Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen
Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2012.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister des Auswärtigen, Herr Michael
Georg Link. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den 30. Jahresabrüstungsbericht
der Bundesregierung verabschiedet. Er ist Ihnen heute
Morgen sofort nach der Kabinettssitzung zugegangen.
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung
sind vorrangige Handlungsfelder deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik. Die Bundesregierung ist dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt verpflichtet. Sie setzt sich
für mehr Sicherheit und Stabilität durch weniger Waffen
und höhere Transparenz und die Verhinderung von Proliferation ein.
Die Erfolge im Berichtszeitraum können sich sehen
lassen. Trotzdem wären wir in manchen Bereichen gerne
noch wesentlich weiter gegangen. Abrüstungspolitik ist
aber das Bohren dicker Bretter. Viele Entscheidungen
können und wollen wir nur im Konsens mit unseren
Partnern treffen.
Ein wichtiges Schlüsseldatum im aktuellen Berichtszeitraum war der NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012.
Durch den erfolgreichen Abschluss der Überprüfung des
NATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs
beim NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 wurde das
Profil der Allianz auch in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen deutlich gestärkt. Jetzt gilt es, den Dialog
mit Russland zu substrategischen Nuklearwaffen voranzubringen. Damit können wir künftige Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland unterstützen
und weiter auf die Reduzierung der in Europa stationierten Waffen hinarbeiten.
Zu einem anderen wichtigen Feld des Jahresabrüstungsberichts: konventionelle Rüstungskontrolle. Die Bundesregierung ist für Fortschritte bei der konventionellen
Rüstungskontrolle in Europa als ein zentrales und unverzichtbares Element kooperativer europäischer Sicherheitsarchitektur eingetreten. Eines ist klar: Mehr Sicherheit und Stabilität in Europa kann es nur mit und nicht
gegen Russland geben. Deshalb setzt sich die Bundesregierung auch bei der Raketenabwehr konsequent für eine
kooperative Lösung und den Dialog mit Russland ein.
Die Proliferationsfälle Iran und Nordkorea - ein weiterer wichtiger Teil des Berichts - erfüllen uns weiterhin
mit großer Sorge. Bei der laufenden Verhandlungsrunde
mit Iran in Almaty - heute Nacht bzw. gestern wurde
weiter verhandelt - haben die E 3 plus 3 ein Angebot unterbreitet, von dem wir uns den Einstieg in substanzielle
Verhandlungen erhoffen.
Um Proliferationsrisiken tatsächlich und effizient eindämmen zu können, müssen wir den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag stärken. Dies tun wir mit unseren
Partnern der Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative, NPDI, vor allem mit Blick auf eine reduzierte Rolle
von Nuklearwaffen. Gerade hier zählen wir auf die enge
Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Die Bundesregierung hat - um zu einem weiteren Bereich zu kommen - in Libyen und dessen Nachbarstaaten
erheblich zur Sicherung und Vernichtung von Waffen
beigetragen. Damit hat sie einen wichtigen Beitrag zur
Konfliktprävention und Postkonfliktbewältigung in der
Gesamtregion, die weiterhin sehr volatil bleibt, geleistet.
Kolleginnen und Kollegen, auf dem Weg zu einer
atomwaffenfreien und sicheren Welt liegen noch große
Herausforderungen vor uns. Die Bundesregierung zählt
bei den erwähnten Themen - ich darf persönlich hinzufügen, dass ich froh bin, dass wir hier über die Fraktionsgrenzen hinweg viele dieser Themen durch die Bank teilen - weiterhin auf die Unterstützung des Bundestages.
Für das Auswärtige Amt, das die Erstellung dieses Be27828
richts koordiniert hat, danke ich allen im Vorfeld beteiligten Häusern. - Herr Präsident, damit schließe ich.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. - Damit ist
Gelegenheit zur Nachfrage. Ich beginne mit Rolf
Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch ich möchte mich
für den Bericht bedanken und insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihn erstellt haben,
Dank sagen. Der Bundestag und der entsprechende Unterausschuss, glaube ich, standen da der Bundesregierung auch zur Seite.
Ich würde Ihnen gerne eine grundsätzliche Frage stellen, Herr Staatsminister. Wir alle wissen, dass Abrüstung
und Rüstungskontrolle wichtig sind, aber ich denke,
dazu gehört ein weiterer Aspekt, nämlich die Frage der
Rüstungsexporte. Ich würde Sie gerne fragen: Was ist
denn dieser Bericht aus Ihrer Sicht wert, wenn man sich
anschaut, dass die Bundesregierung umfangreichen Rüstungsexporten an den Persischen Golf zustimmt? - Der
Verteidigungsminister hat ja am Wochenende noch einmal erklärt, die Rüstungslieferungen an den Persischen
Golf, die solch ein großes Ausmaß angenommen haben,
erfolgten wegen der Bedrohung durch den Iran. Wie
kann denn die Bundesregierung hier wirklich glaubhaft
versichern, dass sie nachdrücklich für Abrüstung und
Rüstungskontrolle eintritt, wenn sie auf der anderen
Seite mit dafür sorgt, dass so viele Waffen in solche
Spannungsgebiete kommen?
Bitte schön.
Danke. - Herr Kollege Mützenich, zum gesamten
Thema der Export- bzw. Ausfuhrkontrolle, auch im Hinblick auf diesen Bereich, kann ich selbstverständlich
nicht allein für mich sprechen; denn die Federführung
liegt hier beim BMWi. Aber ich möchte voranstellen: Im
Hinblick auf eine verantwortungsvolle Politik der Rüstungsexportkontrolle sind für uns, die Bundesregierung
insgesamt, zentrale Ausgangspunkte die „Politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ und - das
ist wichtig, weil wir hier nicht allein handeln - der Gemeinsame Standpunkt des Rats der EU betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie. Anhand einer Gesamtabwägung - das
ist festzuhalten - muss in jedem Fall einzeln entschieden
werden.
Die Region, von der Sie berichtet haben, wird sehr
summarisch betrachtet, auch in der Berichterstattung. Insofern darf man schon darauf hinweisen, dass die Details
von Land zu Land und von Fall zu Fall durchaus verschieden sind.
Das federführende BMWi prüft derzeit in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und anderen beteiligten
Ressorts, wie dem berechtigten Wunsch des Bundestages nach mehr Transparenz und zeitnäherer Unterrichtung entsprochen werden kann.
Herzlichen Dank. - Kollege van Aken.
Vielen Dank. - Herr Link, erst einmal möchte ich sagen: Ich finde, Sie beweisen Mut, dass Sie hier diesen
Abrüstungsbericht vorstellen. Denn Sie stehen für eine
Bundesregierung, in deren Regierungszeit der ganze Etat
für Abrüstungspolitik derart zusammengestrichen worden ist wie eigentlich bei keiner Regierung vorher. Sie
geben in diesem Jahr viel weniger für Abrüstungspolitik
aus als noch vor vier Jahren. Nur eine Zahl vorweg: Wissen Sie eigentlich, dass der Betrag, den Sie für Hermesbürgschaften zur Absicherung von Rüstungsexporten bereitstellen, hundertmal höher ist als der Betrag, den Sie
für die Abrüstungspolitik ausgeben? Aber gut, das nur
einmal vorhergeschickt.
Ich versuche gerade, eine Art Nettobilanz der Aufund Abrüstung zu erstellen. Wir wissen, wie viele Waffenexporte Sie genehmigen. Mich würde interessieren:
Wie viel haben Sie konkret abgerüstet? - Sie haben gerade explizit Libyen erwähnt und gesagt, dass dort Waffen vernichtet werden. Ich selbst kenne das Beispiel aus
dem Südsudan, wo es auch ein solches Abrüstungsprojekt gibt. Ich habe mit den Abrüstern dort im Südsudan
gesprochen. Sie haben mir gesagt: Vernichtet haben wir
keine einzige Waffe; wir haben sie umgeschichtet, weg
von den Milizen und hin zur regulären Armee. - Deswegen jetzt die Frage: Wie viele Waffen wurden in Libyen
konkret eingesammelt und vernichtet, das heißt abgerüstet?
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Frage
kommen.
Ich komme zum Schluss. - Das war jetzt die konkrete
Frage. Ich möchte nämlich die Zahl der abgerüsteten
Waffen mit der Zahl der exportierten Waffen vergleichen. Dann können wir einmal sehen, ob Sie netto aboder aufgerüstet haben.
Herr Staatsminister.
Herr Kollege van Aken, ich habe nicht Mut, den Bericht vorzustellen; ich habe das Glück, den Bericht vorzustellen. Denn darin ist ein ganzes Jahr Arbeit der Bundesregierung aus den verschiedenen Ressorts eingeflossen.
Ich antworte sehr gerne auf Ihre Frage zum Beitrag
zur Abrüstung und Rüstungskontrolle in Libyen. Ich
habe es schon andeutungsweise erwähnt. Der Bericht ist
in diesem Bereich aber sehr viel ausführlicher; ich empfehle Ihnen wirklich die ausführliche Lektüre. Die BunStaatsminister Michael Link
desregierung verfolgt einen umfassenden Ansatz bei der
Sicherung und Vernichtung von Waffen und Munition.
Damit leisten wir konkret vor Ort einen ganz entscheidenden Beitrag in einem Bereich, in dem eine enorme
Zahl von vagabundierenden Minen und einzelnen Waffen vorzufinden ist, bei denen, wenn wir nicht an der
Vernichtung beteiligt wären, weit über das Land hinaus
die Gefahr bestünde, dass sie in den illegalen Waffenhandel gelangen.
So haben wir beispielsweise mit erheblichen Mitteln
das libysche Zentrum für Minenräumung und Waffenkontrolle mit aufgebaut. In Zusammenarbeit mit der
GIZ - auch das BMZ ist hier intensiv beteiligt - und der
EU tragen wir in den nächsten Jahren - das ist eine langfristige Aufgabe - zur Verbesserung der Lagerhaltung
von Waffen und Munitionen bei. Die Bundesregierung
ermöglichte drei Lufttransporte - konkret: von Inspektionsteams der OVCW zu den Lagern chemischer
Kampfstoffe - und lieferte in größerem Umfang Ausrüstungsgegenstände zur Sicherung dieser Kampfstoffe.
Danke schön. - Rainer Stinner ist der Nächste.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie hatten das Thema „amerikanische Abrüstungsinitiativen“ schon kurz in einem Satz einleitend erwähnt. Amerika hat jetzt eine neue Administration. Außenminister
Kerry war gestern erstmals hier in Berlin. Deshalb meine
Frage an Sie und damit an die Bundesregierung: Gibt es
konkrete Hinweise, dass die amerikanische Regierung
mit den Russen weitere Abrüstungsinitiativen in Angriff
nehmen will? Welche Möglichkeiten, welche Erfolgswahrscheinlichkeiten sehen Sie in diesem Bereich? Was
kann die Bundesregierung tun, um diesen - wenn das
denn stattfindet - wichtigen Schritt zu unterstützen?
Herr Kollege Stinner, der gestrige Besuch von Außenminister Kerry war dabei in der Tat ein wichtiger Meilenstein. Die Gespräche mit der Bundesregierung haben
stattgefunden, ebenfalls gestern hier in Berlin die bilateralen Gespräche von Außenminister Kerry mit seinem
russischen Kollegen Lawrow.
Wir werben gegenüber Moskau darum - auch
Washington hat gestern in den Gesprächen sehr klare Signale ausgesendet -, dass weitere Abrüstungsschritte
vorgenommen werden. Dafür brauchen wir insbesondere
einen Nachfolgeprozess zu New START zwischen den
USA und Russland. Das ist aus unserer Sicht unerlässlich. Wir setzen uns dafür ein, dass der Umgang mit substrategischen Nuklearwaffen, für die es bislang eben
kein Abrüstungsregime gibt, in die Gespräche zur weiteren Reduzierung von Nuklearwaffen einbezogen wird.
Hier sehen wir Chancen.
Schließlich: Das auf dem NATO-Gipfel im Mai 2012
beschlossene Dialogangebot an Russland zu Maßnahmen für mehr Transparenz im Bereich „substrategische
Nuklearwaffen“ könnte konkrete Abrüstungsschritte
zwischen den USA und Russland künftig unterstützen
und flankieren. Wir sehen hier durchaus positive Bewegung.
Kollegin Brugger ist die Nächste.
Vielen Dank für den Bericht. Er ist in seiner Rhetorik
sehr schön, aber es stellt sich die Frage nach der Substanz, und die ist an einigen Stellen nicht zufriedenstellend.
Ich würde gerne das Stichwort „substrategische Atomwaffen“ aufgreifen. Obama hat ja in seiner Rede zur Lage
der Nation weitere Schritte zur Abrüstung angekündigt.
Außenminister Westerwelle hat dies unterstützt und eingefordert. Mich würde interessieren, welche Initiativen
die Bundesregierung konkret plant, um gerade beim
Thema „substrategische Atomwaffen“ voranzukommen,
natürlich auch vor dem Hintergrund, dass im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt wurde, dass die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden
sollen. Allerdings beobachten wir gerade weniger ihren
Abzug, sondern ihre Modernisierung; und damit steht
auch ihr Verbleib an.
Danke, Frau Kollegin. - Zu den substrategischen Nuklearwaffen: Wir setzen uns natürlich - ich habe es erwähnt - für den Abzug dieser nichtstrategischen Atomwaffen aus Deutschland ein. Das können und wollen wir
aber nicht im Alleingang oder bilateral mit den USA machen. Vielmehr kann das - das haben wir immer klar gesagt, und das bringen wir auch noch einmal in dem heute
vorgelegten Bericht sehr deutlich zum Ausdruck - nur
im Einklang mit unseren Verbündeten in der NATO geschehen. Wir können und wollen das nicht im Alleingang machen. In der NATO besteht aber momentan
- ganz deutlich gesagt - kein Konsens über einen Abzug. Für einige Partner spielen die substrategischen Nuklearwaffen noch immer eine wichtige Rolle als Rückversicherung gegenüber Russland.
Dennoch sind wir beim schon mehrfach erwähnten
Gipfel in Chicago einen entscheidenden Schritt weitergekommen, nämlich durch das dort beschlossene Dialogangebot zu Maßnahmen für mehr Transparenz. Genau
bei diesem Waffentypus, den substrategischen Nuklearwaffen, ist die NATO jetzt in der Lage, die nächsten
Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland tatsächlich zu flankieren. Aber wie gesagt: In diesem Bereich besteht noch kein Konsens.
Nächste Fragestellerin ist Uta Zapf.
Herzlichen Dank für den Bericht. Ich knüpfe zunächst
einmal an die Fragen an, die schon zu den substrategischen Waffen gestellt worden sind: Wie will die Bundesregierung, der ja daran gelegen ist, diese Waffen zu
entfernen, in die Diskussion über die Modernisierung
der Waffen eingreifen? Wenn diese Waffen tatsächlich
modernisiert werden, muss die Bundesregierung - dazu
hat sie sich per Unterschrift verpflichtet - ja die Trägersysteme, also den Tornado, funktionsfähig halten. Das
würde teuer.
Zweite Frage: Ist der Ausschuss, der bei der NATO
zum Thema Abrüstung eingerichtet wurde, jetzt arbeitsfähig? Welches Mandat hat er, und wie ist er besetzt?
Meine dritte Frage lautet: Wie geht es mit der Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im
Nahen Osten, die bisher nicht stattgefunden hat, weiter?
Was ist der Grund dafür, dass sie bisher nicht stattgefunden hat, und was wird unternommen, damit die Konferenz möglichst bald stattfinden kann?
Ein letzter Punkt, den ich anmerken möchte: Sie waren so freundlich, den Bundestag zu loben.
Frau Kollegin, die Zeit ist um.
Ich sage es nur.
Eine Minute ist um. - Herr Staatsminister.
Danke, Herr Präsident. - Ich möchte mit Ihrem letzten Punkt beginnen. Die Ankündigung der Arabischen
Liga, die Vorbereitungssitzungen für die Abrüstungskonferenz zu boykottieren, war absolut nicht hilfreich, die
Verschiebung der Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten selbstverständlich auch nicht. Wir unterstützen deshalb den finnischen
Konferenzvermittler, Herrn Laajava. Wir stehen mit ihm
im engstmöglichen Kontakt und suchen nach Möglichkeiten, diese Konferenz schnellstmöglich tatsächlich
doch noch stattfinden zu lassen.
Was die von Ihnen erwähnte Modernisierung der substrategischen Nuklearwaffen und in diesem Zusammenhang der Tornados angeht, möchte ich ausdrücklich auf
Folgendes hinweisen: Es handelt sich hierbei nicht um
eine Modernisierung, sondern es handelt sich um ein
Programm zur Verlängerung der Nutzungsdauer der
existierenden Systeme. Wir reden hier über Systeme und
Waffen, die aus den 1960er-Jahren stammen. Es geht
nicht um Modernisierung. Es geht technisch um die Verlängerung der Lebensdauer und damit der Möglichkeit,
sie einzusetzen. Es geht nicht um eine Modernisierung
im Sinne der Schaffung eines neuen Systems, sondern
um die Verlängerung der Nutzungsdauer jener Waffenkomponenten, die technisch das Ende ihrer Lebensdauer
erreicht haben. Damit soll die Sicherheit der Waffe,
solange sie noch existiert, weiterhin auf dem höchstmöglichen technischen und sicherheitstechnischen Niveau
gewährleistet werden.
Was die Tornados angeht, sage ich Folgendes: Sie
bleiben bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein einsatzfähig. Die Frage eines neuen Trägersystems stellt sich
deshalb nicht.
Ich empfehle, immer nur eine Frage zu stellen, damit
der Herr Staatsminister die Chance hat, sie zu beantworten. Sie wissen, dass es eine strenge Eine-Minute-Regel
gibt. - Der Nächste ist Christoph Schnurr.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
ich würde gerne eine Frage zu einem anderen Themenkomplex stellen, zur Frage der Cybersecurity, der Cybersicherheit. Gibt es zu diesem Themenfeld Neues, Wichtiges zu berichten? Können Sie uns darlegen, welche
Eckpfeiler, welche Wegmarken die Bundesregierung in
diesem Bereich für die nächsten Monate anvisiert?
Danke, Herr Kollege. - Cybersecurity ist in aller
Munde. Diejenigen von Ihnen, die auf der Sicherheitskonferenz waren - das waren viele Kolleginnen und
Kollegen -, wissen, dass das mittlerweile erfreulicherweise nicht mehr nur in Fachkreisen von Politik, Wirtschaft und Sicherheit ein Thema ist, sondern auch weit
darüber hinaus. Alle Bürgerinnen und Bürger werden
sich stärker bewusst, dass sich bis hin zu Privatpersonen
alle, die sich im Cyberbereich bewegen, in einem sicherheitsrelevanten Bereich bewegen. Deshalb beteiligen wir
uns ganz aktiv an den Bemühungen, im Rahmen der VN,
aber auch unter Beteiligung der OSZE, durch internationale Regeln, praktische Transparenz und sicherheitsbildende Maßnahmen zu größerer internationaler Cybersicherheit beizutragen.
Wir sehen, dass der eine oder andere wichtige internationale Partner eine Rolle spielt, die uns veranlasst, die
nötigen kritischen Fragen zu stellen. Diese Fragen stellen wir, auch unseren großen und wichtigen Partnern
weltweit. Wir beobachten insbesondere die Zunahme
von Meldungen über möglicherweise staatlich geförderte Cyberangriffe gegen westliche Länder mit großer
Sorge. Es trifft auch zu, dass die EU-Botschafter in Peking über dieses Thema reden.
Die Nächste ist Katja Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, ich war mit der
Antwort auf die erste Frage des Kollegen Mützenich
noch nicht ganz zufrieden. Die Situation im Iran und die
Nuklearfrage treiben uns alle um. Ich frage die Bundesregierung, ob sie allen Ernstes meint, die Bereitschaft
des Iran zur Kooperation in der Nuklearfrage dadurch zu
fördern, dass sie dem primären Konfliktpartner in der
Region Kriegsschiffe, Panzer und Grenzsicherungssysteme zu Lande und zu Wasser liefert. Ich denke, in
anderen Bereichen hat sich gezeigt, dass konventionelle
Unterlegenheit meistens nicht gerade förderlich ist,
wenn es um die atomare Abrüstung geht.
Ich glaube, wir sollten hier wirklich die beiden Bereiche auseinanderhalten. Die aktuell laufenden Verhandlungen mit dem Iran im Rahmen von E 3 plus 3 - wenn
es dazu noch Fragen gibt, kann ich darauf antworten und die Frage möglichen Lieferungen von Patrouillenbooten etc. an wichtige Sicherheitspartner im Bereich
des Persischen Golfes, auf die Sie auch anspielen, sollten
wir auseinanderhalten.
({0})
Dazu möchte ich an dieser Stelle auf den Rüstungsexportbericht verweisen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Djir-Sarai.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
wir haben vorhin über das Thema Iran gesprochen. Wir
haben sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch hier
im Plenum in diesem Zusammenhang häufig über das
Thema Sanktionen gesprochen. Selbstverständlich müssen wir uns gelegentlich die Frage stellen, wie sich diese
Sanktionen vor Ort auswirken. Mich interessiert: Wie
schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der
Sanktionen ein? Sind die Sanktionen in dieser Form notwendig? Und vor allem: Wie werden sie bewertet?
Herr Kollege, die Dauerdiskussion bezüglich Sanktionen dreht sich immer um die Frage: Treffen sie die Richtigen, oder treffen sie die Falschen? - Hier sind keine
klaren Schwarz-Weiß-Antworten möglich. Wir gehen
davon aus, dass die Sanktionen, die gegen den Iran verhängt wurden, wirken, insbesondere dadurch, dass sie
mittlerweile ein umfassendes Ausmaß erreicht haben.
Wir haben bei vielen EU-Partnern, die am Anfang von
weiteren Sanktionen nicht begeistert waren, aktiv dafür
geworben. Es ist ganz wesentlich das Verdienst Deutschlands, dass die Sanktionen ausgeweitet werden konnten.
Wir sind der Ansicht, dass sie von Dauer und Ausmaß
her jetzt tatsächlich so zu wirken anfangen, dass eine iranische Verhandlungsbereitschaft entstehen könnte.
Die E-3-plus-3-Gespräche in Almaty würde ich deshalb jetzt per se weder positiv noch negativ bewerten.
Wichtig ist, dass es - das läuft bereits über die Agenturen - eine Fortsetzung geben soll. Über die Agenturen
laufen auch bereits Daten, wann es die nächsten Gespräche geben soll: am 18. März und am 5./6. April,
zunächst in Istanbul, dann in Almaty. Das können wir
bestätigen. Es gibt insofern zumindest einen Schritt in
die richtige Richtung: im Gefolge der Verhandlungsangebote, die in München ausgetauscht wurden, den
Verhandlungsfaden jetzt tatsächlich wieder aufzunehmen. Aber wohlgemerkt: Es ist noch zu früh, um konkret
etwas Positives oder Negatives zu sagen.
Kollege Wolfgang Gehrcke, bitte.
Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
wenn man seriös über den Abrüstungsbericht, der heute
auf den Tisch gekommen ist und über 200 Seiten
umfasst, debattieren will, sollte man überlegen - ich
erlaube mir diese Anregung an die Parlamentarischen
Geschäftsführer -, ob nicht eine vereinbarte Debatte der
Bedeutung des Berichts angemessen wäre.
({0})
- Die machen wir sowieso? Prima!
Ich möchte gerne nach der Glaubwürdigkeit der
Bundesregierung fragen. Die Bundesregierung wird
mehr als Aufrüstungspartei statt als Abrüstungspartei
wahrgenommen. Wäre die Bundesregierung zu folgenden drei Schritten bereit: erstens auf die Anschaffung bewaffneter Drohnen zu verzichten, zweitens sich an die
USA mit der Bitte zu wenden, die Atomwaffen aus
Deutschland abzuziehen, und drittens das Raketenabwehrsystem, das einen tiefen Bruch mit Russland
darstellt, erneut zur Disposition zu stellen? Das wäre ein
Akt der Glaubwürdigkeit. Dann könnte man gelassener
über den Bericht reden.
Herr Staatsminister.
Kollege Gehrcke hat jetzt doch fast schon die politische Debatte - eine kleine Aktuelle Stunde - eröffnet.
({0})
Kollege Gehrcke, die Fraktionen sind natürlich frei,
eine vereinbarte Debatte zu dem Bericht durchzuführen.
Der Bericht ist heute Morgen im Bundeskabinett beschlossen worden. Wir stellen ihn hier kurz im Rahmen
der normalen Regierungsbefragung vor. Ansonsten
möchte ich nur darauf hinweisen: Er lohnt wirklich die
Lektüre, gerade weil die Sprache des Berichts keine
Rhetorik ist, sondern in ihm wichtige Fakten dargelegt
werden, die in diesem Bereich im letzten Jahr erreicht
wurden. Wo Sie das Thema der Raketenabwehr im Hinblick auf Russland ansprechen, muss ich sagen: Ja, auch
über diese Frage sprechen wir intensiv mit Russland,
weil wir eine kooperative Lösung für berechtigte Sicherheitsinteressen Russlands finden wollen. Es darf hier
aber auch keine Vetoposition eines Spielers geben.
Jetzt ist Kollegin Inge Höger an der Reihe.
Herr Staatsminister, einerseits loben Sie sich in Ihrem
Jahresabrüstungsbericht besonders dafür, dass Sie sich
für das Zustandekommen eines Waffenhandelsvertrages,
ATT, eingesetzt haben. Er ist ja nun am Widerstand unter
anderem der USA, Russlands, Chinas und Ägyptens gescheitert. Andererseits tut sich die Bundesregierung
nicht gerade dadurch hervor, dass sie weniger Waffen
exportiert. Vielmehr hat die deutsche Rüstungsindustrie
laut den neuesten Zahlen gerade im letzten Jahr gute
Zuwächse verzeichnet. Wie verträgt es sich miteinander,
sich einerseits für einen international geltenden Waffenhandelsvertrag einzusetzen und es andererseits der eigenen Industrie zu ermöglichen, immer mehr Waffen in die
Welt zu exportieren?
Bitte schön.
Frau Kollegin, wir unterscheiden uns in der Tat bei
diesem Punkt. Sie betrachten grundsätzlich jeden Verkauf, jede Veräußerung einer Waffe unter dem Prisma,
dieses generell nicht zu wollen. Genau diesen Ansatz
verfolgen wir aber nicht. Es gibt sehr wohl Bereiche,
zum Beispiel im Rahmen der NATO, wo wir sagen:
Jawohl, es ist selbstverständlich absolut sinnvoll und
auch im Interesse unserer Sicherheit, dies zu tun. Dies
gilt aber auch für Verhandlungen und Vorgänge mit
anderen Partnern.
Der geplante Arms Trade Treaty, also der Kleinwaffenvertrag, ist kein Punkt, bei dem wir uns irgendwie
loben, sondern wir weisen in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass gerade Deutschland massiv in Richtung
eines solchen Vertrages gedrängt hat und dass wir in
Reichweite - ich würde sogar sagen: in Greifweite - eines tatsächlichen ATT-Vertrages sind. Dass es letztes
Jahr nicht geklappt hat, hat mit vielen Dingen zu tun,
aber wir lassen uns davon nicht entmutigen. Wir wissen,
dass die Chefunterhändlerin, Frau Kane, in diesen
Wochen in New York dabei ist - ich habe mich selbst davon überzeugt; wir haben die Gespräche vorletzte
Woche geführt -, einen neuen Anlauf zu unternehmen.
Ich sehe die realistische Chance, dass wir dieses Jahr
beim ATT tatsächlich einen Durchbruch erreichen.
Die nächste Frage geht an Rolf Mützenich.
Danke schön. - Herr Staatsminister, Sie werden mit
Sicherheit verstehen, dass Teile des Deutschen Bundestages etwas irritiert gewesen sind über die Aussage des
Verteidigungsministers, der Waffenlieferungen an Staaten im Persischen Golf mit der Bedrohung durch den
Iran begründet hat. Dass das natürlich heute eine Rolle
spielt, ist ganz offensichtlich. Ihre Antworten stellen uns
nicht zufrieden. Darüber müssen wir noch einmal an
anderer Stelle sprechen.
Ich möchte auf einen zweiten Punkt eingehen. Der
Bericht unter anderem zur Rüstungskontrolle, der uns
jetzt vorliegt, beinhaltet gerade in dem Bereich, der vom
Kollegen Gehrcke angesprochen worden ist, sozusagen
ein Nullsummenspiel. Wäre nicht die Frage der Beschaffung von Drohnen ein interessanter Punkt im Rahmen
von Abrüstung und Rüstungskontrolle? Könnte sich
Deutschland hier nicht mit einem Thema befassen, bei
dem es sozusagen auch sein Gesicht von Abrüstung und
Rüstungskontrolle wahren könnte? Ich würde Sie gerne
fragen, warum hier sozusagen eine Leerstelle im Bericht
ist.
Kollege Mützenich, grundsätzlich gilt mit Blick auf
das humanitäre Völkerrecht - Sie blicken ja auch in
diese Richtung -, dass neue Technologien, wie eben
unbemannte Systeme oder Drohnen, selbstverständlich
daraufhin überprüft werden, inwiefern wir mit ihnen die
von uns im Rahmen des humanitären Völkerrechts eigegangenen Verpflichtungen einhalten. Bei unbemannten
Systemen gilt genauso wie bei bemannten Flugzeugen
das Gebot der Beachtung des Völkerrechts im Einsatz.
Zu der Frage, ob man sich im Jahresabrüstungsbericht
damit befassen sollte, möchte ich nur noch einmal unterstreichen: International besteht derzeit kein gemeinsames Verständnis über die aus dem Wiener Dokument
oder KSE-Vertrag oder VN-Waffenregister resultierenden Verpflichtungen hinsichtlich unbemannter bewaffneter Systeme. Deutschland wird aber die sich bietenden
Gelegenheiten nutzen, um hier Abhilfe zu schaffen.
({0})
Konkret wird hierzu zum Beispiel im Bereich des VNWaffenregisters in Kürze Gelegenheit sein. Die Bundesregierung wird 2013 bei der Regierungsexpertengruppe
der Vereinten Nationen - 15 Staaten nehmen teil mitmachen. Damit haben wir die Möglichkeit, an der
Anpassung dieses wichtigen Transparenzinstrumentariums an technologische Weiterentwicklungen und technologische Neuerungen mitzuwirken. Da wird sich insbesondere die Frage der Meldepraxis bei bewaffneten
Drohnen stellen.
Die nächste Frage geht an Christoph Schnurr.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, ich würde gerne
wissen, wie es um das Ottawa-Übereinkommen zur Ächtung von Antipersonenminen steht, ob es hier weitere
Entwicklungen gibt und wie der Stand der Dinge ist.
Danke, Herr Kollege Schnurr. - Was das OttawaÜbereinkommen zur Ächtung von Antipersonenminen
angeht, hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit
Nachdruck für sein Zustandekommen, seine Umsetzung
und vor allem die Universalisierung des Übereinkommens eingesetzt; hier gibt es allerdings noch viele Lücken. Wir verfolgen unsere Ziele gerade mit unseren
engsten Verbündeten weiterhin. Für weltweite Projekte
der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung hat
die Bundesregierung seit 1992 - das nur informandi
causa - 224 Millionen Euro aufgewendet.
Die nächste Frage geht an Kollegen van Aken.
Vielen Dank. - Ich kann ja verstehen, Herr Link, dass
Sie Rüstungsexporte und Abrüstung gerne trennen wollen. Das geht nur nicht, weil jede einzelne Waffe, die Sie
aus Deutschland irgendwo hinschicken, praktisch Aufrüstung bedeutet. Das muss man natürlich bei den Zahlen zur Abrüstung gegenrechnen; denn das gehört implizit zusammen. Das sehen Sie übrigens genauso; denn in
Ihrem Jahresabrüstungsbericht erwähnen Sie den ATT,
den Waffenhandelsvertrag, und darin geht es ja um Rüstungsexporte.
Meine Frage zum ATT lautet: Ist er für Sie, für die
Bundesregierung, eigentlich primär ein humanitäres Abkommen? Das heißt, ist sein Kernzweck für Sie der
Schutz Unschuldiger? Wenn das so ist, was heißt das eigentlich für einen solchen Vertrag? Heißt das für Sie, für
die Bundesregierung, dass der ATT darauf ausgerichtet
sein muss, Korruption, den Tod von Zivilisten usw. zu
verhindern? Müsste dazu nicht auch gehören, dass im
ATT verboten wird, Überwachungssoftware zu liefern?
Müsste darin nicht zum Beispiel auch geregelt sein, dass
im Hinblick auf den Bürgerkrieg in Syrien keine Seite
mit Rüstungsgütern ausgestattet wird? Also: Was heißt
für Sie „humanitäres Abkommen“?
Der Sicherheitsaspekt in diesem Bereich geht weit
über humanitäre Fragen hinaus. Wir sind momentan immer noch dabei, mit den Partnern zu verhandeln, welche
Bereiche insgesamt vom ATT erfasst werden sollen. Die
Spezialisten sind damit vertraut, dass zum Beispiel die
Einbeziehung von Munition und ihre Weitergabe bzw.
ihr Weiterverkauf im Rahmen des ATT eine große Rolle
spielen. Es gibt eine Fülle von Bereichen, bei denen leider noch keine Übereinstimmung herrscht, ob sie hineingehören. Wir verfolgen hier einen breiten Ansatz und
denken, dass auch der Weiterverkauf von Munition davon erfasst sein sollte.
Die nächste Frage geht an Christian Ströbele.
Herr Staatsminister, es gibt ein schönes Sprichwort:
Man sollte zunächst vor der eigenen Tür kehren. Wenn
ich vor der Tür Deutschlands kehre, dann finde ich da etwas so Unappetitliches wie US-Atomwaffen. Deshalb
meine Frage - sie ist ganz konkret gemeint -: Wann hat
das letzte Gespräch stattgefunden, bzw. wann sind Sie,
der Außenminister oder die Bundeskanzlerin zum letzten
Mal bei den USA und bei der NATO vorstellig geworden, um diese Waffen loszuwerden? Wurde in diesem
Gespräch auch angesprochen, dass der Deutsche Bundestag in diesem Punkt fast einhellig - vielleicht sogar
einhellig - der Auffassung ist, dass wir die Dinger loswerden sollten, und dass in der deutschen Bevölkerung
niemand versteht, dass ein souveränes Land wie
Deutschland diese Waffen nicht loswerden kann?
Herr Kollege Ströbele, ich habe ja schon einmal gesagt: Bei diesem Punkt muss man das inhaltliche Ziel,
das man erreichen will, trennen von der Frage: Wie geht
man vor? Für uns ist nicht vorstellbar, so etwas einseitig
und ohne Konsens unter den Verbündeten voranzutreiben. Wir haben vor dem NATO-Gipfel in Chicago, also
im letzten Mai, an verschiedensten Stellen intensiv mit
den USA darüber gesprochen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Chicago gelungen ist - das war sehr wichtig, und das hätten nicht
alle gedacht -, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt
festzuschreiben; das ist ein wichtiger Punkt, den die
NATO festgehalten hat. Bis dahin war es allerdings ein
weiter Weg.
Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Aber noch einmal: Wir gehen nicht einseitig vor. Das geht nur im Konsens. Das gebietet der Respekt unter den Verbündeten,
den wir uns gegenseitig schuldig sind. Daran arbeiten
wir weiter.
Danke schön. - Jetzt hat Kollegin Uta Zapf Gelegenheit, zu fragen.
Herr Staatsminister, Sie haben geschildert, dass Sie
konventionelle Abrüstung für einen wichtigen Bestandteil halten. Nun ist es eine Tatsache, dass die konventionelle Abrüstung zumindest in Europa - ich weiß auch
nicht, an welchem anderen Ort konventionell oder nuklear abgerüstet würde - ziemlich darniederliegt, seit der
KSE-Vertrag durch Russland aufgekündigt worden ist.
Der Vorlauf war allerdings, dass die NATO-Staaten
den AKSE-Vertrag nicht ratifiziert haben. Das hat natürlich dazu geführt, dass die Russen sagen: Ihr seid nicht
interessiert; dann nehmen wir das ganze Ding zurück.
Wie wollen Sie denn bewirken, dass wir neue Abkommen oder eine Restitution des Abkommens im konventionellen Bereich bekommen? Es wäre, denke ich,
angesichts der allgemeinen Situation dringend notwendig, gerade in diesem Bereich neue Regelungen zu finden.
Frau Kollegin Zapf, Neuregelungen wären in der Tat
wichtig. Die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa ist und bleibt für uns unverzichtbar. Um eine weitere Erosion - die in der Tat droht - zu verhindern, arbeitet die Bundesregierung mit Nachdruck an einer
umfassenden Modernisierung, die die heutigen Sicherheitsbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und auf einem
System verifizierbarer Transparenz aufbaut. Das ist eine
Aufgabe, die insbesondere jetzt, in diesem Jahr, noch
einmal extrem wichtig ist; ansonsten - da stimme ich Ihnen zu - droht hier in der Tat eine weitere Erosion.
Liebe Kollegen, ich habe noch drei Frageanmeldungen zu diesem Thema vorliegen und dann noch zwei zu
sonstigen Themen. Damit schließe ich dann die Regierungsbefragung.
Die Nächste ist die Kollegin Agnes Brugger.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie haben das Oslo- und das Ottawa-Übereinkommen
und auch die Lücken in diesen Übereinkommen angesprochen. Ich würde gerne auf eine Lücke zu sprechen
kommen: Streumunition und Landminen sind zwei Waffen, die barbarisch gegen die Zivilbevölkerung wirken
und noch lange nach der Krise eine Gefahr für ganze
Landstriche bedeuten. Diese Konventionen verbieten die
Herstellung, die Lagerung, die Weitergabe dieser Waffen.
Die Investition in diese Waffen ist in Deutschland
nicht verboten. Es kann also durchaus sein - dafür gibt
es auch Belege -, dass jemand, der eine Riester-Rente
hat, damit in Unternehmen investiert, die solche Waffen
herstellen. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass das eigentlich kein guter Zustand ist und
so auch nicht dazu beiträgt, dass das Verbot dieser Waffen umfassend umgesetzt wird, und ob die Bundesregierung hier ihre Meinung geändert hat und jetzt auch der
Auffassung ist, dass wir ein gesetzliches Verbot von Investitionen in Streumunition brauchen.
Frau Kollegin, das ist ein, wenn ich so sagen darf, eleganter Versuch, vom Jahresabrüstungsbericht wegzukommen. Ich möchte mich hier auf die Beantwortung
von Fragen beschränken, die sich konkret auf den Inhalt
des Jahresabrüstungsberichts beziehen.
({0})
Kollege Djir-Sarai ist der Nächste.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister Link, Sie haben
vorhin das Thema OSZE angesprochen. Mich würde
Ihre Einschätzung bezüglich einer Modernisierung des
Wiener Dokuments interessieren.
Herr Kollege Djir-Sarai, das Wiener Dokument ist in
der Tat eines der Kerndokumente der OSZE. Die Bundesregierung ist ohnehin zurzeit in vielen Bereichen dabei, um eine weitere Steigerung der Relevanz der OSZE
zu ringen, nachdem in einigen Bereichen immer wieder
gefragt wurde: Wo ist die Relevanz der OSZE?
Wir sehen die Relevanz der OSZE; die OSZE ist für
uns absolut unverzichtbar. Das Wiener Dokument - es
ist ja mittlerweile sehr betagt - wäre in der Tat enorm
wichtig, um eine neue Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa zu geben. Deshalb unterstützen wir auch die Modernisierungsvorschläge.
Die Bundesregierung hat einen eigenen Vorschlag zur
Modernisierung des Wiener Dokuments eingebracht, der
die Transparenz auf ausgewählte militärische Ausbildungs- und Unterstützungseinheiten erweitern soll.
({0})
Damit wollen wir dem Wiener Dokument zu einer neuen
Relevanz verhelfen, die den Fragen, die sich uns in den
Jahren 2012, 2013, 2014 stellen, gerecht wird.
({1})
Letzte Frage zu diesem Thema: Inge Höger.
Herr Staatsminister, Sie haben sich vorhin noch einmal für eine atomwaffenfreie Welt ausgesprochen, und
in der letzten Woche hat zu diesem Thema im Außenministerium eine internationale Konferenz stattgefunden. Mir kommt das nur immer so vor: nette Worte, unverbindliche Worte; aber nichts folgt daraus.
Wie ist es denn mit den Beschlüssen der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag und einer
atom- und massenvernichtungswaffenfreien Zone im
Nahen Osten bestellt - anstatt immer nur mit dem Finger
auf den Iran zu zeigen?
({0})
Danke. - Frau Kollegin Höger, zu dem Punkt „Atomund massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher Osten“
und zu den genauen Hintergründen habe ich ja bereits
ausgeführt und insbesondere die Tatsache erwähnt, dass
wir die Verschiebung der Konferenz nicht für glücklich,
sondern ganz deutlich für schädlich halten.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Thema Atomwaffenteststopp-Vertrag sei hinzugefügt - das war ja Ihre
andere Frage -, dass dem Vertrag, obwohl er formal
noch nicht in Kraft ist, aus unserer Sicht bereits jetzt eine
enorme faktische Wirkung zukommt. Wir haben das zum
Beispiel beim letzten Atomtest Nordkoreas im Februar
2013 gesehen. Obwohl der Atomwaffenteststopp-Vertrag noch nicht in Kraft getreten ist, hat er in Bezug auf
das Überwachungssystem faktisch bereits eine wesentliche Rolle gespielt.
Ich hatte eine Wortmeldung übersehen. Kollegin Keul
als letzte Fragestellerin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben in Ihrem Bericht erwähnt, wie wichtig es ist,
den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen,
NPT, zu stärken und zu fördern. Vor diesem Hintergrund
frage ich Sie, ob die Bundesregierung sich dafür einsetzen wird, dass die Aufnahme Indiens, eines Staates, der
den NPT nicht unterschrieben hat und dennoch im Besitz
von Nuklearwaffen ist, in die Nuclear Suppliers Group
aus diesem Grunde verhindert wird.
Herr Staatsminister.
Danke schön, Frau Kollegin. - Zu diesem Punkt
würde ich die Antwort gerne schriftlich nachreichen.
Jetzt kommen wir noch zu zwei Fragen zu sonstigen
Themen. - Kollegin Enkelmann zunächst.
Herr Staatsminister Link, ich glaube, hier sind Sie
weniger gefragt als die Regierung insgesamt.
Ich habe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben
heute die Meldung entnommen, dass der Verfassungsschutz jährlich 20 Millionen Euro für V-Leute ausgibt.
Allein an Prämien waren es 2013 2,4 Millionen Euro.
Ich würde gerne wissen, ob sich die Regierung damit beschäftigt hat und ob diese Zahlen stimmen.
Wer kann darauf antworten? - Kollege Schröder.
Das hat im Kabinett heute keine Rolle gespielt. Ob
die Zahlen stimmen, kann ich Ihnen nicht beantworten,
weil ich nicht weiß, welche Zahlen zitiert wurden.
({0})
Nächste Frage Kollege van Aken.
Herr Link, das ist auch eine Frage an Sie.
Mich erreichte gerade die Nachricht, dass Herr
Westerwelle sich in zwei Wochen mit dem de facto amtierenden paraguayischen Außenminister treffen möchte.
War das Thema heute im Kabinett? Sie wissen: Das ist
eine Putschregierung, die in Lateinamerika komplett isoliert ist. Paraguay ist wegen des Putsches aus Mercosur
ausgeschlossen.
Was beabsichtigt Herr Westerwelle damit, nun ausgerechnet diesen illegitimen Außenminister aus Paraguay
zu empfangen? Der gehört zwar zu seiner Schwesterpartei, ist aber trotzdem illegitim. Ist das heute im Kabinett
nicht vielleicht auch von der anderen Koalitionsfraktion
kritisiert worden?
({0})
Herr Staatsminister.
Herr Kollege van Aken, ich weiß nicht, woher Sie
diese Information konkret haben. Ich kann nur feststellen: Es handelt sich nicht um eine illegitime Regierung.
Sie sagen, das Land sei in Südamerika komplett isoliert.
Das ist mitnichten der Fall. Im Gegenteil: Seit einigen
Wochen und Monaten gibt es hier wieder eine Normalisierung der Beziehungen der Nachbarstaaten zu Paraguay. Deshalb weise ich das ausdrücklich zurück.
Darüber hinaus war das im Kabinett auch kein
Thema.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/12439 Wir kommen zu den mündlichen Fragen auf der
Drucksache 17/12439.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Max Stadler zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ingrid
Hönlinger:
Weshalb hat die Bundesregierung am 30. November 2012
per E-Mail die Vorschläge zu „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“ ({0}) an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände geschickt und diese um Stellungnahmen gebeten?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Frau Kollegin Hönlinger sehr dankbar für
die Frage, die einen Vorgang betrifft, der neulich schon
im Rechtsausschuss geklärt worden ist. Auf diese Weise
können wir den Vorgang aber auch hier in der Öffentlichkeit noch einmal darstellen.
Da die Fragen des Kollegen Montag denselben Vorgang betreffen, schlage ich vor, wenn es gestattet ist,
diese im Zusammenhang gleich mit zu beantworten. Es
geht nämlich darum, wie bestimmte Vorschläge zum
Umwandlungsrecht zustande gekommen sind und wie
damit verfahren wurde.
Dann rufe ich jetzt auch die Fragen 2 und 3 des Kollegen Jerzy Montag auf:
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Verfasser der „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“, welche
das Bundesministerium der Justiz am 30. November 2012 per
E-Mail an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände
geschickt hat, und inwieweit unterstützt die Bundesregierung
den Inhalt der Anhänge dieser E-Mail ({0})?
Erwägt die Bundesregierung, die vom Bundesjustizministerium am 30. November 2012 an die am Gesellschaftsrecht
interessierten Verbände versandten „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“ ({1}) in das parlamentarische Verfahren zu geben, und, wenn ja, in welcher Form?
Bekanntlich ist im parlamentarischen Verfahren die
Aktienrechtsnovelle 2012 seit einiger Zeit anhängig. Die
Berichterstatter der Regierungskoalition zu diesem Regierungsentwurf haben das Bundesministerium der
Justiz gebeten, zu den von ihnen als Berichterstatter initiierten Vorschlägen zum Umwandlungsrecht Stellungnahmen der Bundesländer und der fachlich betroffenen
Verbände einzuholen. Dieser Bitte hat das Ministerium
entsprochen.
Das Bundesministerium der Justiz hat in der Mail
vom 30. November 2012, mit der diese Vorschläge versandt worden sind, darauf hingewiesen, dass diese Regelungsvorschläge auf Wunsch der Rechtspolitiker der
Regierungskoalition vom Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins unterbreitet worden sind.
Die Rechtspolitiker der Regierungskoalition prüfen
derzeit im Lichte der Sachverständigenanhörung - dies
war, genauer gesagt, ein erweitertes Berichterstattergespräch - vom 18. Februar 2013, ob sie diese Vorschläge
in die parlamentarischen Beratungen über die ursprüngliche Aktienrechtsnovelle 2012 einbeziehen.
Dies ist der Sachverhalt.
Zu einer Zusatzfrage erteile ich Frau Ingrid Hönlinger
das Wort.
Zunächst vielen Dank für die Antwort. - Mich hat
Folgendes erstaunt: Die beiden Entwürfe, die über das
Bundesjustizministerium versandt worden sind, sind
Blankoentwürfe. Sie tragen keinen Briefkopf; das heißt,
kein Abgeordneter hat sich persönlich damit identifiziert. Außerdem tragen die Papiere keine Drucksachennummer. Ich frage mich, inwiefern ein solches Vorgehen
üblich ist, dass das BMJ Gesetzentwürfe, die nicht aus
dem Haus stammen, an Verbände verschickt. Inwiefern
ist so etwas schon in der Vergangenheit passiert, und inwiefern müssen wir in der Zukunft damit rechnen?
Frau Kollegin Hönlinger, das ist ein Vorgehen, über
das immer im Einzelfall zu entscheiden ist. Eine Drucksachennummer haben die Vorschläge naturgemäß deswegen nicht getragen, weil es sich nicht um einen Gesetzentwurf gehandelt hat. Vielmehr haben aus Anlass
eines ohnehin laufenden Gesetzgebungsverfahrens Kollegen aus dem Rechtsausschuss zusätzliche Vorschläge
zur Debatte gestellt, die vom renommierten Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins erarbeitet
worden waren. Der Deutsche Anwaltverein hatte bereits
im Jahre 2007 solche Vorschläge zum Umwandlungsrecht vorgelegt. Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung
hat der Kollege, der Berichterstatter der CDU/CSUFraktion ist, den Handelsrechtsausschuss des Deutschen
Anwaltvereins um eine Aktualisierung des früheren Vorschlags gebeten. Um in Erfahrung zu bringen, auf welche Resonanz ein solcher Vorschlag stößt, ob es Kritik
gibt, ob es Zustimmung gibt, hat das Bundesministerium
der Justiz der Bitte entsprochen, die Vorschläge zu versenden, damit man diese dann mit einer umfassenderen
Meinungsbasis bewerten kann.
Danke schön. - Frau Hönlinger hat noch eine weitere
Nachfrage. Bitte schön.
Es geht ja in der Aktienrechtsnovelle sowie in den
Gesetzentwürfen um das Umwandlungsrecht, um Konzernausgliederung und um das Spruchverfahrensgesetz.
Inwieweit wird im Bundesjustizministerium in diesen
Bereichen noch an Gesetzesvorlagen gearbeitet, und inwiefern plant das Haus, externen Sachverstand hinzuzuziehen?
Es ist insofern externer Sachverstand vom Rechtsausschuss beigezogen worden, als es eine kleine Sachverständigenanhörung gegeben hat, das heißt, ein erweitertes Berichterstattergespräch zu den Vorschlägen, die
vom Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins stammen und die sich die Abgeordneten zu eigen
gemacht haben.
In dieser Anhörung gab es übrigens überwiegend eine
positive Reaktion, aber durchaus auch Kritik. Einer der
Punkte bestand darin, dass der Vorschlag gemacht worden ist, im Spruchverfahren die erste Instanz beim Landgericht abzuschaffen und gleich beim Oberlandesgericht
einzuführen. Hierzu haben einige der Sachverständigen
gesagt, dass es aber sinnvoll sei, dass das Landgericht als
erste Instanz bestehen bleibe, weil dort eine umfängliche
Sachverhaltsklärung vorgenommen werden könne, während dann in der nächsten Instanz das Oberlandesgericht
sich auf die Rechtsfragen beschränken könne.
Wie ich schon erwähnt habe, überlegen derzeit die
Berichterstatter der Koalitionsfraktionen, ob sie überhaupt das Thema weiterbetreiben und, wenn ja, ob sie
diese Erkenntnisse aus der Sachverständigenanhörung
aufgreifen. Natürlich beteiligt sich das Bundesministerium der Justiz an diesen Debatten. Gegebenenfalls würden solche Vorschläge als Änderungsanträge zur Aktienrechtsnovelle 2012 eingebracht. Darüber haben die
Berichterstatter aber noch nicht entschieden.
Kollege Jerzy Montag, Sie haben Gelegenheit zur
Nachfrage, da Herr Staatssekretär Stadler auch Ihre beiden Fragen schon beantwortet hat.
Herr Präsident, ich würde gerne zuallererst von Ihnen
wissen wollen, wie Sie, Herr Präsident, die Anzahl meiner Nachfragen zu handhaben gedenken, nachdem der
Herr Staatssekretär Stadler bei der Beantwortung einer
Frage gleich zwei weitere Fragen glaubte mit beantworten zu können. Habe ich jetzt noch zwei, vier oder sechs
Nachfragen?
Vier Nachfragen.
Wie wunderbar. Danke schön. So viele werden es
vielleicht gar nicht.
({0})
Aber vielleicht können Sie sie in einer großen Frage
zusammenfassen.
Herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär Stadler, zuallererst noch einmal zu der Versendung durch Sie und
den Anlagen dazu: Ich würde gerne wissen, wie die Bundesregierung und auch Sie persönlich das bewerten. Die
Berichterstatter - nennen wir Ross und Reiter - sind die
Kollegen Buschmann und Dr. Harbarth. Das, was an die
am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände verschickt
worden ist, wird in dem Anschreiben des Justizministeriums tituliert als ein Vorschlag des Vorsitzenden des
Handelsrechtsausschusses.
Nein.
Doch. So jedenfalls habe ich das verstanden. Wenn
man sich allerdings diese Anlagen anschaut, dann sind
es - Sie kennen den Sprachgebrauch - Non-Paper. Es
sind weder Stellungnahmen des Deutschen Anwaltvereins noch eines seiner Ausschüsse. Einen Briefkopf gibt
es nicht. Es ist kein Briefkopf irgendeines Rechtsanwalts
oder irgendeines Vorsitzenden eines Ausschusses; es ist
überhaupt kein Briefkopf, sondern lediglich ein NonPaper. Aber in den Unterzeilen der E-Mail lesen wir die
Namen Brügel und Hoffmann-Becking. Das sind zwei
Anwälte, wobei zumindest der Kollege Buschmann, einer der Berichterstatter, entweder in der Kanzlei des Anwalts Brügel tätig oder mit ihr verbunden ist. Das alles
wird den am Gesellschaftsrecht interessierten Verbänden
nicht offengelegt.
Wie bewerten Sie es, dass solche Non-Paper vom
Bundesjustizministerium verschickt werden, hinter denen sich möglicherweise berufliche oder persönliche Interessen gerade dieser beiden Berichterstatter verstecken?
Das war jetzt schon die Redezeit für gut zwei Fragen,
nur damit Sie es wissen.
Danke.
Herr Kollege Montag, ich bewerte es selbstverständlich positiv, dass das Ministerium als Dienstleister Vorschläge, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages in
die Debatte einführen, einer breiteren Fachöffentlichkeit
zugänglich gemacht hat, damit dazu Stellung genommen
werden kann.
Es ist nicht so - wenn man das Anschreiben genau
liest, wird es deutlich -, dass wir gesagt haben: Das ist
ein Vorschlag des Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Vielmehr haben
wir wahrheitsgemäß und völlig offen bei der Versendung
darauf hingewiesen, dass dieser Vorschlag vom Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen
Anwaltvereins unterbreitet worden ist.
Frau Kollegin Hönlinger weiß aus der Erörterung im
erweiterten Berichterstattergespräch, wie der Vorschlag
dort zustande gekommen ist. Wie ich schon sagte, gab es
von diesem renommierten Handelsrechtsausschuss einen
Vorschlag aus dem Jahr 2007. Dieser ist aktualisiert worden. Der Vorsitzende hat uns allen im Rechtsausschuss
geschildert, dass mehrere Mitglieder dieses Ausschusses
- wie sonst üblich - daran arbeiten, dass er die Stellungnahmen - so in etwa hat er es geschildert - sozusagen in
einer Schlussredigierung zusammenfassen und dann den
Abgeordneten zur Verfügung stellen kann. Ich kann darin nichts Verwerfliches sehen, ganz im Gegenteil. Wir
bedienen uns doch oft des Sachverstands beispielsweise
des Deutschen Anwaltvereins und werden dort gut beraten. Ich darf vielleicht als Beispiel aus dem Strafrecht
- weil Sie da besonders engagiert sind - darauf verweisen, dass der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins uns gebeten hatte, für eine frühzeitigere Verteidigerbestellung in Haftsachen zu sorgen. Das ist
mittlerweile Gesetz. Es ist also ein völlig alltäglicher
Vorgang, dass wir uns diese Expertise in der Gesetzgebung zunutze machen. Die Vorschläge sind verschickt
worden.
Gestatten Sie mir noch eine kleine Anmerkung. Es
kommt darauf an, welchen Inhalt die Vorschläge haben
und wie sie bewertet werden. Gerade das ist durch die
Versendung ermöglicht worden. Die Länder und die interessierten Kreise konnten dazu Stellung nehmen. Der
Rechtsausschuss hat Kritik und Lob auch im Wege einer
kleinen Sachverständigenanhörung eingeholt. Jetzt wird
der Gesetzgeber daraus seine Schlüsse ziehen.
Kollege Montag.
Herr Staatssekretär Stadler, ich habe das Gefühl, dass
Sie meiner Frage ausweichen Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Keineswegs.
- und sie nicht vollständig und nicht gemäß dem beantworten, was ich gerne von Ihnen hören würde. Mir
geht es nicht darum, dass die Bundesregierung und wir
Bundestagsabgeordnete uns des Sachverstands sachverständiger Kreise bedienen. Mir geht es darum, dass in jeder Phase des Abschöpfens von Sachverstand transparent gemacht wird, wer aus welcher Quelle und mit
welchem Interesse handelt.
Mir ist in elf Jahren intensiver Zusammenarbeit mit
dem BMJ noch nie untergekommen, dass das Bundesjustizministerium Unterlagen mit ausformulierten Gesetzesvorschlägen verschickt, aus denen sich nicht ergibt,
wer sie eigentlich geschrieben hat. In dem Anschreiben
schreiben Sie, auf Wunsch der Rechtspolitiker habe der
Vorsitzende des Handelsrechtsausschusses des DAV einen Vorschlag gemacht. Das ergibt sich aber nicht aus
den Anlagen. Nicht einmal die Namen werden bekannt
gegeben. Daher frage ich Sie noch einmal: Wie bewerten
Sie die Tatsache, dass sich hinter dieser sich unschuldig
gebenden Formulierung „Die Rechtspolitiker haben Interesse und haben den DAV gebeten“ vielleicht ein Insich-Geschäft verbirgt? Die Rechtspolitiker, die Sie meinen, sind aus den Kanzleien, von denen dann die Vorschläge gemacht werden. Das muss doch offengelegt
werden.
Sehr verehrter Herr Kollege Montag, es ist nicht Sache der Bundesregierung, Einfluss darauf zu nehmen,
welche Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins im
Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins
tätig sind. Das entscheidet alleine der Deutsche Anwaltverein. Frau Hönlinger weiß, wie gesagt, aus der Erörterung im Rechtsausschuss, dass der Vorsitzende des
Anwaltvereins, Professor Hoffmann-Becking - nennen
wir auch hier Ross und Reiter -, klar dargelegt hat, dass
eine Mehrzahl von Persönlichkeiten in diesem Ausschuss die Vorschläge erarbeitet hat - so wie es sonst
auch üblich ist -, darunter die von Ihnen Genannten,
aber auch andere. Das alles ist von uns nicht nachzuprüfen. Wir haben bei der Versendung klar darauf hingewiesen, dass der Vorschlag vom Vorsitzenden des
Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins
unterbreitet worden ist.
Für mich kommt es auf den Inhalt der Vorschläge an
und nicht darauf, wer sie verfasst hat. Es stand jedermann frei, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern, und das
ist ja auch geschehen: Es ist im Rücklauf Kritik gekommen, aber auch Zustimmung. Beispielsweise hat sich
heute in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts
Stuttgart Eberhard Stilz, ein führender Aktienrechtler, zu
den Vorschlägen geäußert, im Wesentlichen übrigens positiv. Er hat noch gewisse Änderungen vorgeschlagen.
Mit anderen Worten: Wir hatten ein Gesetzgebungsverfahren zu einer bestimmten Thematik. Es gab aus den
Reihen des Parlaments die Idee, in diesem Zusammenhang noch weitere Themen zu behandeln. Das ist auf
diese Weise in sehr sachkundiger Form zur Erörterung
gekommen. Wir haben Äußerungen bekommen, und es
hat eine weitere, wirklich sachkundige Erörterung im
Rechtsausschuss gegeben. Man kann auf dieser Grundlage, ohne dass es um irgendwelche Interesseneinflüsse
geht, gestützt durch den Vorschlag des renommierten
Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins,
als Rechtsausschuss, als Gesetzgeber und als Justizministerium, das das Gesetzgebungsverfahren natürlich
auch in diesem Punkt begleitet, die Entscheidung treffen,
ob man sich die Vorschläge zu eigen macht, ob man sie
sich zu einem Teil oder in veränderter Form zu eigen
macht oder ob sie in diesem Gesetzgebungsverfahren
nicht mehr aufgegriffen werden. Das ist der schlichte
Sachverhalt.
Danke schön. - Die Fragen 4 und 5 des Kollegen
Kilic werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zu den beiden Fragen der Kollegin Sonja Steffen. Ich rufe ihre Frage 6 auf:
Hält die Bundesregierung eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch von
Kindern und minderjährigen Schutzbefohlenen für geboten,
und, wenn ja, welche Lösung favorisiert die Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ohne dass ich, glaube ich, den Datenschutz verletze, darf ich sagen: Die Fragen des Kollegen
Kilic, die Sie erwähnt haben, hätten die doppelte Staatsangehörigkeit betroffen. Kollege Kilic ist heute aufgrund
einer Erkrankung verhindert, teilzunehmen, sodass diese
Fragen schriftlich beantwortet werden müssen. Selbstverständlich sind eine mündliche Erörterung und ein
mündlicher Vortrag durch mich immer wesentlich ergiebiger. Insofern bedauere ich, dass der Kollege Kilic verhindert ist, und wünsche ihm gute Besserung.
Nun zu den Fragen der Kollegin Steffen. Frau Kollegin Steffen, ich bin erfreulicherweise in der Situation,
dass ich Ihnen eine ganz aktuelle Information vortragen
kann. Die Frage einer Änderung der strafrechtlichen
Verjährung bei sexuellem Missbrauch wurde im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs intensiv erörtert.
Innerhalb der Bundesregierung und bei den Berichterstattern der Koalition gibt es nun eine Einigung, die
strafrechtliche Verjährung in diesen Fällen zukünftig bis
zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Opfers ruhen
zu lassen. Demnach würden zukünftig schwere Sexualdelikte frühestens mit Vollendung des 41. Lebensjahres
verjähren. Bei Unterbrechungshandlungen, zum Beispiel
der ersten Vernehmung des Beschuldigten, könnte sich
diese Frist dann künftig bis zum 61. Lebensjahr des Opfers verlängern. Diese Ausdehnung der Verjährungsfrist
entspricht sowohl den Vorschlägen des Runden Tisches
„Sexueller Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen
und im familiären Bereich“ als auch den Vorschlägen der
früheren Unabhängigen Beauftragten für Fragen zur
Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs als auch
den Vorschlägen des Bundesrates.
Bitte schön, Kollegin Steffen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Es ist natürlich erfreulich, dass Sie sich jetzt der Sache annehmen wollen.
Ich habe allerdings noch nicht so ganz verstanden: Wenn
Sie den Beginn der Verjährung auf die Vollendung des
21. Lebensjahres heraufsetzen wollen, es aber danach
bei den bisherigen Verjährungsfristen bleibt, dann kommen wir ja nur bei schwersten Straftaten dazu, dass eine
Verfolgung dieser Straftaten bis zur Vollendung des
41. Lebensjahres möglich ist. Das heißt im Klartext: Bei
den bisherigen Abstufungen, die wir haben - 5-jährige
Verjährungsfrist, 10-jährige Verjährungsfrist, 20-jährige
Verjährungsfrist -, würde es dabei bleiben, dass wir im
frühesten Fall nach Vollendung des 26. Lebensjahres
ausschließen müssten, dass eine Verfolgung möglich ist?
Frau Kollegin Steffen, zu Recht weisen Sie darauf
hin, dass in unserem Vorschlag die bisherige Abstufung
der Verjährungsfristen beibehalten wird. Die bisher geltende Rechtslage beruht darauf, dass es unterschiedlich
schwere Straftaten gibt, auch im Bereich der Sexualstraftaten. Seit jeher gelten unterschiedlich lange Verjährungsfristen.
Das Neue an dem Vorschlag besteht darin, dass es
nicht auf den Tatzeitpunkt ankommt, sondern dass unabhängig vom Tatzeitpunkt die Verjährung immer erst dann
beginnt, wenn das Opfer das 21. Lebensjahr vollendet.
Wenn beispielsweise ein Kind von acht Jahren sexuell
missbraucht wird, beginnt die Verjährungsfrist nicht
schon zu diesem Zeitpunkt, sondern erst mit Vollendung
des 21. Lebensjahres. Im Ergebnis wird also im Einzelfall
und auch generell eine deutliche Verlängerung der Strafverfolgungsmöglichkeit erzielt.
Zweite Nachfrage.
Vielen Dank. - Uns stellt das Ergebnis Ihrer bisherigen Verhandlungen noch nicht so ganz zufrieden. Wir
hatten uns eigentlich erhofft, dass Sie die Verjährungsfristen tatsächlich verlängern, vor allem im Hinblick darauf, dass als Ergebnis des Runden Tisches hervorgehoben wurde, dass die zivilrechtliche Verjährungsfrist, in
der die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche aus solchen Verbrechen möglich ist, auf 30 Jahre ausgedehnt
wird. Aus unserer Sicht besteht im Grunde genommen
ein nicht verständliches Missverhältnis. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.
Sehr gerne, Frau Kollegin Steffen. - Es gibt eine Angleichung insofern, als bei zivilrechtlichen Ansprüchen
die Verjährung auch mit dem 21. Lebensjahr beginnt.
Das belassen wir so. Der Beginn der strafrechtlichen
Verjährungsfrist wird jetzt genau auf diesen Zeitpunkt
festgelegt. Insofern gibt es dann einen Gleichlauf.
Allerdings sind die strafrechtlichen Verjährungsfristen seit jeher etwas kürzer. Es treffen hier zwei Probleme
aufeinander. Auf der einen Seite wissen wir, dass Opfer
von sexuellen Straftaten sich oft erst später öffnen können, in der Lage sind, ihr Wissen zu offenbaren und eine
Anzeige zu erstatten. Dem wollen wir Rechnung tragen.
Auf der anderen Seite gibt es Verjährungsfristen aus folgendem Grund: Je länger eine Tat zurückliegt, umso
schwieriger ist die Beweislage, ist die Aufklärung der
Tat. Wenn man eine zu lange Verjährungsfrist vorsieht,
wächst die Gefahr, dass die Opfer am Ende enttäuscht
werden, weil die von ihnen angezeigte Tat nicht mehr
aufgeklärt werden kann. In Abwägung dieser Umstände
haben wir uns für die Lösung entschieden, die ich Ihnen
vorgetragen habe.
Frau Kollegin Steffen, Sie haben noch eine weitere
Frage dazu gestellt.
Dann rufe ich jetzt die Frage 7 der Kollegin Sonja
Steffen auf:
Wird die Bundesregierung einen Entwurf zur Verlängerung der strafrechtlichen Verjährung vorlegen und, wenn ja,
zu welchem Zeitpunkt?
Dazu darf ich folgendermaßen antworten: Das Bundesministerium der Justiz unterstützt, wie in solchen Fällen üblich, die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen
durch Gewährung einer entsprechenden Formulierungs27840
hilfe. Die von mir vorhin geschilderte Änderung wird
nun zeitnah über einen Änderungsantrag in die laufenden Beratungen zum sogenannten StORMG, also zum
Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, eingebracht, voraussichtlich bereits in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses.
Danke schön. - Dann sind jetzt die beiden Fragen des
Kollegen Burkhard Lischka an der Reihe. Ich rufe zunächst die Frage 8 auf:
Soll der laut netzpolitik.org vom Bundesministerium des
Innern geplante Einsatz kommerzieller Produkte zur QuellenTKÜ, TKÜ: Telekommunikationsüberwachung, auch im Bereich der Strafverfolgung durch Bundesbehörden erfolgen, solange das Bundeskriminalamt - Kompetenzzentrum für Informationstechnische Überwachung - die Entwicklung einer
Überwachungssoftware für die Quellen-TKÜ noch nicht abgeschlossen hat, und, wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?
Hierzu darf ich Ihnen die Auskunft geben: Die Strafverfolgung im Bereich des Bundes obliegt bekanntlich
dem Generalbundesanwalt als Herrn des Ermittlungsverfahrens. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt jedoch Quellen-Telekommunikationsüberwachungen weder durch, noch veranlasst er solche
Maßnahmen für repressive Zwecke. Also ein klares Nein
zu Ihrer Frage!
Bitte schön, Kollege Lischka.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Stadler, ist denn
aus Ihrer Sicht auszuschließen, dass es zu kommerziellen Zwischenlösungen im Bereich der Strafverfolgung
kommt? Die Entwicklung einer eigenen Software durch
das BKA - so haben wir Presseberichten entnehmen
können - wird noch einige Zeit dauern, sodass das BKA
für seinen Bereich darüber nachdenkt, kommerzielle
Zwischenlösungen zu realisieren.
Ich habe der Presseberichterstattung auch entnehmen
können, dass man da ein bestimmtes Produkt der Firma
Gamma im Auge hat. Da hat inzwischen wohl auch eine
Quellcodeüberprüfung stattgefunden.
Herr Kollege Lischka, dies betrifft nicht den Bereich
des von mir vertretenen Ministeriums. Jedoch wird nach
meinen Informationen im Bundesministerium des Innern
geprüft, ob denn der Einsatz solcher Technik überhaupt
auf grundrechtskonforme Weise möglich ist, um den
Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu genügen. Ich darf aber noch einmal betonen, dass der Generalbundesanwalt, dessen Handeln in
den Verantwortungsbereich des Bundesministeriums der
Justiz fällt, solche Anträge auf Quellen-TKÜ nicht stellt
und eine solche Technik somit nicht einsetzt.
Weitere Nachfrage?
Ja. Die Antwort war ein bisschen ausweichend. Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Generalbundesanwalt solche Anträge auch nicht stellen wird, solange es nur kommerzielle Zwischenlösungen gibt?
Der Generalbundesanwalt stellt solche Anträge nicht,
wenn die Durchführung einer solchen Maßnahme nicht
in einer Weise gewährleistet werden kann, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspräche. Das
ist die derzeitige Situation.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Lischka auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Generalbundesanwalts, nach der die Strafprozessordnung derzeit
keine verfassungsgemäße Ermächtigung zum Einsatz von
Quellen-TKÜ zur Strafverfolgung enthält?
Nach Ansicht des Generalbundesanwalts fehlt es für
den strafprozessualen Bereich tatsächlich an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Die in fachgerichtlichen
Entscheidungen als Eingriffsgrundlage herangezogene
Vorschrift des § 100 a der Strafprozessordnung vermöge
nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zur Onlinedurchsuchung von 2008 die Maßnahme nur zu
rechtfertigen, wenn sichergestellt werden kann, dass ein
weiter gehender Eingriff in die Vertraulichkeit und Integrität des geschützten Systems unterbleibt. Eine solche
Begrenzung des Eingriffs auf das zulässige Maß kann jedoch nach Ansicht des Generalbundesanwalts derzeit
technisch nicht hinreichend sicher gewährleistet werden.
Allerdings existiert eine Reihe von Entscheidungen
von Amtsgerichten und Landgerichten, in denen der
§ 100 a StPO sehr wohl als Rechtsgrundlage herangezogen wird. Soweit bekannt, gehen diese Gerichte mittlerweile regelmäßig davon aus, dass dies die geeignete
Rechtsgrundlage ist. Allerdings müsste bei Durchführung einer so genehmigten Quellen-TKÜ wiederum die
verfassungsrechtliche Vorgabe beachtet werden.
Diese Fragen werden von der Bundesregierung weiterhin intern im Hinblick darauf erörtert - das haben Sie
auch in der Frage angesprochen -, ob es derzeit einen
Änderungsbedarf für den Gesetzgeber gibt.
Wann ist denn damit zu rechnen, dass diese internen
Erörterungen möglicherweise abgeschlossen werden? Ist
noch in dieser Legislaturperiode damit zu rechnen, dass
möglicherweise eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage geschaffen wird? Sie haben zwar recht, dass einzelne Amtsgerichte diese Probleme im Augenblick nicht
haben. Aber wenn der Generalbundesanwalt hier rechtliBurkhard Lischka
che Probleme sieht, dann ist das ja nicht ganz unerheblich.
Herr Kollege Lischka, allerdings habe ich auch betont, dass selbst dann, wenn man in Einklang mit verschiedenen Amts- und Landgerichten § 100 a StPO als
die geeignete Rechtsgrundlage ansieht, die Durchführung einer solchen Quellen-TKÜ immer so ausgestaltet
werden muss, dass nur die reine Telekommunikation
überwacht wird und kein weiter gehender Grundrechtseingriff erfolgt. Dies ist derzeit technisch gar nicht möglich.
Wie Sie wissen und in Ihrer ersten Frage angesprochen haben, gibt es dazu technische Untersuchungen, die
das Bundeskriminalamt im Auftrag des Bundesinnenministeriums durchführt. Dies bedingt einander. Wenn es
die Technik nicht gibt, braucht man auch keine gesetzliche Änderung. Sollte die Technik entwickelt werden,
dann muss man überlegen, ob auch eine Anpassung des
§ 100 a und b StPO erforderlich ist. Daher hängt die Beantwortung Ihrer Frage davon ab, wie rasch die technischen Untersuchungen fortschreiten. Sie dauern schon
eine geraume Zeit und können offenbar nicht so schnell
abgeschlossen werden.
Eine weitere Nachfrage.
Ich möchte noch einmal nachfragen: Wenn ich Sie
richtig verstehe, bedeutet das, dass Sie zunächst abwarten, ob eine verfassungskonforme technische Lösung
möglich ist. Erst dann wären Sie bereit, eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Bis dahin würden Sie auch
akzeptieren, wenn im Einzelfall Amtsgerichte auf
Grundlage des § 100 a Strafprozessordnung - hier hat
der Generalbundesanwalt ja verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht - entsprechende Entscheidungen für den Einsatz einer Software treffen.
Noch einmal: Wenn solche Entscheidungen getroffen
werden, bedeutet das noch nicht, dass sie auch ausgeführt werden können; denn auch die Ausführung muss
den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Im
Übrigen haben Sie recht, dass wir natürlich sowohl die
juristische Diskussion - dazu hat der Generalbundesanwalt eine klare Auffassung geäußert - als auch die
weitere technische Entwicklung im Auge haben müssen
und sozusagen mit dem bei Juristen gewohnten Pendelblick entscheiden werden, wann eine Gesetzesänderung
erforderlich wird oder ob sie entbehrlich ist.
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Der Parlamentarische
Staatssekretär Steffen Kampeter steht zur Beantwortung
der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Kritik an den Sparpaketen, die Griechenland als Bedingung
für die Gewährung von Garantien ({0}) von der
Troika auferlegt wurden, nachdem diese von den Ökonomen
des Internationalen Währungsfonds, IWF, Oliver Blanchard
und Daniel Leigh mit der Feststellung bestätigt wurde, der
IWF habe die negativen Folgen für die Volkswirtschaft nicht
vorhersehen können und man habe den Anstieg der Arbeitslosigkeit und den Rückgang der Binnennachfrage unterschätzt
({1}), und ist die Bundesregierung nunmehr bereit, die Sparzwänge für Griechenland
und andere EU-Länder aufzuheben und Sparauflagen zulasten
der Armen und Geringverdienenden nicht mehr zuzulassen?
Herr Präsident! Lieber Kollege Ströbele, im Kern
zielt Ihre Frage auf die Debatte der Multiplikatoren von
fiskalpolitischen Maßnahmen und ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ab. Herr Kollege Ströbele,
ich will die Frage dahin gehend beantworten, dass die
Bundesregierung davon ausgeht, dass die Troika die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Konsolidierung selbstverständlich angemessen berücksichtigt.
Was den wirtschaftspolitischen Kern Ihrer Frage angeht, will ich darauf verweisen, dass wir uns im Bundesfinanzministerium sehr intensiv mit der Debatte der
Multiplikatoren auseinandergesetzt haben. Umgangssprachlich formuliert lautet die Frage: Kann man eine
Volkswirtschaft kaputtsparen? Die von Ihnen vorgetragenen Äußerungen zweier Volkswirte des Internationalen Währungsfonds sind in der wissenschaftlichen
Literatur höchst umstritten. Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission, aber auch eine
Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern gehen insbesondere mittel- und langfristig von sehr viel positiveren
Wirkungen der Konsolidierung aus. Wir haben die
Debatte in unserem aktuellen Monatsbericht zusammengefasst, den ich Ihnen im Nachtrag zu unserer Fragestunde gerne übersende.
Also, in Kurzform: Die Formulierungen von
Blanchard und anderen erweisen sich als sehr streitig.
Die Bundesregierung geht perspektivisch von langfristig
und mittelfristig positiven Auswirkungen der Konsolidierungsstrategien aus.
Kollege Ströbele, bitte.
Herr Staatssekretär, muss ich davon ausgehen, dass
die Bundesregierung und auch die Europäische Gemeinschaft unbelehrbar sind, wenn im IWF, von dem in der
Vergangenheit immer die schärfsten Sparauflagen vertreten wurden, zumindest Zweifel aufgekommen sind?
Ich will diese Gutachten gar nicht überbewerten. Ist die
Bundesregierung nicht langsam bereit, die konkreten
Zahlen aus Griechenland zur Kenntnis zu nehmen? Es
wird aus Griechenland berichtet, dass die Wirtschaft dort
weiter schrumpft, die Arbeitslosigkeit jedes Jahr exorbitant steigt und Unruhe und Unzufriedenheit in der
Bevölkerung - zu Recht - steigen. Das Wahlergebnis in
Italien zeigt uns, dass solche Sparauflagen nicht nur zu
erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen, sondern
auch zu politischen Turbulenzen, die niemand wollen
kann.
Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung teilt Ihre
dargelegten wirtschafts- und allgemeinpolitischen Analysen im Wesentlichen nicht. Im Einzelnen will ich auf
zwei Punkte hinweisen:
Erstens. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hat
sich in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren
erheblich verbessert. Es findet eine Rebalancierung des
griechischen Außenhandels statt. Die Lohnstückkosten
sinken. Der Fortschritt, den die griechische Volkswirtschaft macht, deckt sich nicht mit Ihrer negativen Analyse. Im Gegenteil: Die griechische Volkswirtschaft hat
durch die notwendigen Anpassungsmaßnahmen, durch
die Reformen, die sich nicht nur auf den Fiskalbereich
beziehen, sondern im Wesentlichen die Angebotsbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaft adressieren, erst wieder die Möglichkeit bekommen, in weltwirtschaftliche Bereiche reintegriert zu
werden. Das gilt im Übrigen auch für die anderen Programmländer, Herr Kollege.
Zweitens. Ich darf daran erinnern, dass die irische
Regierung, auch ein Programmland, angekündigt hat,
möglicherweise noch in diesem Jahr aus dem Programm
auszuscheiden. Auch andere Staaten bemühen sich redlich, ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen.
Ihrer Behauptung, dass diese Politik nicht erfolgreich
sei, kann die Bundesregierung - bei allem Respekt vor
Ihrer politischen Lebensleistung - nicht folgen.
Noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung, also zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts und
der Arbeitslosigkeit, Ihrer Aussage von soeben eklatant
widersprechen?
Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal bin ich verwundert, dass Sie das Bruttosozialprodukt als Indikator
für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wählen, wo
doch gerade die Grünen fundamentale Kritik daran geäußert haben, das BSP als Indikator zu wählen.
Etwas seriöser darauf geantwortet: Die Schrumpfung
des Bruttoinlandsprodukts wurde in den Prognosen der
Kommission bzw. der Troika vorausgesagt. Wir halten
es für notwendig, dass die nicht wettbewerbsfähigen
Teile der griechischen Volkswirtschaft schrumpfen. Jetzt
findet eine Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten auf die wettbewerbsfähigen Teile der Volkswirtschaft
statt. Das führt dazu, dass die Exporterfolge steigen und
die Haushaltskonsolidierung zum Erfolg führt. Manchmal bedarf es einer bitteren Medizin, bevor es dem
Patienten gut geht.
({0})
Wie gesagt, die Medizin war für Griechenland sehr bitter; aber der Patient befindet sich eindeutig auf dem Weg
der Besserung.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Ströbele:
Welche in Deutschland niedergelassenen oder tätigen großen Unternehmen - wie etwa Google, Apple, Amazon, Starbucks -, die in einem der wichtigsten Börsenindizes geführt
werden - der Deutschen Börse AG, zum Beispiel DAX,
SDAX, MDAX, TecDAX; in EURO STOXX 50, Dow Jones,
Nikkei 225, S&P 500, NASDAQ 100, FTSE 100, SMI, AEX
oder in RTS -, führen nach Kenntnis der Bundesregierung auf
ihre im Ausland und speziell in Deutschland erzielten Unternehmensgewinne Steuern lieber in anderen Staaten nur in
Höhe von unter 20 Prozent ab - etwa in den USA, Irland, den
Niederlanden, Zypern oder den karibischen Staaten -, und
welche Maßnahmen wird die Bundesregierung kurz- und mittelfristig gegenüber diesen Unternehmen ({0}) sowie bezüglich der oben
genannten Staaten mit solchen Niedrigsteuerangeboten, vor
allem der EU-Staaten, die EU-Finanzhilfen erhielten, erhalten
bzw. wünschen, ergreifen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich für diese
Frage; denn sie gibt mir die Möglichkeit, hier die umfassenden Aktivitäten des Bundesfinanzministers Wolfgang
Schäuble im Hinblick auf eine anständige Besteuerung
der multinationalen Konzerne deutlich darzulegen.
Ich will Sie darauf hinweisen, dass es aufgrund der
deutsch-britischen Initiative, bei diesem Thema im Rahmen der G 20 noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung
zu kommen, gerade beim letzten Treffen der Finanzminister der G 20 - und dieses Thema wird von den
G 20 zu adressieren sein - zu einem erheblichen Fortschritt in der Debatte gekommen ist. Uns geht es um eine
faire Besteuerung und ein gemeinsames, international
abgestimmtes Vorgehen gegen aggressives Verhalten
multinationaler Unternehmen im Hinblick auf Steuern.
Deswegen beabsichtigen wir, auf dem nächsten G-20Finanzministertreffen wichtige Schlussfolgerungen aus
dem Projekt „Base Erosion and Profit Shifting“ zu ziehen, das die OECD für die G 20 durchführt und sich mit
der Erosion der Steuerbasis und der Verlagerung von
Profiten beschäftigt.
Wir werden darüber zu diskutieren haben, wie mit unterschiedlichen Fallkonstruktionen des deutschen Steuerrechts umzugehen ist, etwa in Bezug auf ausländische
Konzerne, die in Deutschland Leistungen erbringen, aber
hier nicht steuerpflichtig sind, oder auf ausländische
Konzerne mit Tochtergesellschaften bzw. Betriebsstätten
in Deutschland. Schließlich müssen wir über Maßnahmen der Bundesregierung gegen Niedrigsteuerangebote
von Staaten insbesondere in der EU diskutieren.
Wolfgang Schäuble hat diese Themen auf die internationale Tagesordnung gesetzt; die Bundesregierung hat
die Debatte vorangetrieben. Insofern bedanke ich mich,
dass Sie mir mit Ihrer Frage die Möglichkeit geben, auf
diesen Aspekt der Steuergerechtigkeit hinzuweisen.
Kollege Ströbele, bitte.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ist keine Antwort
auf meine Frage. Lesen Sie doch einmal den ersten Teil
meiner Frage durch. Da steht sinngemäß: Welche der
aufgeführten DAX-Unternehmen versteuern nach
Kenntnis der Bundesregierung ihre Gewinne, die sie
auch in Deutschland erzielen, nicht in Deutschland, sondern allenfalls irgendwo im Ausland, und zwar zu einem
Steuersatz von unter 20 Prozent? Ich habe jetzt von Ihnen erwartet, dass Sie die einzelnen von mir genannten
Unternehmen und auch andere aufführen und sagen, auf
welche dies zutrifft, und vielleicht auch gleich die
Summe hinzufügen, die hier nicht versteuert wurde und
in Sicherheit gebracht worden ist.
Herr Kollege Ströbele, da Sie im Zivilberuf Rechtsanwalt sind, wissen Sie aufgrund Ihrer umfassenden
juristischen Expertise, dass die Bundesregierung Ihnen
aufgrund des Steuergeheimnisses keine Information über
eine einzelne in Deutschland ansässige Gesellschaft geben darf. Von daher verwundert es mich, dass Sie von
mir hier einen Rechtsbruch vor dem Deutschen Bundestag erwarten.
Ich darf Ihnen aber ausdrücklich bestätigen, dass wir
die internationale Debatte über die steuerrechtlich offene
Bilanzanalyse der internationalen Konzerne zum Anlass
genommen haben, das Projekt BEPS auf die Tagesordnung zu setzen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Erkenntnisse der Steueranalysten - nicht die der Bundesregierung - über die erschreckend niedrige Besteuerung von
in Europa erwirtschafteten Gewinnen zur Verfügung zu
stellen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird beispielsweise davon ausgegangen, dass Microsoft den im Ausland erwirtschafteten Gewinn in den USA mit ungefähr
1 Prozent versteuern muss, Google mit 3 Prozent. Dies
liegt deutlich unter den von uns angestrebten Unternehmensteuersätzen. Deswegen überprüfen wir im Rahmen
des BEPS-Projektes die Angaben der wissenschaftlichen
Literatur, um daraus die notwendigen steuerpolitischen
Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wenn man seine Gewinne lediglich mit 1 Prozent versteuern muss, dann empfinden wir das als unangemessen
niedrig. Deshalb werden wir uns von keinem überholen
lassen, wenn es darum geht, diese unfaire und ungerechte Benachteiligung, beispielsweise der vielen
anständigen, in Deutschland Steuern zahlenden Unternehmen, zu beseitigen.
Zweite Nachfrage, Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie
wenigstens ein Unternehmen nennen und auch die
Steuersätze benennen, die tatsächlich gezahlt werden,
nämlich 1 Prozent. Das ist immerhin eine kleine Anfangsinformation; ich bin damit aber nicht zufrieden.
Sind Sie denn wenigstens bereit, Gesamtsummen zu
nennen? Wie viele Milliarden an Gewinnen werden ins
Ausland transferiert und dort mit 1, 3 oder 15 Prozent
versteuert? Wie viele Steuereinnahmen entgehen dem
deutschen Fiskus durch diese Steuerflucht?
Herr Kollege Ströbele, ich wiederhole, dass ich Ihnen
keine Primärerkenntnisse nennen kann. Ich habe nur auf
die Analyse von Bilanzen durch Steuerjuristen und Steuerökonomen abgehoben, die in der wissenschaftlichen
Literatur bisher vorhanden sind.
Wir werden uns dieses Problems innerhalb der G 20
annehmen müssen. Sie sind nicht der Erste, dem das aufgefallen ist. Die Bundesregierung hat in dieser Hinsicht
keinerlei Nachholbedarf. Vielmehr haben wir mit unseren europäischen Partnern, die am Anfang der Debatte
überhaupt nicht begeistert waren - in Teilen zumindest -, hier die Dinge etwas voranzutreiben, im Rahmen
der G 20 einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Wir
wollen eine faire Besteuerung. Wir wollen, dass die in
Deutschland erwirtschafteten Gewinne möglichst umfassend durch das deutschen Steuerrecht erfasst werden, sodass es keine Erosion der Steuerbasis und keine von den
europäischen Steuerbürgern als illegitim empfundene
Verschiebung von Profiten innerhalb oder außerhalb der
Europäischen Union geben wird.
Nochmals: Wir bedanken uns für die Möglichkeit,
unsere Aktivitäten darzulegen, und hoffen bei unseren
internationalen Bemühungen auch auf die Unterstützung
der Opposition.
Danke schön. - Die Fragen 12 und 13 der Kollegin
Barbara Höll, die Fragen 14 und 15 des Kollegen Axel
Troost und die Frage 16 der Kollegin Monika Lazar werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische Staatssekretär Ralf Brauksiepe.
Ich rufe zunächst die Frage 17 des Kollegen Willi
Brase auf:
Wie viele Jugendliche befanden sich zum Ende des sogenannten fünften Quartals in einer EQ-Plus-Maßnahme ({0}), und nach welchen Kriterien wurde
ihnen eine EQ nicht zugewiesen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Kollege Brase. - Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Frage kann von der Bundesregierung
deshalb nicht umfassend beantwortet werden, weil
hierzu nicht für alle Fallgestaltungen einer Einstiegsqualifizierungsmaßnahme, einer sogenannten EQ-PlusMaßnahme, statistische Daten vorliegen.
EQ Plus ist ein Angebot der Wirtschaft im Rahmen
des Ausbildungspaktes. Bei EQ Plus handelt es sich um
Einstiegsqualifizierungen speziell für förderungsbedürftige Jugendliche, im Rahmen derer gezielte Unterstützungsangebote, zum Beispiel ausbildungsbegleitende
Hilfen, genutzt werden.
Zu den gezielten Unterstützungsangeboten zählen
aber auch ergänzende berufsschulische Angebote, zum
Beispiel zum Abbau schulischer Defizite - dazu zählt
zum Beispiel das EQ-Plus-Konzept in Sachsen-Anhalt -,
die Betreuung durch ehrenamtliche Mentoren- bzw. Patenprogramme, gegebenenfalls die Fortsetzung der Betreuung durch Berufseinstiegsbegleiter, die betriebliche
Nachhilfe oder vergleichbare private Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung leistungsschwächerer Jugendlicher, zum Beispiel über Stiftungen, Verbände und
Kammern.
Über die zahlenmäßige Umsetzung wird in den gemeinsamen Erklärungen der Partner des Ausbildungspakts berichtet. In der gemeinsamen Erklärung vom
6. Februar 2013 ist keine auf EQ Plus bezogene Aussage
getroffen worden. Von der Statistik der Bundesagentur
für Arbeit werden EQ-Plus-Maßnahmen nur erfasst,
wenn eine Einstiegsqualifizierung mit einer ausbildungsbegleitenden Hilfe gefördert wird. Endgültige Daten
zum Ende des sogenannten fünften Quartals, also zum
Ende der Nachvermittlung im Februar eines Jahres, liegen erst drei Monate später vor, in diesem Fall also Ende
April 2013.
Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 SGB III können nur lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Teilnehmer einer
Einstiegsqualifizierung mit ausbildungsbegleitenden
Hilfen gefördert werden. Sofern diese Voraussetzungen
im Einzelfall nicht vorliegen, ist eine Förderung in Form
einer Einstiegsqualifizierung in Kombination mit einer
ausbildungsbegleitenden Hilfe rechtlich nicht möglich.
Kollege Brase.
Herr Staatssekretär, ich möchte doch noch einmal
nachfragen: Das Bündel an Maßnahmen, das Sie hier beschrieben haben, ist bekannt. Es gibt sicherlich unterschiedliche Auffassungen dazu, welche Maßnahme den
Jugendlichen tatsächlich dient oder nicht. Aber es muss
doch möglich sein, herauszubekommen, wie viele Jugendliche nach dem Durchlaufen von EQ- und EQ-PlusMaßnahmen tatsächlich in eine duale Ausbildung gehen.
Wenn ich mich richtig erinnere, Herr Staatssekretär, hat
Ihr Haus dies in der Vergangenheit evaluiert und untersucht. Wir haben hier im Parlament darüber diskutiert
und festgestellt, dass 60, 65, 67 Prozent der Jugendlichen, die eine EQ-Maßnahme absolviert haben, in eine
duale Ausbildung gingen. Mich erstaunt, dass Sie dies
nicht erforschen. Mich wundert, dass Sie das nicht nachhalten können. Ich will gleich eine Frage nachschieben:
Worin besteht eigentlich der reale Unterschied zwischen
EQ-Plus- und EQ-Maßnahmen? Ist das nicht eher wieder
eine Zersplitterung? Ist es nicht eher schlecht, dass wir
zusätzlich noch ein weiteres kleines Sonderprogramm
haben? Reicht es nicht, dass es EQ-Maßnahmen gibt?
Herr Kollege Brase, Sie haben ganz gezielte Fragen
zu EQ Plus gestellt. In diesem Zusammenhang habe ich
darauf hingewiesen, dass wir aufgrund der Datenlage
nicht auf jede Detailfrage eine Antwort liefern können.
Ich bestätige Ihnen allerdings sehr gerne, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Evaluation
der Einstiegsqualifizierung vorgenommen hat. Der evaluierte Zeitraum umfasste die Jahre 2009 bis 2012. Ich
kann Ihnen versichern und bestätigen, dass diese Evaluation insgesamt ein gutes Ergebnis an den Tag gebracht
hat. Der jahresdurchschnittliche Teilnehmerbestand bei
der Einstiegsqualifizierung lag im Jahr 2011 bei 16 493,
und wir haben eine Eingliederungsquote von 66,3 Prozent. Das ist ein gutes Ergebnis für die Einstiegsqualifizierung insgesamt.
Ich denke, dass es durchaus Sinn macht, dass es darüber hinaus für Jugendliche, die einer besonderen Förderung bedürfen, ein entsprechendes zusätzliches Angebot gibt. Dieses zusätzliche Angebot wird unter anderem
mit dem Begriff „EQ Plus“ umschrieben.
Der Hinweis darauf, dass wir nicht für jedes Detail
statistische Angaben haben, soll in der Tat nicht den Eindruck überdecken - deshalb bin ich für die Frage dankbar; sie gibt mir Gelegenheit, das noch einmal klarzustellen -, dass dieses Instrument erfolgreich ist. Das
zeigt auch unsere Evaluation.
Bitte schön, Kollege Brase.
Ich will doch noch einmal nachfragen, weil in der
Frage auch stand, nach welchen Kriterien den betroffenen Jugendlichen EQ-Maßnahmen angeboten werden.
Dafür muss es doch zumindest bei der Agentur für ArWilli Brase
beit Kriterien geben. Man muss denjenigen, die diese
Programme durchführen, doch ein paar Hinweise geben.
Das kann ja wohl nicht im Belieben des einzelnen Berufsberaters bzw. der einzelnen Berufsberaterin liegen.
Es muss doch etwas vorgegeben sein, damit man weiß:
Aha, dieser Teil der Jugendlichen kann EQ-Maßnahmen
absolvieren.
Herr Kollege Brase, wie Sie sicherlich wissen, haben
wir bei unserer Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente sehr wohl Wert darauf gelegt, dass Entscheidungen dezentral, also bei den Experten vor Ort, getroffen werden können. Die Abwägung, welches das
geeignete Instrument ist, kann, denke ich, nur vor Ort
stattfinden.
Fest steht: Wir haben ein, wie ich finde, wirklich vorbildliches Bündel an Maßnahmen, um junge Menschen
da abzuholen, wo sie sind, um sie durch die Schule und
auch noch durch einen Teil ihrer Ausbildung zu begleiten. Es gibt umfangreiche Maßnahmen zur finanziellen
Förderung, und über diese finanzielle Förderung hinaus
gibt es eine umfangreiche Betreuung. Im Ausbildungspakt ist auch das Instrument der Einstiegsqualifizierung
verabredet worden. Dass wir in Europa spitze sind bei
der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, kommt
nicht von ungefähr.
Die Einstiegsqualifizierung ist als betriebliches Langzeitpraktikum für marktbenachteiligte, noch nicht ausbildungsreife, sozial benachteiligte oder lernbeeinträchtigte Ausbildungssuchende gedacht. So ist sie konzipiert.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss vor Ort geprüft werden. Wo der zuständige Entscheider im Hinblick auf die geeignete Maßnahme zu einer anderen Entscheidung kommt, wird er - davon gehe ich aus - davon
ausgehen, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen
bzw. ein anderes Instrument aus unserer umfangreichen
Instrumentenpalette besser geeignet ist.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Brase auf:
Wie viele Jugendliche wurden nach erfolgreich absolvierter EQ- bzw. EQ-Plus-Maßnahme 2012 in eine duale
Ausbildung übernommen, und wie viele von ihnen waren
Jugendliche mit Migrationshintergrund - bitte um eine Differenzierung nach Geschlecht?
Ich antworte Ihnen darauf wie folgt, Herr Kollege
Brase: Im Rahmen der Förderstatistik der Bundesagentur
für Arbeit wird standardmäßig ermittelt, ob sich ein Teilnehmer zum Zeitpunkt sechs Monate nach Maßnahmenaustritt in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung befindet. Im Rahmen dieser Ermittlung ist auch
feststellbar, ob es sich bei der Beschäftigung um eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung handelt. Einmündungen in eine schulische Berufsausbildung sind darin nicht enthalten. Eine Auswertung nach dem Merkmal
Migrationshintergrund ist derzeit noch nicht möglich.
Für die Zahl der Austritte aus EQ und ausbildungsbegleitenden Hilfen mit dem Ziel des erfolgreichen Verlaufs einer EQ von Februar 2011 bis Januar 2012 lauten
die entsprechenden Ergebnisse, differenziert nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit, wie folgt:
Was die Austritte aus einer Einstiegsqualifizierung
betrifft, so sind bei 30 158 Austritten 15 504 Teilnehmende
sechs Monate nach Austritt in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung. Differenziert nach dem Geschlecht,
mündete die Maßnahme bei 8 804 Männern und 6 700 Frauen in eine solche Ausbildung. Von 3 953 Ausländern mündete die Maßnahme bei 1 033 Männern und 866 Frauen
in eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung.
Was Austritte aus EQ Plus in Kombination mit ausbildungsbegleitenden Hilfen betrifft, so sind von 895 Teilnehmenden an einer EQ-Plus-Maßnahme, kombiniert
mit ausbildungsbegleitenden Hilfen, 531 Teilnehmende
sechs Monate nach Austritt in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung. Differenziert nach Geschlecht,
mündete die Maßnahme bei 383 Männern und 148 Frauen
in eine solche Ausbildung. Von 180 Ausländern mündete
die Maßnahme bei 75 Männern und 29 Frauen in eine
sozialversicherungspflichtige Ausbildung.
Bitte schön, Herr Kollege.
Ich habe eine Nachfrage: Wann können wir erfahren,
wie viele Jugendliche mit Migrationshintergrund direkt
diesen Weg gegangen sind bzw. in Ausbildung gekommen sind? Sie erwähnten eingangs, dass Sie das im Moment nicht sagen könnten. Mich würde interessieren,
wann Sie damit rechnen.
Herr Kollege Brase, die Antwort muss ich Ihnen
nachreichen. Das Merkmal Migrationshintergrund ist in
der Tat ein anderes als das Merkmal Ausländer, das einfacher zu erfassen ist. Meine Information ist nur, dass
wir das hier, wie an anderen Stellen auch, noch nicht haben. Ich reiche Ihnen das gerne nach.
({0})
Wir kommen damit zu den beiden Fragen des Kollegen Markus Kurth, zunächst zu Frage 19:
In welcher Höhe erhofft sich die Bundesregierung Einnahmen bei einer möglichen Rückerstattungsforderung an die
Bundesländer bezüglich der nicht verausgabten Mittel aus
dem Bildungs- und Teilhabepaket für das Jahr 2012 ({0}), und wie viele der rund
2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kinder haben schätzungsweise im Jahr 2012 keine ihnen zustehenden Leistungen
aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Kurth,
ich antworte Ihnen wie folgt: Es geht in der aktuellen
Diskussion nicht darum, dass sich der Bund Einnahmen
erhofft. Der Bund hat ebenso wie Länder und Kommunen ein Interesse daran, dass die Leistungen aus dem
Bildungs- und Teilhabepaket möglichst breit in Anspruch genommen werden. Der Bund hatte sich deshalb
2011 im Vermittlungsverfahren auf Wunsch der Länderseite bereit erklärt, für den Fall, dass die Kommunen im
Jahr 2012 mehr für Bildungs- und Teilhabeleistungen
ausgegeben haben, als es der Höhe des finanziellen Ausgleichs seitens des Bundes über seinen überhöhten Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung in
der Grundsicherung für Arbeitsuchende entspricht, diese
Differenz im Jahr 2013 auszugleichen. Für den Bund ist
es selbstverständlich, dieser Zusage nachzukommen.
Im Gegenzug erwartet der Bund aber auch, dass Mittel, die nicht für Bildungs- und Teilhabeleistungen verausgabt wurden, gegenüber dem Bund ausgeglichen und
nicht für andere Zwecke eingesetzt und damit zweckentfremdet werden. Der Bund sorgt seit 2011 über eine zunächst um 5,4 Prozentpunkte erhöhte Bundesbeteiligung
an den Kosten der Unterkunft und Heizung für einen
umfassenden finanziellen Ausgleich für Bildungs- und
Teilhabeleistungen der Kommunen.
Diese erhöhte Bundesbeteiligung wird künftig regelmäßig mit den tatsächlichen Ausgaben für das Bildungspaket abgeglichen und entsprechend angepasst. Das ist
die sogenannte Revision. Im Jahr 2013 wird diese im
Gesetz verankerte Revisionsklausel erstmals angewandt.
Sie sieht vor, dass nach Vorlage der Leistungsdaten für
das Jahr 2012 die erhöhte Bundesbeteiligung an den
Kosten der Unterkunft und Heizung für das laufende
Jahr 2013 auf der Grundlage dieser Leistungsdaten angepasst und fortgeschrieben wird und ergänzend dazu auch
ein Ausgleich für 2012 erfolgt. Maßgabe im Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch war, dass die Mittel gemäß der
erhöhten Beteiligungsquote des Bundes an den Kosten
der Unterkunft und Heizung ab 2012 ausschließlich für
das Bildungs- und Teilhabepaket einzusetzen sind.
Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hat im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mehr als 2 000 anspruchsberechtigte
Familien zum Bildungs- und Teilhabepaket befragt. Danach hatten bis Anfang 2012 bei der Grundsicherung für
Arbeitsuchende 54 Prozent der Berechtigten Leistungen
aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bereits beantragt
oder genutzt. Bei Beziehern von Kinderzuschlag und
Wohngeld lag die Quote bei 78 Prozent. Diese Befragung wird gegenwärtig wiederholt.
Bitte schön, Herr Kollege Kurth.
Herr Staatssekretär, wenn Sie davon sprechen, dass
Sie sichergehen wollen, dass die Gelder nicht zweckentfremdet werden, frage ich: Wie würde denn im Falle der
Rückerstattung die Bundesregierung sicherstellen, dass
möglicherweise zurückerstattete Mittel bei den leistungsberechtigten Kindern und Jugendlichen ankommen?
Herr Kollege Kurth, ich kann den in Ihrer Frage aufgeworfenen Zusammenhang nicht nachvollziehen. Ich
will noch einmal sagen, dass wir das Bildungs- und Teilhabepaket gemeinsam auf den Weg gebracht haben,
nachdem höchstrichterlich festgestellt worden ist, dass
verschiedene Regelungen im Bereich des Sozialgesetzbuches II, die seit dem Jahr 2005 galten - dies war mit
den damaligen Mehrheiten seinerzeit in Kraft gesetzt
worden -, eben nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprachen.
Die Bundesregierung hat ein hohes Interesse daran,
dass diese zusätzlich geschaffenen Möglichkeiten in Anspruch genommen werden. Deswegen habe ich gleich zu
Anfang meiner Antwort darauf hingewiesen, dass es
nicht das Ziel der Bundesregierung ist, Geld zurückzubekommen. Es ist jedoch nicht nur unser Recht, sondern
auch unsere Pflicht, auch gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber und den Beschlüssen, die er gefasst hat, darauf
zu achten, dass die vom Haushaltsgesetzgeber bereitgestellten Mittel in der Tat für die Zwecke genutzt werden,
für die sie bereitgestellt worden sind. Wenn das nicht der
Fall ist, ist es ganz selbstverständlich, dass die Mittel in
den Bundeshaushalt zurückfließen. Genauso müssen an
anderer Stelle Mittel überplanmäßig bereitgestellt werden, wenn es die entsprechende gesetzliche Grundlage
dafür gibt. Etwas Selbstverständlicheres gibt es eigentlich in diesem Bereich nicht.
Herr Kollege.
Wenn das so ist, Herr Brauksiepe, dann hätten Sie ja
eigentlich schon für das Jahr 2011 entsprechende Maßnahmen bezüglich der Mittel für das Bildungs- und Teilhabepaket treffen müssen. Sehen Sie das nicht auch so?
Nein, Herr Kollege, das sehe ich nicht so, weil wir
uns an getroffene Verabredungen halten. Das, was ich
Ihnen hier für das Jahr 2012 geschildert habe, ist das,
was im Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten
und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - dazu habe ich
Ihnen gerade vorgetragen - zwischen allen Beteiligten
verabredet worden ist, das heißt insbesondere zwischen
den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat mit
tatkräftiger Mithilfe des Verfassungsorgans Bundesregierung. Das gilt für uns.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Markus Kurth auf:
Auf welcher Rechtsgrundlage erhebt die Bundesregierung
mögliche Rückerstattungsforderungen an die Bundesländer,
und ist die Bundesregierung gegebenenfalls gewillt, auf ebendieser Grundlage die Rückerstattung nicht verausgabter Mittel
gerichtlich einzuklagen?
Ich antworte Ihnen wie folgt, Herr Kollege: § 46
Abs. 7 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ermächtigt
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den
nach § 46 Abs. 6 Satz 2 SGB II an die Ausgaben für die
Bildungs- und Teilhabeleistungen angelehnten Teil der
Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft
und Heizung nach § 46 Abs. 5 SGB II durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen.
Nach der Rechtsauffassung des Bundes ergibt sich aus
der Regelung des § 46 Abs. 7 Satz 3 SGB II, dass die
Differenz zwischen dem erstmals für das abgelaufene
Jahr 2012 ermittelten Anteil der Gesamtausgaben für
Bildungs- und Teilhabeleistungen an den Gesamtausgaben für Unterkunft und Heizung einerseits und dem vorläufig angenommenen Anteil in Höhe von 5,4 Prozent
andererseits im laufenden Jahr, also im Jahr 2013, in voller Höhe, also für 2012 und die ersten Monate 2013,
zeitnah auszugleichen ist.
Die Regelungen zur Revision der Bundesbeteiligung
an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach
§ 46 Abs. 7 SGB II wurden im Vermittlungsverfahren
zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, wie von mir schon in der Antwort auf Ihre
erste Frage erwähnt, einvernehmlich mit den Ländern
vereinbart. Die Bundesregierung geht deshalb davon
aus, dass auch die aktuellen Meinungsverschiedenheiten
gemeinsam mit den Ländern einvernehmlich ausgeräumt
werden können.
Kollege Kurth, bitte.
Ich habe mir gedacht, dass Sie auf den § 46 Abs. 7
SGB II eingehen, in dem die Revisionsklausel beschrieben ist. Da heißt es ja: Das Bundesministerium wird ermächtigt, den Wert des Anteils des Bildungs- und Teilhabepakets an den Kosten der Unterkunft - jetzt aufpassen!
- erstmalig im Jahr 2013 … für das Folgejahr festzulegen
und für das laufende Jahr rückwirkend anzupassen. - Dieser Wert wird also im Jahr 2013 neu festgelegt und für das
laufende Jahr - dann steht da dieses merkwürdige Wort
„rückwirkend“ - angepasst. Das laufende Jahr ist ja 2013,
sodass sich der Rechtsanspruch nicht auf 2012 erstreckte.
Stimmen Sie mir zu, dass dies mindestens missverständlich, möglicherweise aber sogar ein Beispiel für eine
handwerklich eher schlecht gemachte Gesetzesformulierung ist, die diese Diskussion überhaupt erst in Gang gesetzt hat?
Nein, Herr Kollege, von dem Vorwurf, ein Gesetz
schlecht gemacht zu haben, möchte ich Bundestag und
Bundesrat freisprechen. Es ist vielmehr so, dass das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 46
Abs. 8 SGB II bis zum 31. März dieses Jahres eine Mitteilung der Länder in Bezug auf die tatsächliche Mittelinanspruchnahme erwartet. Ich darf den entsprechenden
Satz aus § 46 Abs. 8 SGB II zitieren. Es heißt dort:
Die Gesamtausgaben für die Leistungen nach § 28
sowie nach § 6 b des Bundeskindergeldgesetzes
sind durch die Länder bis zum 31. März des Folgejahres zu ermitteln und dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales mitzuteilen.
Das Folgejahr ist in diesem Zusammenhang das
Jahr 2013; es geht also um das Jahr 2012.
In der von Ihnen angesprochenen Vorschrift des § 46
Abs. 7 SGB II heißt es, dass diese Beteiligung erstmalig
im Jahr 2013 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates für das Folgejahr festzulegen ist. Das ist
genau der Zustand, der in diesem Jahr eintreten wird.
Die Quote von 5,4 Prozent haben wir ja gesetzlich geregelt. Diese müssen wir nicht in diesem Jahr erstmalig
durch Rechtsverordnung regeln, sondern in diesem Jahr
ist durch Rechtsverordnung die bisher festgelegte und
vereinbarte Quote von 5,4 Prozent den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen; das ist der Sachverhalt. Deswegen ist das Wort „rückwirkend“ nicht etwa überraschend
- oder wie auch immer Sie sich ausgedrückt haben -,
sondern in dem einschlägigen § 46 Abs. 7 Satz 3 SGB II
heißt es:
Für die rückwirkende Anpassung wird die Differenz zwischen dem Wert nach Satz 2 und dem für
das abgeschlossene Vorjahr festgelegten Wert nach
Absatz 6 Satz 1 im laufenden Jahr zeitnah ausgeglichen.
Nach § 46 Abs. 6 Satz 3 SGB II sind das 5,4 Prozentpunkte. Das heißt, nach der Gesetzeslage sind die 5,4 Prozentpunkte der Maßstab dafür, ob ein Rückforderungsanspruch besteht, und in diesem Jahr ist erstmalig für
die Zukunft aufgrund der gemachten Erfahrungen per
Rechtsverordnung ein neuer Satz festzulegen. - Wenn
man sich das einmal in Ruhe durchliest, stellt man fest:
Bundestag und Bundesrat sind, unter Mitwirkung der
Bundesregierung, zu einem klugen Kompromiss gekommen.
Haben Sie noch eine weitere Nachfrage?
Ich habe eine Nachfrage von eher grundsätzlicher Natur: Ist es nicht so, dass diese ganzen Diskussionen - die
die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne mit
Sicherheit nicht nachvollzogen haben dürften; wahrscheinlich auch mancher hier im Plenum nicht - eine
grundlegende Fehlkonstruktion zeigen: dass nämlich bei
der Föderalismusreform der Fehler gemacht wurde, dem
Bund zu verbieten, den Kommunen direkt Aufgaben zu
übertragen und mit diesen direkt abzurechnen, sodass in
diesem Falle der Umweg über die Erstattung der Kosten
der Unterkunft gegangen werden musste? Wäre es aus
der Sicht der Bundesregierung nicht an der Zeit, diese
Bestimmungen mit der Unterstützung des gesamten
Deutschen Bundestages zu korrigieren?
Herr Kollege Kurth, die von Ihnen angesprochenen
Bestimmungen sind mit breiter Mehrheit zustande gekommen, und es steht mir überhaupt nicht an, diese Bestimmungen zu kritisieren.
Ich will deutlich machen: Das, was vereinbart worden
ist, ist in der Sache klar und kann auch - bei gutem Willen aller Beteiligten, den ich unterstelle - sehr wohl umgesetzt und vernünftig administriert werden; wir erleben
das ja bei der Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Unterkunft und Heizung seit vielen Jahren.
Es ist doch auch völlig normal, dass, wo es um finanzielle Fragen geht, unterschiedliche Interessen miteinander abzugleichen sind. Das war in dem damaligen Vermittlungsverfahren ein wichtiges Thema - mit einem
von allen Seiten damals als befriedigend und akzeptabel
angesehenen Ergebnis. Wir haben damals einen guten
Kompromiss gefunden; jetzt brauchen wir das nur umzusetzen.
Danke schön. - Wir kommen zu Frage 21 der Abgeordneten Lösekrug-Möller:
Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung zum
Schutz von Hinweisgebern vor dem Hintergrund der Geschehnisse im Pferdefleischskandal?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Hinweisgeber, die Missstände melden - hierzu gehören natürlich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Fleischindustrie -,
sind bereits nach geltendem Recht geschützt. Der Schutz
ergibt sich aus den allgemeinen arbeits- und verfassungsrechtlichen Vorschriften und der hierzu ergangenen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts sowie aus der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Deshalb sieht die Bundesregierung keinen Anlass, vor
dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse - der falschen Deklaration von Produkten als Rindfleischprodukte - den Schutz von Hinweisgebern zu modifizieren.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Wenn Sie keinen Anlass sehen, die Rechte von Hinweisgebern zu verbessern, habe ich die Nachfrage: Liegen
Ihnen denn Erkenntnisse vor, dass es im Zusammenhang
mit diesem wirklich unglaublichen Skandal Hinweise
aus der Arbeitnehmerschaft gegeben hat, durch die für
Sie Rückschlüsse möglich sind, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht?
Frau Kollegin, ich leite den Schluss, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, aus dem vorhandenen materiellen Recht ab, das ich Ihnen hier in der gebotenen Kürze skizziert habe.
Darüber hinaus wird Ihnen bekannt sein, dass sich der
federführende Ausschuss, der Ausschuss für Arbeit und
Soziales, mit diesem Thema intensiv beschäftigt hat und
entsprechende Anträge, die dort gestellt worden sind, die
Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und
Soziales nicht überzeugen konnten und deshalb abgelehnt worden sind. Das hat die Bundesregierung respektvoll zur Kenntnis genommen.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, der Bundesregierung ist ja erlaubt, weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Deshalb stelle
ich zunächst fest, dass Sie nicht die Erkenntnis haben,
dass es aus den Reihen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hinweise gab, die zur Aufdeckung dieses
Skandals führten.
Habe ich es richtig verstanden, dass die Bundesregierung auch angesichts des umfassenden Skandals, der
Anlass für meine Frage war, keinerlei Anlass sieht, zu
handeln und die Frage des Whistleblowings einer erneuten Prüfung zu unterziehen?
Sie haben richtig verstanden, dass nach Ansicht der
Bundesregierung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die Missstände melden, nach geltendem Recht bereits
geschützt sind.
Wir kommen damit zur Frage 22 der Kollegin
Lösekrug-Möller:
Sind nach Ansicht der Bundesregierung die in den Anträgen der Fraktionen Die Linke ({0}), SPD und Bündnis 90/Die Grünen ({1}) formulierten Lösungsvorschläge geeignet, den Interessen der Betroffenen, die eine
Zahlung ihrer Gettorenten ab 1997 und nicht erst ab dem Jahr
2005 fordern, gerecht zu werden?
Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich antworte Ihnen
darauf wie folgt: Die Anträge der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die
Linke sind darauf gerichtet, die rückwirkende Zahlung
von sogenannten Gettorenten ab dem 1. Juli 1997 zu ermöglichen. Dabei geht es um Rentenanträge, die ursprünglich bestandskräftig abgelehnt und nachträglich
auf Grundlage einer neuen Rechtsprechung doch noch
bewilligt wurden. Nach dem Antrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen soll alternativ über die
in der Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen liegende Anerkennungsrichtlinie der Betrag ausgezahlt werden, der sich bei einer rückwirkenden Rentenzahlung ab dem 1. Juli 1997 ergeben hätte.
Im Dezember 2012 hat der Ausschuss für Arbeit und
Soziales des Deutschen Bundestages dazu eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Welche Schlussfolgerungen aus der Anhörung zu ziehen sind, wird derzeit
zwischen der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen abgestimmt. Die Gespräche sind nicht abgeschlossen.
Bitte schön, Kollegin.
Ich habe eine Nachfrage dazu. - Wir wissen, dass wir
über einen Personenkreis, über Betroffene sprechen, die
hochbetagt sind. Insofern ist die Frage, welche Zeit sich
eine Regierung und ein Parlament nehmen, Lösungen
tatsächlich herbeizuführen, absolut relevant.
Angesichts des absehbaren Endes dieser Legislaturperiode frage ich Sie, ob wir im Parlament davon ausgehen können, dass die Bundesregierung noch in dieser
Legislaturperiode einen belastbaren Vorschlag entwickeln wird und wir ihn als Parlament auch zu einem Abschluss bringen können. Ich nehme an, das ist die Erwartung vieler Betroffener.
Frau Kollegin, zunächst kann ich Ihnen dazu sagen,
dass ein entsprechender Vorschlag dann vorgelegt wird,
wenn die von mir angesprochenen Gespräche zu einem
Ergebnis gekommen sind.
Ich möchte diese Frage, für die ich dankbar bin, zum
Anlass nehmen, einmal mit Missverständnissen aufzuräumen, die möglicherweise bestehen können, nämlich
dergestalt, es würde in diesem Bereich überhaupt nichts
passieren.
Der Personenkreis, um den es hier geht und der anerkanntermaßen dieses schwere Schicksal hat, in einem
Getto gearbeitet zu haben, erhält, sofern dies festgestellt
worden ist, Leistungen. Nachdem das entsprechende Gesetz aus dem Jahr 2002 zunächst in rund 90 Prozent der
Fälle zu einer Ablehnung geführt hat, hat die Bundesregierung im Jahr 2007 beschlossen, dass es eine pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 2 000 Euro
für die Betroffenen geben soll. In rund 47 000 Fällen ist
diese Zahlung inzwischen auch bewilligt worden.
Nachdem es dann im Jahre 2009 in dieser Angelegenheit eine andere Rechtsprechung gegeben hat und seitdem viele zusätzliche Fälle positiv beschieden worden
sind, haben auch die Menschen, denen nach dem Gesetz
aus dem Jahr 2002 eine entsprechende Leistung bewilligt
worden ist, zusätzlich auch den Anspruch auf diese pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 2 000 Euro,
die früher nur für die Menschen vorgesehen war, bei denen eine entsprechende Rentenleistung abgelehnt worden ist. Das heißt, es wird eine Rentenleistung gezahlt.
Es geht nicht darum, ob ein hochbetagter Mensch eine
Rente bekommen soll oder nicht, sondern die Menschen,
die anerkanntermaßen freiwillig gegen Entgelt in einem
Getto gearbeitet haben, bekommen eine Rente, und es
geht hier nur um die Frage, ob möglicherweise eine mathematisch neutrale Umstellung erfolgen soll.
Die Behauptung, hier würden hochbetagte Menschen
trotz anerkannten Schicksals, in einem Getto freiwillig
gegen Entgelt gearbeitet zu haben, keine Rente bekommen, ist unzutreffend.
Bitte.
Herr Staatssekretär, ich fühle mich gründlich missverstanden. Möglicherweise geht das vielen Betroffenen
ähnlich.
Mitnichten habe ich behauptet, sie bekämen überhaupt keine Anerkennung; sie bekämen nichts. Das habe
ich mit keinem Satz behauptet; das ist auch nicht Gegenstand meiner schriftlich eingereichten Frage, die unserem Dialog jetzt zugrunde liegt.
Es geht aber doch zweifelsfrei darum, dass Regierung
und Parlament einvernehmlich - zurzeit noch über alle
Fraktionen hinweg; ich hoffe, dass das so bleibt - nach
Lösungen suchen und dass wir die von Ihnen präzise beschriebene offene Frage beantworten. Da genügt es mir
nicht, dass Sie sagen, Sie würden abwarten, bis die Gespräche zu einem Ergebnis geführt haben. Ich erwarte,
dass Sie einen Zeithorizont benennen.
Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich habe meine Ausführungen nicht in Beantwortung Ihrer schriftlich eingereichten Frage gemacht, sondern in Beantwortung der
von Ihnen gestellten mündlichen Nachfrage. In der
Sache bleibt es bei dem, was ich dazu ausgeführt habe.
Es handelt sich um eine sehr komplizierte Materie. Es
sind bereits zu vielen Zeitpunkten Beschlüsse gefasst
worden, hier Zahlungen zu leisten. Das Bundeskabinett
hatte noch im Jahre 2010 beschlossen, dass jeder, der
einmal freiwillig in einem Getto gearbeitet hat, auch
Anspruch auf eine einmalige pauschale Entschädigungs27850
leistung hat. Darüber hinaus gibt es die bekannten rentenrechtlichen Ansprüche.
Jetzt die Kollegin Ulla Jelpke.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht die Frage
beantworten wollen oder können, wann es eine Lösung
gibt, frage ich Sie: Ist der Bundesregierung bekannt bzw.
hat sie darüber gesprochen, dass es sich hier um hochbetagte NS-Opfer handelt, die möglicherweise nicht mehr
erleben, dass sie zu ihrem Recht kommen? Das Gerichtsurteil, das Sie angesprochen haben, hat ja genau das zur
Folge. Deswegen diskutieren wir heute darüber.
Frau Kollegin, der Bundesregierung ist der Sachverhalt bekannt. Die Bundesregierung ist aber nicht diejenige, die entscheidet, was Recht ist und wer - um Ihre
Worte aufzugreifen - zu seinem Recht kommt.
Ich möchte noch einmal an die bisherige Entwicklung
erinnern. Im Jahr 2002 ist von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP das Gesetz
zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Getto verabschiedet worden. Dies hat die Grundlage für Anträge auf entsprechende Rentenleistungen geschaffen. Diese Anträge sind dann aus verschiedenen
Gründen von den zuständigen Stellen in rund 90 Prozent
der Fälle abgelehnt worden. Daraufhin hat die Bundesregierung im Jahr 2007 in Kenntnis dieser hohen Ablehnungsquote eine pauschale Entschädigungsleistung in
Höhe von 2 000 Euro beschlossen.
Nach der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung wurden dann von der Deutschen Rentenversicherung alle bis dahin bestandskräftig abgelehnten Fälle
wieder aufgerollt. Fast alle sind heute beschieden. Nach
dieser neuen Rechtsprechung hat es zusätzliche Bewilligungen gegeben, aufgrund derer eine Rente nach
Rentenrecht gezahlt wird. Das ist die Rechtslage.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Volker Beck.
Die Rechtsfrage ist eine praktische Frage. Wir waren
uns als historischer Gesetzgeber darüber einig - RotGrün hatte diesen Punkt damals ausgehandelt, und Ihre
Fraktionen haben uns darin dankenswerterweise unterstützt -, dass Menschen, die im Getto gearbeitet haben,
dafür einen Rentenanspruch bekommen. Diesen sollten
sie nach Wunsch des historischen Gesetzgebers - so
steht es im Gesetz - ab 1997 haben.
Dann wurde durch irrige Rechtsansichten mehrerer
Sozialgerichte einem Teil dieses Personenkreises der
Rentenanspruch zunächst verwehrt. Später wurde dieser
Rentenanspruch wieder zugestanden, aber merkwürdigerweise nicht mit dem Anspruch „rückwirkend zum
Jahr 1997“. Anstatt das Gettorentengesetz als Lex specialis zu nehmen, bezog man sich auf den allgemeinen
gesetzgeberischen Grundsatz - aber gut, das ist die
Unabhängigkeit der Justiz -, die Rückwirkung auf vier
Jahre zu begrenzen. Das ist nicht der Wille des Gesetzgebers; die Justiz hat so entschieden.
Wenn das in einem Staat, in dem es Gewaltenteilung
gibt, so ist, dann muss der Gesetzgeber, wenn er bei seinem Willen bleiben will, diesen Punkt korrigieren. Dafür
gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können eine pauschale
Zahlung einführen, oder wir können es anderweitig, über
einen Fonds oder welche Konstruktion auch immer, korrigieren. Wir können es den Betroffenen auch freistellen,
sich zwischen den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten
zu entscheiden, was ich für präferierungswürdig halte.
Ich bin bereit, jeden Weg mitzugehen, der zum Ergebnis
führt, dass die Menschen den Anspruch, den wir ihnen
als Gesetzgeber gegeben haben, tatsächlich realisieren
können.
Wir haben doch keine Zeit mehr. Wollen wir jetzt
wirklich noch einmal anderthalb Jahre darüber reden,
dass immer nur die Erben der Rentenbezugsberechtigten
die Rente bekommen? Ich möchte, dass die Menschen,
die damals in den Gettos unter der deutschen Gewaltherrschaft gelitten haben, etwas von diesem Geld haben.
Es sind ohnehin geringe Beträge, die ausbezahlt werden.
Deshalb bitte ich Sie inständig: Sagen Sie uns, wann
Sie einen Vorschlag vorlegen, der aufzeigt, über welchen
Lösungsweg man zu einem Ergebnis kommen kann. Wir
haben eine Anhörung durchgeführt. Alle Sachverständigen - unabhängig davon, für welchen Weg sie sich ausgesprochen haben - haben gesagt, dass man da etwas
machen muss. Es gab also das einmütige Ergebnis, dass
man handeln muss. Deshalb frage ich Sie: Wann
entscheidet die Bundesregierung, in welcher Form sie
handeln wird? Oder wollen Sie nicht handeln?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, ich kann nur wiederholen, dass
die entsprechenden Gespräche noch laufen. Ich muss Sie
aber in Ihrer Einschätzung korrigieren, es habe in der
Anhörung Einvernehmen geherrscht. Die Mehrheit der
Sachverständigen hat Handlungsbedarf gesehen, die
Minderheit nicht. Unter der Mehrheit, die Handlungsbedarf gesehen hat, hat wiederum eine Mehrheit tendenziell eher für eine entschädigungsrechtliche Lösung
plädiert, wie es sie im Jahr 2007 schon einmal gegeben
hat. Andere Sachverständige haben eher für eine rentenrechtliche Lösung plädiert.
Wenn man sich im Bereich des Rentenrechts bewegt,
Herr Kollege Beck, dann kann einen eigentlich auch die
Rechtslage nicht so überraschen, wie Sie es gerade dargestellt haben. Denn die rückwirkende Regelung über
einen Vierjahreszeitraum ist nun einmal bestehendes
Rentenrecht.
({0})
Wenn man - worauf ich mich jetzt gar nicht festlege eine rentenrechtliche Lösung will, dann kann man eigentlich nicht überrascht sein, wenn das Rentenrecht
auch angewandt wird, was in diesem Fall die auf vier
Jahre begrenzte rückwirkende Zahlung bedeutet.
Dabei ist der finanziell entscheidende Punkt - auch
das will ich deutlich sagen -, dass rentenmathematisch
völlig korrekt auch Zuschläge gewährt werden. Das
heißt, wenn man zu einer Regelung käme, die sozusagen
über einen Vierjahreszeitraum hinaus eine rückwirkende
Zahlung vorsähe, dann müssten die laufenden Rentenzahlungen entsprechend gekürzt werden. Es wird ab
2005 rückwirkend gezahlt. Der einschlägige davorliegende Zeitraum, über den wir reden, beträgt 7,5 Jahre.
Pro Jahr wird ein Zuschlag von 6 Prozent gewährt. Das
ergibt die rentenmathematisch korrekte Summe.
Bei diesem Zeitraum von 7,5 Jahren geht es also um
einen Zuschlag von 45 Prozent, der jetzt gewährt wird.
Dieser käme nicht zur Anwendung, wenn man sozusagen rückwirkend ab dem Jahr 1997 die Renten zahlen
würde. Das heißt, im Durchschnitt handelt es sich bei
dieser Rentenberechnung mit den entsprechenden zugrunde gelegten Zuschlägen und Abschlägen um eine
mathematisch neutrale Lösung.
Ich habe großes Verständnis dafür, wenn man aus
grundsätzlichen, übergeordneten Gründen argumentiert,
dass wir für Menschen, die zumindest mit einem Rest an
Freiwilligkeit und gegen Entgelt gearbeitet haben, keine
entschädigungsrechtliche, sondern eine rentenrechtliche
Lösung wollen. Ich habe große Sympathie und großes
Verständnis dafür. Aber wenn man sich im Rentenrecht
bewegen will, muss man das auch konsequent tun, das
heißt mit der Vierjahresfrist, zu der ich noch einmal
sage: Sie benachteiligt finanziell niemanden. Der Zeitraum, für den nicht rückwirkend angepasst werden kann,
wird finanziell durch einen entsprechend höheren Zuschlagsfaktor ausgeglichen.
Nächster Fragesteller Kollege Max Straubinger.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass es für
Renten, die erst nach dem Bundessozialgerichtsurteil bewilligt worden sind, Zuschläge gibt. Können Sie präzisieren, in welchem Umfang hier Zuschläge auf die Rente
erfolgt sind, und gleichzeitig darlegen, dass hier auch
eine pauschale Entschädigungszahlung erfolgt ist?
Ich sage gern noch einmal deutlich: Das Ziel des Gesetzgebers ist es damals auf breiter Basis gewesen, über
das entsprechende Gesetz zur Zahlbarmachung dieser
Renten eine rentenrechtliche Lösung für Menschen zu
finden, die entsprechende Arbeit außerhalb des damaligen deutschen Staatsgebiets geleistet haben und heute
außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes
leben. Hier gab es Probleme, derentwegen dieses Gesetz
erarbeitet wurde.
Unter Würdigung des Umstands, dass in der Praxis
diese neue gesetzliche Rechtsgrundlage in rund 90 Prozent der Fälle nicht dazu geführt hat, dass eine Rente
anerkannt worden ist, hat die Bundesregierung über eine
entsprechende Verordnung, zu der sie gesetzlich ermächtigt ist, dann die Grundlage dafür geschaffen, dass in den
Fällen der Ablehnung eine Pauschale in Höhe von 2 000
Euro gezahlt werden konnte.
Nach der geänderten Rechtsprechung vom 3. Juni
2009 hat sich dann die Rentenversicherung alle bestandskräftig abgelehnten Fälle - es waren 50 000 - vorgenommen. In rund der Hälfte der Fälle ist dann eine Bewilligung erfolgt, in der anderen Hälfte nicht, und zwar
aus verschiedenen Gründen. Aber auch in den Fällen, in
denen eine Bewilligung nach dem Gesetz nicht erfolgt
ist, besteht gleichwohl für jeden, der freiwillig in einem
Getto gearbeitet hat, ein Anspruch auf Entschädigung in
Höhe der erwähnten 2 000 Euro. Dieser Anspruch ist
also ursprünglich als Ersatz geschaffen worden und gilt
jetzt zusätzlich für alle, die einmal freiwillig in einem
Getto gearbeitet haben, auch dann, wenn ihnen im Nachhinein eine Rente nach dem hier einschlägigen Gesetz
gewährt worden ist.
Im Jahr 2010 hat das Bundeskabinett diese Verordnung entsprechend geändert, um die Zahlung von 2 000
Euro in allen Fällen, in denen Arbeit in einem Getto mit
einem Minimum an Freiwilligkeit - so schwer es fällt,
dieses Wort hier zu verwenden; aber es gehört nun einmal in den rechtlichen Zusammenhang - geleistet worden ist, zu gewährleisten.
Das heißt, es sind Zahlungen in mehreren Schritten
geleistet worden. Es geht nicht um die Frage, ob wir die
Menschen mit ihrem Schicksal finanziell allein lassen.
Nächster Fragesteller ist Peter Weiß.
Herr Staatssekretär, es ist - wie schon ausgeführt Wille des Deutschen Bundestages, dass die Menschen,
die von der Nazidiktatur in Gettos gezwungen wurden,
aus der Deutschen Rentenversicherung eine Rente erhalten können. Sie haben dargelegt, wie die unterschiedlichen Gruppen, was den Bewilligungszeitraum angeht,
behandelt werden.
Meine Frage lautet: Wenn man denjenigen, der mit
seinem ersten Antrag Erfolg gehabt hat und rückwirkend
ab dem Jahr 1997 eine sogenannte Gettorente aus der
Deutschen Rentenversicherung monatlich erhält, mit
demjenigen, der leider das Pech hatte, dass sein erster
Antrag abgelehnt wurde, der dann aber bei der Überprüfung seines Antrags - Gott sei Dank - später Erfolg
hatte, aber nur für vier Jahre rückwirkend - allerdings
mit einem höheren Zahlbetrag - eine Gettorente erhalten
hat, vergleicht: Kann man sagen, dass sich die Leistungen aus der Rentenversicherung bei einer durchschnittli27852
Peter Weiß ({0})
chen Fallgestaltung - die Schicksale sind sicherlich individuell - im Gesamtbetrag nicht unterscheiden, also
unabhängig davon sind, ob jemand die Rente ab 1997 erhält oder ob jemand die Rente rückwirkend für vier Jahre
bekommt? Oder gibt es da einen großen finanziellen
Unterschied?
Nein. Man kann genau sagen, dass es diesen Unterschied nicht gibt, weil wir an dieser Stelle mit rentenmathematisch korrekten Zuschlägen arbeiten. Das heißt,
derjenige, der rückwirkend eine Leistung ab 1997 bekommt, bekommt eine geringere durchschnittliche monatliche Rente; derjenige, bei dem diese Rückwirkung
nicht so weit erfolgt ist, erhält dafür eine höhere durchschnittliche monatliche Rente, weil in diesem Fall mit
höheren Zuschlägen für jahrelang nicht in Anspruch genommene Leistungen gearbeitet wird.
Natürlich ist die Frage, wie viel der Einzelne an seinem Lebensabend bekommen hat, individuell unterschiedlich zu beantworten. Das ist nun aber kein Spezifikum des ZRBG, sondern es ist typisch für das gesamte
Rentenrecht. Wir haben rund 21 Millionen Bezieher einer gesetzlichen Rente. Wir haben zurzeit - bekanntermaßen ein Rekord - rund 29 Millionen Menschen, die
als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in dieses
System einzahlen. Die Zu- und Abschläge, die es in diesem System gibt, sind an den Durchschnitten orientiert;
anders kann es auch nicht sein. Das sind genau die
Durchschnitte, die auch in diesem Fall zugrunde gelegt
werden.
Also: Natürlich kommt es immer auf die Lebenserwartung des Einzelnen an. Dabei geht es auch um die
Fragen, ob jemand alleinstehend ist, ob es jemand ist,
der eine Witwen- oder Witwerrente in Anspruch nehmen
kann, und wie alt die jeweilige Person ist. Das sind individuell sehr unterschiedliche Fallgestaltungen.
In der Tat ist es im Durchschnitt genau so, wie Sie es
gesagt haben. Ich habe aber großes Verständnis dafür,
dass sich die gefühlte Gerechtigkeit von der Rentenmathematik unterscheiden kann. Rentenmathematisch
werden die unterschiedlichen Fälle in einer Weise gewürdigt, die bewirkt, dass es hier im Durchschnitt in der
Tat zu einem Ausgleich kommt.
Nächster Fragesteller ist unser Kollege Wolfgang
Strengmann-Kuhn.
Auch wenn Sie es jetzt schon ein paarmal wiederholt
haben, Herr Staatssekretär: Es ist schlicht falsch; es ist
rentenmathematisch nicht neutral. Die Mathematik lässt
sich da nicht austricksen, auch wenn Sie das vielleicht
gern so sehen möchten. Diese Berechnungsweise ist rentenmathematisch neutral für die Menschen, die 1997
65 Jahre alt waren, also für die, die 1932 geboren worden sind. Die meisten, die in einem Getto gearbeitet haben, sind früher geboren, das heißt, sie haben eine kürzere Restlebenserwartung. Für diese Gruppe ist das
Ganze rentenmathematisch also nicht neutral. Sie bekommen, über die gesamte Laufzeit betrachtet, im
Durchschnitt weniger Geld. Sie können das nachrechnen. Gegebenenfalls kann ich Ihnen das noch einmal erklären.
Es hat in der Tat etwas mit der Lebenserwartung zu
tun. Jemand, der 65 ist, hat eine andere Restlebenserwartung als jemand, der schon 70 oder 80 ist. Daraus ergeben sich die Unterschiede. Das haben alle Experten in
der Sitzung gesagt. Auch der von Ihnen heute im Ausschuss genannte Sachverständige Plagemann hat nicht
bestritten, dass dem so ist, sondern er hat Skepsis hinsichtlich der beiden Wege geäußert. Es gab eigentlich
niemanden, der bestritten hat, dass es Handlungsbedarf
gibt. Sehe ich es richtig, dass Sie nach Ihrer Logik da
keinen Handlungsbedarf sehen, oder wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, unabhängig von
dem, was Sie öffentlich zu diesem Thema verlautbaren
oder auch hier fragen, bleibt es bei dem, was ich Ihnen
auch im Ausschuss heute Morgen gesagt habe: Die Bundesregierung prüft respektvoll jede Meinung, die von
Sachverständigen in der Anhörung geäußert worden ist
- die, die Ihnen passen, und die, die Ihnen nicht
passen -, alle gleichermaßen mit dem gleichen Respekt.
Diese Haltung würde ich mir im Übrigen von allen an
dieser Debatte Beteiligten wünschen, wenn ich mir hier
irgendetwas wünschen darf.
Man kann unterschiedliche Meinungen haben, wie
man dem schrecklichen Schicksal dieser Menschen, die
in einem Getto gelebt haben, am besten gerecht werden
kann. Dass wir uns mit „Unverschämtheit!“ und Ähnlichem gegenseitig bedenken, wie das leider auch von Ihnen heute Morgen im Ausschuss der Fall war, worauf
der amtierende Vorsitzende dankenswerterweise angemessen reagiert hat, sollte, finde ich, nicht vorkommen.
Ich lasse mir jetzt hier von Ihnen auch nichts anderes
in den Mund legen als das, was ich für die Bundesregierung bisher gesagt habe: Die Bundesregierung prüft
respektvoll sämtliche in der Anhörung geäußerten Vorschläge und Stellungnahmen, die im Detail sehr unterschiedlich waren.
Nächste Nachfrage, unser Kollege Anton Schaaf.
Herr Staatssekretär, manchmal ist es auch so: Wie
man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. - Aber
das nur am Rande.
Würden Sie mir recht geben, dass der Gesetzgeber
2002 in Bezug auf die Gettorenten und die Zahlbarmachung dieser Renten den Willen hatte, dass für alle, die
einen Antrag gestellt und eine Rente bewilligt bekomAnton Schaaf
men haben, die Rente rückwirkend ab 1997 gezahlt
wird? - Das war der Wille des Gesetzgebers, der Wille
von vier Fraktionen dieses Hauses. Dieser Wille hat sich
bei einigen Fraktionen dieses Hauses offensichtlich nicht
geändert.
Anschließend gab es übrigens wegen der Schlampigkeit des Gesetzgebers, wofür wir natürlich die Verantwortung tragen, eine sehr unterschiedliche Bewilligungspraxis bei den Gettorenten. Beispielsweise gab es heftige
Streitereien darüber, was überhaupt ein Getto war.
Dann kam es 2009 zu einem Urteil des Bundessozialgerichts. Dieses Urteil besagt, dass der Personenkreis,
der geklagt hat, Anspruch auf die Rente hat, allerdings
nach Rentenrecht rückwirkend nur vier Jahre. Aber der
Wille des Gesetzgebers war, dass die Menschen, die einen Bewilligungsbescheid bekommen haben, die Rente
rückwirkend ab 1997 bekommen. Das war der Wille von
vier Fraktionen in diesem Haus.
Können Sie bestätigen, dass das der Wille der
Fraktionen in diesem Hause war und dass dieser Wille,
auch wenn es schwierig ist - das gebe ich durchaus zu -,
eigentlich umgesetzt werden muss für diejenigen, die
2009 vor Gerichten recht bekommen haben?
Herr Kollege Schaaf, nach meiner Erinnerung war der
Wille des Gesetzgebers im Jahr 2002 so, wie Sie ihn beschrieben haben. Ich kann mich allerdings nicht daran
erinnern, dass es im Jahr 2002 eine Verabredung gab,
von der im Sozialrecht allgemein geltenden Rückwirkungsregelung - die Begrenzung der Rückwirkung auf
vier Jahre steht im SGB X - in diesem Fall abzuweichen; sonst hätte man es ja regeln können. Im Übrigen
entspricht meine Erinnerung dem, was Sie in der Fragestellung dargelegt haben.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 23 des Kollegen Anton Schaaf auf:
Teilt die Bundesregierung die in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages
am 10. Dezember 2012 vom Einzelsachverständigen Dr. JanRobert von Renesse vertretene Auffassung, dass der Verwaltungsaufwand für eine rentenrechtliche Lösung zur rückwirkenden Zahlbarmachung von Gettorenten ab 1997 wegen der
bereits bei der Deutschen Rentenversicherung erprobten einschlägigen Verfahren eher gering wäre und zeitlich nur wenige Wochen umfassen würde?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schaaf, Ihre Frage bezieht sich offenbar
auf die Fälle, in denen das deutsch-israelische Sozialversicherungsabkommen Anwendung findet. - Nach dem
Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. April 2011 gilt
in Anwendung dieses Abkommens der in Israel gestellte
Rentenantrag auch als Antrag auf eine sogenannte Gettorente in der Bundesrepublik Deutschland. In den Fällen,
in denen vor diesem Urteil des Bundessozialgerichts
eine Gettorente zu einem späteren als dem frühestmöglichen Rentenbeginn, nämlich dem 1. Juli 1997, festgestellt worden ist, weil der israelische Antrag nicht als
deutscher Rentenantrag angesehen wurde, wird der Rentenbeginn gemäß dem BSG-Urteil auf Antrag der Berechtigten überprüft. In diesen Fällen wurde den Berechtigten ein Wahlrecht eingeräumt, ob es bei dem bisher
bewilligten späteren Rentenbeginn mit einer aufgrund
von Rentenzuschlägen höheren Rente bleiben soll oder
ob sie einen früheren Rentenbeginn mit einer dann niedrigeren Rente und einer Nachzahlung wünschen.
Nach Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung
dauerte das Verfahren in der Regel drei bis vier Monate.
Ob die Dauer des Verfahrens vergleichbar wäre und welcher Verwaltungsaufwand entstünde, wenn ein entsprechendes Verfahren durch die Rentenversicherungsträger
in den Fällen der nachträglich bewilligten Gettorenten
für die in verschiedenen Ländern - weltweit - lebenden
Berechtigten angewandt würde, kann sachgerecht nur
vom zuständigen Rentenversicherungsträger beurteilt
werden.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Anton Schaaf.
Um ehrlich zu sein: Ich konnte meine Frage in der
Antwort nicht erkennen. Aber es kann ja sein, dass das
die Antwort auf eine andere Frage war. Ich hatte die
Frage gestellt: Teilt die Bundesregierung die in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des
Deutschen Bundestages im Dezember vom Einzelsachverständigen Jan-Robert von Renesse vertretene Auffassung?
Sie haben ja heute Morgen im Ausschuss gesagt, dass
die Bundesregierung mit den Koalitionsfraktionen noch
in Gesprächen darüber ist, ob und wie - so haben Sie gesagt - man eine solche Zahlung auf den Weg bringen
könnte. Nach den Ausführungen, die Sie hier gemacht
haben, und nach dem, was der Kollege Peter Weiß eben
gesagt hat - das war ja alles sehr rechtfertigend, was den
Istzustand angeht -, frage ich Sie, ob Sie tatsächlich
noch bereit sind, eine Lösung herbeizuführen, oder ob
wir jetzt ein taktisches Manöver erleben, mit dem versucht wird, die Bundestagswahl hinter sich zu bringen,
ohne vorher einen konkreten Lösungsvorschlag gemacht
zu haben.
Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum man den
Istzustand so vehement rechtfertigt, obwohl niemand infrage gestellt hat, dass Renten gezahlt werden. Sie brauchen das also nicht zu betonen. Aber die entscheidende
Frage ist doch: Können wir zeitnah - natürlich auch vor
dem Hintergrund des Alters der Betroffenen - eine Lösung erreichen, und ist die Bundesregierung gewillt,
zeitnah einen Lösungsvorschlag auf den Tisch zu
legen? - Da hilft es nicht, dass Sie sagen, Sie seien in
Gesprächen. Denn es gibt Lösungsvorschläge. Wenn
man diese ablehnt, kann man auch bessere Lösungsvorschläge machen. Aber Ihrerseits gibt es zurzeit überhaupt keinen Lösungsansatz, der in irgendeiner Form
diskutiert wird, zumindest ist keiner öffentlich bekannt
geworden.
Herr Kollege Schaaf, ich sage das jetzt für die Öffentlichkeit; denn ich bin sicher, dass Sie wissen, worüber
ich rede. Es gibt eine Pressemeldung von heute,
11.01 Uhr, in der auch der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. Sie beginnt mit dem Satz:
Die Renten stehen ihnen gesetzlich zu - doch sie
werden rund 20 000 ehemaligen jüdischen Ghettoarbeitern der NS-Zeit nicht ausgezahlt.
({0})
So beginnt ein Artikel, in dem der Kollege
Strengmann-Kuhn zitiert wird. Deswegen habe ich nicht
aus Daffke, sondern aus gegebenem Anlass darauf hingewiesen, dass Menschen hier eine Rentenzahlung nicht
verweigert wird,
({1})
sondern dass aufgrund der gesetzlichen Grundlagen, die
wir seinerzeit gemeinsam geschaffen haben, Renten gezahlt werden.
Aus gegebenem Anlass wiederhole ich auch das, was
ich heute Morgen im Ausschuss gesagt habe. Ich habe
nicht über das Ob oder das Wie gesprochen, sondern ich
habe darüber gesprochen, dass es in der Sachverständigenanhörung im letzten Jahr unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben hat, wie in dieser Frage verfahren werden soll, und dass die Bundesregierung mit dem
gebotenen Respekt sämtliche dort gemachten Äußerungen von Sachverständigen in ihre Erwägungen und auch
in die Gespräche, die sie führt, miteinbezieht.
Bevor ich dem Kollegen Anton Schaaf das Wort zu
einer weiteren Nachfrage gebe, weise ich darauf hin,
dass wir pünktlich um 15.35 Uhr mit unserer Aktuellen
Stunde beginnen wollen. - Bitte, Kollege Anton Schaaf,
Ihre zweite Nachfrage.
Ja, Sie haben heute Morgen darauf hingewiesen, dass
Sie aus Respekt vor den Sachverständigen selbstverständlich alle Anregungen und Vorschläge, die es in der
Anhörung gegeben hat, in angemessener Weise berücksichtigen. Das ist aber nicht die Frage. Ich unterstelle einer Bundesregierung generell, dass sie das tut. Daher
bräuchte man diesen Hinweis nicht. Wir als Fragestellende in diesem Parlament benötigen zudem den Hinweis nicht, dass natürlich Renten gezahlt werden, dass
die Betroffenen sozusagen nicht mittellos dastehen, was
die Rentenzahlungen angeht. Das wissen wir; da brauchen wir keine Belehrung.
Vielmehr geht es hier um die Frage, ob man für einen
Personenkreis, der in der Sache den gleichen Schaden
erlitten hat, aber rentenrechtlich unterschiedlich behandelt wird, nicht etwas machen muss. Ich möchte von Ihnen hier klipp und klar wissen - ich frage das noch einmal, weil sich mir das in Ihrer Antwort nicht erschlossen
hat -, ob die Bundesregierung plant, zu diesem Sachverhalt zeitnah einen Lösungsvorschlag vorzulegen.
Kollege Schaaf, ich sage es noch einmal deutlich: In
der von mir aus gegebenem Anlass angesprochenen
Meldung wird der Kollege Strengmann-Kuhn mit den
Worten zitiert:
Die Bundesregierung muss endlich handeln und ihr
zynisches Spiel auf Zeit aufgeben.
Ich weise die Unterstellung, dass die Bundesregierung
ein zynisches Spiel betreibt, mit aller Entschiedenheit
zurück. Sie ist abwegig. Deswegen sage ich Ihnen noch
einmal: Es ist in der Vergangenheit gehandelt worden.
Es hat in der Vergangenheit Gesetzgebung gegeben. Es
hat Urteile gegeben. Es ist ein deutlich günstigeres Urteil
im Jahre 2009 ergangen, aufgrund dessen die Deutsche
Rentenversicherung tätig geworden ist. Aufgrund dieses
Urteils ist die Bundesregierung im Jahr 2010 tätig geworden, indem sie den Kreis der Begünstigten, die eine
Entschädigungspauschale in Höhe von 2 000 Euro erhalten, auf alle Verfolgten ausgeweitet hat, die freiwillig in
einem Getto gearbeitet haben. Das heißt, es hat umfangreiche Aktivitäten gegeben. Ich wiederhole: Wir werden
Gespräche darüber führen, welche Konsequenzen angesichts der unterschiedlichen Vorschläge, die wir in der
Anhörung erhalten haben, zu ziehen sind. Diese sind
noch nicht abgeschlossen. Wir streben selbstverständlich
an, das Ergebnis, wenn wir es gefunden haben, politisch
unverzüglich umzusetzen.
Danke. - Die nächste Nachfrage hat unser Kollege
Peter Weiß.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
eine Presseveröffentlichung aufmerksam gemacht, in der
der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. In dieser
wurde der Verdacht geäußert, es würden Antragsberechtigte keine Gettorente erhalten. Auch in einigen Briefen
und Publikationen wird diese Vermutung immer wieder
geäußert. Darf ich Sie fragen: Ist es richtig, dass nach der
neuen, sogenannten Gängigmachung der Zahlbarkeit
von Gettorenten alle Berechtigten diese durch die Deutsche Rentenversicherung genehmigt und ausbezahlt bekommen? Der einzige Unterschied ist, dass es Fälle gibt,
denen diese Rente rückwirkend ab 1997 genehmigt
wurde, und es gibt Fälle, die sie vier Jahre rückwirkend
mit einem höheren Zahlbetrag bekommen haben.
Das ist richtig, Herr Kollege Weiß. Alle Anträge, die
vor dem 3. Juni 2009 gestellt worden sind, sind inzwischen auch beschieden. Aufgrund dessen hat es über die
7 000 Bewilligungen hinaus, die es schon vorher unter
der ungünstigeren Anwendung des Gesetzes gegeben
hat, 25 000 weitere Bewilligungen gegeben. Seit dem
3. Juni 2009, seit der geänderten BSG-Rechtsprechung,
sind 16 000 weitere Bewilligungen hinzugekommen.
Natürlich ist noch nicht jeder Antrag, der im laufenden
Verfahren ist, beschieden worden; es kommen jeden Monat neue Anträge hinzu. Es gibt aber aus der Zeit vor
dem Urteil vom 3. Juni 2009 keine mir noch bekannten
offenen Vorgänge. Das heißt, die deutlich günstigere
Rechtsprechung, die seit dem 3. Juni 2009 gilt, ist in die
Praxis dementsprechend umgesetzt worden.
Nächster Fragesteller ist unser Kollege Max
Straubinger.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, dass
im Rahmen einer Diskussion über eine rentenrechtliche
Lösung alle Renten auf das Jahr 1997 zurückgerechnet
werden müssten. Dies würde möglicherweise für viele
bedeuten, dass sie bei ihrer Rente Einbußen hinnehmen
müssten. Kann man einen Umfang nennen?
Ihre Frage unterstellt, dass gesetzgeberisch ein Wahlrecht eingeführt und in jedem Fall in Anspruch genommen würde. Nach dem ZRBG haben wir heute bei der
Gettorente Zahlungen in Höhe von etwa 200 Euro im
Monat. Wir reden über eine Nachzahlung in Höhe von
etwa 7 000 Euro für diesen Zeitraum. Eine gekürzte
Rente würde etwa 130 Euro betragen. Das sind die Größenordnungen.
Was für den Einzelnen individuell günstiger ist, hängt
unter anderem von seinem Lebensalter ab, aber auch von
der Frage, ob es absehbar Hinterbliebene geben wird, die
dann diese Rente in Anspruch nehmen können, und über
welchen Zeitraum sie gegebenenfalls diese Rente in Anspruch nehmen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind punktgenau in der Zeit. Unsere Fragestunde ist beendet. Mit den
offenen Fragen wird gemäß unserer Geschäftsordnung
verfahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum
nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft
und Ehe als Konsequenz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat in unserer
Aktuellen Stunde unsere Kollegin Frau Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
74 Prozent der Deutschen fänden es gut, wenn die Lebenspartnerschaften von gleichgeschlechtlichen Paaren
vollkommen der traditionellen Ehe gleichgestellt würden; 23 Prozent sind dagegen, und 3 Prozent wissen es
noch nicht genau. Die Mitglieder der Fraktion der CDU/
CSU gehören entweder zu den 23 Prozent oder den
3 Prozent - macht zusammen 26 Prozent. Das ist es, was
Sie aufzubieten haben, wenn es um dieses wirklich
wichtige Thema geht.
({0})
Eine Gleichstellung der Homoehe wollen dabei die
Anhänger aller im Bundestag vertretenen Parteien, natürlich am meisten die der Grünen. Aber auch rund zwei
Drittel der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU
sind dafür, zu einer solchen Gleichstellung zu kommen.
Ich finde, darauf könnten Sie wenigstens einmal
schauen, wenn Ihnen schon alles andere egal ist.
({1})
Ich habe aufgehört, mitzuzählen, wie oft diese Bundesregierung eigentlich schon ihre Meinung geändert
hat. Das Schlimme an den ständigen Windungen, im aktuellen Fall beim Adoptionsrecht, ist aber: Die Regierung Merkel handelt nicht überlegt, aus einem politischen Willen heraus oder weil es um die Situation der
Menschen geht, sondern sie handelt aus keinem anderen
Grund als dem, dass es Druck von außen gibt. Es kann
doch nicht sein, dass die Koalition politische Entscheidungen in die Gerichte outsourct und sich selber wegduckt.
({2})
Muss denn tatsächlich das Bundesverfassungsgericht
dieser Regierung beibringen, was Diskriminierung ist?
({3})
Noch im Dezember 2012 hat die Bundeskanzlerin gesagt: Ich bin nicht dafür, dass die Privilegierung der Ehe
auf die homosexuellen Partnerschaften ausgeweitet
wird. ({4})
Das kann ich nicht verstehen. Was tun Sie denn, wenn
Mann und Mann oder Frau und Frau zusammenleben
und sich lieben? Sie behindern diese Liebe. Sie sabotieren die Bereitschaft - das ist eigentlich konservativ,
meine Damen und Herren -, füreinander Verantwortung
zu übernehmen und Werte zu leben.
({5})
Das Argument der Union, insbesondere von Herrn
Kauder, der dieser Debatte nicht beiwohnt, ist immer die
angebliche Gefährdung des Kindeswohls. Was für eine
Anmaßung! Haben Sie eigentlich mal Kinder, die bei
schwulen oder lesbischen Paaren leben, gefragt, wie das
so ist? Das Süddeutsche Zeitung Magazin hat das vor einigen Wochen in einem langen Gespräch getan. Ein
Mädchen sagte da:
Kinder nehmen das alles total normal auf. Wenn,
dann waren es immer die Eltern, die damit ein Problem hatten.
Ein Junge sagte:
Wir haben keine Angst vor Emotionen. Wir sind in
Familien aufgewachsen, in denen sich Menschen
Gedanken über ihre Gefühle machen mussten.
Ich sage Ihnen: Ich jedenfalls hatte beim Lesen solcher Sätze nicht das Gefühl, dass es gegen das Kindeswohl wäre - ganz im Gegenteil.
({6})
Wenn es Ihnen um die Kinder geht, dann sorgen Sie endlich für die Gleichstellung!
Jetzt blinken Sie in Richtung Adoptionsrecht, weil Ihnen das Verfassungsgericht die Aufgabe gegeben hat,
hier nachzubessern. Was ist die Wahrheit? Man muss
nur die Zeitung aufschlagen: Herr Dobrindt warnt
vor „Schnellschüssen bei der Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaft mit der Ehe“.
({7})
Herr Bosbach fordert eine „sehr grundsätzliche Diskussion“. Frau Hasselfeldt sieht „keinen Grund für eine
Kehrtwende bei diesem Thema“. Was Norbert Geis sagt,
zitiere ich hier, ehrlich gesagt, lieber nicht.
({8})
Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, ausloten, diskutieren? Sie können sich das sparen.
({9})
Wir nehmen Ihnen gern die Arbeit ab. Was zu tun ist? Es
ist ganz einfach: Öffnen Sie endlich die Ehe für homosexuelle Paare!
({10})
Beenden Sie die unglaubliche Ungerechtigkeit, die Sie
bisher fortgeschrieben haben, die Ungerechtigkeit, wenn
es um Liebe und Zusammenleben geht. Herr Dobrindt
sagt:
Für uns gilt der Grundsatz, dass Ehe und Familie
auch künftig besonders privilegiert, gefördert und
geschützt sind.
Da kann ich nur mit Ihrem Kollegen Jens Spahn antworten, der am Wochenende twitterte:
Welchen Schaden nimmt die Ehe? Wer bekommt
ein Kind weniger, weil Schwule heiraten?
Recht hat Herr Spahn. Genau so ist es. Die Ehe nimmt
keinen Schaden. Im Gegenteil: Sie wird von noch mehr
Menschen gelebt als bisher.
({11})
Die Diskriminierung muss aufhören. Sie muss aufhören beim Adoptionsrecht und beim Steuerrecht. Die Diskriminierung muss aufhören beim Kindergeld und bei
den Kinderfreibeträgen und, und, und. Sie müssen nicht
weiter prüfen. Sie müssen einfach umsetzen. Wir haben
im Rechtsausschuss einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Dem können Sie einfach zustimmen, dann ist das erledigt.
Zum Schluss. Frau Steinbach hat getwittert:
Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor Verfassungsrichtern?
({12})
Ich frage: Wer schützt uns eigentlich vor dem Demokratie-, Ironie- und Rechtsstaatsverständnis von Frau
Steinbach?
Wir wollen endlich die Gleichstellung! Gleiche Liebe
verdient gleiche Rechte. Sorgen Sie dafür, dass die Ehe
geöffnet wird! Sorgen Sie endlich dafür, dass Sie bei der
Mehrheit der Deutschen, was die Gleichstellung angeht,
ankommen. Sie könnten dabei sein! Ducken Sie sich
nicht weg! Folgen Sie dem Verfassungsgericht! Machen
Sie nicht weiterhin eine Politik aus dem vergangenen
Jahrhundert!
({13})
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion von CDU/
CSU Kollege Dr. Günter Krings. Bitte schön, Kollege
Günter Krings.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war
schon ein bemerkenswerter Auftakt. Frau Kollegin, Sie
haben uns vorgeworfen, dass wir Politik an die Gerichte
outsourcen wollten, und Sie beginnen Ihre Rede, indem
Sie Politik an die Demoskopen outsourcen, indem Sie
Demoskopen zitieren und das offenbar für maßgeblich
halten.
({0})
Das ist nicht unser Politikverständnis.
({1})
Sie müssen sich langsam überlegen, was Sie eigentlich wollen. Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um
die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe,
und Sie sprechen von der Öffnung der Ehe. Das sind
zwei verschiedene Dinge. Sie sind sich offenbar selbst
nicht im Klaren darüber, was Sie eigentlich wollen. Ich
weiß auch nicht genau, was die Intention der von Ihnen
geforderten Aktuellen Stunde ist. Eine sachliche Debatte
ist es offensichtlich nicht, sondern eher eine polemisierende Debatte. Das wird der Sache aber nicht gerecht.
Es ist auffällig, dass kaum ein anderes politisches
Thema so sehr dadurch gekennzeichnet ist, dass keine
vernünftige, sachliche Debatte zustande kommt. Dabei
gibt es durchaus berechtigte Fragen, zum Beispiel, ob es
neben der durchaus vorhandenen Vergleichbarkeit von
Ehe und Lebenspartnerschaften bei vielen Werten, etwa
im Füreinandereinstehen, im Einzelfall aber nicht doch
Anknüpfungspunkte für Differenzierung gibt. Darüber
darf man Ihres Erachtens offenbar nicht einmal mehr
nachdenken oder gar reden.
({2})
Diejenigen, die das tun, werden in beispielloser Weise
attackiert, was oft in einem Automatismus gipfelt. Herr
Beck hat sich zu diesem Thema gemeldet. Er ist ein
Meister darin, den Vorwurf der Homophobie zu erheben,
dem auch ich mich schon bei einer betont sachlichen
Auseinandersetzung ausgesetzt sah. Herr Kollege, das
tut der Debatte nicht gut. Das tut im Übrigen auch Ihrem
Anliegen nicht gut.
({3})
Wir erleben oft, auch durch Zwischenrufe, das Gegenteil
einer demokratischen Diskussionskultur. Ich fordere daher mehr Respekt für alle Meinungen in der Debatte ein.
({4})
Dieser Respekt gehört gerade auch in die Debatte über
das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Partnern.
({5})
Es ist selbstverständlich, dass wir eine zügige Umsetzung der Vorgaben des Verfassungsgerichts von letzter
Woche zur Sukzessivadoption vornehmen wollen. Vollkommen richtig hat das Verfassungsgericht entschieden:
Wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, dann dient es dem Kindeswohl, wenn das
Kind zu beiden Partnern eine rechtlich verfestigte Verbindung erhält.
({6})
Die Frage der Volladoption ist aber etwas schwieriger zu
entscheiden. Hier würde der Staat von außen und aus eigener Entscheidung heraus ein Kind nicht einem Mann
und einer Frau anvertrauen, sondern zwei Männern bzw.
zwei Frauen.
({7})
Der Maßstab dafür, ob das richtig ist - hoffentlich sind
wir uns darüber noch einig -, kann nicht der Adoptionswille der Erwachsenen sein, sondern immer nur das Kindeswohl.
({8})
Ich habe, um das gleich klarzustellen, nicht die Sorge,
dass Homosexuelle weniger gute Eltern wären. Ich
denke, dass ein Kind dort ebenso gut aufgehoben, geliebt
und versorgt werden kann. Ich halte es aber für besser
- aus dem Blickwinkel des Kindes betrachtet -, wenn
ein Kind nicht zwei Männer oder zwei Frauen, sondern
einen Vater und eine Mutter als Eltern hat.
({9})
Zu Recht wird im Scheidungsverfahren immer wieder
die Bedeutung von Vater und Mutter für ein Kind betont.
In Kindergärten und Grundschulen suchen wir auch deshalb händeringend nach männlichen Erziehern und Lehrern, um den Kindern beiderlei Rollenbilder vorzuführen, um die Kinder damit zu konfrontieren.
({10})
- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu.
Ich folgere daraus nicht zwingend ein Votum gegen
die Fremdadoption in Lebenspartnerschaften; aber ich
bin der Überzeugung, dass wir uns diese Entscheidung
nicht zu leicht machen dürfen.
({11})
Deshalb bin ich an einer Stelle über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enttäuscht. Es geht um die Stelle,
an der das Gericht sagt: Die Förderung eines Kindes in
Ehe und Lebenspartnerschaft ist absolut gleichzusetzen.
({12})
Ich will da gar nicht widersprechen, aber das ist ein einziger dürrer Satz in der Entscheidung, ohne jegliche Begründung. Ich glaube, es trägt der Sache einfach nicht
Rechnung, wenn man das mit einem Halbsatz oder einem knappen Satz abtut, ohne es zu begründen.
({13})
Soweit ersichtlich gibt es nur eine einzige Studie, in
der weniger als 100 Kinder dazu befragt worden sind.
Ich glaube nicht, dass ein Artikel in der Süddeutschen
Zeitung ein Äquivalent für eine solche Studie ist.
({14})
- Da Sie das Stichwort „Anhörung“ gerade nennen:
Auch in der letzten Anhörung des Rechtsausschusses im
Jahre 2011 haben Sachverständige gesagt, man brauche
weitere Studien. Sie haben eine bessere Datengrundlage
gefordert und angemahnt. Ich halte das für richtig.
Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen
drei Finger zurück. Ich will kurz etwas zur Haltung von
Grünen und SPD zum Thema Gleichstellung sagen. Der
Kollege Beck, der sich so lautstark meldet, ist besonders
prädestiniert für einen Zickzackkurs. Er hat noch 2001 in
einer juristischen Fachzeitschrift - das ist bemerkenswert - geschrieben - ich zitiere wörtlich -:
Denn das Lebenspartnerschaftsgesetz sieht wesentliche Unterschiede zur Ehe vor und wahrt damit
auch die nach Auffassung der Kritiker notwendige
Differenz zum Institut der Ehe.
({15})
Diese Unterschiede sind im Übrigen auch nicht
marginal.
Er zitiert die Unterschiede. Als Erstes nennt er übrigens
das Ehegattensplitting als besonders positives Beispiel
für einen Unterschied.
({16})
Es gibt hier offenbar ein besonders trickreiches Vorgehen der Opposition: Zunächst sagt man: „Das ist etwas
ganz anderes“, um ein paar Jahre später die Begründung
auszutauschen. Sie mögen das für besonders schlau und
trickreich halten. Ich halte das für das Gegenteil von
wahrhaftiger Politik. Ich halte das für ein Vorgehen, das
wesentlich zum Politikverdruss in der Bevölkerung beiträgt. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen: Politiker tun alles, sie bleiben nur nicht bei einer
ehrlichen, klaren Position. Genau das haben Sie bei dieser Frage getan, und das ist meines Erachtens skandalös.
({17})
Im gleichen Atemzug könnte man die Position der
SPD zum Ehegattensplitting nennen: Einerseits fordert
sie die Erweiterung, auf der anderen Seite fordert sie die
Abschaffung. Wenn man ein Beispiel für schizophrene
Politik sucht, dann findet man es in Ihrer Haltung zum
Thema Ehegattensplittung.
Vielen Dank.
({18})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unser Kollege Thomas Oppermann.
- Bitte schön, Kollege Thomas Oppermann.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Eingetragene Lebenspartnerschaften gehören
zehn Jahre nach ihrer Einführung zum Alltag in
Deutschland. 75 Prozent der Deutschen wollen, dass Lebenspartnerschaften ohne Diskriminierungen gleichgestellt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht will
das. In fünf Entscheidungen hat es diskriminierende Vorschriften für Lebenspartnerschaften festgestellt und verfassungskonforme Regelungen angemahnt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr
Papier, bringt das auf den Punkt. Er fasst diese Rechtsprechung zusammen. „Die Würfel sind gefallen“, sagt
er.
Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zu eingetragenen Lebenspartnerschaften ist rechtlich nicht
mehr zu halten.
Der Mann hat recht.
({0})
Die Zeit ist reif für eine umfassende Gleichstellung von
Lebenspartnerschaften und Ehe.
({1})
Obwohl das schon im Januar in der Luft lag, haben bei
der namentlichen Abstimmung über das Jahressteuergesetz die Abgeordneten der FDP und 219 Abgeordnete
von CDU und CSU gegen die steuerliche Gleichstellung
von Lebenspartnerschaften gestimmt.
Nur wenige Wochen vorher, im Dezember auf dem
CDU-Parteitag, hat sich Frau Merkel dafür feiern lassen,
dass es ihr als CDU-Vorsitzender gelungen war, zwei
Drittel der Delegierten auf dem Parteitag für ihre Position zu gewinnen. Die Position lautete: Auf keinen Fall
eine steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften! - Frau Merkel kann auch konservativ, wurde in den
Reihen der CDU anerkennend gesagt.
Und jetzt? Jetzt schlägt Ihnen das Bundesverfassungsgericht Ihr konservatives Weltbild um die Ohren.
({2})
Nichts gegen Konservative - wenn damit eine wertgebundene Haltung verbunden ist. Aber bei Ihnen ist in
dieser Frage keine wertgebundene Haltung zu erkennen.
Sie wollen Ehe und Familie schützen. Sie wollen die Ehe
schützen und fördern. Das bedeutet für Sie automatisch
und gleichzeitig die Diskriminierung der Lebenspartnerschaft.
({3})
Das ist Ihre Haltung, und die ist verfassungswidrig.
({4})
Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Sie die Ehe
fördern wollen. Aber wenn Sie das in Zukunft im Einklang mit dem Grundgesetz tun wollen, dann müssen Sie
sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Ehe nur
geschützt werden kann, wenn gleichzeitig andere Formen des Zusammenlebens diskriminiert und zweitklassig gestellt werden.
Ich finde, Sie sollten sich einmal ein Beispiel an
David Cameron nehmen.
({5})
Das ist ein gestandener Konservativer. Er eignet sich für
mich überhaupt nicht als Vorbild, wenn es um Europafragen geht. Auch sind die Tories ganz stramm gegen
Frauenquoten. Ich teile seine Auffassungen also nicht.
({6})
Aber er lässt sich nicht von Gerichten abnötigen, Lebenspartnerschaften Schritt für Schritt gleichzustellen.
Vielmehr hat er sich an die Spitze der Bewegung in
Großbritannien gesetzt. Ich war zufällig in London im
Unterhaus, als dort Anfang Februar die Entscheidung
fiel. David Cameron ist mutig vorangeschritten. Er hat
sich nicht einmal davon abschrecken lassen, dass mehr
als die Hälfte seiner Tory-Abgeordneten gar nicht mit
ihm gestimmt haben. Das ist mutig, meine Damen und
Herren.
Frau Merkel hingegen schickt jetzt - nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes - Frau
Klöckner, Herrn Grosse-Brömer und Herrn Kauder vor,
um die Stimmung für eine 180-Grad-Wende auszuloten.
Das nenne ich feige, meine Damen und Herren. Ich
finde, die Bundeskanzlerin sollte sich einmal ein Beispiel an David Cameron nehmen.
({7})
Aber da ist am Ende auf jeden Fall noch Horst
Seehofer. Auf den kann man sich verlassen. Der gibt die
Parole aus: Die CSU bleibt bei ihrer Linie, „wie auch
immer die Richter entscheiden“. Diesem Mann fehlt
ganz offensichtlich nicht nur der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht,
({8})
er hat auch ein gestörtes Verhältnis zur Verfassung.
({9})
Aber bei Horst Seehofer - er trägt jetzt ja den Spitznamen „Horst Drehhofer“ - kann man natürlich nicht ausschließen, dass er die Kurve noch kriegt.
Ich finde es jedenfalls gut, dass im Bundesrat am
Freitag ein Gesetzentwurf zur Abstimmung steht, mit
dem die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften beschlossen werden soll. Da haben Sie die
Möglichkeit, einmal zu schauen, wie viele CDU-regierte
Länder da mitmachen.
Es ist an der Zeit, dass wir Lebenspartnerschaften umfassend gleichstellen: im Sozialrecht, im Familienrecht,
im Steuerrecht. „Gleiche Rechte für alle“ heißt die Parole in Deutschland.
({10})
Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Stephan Thomae.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch
gleiche Rechte.
({0})
Menschen, die Verantwortung füreinander und für Dritte
übernehmen, verdienen unser aller Respekt und gesellschaftliche Anerkennung.
({1})
Der Staat sollte es unterstützen und nicht behindern,
wenn Menschen füreinander und für Dritte Verantwortung übernehmen wollen.
({2})
Wenn diese Menschen das gleiche Geschlecht haben,
dann fragen wir Liberale: Wo liegt eigentlich das Problem? Schadet das irgendjemandem? Wenn sich in solchen Fällen zwei Menschen um ein Kind kümmern, wo
liegt dann für das Kind der rechtliche Nachteil, wenn
durch Adoption ein rechtliches Verwandtschaftsverhältnis begründet wird? Nun mag es ja sein, dass sich gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als unvereinbar
mit einem bestimmten Familienbild erweisen, aber es
geht bei dieser Frage nicht um Familienbilder, sondern
es geht bei der Adoption von Kindern jedes Mal, in jedem Einzelfall um das Kindeswohl.
({3})
Nun mag wiederum jemand der Auffassung sein, dass
das Aufwachsen in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft für ein Kind schädlich oder nachteilig
sein könnte. Nur, meiner Wahrnehmung entspricht das
nicht. Abgesehen davon lässt es sich auch gar nicht verhindern. Denn wenn nun jemand in eine Lebenspartnerschaft ein Kind einbringt, dann wächst dieses Kind ganz
einfach faktisch in einer solchen Lebenspartnerschaft
auf.
Wo ist in einem solchen Fall der rechtliche Nachteil,
wenn durch Sukzessivadoption der andere Partner in dieser Gemeinschaft eine rechtliche Verpflichtung, etwa
eine Unterhaltsverpflichtung, für dieses Kind übernimmt? Siehe da: Es gibt Kinder, denen schadet das gar
nicht.
({4})
Wenn die Sukzessivadoption nun aber den Kindern nicht
schadet, dann ist die Frage, warum nicht Jugendämter
bei jeder Einzelfallprüfung, die bei Adoptionen angebracht ist und vorgenommen werden muss, mit prüfen,
ob in bestimmten Fällen ein zur Adoption stehendes
Kind auch in einer Lebenspartnerschaft voll adoptiert
werden kann.
({5})
Deshalb kann ich für meine Fraktion und meine Partei
erklären: Die FDP hat mit einer Sukzessivadoption kein
Problem, und sie hat auch mit einer Volladoption kein
Problem. Sie hat nicht nur kein Problem damit, nein, wir
würden sie sogar begrüßen.
({6})
Wir finden aber momentan in unserer Regierungskoalition dafür noch keine breite Mehrheit,
({7})
registrieren jedoch erfreut, dass auch in der Union seismische Bewegungen stattfinden. Wir wollen uns Zeit
nehmen, um diese Bewegungen zu beobachten.
Alle, die noch zögern, möchte ich ermutigen: Für die
Kindeswohlprüfung sorgt das Adoptionsrecht ausreichend. Wenn die Kindeswohlprüfung im Einzelfall ergibt, dass ein Kind bei zwei Partnern gleichen Geschlechts am besten aufgehoben ist, dann sollte das
Gesetz solche Lösungen erlauben und nicht verbieten.
Wir machen die Gesellschaft durch solch eine Lösung
nicht weniger christlich, aber wir können ihr mehr
Menschlichkeit verleihen.
({8})
Wenn wir schon dabei sind: Im Sommer ist ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu erwarten.
Diesmal geht es um die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehen. Ich will dem
nicht vorgreifen, aber die letzten Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichtes zu gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaften gingen immer in die gleiche
Richtung. Sie gingen immer in die Richtung: mehr
Gleichstellung. So spricht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass es auch im Sommer dieses Jahres so sein
wird.
Ich denke, dass der Gesetzgeber die Umsetzung der
Fingerzeige aus Karlsruhe nicht böswillig weiter auf die
lange Bank schieben sollte. Denn die Menschen dürfen
zu Recht erwarten, dass der Gesetzgeber ohne schuldhaftes Zögern handelt. Warum werden Eheleute nach
dem Einkommensteuergesetz bessergestellt? Weil Eheleute füreinander in Wechselfällen des Lebens finanzielle Verantwortung übernehmen und damit auch die
Sozialkassen entlasten. Das honoriert der Staat, indem er
Ehen im Steuerrecht besserstellt.
({9})
Für Lebenspartner gilt nichts anderes. Auch Lebenspartner gleichen Geschlechts übernehmen in den Wechselfällen des Lebens, wenn sie es vermögen, füreinander finanzielle Verantwortung,
({10})
entlasten damit ebenfalls die Sozialkassen und haben
deswegen ebenfalls Anspruch auf steuerrechtliche
Gleichstellung.
({11})
Damit komme ich zum Fazit, Herr Präsident, und erkläre für meine Fraktion, dass wir eine Gleichstellung
lieber gestern als heute gehabt hätten. Wir wären auch
morgen noch damit einverstanden, aber meinen, dass wir
damit nicht bis übermorgen warten sollten;
({12})
denn das wird den Menschen im Lande immer schwerer
zu erklären.
({13})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara
Höll.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Thomae, es gab da mal 2009 einen Koalitionsvertrag, der von zwei Partnern unterschrieben
wurde.
({0})
- Drei: CDU, CSU und FDP. - Da steht drin, dass Sie
sich für die steuerliche Gleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe einsetzen wollen.
({1})
Davon war bisher noch überhaupt nichts zu spüren.
({2})
Seit 2009 gibt es dazu fünf Urteile des Bundesverfassungsgerichts. In allen fünf Urteilen wurde festgestellt,
dass eine Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht durch Art. 6 des Grundgesetzes gedeckt
ist. Es ist dadurch nicht gedeckt, dass die eingetragene
Lebenspartnerschaft schlechtergestellt wird, weil Ehe
und Familie der Gesellschaft besonders viel wert sind.
Das ist die Realität.
({3})
Herr Papier sagt, die Würfel sind gefallen - schon vor
über zehn Jahren. Herr Voßkuhle wundert sich, warum
diese Diskussion jetzt auf einmal losgeht, da doch klar
sei, dass das Bundesverfassungsgericht noch vor der
Sommerpause entscheiden wird. Jetzt wird Herr Kauder
ganz mutig und sagt: Natürlich setzen wir das Urteil zur
Sukzessivadoption um.
Es war in der Zeitung zu lesen, dass es bei der Union
gestern eine heftige Fraktionssitzung gab. Herr Schäuble
hat sich positiv zur Gleichstellung geäußert. Frau Reiche
sah das Abendland bedroht. Das war pure Entrüstung.
Man sagte, dass die Ehe bedroht ist und die bürgerliche
Ehe dadurch unterhöhlt werden soll. Was Sie machen, ist
pure Ideologie; das gilt für alles, was Sie hier gesagt haben, etwa zum Thema Kindeswohl. Das haben doch Sie
in den letzten Jahren sträflich missachtet. Sie haben doch
bisher verhindert, dass für adoptierte Kinder eines Partners oder einer Partnerin innerhalb einer eingetragenen
Lebenspartnerschaft Rechtssicherheit geschaffen wird.
Herr Krings, ich muss mich schon sehr wundern, dass
Sie den Unterschied zwischen dem Kampf um die eingetragene Lebenspartnerschaft und dem Kampf um die
Öffnung der Ehe bis heute nicht verstanden haben.
({4})
Ich muss wirklich sagen: Da habe ich sehr gestutzt. Ich
dachte, da sind auch Sie ein bisschen weiter.
({5})
Es war ja vor etwas mehr als zehn Jahren nicht möglich - in keiner Weise -, die Ehe zu öffnen,
({6})
weil Ihnen der Begriff heilig ist; nun gut. Es gab dann
viele Verhandlungen. Man hat es geschafft, die eingetragene Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut zu installieren. Natürlich ist es jetzt das Einfachste und Beste, für
die Öffnung der Ehe zu streiten.
Auch wenn öffentlich vor allem über das Adoptionsrecht und das Ehegattensplitting diskutiert wird, gibt es
darüber hinaus eine Vielzahl anderer Regelungen, bei
denen eingetragene Lebenspartnerschaften heute noch
benachteiligt werden. Sie haben sich entschieden, immer
nur Widerstand zu leisten. Erst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung getroffen hat, geben Sie wieder ein Stückchen preis. Es interessiert Sie
eben nicht, dass sich die gesellschaftliche Realität verändert hat. Deshalb ist es das Beste, die Ehe zu öffnen, ja.
Wir Linken haben das bereits im Juni 2010 als erste
Fraktion hier im Bundestag beantragt. Ich bin sehr, sehr
froh, dass das inzwischen auch die SPD-Fraktion und die
Grünen so sehen. Es gibt ja selbst in Ihren Reihen, bei
den Schwulen und Lesben in der Union, sehr, sehr große
Unterstützung für diesen Ansatz. Vielleicht hören Sie
auch einmal auf die Menschen, die selber betroffen sind;
({7})
das wäre für Ihre Politik nicht ganz uncharmant.
({8})
Ich muss Ihnen sagen: Dass wir heute hier diskutieren, ist nicht nur ein Zeichen Ihrer Feigheit und Ihrer
Unzuverlässigkeit im Hinblick auf das, was Sie in Koalitionsverträgen vereinbaren, sondern auch ein Zeichen
Ihrer Demokratiefeindlichkeit. Ich glaube, Sie haben
kein richtiges Verständnis von Ihrem Tun als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Es steht nirgends geschrieben, dass wir immer erst dann etwas machen dürfen - nein, dann müssen wir es machen -, wenn das
Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir als Legislative sind gewählt, um Gesetze zu machen, aber
nicht, um nur zu warten, bis wir zu etwas gezwungen
werden. Überlegen Sie doch mal, was Sie der Öffentlichkeit damit demonstrieren!
({9})
Ich sage Ihnen auch: Das, was Sie machen, ist homophob. Sie befördern damit homophobe Tendenzen in unserer Gesellschaft, die - das wissen wir - immer noch da
sind,
({10})
wenn Sie unterschwellig immer weiter versuchen,
Schwulen bzw. Lesben, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, per se abzusprechen, dass sie vielleicht genauso gute Eltern sind.
({11})
Wahrscheinlich sind sie sogar bessere; denn Schwule
müssen sich sehr genau überlegen, ob sie ein Kind adoptieren - ein Kind kann bei ihnen nicht einfach so passieren.
({12})
Ich möchte abschließend sagen: Ich bin froh, dass die
Diskussion, die wir jetzt führen, gleichzeitig die Diskussion über das Ehegattensplitting eröffnet.
({13})
Ich sage ganz klar: Natürlich muss das Ehegattensplitting sowohl bei Ehen als auch bei eingetragenen Lebenspartnerschaften Anwendung finden.
Mittelfristig muss das Ehegattensplitting jedoch abgeschafft werden.
({14})
Das Ehegattensplitting hat nicht mehr die Zielstellung,
die es einmal hatte: Bei der Einführung des Ehegattensplittings ging es um die Förderung von Kindern.
({15})
Nicht einmal die Ehen sind Ihnen gleich viel wert: Viele
Verheiratete in Deutschland, ob mit oder ohne Kinder,
haben von Ihrem Ehegattensplitting überhaupt nichts,
weil sie nämlich so wenig verdienen, dass sie gar keine
Steuern zahlen können.
({16})
Also lassen Sie das Thema Familienförderung beim Ehegattensplitting weg, und werden Sie auch da modern: Individualbesteuerung für alle!
Genauso müssen wir endlich aus dem Status eines
Entwicklungslandes herauskommen bezüglich der Behandlung von Schwulen und Lesben, so sie miteinander
leben wollen und das auch rechtlich demonstrieren wollen.
Danke.
({17})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion von CDU und CSU Kollege Norbert Geis.
({0})
Bitte, Kollege Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie hätten mich
ruhig zitieren können; aber ich muss wissen, um welches
Zitat es sich handelt, damit ich mich auch entsprechend
wehren kann. Aber so, diese Andeutung, das halte ich
nicht für sehr korrekt.
({0})
Ich gebe Ihnen recht: Die Lebensform der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften hat sich nicht in
dem Maße durchgesetzt, wie sich das manche vielleicht
erwartet haben.
({1})
Denn immer noch 17,3 Millionen Ehen stehen etwa
23 000 eingetragene Lebenspartnerschaften gegenüber;
das bewegt sich im Promillebereich. Das gleiche Bild ergibt sich bei Kindern, die in solchen Lebensgemeinschaften leben: 9,3 Prozent der Kinder leben in nichtehelichen
Lebensgemeinschaften. Zu den nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden auch die gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften gezählt; von der Statistik her
spielt das allerdings eine ganz geringe Rolle.
({2})
Von dieser Seite her ist es in der Tat schon ein wenig
fragwürdig, weshalb wir dann eine solche Diskussion
haben.
({3})
Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Es geht Ihnen darum, ein Institut neben die Ehe zu setzen und damit die
Privilegierung der Ehe zu untergraben. Sie wollen die
Privilegierung der Ehe abschaffen.
({4})
Um nichts anderes geht es Ihnen; das kann man aus jeder
Wortmeldung von Ihnen erkennen. Anders kann ich das
nicht wahrnehmen.
Denselben Versuch gab es in der Gemeinsamen Verfassungskommission, die von 1992 bis 1994 tagte. Damals kam der Antrag, man möge Art. 6 Grundgesetz für
andere Lebensgemeinschaften öffnen.
({5})
Dieser Antrag ist damals an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit gescheitert. Seitdem versucht man, die Verfassung auf dem Wege über einfachgesetzliche Regelungen doch noch zu ändern.
({6})
Das ist, wogegen wir uns wehren. Wer die Verfassung
ändern will, der muss den normalen Weg gehen, nämlich
über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und über
eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.
({7})
Das darf aber nicht auf dem Wege eines Gesetzes, das
- wie das Lebenspartnerschaftsgesetz - unterhalb der
Verfassung rangiert, erfolgen.
({8})
Genau das versuchen Sie aber. Sie bekommen dafür
- ich will Ihnen das zugestehen - den Segen des Bundesverfassungsgerichts.
({9})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum
Lebenspartnerschaftsgesetz vom 17. Juli 2002 aber ganz
klar erklärt - das sei Ihnen auch gesagt -, dass es dem
Gesetzgeber nicht erlaubt ist, ein Institut neben die Ehe
zu stellen, das der Ehe gleich ist, das austauschbar ist.
Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich - wörtlich - geschrieben: Es handelt sich bei der
gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft um ein
Aliud, nicht vergleichbar mit der Ehe.
Genau diese Position hat das Verfassungsgericht in
fünf Urteilen - sie sind schon zitiert worden;
({10})
es geht um die Schenkung, um das Erbrecht, um die betriebliche Altersversorgung, um das Beamtenrecht und
schließlich um das sukzessive Adoptionsrecht - geräumt.
({11})
- Sie müssen uns gestatten, dass wir damit nicht einverstanden sind. Wir sind der Meinung, dass das Verfassungsgericht mit diesen fünf Urteilen auf einem Irrweg
ist,
({12})
und das sagen wir auch laut.
({13})
Wir sagen das laut: Wir halten fest daran, dass die Ehe
privilegiert ist. Da kann das Verfassungsgericht nicht
kommen und den Versuch unternehmen - Sie auch
nicht -, mithilfe der Rechtsprechung die Verfassung zu
ändern. Sie wollen die Verfassung ändern.
({14})
- Da können Sie noch so laut rufen; das ist der Sachverhalt.
({15})
- Sie können ruhig laut reden; ich werde es noch lauter
sagen: Gegen diesen Sachverhalt wehren wir uns. Wir
sind der Auffassung, dass wir an der Privilegierung der
Ehe festhalten müssen.
Zum Ehegattensplitting. Ich frage mich: Was machen
Sie eigentlich mit dem Ehegattensplitting, wenn es auch
andere Einstandsgemeinschaften gibt, wie zum Beispiel
dann, wenn die Tochter bei der Mutter wohnt oder wenn
zwei Geschwister zusammenwohnen, die ein Leben lang
füreinander einstehen? Ich möchte einmal wissen, was
das Verfassungsgericht dazu sagt. Sie müssen gleichbehandelt werden.
({16})
- Ja, gut, aber dann müssen Sie eine ganze Menge
gleichbehandeln.
({17})
Zur Volladoption. Bei der Volladoption geht es Ihnen
doch nicht um das Kind, sondern um nichts anderes als
um einen weiteren Schritt zur Gleichstellung des Instituts der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit
dem der Ehe. Das Kind ist nicht gefragt. Aber ich sage
Ihnen noch einmal: Für das Kind ist es nach wie vor am
besten, wenn es mit Vater und Mutter aufwächst und
nicht mit „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“. Das ist nun
einmal von der Natur so gegeben.
({18})
Im Übrigen: Seien Sie zufrieden, und hören Sie sich
das einmal an: In Belgien gibt es diese Regelung schon.
Und es gibt fast keine Adoptionen in dieser Hinsicht,
weil die Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigeben, natürlich wollen, dass das Kind in einer vernünftigen Gemeinschaft lebt, nämlich bei Vater und Mutter und nicht
bei „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“.
Danke schön.
({19})
Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Frau Christel
Humme für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Frau Kollegin Christel Humme.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Lieber Herr Geis, es nützt nichts.
({0})
Sie können sich noch so aufregen: Das Verfassungsgerichtsurteil hat eindeutig bestätigt: Die Gleichstellung
eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist verfassungsrechtlich geboten.
({1})
Die hektischen und widersprüchlichen Pressemitteilungen auf der Seite der Union zeigen mir natürlich ganz
deutlich bzw. lassen mich ahnen, wie sehr Ihr konservatives Weltbild erschüttert ist - auch Ihres, Herr Geis. Ich
kann das verstehen.
Aber die Rechtslage ist doch eindeutig: Juristisch gibt
es keinen Unterschied zwischen Ehe und einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.
({2})
Beide sind auf Dauer angelegt und gründen auf der für
den Partner übernommenen Verantwortung. Kinder
wachsen in diesen Beziehungen so gut auf, dass von einer Gefährdung des Kindeswohls, wie es konservative
Gegner - auch Sie, Herr Geis - behaupten, nicht die
Rede sein kann. Schauen Sie in ein Gutachten des Bundesjustizministeriums von 2009. Darin wird Ihnen das
eindeutig belegt.
Ich sage Ihnen: Für eine Diskriminierung von eingetragenen Lebenspartnerschaften, wie Sie das tun, Herr
Geis, gibt es keinerlei rationale Argumente.
({3})
Darum sage ich Ihnen: Die Position der SPD ist eindeutig. Wir fordern die Öffnung der Ehe, das heißt, wir wollen eine völlige rechtliche Gleichstellung der Ehe und
der eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Wir freuen uns natürlich, dass der Parlamentarische
Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael GrosseBrömer, ankündigt, seine Fraktion wolle in Kürze einen
Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Homoehe vorlegen. Das finden wir gut. Aber hat er das mit der Kanzlerin abgesprochen? Die hat sich doch unmittelbar - das
haben wir heute schon gehört - vor dem CDU-Parteitag
vor gut zwei Monaten eindeutig gegen die Gleichstellung positioniert. Mich würde es nicht wundern, wenn
sie wieder nach dem System Merkel verfährt: Was kümmert mich das Geschwätz von gestern?
({4})
Und was ist jetzt? Sie bittet um zehn Tage Bedenkzeit.
Wofür? Worüber wollen Sie denn diskutieren? Es gibt
doch nur eine einzige Entscheidung, die Sie treffen müssen: Wollen Sie Lesben und Schwule weiterhin verfassungswidrig diskriminieren, oder sind Sie bereit, sie als
gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anzuerkennen? Nur diese Entscheidung müssen Sie treffen.
({5})
Die gesellschaftliche Debatte dagegen ist viel weiter
als Sie. Wir haben gerade schon gehört: 74 Prozent der
Deutschen fänden es gut, wenn es eine Gleichstellung
der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe
gäbe. Und man staune: 64 Prozent der Unionswähler,
Ihrer Wähler also, finden eine völlige Gleichstellung der
Homoehe gerecht.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, darum ist es richtig, dass im Bundesrat am kommenden Freitag ein Gesetz zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der
Ehe im Einkommensteuerrecht vorgelegt wird. Hier gibt
es endlich die Chance für Sie, nicht nur Getriebene des
Bundesverfassungsgerichts zu sein, sondern endlich
zuzustimmen. Denn Mitte des Jahres erwarten wir ein
weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum
Einkommensteuerrecht. Wie das ausgehen wird, können
wir uns heute schon vorstellen und ist zu prognostizieren. Auch hier wird es für CDU und CSU eine Niederlage geben. Sie wissen das, Sie wissen das sehr genau.
Denn nicht umsonst rechnet das Finanzministerium bereits für diesen Fall die Zahlen aus.
Gleichzeitig mit der Debatte über die Gleichstellung
eingetragener Lebenspartnerschaften beginnt in der
Union, auch von Ihnen geführt, Herr Geis, eine, wie ich
meine, sehr scheinheilige Debatte über das Ehegattensplitting. Was haben Ehegattensplitting oder Familiensplitting mit der heutigen Auseinandersetzung zu tun?
Nichts. Gleichstellung ist Gleichstellung, Punktum!
({6})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Herr Geis hat von
dem Schutz der Ehe gesprochen; Art. 6 Grundgesetz
wird ja immer gerne zitiert. Ich rate Ihnen: Schauen Sie
doch mal in eine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts von 1957 hinein. Darin stand schon: Der Schutz
der Ehe erfordert nicht, dass nur einer der Ehepartner
wirtschaftlich tätig ist. - Das fanden Sie damals unter
Adenauer schon viel zu progressiv. Ich denke, an dieser
Stelle sind Sie über die Diskussion der 50er-Jahre einfach noch nicht hinausgekommen.
({7})
Ich glaube, es ist richtig, über das Ehegattensplitting zu
diskutieren - klar, keine Frage -: Ist es noch zeitgemäß?
Ist es sozial gerecht? Ist es sozial gerecht, wenn nur der
einen Steuervorteil von 15 000 Euro bekommt, der
250 000 Euro im Jahr verdient, während die anderen, die
unteren Einkommen, leer ausgehen oder nur einen geringen Steuervorteil haben? Ist das gerecht? Das müssen
wir uns natürlich fragen.
Wir müssen uns auch fragen, ob der Staat in Beziehungen hineinregieren darf.
Das Gleiche gilt allerdings auch für das Familiensplitting. Frau Ministerin Schröder, die hier sitzt, hat mal gesagt: Das geht überhaupt nicht mit dem Familiensplitting; das würde 10 Milliarden Euro zusätzlich kosten
und die hohen Einkommen noch zusätzlich fördern. - Ist
das sozial gerecht?
Ich glaube, diese Frage sollten wir uns auch stellen,
aber eben nicht heute. Heute geht es um ein eindeutiges
Thema, heute geht es um die Gleichstellung von Ehe und
eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ich wünsche mir
von Ihnen einen Gesetzentwurf. Und dafür brauchen Sie
eigentlich keine zehn Tage Bedenkzeit mehr.
Danke schön.
({8})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch.
Bitte schön, Kollege Michael Kauch.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis,
Sie haben über Rechtsinstitute gesprochen. Es geht nicht
um Rechtsinstitute oder um Ideologie, sondern es geht
um Menschen, um Menschen, die Gefühle haben, um
Menschen, die Lebensentwürfe leben, und zwar ihre eigenen. Die Frage ist, ob der Staat fair mit ihnen umgeht,
ihnen alle Pflichten aufzuladen, aber ihnen nicht die
gleichen Rechte zu geben. Das ist die Frage, um die es
geht. Um diese Menschen in unserem Land geht es und
nicht um die Frage von Ideologie, von Rechtsinstitut,
von Ehe oder Lebenspartnerschaft. Wir müssen das am
einzelnen Menschen diskutieren. Dann kommen wir
vielleicht auch zu einem sachlichen Ergebnis.
({0})
Der Schutz der Ehe ist nicht betroffen, wenn man Lebenspartnerschaften gleichstellt. Menschen entscheiden
sich nicht, ob sie schwul oder lesbisch sind; sie sind es.
Deshalb werden sie auch nicht die Ehe eingehen, wenn
man ihnen kein angemessenes alternatives Rechtsinstitut
anbietet. Auch bisexuelle Männer und Frauen werden
nicht nach Steuervorteilen entscheiden, wen sie heiraten
wollen.
Deshalb müssen wir die Frage anders stellen, nämlich: Was begründet die Privilegierung von Ehegatten
oder Lebenspartnerschaften im Steuerrecht? Dazu hat
das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung von 2010 zur Erbschaftsteuer gesagt: Wenn die
Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer
Lebensformen einhergeht, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung
verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, ist das nicht
gerechtfertigt durch die bloße Verweisung auf das
Schutzgebot der Ehe.
Deshalb müssen wir uns daran orientieren, was eigentlich der Grund für das Ehegattensplitting ist. Das ist
eine unterschiedliche steuerliche Leistungsfähigkeit.
Denn durch die Unterhaltsverpflichtung, die ich gegenüber dem Lebenspartner oder dem Ehegatten habe, vermindere ich meine steuerliche Leistungsfähigkeit, und
dadurch, dass der andere Unterhaltsrechte bekommt, erhöht er seine. In einem progressiven Steuersystem macht
das einen Unterschied. Das ist die Rechtfertigung, und
zwar gilt das sowohl für die Ehe als auch für die
Lebenspartnerschaft, meine Damen und Herren.
({1})
Wenn wir uns die Frage des Adoptionsrechts anschauen, dann geht es entscheidend um das Kindeswohl.
Es geht ausdrücklich nicht allein um die Frage, dass sich
Menschen selbst verwirklichen wollen, sondern es geht
um die Frage: Was ist das Kindeswohl? Ich sage Ihnen:
Es ist im Kindesinteresse, dass es in einer behüteten Umgebung aufwächst statt in staatlicher Obhut. Das ist die
Frage, über die wir streiten.
({2})
Wenn das Bundesverfassungsgericht die Sukzessivadoption aus Kindesinteresse zulässt, dann macht es
doch keinen logischen Sinn, zu sagen: Dann muss erst
der eine Lebenspartner das Kind einzeln adoptieren,
zwei Jahre warten, und dann gibt es eine Sukzessivadoption. Auch hier ist es im Kindesinteresse, dass von Anfang an beide Verantwortung für das Kind übernehmen
und Unterhaltspflichten haben und dass im Fall des Todes desjenigen, der das Kind alleine adoptiert, der andere
dann tatsächlich das Sorgerecht bekommt und das Kind
in seiner stabilen Umgebung bleibt. Das dient Kindeswohl.
({3})
Im Übrigen wird die Diskussion um die Regenbogenfamilien immer wieder verkürzt geführt. Die meisten
Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sind nicht dort hineinadoptiert worden. Denn auch
Schwule und Lesben können Kinder kriegen, und das
tun sie, nicht mit ihrem Partner, aber vielleicht mit jemand anderem, oder sie haben ein Kind aus einer früheren Beziehung.
Diesen Menschen gegenüber finde ich es völlig unangemessen, wie darüber gesprochen wird, dass Kinder
Vater und Mutter haben sollen. Ja, die Kinder haben
Vater und Mutter; sie sind nur nicht miteinander verheiratet. Das ist der Unterschied. Aber das ist doch keine
Frage des Kindeswohls, sondern das ist die Frage einer
bestimmten Ideologie, die hier verbreitet wird, meine
Damen und Herren.
({4})
Ich möchte aber auch ein paar Dinge zu Frau GöringEckardt sagen. Sie haben sich hier hingestellt und für die
volle Gleichstellung plädiert. Sie sind Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland. In Sachsen
wurde vorgeschlagen, dass die Lebenspartner endlich ins
Pfarrhaus einziehen dürfen. Die Synode hat sich bisher
dagegengestellt. Ich bin der Auffassung, dass Sie als
Präses der Synode in der Verantwortung sind, dass
endlich in Sachsen und sonst wo in der Republik die Lebenspartner ins Pfarrhaus können und dass die Kirche
Lebenspartner genauso bezahlt wie Verheiratete. Das ist
Ihre Verantwortung in Ihrem Aufgabenbereich.
({5})
Sie sollten nicht nur hier als Oppositionspolitikerin
schön daherreden, sondern da die Verantwortung übernehmen, wo Sie in der Verantwortung sind.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen: Kollege Volker Beck.
Obwohl ich nicht Mitglied der evangelischen Kirche
bin und dort auch keine Verantwortung trage, muss ich
Sie leider darüber informieren, dass selbst in der Landeskirche in Sachsen die Uhren schon einen Schritt weiter
sind. Dort wurde kürzlich ein Missionar seines Dienstes
enthoben, weil er sich dagegen gewehrt hat, dass die
sächsische Landeskirche akzeptiert, dass schwule und
lesbische Paare in den Pfarrhäusern leben und dass das
Pfarrerdienstrecht das auch entsprechend vorsieht. Die
evangelische Kirche ist viel weiter als Ihr Koalitionspartner.
({0})
Und das ist auch gut so. Ich wünsche mir, dass die katholische Kirche bald nachzieht. Das sage ich, obwohl wir
hier Politik machen. Diese richtet sich nach dem Grundgesetz und nicht nach den individuellen religiösen
Überzeugungen der hier im Haus an den Entscheidungen
Beteiligten.
Die verfassungsrechtliche Lage ist glasklar. Das hat
uns Herr Voßkuhle mit auf den Weg gegeben, und das
hat Herr Papier noch deutlicher ausgesprochen. Herr
Papier hat gesagt:
Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur eingetragenen Lebenspartnerschaft ist rechtlich nicht
mehr zu halten.
({1})
Weiter hat er gesagt:
Der Gesetzgeber hat nach geltendem Verfassungsrecht bei der Gleichstellung keine Wahl mehr.
Herr Voßkuhle hat das etwas vornehmer ausgedrückt,
aber uns das Gleiche gesagt, als er sein Unverständnis
darüber geäußert hat, dass der fünfte Schlag auf den Hinterkopf des Gesetzgebers dazu geführt hat, dass in der
Union eine Debatte begonnen hat, ob man sich endlich
mal an die Verfassung halten möchte.
({2})
Ich wundere mich, dass Sie Debatten darüber führen,
ob Sie das machen oder nicht machen. Bei der Sukzessivadoption müssen Sie gar nichts mehr tun. Diese ist
mit dem Urteil vom letzten Dienstag ab sofort erlaubt.
({3})
Dazu haben Sie keine Alternative. Bis 2014 müssen Sie
das Adoptionsrecht für Lebenspartner in Ordnung bringen. Ich rate Ihnen, das noch in dieser Wahlperiode zu
machen. Das Bundesverfassungsgericht sagt in der
Randnummer 104 des Urteils glasklar und völlig
unmissverständlich:
Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener
Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen
könnten, bestehen nicht;
({4})
insbesondere sind beide Partnerschaften gleichermaßen auf Dauer angelegt und rechtlich verfestigt …
Die Debatte, die die CSU noch führt, ob man das
machen soll oder nicht, können Sie sich glatt sparen. Sie
müssen es machen, und zwar spätestens bis zu dem
Datum, das das Bundesverfassungsgericht vorgegeben
hat. Sie können auch bis zum 30. Juni 2014 warten oder
es jetzt einfach tun.
Zur Einkommensteuer. Es gibt schon ein Urteil zur
Erbschaft- und Schenkungsteuer. Ich lese Ihnen - mit
der Ersetzenfunktion bei Word können Sie sich schon
einmal darauf vorbereiten, wie das Urteil im Sommer
lauten wird - nur den Urteilstenor vor. Damals, am
21. Juli 2010, hieß es:
Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1
GG unvereinbar.
Ersetze „Erbschaftsteuer“ und „Schenkungsteuer“ durch
„Einkommensteuer“, und wir haben das Urteil vom
kommenden Sommer.
({5})
Deshalb: Es ist doch gar keine politische Frage mehr. Es
geht nur noch um den Zeitpunkt, wann Sie das machen.
Herr Krings, Sie haben uns vorhin angegriffen und
gesagt, wir hätten eine perfide Strategie gehabt.
({6})
In der Tat haben Margot von Renesse und ich uns damals
beim Lebenspartnerschaftsgesetz verschworen. Ich
wollte immer die Öffnung der Ehe. Die Lebenspartnerschaft war für mich in rechtspolitischer Hinsicht immer
nur eine Art Übergangstechnologie hin zur vollständigen
Gleichberechtigung. Meine Partei hat schon 1990 im
Wahlprogramm die Öffnung der Ehe beschlossen.
Mittlerweile sind auch die Sozialdemokraten dafür. Der
Bundesrat wird wahrscheinlich noch in diesem Monat
eine entsprechende Initiative beschließen. Aber wir
wollten immer - so kompromisslerisch und realpolitisch,
wie die Grünen nun einmal sind Volker Beck ({7})
({8})
hart am Inhalt um jedes Stück Fortschritt kämpfen. Damals haben wir gesagt: Okay, es geht nicht mit der Ehe,
machen wir das mit der Lebenspartnerschaft. - Die
damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin - die
heutige fehlt komischerweise ({9})
hatte große Bedenken, ob das Verfassungsgericht das
mitmachen würde. Darauf haben wir gesagt: Dann
schreiben wir in das erste Gesetz an ein paar Stellen andere Begriffe hinein, zum Beispiel beim Güterstand, bei
der Art, wie die Partnerschaft zustande kommt und wie
das getrennt wird. Das war zwar immer mit den gleichen Rechtsfolgen verbunden, aber die Begriffe waren
unterschiedlich, damit wir so tun konnten, als ob es einen Abstand gibt.
({10})
- Doch, Herr Krings, das war schon ehrlich; denn wir haben dem Gericht gesagt: Wir brauchen das nicht. - Aber
wir haben es gemacht, nach dem Motto: Wenn ihr der irrigen Ansicht der klagenden unionsregierten Freistaaten
- Bayern, Sachsen, Thüringen - seid, die damals vor das
Bundesverfassungsgericht gerannt sind, dann müsst ihr
das Gesetz unverändert lassen. - Wir sind eigentlich der
Auffassung: Man darf die Lebenspartnerschaften mit der
Ehe gleichstellen, weil es ein anderer Adressatenkreis ist.
Übrigens beinhaltet der Begriff „Aliud“ in diesem Urteil
nichts anderes. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden,
Herr Geis.
({11})
Insofern können wir diese Partnerschaftsformen gleichstellen.
Ich habe das Bundesverfassungsgericht damals in der
Verhandlung aufgefordert, zu sagen - es hat es erst 2009
umgesetzt -: Das, was wir nicht gleichgestellt haben, ist
verfassungswidrig. Verfassungswidrig ist nicht, dass RotGrün das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet
hat. - Das Bundesverfassungsgericht ist unserer Weisheit
gefolgt. Wir haben damals alle Pflichten übertragen und
haben gesagt: Wenn wir gegen den Bundesrat, der damals
schwarz-gelb dominiert war, die infrage stehenden
Rechte nicht vollständig durchsetzen, werden wir die
Betroffenen dabei unterstützen, vor dem Bundesverfassungsgericht ihre Rechte einzuklagen: bei der Beamtenversorgung, beim Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht,
bei der Grunderwerbsteuer, beim Familienzuschlag und
bei der Hinterbliebenenversorgung. Überall ist uns das
Bundesverfassungsgericht gefolgt, letzte Woche auch
beim Adoptionsrecht.
In der Tat, unsere Strategie war schlau, aber sie war
ehrlich und transparent, und wir haben uns durchgesetzt.
Vor allen Dingen haben wir damit den gesellschaftlichen
Wandel beim Respekt vor den Schwulen und Lesben in
dieser Gesellschaft organisiert, und das ist weit bedeutender als die Rechtsfolgen für die Betroffenen. Auch
deshalb sagen wir: Wir wollen keine Homoehe. Wir wollen die Ehe für alle Paare, die sich dafür entscheiden
- wir wollen, dass die Differenzierung mit einem Sonderinstitut aufgehoben wird -; denn das drückt Respekt
aus, das ist dem gesellschaftlichen Prinzip der Gleichheit
vor dem Gesetz geschuldet. Das werden wir in der
nächsten Wahlperiode zusammen mit den Sozialdemokraten durchsetzen, wenn Sie dazu in dieser Legislaturperiode wieder nicht in der Lage sind.
({12})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Olav Gutting.
Bitte schön, Kollege Olav Gutting.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ist seit über einem Jahrzehnt gesellschaftliche
Realität in unserem Land. Im Erbschaftsteuerrecht, bei
der Rente und bei der Grunderwerbsteuer gibt es bereits
die Gleichstellung. Jetzt geht es um die Frage der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung.
({0})
Es geht mir ausdrücklich nicht darum, die Volladoption von Kindern zu ermöglichen. Es geht auch nicht um
eine absolute Gleichstellung
({1})
der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Es ist nicht das
Gleiche. Die Lebenspartnerschaft ist und bleibt etwas
anderes als die Ehe. Das sagt auch das Bundesverfassungsgericht.
({2})
Dennoch gibt es Parallelen. Wir in der Union glauben an
den Wert der menschlichen Bindung. Wir glauben an
den Wert der menschlichen Verpflichtung. Wir glauben
daran, dass unsere Gesellschaft stärker ist, wenn wir uns
gegenseitig binden, wenn wir uns unterstützen. Wir erwarten auch von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern,
dass sie füreinander einstehen.
({3})
Wer diesen Pflichten nachkommt, wer füreinander einsteht, der sollte meines Erachtens auch als gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ein Anrecht darauf
haben, steuerlich nicht schlechter behandelt zu werden
als Mann und Frau in einer vergleichbaren Situation.
({4})
Was ich bei dieser Debatte allerdings nicht ganz verstehe: Die Opposition setzt sich zwar vehement und
massiv für die Ausdehnung des Ehegattensplittings ein,
gleichzeitig fordert sie aber die Abschaffung des Ehegattensplittings.
({5})
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht die Frage ersparen:
Was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie es abschaffen, oder wollen Sie es ausdehnen?
({6})
Ich kann Ihnen sagen: Sie können das Ehegattensplitting nicht einfach abschaffen; denn es ist nach unserer
Verfassung zwingend geboten, um steuerliche Neutralität herzustellen. Eine ersatzlose Streichung des Ehegattensplittings,
({7})
wie Sie es ja fordern, hätte zur Folge, dass zahlreiche Familien, gerade solche mit mittlerem Einkommen, eine
enorme zusätzliche Steuerbelastung hätten.
({8})
Diejenigen, die diese Steuerbelastung tragen müssten,
sind die normalen Familien in Deutschland, auch wenn
beide Partner arbeiten.
({9})
Deswegen sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Lassen Sie die Finger vom Ehegattensplitting!
({10})
Wichtig erscheint mir in dieser Debatte noch, dass wir
festhalten, dass das Ehegattensplitting zunächst überhaupt nichts mit Familienförderung zu tun hat. Ich halte
es für falsch, in dieser Debatte Ehe und Familie in einen
Topf zu werfen und sie automatisch gleichzusetzen. Wir
haben zur Familienförderung viele Maßnahmen, zielgenaue Maßnahmen, die meisten übrigens von Unionsregierungen beschlossen. Ich will hier nur das Elterngeld,
die massive Erhöhung des Kindergelds, die wir in dieser
Koalition beschlossen haben, den Kinderfreibetrag, die
beitragsfreie Familienmitversicherung, das BAföG, das
Betreuungsgeld, den massiven Ausbau der Kindertagesbetreuung, das Mutterschaftsgeld, den Unterhaltsvorschuss und den Kinderzuschlag nennen. Alles das sind
Maßnahmen, die Familien stärken und schützen. Wir
könnten diese Liste beliebig fortführen.
Es ist immer die Politik der CDU/CSU und dieser Koalition gewesen, Familien zu fördern. Wir stehen für Familienförderung. Wir schützen und wir fördern die Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft.
({11})
Weil wir die Familienpartei sind und bleiben,
({12})
sind wir noch lange nicht homophob.
({13})
Ich finde es schlimm, wenn hier immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass man, wenn man für Familie ist,
automatisch gegen Schwule und Lesben wäre
({14})
und homophob wäre. Das ist einfach nicht richtig, meine
Damen und Herren.
({15})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Beim Ehegattensplitting geht es vor allem um den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.
({16})
Die entsprechende Anwendung auf homosexuelle Paare,
die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben,
die füreinander einstehen müssen, halte ich deswegen
für ein Gebot der Steuergerechtigkeit.
Ja, wir sind in unserer Fraktion, in der CDU/CSUFraktion, nicht alle einer Meinung. Wir diskutieren dieses Thema. Ich glaube aber, wir müssen uns nicht dafür
entschuldigen, Kollege Beck, dass wir uns in der Union
die notwendige Zeit lassen, um diese Debatte ausführlich zu führen.
Vielen Dank.
({17})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unser Kollege Johannes Kahrs.
Bitte schön, Kollege Johannes Kahrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Gutting hat eben davon gesprochen,
dass er sich eine Gleichstellung im steuerlichen Bereich
vorstellen kann. Das, finde ich, ist hoch ehrenwert. Man
möge die Diskussion aber einfach einmal andersherum
führen! Ich bin 1998 in den Deutschen Bundestag gekommen. Ich lebe jetzt seit ungefähr 20 Jahren mit meinem Freund zusammen. Seitdem ich im Deutschen Bundestag bin, führen wir hier immer eine Diskussion über
die Frage: Wie findet Gleichberechtigung statt? In welchem Maß kann das gehen? Da bringt sich die FDP ein.
Da bringen sich die Grünen ein. Die CDU/CSU habe ich
immer nur in einer Art und Weise erlebt, nämlich als
Bremser.
Man kann die rechtliche Lage diskutieren - das ist alles gemacht worden; die Kollegin Humme hat das ja einmal durchdekliniert -; aber man muss sich einfach einmal überlegen, was diese Diskussion, zum Beispiel auch
die Äußerungen des Kollegen Geis heute und in der Vergangenheit, bei Menschen in der Schule oder im Studium anrichtet, die auf dem Weg sind, sich zu finden. Es
ist ja nicht so, dass irgendwo steht, dass man schwul ist,
oder dass man sich dafür entscheidet, sondern das ist ein
Weg, der für den Einzelnen sehr schwierig ist. Ob
schwul oder lesbisch, es ist ein Weg über Jahre, teilweise
Jahrzehnte. Dabei muss man erst einmal mit sich selber
klarkommen, dann mit der eigenen Familie und mit seinem Umfeld. Das ist ein langer Weg, und er ist nicht immer einfach. Das liegt auch an der Gesellschaft. Das
liegt daran, dass nicht alle das gut finden. Das liegt auch
an dem Klima, das es in manchen Regionen an manchen
Ecken gibt. Deswegen ist es für diejenigen schwierig,
eine Diskussion zu erleben, bei der sie das Gefühl haben,
dass sie nicht gleichberechtigt behandelt werden.
Es ist eben für einen selber schon schwierig, diesen
Weg zu gehen, weil man natürlich in seiner Umgebung,
auch in der eigenen Familie, andere Beispiele erlebt. Ich
glaube, Politik muss Hilfe und Unterstützung geben, damit jeder seinen Lebensweg gehen kann, wie er eben ist.
Ich glaube, dass man es ihm nicht noch schwerer machen sollte. Herr Geis, Ihre Rede macht es für junge
Menschen schwierig, offen dafür zu stehen, wie sie sind.
Das führt eben auch zu Problemen.
Natürlich kann man sagen: Jawohl, wir in der CDU
brauchen Zeit. - Aber, ehrlich gesagt, das höre ich seit
1998. Mit großer Verwunderung habe ich im Wahlkampf
in Niedersachsen erlebt, dass Frau Merkel für mich
wahrnehmbar das erste Mal in Bierzelten diese Frage offen zum Wahlkampfthema gemacht und gesagt hat, dass
sie gegen die Gleichstellung von Schwulen und Lesben
ist. Das war in einem Wahlkampf, also dort, wo man
auch einmal ein bisschen draufhaut. Das hatte ich von
ihr so noch nicht gehört. Ich hatte Herrn Geis und die
eine oder andere Stimme aus der CDU/CSU gehört. Ich
habe die Abstimmung wahrgenommen. Aber das hatte
ich von Frau Merkel so noch nicht vernommen. Ehrlich
gesagt, wundert es mich dann überhaupt nicht, dass die
CDU auf ihrem Parteitag solch einen Beschluss fällt und
sagt: Wir wollen keine steuerliche Gleichstellung.
Die Urteile des Verfassungsgerichts waren alle bekannt. Es gibt ja nicht nur dieses letzte Urteil. Auch alle
anderen Urteile waren bekannt; sie sind hier diskutiert
worden. Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen, man
müsse darüber neu diskutieren und alle Argumente abwägen, ist ehrenwert und redlich. Aber zwölf Jahre sind
Zeit genug. Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen in dieser Zeit ihren Lebensweg gegangen sind,
dann muss man sagen, dass die Politik hier nicht in jeder
Phase geholfen hat.
Ich glaube, wenn man in einer christlichen Partei ist,
dann muss man auch daran denken, wie es den Menschen geht. Man kann das Thema verfassungsrechtlich
gerne rauf und runter diskutieren; aber das Verfassungsgericht hatte in seinen letzten Urteilen - das hat Volker
Beck hier sehr eingängig durchdekliniert - eine sehr
durchgängige Beschlusslage. Aufgrund dieser durchgängigen Beschlusslage wissen wir alle, wie entsprechende
Urteile in der nächsten Zeit ausgehen werden. Wenn man
das weiß und nichts tut, sondern sich in jeder Frage vom
Verfassungsgericht schieben, tragen und helfen lässt,
dann stellt sich die Frage, warum irgendjemand die CDU
wählt. Wir sind doch in die Politik gegangen, um Politik
und Gesellschaft zu gestalten, um zu sagen, wie dieses
Land aussehen soll. Wenn man als Volkspartei, als Regierungspartei hier steht und sich nicht bewegt, nicht gestaltet, sondern sich vom Verfassungsgericht über jedes
kleine Stöckchen tragen lässt, dann ist das erbärmlich.
({0})
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat jetzt beschlossen, im Bundesrat den Antrag zur Öffnung der Ehe zu
stellen. Ich bin Olaf Scholz und Jana Schiedek, unserer
Justizsenatorin, dankbar dafür, dass sie die Initiative ergriffen haben. Ich glaube, dass es eine Mehrheit dafür
geben wird. Dann werden Sie sich hier wieder mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Meine Bitte ist:
Bewegen Sie sich! Wenn eines verlässlich ist, dann ist es
doch die Wankelmütigkeit, die Sprunghaftigkeit der
Bundeskanzlerin. Vielleicht ist es diesmal für Menschen
und für etwas Gutes. Ich hoffe darauf.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist
Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl
Schiewerling.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin einigermaßen überrascht, dass diese Diskussion, die für uns in der Union
- keine Frage - eine schwierige Diskussion ist, genutzt
wird, um daraus wahlkampftechnische oder strategische
Vorteile zu ziehen.
({0})
Nehmen Sie uns doch ab, dass es keine Boshaftigkeit ist,
wenn wir, ausgehend von unserem Verständnis von Staat
und Gesellschaft, in dessen Kern Ehe und Familie stehen, sagen: Wir schützen diesen Kern unserer Gesellschaft!
({1})
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Diese Diskussion ist deswegen so emotional - nicht nur hier im Bundestag, sondern auch bei uns in der Fraktion -, weil es nicht nur um
gesetzestechnische Vorgänge geht oder im Falle des
Steuerrechts um steuertechnische Vorgänge, sondern
weil es aus unserer Sicht um grundsätzliche Fragen der
zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft geht.
({2})
Herr Kollege Beck und Herr Kollege Kahrs, ich bestätige Ihnen ausdrücklich, dass es natürlich zuerst und
zuvorderst um Menschen und deren Zusammenleben
geht. Es kommt aber auch darauf an, wie wir den Kern
dieses Zusammenlebens gestalten. Wir alle, die hier sitzen, verdanken unser Leben Vater und Mutter. Ich gehe
davon aus, dass wir alle aus einer Familie kommen, in
der wir geborgen aufgewachsen sind, indem wir die
Nähe von Vater und Mutter erlebt haben. Wir nehmen
zur Kenntnis, dass sich Entwicklungen in unserer Gesellschaft auftun, bei denen dieses selbstverständliche
Zusammenleben von Vater und Mutter mit ihren Kindern
offensichtlich nicht die Realität ist, was wir respektieren
und anerkennen.
Ich sage sehr deutlich: Für mich ist der Kern des Zusammenlebens der Schutz von Ehe und Familie; er ist
nicht von geschlechtlichen Fragen abhängig. Aber ich
respektiere - weil es bei der Ehe um die Frage geht, diesem Zusammenleben einen gesetzlichen Rahmen zu geben, der für das Leben in der Familie Verlässlichkeit
schafft -, dass es eingetragene Lebenspartnerschaften
gibt; denn wenn sich zwei Menschen zusammentun, für
sich planen und organisieren, dann brauchen sie diesen
Rechtsrahmen, um Verlässlichkeit für das Zusammenleben zu haben.
Ich sage an dieser Stelle aber sehr deutlich: Das Urteil
des Verfassungsgerichts ändert nach meinem Verständnis die Grundlagen des Art. 6 unserer Verfassung - Ehe
und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der
Verfassung -, indem es daneben gleichberechtigt die
Eingetragene Lebenspartnerschaft und deren Zusammenleben mit Kindern stellt. Das ist eine Veränderung
innerhalb unserer Verfassung. Das habe ich als Politiker
und Demokrat zur Kenntnis zu nehmen. Ich muss dieses
Urteil nicht lieben. Ich liebe es auch nicht; im Tiefsten
meines Herzens halte ich es für falsch. Ich habe es aber
zu akzeptieren und auch zur Grundlage für politische
Entscheidungen zu nehmen.
Für mich geht es in der Urteilsbegründung um einen
Passus zu der Frage der Adoption. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seiner Begründung ausdrücklich, dass man davon ausgeht, dass gleichgeschlechtliche
Paare bei der Adoption von Kindern einer sorgsamen
Prüfung unterzogen werden. Das ist richtig. Das gilt ja
auch für alle anderen Paare.
({3})
Was mich aber umtreibt - das sage ich nicht nur mit
Blick auf gleichgeschlechtliche Paare, sondern auch mit
Blick auf Ehen und andere -, ist die Frage, ob bei einer
Adoption im Ausland ernsthaft und gründlich geprüft
wird, wie mit Kindern umgegangen wird und wie viel
Käuflichkeit dabei ist.
({4})
- Herr Kollege Beck, ich habe gerade gesagt: Dies gilt
für alle. - Was mich umtreibt, ist die Rolle des Kindes,
ist die Rolle des Kindeswohls. Die Frage des Kindeswohls steht für mich bei den zukünftigen Entwicklungen
im Mittelpunkt. Wenn es darum geht, sich ein Kind anzuschaffen, obwohl die Voraussetzungen nicht stimmen,
({5})
dann werden Kinder offensichtlich angeschafft, um der
eigenen Selbstverwirklichung der Menschen zu dienen.
Kinder sind dann nicht mehr selbstverständlicher Bestandteil im Leben von Menschen.
Für mich ist die Kernfrage: Werden wir Politik mit
den Augen der Kinder gestalten, die ein Recht auf ihr
Leben haben, und zwar nicht nur als Kind, sondern auch
als Jugendlicher, als Heranwachsender und als Erwachsener? Bei allen Untersuchungen, die uns vorliegen,
wird lediglich geprüft, ob sich Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren wohlfühlen. Wir haben keine Untersuchung dazu, wie sich die Lebenssituation der Heranwachsenden, der Jugendlichen darstellt, die die
Auseinandersetzung mit Vater und Mutter suchen. Wir
haben überhaupt keine Untersuchung dazu, welche Auswirkungen dies hat, wenn sie erwachsen werden.
Mich treibt das Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm
um: Eine junge Frau, die erwartete, dass man ihr endlich
sagt, wer ihr Vater ist, hat recht bekommen; ihre Mutter
hat sich künstlich befruchten lassen, weil sie auf anderem Wege kein Kind bekommen konnte oder wollte. Sie
will endlich wissen, welche Herkunft, welchen Vater sie
hat.
({6})
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.
Nehmen wir mit Blick auf diese Kinder, die bald Jugendliche und Erwachsene werden, zukünftige politiKarl Schiewerling
sche Entscheidungen ernst! Ich sage Ihnen im vollen
Ernst - das sage ich Ihnen als Christlich-Sozialer und als
Konservativer -: Kein Mensch in unserer Welt hat ein
Anrecht auf ein Kind.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Aber alle Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter.
({0})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der SPD unsere Kollegin Ingrid ArndtBrauer. Bitte schön, Frau Kollegin Arndt-Brauer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich lebe recht konservativ:
Ich bin seit 28 Jahren verheiratet, habe ehelich vier Kinder bekommen und bin seit meiner Eheschließung gefördert worden. Ich gehöre also zu den Privilegierten. Wenn
man mir zusagt, dass ich nichts von meiner Förderung
verliere, habe ich überhaupt nichts dagegen, dass auch
andere gefördert werden. Warum auch? Warum sollten
wir die Ehe, so wie ich sie führe, nicht in dem Sinne öffnen, dass wir sagen: „Andere, die ähnliche Lebensentwürfe mit Kindern oder mit Partnern, für die sie sich einsetzen, haben, sollten ebenfalls gefördert werden“? - Da
nimmt man mir nichts weg; man gibt anderen etwas
dazu. Das finde ich sehr positiv. Ich denke, alle drei Oppositionsfraktionen sehen das ähnlich.
({0})
Ich finde es etwas befremdlich, dass die FDP sagt: Eigentlich sehen wir das auch so - es müsste zu einer
Gleichstellung kommen, alle müssten die Möglichkeit
einer Adoption erhalten -; aber wir sind noch nicht so
weit, dass wir das regeln können. - Ich befürchte: Wenn
Sie es jetzt nicht regeln und Ihren Koalitionspartner dabei mitnehmen, haben Sie in der nächsten Legislaturperiode keine Chance mehr, es zu tun, und werden am weiteren Vorgehen nicht mehr beteiligt sein.
({1})
Das ist bedauerlich; aber das kann man dann nicht ändern.
Bei der CDU/CSU finde ich es noch schwieriger. Da
weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, ob das, was der Kollege
Geis hier gesagt hat, wirklich die Meinung der CDU/
CSU ist, ob es im tiefsten Inneren die Meinung der
Mehrheit der Wähler ist, oder ob es schon ein bisschen
an der Zeit vorbeigeht. Natürlich verändern sich Gesellschaften und Werte; man muss diesen Wandel auch als
Politiker akzeptieren und sich ihm ein Stück weit anpassen. Nur bin ich mir nicht sicher, inwieweit die CDU/
CSU in dem Prozess, den hier einige andere Kollegen
angedeutet haben, schon mitgenommen worden ist. Natürlich haben Sie ein Werte- und Menschenbild; Sie wollen alle Menschen gleich behandeln. Aber wenn es darauf ankommt, dann wollen Sie einen Unterschied
machen, dann sagen Sie immer noch: Die Ehe ist privilegiert, alles andere nicht. - Es ist schwierig, das gegenüber der Gesellschaft durchzuhalten.
Ich erinnere an Themen, bei denen Sie auch einmal
etwas anderes postuliert haben, bei denen sich aber die
Situation im Verfahren des politischen Prozesses so entwickelt hat, dass Sie komplett umgesteuert haben. Ich
nenne stichwortartig, was Sie einmal hochgehalten haben: Die Wehrpflicht war Ihnen einmal wichtig; Sie haben sie komplett aufgegeben bzw. ausgesetzt. Energiepolitik: Atomausstieg, was haben Sie für Verrenkungen
gemacht! Ihre Politik haben Sie aufgegeben. In der Bildungspolitik haben Sie mal eben die Hauptschule aufgegeben. In der Familienpolitik sind Sie jetzt auch so weit,
dass Sie die Zahl der Kitaplätze ausbauen wollen, dass
Sie sagen: Nein, wir wollen nicht nur die Betreuung zu
Hause; hier müssen wir uns ändern. - Bei der Rente gibt
es Umschwünge. Beim Mindestlohn sind Sie plötzlich
dabei; das freut mich. - Sie haben schon so viele Dinge
aufgegeben, dass Ihre Wählerschaft Schwierigkeiten hat,
Ihnen zu folgen.
Sie müssen sich einmal entscheiden: Was haben Sie
eigentlich für ein Leitbild? Laufen Sie den Demoskopen
hinterher, nach dem Motto: „Ich muss mal sehen, wie
sich die Umfragen in den nächsten Tagen entwickeln;
danach richte ich meine Politik aus“?
({2})
Schauen Sie, was eigentlich die Werte der CDU sind,
und stehen Sie zu ihnen? Oder erfinden Sie eine neue
CDU? - Sie machen es dem Wähler an dieser Stelle
nicht ganz leicht. Das Ergebnis lässt sich an den letzten
Landtagswahlen ablesen, die Sie alle mehr oder weniger
verloren haben. Daran können Sie deutlich erkennen,
dass der Wähler bei Ihnen nicht mehr weiß: Wo ist eigentlich die Linie? Was ist CDU-Politik?
Dieses Thema verlangt eine sehr ernsthafte Debatte;
viele Kollegen haben das eingefordert. Es eignet sich
überhaupt nicht zum Klamauk. Ein paar Bemerkungen,
die hier gefallen sind, fand ich ziemlich daneben. Deswegen möchte ich festhalten: Es gibt Lebensentwürfe,
wo sich Menschen für andere Menschen einsetzen, in
welcher Form auch immer: indem sie als Mütter oder
Väter Menschen pflegen oder vielleicht als Kinder die
Eltern. Es gibt ähnliche Lebensentwürfe; nur sind es da
nicht Mutter und Vater, sondern vielleicht zwei Mütter
oder zwei Väter. Können wir nicht einfach sagen: „Wir
müssen die Leistung, die im Rahmen dieser Lebensentwürfe erbracht wird, in irgendeiner Form fördern“? Das
ist doch eine sinnvolle Sache; denn unsere Gesellschaft
braucht solche Lebensentwürfe.
Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sagt: Das Ideal
ist Mutter, Vater, Kind. - Aber dieses Ideal gibt es nicht
immer. Seitdem Sie an der Regierung sind, gibt es eigentlich überhaupt keine Ideale mehr.
({3})
Wir mussten so viele Kompromisse schließen, und die
Gesellschaft musste so viel akzeptieren. Ich denke, Sie
sollten Ihre Haltung überdenken, über Ihren Schatten
springen und die zehn Tage nutzen, um mit Ihren Wählern zu sprechen. Ich garantiere Ihnen: In zehn Tagen haben Sie den Sprung gemacht und tragen die Gleichstellung mit. Nutzen Sie die zehn Tage, um den
gesellschaftlichen Wandel aktiv zu begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin.
Wir sind am Ende unserer Aktuellen Stunde und
gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 28. Februar
2013, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.