 30, sondern auch in den Einzelplänen
des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungshilfeministeriums.
({11})
- Herr Kollege Hagemann, jede Position im Bildungsbereich, im Schavan-Ministerium, hat in den letzten acht
Jahren einen Aufwuchs erfahren.
({12})
Wir stellen uns den Herausforderungen der Zukunft.
Auch da, Herr Röspel, sind die Zahlen mehr als beeindruckend. Im Bereich der beruflichen Bildung haben wir
von 2012 auf 2013 einen Zuwachs von fast 30 Millionen
Euro. Seit 2005 haben wir einen Aufwuchs um 162 Prozent. Das kommt positiv zum Tragen.
Bei den Altbewerbern haben wir von Rot-Grün eine
besonders schwierige Situation übernommen. In den
letzten drei Jahren haben wir die Zahl der Altbewerber
um 90 000 reduzieren können. Das ist deswegen ein
schwieriges Unterfangen, weil diejenigen Altbewerber
zuerst wieder in eine berufliche Ausbildung kommen,
die die beste Qualifikation haben. Selbstverständlich
wird es dann immer schwieriger, die Zahl der Altbewerber weiter abzubauen. Wir sind auf diese Herausforderung eingegangen; wir haben reagiert.
Wir Haushälter sind flexibel - ich bedanke mich an
dieser Stelle insbesondere bei meinem Kollegen Peter
Haustein -: Wir haben die Mittel für die Initiative „Bildungsketten“ um 10 Millionen Euro aufgestockt, weil
die Antragslage entsprechend war.
({13})
Wir haben die Förderung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten verstetigt: auf dem Niveau von 40 Millionen Euro; das ist das Niveau der Konjunkturpakete.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
geht hier nichts ohne die Länder. Es ist erschreckend,
wenn man im Zusammenhang mit dem Fachkräftebündnis lesen muss - ich zitiere -:
„Es ist mehr als ein Ärgernis“, so Schlüter,
- Herr Schlüter ist der stellvertretende Vorsitzende des
DGB Bezirk Nord; dieser Bezirk umfasst die Länder
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wenn sich offenbar Bildungsminister … Brodkorb
({15}) und Sozialministerin … Schwesig ({16})
nicht einigen könnten, wer dafür zuständig ist.
Man muss doch von den Ländern erwarten können, dass
sie dort, wo der Bund aktiv ist, sich einbringen, statt
danebenzustehen und zuzuschauen, ohne die Probleme
zu lösen.
({17})
Schauen wir uns die Bilanz im Bereich der Forschung
an. Wir sind kurz davor, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
Besonders beeindruckend ist, dass die öffentlichen Investitionen, die Mittel des Bundes, private Investitionen
in erheblicher Größenordnung nach sich gezogen haben.
Wir haben auch deswegen eine so positive wirtschaftliche Entwicklung, weil gerade im Bereich der Forschung
in den letzten acht Jahren eine Menge getan worden ist.
Herr Röspel, Sie stellen sich hier kleinkariert und
kleinlich hin und sagen, dieses und jenes sei von der
SPD gekommen.
({18})
- Natürlich. - Im Gegensatz zu Ihnen stehen wir aber
dazu, dass wir vier Jahre lang mit Ihnen regiert haben,
und ich werde nichts schlechtreden, was wir in dieser
Zeit positiv mit Ihnen gemeinsam gestaltet haben. Aber
so zu tun, als ob wir in den letzten vier Jahren keine Erfolge gehabt hätten, insbesondere im Forschungsbereich,
ist das komplette Gegenteil der Realität. Herr Röspel,
das Geld, das wir angelegt haben, ist gut angelegtes
Geld.
({19})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
zu den neuen Bundesländern machen. Dieses Thema
wird ja garantiert auch von den Linken wieder angesprochen.
Erstens. Die neuen Bundesländer sind bei der Einwerbung von öffentlichen Drittmitteln vorne. Die Nummer
eins ist Mecklenburg-Vorpommern, Nummer zwei ist
Thüringen, Nummer drei ist Berlin, Nummer vier ist
Sachsen, und Nummer fünf ist Brandenburg. Das heißt,
diese Länder haben in den letzten zehn Jahren den
durchschnittlich höchsten Zuwachs an öffentlichen Mitteln gehabt.
Zweitens. Ich glaube, auch diese Zahl muss in diesem
Hause einmal genannt werden: Vom Gesamtetat des Forschungsministeriums sind in den verschiedenen Rubriken im Ist 2011 1,83 Milliarden Euro in die neuen Bundesländer geflossen.
Deswegen glaube ich, dass sich gerade diese Bundesregierung ihrer Verantwortung gegenüber den neuen
Bundesländern bewusst ist und ihr auch gerecht geworden ist. Ich denke ganz einfach, wer heute einmal an
Universitäten und an Fachhochschulen im Osten
Deutschlands geht, wer den baulichen Zustand und die
Qualität von Lehre und Forschung betrachtet und wer
auch sieht, wie weit vorne diese Universitäten und Fachhochschulen in den Rankings der Studenten sind, der
weiß, dass wir hier etwas mehr als Positives und sehr
Gutes vorzuweisen haben.
({20})
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Röspel, bin ich ganz
einfach der Auffassung: Diesem Land, gerade im Bereich der Bildung und Forschung, tun nur weitere vier
Jahre CDU/CSU-FDP-Regierung gut.
({21})
Unter Ihnen - das haben Ihre sieben Jahre unter
Schröder gezeigt - wurde die Forschung nicht gerade gut
behandelt.
({22})
Bei der Bildung haben Sie viele Sprechblasen im Mund
geführt. Heute, das muss ich Ihnen sagen, sind Sie völlig
außer Rand und Band. Sie fordern 20 Milliarden Euro
zusätzlich für Bildung und Forschung, davon 10 Milliarden Euro vom Bund und 10 Milliarden Euro von den
Ländern.
({23})
Ich kann Ihnen nur sagen: Viel Vergnügen in Wolkenkuckucksheim.
Herzlichen Dank.
({24})
Das Wort hat nun Nicole Gohlke für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieser
Bildungshaushalt markiert aus meiner Sicht keinen Aufbruch, sondern er ist pure bildungspolitische Stagnation.
({0})
Die Regierung findet für sich selbst natürlich viele lobende Worte und behauptet, man bewege sich auf die
ganz oft und auch schon sehr lange beschworene Bil25466
dungsrepublik zu. Aber ich muss Ihnen sagen: Sie sind
ja dermaßen leicht zufriedenzustellen. Ihnen reicht es ja
offenbar schon aus, dass der Bildungshaushalt nicht, wie
andere Haushaltsposten, auch noch abgeschmolzen wird.
({1})
Die Frage ist aber nicht, ob die Regierung zufriedengestellt ist, sondern die Frage ist, ob die Menschen zufrieden sind.
({2})
Ich sage Ihnen: Für die jungen Menschen, für die
Schülerinnen und Schüler, für die Studierenden und für
die Auszubildenden, ist es eine Katastrophe, wie Sie die
Augen vor deren Problemen verschließen.
({3})
Ich bin mir aber sicher, dass die Studierenden und die
Schülerinnen und Schüler Sie schon noch darauf aufmerksam machen werden. Offenbar brauchen Sie immer
erst eine Protestbewegung, bevor Sie politisch etwas dazulernen. In meinem Bundesland Bayern kommt ja sogar
die CSU infolge der Bildungsproteste und im Angesicht
der politischen Niederlage zu ganz ungeahnten Einsichten und will jetzt auf einmal die Studiengebühren abschaffen.
({4})
Die Linke sagt Nein zu diesem Haushalt, und ich sage
Ihnen auch, warum:
Erstens. Er verwaltet den Mangel, er bietet aber weder dem Bildungs- noch dem Wissenschaftssystem eine
Zukunft.
Zweitens. Die finanziellen Aufstockungen kommen
nicht da an, wo sie am dringendsten gebraucht werden,
sondern Sie schieben das Geld wieder in Elite- und
Standortprojekte.
Drittens. Damit verfestigt diese Regierung auch im
Bereich Bildung die soziale Spaltung in der Gesellschaft, und das ist vor allem eine gesellschaftspolitische
Katastrophe.
({5})
Was ist der Stand der Dinge? In den letzten Monaten
gab es gleich mehrere Untersuchungen, die wieder einmal belegt haben, wie sehr die soziale Herkunft den Bildungserfolg in der Bundesrepublik bestimmt. Da die
Bundesregierung diese Ergebnisse offenbar nicht mehr
präsent zu haben scheint, zitiere ich noch einmal daraus.
Die Studie „Aufstiegsangst“ der Vodafone-Stiftung beispielsweise sagt, die Chance von Kindern aus akademischen Elternhäusern, ein Studium aufzunehmen, sei
sechsmal höher als bei Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten.
Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ sagt,
dass nur 20 Prozent der jungen Erwachsenen in der Bundesrepublik ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern
erreichen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 37 Prozent.
22 Prozent der jungen Erwachsenen schließen ihre Ausbildung sogar mit einem niedrigeren Bildungsabschluss
als ihre Eltern ab. Damit ist Deutschland eines von drei
Ländern, in denen die Bildungsmobilität nach unten stärker ausgeprägt ist als nach oben.
Die DGB-Studie „Generation abgehängt“ sagt, dass
2,2 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren
keinen Berufsabschluss, dementsprechend schlechte
Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben und kaum ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das sind Fakten
und nicht etwa linke Ideologie.
Alle Studien zeigen ausnahmslos: In der Bundesrepublik werden Bildungschancen vererbt. Es ist in der Bildung wie in einer Art Kastensystem: bildungsnah bleibt
bildungsnah, und bildungsfern bleibt bildungsfern. Daran soll sich nach dem Willen von Schwarz-Gelb offensichtlich auch nichts ändern. Reden Sie doch nicht von
der Bildungsrepublik, wenn Sie noch nicht einmal auf
die Idee kommen, dass ein Bildungshaushalt in einer solchen Situation viel mehr leisten müsste, als ein paar Löcher zu stopfen und ein bisschen nachzubessern. So viel
Ignoranz muss man in einer solchen Situation erst einmal aufbringen.
({6})
Schauen wir uns einmal konkret an, was die Regierung
tut und was sie unterlässt. Statt Nachqualifizierungsprogramme für junge Menschen ohne Berufsabschluss aufzulegen, bleibt die Regierung beim Förderdschungel verschiedener Projekte. Niemand findet sich darin zurecht.
Das Geld kommt nicht da an, wo es eigentlich sollte.
Statt mit Bundesgeld endlich umfassend in eine bessere
schulische Bildung zu investieren, die eine individuelle
Lernförderung ermöglichen würde, blockieren Sie die
umfassende Abschaffung des Kooperationsverbotes und
verweigern, dass der Bund mit seinem Geld den Ländern
in der Bildung helfen kann.
({7})
Statt die Forschung in der Breite auf solide Füße zu
stellen und statt endlich umfassende Forschungsprogramme für die neuen Bundesländer und für Fachhochschulen auf den Weg zu bringen, setzen Sie weiter auf
eine Politik der Eliteförderung. Sie kümmern sich nur
um Ihre Leuchttürme und wollen nicht wahrhaben, dass
die längst in der Wüste stehen.
Statt ein Programm für die Juniorprofessur aufzulegen
und statt endlich die Tarifsperre für den Wissenschaftsbereich aufzuheben, betreiben Sie Projektfinanzierung und
Deregulierung, heißt also miserable Beschäftigungsbedingungen beim wissenschaftlichen Personal.
Zu all diesen Punkten sagt die Linke Nein.
({8})
Im Hochschulbereich haben wir die gleiche Misere:
Statt den Hochschulpakt endlich bedarfsgerecht aufzustocken, statt die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen GeNicole Gohlke
neration zum Maßstab für die Finanzierung zu nehmen,
bleiben Sie bei Ihren selbst berechneten Fantasiezahlen.
Jetzt musste sogar schon die Kultusministerkonferenz
ihre Prognosen nach oben korrigieren und hat berechnet,
dass bis zum Jahr 2020 mindestens 750 000 Studienplätze fehlen werden. Aber selbst diese Zahl, selbst diese
Fakten ignorieren Sie. Für 2012 geht die Bundesregierung von einer Studienanfängerzahl von 434 000 aus.
Die KMK geht aber von 490 000 aus. Das heißt also, es
fehlen schon jetzt mindestens 56 000 Studienplätze. Die
vorgesehene Anhebung der Mittel für den Hochschulpakt wird also bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken.
({9})
Während der Bedarf noch nicht einmal gedeckt ist,
planen Sie aber schon, das Geld für den Hochschulpakt
direkt nach der Bundestagswahl ab 2014 wieder abzusenken, weil ja dann - so argumentieren Sie, und so hoffen Sie wahrscheinlich auch - das Studierendenhoch
„überstanden“ ist. Fakt ist aber: Wir haben es eben nicht
mit einer kurzfristigen Spitze zu tun, nicht nur mit einmaligen doppelten Abiturjahrgängen und den Effekten
des Aussetzens der Wehrpflicht, sondern mit einer gestiegenen Studierneigung. Das heißt, immer mehr junge
Menschen wollen studieren.
({10})
75 Prozent der Bachelorabsolventinnen und -absolventen wollen nach dem Bachelor einen Master machen.
Darüber sollten wir uns freuen. Es könnten noch viel
mehr sein, wenn nicht jedes Jahr Tausende von den
Hochschulen abgelehnt würden.
({11})
Die Folgen Ihrer Politik sind deutlich sichtbar: Im
Studienjahr 2011 fehlten fast 100 000 Studienplätze. Aktuell rechnete man allein in Kassel mit 31 000 Bewerbungen auf 3 500 Plätze. In Leipzig - auch das sind Fakten - kamen im Fach Psychologie auf 72 Studienplätze
knapp 4 000 Bewerberinnen und Bewerber. In BadenWürttemberg werden wahrscheinlich ab 2013 mindestens 7 000 Masterplätze fehlen.
Eine Studienberechtigung reicht schon lange nicht
mehr aus, um studieren zu dürfen. Die Studierwilligen
müssen ein absurdes und völlig intransparentes Geflecht
von Zulassungsbeschränkungen, Numerus clausus, Auswahlverfahren, Extratests, Motivationsschreiben über
sich ergehen lassen. Von einem Recht auf Bildung und
Ausbildung keine Spur.
Die Hochschulen platzen aus den Nähten. Vielleicht
müssen Sie einmal vor Ort gehen und es sich anschauen,
wenn Sie es nicht glauben wollen. Die Wohnheime und
Mensen sind völlig überlastet. Die Studierenden müssen
teilweise bis Weihnachten warten, bis sie ihr erstes
BAföG erhalten. Aber Schwarz-Gelb fehlt natürlich jede
Form von Fantasie, sich vorzustellen, wie es ist, über
drei Monate ohne jede Finanzierung zu leben.
({12})
Sie wollen stattdessen die Mittel für das BAföG im
kommenden Jahr um 15 Prozent kürzen, obwohl das
BAföG derzeit viel zu wenige erreicht und obwohl der
durchschnittliche BAföG-Satz derzeit bei nur 436 Euro
liegt und obwohl im Übrigen allein ein Zimmer in München schon 350 Euro kostet. Statt das BAföG zum Instrument des sozialen Ausgleichs zu machen, statt die
Altersgrenzen abzuschaffen, auf Vollzuschuss umzustellen und endlich auch Schülerinnen und Schüler zu fördern, erhöhen Sie die Mittel für Ihre Schnapsidee vom
Deutschlandstipendium,
({13})
bei dem in diesem Jahr wahrscheinlich 16 Millionen
Euro verfallen werden, weil sich nicht genügend Firmen
oder Sponsoren finden, die dieses Programm kofinanzieren wollen. Das ist doch absurd und geht völlig an den
Bedürfnissen der Menschen vorbei.
({14})
Jetzt höre ich Sie natürlich schon wieder sagen, dass
Sie uns Linken eine Wünsch-dir-was-Politik vorwerfen.
Aber in Ihren eigenen Studien finden sich sehr wertvolle
Hinweise, wie man eine gute Bildung für alle finanzieren kann. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung heißt es zum Beispiel: Die vermögensstärksten
10 Prozent der Haushalte vereinen 53 Prozent des gesamten Nettovermögens auf sich; der unteren Hälfte der
Haushalte bleibt gerade einmal 1 Prozent. - Die Süddeutsche Zeitung hat angesichts dieser Zahlen getitelt:
„Reiche trotz Finanzkrise immer reicher“.
Während das Nettovermögen des Staates in den vergangenen 20 Jahren um über 800 Milliarden Euro zurückgegangen ist, hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 Billionen auf 10 Billionen
Euro mehr als verdoppelt. Auch hier finden sich in Ihren
eigenen Berichten und Untersuchungen deutliche Zahlen: Eigentlich liegt der Zusammenhang auf der Hand.
Wir haben ein Einnahme- und kein Ausgabenproblem.
Wir müssen nicht sparen: Wir müssen umverteilen.
({15})
Die Steuerpolitik dieser Regierung und ihrer Vorgänger belastet aber seit Jahren die unteren Einkommensschichten und entlastet die oberen Schichten, die mittlerweile gar nicht mehr wissen, wohin sie mit all dem Geld
sollen. Wir brauchen endlich eine Umverteilung von
oben nach unten und nicht umgekehrt.
Da wird auch nicht die von den Grünen auf ihrem
Parteitag jetzt beschlossene einmalige Vermögensabgabe
reichen; denn wenn wir die Schieflage in dieser Gesellschaft ändern wollen, dann müssen wir das eben nicht
einmalig, sondern dann müssen wir das langfristig und
dauerhaft tun. Wir brauchen neben einer Vermögensabgabe eine Millionärsteuer, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent und eine höhere Erbschaftsteuer. Die Linke will endlich Schluss damit machen,
dass soziale und Bildungschancen wie im Feudalismus
vererbt werden.
({16})
Der Regierung ist so ein Denken freilich fremd. Sie
verweigert Chancengleichheit. Sie verweigert aktiven
Ausgleich. Die FDP hält wie in Bayern an einer Politik
fest, bei der man sich den Bildungszugang und die Bildungschancen käuflich erwerben kann, wie im Falle von
Studiengebühren. Aber die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht für das, was Ihnen rechtmäßig zusteht, zahlen.
Sie wollen nicht, dass der Geldbeutel und der soziale
Status der Eltern darüber bestimmen, welchen Bildungsweg die Kinder nehmen. Damit haben sie recht; denn
Bildung ist ein Menschenrecht. Für dessen Gewährleistung hätte diese Regierung eigentlich zu sorgen.
({17})
Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein tolles Land: fleißige Menschen, gut ausgebildete Handwerker, kompetente Ingenieure und Ärzte, einfach ein schönes Land.
({0})
Es ist auch deshalb ein schönes Land, weil in diesem
Land unter dieser Regierung von CDU/CSU und FDP
der Schwerpunkt auf Bildung und Forschung gelegt
wird.
({1})
Ich bin Berichterstatter für den Einzelplan 30 des
Ministeriums für Bildung und Forschung der verehrten
Frau Annette Schavan. Herzlichen Dank für die sehr
gute Zusammenarbeit! Dank geht auch an Herrn Lee,
den Haushälter, an Herrn Helge Braun, an Thomas
Rachel. Es war ein richtig gutes Miteinander, so wie das
in unserer Koalition zwischen FDP und Union immer ist.
({2})
Als Haushälter ist man für Zahlen zuständig. Ich bedanke mich beim Hauptberichterstatter, Herrn Klaus
Hagemann, bei Herrn Michael Leutert, bei Tobias
Lindner und natürlich ganz besonders bei meinem guten
Freund Herrn Eckhardt Rehberg aus Rostock. Gemeinsam haben wir das Zahlenwerk fundiert aufgestellt.
Zahlen sind Fakten, und diese Fakten werde ich euch
- vor allem euch von Rot-Grün - gerne vortragen. Wir
haben in diesem Jahr den Haushalt um rund 800 Millionen Euro auf 13,74 Milliarden Euro aufgestockt. Diese
Zahl müsst ihr erst einmal erreichen,
({3})
und das in einer Zeit, in der eine Wirtschafts- und Finanzkrise weltweit ihr Unwesen treibt und Sparen angesagt ist. Das tun wir auch. Wir setzen bei Bildung und
Forschung Prioritäten und stocken dort auf. Denn wir
wissen: Der einzige Rohstoff, den wir im Land haben, ist
unsere Bildung und der Grips zwischen unseren Ohren.
In diesen Bereich wird investiert, und das ist Investition
in die Zukunft.
({4})
Ein paar Zahlen seien genannt, liebe Freunde. Wir haben in Kap. 3002 3,25 Milliarden Euro. Ich nenne ein
paar Details, um den Aufwuchs zu zeigen. Die Zuschüsse an das Begabtenförderungswerk steigen um
12 Prozent auf 198 Millionen Euro. Bei der Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung gibt es ein
Plus von 15 Prozent auf 214 Millionen Euro und bei der
Stärkung des Lernens im Lebenslauf ein Plus von
26 Prozent auf 168,5 Millionen Euro.
Wir haben die Mittel für den Hochschulpakt um weitere 49 Prozent auf 2,17 Milliarden Euro aufgestockt,
und wir haben die Mittel für den Qualitätspakt Lehre um
15 Prozent auf 200 Millionen Euro erhöht. Im Bereich
Klimaforschung und Lebensraum Erde, Energie haben
wir die Mittel um 135 Prozent auf 86 Millionen Euro erhöht.
Diese Zahlen nimmt man so hin. Dabei lohnt sich ein
Vergleich. Diese Regierung hat vor drei Jahren mit
10,2 Milliarden Euro im Bereich Bildung und Forschung
begonnen und hat das dann im Haushalt um genau
3,6 Milliarden Euro aufgestockt. Das sind 900 Millionen
Euro pro Jahr. Schwarz-Gelb hat also etwas Gutes getan.
({5})
Sehen wir das im Vergleich zu Rot-Grün: Ihr hattet
sieben Jahre Zeit zum Regieren.
({6})
Es wurde gesagt, ihr hättet viel für Bildung und Forschung getan. Deshalb nenne ich einfach Zahlen; denn
Zahlen sind Fakten. Ihr habt den Haushalt in sieben Jahren von 6,7 Milliarden Euro auf 7,6 Milliarden Euro,
also um genau 911 Millionen Euro, erhöht. Schämt
euch!
({7})
Das sind die Fakten. Dies ist eine Bildungsregierung,
und wir machen eine Bildungsrepublik. Ihr aber habt die
Bildung und die Forschung verschlafen. Das sind die
Fakten.
({8})
Zum Abschluss in diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({9})
Das Wort hat nun Tobias Lindner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etatberatungen
und vor allem Beratungen über den Bildungsetat in dieser durchaus lebhaften Stimmung bei einem der letzten
Tagesordnungspunkte am heutigen Tag haben auch immer etwas von Schule und erst recht von Zeugnisvergabe. Wie es bei Zeugnisvergaben so ist: Da gibt es Lob
und Tadel.
Ich möchte heute Abend durchaus mit einem Lob beginnen. Der Einzelplan 30 wächst im Jahr 2013 erneut,
um 800 Millionen Euro. Das ist eine gute Nachricht,
Frau Ministerin. Für diese Nachricht verdient die Bundesregierung erst einmal ein Lob. So ehrlich sind wir
gerne. Keine Angst: Es wird das einzige Lob in meinem
Beitrag bleiben.
({0})
Der Feststellung, die Sie, geschätzter Herr Kollege
Haustein, getroffen haben, nämlich dass Deutschland ein
schönes Land ist, würde ich durchaus beipflichten. Dass
die Koalition sich immer einig ist und bei Ihnen alles immer in Eintracht stattfindet, da hätte ich durchaus meine
Zweifel. Über zwei weitere Punkte sind wir uns aber sicher einig: Bildung ist die wichtigste Voraussetzung für
gesellschaftliche Teilhabe. Mit Bildung beginnt alles,
mit Bildung kann man vieles richtig machen, und was
man bei Bildung falsch macht, muss man später an vielen anderen Stellen teuer und teurer korrigieren. Genauso ist richtig - da hätten wir uns durchaus mehr von
Ihnen gewünscht -: Der wichtigste Rohstoff der Industrienation Deutschland sind Wissen und Forschung. Gerade deshalb sind Mittel in dem Etat für Bildung und
Forschung so wichtig.
({1})
Kommen wir zu den Tadeln. Geld allein macht nicht
glücklich, und mehr Geld allein bedeutet noch lange
nicht eine bessere Bildungs- und Forschungspolitik;
denn es kommt entscheidend darauf an, wo man dieses
Geld einsetzt und dass man die Prioritäten auf die richtigen Projekte setzt. Mit bildungspolitischen Irrläufern
wie dem Betreuungsgeld und mit der Förderung von
Kerntechnik und Genforschung setzt diese Bundesregierung die falschen Schwerpunkte, obwohl sie mehr Geld
ausgibt. Das muss ein Ende haben.
({2})
Ich will ein Wort - das ist schon angesprochen worden - zur mittelfristigen Finanzplanung sagen. Es ist gut,
dass dieser Etat anwächst, und es mag nicht unbedingt
ein Zufall sein, dass im nächsten Jahr eine Bundestagswahl stattfinden wird. Aber wenn man sich die mittelfristige Finanzplanung in vielen Bereichen anschaut,
dann setzt man doch einige Fragezeichen hinsichtlich
dessen, was nach dem Jahr 2013 kommen wird. Man
könnte auch sagen: Man fragt sich ernsthaft, ob der Etat
2013 nicht nur Kosmetik ist. Nachhaltige, langfristige
Finanzierung im Bereich Bildung und Forschung sieht
anders aus.
({3})
Ich habe über falsche Prioritäten gesprochen. Ich
möchte wegen der Kürze der Zeit das, was ich meine, an
vier Beispielen kurz ausführen. Der erste Punkt ist das
nationale Stipendienprogramm. Obwohl sich die Anzahl
der vergebenen Stipendien erhöht hat
({4})
- verdoppelt, das will ich durchaus konzedieren -, liegen
wir immer noch bei nur 11 000 Stipendien angesichts
von 2,3 Millionen Studierenden in diesem Land. Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus. Mit anderen Worten: Das Deutschlandstipendium ist ein Ladenhüter. Das
würden Sie noch nicht einmal am Grabbeltisch jetzt in
der Weihnachtszeit loswerden.
({5})
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, möchten diese Mittel
verwenden, um mehr Geld für das BAföG bereitzustellen. Wir möchten höhere Frei- und Förderbeträge. Ich
füge hinzu: Wir möchten auch lebenslanges Lernen ernst
nehmen. Wir müssen schauen, dass wir den Einstieg in
ein Erwachsenen-BAföG hinbekommen.
({6})
Mein zweiter Punkt betrifft den Hochschulpakt. Es ist
begrüßenswert, dass die Studierendenzahlen in Deutschland steigen. Wir und viele Experten glauben, dass die
Studierendenzahlen auf einem hohen Niveau verharren
werden, dass wir es nicht mit einem Gipfel bei den Studierendenzahlen zu tun haben, sondern mit einem Hochplateau. Dieser Erkenntnis, Frau Ministerin, wird der
Hochschulpakt nicht gerecht. Hier bedürfte es gerade
vom Bund eines Signals - ich will durchaus zugestehen:
auch von den Ländern -, und hier müsste man einen stärkeren Schwerpunkt setzen.
({7})
Dritter Punkt. Ich will zum Thema Lernfähigkeit und
zu einem vermeintlich großen Erfolg der Großen Koalition kommen, dem Kooperationsverbot. Ich bin froh
über die Lernfähigkeit der Sozialdemokraten. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass das Kooperationsverbot
fallen muss. Es darf aber nicht nur im Bereich Forschung
fallen, es darf nicht nur punktuell fallen, sondern es muss
in der gesamten Bandbreite des lebenslangen Lernens
fallen. Wenn wir über mehr inklusive Bildung reden
wollen, über mehr Ganztagsschulen, dann muss auch an
dieser Stelle das Kooperationsverbot fallen.
({8})
Meinen vierten und letzten Punkt könnte ich überschreiben mit: Anwendung von gelernten Fähigkeiten,
Merkfähigkeit oder Teamfähigkeit. Meine Fraktion hat
im Haushaltsausschuss einen Antrag zu Open Source
eingebracht. Darin geht es darum, dass wir dann, wenn
wir staatliche Fördergelder für die Forschung bereitstellen, wollen, dass die Ergebnisse in einer Datenbank gesammelt werden und öffentlich zugänglich sind und
nicht ausschließlich in teuren Fachjournalen publiziert
werden. Das Problem ist: Wir haben diesen Antrag fast
wortwörtlich abgeschrieben. Ich will hier gern gestehen,
dass er durchaus ein Plagiat sein mag. Wir haben in diesem Antrag eine Forderung aus der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ übernommen.
Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann hat die Koalition
diese Forderung dort mitgetragen. Im Haushaltsausschuss konnten Sie sich anscheinend nicht mehr daran
erinnern. Ich bedauere sehr, dass Sie diesen Antrag abgelehnt haben.
Ich komme zum Schluss. Sie wollen mit dem Etatentwurf 2013 ein letztes Mal Rekordausgaben präsentieren.
Mehr Geld allein macht nicht glücklich. Sie setzen die
falschen Schwerpunkte. So wird das nichts mit der Bildungsrepublik, Frau Ministerin. Angesichts dieser Leistung ist Ihre Versetzung im nächsten Jahr akut gefährdet.
Wir Grüne haben aufgezeigt, wo wir es besser gemacht
hätten. Dem sind Sie nicht gefolgt, und deshalb lehnen
wir Ihren Etatentwurf ab.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat nun Bundesministerin Annette Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der größte Anteil der Wertschöpfung in Deutschland basiert auf Forschung. Es ist
die erste Leitlinie für Forschungs- und Innovationspolitik in Deutschland, Sorge dafür zu tragen, dass diese
Politik konzeptionell so angelegt ist, dass dieser Anteil
stark ist, sich weiterentwickeln kann und dass damit
auch in Zukunft Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum vorhanden sind.
Die Zukunftschancen der jungen Generation zu sichern, gehört zu den vornehmsten Aufgaben einer Gesellschaft.
({0})
Die zweite Leitlinie für unsere Bildungs- und Forschungspolitik ist, beim Thema Zukunftschancen stark
zu sein und Sorge dafür zu tragen, dass junge Menschen
in Deutschland gute Chancen bekommen.
Wissenschaftssysteme überall in der Welt werden immer stärker auf Internationalisierung ausgerichtet. Eine
Wissenschaftsnation, die etwas auf sich hält, trägt Sorge
dafür, dass der eigene Wissenschaftsstandort für die anderen starken Wissenschaftsstandorte attraktiv ist. Die
dritte Leitlinie unserer Bildungs- und Forschungspolitik
ist, dafür zu sorgen, dass Deutschland ein starker, relevanter Forschungsstandort ist, an den Forscher und Forscherinnen aus aller Welt kommen.
({1})
Diese drei Leitlinien - die Basis für künftige Wertschöpfung, die Signale an die junge Generation und die
Internationalisierung, um attraktiv zu sein - haben diese
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in
dieser Legislaturperiode verfolgt. Davon zeugt dieser
Haushalt. Davon zeugen insgesamt vier Haushalte. Das
sagt Ihnen jeder in der Szene. Das wissen Sie auch;
manchmal sind Sie sogar dabei, wenn das gesagt wird.
Das wird überall in der Welt gesagt. Das führt bei uns
überhaupt nicht dazu, dass wir uns irgendwie selbstgerecht zurücklehnen. Die Arbeit ist viel zu spannend, als
dass wir, die Union oder die FDP, sagen würden: Wir haben jetzt alles getan, was man tun muss. - Vielmehr wissen wir längst, was die nächsten Schritte sind. Wir diskutieren darüber. Sie allerdings lamentieren, unentwegt.
({2})
Ich kann das ja verstehen. Es ist gar nicht schlimm.
({3})
Das kann man in der Opposition. Das fällt kaum auf. Es
stört auch keinen.
({4})
Es stört überhaupt nicht. Aber ich finde das schon bedauerlich. Wir stehen jetzt zehn Monate vor einer Bundestagswahl, und die SPD ist vollkommen im Wahlkampfmodus, bei allem. Sie haben einfach umgeschaltet.
Statt jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass in solch schwierigen Zeiten, wie wir sie haben - in Europa, aber auch
global; ich denke nur an das Thema „Zukunftschancen
der jungen Generation“ - ({5})
- Immer wenn Sie mir geholfen haben, habe ich das
auch gesagt. Das war gar kein Problem. Aber was ich
heute hier gehört habe, ist für eine kreative bildungsoder wissenschaftspolitische Diskussion nicht gerade geeignet.
({6})
Ich nehme das alles jetzt so zur Kenntnis. In der
GWK, der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, gibt
es auf der A-Seite kluge Minister und Ministerinnen, die
mir unter vier Augen sagen: Wir würden das gerne
machen. Sie haben ja recht. Es ist wichtig, dass wir den
Art. 91 b Grundgesetz ändern. Es ist wichtig, dass wir
die Lehrerausbildung wechselseitig anerkennen und mit
der Qualitätsoffensive beginnen können. Es ist wichtig,
dass das, was vorgeschlagen wurde, durchgeführt werden kann. Aber wir befinden uns in einem Prozess, aus
dem wir nicht ausbrechen dürfen. Wir müssen dies alles
erst einmal ablehnen.
({7})
Das ist nicht gut für das Land und nicht klug in der politischen Auseinandersetzung. Das merken die Menschen.
({8})
Also, Sie sind im Wahlkampfmodus, spielen Verweigerung auf ganzer Linie. Ich nehme das zur Kenntnis.
Wir werden die offenen Punkte überall ansprechen.
Ich komme jetzt zum Art. 91 b Grundgesetz. Das länderoffene Gespräch hat stattgefunden. Es sind vier Prüfaufträge vergeben worden: zwei für die Länder, zwei für
den Bund. In der letzten Woche habe ich im Vorfeld der
GWK auf die Frage, wie es mit der Prüfung auf der
Ebene der Länder aussieht, nur die Antwort bekommen:
Wir waren bei den beiden Prüfaufträgen nicht sicher,
was wir da prüfen sollten. Es braucht alles noch Zeit. Auf meine Frage, auf was sich die Länder, auf was sich
die A-Seite und die B-Seite einigen könnten, gab es die
Antwort: Sie wissen ganz genau, dass es keine Einigung
auf der Ebene der 16 Länder gibt. Die einzig mögliche
Einigung ist, dass der Bund Steuerpunkte abgibt und
sich ansonsten heraushält. - Das kommt nicht infrage,
weil das nichts mit Kooperation zu tun hat.
({9})
- Wir haben ein Angebot gemacht. Das betrifft die Änderung des Art. 91 b.
({10})
- Natürlich heißt das: für alle Hochschulen.
({11})
Seit wann sind bei Bundesprogrammen Hochschulen
von vornherein ausgeschlossen?
({12})
- Das sagen Sie. Das ist Ihr schwaches, von Ihnen immer wieder wiederholtes Argument. Sie können noch so
oft in Deutschland über Exzellenz wettern. Der Standort
Deutschland braucht Exzellenz, sonst wird er irrelevant
in der Welt. Sie wissen außerdem, dass Zentren für
islamische Studien, Gesundheitsforschungszentren und
vieles andere überhaupt nichts mit Exklusivität zu tun
haben, sondern dringend notwendige Impulse in unserem Wissenschaftssystem setzen.
({13})
Das Etikett, dass ich nur eine Vorliebe für die Elite habe,
habe ich schon so lange, dass es mich immer weniger
stört.
Wenn Sie sich den Haushalt anschauen - damit
komme ich zum zweiten großen Projekt -, dann wissen
Sie, dass er nicht mit Eliteprojekten bestückt ist. Die
Position Hochschulpakt enthält zum Beispiel für das
Jahr 2013 Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden Euro 1,8 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr zur Schaffung von Studienplätzen. Es sind, dieses Jahr einbezogen, in den vergangenen Jahren 500 000 neue Studienplätze an Hochschulen und insbesondere an Fachhochschulen entstanden.
({14})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich werde keine Zwischenfragen zulassen.
Nie war die Lust aufs Studieren so groß wie heute.
Niemals zuvor hat eine Bundesregierung mit Unterstützung der sie tragenden Fraktionen so viel Geld in die
Breite der Hochschulen, in die Grundfinanzierung der
Hochschulen gegeben wie diese Bundesregierung. Nur,
das Problem der Hochschulen ist doch nicht der Bund.
Das Problem der Hochschulen ist, dass nahezu kein
Land nachweisen kann, wie es die Kofinanzierung aufbringen will.
({0})
Wenn Sie den Hochschulen und den Studierenden in
Deutschland etwas Gutes tun wollen, dann machen Sie
Ihren Landesregierungen klar, dass sie die Gelder für die
Hochschulen nicht kürzen dürfen, sondern erhöhen müssen, und zwar in dem Maße, wie es der Bund macht.
({1})
Tatsache ist - da brauchen Sie sich gar nicht so zu
echauffieren -, dass wir ein eindeutiges Verfahren zwischen Bund und Ländern vereinbart haben. Ende des
Monats gibt es die Schnellmeldung. Dann wissen wir,
wie viele junge Leute tatsächlich im Wintersemester ihr
Studium begonnen haben. Dann werden sich die Staatssekretäre treffen und ausrechnen, was das mit Blick auf
bislang Geplantes bedeutet und ob eventuell zugelegt
werden muss.
Auch an dieser Stelle gibt es keinen graduellen, sondern einen fundamentalen Unterschied: Immer dann,
wenn Schnellmeldungen ergeben haben, dass die Zahlen
größer sind als prognostiziert, hat der Bund bei den
Mitteln zugelegt, und zwar jedes Jahr. Allein im Haushaltsjahr 2013 gibt es gegenüber der ursprünglichen
Planung ein Plus von 660 Millionen Euro. Der Bund hat
jedes Jahr zugelegt,
({2})
die Länder aber nicht, und das ist schlecht, Herr
Hagemann.
({3})
Wenn die Länder bei den Mitteln nie zulegen, dann führt
das halt zu schwierigen Situationen an den Hochschulen.
({4})
Verweigerung führt zu gar nichts.
Wir hätten in Deutschland eine Supersituation, wenn
jeder in dem Bereich, in dem er Verantwortung trägt,
dafür sorgt, dass das, was vereinbart wurde, auch eingehalten wird. Es gibt viele Länder, in denen Sie Verantwortung tragen. Deutschland könnte ein Bildungsparadies sein, wenn die Länder in diesem Bereich so viel wie
der Bund tun würden. Kümmern Sie sich also darum!
({5})
Über die Zukunftschancen der jungen Generation
haben wir in der letzten Debatte gesprochen. Sie wissen,
dass wir in Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Sie wissen, dass andere Länder unsere
duale Ausbildung übernehmen wollen. Sie wissen um
die Reduzierung im Übergangssystem. Alle Zahlen sind
bekannt.
Jetzt zur Zukunft. Meine Partei wird in 14 Tagen einen Bundesparteitag abhalten.
({6})
- Was ich jetzt sagen will, könnte Sie schon interessieren, Frau Ziegler. Hören Sie mir doch einfach bis zum
Ende des Satzes zu. - Dieser Bundesparteitag wird einen
Beschluss fassen, in dem es heißt: Auch in Zukunft plus
5 Prozent für die Forschungsorganisationen in Deutschland.
({7})
Von Ihnen höre ich dazu überhaupt nichts. Die einen
sagen: maximal 3 Prozent. Andere sagen wiederum: Das
ist alles sowieso viel zu anstrengend.
({8})
- Lieber Herr Röspel, es zählen die Fakten, und es zählt
die Akzeptanz. Politik besteht immer aus Sachgerechtigkeit und Akzeptanz.
({9})
Über beides können wir uns nicht beklagen.
Wir haben eine Aufbruchsstimmung am Wissenschaftsstandort Deutschland. Es zeigt sich eine deutliche
Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generation. Das ist ein wunderbares Fundament, um genau in
dieser Konstellation in Deutschland weiter Politik zu
machen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kollegin
Agnes Alpers.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Frau Schavan, Sie
haben verschiedene Punkte angesprochen. Sie haben unter anderem gesagt, die Opposition leiste keine konstruktiven Beiträge und weigere sich, inhaltlich auf Art. 91 b
einzugehen. Ich glaube, alle Oppositionsparteien hier im
Bundestag haben ihren Beitrag dazu geleistet, das Kooperationsverbot aufzuheben und in eine Diskussion
über ein Kooperationsgebot einzusteigen.
Ein wesentlicher Vorschlag in diesem Zusammenhang
ist - Stichwort Art. 104 b Grundgesetz -, nicht nur ein
Kooperationsgebot für Hochschulen, sondern für die gesamte Bildung zu schaffen. Ich finde es bedauerlich,
dass Sie auf diese konstruktiven Beiträge der Opposition
mit keinem Wort eingegangen sind. Im Übrigen halte ich
Ihre Ausrichtung auf die Bildung in diesem Diskussionsprozess insgesamt für bedenklich. Da wir heute bei den
Haushaltsberatungen sind, bitte ich Sie, ein Angebot zu
machen. Welche Chancen, Perspektiven sehen Sie und
welche konstruktiven Vorschläge können Sie vorlegen,
um das Kooperationsgebot auf Art. 104 b Grundgesetz
auszuweiten? Sie argumentieren, wie so häufig, folgendermaßen: Wir bieten Zukunftschancen für alle. - Sie
haben vorhin gesagt, dass Sie auf Ihrem nächsten Bundesparteitag beschließen wollen, im Haushalt 5 Prozent
mehr für Hochschulen draufzulegen. Das waren Ihre
Worte. Meine Frage ist: Was wollen Sie denn für die
1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, die
ohne Ausbildung sind, drauflegen? Wo ist da Ihr
Schwerpunkt?
({0})
Werden Sie dazu auf Ihrem Bundesparteitag Lösungswege aufzeigen und konkrete Vorschläge machen?
({1})
Frau Ministerin, wollen Sie reagieren?
Ich reagiere kurz.
Erstens. Meine Angaben zum Bundesparteitag beziehen sich auf die jährliche Steigerung um 5 Prozent für
sämtliche Forschungsorganisationen. Das ist ein zentraler Punkt.
Zweitens. Der Hochschulpakt zwischen Bund und
Ländern - das Angebot ist längst erfolgt - gilt bis 2020.
Die dritte Phase wird dann entsprechend den Prognosen
ausverhandelt.
Drittens. Zur Frage, welches Angebot ich im Blick
auf Art. 104 b mache: Wir reden hier nicht über mögliche Finanzhilfen in Notlagen, sondern wir reden über
Kooperation.
({0})
Eine Kooperation zwischen Bund und Ländern lässt sich
jedoch über Art. 104 b nicht regeln.
Darum war mein Angebot und damit auch das Angebot der Bundesregierung an die Bundesländer: Erstens
gehen wir den Schritt, bei dem offenkundig bei den
16 Ländern und dem Bund Konsens besteht; das betrifft
die Wissenschaft. Zweitens schaffen wir analog zum
Wissenschaftsrat einen Bildungsrat mit zwei Kammern,
der zunächst den Auftrag erhält, Möglichkeiten für eine
Kooperation im Bildungsbereich auszuloten. Ich bin
dazu bereit, aber man muss darüber diskutieren.
({1})
Der Bildungsrat wird seitens der Länder jedoch abgelehnt. Es wird immer gesagt, es gehe alles nicht schnell
genug. Aber es würde schneller gehen, wenn man sich
nicht einfach nur verweigern würde.
({2})
Das Wort hat nun Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Frau
Ministerin, Sie haben recht: Es herrscht eine Aufbruchstimmung bei Bildung und Forschung in unserem Lande.
Die Zahlen stimmen, zumindest im Hinblick auf die
wachsende Zahl der Studierenden. Dieser Erfolg ist aber
nicht in den letzten drei Jahren vom Himmel gefallen,
darüber sind wir uns sicherlich einig.
({0})
Das ist vielmehr ein Resultat der Arbeit von vielen Jahren, von unterschiedlichen Koalitionen, die das Ganze
durchgesetzt haben. Ich schaue jetzt zu meinem Kollegen Klaus-Peter Willsch. In der Großen Koalition haben
wir vieles von dem durchgesetzt, was heute Anwendung
findet. Ich frage mich nur: Was gehört davon eigentlich
zu den klassischen Projekten von Schwarz-Gelb? Da
bleibt nicht sehr viel übrig.
({1})
Ich möchte noch einmal auf die Geschichtsklitterung,
die hier vorgenommen worden ist, zurückkommen. Wie
war denn die Situation, als Rot-Grün 1998/99 die Verantwortung übernommen hat? Wie viel Geld wurde da
ausgegeben für Bildung und Forschung? Es waren
7,2 Milliarden Euro. Als Rot-Grün abgelöst wurde, war
der Bildungshaushalt - hier muss man das Ganztagsschulprogramm hinzurechnen - auf fast 10 Milliarden
Euro gesteigert worden.
({2})
Es war eine tolle Leistung - da können die Grünen jetzt
ruhig mitklatschen -,
({3})
dass wir das geschafft haben, nachdem Herr Rüttgers
weg war vom Fenster und wir endlich eine progressive
Bildungs- und Forschungspolitik machen konnten.
({4})
Lieber Kollege Eckhardt Rehberg, ich möchte noch
zu einem anderen Punkt Stellung nehmen. Sie haben
vorhin gesagt, die jetzige schwarz-gelbe Koalition lebe
davon, dass wir ein so gutes Wachstum haben. Ja, wir
haben ein gutes Wachstum, wir hatten noch nie so viele
Steuereinnahmen wie jetzt, nämlich 600 Milliarden
Euro. Das ist richtig. Wir hatten aber auch noch nie so
viele Schulden wie jetzt.
({5})
Da die Mehreinnahmen aus dem Wachstum für die
Finanzierung Ihres Haushalts nicht reichten, ist die
Verschuldung enorm gestiegen. Als Gerhard Schröder
abgetreten ist, hatten wir eine Verschuldung von
68,5 Prozent, jetzt liegt die Verschuldung bei knapp
82 Prozent, nämlich bei 81,7 Prozent. Diese Koalition
hat in den letzten drei Jahren für ein Mehr an Schulden
in Höhe von 115 Milliarden Euro gesorgt. Auch das
sollte man sagen.
({6})
Warum hat sich das Wachstum so gut entwickelt?
Weil wir 2009 ein Konjunkturprogramm aufgelegt haben
und weil wir die Regelungen für das Kurzarbeitergeld
verbessert haben, um die Krise zu überwinden.
({7})
Bitte sagen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der Koalition, dass Sie sozusagen noch heute davon
leben. Das sollten Sie wirklich herausstellen.
({8})
Es wurde erwähnt, dass der Pakt für Forschung und
Innovation eingeführt wurde. Herr Kollege Braun, Sie
sitzen jetzt nicht mehr bei Ihrer Fraktion, sondern auf der
Regierungsbank. Sie haben gesagt, Steinbrück, der damalige Finanzminister, habe für die Exzellenzinitiative
keine Mittel in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt.
({9})
Die Ministerin hieß damals aber Annette Schavan, lieber
Herr Braun.
({10})
Sie hat nicht durchgesetzt, dass die Gelder in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen werden. Auch das
sollten Sie sagen, Herr Braun.
Ich komme nun auf die schwarz-gelben Projekte zu
sprechen. Lieber Kollege Haustein, wir beide schätzen
uns sehr; das möchte ich hier unterstreichen. Nichtsdestotrotz möchte ich das Deutschlandstipendium nennen,
das die Süddeutsche Zeitung in ihrem gestrigen Kommentar als „teuren Flop“ bezeichnet hat. Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Ein weiteres Projekt von Schwarz-Gelb, das im Koalitionsvertrag steht - Frau Flach hat es immer wie eine
Monstranz vor sich hergetragen -, nämlich die steuerliche Forschungsförderung, wurde klammheimlich beerdigt; man hört nichts mehr, man sieht nichts mehr. Die
Wirtschaft ist ganz schön sauer.
Das Bildungssparen ist schon einmal von Frau
Schavan versenkt worden. Jetzt ist es wiederbelebt worden. Ich kann Herrn Meinhardt leider nicht für seine
Rede in der Debatte über das Betreuungsgeld loben.
({11})
Aber die FAZ hat Sie für Ihre Rede gelobt. Es wurde in
dem Artikel allerdings herausgestellt, dass diese Rede
Ihnen bei der Kandidatenkür nicht geholfen habe, verehrter Herr Kollege Meinhardt.
({12})
- Ich habe zitiert, was in der FAZ steht. - Nur achten Sie
bitte darauf, dass Sie nicht hinter die Fichte geführt werden, Herr Meinhardt. Ich habe nämlich gestern eine
Frage zum Bildungssparen gestellt. In der Antwort
wurde zum Fördervolumen, zu Fördervoraussetzungen
und zu Einkommensgrenzen nichts gesagt.
Man muss generell sagen: Bei Forschung und Bildung ist in den Haushalten viel Geld obendrauf gekommen. Das unterstützen wir; darüber freuen wir uns sehr;
aber bei der Umsetzung hapert es doch immer wieder.
Ich muss hier eigentlich nicht die immer gleichen Beispiele nennen, die zeigen, was nicht umgesetzt worden
ist. Ich will nur das Beispiel „Qualitätspakt Lehre“ erwähnen: Da sind die Mittel zwar zu 97 Prozent belegt.
Aber es hapert noch daran, dass das Geld auch wirklich
in die Universitätskassen und Hochschulkassen fließt: Es
sind erst 44,3 Prozent der Mittel dorthin ausgezahlt worden.
Meine Damen und Herren, ich greife noch einmal das
Deutschlandstipendium auf. 20 Millionen Euro Bildungsmittel wurden nicht abgerufen und fließen an den
Finanzminister zurück. Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung schreibt,
({13})
dass sich ein Staat zwar das Stipendiensystem für die
Besten leisten könne. Dann sagt er aber richtigerweise:
Seine Kernaufgabe
- also die Kernaufgabe des Staates muss es aber sein, nicht nur die Besten zu fördern,
sondern auch diejenigen, die sich Bildung erst erkämpfen müssen.
({14})
Für den Aufstieg durch Bildung - das sei dazu gesagt
- wurde beim BAföG nichts getan; nicht einmal einen
Inflationsausgleich hat es gegeben.
({15})
Der Baransatz ist verringert worden.
Mich hat am meisten geschockt, lieber Kollege
Rehberg, was ihr in der Bereinigungssitzung nachts um
halb eins oder halb zwei noch vorgelegt habt:
({16})
Erstens wurde die globale Minderausgabe um 30 Millionen Euro heraufgesetzt. Das heißt, dass 30 Millionen
Euro zusätzlich einzusparen sind. Darüber hinaus wurde
beim Meister-BAföG - auch das möchte ich erwähnen eine Streichung von 11,5 Millionen Euro vorgenommen.
Meine Damen und Herren, das sind Mittel, die gerade
bei der Finanzierung eines Aufstiegsstudiums fehlen.
Das ist heftig zu kritisieren.
({17})
Lassen Sie mich beim Stichwort „Schlecht und
schleppend umgesetzt“ den Fall der acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, ansprechen, der im Rechnungshofbericht erwähnt wird. Frau
Ministerin, hier kam es in Ihrem Haus zu Kontrollversagen und Aufsichtsversagen. Sonst hätte der Rechnungshof in seinen Bericht nicht geschrieben,
({18})
dass hier Mittel für Partys im China Club - ich wusste
gar nicht, was das ist - zur Verfügung gestellt worden
sind. Sowohl die Vergabe von Aufträgen als auch die
Abrechnung von Reisekosten werden kritisiert. Ich bin
froh und dankbar, dass der Berichterstatter im Rechnungsprüfungsausschuss, Kollege Fischer, für nächste
Woche zu einem Berichterstattergespräch eingeladen
hat, um diese Fragen zu klären. Denn so kann man das
nicht stehen lassen.
({19})
Sie haben gesagt, wir würden nur lamentieren, Frau
Ministerin.
({20})
Nein, wir sind ganz guter Stimmung.
({21})
Frau Ministerin, Sie wollen auf Ihrem Bundesparteitag
entsprechende Beschlüsse fassen. Wir haben bereits konkrete Anträge in den Bundestag eingebracht. Jedes Jahr
sollen 2 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben
werden. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht: angefangen bei der Bildung der Kleinsten, über Ganztagsschulprogramm, Berufsbildung, Studium bis hin zur
Weiterbildung. Was haben Sie mit den von uns unterbreiteten Vorschlägen gemacht? Sie haben sie einfach
mit der Mehrheit der Koalition weggewischt. Das ist
doch kein Aufbruch! Wir hingegen haben konkrete Vorschläge vorgelegt. Das zeigt: Wir lamentieren nicht, sondern wir tun zukunftsorientiert etwas für die Bildungsrepublik. Das möchte ich noch einmal unterstreichen.
({22})
Warum wollen Sie in Art. 91 b GG nicht auch die Unterstützung für die Schulen aufnehmen? Wir hatten ein
gutes Ganztagsschulprogramm. Warum soll das jetzt nur
über Winkelzüge möglich sein? Wir sollten die Schulsozialarbeit unterstützen. Sie sehen: Unsere Forderung
geht etwas weiter als das, was Sie vorgetragen haben.
({23})
Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2008 haben Bund und Länder das ehrgeizige Ziel vereinbart, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015
auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben:
7 Prozent für Bildung und 3 Prozent für Forschung. Das
war ein ehrgeiziges Ziel. Wie wir heute gehört haben,
sind gerade SPD und Grüne schnell dabei, wenn es darum geht, sich ambitionierte Ziele zu stecken. Für meine
Fraktion, für unsere Koalition kann ich sagen: Wir stecken uns nicht nur Ziele, sondern wir setzen diese Ziele
auch tatsächlich um.
({0})
Im Moment liegen der Anteil für Bildung bei 7 Prozent und der Anteil für Forschung bei 2,8 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes.
({1})
- Herr Hagemann, die Zielmarke von 10 Prozent wird
erreicht, weil die Schwerpunktsetzung unserer Politik
auf Bildung und Forschung gerichtet ist.
({2})
Dieses Ziel werden wir daher eher erreichen, als Sie sich
das hätten träumen lassen.
Unser Haushalt für Bildung und Forschung 2013 ist
ein Zeichen für unsere erfolgreiche Politik. Ich nenne
diese Zielmarke, weil es hier manchmal zu Verwechslungen kommt. Mit Ausgaben für Bildung und Forschung sind nicht nur öffentliche Gelder, sondern auch
private Investitionen gemeint. Das ist ganz wichtig.
({3})
Da wir gerade von privaten Investitionen sprechen:
Sie sind eben wieder auf dem Thema Deutschlandstipendium herumgeritten. Bevor wir damals überhaupt losgelegt haben, hatten Sie es schon für tot erklärt. Gerade
eben haben Sie es wieder getan. Selbst jetzt, wo das
Deutschlandstipendium von den Studierenden an den
Universitäten und auch von der Gesellschaft immer besser angenommen wird
({4})
und sich die Zahl der Stipendien verdoppelt hat, tun Sie
so, als wäre nichts geschehen.
Das Deutschlandstipendium ist ein Erfolg, und es
wird auch ein Erfolg bleiben.
({5})
Es ist vor allem deswegen ein Erfolg, weil es zu mehr
privaten Investitionen in Bildung führt; denn beim
Deutschlandstipendium - das muss man begreifen - geht
es nicht nur um Zahlen, sondern wir leiten damit einen
Kulturwandel hin zu einer völlig neuen, modernen und
auch international geprägten Stipendienkultur ein.
({6})
Am Ende werden wir deutlich über dem geplanten 10-Prozent-Ziel liegen.
Noch eine Bemerkung zur acatech, lieber Kollege
Hagemann. Sie haben die Zahlen genannt. Wir werden
Dr. Martin Neumann ({7})
darüber reden. Aber klar ist auch: Das fällt zum großen
Teil in die Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben.
({8})
Lassen Sie mich zum Einzelplan 30 Folgendes sagen:
Wir werden uns an diesem Haushalt messen lassen. Das
sage ich mit Stolz. Denn es zeigt, dass diese Koalition
erfolgreich ist.
Wir haben in den letzten drei Jahren im Bereich Bildungs- und Wissenschaftspolitik einen unendlich großen
Fußabdruck hinterlassen. Die Zielsetzungen, die wir angehen, sind eindeutig zukunftsfähig, und zwar nicht nur
in qualitativer oder quantitativer Hinsicht. Wir haben
auch etwas tatsächlich Neues auf den Weg gebracht.
Herr Hagemann, Sie hatten gerade bemängelt, dass wir
nichts Neues auf den Weg gebracht hätten.
Ich will an dieser Stelle einmal unseren Haushalt,
auch hinsichtlich der Struktur, mit dem Haushalt von
2005 vergleichen, dem letzten Haushalt, den Rot-Grün
zu verantworten hatte - daran müssen Sie sich messen
lassen -: Ich glaube, dass dieser Haushalt eine klare
Handschrift trägt. Eine solche Handschrift hatte der
Haushalt 2005 eben nicht.
({9})
Ich erinnere beispielsweise an die voneinander getrennten
Förderbereiche Biotechnologie, Biomedizin, Gesundheit
und Medizin - alles stand für sich. Auch im Bereich der
Nanoelektronik haben Sie die Förderschwerpunkte voneinander getrennt: Nanomaterialien, optische Technologien
und andere. Ich könnte diese Liste unendlich fortführen.
Der Haushalt 2005 war das Abbild einer orientierungslosen Politik. Das war eine Zusammenstellung von Einzelpunkten, ohne Struktur und ohne klare Zielrichtung.
({10})
Was haben wir jetzt gemacht? Wir haben die Forschungsförderung auf wesentliche Programme konzentriert. Wir haben die Forschungsbereiche auf eine Mission ausgerichtet: für die Gesellschaft, für die Wirtschaft
und für die Menschen.
({11})
Wir haben zum Beispiel das vorher nur in Ansätzen existente Rahmenprogramm Biotechnologie weiterentwickelt. Heute haben wir - das kann man nachlesen, Herr
Röspel - mit der Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 ein substanzielles Programm.
({12})
Wir haben Ihre vergleichsweise magere Förderung
der biomedizinischen Forschung in einem völlig neuen,
von uns gestalteten Rahmenprogramm Gesundheitsforschung weiterentwickelt. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt. Das 2010 aufgelegte Rahmenprogramm Gesundheitsforschung übersteigt mit seinem Fördervolumen
von 5,5 Milliarden Euro eindeutig das, was Sie 2005 gemacht haben.
({13})
Mit der Gründung von fünf Gesundheitszentren im Rahmen dieses Programms haben wir die Gesundheitsforschung deutlich - ich sage: deutlich - optimiert,
({14})
hin zu einer besseren medizinischen Behandlung der
Volkskrankheiten und hin zu einer gesteigerten Lebensqualität.
Wir haben in dieser Legislaturperiode - daran haben
auch Sie einen Anteil - die Hightech-Strategie 2020 zum
Erfolg geführt.
({15})
- Ich sagte es ja: Daran waren Sie beteiligt; das ist völlig
klar. - Aber wir haben aus der Hightech-Strategie ein
Gesamtkonzept gemacht; denn man muss den komplexen Zusammenhang zwischen Forschung, Innovation
und Technologie sehen.
({16})
Die christlich-liberale Koalition hat die Hightech-Strategie auf fünf zentrale, globale Herausforderungen zugeschnitten.
({17})
Es war die christlich-liberale Koalition, die den Schwerpunkt der Hightech-Strategie auf die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen gelenkt hat. Dafür,
meine Damen und Herren von der Opposition, dürfen
Sie uns ruhig loben.
Ich könnte die Liste beliebig fortführen. Ich denke nur
an die Bündelung im Bereich der Nanotechnologie, den
sogenannten Aktionsplan Nanotechnologie 2015, oder
an das Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“ oder an das Programm zum demografischen
Wandel mit dem Thema „Das Alter hat Zukunft“. Die
Erfolge dieser Koalition sind sichtbar. Sie sind allerdings
für diese Erfolge blind.
Am Ende wird man immer zum gleichen Ergebnis
kommen: Unter Ihnen wäre das Haushaltsvolumen bei
7,6 Milliarden Euro geblieben und immer noch eine
Sammlung von vielen Einzelmaßnahmen.
({18})
Wir haben den Haushalt über die Forschungsprogramme
hinaus maßgeblich neu geprägt, unter anderem durch das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Wir haben der Forschung
per Gesetz mehr Freiraum gegeben.
Dr. Martin Neumann ({19})
({20})
Wir haben vor allen Dingen - das ist wichtig - den
Wissenschaftlern mehr Vertrauen entgegengebracht und
ihnen mehr Verantwortung übertragen,
({21})
damit die Forschungseinrichtungen nicht nur mehr Geld
haben, sondern dieses auch besser einsetzen können;
denn wir wissen, dass es in der Wissenschaft vor allem
darauf ankommt, dass das Geld zielorientiert ausgegeben wird.
Wir wollen mit der Änderung des Art. 91 b des
Grundgesetzes die rechtliche Grundlage dafür schaffen,
dass sich der Bund in Kooperation mit den Ländern an
der Finanzierung der Hochschulen beteiligt, damit das
Geld zielgerichtet ausgegeben werden kann. Bislang haben die Länder im Bundesrat - das richte ich gerade an
die Adresse von SPD und Grünen - eine solche Änderung abgelehnt. Machen Sie doch diesen Schritt! Er ist
wichtig, auch für unsere Hochschulen.
({22})
Mit dieser Haltung konterkarieren Sie jede Kritik, die
Sie heute zur Hochschulpolitik und zum Haushalt geäußert haben. Wenn es Ihnen tatsächlich um die Wissenschaft und den sinnvollen Einsatz von Finanzmitteln
geht, dann bewegen Sie doch endlich Ihre Kollegen in
den Ländern zum Umdenken. Anderenfalls - das ist
meine Schlussbemerkung - disqualifizieren Sie sich für
die Übernahme von Verantwortung in der Wissenschaftspolitik.
({23})
Das Wort hat nun Arfst Wagner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
kann mein Manuskript in die Tonne treten, weil Sie mich
in der Diskussion so angeregt haben, dass ich darauf gar
nicht zurückgreifen möchte. Ich komme von der Nordseeküste; da geht es meistens stürmisch zu. Ich wünsche
mir aber in der Bildungsdebatte ein wenig von der Sensibilität, die wir in der vorangegangenen Debatte über die
Beschneidung erlebt haben.
Wir müssen uns immer bewusst machen, wer eigentlich unsere Auftraggeber und Auftraggeberinnen in der
Bildung sind. Wenn ich Schülerinnen und Schülern diese
Frage stelle, dann antworten sie unsicher: Das Kultusministerium? Darauf frage ich: Habt ihr noch eine andere
Antwort? Dann kommt vielleicht von einem bescheidenen Mädchen aus der letzten Reihe die Antwort: Meine
Mutter? Dann sage ich: Geht es nicht ein bisschen genauer? Aber sie kommen in der Regel nicht auf die richtige Antwort, sodass ich als Lehrer meistens sagen muss:
Jetzt bin ich enttäuscht von euch. Das seid doch ihr.
Bei der Gewichtung der bisherigen Debatte habe ich
als Pädagoge - ich war bis vor einem halben Jahr Lehrer bemerkt, dass viele Kolleginnen und Kollegen den
Schwerpunkt des Bildungsbegriffes am Ende des Bildungsprozesses sehen. Er liegt eher bei der Forschung
oder bei dem Thema, mit dem ich jetzt im Ausschuss besonders befasst bin, nämlich bei der Qualifikation und
insbesondere bei der Berufsqualifikation. Wir müssen
uns aber klarmachen, dass der Bildungsbegriff viel weiter gefasst ist und dass dabei nicht nur eine Rolle spielt,
wie wir junge Menschen auf den Beruf vorbereiten - das
ist sicherlich wichtig, und auch ich werde das wichtig
nehmen, weil es meine Aufgabe ist -, sondern dass Bildung ein umfassendes Menschenbild erfordert.
({0})
Nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die
Frage, ob wir den Menschen von seiner Qualifikation
her so vorbereiten, dass er in seinem Beruf funktionieren
kann, sind wichtig. Nicht die Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt, sondern die Bildung zum ganzen Menschen
ist zuallererst wichtig.
({1})
Das erfordert natürlich eine Umstrukturierung der
Bildung. Darüber sollten wir alle in den nächsten Jahren
sehr viel nachdenken. Wir sollten vielleicht parteiübergreifend einen Bildungsprozess anstoßen, der die Bildungsrepublik Deutschland wahr werden lässt. Auch in
der Debatte über Europa müssen wir die kulturelle Bildung der Kinder und Jugendlichen sowie der Erwachsenen noch viel stärker ins Auge fassen. Europa ist bisher
in den bundesdeutschen Schulen so gut wie gar nicht angekommen. Das muss geändert werden.
({2})
Es geht nicht nur um berufliche Qualifikation, sondern auch darum, dass junge Menschen in die Lage versetzt werden, ihre Emotionen auszudrücken und eine
Sprache für die Dinge zu finden, die sie bewegen, ob sie
gut träumen oder eine gute Verdauung haben, ob sie vielleicht von Wut erfüllt sind und von unterdrückten Begierden bestimmt werden. Das sind Themen, die in der
Bildung eine genauso wichtige Rolle spielen. Wie wir
alle wissen, ist die heutige Welt komplex. Wenn ich so
etwas sage, spreche ich nicht gegen eine vernünftige
Vorbereitung auf einen Beruf.
Wir müssen auch in der Migration Wege finden, offensichtliche Ungereimtheiten in der internationalen
Verknüpfung der Qualifikationen zu begradigen. Wenn
zum Beispiel die Qualifikation eines russischen Krankenpflegers in Deutschland nur deshalb nicht anerkannt
wird, weil er zwei Jahre zu lange studiert hat, ist das völlig absurd. Er hat fünf Jahre gelernt - hier sind nur drei
Jahre erforderlich -, und dann wird das nicht anerkannt.
Eine Vergleichbarkeit funktioniert leider nicht einmal
in unserem Bachelor-/Master-System länderübergrei25478
Arfst Wagner ({3})
fend. Auch da müssen wir schauen, dass das System evaluiert wird und dass wir erst einmal innerhalb Deutschlands die Begradigung der Ausbildung innerhalb der
Bachelor-/Master-Studiengänge hinbekommen. Das
müssen wir unbedingt vorantreiben; denn wenn wir es
nicht schaffen, die Menschen von der inneren Mobilität
her auf die äußere geforderte Mobilität vorzubereiten,
verlieren wir erst einmal menschliches Kreativpotenzial.
Wir verlieren aber auch für die Volkswirtschaft Fähigkeiten; denn jeder Mensch, bei dem es nicht gelingt, dessen Kreativpotenzial entsprechend zu fördern, belastet
letztlich sogar die Volkswirtschaft. Es ist einfach zu
teuer, nicht entsprechend in die Bildung zu investieren,
um diese Dinge auch im Hinblick auf den erweiterten
Bildungsbegriff in Angriff zu nehmen.
({4})
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. Vielleicht habe ich aber einen
kleinen Sonderbonus von zehn Sekunden. - Das als
Schluss: Ich habe gestern eine Mail von einem Studenten
bekommen, der sein Studium selber finanziert. Er wird
jetzt 30. Die Krankenversicherung fällt weg, und das
BAföG fällt weg, weil er innerhalb des Bachelor-/Master-Systems studiert. Er fragt mich: Soll ich lieber arbeitslos werden? Das ist für den Staat viel teurer, als
wenn er mir ein anständiges BAföG bezahlt, ich in einem Jahr 50 000 Euro verdiene und dann anständig
Steuern zahlen kann. Insofern: Bitte, BAföG-Erhöhung
sofort! - Das möchte ich zum Schluss sagen. Das
nächste Mal mehr.
Danke schön.
({0})
Lieber Kollege Wagner, Sie haben einen Bonus von
100 Sekunden bekommen, weil das heute Ihre erste
Rede war. Gratulation und alles Gute für die weitere Arbeit!
({0})
Jetzt hat Michael Kretschmer für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon so: Die Zahlen, die wir im Rahmen
des Haushalts zu besprechen haben, sind beeindruckend.
Viel spannender aber sind die Geschichten hinter den
Zahlen bzw. hinter dem Geld. Das sind Geschichten, die
lauten beispielsweise wie folgt: Als ich in den Deutschen
Bundestag kam, hatte eine rot-grüne Regierung hier Verantwortung. Da wurden die Haushalte für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen überrollt. In den Gesichtern der Präsidenten und der Institutsleiter konnte
man lesen, dass sie nicht wussten, wie es weitergeht;
denn wenn man einen Haushalt bei steigenden Kosten
überrollt, heißt das eben nicht, dass alles wie bisher weiterläuft, sondern es gibt einen Abbruch. Das haben wir
- durch 3 Prozent und jetzt 5 Prozent kontinuierlichen
Aufwuchs - beendet. Das war eine ganz wichtige Maßnahme.
({0})
Wir haben eine Veränderung des Personalrechts erlebt. Sie beinhaltete eine Befristung, die dafür gesorgt
hat, dass viele, die sich engagiert haben und in den Instituten wichtige Funktionen hatten, auf einmal vor dem
Ende ihrer Karriere standen.
Wir haben das Arbeitsrecht für die Wissenschaft verändert und damit viele Karrierechancen verbessert. Wir
haben durch mehr Geld und starke Aufwüchse Karrierechancen für junge Leute eröffnet. Durch Planbarkeit haben wir bei den Familien dieser jungen Wissenschaftler
viel Sicherheit erreicht.
In der Krise haben wir in Bildung, Forschung und
Wissenschaft investiert. Damit haben wir den Grundstein dafür gelegt, dass die deutsche Wirtschaft heute
besser dasteht, dass wir mehr Steuereinnahmen haben
und dass die Lebenschancen der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland um ein Vielfaches besser sind
als in allen anderen europäischen Ländern. Das, was sich
hinter diesen Zahlen verbirgt, ist ein großartiger Erfolg.
({1})
Wir haben, als ich vor zehn Jahren in den Deutschen
Bundestag kam, eine Diskussion darüber geführt, dass
die wirklich besten Wissenschaftler nicht nach Deutschland, sondern nach Amerika gegangen sind. Heute haben
wir die Situation, dass die Topleute aus Stanford, aus
Oxford und aus Harvard an Institute und Hochschulen in
Deutschland möchten, weil sie hier mehr Chancen sehen; denn hier wird noch investiert und nicht gekürzt.
Das ist das Ergebnis unserer Politik.
({2})
Ich finde es sehr traurig, dass die Vertreter zweier großer Parteien, die früher in der Wissenschaft ein Standing
hatten, SPD und Grüne,
({3})
und auch der eine oder andere von den Linken, der in der
Wissenschaftspolitik schon ordentlich Staub gewischt
hat, heute hier Reden gehalten haben, die derart ärmlich
waren, wie es gar nicht schlimmer sein konnte.
({4})
Sie haben auch durch Ihr Verhalten in der Frage der
Grundgesetzänderung und durch die bereits angesprochene Blockade in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz und der Kultusministerkonferenz so viel Ansehen
verloren,
({5})
dass es auch für uns als Unionspolitiker traurig ist, dies
zu beobachten.
({6})
Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir können, wir
wollen und wir werden nicht einfach Geld an die Länder
geben; denn, Kollege Hagemann, das Land, aus dem Sie
kommen, hat mit dem Nürburgring
({7})
das beste Beispiel dafür geliefert, warum man das nicht
tun darf.
({8})
Über andere Länder liest man in der Zeitung, dass sie
ihre Mittel für den Hochschulpakt kürzen, weil der Bund
ja das Geld gibt. Sie stehlen sich damit aus der Verantwortung. So kann es nicht funktionieren.
({9})
Wir haben hier als Bundespolitiker, als Forschungspolitiker und Wissenschaftspolitiker eine Verantwortung für das Gesamtsystem. Das Wissenschaftssystem in
einem föderalen Land besteht nun einmal aus zwei kommunizierenden Röhren. Das heißt, wenn wir mehr Geld
hineingeben und andere mehr herausnehmen, dann ist
am Ende nicht mehr, sondern im Zweifel sogar weniger
da. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen darauf
bestehen, dass unser Geld ordentlich eingesetzt wird und
dass wir Kontrolle darüber haben, was damit passiert.
({10})
Wir tun schon heute viel. Der Bundesrechnungshof
hat es in seinem letzten Bericht dargestellt: 20 Prozent
unseres Einzelplans umfassen Ausgaben an die Länder.
12 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen für
Bildung und Wissenschaft an die Länder. Das ist eine gewaltige Leistung.
({11})
Dies zeigt auch, dass Kooperation möglich ist. Wer mehr
möchte, muss bereit sein, der Änderung von Art. 91 b
des Grundgesetzes zuzustimmen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Mit jedem Tag, den Sie diese notwendige
Maßnahme im Bundesrat blockieren, verlieren Sie Ansehen bei den Wissenschaftlern, bei den Studenten, bei allen Menschen, die dies beobachten. Ich kann Ihnen nur
sagen: Hören Sie auf mit diesem Spiel! Sie schaden sich
in einem unglaublichen Maße.
({12})
Damit schaden Sie auch dem Wissenschaftsstandort
Deutschland.
Wir haben eine ganze Menge vor. Wir haben nach
dem Auslaufen der Exzellenzinitiative die Notwendigkeit, etwas zu tun, und wir sind auch bereit, in Zukunft
entsprechend Verantwortung zu übernehmen.
({13})
Aber dies tun wir nur unter der klaren Voraussetzung,
dass wir die Kontrolle haben. Deswegen ist diese Grundgesetzänderung so wichtig. Wir lassen uns - auch das
will ich sagen - nicht aufhalten und blockieren.
({14})
Es gibt eine ganze Reihe möglicher Kooperationen. Die
Beispiele KIT sowie Max-Delbrück-Centrum und
Charité sind in dieser Debatte schon genannt worden.
({15})
Wir werden weitere Kooperationen zwischen außeruniversitärer Wissenschaft und Hochschulen finden. Damit
zeigen wir einmal mehr, wie wichtig und wie ernst
Union und FDP dieses Thema ist. Mit jeder weiteren
Kooperation wird deutlicher werden, dass die Grundgesetzänderung richtig und sinnvoll ist.
({16})
Es ist natürlich wesentlich komplizierter, den Weg
über Fraunhofer-, Max-Planck-, Leibniz- oder
Helmholtz-Institute zu gehen, als direkt zu sagen: Dieser
exzellente Bereich einer Hochschule, diese Graduiertenschule an einer Universität soll von uns unterstützt werden. Sie kommen mit jedem Tag mehr unter Druck. Ich
kann Ihnen nur noch einmal sagen: Hören Sie auf mit
diesem Spiel! Sie haben das nicht nötig.
({17})
Der Haushalt setzt Akzente für die neuen Bundesländer.
({18})
Ich bin stolz darauf. Wir haben nach der Wiedervereinigung eine schwierige Situation gehabt, zum Beispiel
durch Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Auch heute
gibt es noch in weiten Teilen Probleme. Es gibt einen
großen Unterschied zwischen Ost und West.
Dieses Ministerium ist ein wirkliches Aufbau-OstMinisterium. In den letzten 10, 15 Jahren hat es kontinuierlich investiert.
({19})
Mit dem neu aufgelegten Programm „Zwanzig20 Partnerschaft für Innovation“ wird jetzt noch einmal ein
deutlicher Akzent gesetzt. Ich bin sehr dankbar dafür,
Frau Bundesministerin, dass auch Sie persönlich hier
einen Schwerpunkt gesetzt haben. Die Resonanz bei
Wissenschaftlern, bei Politikern in den neuen Bundesländern und bei der Wirtschaft zeigt, dass dieses Signal
ankommt. Ich erhoffe mir davon einen Schub für mehr
Arbeitsplätze und mehr Chancen. Gut, dass wir die Kraft
dazu aufbringen!
({20})
Zum Thema Stipendien und zum Stipendienprogramm ist schon einiges gesagt worden. Ich will, da Sie
die Süddeutsche Zeitung zitiert haben, nur darauf hinweisen: Selbst der Spiegel kommt zu der Erkenntnis,
dass es nichts Unredlicheres gibt, als das Stipendienprogramm mit dem BAföG zu vergleichen: erstens, weil die
Größendimensionen - 2 bis 3 Milliarden Euro beim
BAföG, wenige Millionen Euro beim Stipendienprogramm - überhaupt nicht zusammenpassen; zweitens,
weil wir das BAföG in einem noch nie dagewesenen
Umfang erhöht haben;
({21})
drittens, weil es in der Sache richtig ist, dafür zu sorgen,
dass dieses Land, das keine Stipendienkultur kennt, jetzt
endlich einen Schritt vorankommt. Sie sollten darüber
nicht klagen, sondern sich selbst einbringen. Nehmen
Sie ein bisschen Geld in die Hand, und vergeben Sie ein
Stipendium! Die Leute werden Ihnen dankbar dafür sein.
({22})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Herr Präsident, ich bin am Schluss.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe diese
Debatte mit einem lachenden und einem weinenden
Auge verfolgt: mit einem lachenden Auge, weil der
Haushalt für Bildung und Forschung in der Tat erhebliche Steigerungen erfährt - das ist gut, und das unterstützen wir -, mit einem weinenden Auge, weil die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition, so mein Eindruck,
auf einem verdammt hohen Ross sitzen.
({0})
Da wird sogar dreiste Geschichtsklitterung betrieben,
um darstellen zu können, wie großartig gerade die
Koalition gewesen sei.
Ich will daran erinnern, dass Rot-Grün den Haushalt
für Bildung und Forschung nach der Kohl-Ära erst aus
dem Keller holen musste. Das BAföG, Kollege
Kretschmer, war eine Ruine. Wir mussten es unter RotGrün erst wieder aufbauen.
({1})
Ich will auf die Diskussion über die Eigenheimzulage
zu sprechen kommen. Ich erinnere mich noch sehr gut
daran: Rot-Grün hatte vorgeschlagen, die Eigenheimzulage zu streichen und die frei werdenden Mittel für Bildung und Forschung zu verwenden. CDU, CSU und
FDP haben das im Bundesrat blockiert und verhindert.
Erst in der Großen Koalition hat es die SPD geschafft,
CDU und CSU davon zu überzeugen, dass es der richtige Weg ist, in die Köpfe statt in Beton zu investieren.
({2})
Diesen Weg sind wir gegangen. Durch die Streichung
der Eigenheimzulage haben wir, jährlich steigernd, dafür
gesorgt, dass heute pro Jahr über 6 Milliarden Euro mehr
für Bildung und Forschung zur Verfügung stehen.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kalb?
Ja, gerne.
Herr Kollege, sind Sie sich wirklich sicher, dass die
Eigenheimzulage gestrichen worden ist?
Ja, natürlich bin ich mir sicher. Dabei haben Sie mitgemacht. Ich kann Ihnen das gerne im Protokoll zeigen.
({0})
- Ist das jetzt ein Zwiegespräch? - Auf diese Art und
Weise sind 6 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und
Forschung mobilisiert worden. Wenn ich mir die Steigerung der Haushaltsmittel von 2005 bis jetzt ansehe - auf
den Haushaltsplan 2013 sind Sie ja so stolz -, stelle ich
fest: Genau diese zusätzlichen 6 Milliarden Euro veranschlagen Sie jetzt. Wissen Sie, wie man das beim
Fußball nennt? Das ist ein Abstaubertor.
({1})
Ich finde, Sie sollten sich, anstatt hier großkotzig aufzutreten, lieber für Ihre damalige Blockade, als es um die
Streichung der Eigenheimzulage ging, entschuldigen
Swen Schulz ({2})
und sich bei der SPD bedanken, dass wir den Weg dafür
bereitet haben, dass Sie überhaupt einen solchen Haushalt vorlegen können.
({3})
Das ist von Ihnen aber nicht zu erwarten, weil Sie, wie
gesagt, auf einem sehr hohen Ross sitzen.
Ich will jetzt einen Blick in die Zukunft werfen. Die
Zukunft sieht tatsächlich nicht besonders gut aus. Das
Ross Bildung und Forschung ist von dieser Koalition auf
Diät, auf Magerkost gesetzt worden. Um das zu sehen,
reicht ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung: Die
Bundesregierung plant, dass die Ausgaben für Bildung
und Forschung wieder sinken - natürlich erst nach dem
Bundestagswahljahr 2013 -, und zwar bis 2016 um über
0,5 Milliarden Euro. Wenn wir Frau Schavan und ihre
Staatssekretäre fragen, wie sie sich das vorstellen, bekommt man die Antwort: Na ja, machen Sie sich mal
keine Sorgen! Es wird nichts so heiß gegessen, wie es
gekocht wird. Das mit der mittelfristigen Finanzplanung
muss man alles nicht so ernst nehmen.
Ihre Chefin, Frau Schavan, die Bundeskanzlerin
Merkel, sieht das vollkommen anders. Gestern in der
Haushaltsdebatte hat sie stolz und klar gesagt, wie wichtig die mittelfristige Finanzplanung ist - ich zitiere -:
2016 - das können Sie der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen - wollen wir die Neuverschuldung auf null geführt haben.
Gegen dieses Ziel haben wir nichts - aber doch nicht
auf Kosten der Zukunft, nicht auf Kosten von Bildung
und Forschung!
({4})
Die Auswirkungen der bevorstehenden Kürzungen
spüren wir schon jetzt schmerzhaft, weil Frau Schavan
gar nicht die Möglichkeit, das Mandat, die Erlaubnis hat,
irgendwelche Finanzierungszusagen zu geben. Wie ist es
zum Beispiel mit dem BAföG? Seit Januar liegt der
BAföG-Bericht vor. Wo ist der Vorschlag der Regierungskoalition, das BAföG anzuheben? Fehlanzeige.
Auch beim Hochschulpakt gibt es dringenden Handlungsbedarf. Die Entscheidung ist von Frau Schavan auf
April 2013 verschoben worden. Mal schauen, was Ihnen
bis dahin noch so einfällt.
Frau Schavan, Sie haben in Ihrer Rede wieder darauf
verwiesen, mit den Ländern sei es schwierig
({5})
und die Verantwortung liege schließlich bei den Ländern. Das alles sind Nebelkerzen, Sie spielen auf Zeit.
Die Wahrheit ist: Die mittelfristige Finanzplanung gibt
definitiv nichts anderes her.
({6})
Frau Schavan, damit keine Missverständnisse entstehen: Ich will Ihnen das nicht persönlich vorwerfen. Die
Verantwortung für diese Blockade in der Bildungspolitik
liegt bei der Bundeskanzlerin; ihr können wir das sehr
wohl vorwerfen. Was Frau Merkel unter der Bildungsrepublik Deutschland versteht, hat sie gestern in der
Haushaltsrede sehr deutlich gesagt: Sie will nicht nur bei
der Bildung kürzen, sie verteidigt auch das irrsinnige
Betreuungsgeld. Man kann es nicht häufig genug sagen:
Das Betreuungsgeld ist erstens bildungsfeindlich, und
zweitens fehlt das Geld, das für das Betreuungsgeld
ausgegeben wird, an anderer Stelle, nämlich bei der
Bildung. Dort wird es dringend benötigt.
({7})
Ein weiterer wichtiger Punkt: Bundeskanzlerin
Merkel hat einer Streichung des Kooperationsverbotes in
der Bildung eine klare Absage erteilt. Übersetzt bedeutet
das: Frau Merkel will nichts für die Schulen tun.
({8})
Wir wollen ein zweites Ganztagsschulprogramm. Das
erste hat Rot-Grün auf den Weg gebracht. Es hat eine
Menge bewirkt. Jetzt wollen wir einen weiteren Schritt
machen: Wir wollen einen Rechtsanspruch auf einen
guten Ganztagsschulplatz, und zwar überall in Deutschland, schaffen. Dafür müssen wir das Grundgesetz
ändern. Frau Merkel lehnt das ab.
({9})
Wir wollen gleiche Chancen und optimale Förderung für
alle Schüler, egal wo sie herkommen, egal aus welcher
Familie sie stammen, egal wie viel Geld in ihrem Elternhaus vorhanden ist. Das ist der richtige Weg.
Ihr hohes Ross, Frau Schavan, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein lahmer, schwindsüchtiger Gaul,
mit dem Sie bei der Bundestagswahl 2013 noch über die
Ziellinie zu kommen versuchen. Das reicht nicht aus.
Herzlichen Dank.
({10})
Als letztem Redner in der Debatte erteile ich Kollegen Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Frau Ministerin Schavan, Sie haben die Redebeiträge
insbesondere von Frau Gohlke - die jetzt mit Telefonieren beschäftigt ist - und von Herrn Röspel als Lamentieren bezeichnet. Ich möchte die Kritik noch ein Stück
schärfer formulieren: Hier wurde der Bildungsstandort
Deutschland diskreditiert. Damit schadet die Opposition
unserer gemeinsamen Sache.
({0})
Albert Rupprecht ({1})
Dass in der Haushaltsdebatte hingelangt wird und die
kritischen Punkte auch zugespitzt werden, ist normal.
Ein Zerrbild zu zeichnen, schadet jedoch unserer gemeinsamen Sache.
Was ist die Realität? Die Realität ist, dass noch nie in
der Geschichte Deutschlands die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes einen derart hohen Ausbildungsstand, ein derart hohes Ausbildungsniveau hatten wie im
Jahr 2012.
({2})
Schauen Sie sich die Zahlen an: 86 Prozent der Deutschen haben entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Hochschulreife oder einen Hochschulabschluss. Das ist im internationalen Vergleich
herausragend. Das gab es in Deutschland in dieser
Dimension historisch noch nie.
({3})
Darüber hinaus hat es auch in den letzten Jahren, insbesondere in Erinnerung an den PISA-Bericht 2000, sehr
wohl substanzielle Verbesserungen gegeben. Ich erinnere daran: Die Bundeskanzlerin hat gemeinsam mit den
Ministerpräsidenten - auch mit Ihren Ministerpräsidenten - 2008 die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen. Dabei hat man gemeinsam sieben Bereiche benannt,
in denen man sich Ziele gesetzt hat.
Vier Jahre später haben die KMK und die GWK übereinstimmend und gemeinsam - auch mit den SPDgeführten Ländern - einen Zwischenbericht abgegeben.
In diesem steht - ich zitiere -, dass die damals beschlossenen Maßnahmen beachtliche Erfolge zeigen. Das und
nicht dieses Zerrbild, das Sie eingangs beschrieben
haben, ist die Realität.
({4})
Ich meine das in aller Ernsthaftigkeit. Wir könnten
die einzelnen kritischen Punkte hier in der Tat herausarbeiten, aber dieses pauschale, platte Abdisqualifizieren
des Bildungslandes Deutschland ist in der Tat schädlich.
({5})
Ich nenne jetzt exemplarisch nur einige wenige
Erfolge und zitiere diese laut Bericht:
Die Quote der Hochschulabsolventen lag 1995 bei
14 Prozent. 2010 waren es 30 Prozent. Das ist eine
Verdoppelung. Das ist doch ein Riesenerfolg!
({6})
- Entschuldigung, diese Bemerkung zu Rot und Grün
hier ist mir doch, ehrlich gesagt, wirklich zu doof. Wir
reden über unser gemeinsames Bildungsland Deutschland und über einen Bildungsgipfel der Ministerpräsidenten über alle Parteigrenzen hinweg.
({7})
Die duale Ausbildung ist nach wie vor ein Erfolgsmodell. Wir haben die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in den letzten Jahren halbiert. Auch das ist ein Riesenerfolg.
({8})
Im europäischen Vergleich haben wir in einer Zeit, in der
50 Prozent der jungen Menschen in Spanien keine
Arbeit haben,
({9})
die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit.
({10})
Das sind tolle Erfolge.
({11})
Wir haben die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss um 25 Prozent gesenkt.
({12})
- Nein, entschuldigen Sie, Kollegin Schieder, das sind
die Zahlen aus dem gemeinsamen Bericht der KMK und
der GWK; das sind nicht meine Zahlen.
Es ist heute allgemein anerkannt, dass die frühkindliche Bildung der Schlüssel ist. Auch bei der frühkindlichen Bildung haben wir, mit Verlaub gesagt, Erfolge.
96 Prozent der Vierjährigen besuchen eine Vorschule
oder einen Kindergarten.
Zu den Kitaplätzen: Entschuldigung, ist es nicht auch
ein Erfolg, dass wir in drei Jahren einen Zuwachs an
Kitaplätzen um 63 Prozent erreicht haben? Das ist sehr
wohl ein Erfolg!
({13})
Wer anderes behauptet, ist schlichtweg ein Ignorant.
({14})
Dass der Kanzlerkandidat der SPD, Steinbrück, bei
der Generaldebatte hier vorne steht und behauptet, diese
Bundesregierung hätte für Bildung nichts getan, zeigt,
dass auch dieser Kandidat ein Ignorant ist. Er hat nämlich null Komma null Ahnung von der Bildungspolitik in
diesem Land.
({15})
- Herr Röspel, er hat gesagt, wir hätten nichts getan.
Noch einmal zu den Superlativen: Seit wir in der
Verantwortung sind - Sie haben das im Haushaltsausschuss mitbeschlossen -, haben wir 13 Milliarden Euro
Albert Rupprecht ({16})
mehr für Bildung und Forschung ausgegeben. Das ist ein
Zuwachs gegenüber 2005, als Steinbrück noch an der
Regierung beteiligt war, um 82 Prozent. Das ist nichts
getan? Entschuldigung!
({17})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Wir tun sehr wohl etwas; das ist unsere klare Prioritätensetzung. Ich glaube, wir sind übereinstimmend der
Meinung, dass sie notwendig ist. Das aber kleinzureden
und zu diskreditieren, ist schlichtweg falsch.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren, nichtsdestotrotz
haben wir ohne Zweifel große Aufgaben vor uns, aber
die muss man konkret benennen
({2})
und auch lösen. Man darf nicht das Kind mit dem Bade
ausschütten.
Um nur zwei Themen zu nennen:
In der Tat kommt in den großen Städten jedes zweite
Kind aus einer Familie mit Migrationshintergrund.
({3})
Natürlich ist Teilhabe ohne Sprachkompetenz nicht
möglich. Deswegen haben wir in dieser Regierung - und
auch schon in der Großen Koalition - ein Bündel an
Maßnahmen beschlossen. Wir können bei weitem nicht
abschließend sagen, dass wir zufrieden sind, aber wir
haben vieles aufs Gleis gesetzt,
({4})
sodass wir heute mit Fug und Recht sagen können, dass
kein Kind mehr in Deutschland existiert, lebt und aufwächst, um dessen Sprachkompetenz wir uns nicht kümmern. Es gibt mehrere Etappen, bei denen geprüft wird,
wo die Kinder stehen. Es gibt Förderprogramme ohne
Ende, mit denen sie in der Sprachkompetenz unterstützt
werden. Das ist der richtige Weg.
({5})
Die Familienstrukturen werden in der Tat brüchiger.
Jede dritte Ehe wird geschieden. Die Politik, selbst die
beste Bildungspolitik, kann niemals die Familie ersetzen. Deswegen ist es in erster Linie notwendig und
wichtig, dass wir das in der Verfassung verankerte Gebot
des Schutzes von Familie und Ehe hochhalten,
({6})
statt dies zu relativieren oder gar zu diskreditieren, Frau
Gohlke.
({7})
Was wir politisch machen können, ist nicht, die Familie zu ersetzen, aber wir können die Eltern unterstützen.
Ich glaube - schauen Sie einmal in den Haushalt! -, man
kann mit Fug und Recht behaupten und auch mit Stolz
sagen, dass wir viele Milliarden in Programme investieren - ob das lokale Bildungsbünde sind, ob das Bildungsketten sind, ob das das Bildungspaket für Hartz-IV-Kinder
ist und vieles andere mehr. Ich gestehe durchaus zu, dass
diese Pakete nicht immer der Weisheit letzter Schluss
sind und dass man sie, beispielsweise das Bildungspaket
für Hartz-IV-Kinder, nach einer bestimmten Zeit auf den
Prüfstand stellen und genau hinschauen muss, was gut
gelaufen, was aber auch schlecht gelaufen ist. Aber die
Grundrichtung, die Intention als solche stimmt.
Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der fortgeschrittenen Zeit komme ich zum letzten Thema. Das
kann man drehen und wenden, wie man will - es ist und
bleibt ein Thema.
({8})
Eines der Kernprobleme der Bildungspolitik ist in der
Tat, dass die Bildungspolitik in den Bundesländern sehr
unterschiedlich ist. Wenn wir einmal eine der jüngsten
Studien anschauen, beispielsweise die IQB-Studie, in der
Viertklässler in vielen Bereichen betrachtet worden sind,
dann stellen wir fest, dass Bayern in allen Bereichen, die
untersucht worden sind, an erster Stelle ist. Zur selben
Zeit erleben wir, dass in Brandenburg 11 000 Lehrer auf
die Straße gehen, weil sie gegen Platzeck und, wie sie es
formulieren, gegen das unterfinanzierte Bildungssystem
streiken wollen.
({9})
Wen wundert das? Denn Brandenburg ist im bundesweiten Vergleich der Ausgaben für Bildung in den Etats
schlichtweg Schlusslicht.
({10})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Das ist die bildungspolitische Realität in Deutschland.
Wir haben mit diesem Haushalt in der Tat nicht nur
geredet, sondern erstklassig gehandelt. Was wir vorle25484
Albert Rupprecht ({0})
gen, ist ein Rekordhaushalt für Forschung und Bildung,
der nicht nur national herausragend ist, sondern auch international anerkannt und respektiert wird.
Danke schön.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30
- Bundesministerium für Bildung und Forschung - in
der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit
den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen
Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme
- Drucksache 17/11513 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Durch die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Sommer dieses Jahres ist eine Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung nicht mehr zulässig. Die hier entstandene
Lücke soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschlossen werden, um schwerwiegende gesundheitliche Schäden von Betroffenen abzuwenden und eine
ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten.
Hierzu schaffen wir eine hinreichend bestimmte
Rechtsgrundlage, damit der Betreuer in eine notwendige ärztliche Behandlung des Betreuten einwilligen
kann, die von diesem selbst abgelehnt wird. Dabei geht
es um Fälle, in denen der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer seelischen oder geistigen Behinderung die Notwendigkeit einer ärztlichen
Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
Die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche
Zwangsbehandlung wird unter enge Voraussetzungen
gestellt, die den größtmöglichen Schutz des Betroffenen garantieren. Dazu zählt, dass die ärztliche Maßnahme zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden
abzuwenden. Außerdem wird die Einwilligung des Betreuers einer Genehmigung durch das zuständige Betreuungsgericht unterworfen.
Schließlich ist zu beachten, dass es um Betreute
geht, die bereits mit richterlicher Genehmigung in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind,
was seinerseits nur zulässig ist, wenn dies aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer seelischen oder
geistigen Behinderung zum Wohl des Betreuten erforderlich ist. Diese Betreuten befinden sich also schon in
staatlich verantworteter Obhut, weshalb ihnen eine
notwendige ärztliche Behandlung nicht generell versagt werden darf, sondern grundsätzlich ermöglicht
werden muss.
Wir behandeln dieses Vorhaben in einem regulären
Gesetzgebungsverfahren, auch wenn aus den bereits
genannten Gründen eine Eilbedürftigkeit zur Regelung
der Materie besteht. Aber trotz des vorhandenen Zeitdrucks befassen wir uns in aller Ausführlichkeit mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf. Bereits am vergangenen Montag haben wir sechs Sachverständige angehört. Dieses erweiterte Berichterstattergespräch fand
zwar nicht öffentlich statt, stand aber in der Sache einer öffentlichen Anhörung in nichts nach. Dabei waren
nicht nur die Berichterstatter des Rechtsausschusses,
sondern auch Mitglieder des Gesundheitsausschusses
mit einbezogen.
Die Sachverständigen haben aus Sicht von Wissenschaft und Praxis deutlich gemacht, dass die vorgeschlagenen Regelungen zielführend sind und die Vorgaben
von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof
angemessen berücksichtigen. Auch in Bezug auf die
Wahrung der Verhältnismäßigkeit zogen die Sachverständigen eine durchweg positive Bilanz. Es wurde betont, dass die Zwangsbehandlung erst der letzte Schritt
sein dürfe, wie dies im Gesetzentwurf ausdrücklich
vorgesehen ist. Vorrangig müsse darauf hingewirkt
werden, das Einverständnis des Betroffenen einzuholen. Flankierend hierzu wurde angeregt, die Informationspflichten gegenüber dem Betroffenen über die
vorzunehmende ärztliche Behandlung zu definieren.
Auch wurde diskutiert, ob zur Begutachtung der Einsichtsfähigkeit des Betroffenen grundsätzlich ein externer Sachverständiger herangezogen werden sollte.
Diese und weitere Punkte werden wir im weiteren
Verfahren erörtern. Wir sind uns zudem einig, dass wir
zur abschließenden Lesung eine Plenardebatte führen
wollen, um unsere Überlegungen im öffentlichen Diskurs darzulegen.
Die Frage der Zulässigkeit einer ärztlichen
Zwangsbehandlung stellt sich freilich auch jenseits einer betreuungsrechtlichen Unterbringung. Von Ärzten
und Juristen sowie aus mehreren Bundesländern vernehmen wir, dass zusätzlich Bedarf nach der Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung außerhalb der
betreuungsrechtlichen Unterbringung besteht. Darunter fällt nicht nur eine ambulante, sondern auch eine
stationäre Zwangsbehandlung, soweit keine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung erfolgt
ist. Diesem Anliegen müssen wir uns stellen. Allerdings besteht für eine solche weiter gehende Regelung
jedenfalls nicht eine durch die geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung begründete Eilbedürftigkeit.
Für die betreuungsrechtliche Unterbringung aber
müssen wir jetzt zügig entscheiden. Aufgrund des eng
begrenzten Anwendungsbereichs sowie der klar definierten und einer richterlichen Überprüfung unterzogenen Verhältnismäßigkeitsvorgaben schaffen wir
keine neuen Eingriffsmöglichkeiten, sondern lediglich
eine eindeutige Rechtsgrundlage, damit die bisher geübte und bewährte Praxis rechtssicher fortgeführt
werden kann.
Der 38-jährige Sachbearbeiter Robert R. hatte
nachts Möbel aus seiner Wohnung im dritten Stock eines Wohnhauses geworfen und dabei laute Musik
gehört, mitten in einem Wohnviertel von Köln. Auf Veranlassung der Nachbarschaft wurde er in die Landesklinik eingeliefert, lehnte jedoch die Behandlung mit
Medikamenten vehement ab. Aufgrund seines desolaten gesundheitlichen Zustandes erwirkte seine Ehefrau
die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung. Der Betreuer wiederum erteilte seine Einwilligung in die medikamentöse Behandlung.
Diese Vorgehensweise war bislang die gängige Praxis der Betreuer und der Kliniken, wenn betreute Menschen gegen ihren eigenen Willen medizinisch behandelt werden sollten.
Nachdem zwei Gerichtsurteile des Bundesgerichtshofes im Juni 2012 die Selbstbestimmungsrechte betreuter Personen völlig zu Recht erheblich gestärkt
haben, sind aktuell Zwangsbehandlungen psychisch
Erkrankter, die unter Betreuung stehen, nicht mehr zulässig. Der Bundesgerichtshof stützt seine Entscheidungen auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011. Es fehlt für
die Zwangsbehandlung betreuter Menschen an einer
entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Weder die gegenwärtige Fassung des § 1906 BGB
noch die übrigen betreuungsrechtlichen Vorschriften
enthalten hinreichende Bestimmungen zur Frage der
Zwangsbehandlung. Denn es finden sich dort nur Ausführungen zur Unterbringung. Insofern ist es nun die
Aufgabe des Gesetzgebers, die Zwangsbehandlung im
Lichte der Verhältnismäßigkeit zu regeln. Es ist auch
festzustellen, dass die Zwangsbehandlung nur das
letzte Mittel darstellen darf; eine weniger in Grundrechte eingreifende Behandlung muss also aussichtslos sein.
Wie wir wissen, sind die Anforderungen an den
Grad der Bestimmtheit eines Gesetzes umso strenger,
je intensiver der Grundrechtseingriff ist. Die medizinische Behandlung eines Menschen gegen seinen natürlichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit ein. Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität und damit auch das diesbezügliche
Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen jegliche staatliche
Zwangsbehandlung. Der Betroffene wird durch eine
medizinische Zwangsbehandlung genötigt, eine Maßnahme zu dulden, die den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt.
Ein von anderen Menschen gezielt vorgenommener
Eingriff in die körperliche Integrität wird als umso bedrohlicher erlebt werden, je mehr der Betroffene sich
dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert
sieht. Insofern besteht aus der Sicht des Betroffenen
auch ein erheblicher Unterschied, ob es sich um den
Einsatz von Heilmitteln der Allgemeinmedizin, beispielsweise ein Mittel gegen eine Zuckererkrankung,
handelt oder um den Einsatz von Psychopharmaka
bzw. Neuroleptika. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen Willen des Patienten einen
besonders schweren Grundrechtseingriff auch im Hinblick auf die Wirkungen der Medikamente dar. Dies
gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende
Möglichkeit schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen.
Weiter stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung aus dem Jahr 2011 fest: „Psychopharmaka sind auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher, auch unabhängig
davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt
wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlichkeit.“
Andererseits gehört zum Wohl des Betreuten auch
die Erhaltung seiner Gesundheit. Wenn der Betreute
aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht erkennen kann, welche Behandlung wichtig für ihn ist, dann
muss der Betreuer die Möglichkeit haben, rechtsstaatlich gültig seine Einwilligung in ärztlich gebotene
Maßnahmen zu geben. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention verbietet ärztliche Maßnahmen nicht
bei vorhandener krankheitsbedingter Unfähigkeit, sich
selbst zu bestimmen. Hier gilt es daher, sämtliche Interessen, Pflichten und Rechte sorgfältig gegeneinander
abzuwägen.
Bei der nun zu treffenden Neuregelung sind aufgrund der großen Grundrechtsrelevanz besonders
strenge Anforderungen im Hinblick auf die Einhaltung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten:
Das Behandlungsziel muss selbstverständlich Erfolg versprechen. Die Dauer des Eingriffs ist zu begrenzen. Die Zwangsmedikation darf nicht fortgeführt
werden, um die Betreuung des Patienten zu erleichtern. Und selbstverständlich darf die Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel eingesetzt werden, zu dem
keine Alternative gegeben ist. Zusätzlich muss, notfalls
auch aufwendig, zunächst versucht werden, den Betroffenen selbst zu überzeugen. Auch die Auswahl der
konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und
Dauer - einschließlich der Auswahl und Dosierung
einzusetzender Medikamente und begleitender KonZu Protokoll gegebene Reden
trollen - ist zu bestimmen. Und die Zwangsbehandlung
darf schließlich nicht außer Verhältnis zu dem erhofften Nutzen stehen.
Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums
greift viele Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofes auf. Und mit der Einfügung weiterer Änderungsvorschläge könnte das Recht
der Betroffenen noch weiter gestärkt werden. Wichtig
ist uns vor allem, dass eine externe Begutachtung des
Betroffenen erfolgt und dass eine Regelung zur fachärztlichen Qualifikation des Sachverständigen getroffen wird.
Besonders wichtig ist uns jedoch, dass die Rechte
der Betroffenen, auch bei der Erstellung des Gesetzes,
ausreichend berücksichtigt werden. Ich erinnere an
dieser Stelle ausdrücklich noch einmal an die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie legt besonderen Wert
auf Teilhabe und Einbeziehung der Betroffenen in anstehende Entscheidungen. Es ist daher ganz wichtig,
dass die Betroffenen selbst vor dem Erlass des Gesetzes gehört werden.
Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass diese zwar
in ihrem Umfang eher kleine, aber für die Betroffenen
mit großen Auswirkungen verbundene Regelung nicht,
wie ursprünglich vorgesehen, als „Omnibusgesetz“
zustande kommen soll, sondern den ganz normalen
Gang des Gesetzgebungsverfahrens gehen wird. Hier
sollen die Experten und auch die Betroffenen in den
Gesetzgebungsprozess mit einbezogen werden, damit
wir mit einer breiten Mehrheit zu einer guten gesetzgeberischen Lösung finden.
Unsere Verfassung garantiert jedem Bürger ein
Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dies ergibt sich
aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Nun gibt es
auch Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung
nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbstständig zu besorgen. Für sie kann nach den Vorschriften des BGB ({0}) ein Betreuer bestellt werden.
Aber selbst wenn ein Mensch unter Betreuung lebt,
ist sein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht eingeschränkt. Dies spiegelt sich in den Grundsätzen des
Betreuungsrechts wider. Danach muss der Betreuer die
Angelegenheiten des Betreuten so besorgen, wie es
dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und
Vorstellungen zu gestalten ({1}).
Art. 2 Abs. 2 GG garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Daraus ergibt sich für den Staat
eine Schutzpflicht gegenüber demjenigen, der nicht in
der Lage ist, sich selbst vor körperlichen Schäden zu
schützen. Dies gilt nicht für Menschen, die sich freiwillig dazu entschließen, auf medizinische Maßnahmen zu
verzichten, obwohl diese medizinisch indiziert wären.
Auch dies ist Ausdruck des freien Willens.
Problematisch wird es dort, wo das Krankheitsbild
der Betroffenen dafür sorgt, dass sie die Notwendigkeit
medizinischer Behandlungen nicht erkennen oder aber
nicht in der Lage sind, entsprechend einer solchen Erkenntnis zu handeln. Hier muss es einen Rechtsrahmen
geben, mit dem der Staat seinem Schutzauftrag gegenüber dem Einzelnen gerecht werden kann. Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen des
Betroffenen stellt einen Eingriff in seine Rechte dar,
folglich bedarf es hierfür einer Rechtsgrundlage.
Diese wurde bis zum 20. Juni 2012 in § 1906 BGB gesehen. Dann hat jedoch der BGH seine bisherige ständige Rechtsprechung geändert und entschieden, dass
§ 1906 BGB nicht mehr als Rechtsgrundlage ausreiche
({2}). Durch diese
Norm sei lediglich die Einwilligung des Betreuers in
die Unterbringung eines Betreuten, nicht aber in
Zwangsmaßnahmen gedeckt.
Die neue Rechtsprechung des BGH hat zur Folge,
dass Betreute zwar untergebracht, aber nicht mehr gegen ihren natürlichen Willen medizinisch behandelt
werden können. Sie dürfen aber festgehalten und müssen dann fixiert werden.
An dem nun eingeleiteten Verfahren wird oft die vermeintlich unnötige Eile kritisiert. Dabei muss man sich
jedoch vor Augen halten, dass es jeden Tag mehr Fälle
werden, in denen Menschen nicht mehr medizinisch
behandelt, sondern nur noch verwahrt werden können.
Dies ist sowohl für die Betroffenen selber als auch für
deren Angehörige ein unhaltbarer Zustand. Es ist nur
sehr schwer zu ertragen, wenn ein Angehöriger erkennbar medizinischer Hilfe bedarf, er diese aber
nicht erhalten kann, weil dafür eine gesetzliche Grundlage fehlt. Auch für die Ärzte und Pfleger in den Einrichtungen bedeutet die aktuelle Situation eine erhebliche Belastung. Es gibt sogar schon Fälle, in denen
Pflegekräfte entsprechender Einrichtungen um Versetzung auf andere Stationen gebeten haben, weil sie sich
der beschriebenen Situation physisch und psychisch
nicht mehr gewachsen sehen.
Der enge Zeitplan für die erforderlichen Änderungen hat einen ganz konkreten Hintergrund: Nur mit
ihm ist es möglich, den Bundesrat noch in diesem Jahr
einzubinden. Würden die Beratungen länger dauern,
könnte das neue Gesetz frühestens im März 2013 in
Kraft treten. Dies bedeutete aber weitere zwei Monate,
in denen den Menschen nicht angemessen geholfen
werden könnte. Eine beschleunigte Befassung bedeutet
auch nicht, dass diese weniger intensiv ausfällt. Das
Bundesministerium der Justiz und der Deutsche Bundestag haben Gespräche mit Experten und Betroffenen
geführt, die Berichterstatter der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen stehen im engen Austausch
miteinander. Zum Wohle aller bedürfen wir vor diesem
Hintergrund zügig einer gesetzlichen Regelung.
An dieser Stelle setzt unser Gesetzentwurf an. Der
neue § 1906 BGB schafft eine Grundlage dafür, dass
der Betreuer unter sehr engen Voraussetzungen in
ärztliche Maßnahmen einwilligen kann, auch wenn
Zu Protokoll gegebene Reden
diese dem natürlichen Willen des Betreuten widersprechen. Dabei handelt es sich um folgende Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen:
Erstens. Der Betreute kann aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen oder seelischen
Behinderung die Notwendigkeit der medizinischen
Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln.
Zweitens. Die ärztliche Zwangsmaßnahme ist im
Rahmen der Unterbringung zum Wohle des Betreuten
erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden.
Drittens. Der erhebliche gesundheitliche Schaden
darf nicht durch eine andere zumutbare gesundheitliche Maßnahme abgewendet werden können, und
Viertens. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen
Zwangsmaßnahme muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen.
Nur wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind,
darf der Betreuer in die Maßnahme einwilligen. Dadurch wird deutlich, dass die Maßnahme nur dann gegen den natürlichen Willen des Betreuten vorgenommen werden kann, wenn dies erforderlich ist, um dem
Schutzauftrag des Staates gegenüber dem Einzelnen
gerecht werden zu können. Die im Zuge der Debatte
um dieses Gesetzgebungsverfahren geäußerte Kritik,
es solle über die Köpfe der Betroffenen hinweg in womöglich auch noch grundlose Maßnahmen eingewilligt werden, geht also fehl. Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf legt größten Wert darauf, dass dem Willen des
Betreuten, soweit es möglich ist, Folge geleistet wird.
So muss der Betreuer den Betreuten informieren und
versuchen, eine auf Vertrauen basierende Einwilligung
herbeizuführen, bevor er eine Zwangsmaßnahme nach
§ 1906 BGB durchführen lässt. Der Betreuer muss den
Betreuten dabei auf eine Art und Weise informieren,
die den Fähigkeiten des Betreuten gerecht wird. Zudem
bedürfen medizinische Maßnahmen nach § 1906 BGB
immer einer Genehmigung durch ein Gericht.
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom
Juni 2012 nicht entschieden, dass medizinische Maßnahmen gegen den Willen des Betreuten per se ausgeschlossen seien. Er hat lediglich festgestellt, dass es
hierfür an einer Rechtsgrundlage mangelt, die den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht
wird. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 23. März 2011 ({3}) entschieden, dass eine medizinische Maßnahme gegen
den Willen einer im Maßregelvollzug untergebrachten
Person gerechtfertigt sein kann. Hierfür bedürfe es
aber klarer gesetzlicher Grundlagen.
Diese schaffen wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Sie berücksichtigen die Belange der Betroffenen und erlauben es der Praxis, die notwendigen
Maßnahmen vorzunehmen, um Schaden von den Betreuten abzuwenden. Ich bitte Sie daher, den Gesetzentwurf zu unterstützen.
Uns liegt ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht vor.
Dass wir diesen Entwurf nicht in einer normalen Sitzungswoche im Plenum debattieren, sondern in einer
Haushaltswoche zu Protokoll geben, ist nur ein Aspekt
in diesem parlamentarischen Verfahren, der zeigt, wie
wenig Interesse die Koalition an den Betroffenen hat,
für die sie diesen Antrag angeblich schreibt, und wie
wenig sie das Parlament achtet.
Zunächst sollte dieser Gesetzentwurf an ein laufendes Gesetzesverfahren als Änderungsantrag angehängt werden, damit dieses Thema noch weniger im
Parlament und Plenum diskutiert werden kann. Dieser
Änderungsantrag erreichte die Mitglieder des Rechtsausschusses als Anhang an eine E-Mail, ohne dass in
dem E-Mail-Text etwas davon erwähnt war. Er sollte
ohne Anhörung und ohne Einführung ins Parlament
als völlig sachfremder Anhang des Entwurfs „eines
Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale
Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur
Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts“, eventuell gar
ohne Debatte Ende November verabschiedet werden.
Gegen dieses Verfahren wehrt sich meine Fraktion heftig.
Nun hat die Koalition einen gesonderten Gesetzentwurf vorgelegt, um wenigstens formal die Beteiligung
des Parlamentes herzustellen. Im Endeffekt wird hier
aber nur hau ruck durch ruck zuck ersetzt. Die Beteiligung des Parlamentes bleibt ebenso wie die Beteiligung der Betroffenen und Fachverbände eine Farce,
wenn ein Gesetz am 22. November zu Protokoll eingebracht wird und bereits am 29. November verabschiedet werden soll. Ich habe bei der Parlamentsdokumentation nachgefragt. In den letzten drei Wahlperioden
hat es genau zwei Gesetzesinitiativen gegeben, die
schneller durch das Parlament gepeitscht wurden: erstens das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes, zweitens
das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum
Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion
erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik. Deren höchst fragliche Geschwindigkeit wurde
mit einem Systemzusammenbruch begründet.
Eine solche Geschwindigkeit ist in diesem Fall aber
schon mit nichts zu begründen. Seit den Urteilen des
Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts ist Zeit ins Land gegangen, ohne dass der Notstand ausgebrochen ist. Im Gegenteil. In einem Brief
an den Bundestag teilt der Chefarzt der Kliniken des
Landkreises Heidenheim mit, dass sich „durch die aktuelle Situation, nach der es in Baden-Württemberg
keine rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung
mehr gibt, in der Behandlung neue Möglichkeiten zur
vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten
und Behandlungsteam ergeben“. Also die mangelnde
Zu Protokoll gegebene Reden
rechtliche Grundlage hat zur vertrauensvolleren Zusammenarbeit geführt, und er möchte „deshalb nahelegen, zu prüfen, ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage
zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann“. Ähnliche Aussagen finden sich auch in der Stellungnahme von Professor Dr.
Lipp der Universität Göttingen. Also von Eilbedarf
kann gar nicht die Rede sein. Man muss hier das Gefühl bekommen, dieses Thema soll unter der Decke gehalten werden. Vermutlich muss sich die Koalition
etwas anderes einfallen lassen, weil derzeit keine Fußballeuropameisterschaft stattfindet, bei der Deutschland gegen Italien spielt.
Wir diskutieren zu Recht über Organspende und
Transplantation, Beschneidungen von Jungen, über
den Maßregelvollzug oder über PID ausgiebig im Parlament, weil es um ethische Fragen geht, weil es um
grundlegende Rechte, wie die körperliche Unversehrtheit oder Freiheitsrechte, geht. Das betrifft genauso
die Zwangsbehandlung, aber dieses Thema soll in einem Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht
werden. Psychisch kranke Menschen, die sich gegen
Zwangsmaßnahmen wehren, die einen gleichwertigen
Anspruch auf die Wahrung ihrer Grundrechte haben,
werden so zu Menschen zweiter Klasse.
Die Linke hat eine Kleine Anfrage zu Zwangsbehandlungen und Zwangseinweisungen gestellt, mit erschreckenden Ergebnissen. In Bayern wurden 2011
nach dem hier diskutierten Betreuungsrecht elfmal
mehr Menschen zwangseingewiesen als in Thüringen.
Im Westen Deutschlands wurden zweieinhalbmal so
häufig Menschen zwangseingewiesen wie im Osten. Zu
Zwangsbehandlungen und ihrem Nutzen liegen der
Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, aber es gibt
keinen Grund, anzunehmen, dass hier die Abweichungen zwischen den Bundesländern geringer sind. Wir
müssen davon ausgehen, dass ein großer Teil von Patientinnen und Patienten, die in einem Bundesland
zwangsbehandelt wurden, dies in anderen Teilen
Deutschlands erspart geblieben wäre. Wenn wir gesundheitliche Unterschiede als Ursache dieser Unterschiede ausschließen, weil es für mich keinen Grund
gibt, dass in Westdeutschland mehr als doppelt so viele
Menschen psychisch krank sein sollen als im Osten,
müssen andere Gründe eine Rolle spielen. Das ist intensiv zu hinterfragen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an den Soziologen Michel Foucault erinnern, der Verrücktheit, Psychose, und psychische Normalität nicht als objektive
Diagnosen, sondern als subjektive Urteile ansieht.
Laut Foucault dient die Abgrenzung zwischen Normalität und Verrücktheit auch zur gesellschaftlichen Kontrolle. Die klinische Psychiatrie könne so als normstiftende Machtinstanz dienen.
Wir dürfen massive Einschränkungen der Freiheitsrechte, der Selbstbestimmung nicht auf offensichtlich
unsichere Kriterien und mangelnde Belege der Wirksamkeit der Behandlungen stützen und so anderen Motiven die Tür öffnen. Das ist genau die Debatte, die
geführt werden muss, mit Betroffenen, mit Fachverbänden und in der Öffentlichkeit. Wir dürfen auch
nicht vergessen, dass Deutschland wegen der Geschichte der Psychiatrie in der NS-Zeit eine besondere
Verantwortung trägt und mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Dieses Gesetzesverfahren wird dem in keiner Weise gerecht.
Der Bundesgerichtshof hat bereits im Juni 2012
festgestellt, dass es für die ärztliche Behandlung von
Menschen, die unter Betreuung stehen und selbst in die
Behandlung nicht einwilligen können, keine gesetzliche Grundlage gibt. Hierauf hat die Bundesregierung
erst verspätet reagiert. Dies führte nun zu einem
verkürzten parlamentarischen Verfahren, um eine längere Phase der Rechtsunsicherheit für die Praxis zu
vermeiden.
Wir sind froh, dass wir auf unseren Druck hin nun
doch noch dieses Gesetz hier im Parlament eigenständig diskutieren können. Es war absolut nicht angemessen, einen so schweren Grundrechtseingriff versteckt
in einem vollständig anderen Gesetz durch das Parlament zu peitschen.
Eine Zwangsbehandlung darf nur letztes Mittel
sein, um Schaden abzuwenden. Die höchstrichterlichen Urteile haben letztlich auch darauf reagiert, dass
im psychiatrischen Alltag der Willen eines Patienten
zu oft übergangen wird, obwohl es auch mildere Mittel
gegeben hätte. Die höchstrichterliche Rechtsprechung
hat ausdrücklich betont, dass ein solch schwerer Eingriff in Grundrechte nur erfolgen darf, wenn weniger
eingreifende Maßnahmen aussichtslos sind. Außerdem
muss der behandelnde Arzt versuchen, die auf
Vertrauen und Einsicht gegründete Zustimmung des
Patienten zu erreichen. Genau hieran mangelt es im
psychiatrischen Alltag häufig. In den Einrichtungen
fehlen oft das Konzept, die Zeit oder schlicht das
Personal, mit der Folge einer zwangsweisen Medikation. Wir stehen deshalb in der Pflicht, zu erwirken,
dass auf Zwangsbehandlungen so weit wie möglich
verzichtet wird.
Dennoch haben wir es mit einem Dilemma zu tun.
Vollständig werden wir auf eine Zwangsbehandlung
nicht verzichten können, als Ultima Ratio ist sie in
manchen medizinischen und psychiatrischen Konstellationen zum Schutz eines Patienten nicht zu vermeiden.
Minister Bahr muss dafür sorgen, dass die Patientenautonomie und Patientenorientierung in psychiatrischen Krankenhäusern strukturell, finanziell und
personell gestärkt wird. Dazu zählen bei Bedarf
zusätzliche Sitzwachen und Rückzugsräume in einer
reizarmen Umgebung, die sich auch in dem Entgeltsystem niederschlagen müssen. Wichtig sind Nachsorgeangebote unter Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker, die darauf
Zu Protokoll gegebene Reden
ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychischen
Krise frühzeitig zu erkennen.
Ergänzend brauchen wir dringend einen Ausbau
von neuen Formen der akuten Krisenhilfe, um Patienten, die eine medikamentös gestützte Behandlung
ablehnen, Alternativen bieten zu können. Umso kurzsichtiger ist die Rechtsverordnung für das neue Psychiatrie-Entgeltsystem, denn dieses entzieht die für die
Schwerstkranken notwendigen Mittel.
Im Rahmen des Patientenrechtegesetzes setzen wir
uns für eine gesetzliche Verankerung der Behandlungsvereinbarungen ein. Damit sollen die Krankenhäuser verpflichtet werden, ihren Patientinnen und
Patienten mit wiederkehrenden Krankheitsepisoden
eine Behandlungsvereinbarung anzubieten, in der die
Patienten für die Zeiten der Einwilligungsunfähigkeit
Art und Umfang der Behandlungsmaßnahme mit dem
Behandelnden festlegen können.
Wir erwarten noch Nachbesserungen in den angesprochenen Bereichen. Das schnelle Verfahren zur
Beratung dieses wichtigen Gesetzentwurfs zum sensiblen Thema der Zwangsbehandlung erhöht unserer
Meinung nach zudem die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Auswirkungen der jetzigen Regelungen genau zu beobachten und gegebenenfalls schnell auf
Fehlentwicklungen zu reagieren.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11513 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 23. November 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
freundlichen Abend.