Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Peter Hintze hat ebenso wie der Kollege
Manfred Nink vor wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag begangen. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich dazu auch auf diesem Wege herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Die Kollegin Astrid Grotelüschen hat am 27. April
2010 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die
Kollegin Ewa Klamt.
({1})
Herzlich willkommen! Auf eine gute Zusammenarbeit!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu erweitern, die jetzt gleich zusammen mit
der ersten Lesung des Entwurfs des Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetzes aufgerufen werden soll. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe also den Zusatzpunkt 1 sowie den Tagesordnungspunkt 1 auf:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität
der Währungsunion und zu dem bevorstehenden Sondergipfel der Euro-Länder am 7. Mai
2010 in Brüssel
1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in
der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik ({2})
- Drucksache 17/1544 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch hierzu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am
Montag vor dem Hintergrund der durch Griechenland
ausgelösten Krise ein Gesetz zur Stabilisierung der
Währungsunion in Europa beschlossen. Die Grundlage für dieses Gesetz ist eine Ultima Ratio, also eine
Notsituation. Die Notsituation besteht darin, dass Griechenland faktisch keinen Zugang zu den Finanzmärkten
mehr hat. Daraus wären Auswirkungen auf die Stabilität
des Euro insgesamt entstanden. Das Vorliegen dieser
Notsituation wurde durch die Europäische Zentralbank,
die Europäische Kommission und den Internationalen
Währungsfonds festgestellt. Dieser Notsituation soll mit
einem Programm von IWF, EU-Kommission und EZB
begegnet werden.
Das Programm hat eine Laufzeit von drei Jahren, wie
alle Programme des Internationalen Währungsfonds. Es
hat einen Umfang von insgesamt 110 Milliarden Euro.
Der Internationale Währungsfonds wird davon 30 Milliarden Euro übernehmen. Die Euro-Zone übernimmt
80 Milliarden Euro; der deutsche Anteil daran beträgt
28 Prozent, das bedeutet rund 22,4 Milliarden Euro in
drei Jahren. Davon werden im ersten Jahr 8,4 Milliarden
Euro anfallen, in den Jahren 2011 und 2012 zusammen
insgesamt 14 Milliarden Euro. Das Programm ist so gestaltet, dass Kredite gegeben werden. In Deutschland
Redetext
geschieht das durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Für diese Kredite bürgt der Bund und damit in letzter
Konsequenz der Steuerzahler, also wir alle.
Das sind die nackten Zahlen, Daten, Fakten des Ihnen
heute in erster Lesung vorliegenden Gesetzentwurfes.
Diese nackten Zahlen, Daten, Fakten vermögen nicht
einmal im Ansatz deutlich zu machen, wozu wir heute
hier zusammengekommen sind. Wir sind heute hier zusammengekommen, weil wir in erster Lesung über ein
Gesetz entscheiden müssen, das eine enorme Tragweite
hat. Es ist - das kann nicht klar genug formuliert werden von enormer Tragweite für Deutschland und für Europa.
Die Überschrift dessen, was wir beraten - „Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion“ -,
bringt diese Tragweite unzureichend zum Ausdruck.
Worum es tatsächlich geht, wenn wir in diesem Hause
über Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion beraten, müssen wir unmissverständlich
beim Namen nennen: Es geht um nicht mehr und nicht
weniger als um die Zukunft Europas und damit um die
Zukunft Deutschlands in Europa.
({0})
Das erlegt uns allen, die wir im Deutschen Bundestag
unser Volk vertreten, sei es in der Regierung, sei es in
der Opposition, eine außerordentlich große Verantwortung auf. Selten gibt es solche Situationen. Selten gibt es
Situationen, in denen, erstens, ohne historisches Vorbild,
zweitens, mit unmittelbarer Wirkung für den Augenblick
und, drittens, mit weitreichender Wirkung für die Zukunft unseres Landes und Europas entschieden werden
muss. Heute ist ein solcher Tag. Niemand kann uns, den
gewählten Vertreterinnen und Vertretern unseres Volkes,
diese Verantwortung abnehmen.
Noch klarer wird die uns auferlegte Verantwortung,
wenn wir uns vor Augen führen: Europa schaut heute auf
Deutschland. Ohne uns, gegen uns kann und wird es
keine Entscheidung geben. Ohne uns, gegen uns kann
und wird es keine Entscheidung geben, die ökonomisch
tragfähig ist und den rechtlichen Anforderungen sowohl
mit Blick auf europäisches Recht als auch mit Blick auf
nationales Recht in vollem Umfang Genüge tut.
({1})
In einem Wort: Mit uns, mit Deutschland, kann und wird
es eine Entscheidung geben, die der politisch-historischen Dimension der Situation insgesamt Rechnung
trägt.
({2})
Ich bin fest überzeugt, dass Deutschland dieser Verantwortung gerecht wird.
({3})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir heute, einen Satz zu wiederholen, den ich in meiner Regierungserklärung am 25. März dieses Jahres, also in meiner Regierungserklärung vor dem letzten EU-Rat der Staatsund Regierungschefs, gesagt habe:
Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der
schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale
Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Eurozone keinen Schaden nimmt.
({4})
Warnungen, Skepsis und Zweifel, ob es richtig war,
Griechenland den Zugang zur Euro-Zone zu gewähren,
hat es im Jahr der Entscheidung, also im Jahr 2000, zuhauf gegeben. Es wurde auf die schlechte Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hingewiesen, auf eine Überforderung des Landes insgesamt, unter dem Dach der
einheitlichen Währung die notwendigen Anpassungen
zu vollziehen. Dennoch muss im Jahr 2000 bereits frühzeitig eine vor allem politische Vorentscheidung zugunsten des Beitritts Griechenlands zur Euro-Zone gefallen
sein.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich erwähne
dies nicht, um in irgendeiner Form in eine Diskussion
über Schuldzuweisungen und Verantwortung einzutreten.
({5})
Ich erwähne dies nicht, um in eine Diskussion einzutreten, die sich hinsichtlich der damaligen Entscheidung
etwa an die Adresse der damaligen rot-grünen Regierung
richten könnte.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich führe eine solche
Diskussion nicht, weil sie, erstens, rückwärts gewandt
wäre. Zweitens wäre sie völlig unergiebig; denn sie
würde uns in keiner Weise von den Fakten befreien, mit
denen die heutige Regierung und die heutigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages umzugehen haben. Ich
erwähne diese Warnungen, diese Skepsis und die Zweifel aus einem anderen Grund. Ich erwähne sie, weil das
hilft, dass wir uns über den Ernst der Lage keinerlei Illusionen mehr machen, dass wir uns dem Ernst der Lage
stellen.
({7})
Dies kann in einem Satz zusammengefasst werden: Europa steht am Scheideweg.
({8})
Mit Europa stehen alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die 16 Mitgliedstaaten der EuroGruppe am Scheideweg. Europa muss entscheiden, ob es
den Weg der Vergangenheit fortsetzen will. Dieser Weg
bestand zu oft darin, dass Probleme selten direkt beim
Namen genannt wurden,
({9})
dass sie in der Folge nicht konsequent genug angegangen wurden, dass zu oft gehofft wurde, es werde sich
schon alles regeln und irgendwie gut gehen.
({10})
Gut gemeint war nicht immer gut gemacht.
({11})
Europa muss sich entscheiden, ob es diesen Weg fortsetzen will,
({12})
dazu noch unter den Bedingungen der Globalisierung
des 21. Jahrhunderts, oder ob es erkennt, dass auch für
die Union der 27 Mitgliedstaaten ein Zeitpunkt gekommen ist, an dem sie ihre Kräfte vielleicht überschätzen
könnte, an dem sie von ihrer Substanz und über ihre Verhältnisse lebt, an dem sie von Fehlentscheidungen der
Vergangenheit eingeholt wird,
({13})
die sich nicht mehr verdecken lassen, sondern im Gegenteil nur noch behoben werden können durch ein konsequentes Aufdecken, durch eine schonungslose Analyse
der Lage und eine daraus folgende Therapie.
({14})
Ich bin der Überzeugung: Dieser Zeitpunkt ist spätestens
jetzt gekommen.
({15})
Die Bundesregierung hat sich deshalb für den zweiten
Weg entschieden. Sie hat sich für den zweiten Weg entschlossen, weil sie überzeugt ist: Ein guter Europäer ist
nicht unbedingt der, der schnell hilft und damit vielleicht
nur den Anschein erweckt, als ob er das Problem lösen
würde.
({16})
Ein guter Europäer ist vielmehr der, der die europäischen
Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so
dazu beiträgt, dass die Stabilität der Euro-Zone und der
ganzen Europäischen Union keinen Schaden nimmt.
({17})
So, aber auch nur so kann es uns gelingen, den Kreislauf sich immer schneller und immer höher auftürmender Probleme zu durchbrechen. So beenden wir das Leben von der Substanz und über die Verhältnisse. So
dienen wir dem Wohl Europas und Deutschlands.
({18})
Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung in den
Verhandlungen mit Europa auf allen politischen Ebenen
von Beginn an wieder und wieder deutlich gemacht,
({19})
dass wir Hilfen an Griechenland nur in strikter Übereinstimmung mit dem europäischen Recht und dem deutschen Verfassungsrecht, das heißt, nur unter folgenden
vier Voraussetzungen leisten werden und leisten können:
Erste Voraussetzung. Der Schlüssel zur Lösung der
Krise liegt in Griechenland. Wir haben darauf bestanden,
dass Griechenland sich zu einer umfassenden Eigenanstrengung verpflichtet. Eine Konsolidierung ohne maximale Selbsthilfe Griechenlands hätte im Widerspruch zu
den bei uns durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die europäischen Verträge abgesicherten Prinzipien der Stabilitätsgemeinschaft gestanden. So
etwas war mit mir nicht zu machen. Das hat die Bundesregierung, ganz gleich, wie stark der Druck in Europa
und Deutschland auch immer war, von Beginn an strikt
abgelehnt.
({20})
Seit Sonntag liegen der Bundesregierung die Einzelheiten der geplanten Vereinbarung zwischen dem Internationalen Währungsfonds, den 15 Mitgliedstaaten und
Griechenland vor.
({21})
Aus dieser Vereinbarung wird deutlich: Griechenland
verpflichtet sich zu einer umfassenden, zu einer maximalen Eigenanstrengung. Das Land muss alles tun und
tut alles, um seine exorbitante Staatsverschuldung abzubauen. Die Vereinbarung sieht einschneidende Maßnahmen vor. Das Programm ist ehrgeizig. Es soll die
Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands erhöhen, damit das
Land seine Verschuldung aus eigener Kraft abbauen
kann. Nur so lässt sich das Vertrauen der Kapitalmärkte
wiedergewinnen. Dieses Programm erfüllt deshalb unsere erste Voraussetzung.
({22})
Ich füge hinzu: Ich traue meinem griechischen Amtskollegen, Ministerpräsidenten Papandreou, zu, dieses
Programm, auch wenn es eine wahrhaft gewaltige Aufgabe ist, mit Unterstützung der europäischen Partner und
des IWF umzusetzen.
({23})
Zweite Voraussetzung. Der Internationale Währungsfonds muss eingebunden werden. Wir haben darauf
bestanden, auch wenn wir mit dieser Haltung in der
Europäischen Union zu Beginn in der Minderheit waren.
Es ist der Internationale Währungsfonds, der mit seinen
Erfahrungen einen wertvollen - ich sage: unverzichtbaren - Beitrag zu einer erfolgreichen Umsetzung des griechischen Sanierungsprogramms leistet. Ohne Deutschland wäre es zu einer Einbeziehung des IWF nicht
gekommen.
Zur Wahrheit des heutigen Tages gehört ein Weiteres:
Auch das Programm Griechenlands mit den notwendigen Eigenanstrengungen hätten wir niemals erreicht,
wenn Deutschland zu einem frühen Zeitpunkt, wie von
fast allen gefordert, finanziellen Hilfen ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage zugestimmt hätte.
({24})
Vielmehr hätten wir das Gegenteil bewirkt. Eine frühe
Hilfe ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage hätte
nur die Erwartungen gesteigert, dass hochverschuldete
Mitglieder der Euro-Zone ohne eigene Konsolidierungsanstrengungen schnell mit großzügigen Hilfen rechnen
könnten.
({25})
Das hätte zu ähnlichen Destabilisierungen geführt wie
eine grundsätzliche Verweigerung der Hilfen an Griechenland. Dem hat die Einbindung des IWF mit seiner
langjährigen Erfahrung bei der Sanierung von hochverschuldeten Staaten, bei der Erarbeitung eines Sanierungsprogramms und bei der konsequenten Überwachung der Umsetzung des Programms entgegengewirkt.
({26})
So, aber auch nur so schaffen wir es, in Europa zu den
gewohnten Pfaden zu kommen und nicht so schnell zu
glauben, ein Problem sei bereits gelöst, wenn es schnell
gelöst wird, obwohl es in Wahrheit immer größer wird
({27})
und nachfolgende Generationen, wie heute uns, eines
Tages einholt, meine Damen und Herren.
({28})
Mit der am 26. März auf dem Rat der EU-Staats- und
Regierungschefs beschlossenen Einbeziehung des IWF
wurde also auch die zweite Voraussetzung erfüllt. Ich
füge hinzu: Sie hat sich, wie wir sehen, schon jetzt bewährt.
Dritte Voraussetzung. Griechenland ist nicht mehr in
der Lage, sich selbst auf den internationalen Kapitalmärkten zu refinanzieren. Dies ist nicht allein ein Problem Griechenlands, sondern Ausgangspunkt unabsehbarer Folgen für den gesamten Euro-Raum.
({29})
Deshalb gilt als vierte Voraussetzung: Die zu beschließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos,
um die Finanzstabilität des Euro-Gebietes zu sichern.
Wir schützen also unsere Währung, wenn wir handeln.
({30})
Dazu haben die Europäische Zentralbank und die
Europäische Kommission unmissverständlich dargelegt:
Die sofortigen Hilfen sind das letzte Mittel zur Gewährleistung der Finanzstabilität im Euro-Gebiet insgesamt. Sie müssen erfolgen, damit es nicht zu einer
Kettenreaktion im europäischen und internationalen
Finanzsystem und zu einer Ansteckung anderer EuroMitglieder kommt. Nachdem gerade das Gröbste der
Finanzkrise des Jahres 2008 überwunden ist und sich das
Euro-Gebiet auf dem Weg der Erholung befindet, würden systemgefährdende Störungen der Finanzmärkte
diese Erholung zunichtemachen. Eine erneute Finanzkrise würde zu spürbaren Wohlstandsverlusten und zu
höherer Arbeitslosigkeit auch in Deutschland führen.
Im Übrigen wird klar: So richtig es ist, alles dafür zu
tun, dass hemmungslosen Spekulationen an den Märkten
Einhalt geboten wird
({31})
und Ratingagenturen klaren Regeln unterworfen werden,
so unabweisbar ist es, der ganzen Wahrheit ins Auge zu
sehen. Ursache oder Auslöser für die Lage in Griechenland und die Folgen für den ganzen Euro-Raum waren
nicht allein hemmungslose Spekulationen an den Märkten und das Verhalten der Ratingagenturen.
({32})
Der Tag der ganzen Wahrheit war vielmehr der 22. April
dieses Jahres. An dem Tag meldete Eurostat beim grieBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
chischen Haushaltsdefizit eine nochmalige Korrektur
nach oben an. Es wurde deutlich: Die von Griechenland
zu zahlenden Zinsen stiegen in exorbitante Höhe. Eine
Refinanzierung Griechenlands am Kapitalmarkt wurde
praktisch unmöglich. Damit stand die griechische Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevor. Einen Tag später,
am 23. April, hat Griechenland um Hilfe nachgesucht.
Meine Damen und Herren, der Europäische Rat der
Staats- und Regierungschefs hat am 25. März dieses Jahres Griechenland für eine solche Situation Hilfen unter
genau den genannten vier Bedingungen in Aussicht gestellt. Alle vier müssen erfüllt sein; keine einzige dieser
vier Voraussetzungen ist entbehrlich. Die Analysen des
IWF, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union lassen keinen Zweifel zu: Alle vier Voraussetzungen sind jetzt erfüllt. Sie sind die Grundlage unserer Entscheidungen in dieser Woche, und sie markieren
politisch wie rechtlich ihren Rahmen.
Hinzu kommt die Klärung einer Beteiligung der
Gläubiger. Die Bundesregierung will in dieser Woche
eine Entscheidung, die auch die Verantwortung der Banken und anderer Gläubiger deutlich werden lässt.
({33})
Der Bundesfinanzminister hat dazu Gespräche geführt.
({34})
Banken und Gläubiger dürfen sich ihrer Verantwortung
nicht entziehen.
({35})
Deshalb begrüße ich, dass es hierzu ganz offensichtlich
eine Bereitschaft bei Banken und Gläubigern gibt.
({36})
Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass
die Finanzwirtschaft plant, bestehende Kreditlinien an
Griechenland und griechische Banken bis 2012 aufrechtzuerhalten.
({37})
Ich füge aber hinzu: Wenn sich die Banken von einem
solchen freiwilligen Beitrag erhoffen sollten, dass wir
sie gleichsam als Gegenleistung bei einer Bankenabgabe
oder anderen Maßnahmen entlasten,
({38})
dann haben sie sich gründlich getäuscht.
({39})
An dieser Stelle auch ein Wort zur internationalen
Finanztransaktionsteuer. Der damalige Finanzminister und ich haben uns beim G-20-Gipfel in Pittsburgh dafür eingesetzt, dass eine solche internationale Finanztransaktionsteuer Realität wird.
({40})
Daraufhin hat es einen G-20-Beschluss gegeben, der den
Internationalen Währungsfonds um Vorschläge gebeten
hat,
({41})
in welcher Form man die Banken in die Verantwortung
einbeziehen kann.
({42})
Inzwischen liegen die Empfehlungen des Internationalen
Währungsfonds für die nächste Tagung der G 20 in Kanada vor.
({43})
Der Internationale Währungsfonds unterstützt, dass wir
eine Bankenabgabe erheben, so wie es Deutschland vorsieht.
({44})
Der Internationale Währungsfonds verwirft die Idee einer internationalen Finanztransaktionsteuer.
({45})
- Ich würde an Ihrer Stelle einfach einmal zuhören. Sie
könnten ja vielleicht noch etwas lernen. Wirklich: Einfach einmal zuhören.
({46})
Der Internationale Währungsfonds weist darauf hin,
dass eine internationale Finanztransaktionsteuer auch die
Realwirtschaft trifft, und empfiehlt stattdessen eine
Besteuerung der Gewinne und Gehälter der Banken.
({47})
Ich finde, wir tun gut daran, den Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds eine große Beachtung zu
schenken. Ich bitte auch die Opposition, sich mit diesen
Vorschlägen auseinanderzusetzen.
({48})
Ich sage auch in Richtung der Banken: Wenn jemand
in unserer Gesellschaft eine Gegenleistung erbringen
muss, dann ist das nicht der Staat gegenüber den Banken, sondern dann sind das die Banken gegenüber dem
Staat und damit gegenüber den Menschen in Deutschland. Aus dieser Verantwortung werden wir sie nicht entlassen, meine Damen und Herren.
({49})
Deshalb werden wir uns mit Nachdruck für weitere
Regulierungsmaßnahmen bei Derivaten, Hedgefonds
und Leerverkäufen in Europa und weltweit einsetzen;
denn das Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten muss - das ist mein Ziel, das ist das Ziel der
Bundesregierung und sicherlich auch dieses Hohen Hauses - wiederhergestellt werden. Daran müssen wir arbeiten, und dabei werden wir nicht ruhen, meine Damen
und Herren.
({50})
Ein Zweites muss klipp und klar sein: Mit den jetzt zu
beschließenden Maßnahmen für Griechenland kann es
nicht getan sein. Die Stabilität des Euro muss langfristig
gesichert werden. Wiederholungen müssen vermieden
werden. Die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung und die gegenseitige Überwachung in Europa
müssen verbessert werden. Das muss auch ein Element
der neuen Wachstumsstrategie 2020 werden, die wir
im Juni verabschieden. Ich kann mir beim besten Willen
nicht vorstellen, wie wir in wenigen Wochen diese
Wachstumsstrategie verabschieden, ohne dass sie in konkreter Form in einem Zeitplan und ersten Maßnahmen
deutlich macht, dass und wie Europa die Lehren aus dieser Krise zieht. Es wird ein Wille zu stärkerer wirtschafts- und finanzpolitischer Zusammenarbeit notwendig sein.
Ich kann auch niemandem ersparen, dass dabei insbesondere die Aufmerksamkeit auf solche Mitgliedstaaten
gelenkt wird, die über keine ausreichende Wettbewerbsfähigkeit verfügen. Dabei geht es nicht, um das gleich
vorwegzusagen, um Schuldzuweisungen; es geht stattdessen einmal mehr um die Abwendung von Schaden für
den gesamten Euro-Raum. Diese Abwehr von Schaden
ist - das ist meine Überzeugung - nur durch einen Weg
der Offenheit, der Klarheit und auch der Schonungslosigkeit zu erreichen.
({51})
Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Europäische Währungsunion langfristig auf ein stabiles Fundament gestellt wird. Dazu gehört eine schnellere und
straffere Anwendung von Sanktionen gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihrer Verpflichtung zur Senkung des
Defizits unter 3 Prozent nicht nachkommen. Dazu gehört
eine Diskussion um verstärkte und vor allem wirksame
Sanktionen bei Verstoß gegen den Stabilitätspakt.
Ich sage es unmissverständlich: Teil dieser Sanktionen müssen auch Suspendierungen aus dem EU-Haushalt sein. Wer sich nicht an die Maastricht-Defizitgrenze
hält, der verwirkt einen Teil seiner Strukturfonds- oder
Agrarmittel.
({52})
In letzter Konsequenz heißt das nichts anderes, als notorischen Defizitsündern zumindest vorübergehend das
Stimmrecht zu entziehen. Für den äußersten Notfall
muss auch ein Verfahren für eine geordnete Insolvenz eines Mitgliedstaates entwickelt werden.
({53})
In einem Satz zusammengefasst: Wenn zur dauerhaften Erhöhung der Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion Vertragsänderungen unumgänglich sind
- das sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit -, dann
setzt sich die Bundesregierung, dann setze ich mich auch
ganz persönlich dafür mit allem Nachdruck ein. Wie
mühselig und langwierig ein solcher Prozess auch immer
sein mag, das darf uns nicht daran hindern, das Richtige
zu tun.
({54})
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Das
sind wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
schuldig, das sind wir unseren nachfolgenden Generationen schuldig. Ich sagte es: Europa steht am Scheideweg.
Die Entwicklung in Griechenland hat uns drastisch vor
Augen geführt, wohin eine unsolide Haushalts- und
Finanzpolitik führen kann. Es beweist sich auch für unser eigenes nationales Vorgehen als wegweisend, dass
wir im vergangenen Jahr eine Schuldenbremse in unsere
Verfassung aufgenommen haben; sie gilt ab dem nächsten Jahr.
({55})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der jetzt vorgeschlagene Lösungsweg einschließlich der vierteljährlichen Überprüfungen der Umsetzung des griechischen Programms bietet mehr Chancen als jede andere Alternative. Er bietet
die bestmögliche Gewähr dafür, dass der deutsche Steuerzahler, der über den Bund für die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau bürgt, von einer Inanspruchnahme verschont bleibt.
1997 hat die Bundesregierung von Helmut Kohl,
Theo Waigel und Klaus Kinkel darauf bestanden, dass
der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeführt wird. Die Aufgabe meiner Regierung und aller
Mitglieder dieses Hauses heute ist es, darauf zu bestehen, dass dieser Stabilitätspakt durchgesetzt wird, ihn zu
verteidigen und ihn als Lehre aus dieser Krise weiterzuentwickeln.
({56})
Wir müssen ihn so ausgestalten, dass er nicht mehr unterlaufen werden kann, sondern strikt einzuhalten ist. So
wie die Regierung Helmut Kohl 1997 größte Widerstände überwinden musste, so muss auch unsere politische Generation heute große Widerstände überwinden.
({57})
Deutschland, der stärksten Wirtschaftsnation Europas, kommt in dieser Lage eine besondere Verantwortung zu, und Deutschland nimmt diese Verantwortung
wahr.
({58})
Die glückliche Geschichte Deutschlands nach dem
Zweiten Weltkrieg, die Entwicklung zu einem freien, einigen und starken Land ist von der parallel verlaufenen
Geschichte der Europäischen Union nicht einmal in Gedanken zu trennen. Die europäische Einigung ihrerseits
ist ohne die deutsche Beteiligung überhaupt nicht vorstellbar. Deutschland lebt in der Europäischen Union in
einer Schicksalsgemeinschaft. Ihr verdanken wir Jahrzehnte des Friedens, des Wohlstands und des Einvernehmens mit unseren Nachbarn. Der Krieg, der - nicht zuletzt durch deutsche Schuld - immer wieder Europa
verwüstet hat, verschont unseren Kontinent inzwischen
so lange wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte.
Wir Bürgerinnen und Bürger Europas sind zu unserem Glück vereint. Für diese Überzeugung hat noch jede
deutsche Bundesregierung - von Konrad Adenauer bis
heute - gearbeitet. Wir arbeiten für ein starkes Europa,
das seine Rolle in der Welt geeint und entschieden wahrnimmt, das seine Werte und Interessen selbstbewusst
verteidigt. Das war, ist und bleibt Deutschlands und Europas Zukunft.
Ich bitte Sie heute um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.
({59})
Mit ihm schützen wir die Bürger unseres Landes,
({60})
mit ihm treffen wir die notwendigen Entscheidungen für
Deutschland, für die Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes, und mit ihm leisten wir zusammen mit unseren
Partnern in Europa unseren Beitrag für eine gute Zukunft
Europas - denn es geht um die Zukunft Europas.
Herzlichen Dank.
({61})
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. FrankWalter Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Entscheidung, die wir in dieser Woche im Deutschen
Bundestag zu treffen haben, ist über die Jahre gesehen
vielleicht die folgenreichste und deshalb schwerste Entscheidung, die wir zu treffen haben. Dies ist eine Entscheidung, die die Menschen - wir haben das auf den
Straßen erleben können - ganz ohne Zweifel verunsichert und beunruhigt.
Was wir hier erleben - das sage ich in Erinnerung an
manche Wortbeiträge auch von Beteiligten hier aus diesem Hohen Hause -, ist aber keine Griechenland-Krise,
sondern das ist ein bisschen mehr als das: Das ist die
größte Belastungsprobe für die europäische Integration seit den Römischen Verträgen. Ich habe bei den
Äußerungen in den letzten Tagen nicht immer den Eindruck gehabt, dass das jedem aus den Koalitionsfraktionen hier bewusst war.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, deshalb verbitten wir uns jede
selbstgerechte Belehrung in der Form, wie wir sie eben
gehört haben.
({1})
Es ist doch eine Frechheit, uns, der SPD-Fraktion, zu erklären, die Beiziehung des IWF sei notwendig gewesen.
Wer von den Kolleginnen und Kollegen hat das in der
Vergangenheit bestritten?
({2})
Sie und die Regierung haben geschwankt wie ein Rohr
im Wind und erklären das nachträglich zur Strategie.
Das ist doch so durchsichtig wie nur irgendetwas.
({3})
Um aber allen Missverständnissen, den gewollten wie
den ungewollten, von vornherein den Boden zu entziehen, sage ich, meine Damen und Herren: Jawohl, das
europäische Rettungspaket muss sein, die deutsche Beteiligung daran auch. - Wir haben den Weg dafür geöffnet, dass ohne kleinliche Streitereien über das Verfahren
hier im Hohen Hause des Deutschen Bundestages in dieser Woche entschieden werden kann. Frau Merkel, wir
werfen Ihnen nicht vor, dass Sie handeln. Im Gegenteil:
Wir werfen Ihnen vor, dass Sie erst jetzt handeln. Das
Unheil, dass Sie bis hierhin angerichtet haben, ist nämlich gewaltig.
({4})
Hier vorne sitzt der Kollege Poß aus meiner Fraktion.
({5})
Er hat Ihrem Finanzminister am 11. Februar dieses Jahres geschrieben und ihn gefragt: Was ist los? Was gedenkt die Regierung in der Causa Griechenland zu tun? Das hat er sich ja nicht selbst ausgedacht,
({6})
sondern er hat ein bisschen auf die Finanzmärkte geschaut
({7})
und gesehen: Da ist etwas beunruhigend in Bewegung
geraten; da gibt es angriffslustige Hedgefonds, die Spekulationswellen gegen Griechenland losgetreten und
den Wert des Euro ins Sinken gebracht haben.
Im Februar war doch schon erkennbar, dass Griechenland ganz gefährlich ins Trudeln geriet. Wer das hören
und sehen wollte, der konnte einigermaßen wissen, was
da auf uns zukommen würde. Das war der Zeitpunkt, zu
handeln, und da hätte eine gute Regierung mit einem
Krisenmanagement begonnen, das Parlament hier informiert
({8})
und Handlungsoptionen ausgeleuchtet. Das wäre ein
vernünftiges Krisenmanagement gewesen. Nichts davon! Ich habe es nicht gesehen. Stattdessen Verschieben,
Verschleiern, Schönreden.
Erst hieß es: „Es wird schon nicht so schlimm kommen“, dann wurde es eine Zeit lang zum griechischen
Problem erklärt, dann begann - das habe ich doch in guter Erinnerung - diese merkwürdige Taktiererei rund um
den 9. Mai dieses Jahres. Wir haben sehr wohl gespürt,
dass viele bei Ihnen gehofft haben, dass der griechische
Antrag erst am 14. Mai kommt und nicht bereits Ende
des vergangenen Monats. Es kam dann doch anders.
Die Krönung - ich kann nicht darauf verzichten, das
hier zu erwähnen - war aber doch dieses Theater, bei
dem ich bis heute nicht weiß, wer eigentlich die entscheidenden Rollen besetzt hatte: auf der einen Seite die
Bundeskanzlerin auf einem Bismarck-Sockel auf Seite 2
der Bild-Zeitung mit dem Motto „Kein Euro für Griechenland“ und auf der anderen Seite gleichzeitig das
Signal des Finanzministers an die Europäer: Am Ende
werden wir bei diesem Rettungspaket von Europa schon
mitmachen. - Das ist unanständig. So geht man mit dem
Parlament und der Öffentlichkeit nicht um.
({9})
Frau Merkel, die Regierungserklärung, die Sie gerade
abgegeben haben, war keine Werbung für eine breite Zustimmung hier im Parlament.
({10})
Ich bin auch nicht mit dieser Erwartung hierhergekommen; das sage ich ganz ehrlich. Ich hätte aber Verständnis dafür gehabt, wenn Sie gesagt hätten: Für eine Entscheidung von einer solchen Tragweite brauchen wir
eine stärkere Mehrheit als nur die Mehrheit der eigenen
Koalitionsfraktionen. - Ich unterstelle Ihnen auch durchaus, dass Sie nicht nur deshalb ein Interesse daran haben,
weil Sie sich Ihrer eigenen Mehrheit unsicher sind. Denn
auch ich sage aus meinem Demokratieverständnis heraus: Es wäre gut, wenn bei Entscheidungen solcher
Tragweite die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nicht Lichtjahre und Galaxien voneinander entfernt
wären. Deshalb habe ich öffentlich wie auch in Gesprächen mit Herrn Schäuble und Ihnen gesagt: Ich schließe
nicht aus, dass wir am Freitag zu einer gemeinsamen
Entscheidung kommen. Aber ich habe ebenso deutlich
und auch das von Anfang an gesagt: Eine Zustimmung
zu einer nackten Kreditermächtigung wird es mit der
SPD im Deutschen Bundestag nicht geben.
({11})
Das ist keine Antwort auf die Bedrohung, erst recht
keine angemessene.
Ich will noch hinzufügen: Das Verhalten der letzten
Woche - ich habe es kurz skizziert - hat uns eine mögliche Einigung am Freitag nicht gerade erleichtert. Wenn
sich das ändern soll, Frau Merkel, dann müssen Sie Ihr
Verhalten und das Verhalten der Regierung ändern.
({12})
Sie haben wochenlang versucht, uns herauszuhalten. Es
gab wochenlang nicht den Ansatz eines Versuchs, entweder - das wäre ja auch möglich gewesen - ein Paket
mit einer eigenen Konzeption vorzulegen, wie man mit
der Causa Griechenland und den Folgen umgehen will,
oder uns, die Opposition, einzuladen und sich anzuhören, welche Gedanken, Ideen und Vorschläge wir haben,
um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Ich habe früher immer gesagt: Eine gute Regierung
muss funktionieren wie Brandschutz. Sie muss Gefahren
analysieren, vorausschauend handeln und vor allen Dingen entschlossen führen. Diese Regierung ist kein
Brandschutz für Deutschland. Sie haben die Dinge treiben lassen und rufen jetzt, wo es lichterloh brennt, nach
der Feuerwehr. Ein bisschen spät, würde ich sagen.
({13})
Wenn es nur das wäre, dann hätte ich darauf verzichtet,
dies zu erwähnen. Entscheidender ist, finde ich: Sie
beide, Kanzlerin und Vizekanzler, haben auf der Brücke
gefehlt, als das Schiff in Seenot geraten ist.
({14})
Sie haben es einfach laufen lassen, als die Neunmalklugen bei Ihnen gerufen haben: „Mir gebbet nix!“,
oder: „Sollen die Griechen doch ein paar Inseln verkaufen“. - Wo war da Führung? Wo war da Krisenmanagement, Frau Merkel? - Nichts davon.
({15})
Das war kein Krisenmanagement, sondern es war immer auch - lassen Sie mich das so offen sagen - ein bisschen Schielen auf den Boulevard.
({16})
Das war das Doppelspiel, das uns in Europa enormes
Vertrauen und Ansehen gekostet hat.
({17})
Sie haben in den letzten Tagen viel mit Europäern gesprochen. Das habe ich auch getan, und ich sage Ihnen:
Keine Bundesregierung hat es geschafft, in so kurzer
Zeit so viel Ansehen und Vertrauen zu verspielen wie Sie
in diesen Tagen.
({18})
Ich darf Ihnen jedenfalls versichern: Wir Sozialdemokraten wissen und stehen dazu: Ohne den Euro hätten
Europa und Deutschland in der Weltwirtschaft keine Zukunft. Ohne den Euro hätte uns diese Finanz- und Wirtschaftskrise noch sehr viel härter getroffen als jetzt. Es
glaube doch bitte niemand, auch nicht in diesem Hause,
dass wir nur eines der Probleme, mit denen wir umzugehen haben, gelöst hätten, wenn die Menschen in Griechenland wieder in Drachmen, in Italien in Lira und in
Spanien wieder in Peseten zahlten. Nicht ein einziges
Problem wäre dadurch gelöst. Aber dies den Menschen
zu erklären, Frau Merkel, ist Aufgabe einer Regierung.
Das ist Ihre Aufgabe. Das hätten Sie den Menschen sagen müssen. Jetzt steckt die Karre für alle sichtbar im
Dreck.
({19})
Auf Dauer gesehen - das ist meine feste Überzeugung; sie bleibt es auch bei den gegenwärtigen Schwierigkeiten - ist ein starkes Europa die richtige, mittelund langfristig vielleicht sogar die einzige Antwort auf
eine sich verändernde Weltwirtschaft. Das ist doch - so
habe ich es immer verstanden - unser Gegenentwurf zu
einer regellosen Welt.
Deshalb müssen wir diesen Entwurf aufrechterhalten
und Europa stärker machen, statt lästerlich darüber in
dieser Weise zu reden, wie das in letzter Zeit geschehen
ist.
({20})
Das meine ich politisch, ich meine es aber auch wirtschaftlich. Wir in Deutschland wären doch die Hauptleidtragenden - Sie wissen das alles doch -, wenn die
Stabilität in der Euro-Zone dauerhaft in Gefahr geriete. Zwei Drittel unserer Exporte gehen in die Staaten
der Europäischen Union. Die deutsche Wirtschaft spart
jedes Jahr rund 10 Milliarden Euro, weil sie im EuroRaum keine Kurssicherungsgeschäfte mehr machen
muss. Die Kredite für Griechenland sind deshalb - lassen Sie es mich noch einmal sagen - eben nicht nur eine
Frage europäischer Solidarität. Sie sind auch ein Gebot
wirtschaftlicher Vernunft. Das sieht die Sozialdemokratie nicht anders als der eine oder andere hier im Hohen Haus.
({21})
All das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist wichtig.
Aber das trifft noch nicht den Kern; darüber möchte ich
jetzt noch reden. Es geht um Griechenland, es geht um
die Währungsunion, es geht um Europa. Ja, das stimmt.
Aber wir sind in der jetzigen Entscheidungssituation
auch an einem Punkt, an dem es um noch mehr geht. Ich
kann es nicht kleiner sagen: Es geht um das Vertrauen
der Menschen in die Gestaltungskraft der Politik
überhaupt. Es geht auch um das Fundament unserer
Demokratie.
({22})
Warum sage ich das? Sie spüren doch genauso wie wir,
dass hinter dem ganzen Unbehagen, das uns begegnet,
eine tiefe, große Sorge, an der wir nicht vorbeigehen
können, steckt, eben die Sorge, dass die Politik die internationalen Finanzmärkte nie und nimmer unter Kontrolle bekommt, dass anonyme Hedgefonds - darüber
habe ich bereits gesprochen - nicht nur mit Banken, sondern am Ende auch mit Staaten Monopoly spielen können, weil das Börsenkasino noch immer keine Regeln
hat. Viele Menschen zweifeln daran - Sie hören und spüren das doch auch -, dass die Politik am Ende etwas gegen die Macht der Finanzwelt ausrichten kann. Der Kern
des Problems ist doch die scheinbare Hilflosigkeit der
Politik gegenüber den Finanzmärkten. Das untergräbt
das Vertrauen der Menschen. Das ist die Grundsatzfrage
der Demokratie, über die wir in einem solchen Zusammenhang auch reden müssen.
({23})
Deshalb sage ich: Wir müssen weiterdenken und mutiger handeln, als die Bundesregierung das gegenwärtig
plant. Wir müssen an die Ursachen der Krise herangehen. Wir müssen die Lasten der Krise gerecht verteilen.
Ich frage Sie: Wann, wenn nicht jetzt in einer solchen
Krise nicht nur der Währungsunion, sondern ganz Europas, sollen wir handeln? Jetzt ist der Zeitpunkt, zu handeln.
({24})
Frau Merkel, machen Sie also Ernst! Keine Lippenbekenntnisse mehr! Ich fordere Sie auf: Verbieten Sie
ungedeckte Leerverkäufe! Verbieten Sie spekulative
Kreditversicherungen! Sorgen Sie für eine strengere
Überwachung der Hedgefonds! Regulieren Sie die Ratingagenturen! Schaffen Sie eine europäische Ratingagentur! Sorgen Sie für einen Finanz-TÜV!
({25})
- Hören Sie einen Augenblick zu! Sie kommen auch
dran. - Ja, wir sind auch mit Ihnen der Meinung: Wir
müssen noch einmal an den Stabilitätspakt herangehen.
Wir brauchen mehr Transparenz und mehr Effektivität
bei der Kontrolle der Haushalte der Mitgliedstaaten. Da
haben wir zu wenig getan und durchgesetzt. Wir brauchen - auch davon bin ich überzeugt - einen neuen Krisenmechanismus.
({26})
Aber der entscheidende Punkt, auf den ich nun zu
sprechen komme, ist: Die Kosten dieser Krise dürfen
- das ist unabdingbar - nicht wieder einseitig auf den
Steuerzahler abgeladen werden. Da brauchen wir ein anderes Verhalten.
({27})
Die Menschen erwarten dringend, dass wir mit dem Versprechen Ernst machen, dass auch die Verantwortlichen
beim Tragen der Kosten herangezogen werden. Ich sage
Ihnen: Mit ein paar Schautreffen mit Bankern - mehr
war das bisher nicht - wird das nicht gelingen. Wir brauchen eine ernsthafte Beteiligung der Banken mit dauer3730
haften Beiträgen. Dafür kenne ich nur ein Instrument.
Das ist die Finanztransaktionsteuer. Über dieses Instrument müssen wir miteinander reden.
({28})
Es gibt kein anderes Instrument. Deshalb fordern wir
Union und FDP auf: Gehen Sie diesen Weg zur internationalen Finanztransaktionsteuer, zur europäischen
Finanztransaktionsteuer. Lassen Sie uns bis Freitag nicht
nur darüber reden. Wenn Sie an einer gemeinsamen Entschließung hier im Deutschen Bundestag interessiert
sind, dann muss das in dieser gemeinsamen Entschließung stehen.
({29})
Ich habe Ihre diesbezügliche Argumentation eben
nicht so richtig verstanden, Frau Merkel. Ich habe mir
Ihre Texte dazu angeschaut. Sie haben im Januar 2010
erklärt:
Wir setzen uns für eine internationale Finanztransaktionssteuer ein. Eine solche weltweit eingeführte
Steuer kann überbordende Spekulationen dämpfen
und einen Beitrag leisten, die finanziellen Lasten
der Krisenbewältigung in fairer Weise zu tragen.
Recht hatten Sie damals, Frau Merkel! Aber halten Sie
sich auch hier im Deutschen Bundestag an diesen Beschluss! Tun Sie als Bundeskanzlerin nicht das Gegenteil von dem, was Sie als Parteivorsitzende fordern!
({30})
Ein bisschen Erfahrung haben auch wir in den Gesprächen gesammelt. Ich weiß, dass es in den Koalitionsfraktionen unterschiedliche Auffassungen gibt. Es gibt
den einen oder anderen, der einem unter der Hand sagt:
Eigentlich wären auch wir für die Transaktionsteuer,
aber die FDP macht da nicht mit. - Dazu sage ich Ihnen,
Frau Merkel: Das sind Fragen, bei denen Führung angesagt ist. Ich rufe Ihnen zu: Geben Sie den Lobbyinteressen nicht nach, auch nicht der FDP!
({31})
Glauben Sie nicht denen, die jetzt schon wieder von einer Bedrohung der Finanzmärkte reden bzw. darüber
schwadronieren! Diese Bedrohung gibt es nicht bei einer
Belastung von 0,05 Prozent pro Transaktionsvorgang.
Wir sind es, die bedroht sind, wenn wir nicht handeln. So
sieht es aus, Frau Merkel.
({32})
Man kann nicht auf der einen Seite, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die letzten Möglichkeiten für gestaltende Politik, die wir noch haben in der
Klemme, in der wir in Deutschland sind, durch unverantwortbare Steuersenkungen verschenken und auf der anderen Seite auch noch auf mögliche Einnahmen verzichten. Was sollen denn die Leute von uns halten?
({33})
- Nein, das ist es nicht. - Was sollen denn die Leute von
uns halten? Sie geben doch im Grunde genommen denjenigen recht, die im Augenblick öffentlich erklären: Für
alles haben die Geld, aber nicht für eine ordentliche
Straße oder eine ordentliche Schule in meiner Gemeinde. ({34})
Sie müssen doch, wenn die Möglichkeit besteht, dafür
eintreten und dafür kämpfen, dass mit dem Instrument
einer Finanztransaktionsteuer Geld in die Kasse kommt,
mit dem wir in Deutschland Politik machen können. Sie
brauchen es und Ihre Nachfolgeregierungen auch.
({35})
Deshalb meine herzliche Bitte: Denken Sie nicht in den
Schablonen von Parteiprogrammen, denken Sie an die
Zukunft dieses Landes.
({36})
- Wir werden uns bei dem Thema wiedertreffen.
Es geht um Griechenland, es geht um den Euro. Das
wird das Thema bleiben. Vor allen Dingen geht es aber
um Handlungsfähigkeit von Politik. Wenn wir jetzt nicht
nach vorne denken, wenn wir jetzt nicht bereit sind, mutig zu handeln, dann haben alle diejenigen recht, die sagen: Das Rennen zwischen der Politik und den Märkten
findet statt, aber ihr tretet nicht wirklich an. Ihr wollt gar
nicht gewinnen. Ihr wartet geduldig ab, bis das nächste
Unheil über euch zusammenbricht.
({37})
Ich sage: Eine solche Haltung verträgt unsere Demokratie nicht.
({38})
Lasst uns gemeinsam um Spielräume für Handlungsfähigkeit von Politik kämpfen! Lasst uns dafür
sorgen, dass wir sie da, wo sie verloren gegangen sind,
wo wir sie eingebüßt haben, zurückerobern. Das sind wir
den Menschen in Deutschland und der Demokratie in
diesem Lande schuldig.
Herzlichen Dank.
({39})
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Lage Griechenlands stellt Europa vor die bisher größte
Herausforderung. Es ist eine Bewährungsprobe für die
Euro-Zone, aber auch für die Bundesregierung und für
dieses Parlament.
Es geht um die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit
Griechenlands und damit eine Destabilisierung des Euro
verhindert werden kann. Wir lassen uns bei unseren Entscheidungen von dem Ziel leiten, die Stabilität der Währung zu gewährleisten, und wir lassen uns von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und
Europa leiten. Wir spannen einen Schutzschirm für den
Euro.
({0})
Wir sichern die Währungsstabilität und retten damit die
Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger. Mit diesem Gesetzentwurf ziehen wir eine Brandmauer, damit die Krise
eines Staates nicht auf den gesamten Euro-Raum überspringen kann.
({1})
Die FDP und die Koalition sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Es ist eine große Verantwortung, und wir
handeln im Bewusstsein dieser Verantwortung. Ich sage
ganz deutlich: Die Bundesregierung hat überlegt und
klug gehandelt. Das, Herr Steinmeier, ist auch öffentlich
deutlich geworden, wie man an den Äußerungen in den
letzten Tagen und Wochen erkennen kann. Aber das, was
Sie gemacht haben, indem Sie der Bundesregierung öffentlich immer wieder vorgeworfen haben, sie betätige
sich als Brandbeschleuniger, ist unverantwortlich.
({2})
Dass Sie hier von der Finanzierung öffentlicher Straßen
durch eine Finanzmarkttransaktionsteuer sprechen, ist
purer Populismus, Herr Steinmeier. Das müssen Sie sich
an dieser Stelle sagen lassen.
({3})
Viele von uns - auch das gehört zur Wahrheit an einem solchen Tage - tun sich mit der Entscheidung
schwer. Jeder von uns weiß um die Tragweite und die
Bedeutung dieser Entscheidung. Deshalb ist es gut, dass
wir ausführlich und intensiv im Deutschen Bundestag
beraten und die Alternativen abwägen. Das haben wir in
den Fraktionen getan. Unsere Koalition steht hinter dem
Gesetzentwurf. Anders als bei Vorgängerregierungen,
Herr Oppermann, müssen wir nicht durch Vertrauensfragen zur Verantwortung gezwungen werden.
({4})
Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden, und
wir werden Ihnen keine Hintertür öffnen, durch die Sie
sich von Ihrer Verantwortung verabschieden könnten.
Wir handeln im Interesse der Menschen in Deutschland und Europa, und wir handeln im Interesse der
Stabilität unserer Währung. Wir Freien Demokraten
sind unserer Verantwortung übrigens auch in der Oppositionszeit, beispielsweise beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz, gerecht geworden. Wenn es in Deutschland
um Stabilität für die Bürgerinnen und Bürger geht, dann
steht die FDP dafür ein. Diesen Beweis, Herr Steinmeier,
müssen andere Fraktionen hier im Deutschen Bundestag
in dieser Woche erst noch erbringen.
({5})
Der Präsident der EZB und der zuständige EU-Kommissar haben der Euro-Gruppe am Sonntag das Ergebnis
ihrer Prüfungen mitgeteilt. Sie haben festgestellt, dass
sich die Finanzmarktentwicklungen in Griechenland,
wenn jetzt nicht gehandelt wird, auf die Finanzstabilität
des Euro-Gebietes auswirkten. Es ist die Situation der
Ultima Ratio eingetreten; Hilfen - das haben wir immer
wieder betont - sind das letzte Mittel. Daher müssen wir
jetzt konsequent handeln. Damit schützen wir das Vertrauen der Bürger und Unternehmen in unsere gemeinsame Währung und in die Euro-Zone.
Der gemeinsame Währungsraum hat wirtschaftlichen
Erfolg und Stabilität gebracht und sich gerade in der Wirtschafts- und Finanzkrise wieder einmal bewährt. Deshalb, meine Damen und Herren, war der Euro eine Erfolgsgeschichte. Dieser gemeinsame Währungsraum
muss weiter für Stabilität sorgen. Daraus wird die Bedeutung gerade dieser Stabilisierungsbemühungen für den
Euro klar, und genau deshalb werden wir entsprechend
handeln.
Die Koalition hat auch in der richtigen Reihenfolge
gehandelt. Wer dieser Bundesregierung, Herr Steinmeier,
Blockadehaltung und Verzögerung von Hilfen vorwirft,
disqualifiziert sich selbst. Es ist doch so, dass man von
einem Land, das in eine solche Situation kommt, zunächst einmal eigene Anstrengungen erwarten muss. Ich
frage Sie: Wollten Sie wirklich zu einem Zeitpunkt, als
Griechenland öffentlich erklärt hat, es brauche keine Hilfen, Hilfen anbieten? Wozu hätte das denn geführt?
({6})
Es hätte ausschließlich dazu geführt, dass die Hilfen
angenommen worden wären, dass aber keinerlei Sanierungsprogramm auf den Weg gebracht worden wäre.
Das, Herr Steinmeier, wäre gegenüber den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land unverantwortlich gewesen.
({7})
Schwierige Situationen bewältigt man mit Besonnenheit und eben nicht mit Aktionismus. Deshalb sind Hilfen als Ultima Ratio jetzt auch unumgänglich. Ich sage
es an dieser Stelle deutlich: Ich bin froh, dass der IWF
mit im Boot ist, mit seiner Erfahrung mit solchen Situationen und mit Instrumenten, mit denen er umzugehen
weiß, sodass ganz klar wird: Hier wird ein hartes Sanierungsprogramm von Griechenland erwartet. Griechenland ist selbst in der Verantwortung, sich wieder Vertrauen an den Märkten zu erarbeiten.
({8})
Es ist allerdings in dieser Zeit auch klar geworden,
dass man auf europäischer Ebene nicht so weitermachen
kann wie bisher. Mit Ihrem Vorschlag, Herr Steinmeier,
früher zu handeln, schneller Hilfen zu geben, sorgten
Sie, wenn er umgesetzt würde, nur dafür, dass man von
der Währungsunion zu einer Transferunion käme. Genau
das wollen wir verhindern.
({9})
Deshalb fordern wir, dass wir von einer Krisenbewältigung direkt zu einer Krisenprävention kommen und
dass diese Maßnahmen zur Krisenprävention, Frau Bundeskanzlerin, auf dem Europäischen Rat auch angesprochen und sofort auf den Weg gebracht werden. Dazu gehören die Revitalisierung grundsätzlicher Regeln des
europäischen Miteinanders und das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zum Prinzip des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, aber auch zu einer nationalen
Verantwortung für das gesamte Europa, für die gesamte
europäische Entwicklung. Das bedeutet, dass von jedem
Land der Euro-Zone eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik erwartet werden kann.
({10})
Wir wollen den Stabilitätspakt erneuern und schärfen. In diesen Tagen wird doch deutlich, dass wir harte
Regeln brauchen. Die heutige Situation ist doch so, wie
sie ist, weil damals, Herr Steinmeier, im Jahre 2005, unter einer rot-grünen Bundesregierung die Stabilitätskriterien gelockert wurden, weil man beschlossen hatte, nicht
mehr so genau hinzuschauen, und weil man Sanktionen
verzögert hatte. Das wirkt sich jetzt fatal aus, und deswegen müssen wir aus diesen Fehlern lernen.
({11})
Wir brauchen klare Kriterien, und es darf auf europäischer Ebene keine Unterscheidung zwischen guten und
schlechten Schulden mehr geben. Es bedeutet auch, dass
wir automatische Sanktionsmechanismen einbauen müssen. Es darf bei Sanktionen keine politischen Rabatte
mehr geben. Wenn wir den Stabilitätspakt wieder wetterfest machen wollen, dann müssen wir entschieden handeln, und dann ist Klarheit nötig. Sie haben im Deutschen Bundestag die Chance, mit der Zustimmung zum
Entschließungsantrag Ihrer Verantwortung gerecht zu
werden.
({12})
Wir wollen eine unabhängige europäische Ratingagentur und eine Kontrolle der Ratingagenturen, die im
Übrigen bereits auf den Weg gebracht worden ist. Wir
wollen ein Frühwarnsystem etablieren. Wer falsche
Angaben macht, untergräbt die Glaubwürdigkeit des gesamten Euro-Raumes. Deswegen müssen Eurostat, also
die europäische Statistikbehörde, und der Europäische
Rechnungshof weitergehende Befugnisse zur Kontrolle
bekommen. Europa darf nicht länger zusehen, wenn vor
unserer Nase getrickst und getäuscht wird. Dem muss
Einhalt geboten werden.
({13})
Wir brauchen eine Ausweitung der Sanktionsmechanismen, den Entzug der Stimmrechte und die Sperrung
von EU-Direktzahlungen. Das alles muss auf den Weg
gebracht werden, weil deutlich wird, dass die bisherigen
Mechanismen für die Stabilisierung nicht ausreichen.
Wir brauchen in letzter Konsequenz ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten. Das bedeutet eben auch
Umschuldung zu einem Zeitpunkt, wo dies noch möglich ist.
Es braucht den entschiedenen Einsatz für diesen Stabilitätspakt. Ich sage Ihnen, sehr verehrter Herr Steinmeier:
Angesichts der Geschichte des Stabilitätspaktes in Europa haben wir Aufforderungen von Ihrer Seite nicht nötig. Sie tun gut daran, Ihrer Verantwortung gerecht zu
werden.
({14})
Auch das gehört heute zur Diskussion: Wer Verantwortung trägt, wird auch zur Verantwortung gezogen.
Der missbräuchliche Einsatz von Anlageformen wie
Kreditversicherungen zulasten der Stabilität von Staaten
muss europaweit unterbunden werden. Deshalb gibt es
einen freiwilligen Beitrag der Finanzbranche. Ich sage
allerdings auch: Das ist der erste und nicht der letzte
Schritt, den die Finanzbranche gehen muss. Deshalb
werden wir entschieden handeln. Die Koalition hat an
dieser Stelle schon einiges auf den Weg gebracht. Sie,
Herr Steinmeier, sagen hier, das Einzige, das helfen
würde, sei eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sie sei das
einzige Ihnen bekannte Instrument. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie nur diese eine Option kennen. Es gibt
nämlich bessere.
({15})
Der IWF - das hat die Bundeskanzlerin schon ausgeführt - hat uns deutlich gesagt, dass dieses Instrument
nicht treffsicher ist. Deshalb werden wir sicherstellen,
dass alle ihrer Verantwortung auf andere Weise gerecht
werden: über die Bankenabgabe, die wir bereits auf den
Weg gebracht haben, aber eben auch über das Verfahren
einer geordneten Insolvenz; denn bei einer UmschulBirgit Homburger
dung werden genau diejenigen zur Verantwortung herangezogen, die die Verantwortung zu tragen haben. Deshalb ist dies das Instrument der Wahl und in seiner
Wirkung durchschlagend.
({16})
Wir sind längst an einem Punkt, wo es nicht um technische Abwicklung von Problemen, sondern darum geht,
verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wenn
wir wollen, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht
zur Krise unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
auswächst, müssen wir Vertrauen schaffen. Deshalb stehen wir zur sozialen Marktwirtschaft und zum Wettbewerb.
Soziale Marktwirtschaft hat auch ein ethisches Fundament. Eigentum ist ein zentrales Ordnungsprinzip der
freiheitlichen Gesellschaft.
({17})
Eigentum verlangt aber auch individuelle Verantwortung
hinsichtlich der Auswirkungen auf andere Menschen. So
weit diese Verantwortung reicht, schuldet der Eigentümer der Gesellschaft Rechenschaft. Dass Unternehmen
mit privatem Vermögen für die Folgen ihrer Entscheidungen haften, sorgt für verantwortliches Handeln. Das
tun viele Familienunternehmen und der Mittelstand in
diesem Land vorbildlich. Das Prinzip der persönlichen
Haftung der Handelnden muss auch im Hinblick auf Kapitalgesellschaften und die Finanzmärkte durchgesetzt
werden. Dafür stehen wir ein.
({18})
Meine Damen und Herren, wir werden den Prinzipien
Haftung und Verantwortung durch neue Rahmenbedingungen auf den Finanzmärkten zum Durchbruch verhelfen. Sie, Herr Steinmeier, haben in den letzten Jahren die
Chance dazu versäumt. Wir werden unsere Chance nutzen. Diese Koalition ist sich ihrer Verantwortung für die
Stabilisierung des Euro, aber auch für die Sicherung des
Vertrauens in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bewusst. Dieser Verantwortung werden wir entschieden und entschlossen gerecht werden.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, bei der Bild-Zeitung und anderen „Qualitätsmedien“ gingen Sie als die No-Kanzlerin in Bezug
auf Hilfe für Griechenland ein. Ich glaube, noch auf dem
Parteitag der FDP wurde beschlossen, auf gar keinen
Fall Geld für Griechenland vorzusehen.
({0})
Nun wollen Sie Milliarden für Griechenland beschließen
und vergessen, zu erwähnen, wie viele Milliarden davon
wieder in die Hände der Spekulanten fallen. Das ist nämlich das eigentliche Problem, mit dem wir es zu tun haben.
({1})
Wir haben im September 2008 hier über eine Finanzkrise geredet, die niemand gesehen hat. Wir haben Ihnen
recht frühzeitig gesagt, dass daraus Staatskrisen werden
können, und zwar über Schuldenkrisen bestimmter Staaten. Das, was wir jetzt in Griechenland erleben, droht
auch anderen Ländern, wie wir wissen, wenn wir an Irland, Italien, Spanien und Portugal denken. Jedes Mal legen Sie Ihre Hände in den Schoß und machen erst einmal nichts, um dann innerhalb einer Woche Milliarden
zur Verfügung zu stellen, wie damals bei den Banken
480 Milliarden Euro innerhalb einer Woche. So kann
man mit unserer Bevölkerung meines Erachtens nicht
umgehen.
({2})
Anlässlich der Finanzkrise, die logischer- und konsequenterweise in die jetzige Krise führen musste, haben
wir Ihnen viele Schritte vorgeschlagen, die man gehen
muss, um das zu verhindern. Wir waren es, die am
16. März 2010 - Herr Steinmeier, das ist auch für Sie interessant - den Antrag „Eurozone reformieren - Staatsbankrotte verhindern“ eingebracht haben. Wir haben darauf hingewiesen, dass das Ganze passieren kann und
haben Maßnahmen vorgeschlagen.
({3})
Die erste Lesung war am 25. März. Was haben Sie,
Frau Bundeskanzlerin - ich weiß nicht, wohin Sie gegangen sind; ach, in die letzte Reihe; das ist gut -,
({4})
am 25. März 2010 gesagt? Sie haben gesagt:
Wir stellen fest: Es ist noch kein Euro und kein Cent
für die Unterstützung Griechenlands ausgegeben
worden. Bislang ist Griechenland nicht zahlungsunfähig geworden. Auch sind düstere Vorhersagen
über die Entwicklung in anderen Mitgliedstaaten
nicht Realität geworden. … Deshalb sage ich
- also die Bundeskanzlerin -:
Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der
schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale
Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der
Euro-Zone keinen Schaden nimmt.
({5})
Am Freitag wollen Sie nun die Milliardenhilfen beschließen; das ist die Wahrheit.
({6})
Wir haben Ihnen gesagt: Verbieten Sie die Hedgefonds, die nur herumspekulieren. Sie wurden übrigens
von SPD und Grünen zugelassen; damit man auch diese
Wahrheit hier einmal erwähnt.
({7})
Wir haben das abgelehnt. Herr Steinbrück hat noch bei
Frau Illner erklärt: Wir standen vor der Frage, Kreisklasse zu bleiben oder Weltklasse zu werden. Eine Weltklasse-Krise haben wir dafür bekommen. - Vielen Dank,
Herr Steinbrück.
({8})
Wir haben Ihnen gesagt: Die Zweckgesellschaften der
Banken müssen unter Kontrolle gestellt werden. Sie haben es nicht gemacht.
Wir haben gesagt: Es gibt drei große private Ratingagenturen, die über alle Werte der Finanzwelt entscheiden, auch über die Werte der Staaten. Die Agenturen
waren nachweislich bestechlich. Deshalb haben wir gefordert: Schaffen Sie eine europäische, staatliche Ratingagentur, die verlässlich ist. Sie haben es nicht gemacht.
Wir haben gesagt: Verbieten Sie Leerverkäufe! Tatsächlich: Leerverkäufe waren anderthalb Jahre lang verboten. Vielleicht ein paar Worte dazu, was Leerverkäufe
sind: Man geht an die Börse und spekuliert darauf, dass
Kurse fallen. Das heißt, man macht aus der Börse ein
Spielkasino. Dafür war die Börse ursprünglich gar nicht
gedacht. Wir haben gesagt: Das sind Spekulationsgewinne, die zur Krise führen; man muss das verbieten.
Herr Bundesminister Schäuble, Leerverkäufe waren in
Deutschland anderthalb Jahre lang verboten. Warum
haben Sie sie zu Beginn dieses Jahres wieder erlaubt?
Griechenland hat sie inzwischen verboten.
({9})
Wir haben gesagt, dass wir die Tobin-Steuer, eine sogenannte Transfersteuer, brauchen. Herr Steinmeier, jetzt
reden Sie auch von dieser Steuer, aber als Sie mit den
Grünen regiert haben, haben Sie sie nicht eingeführt. Danach haben Sie unsere Anträge zu der Steuer abgelehnt.
Es ist schön, dass Sie jetzt in Opposition zu Ihrer Regierung gehen. Es ist schön, dass Sie jetzt nach dem Primat
der Politik rufen, das Sie zusammen mit den Grünen in
Deutschland abgebaut haben. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam dafür streiten, dieses Primat wiederherzustellen!
({10})
Wir haben Ihnen eine Bankenabgabe vorgeschlagen.
Morgen werden wir namentlich über diese Bankenabgabe abstimmen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, nur
das zu tun, was Herr Obama vorschlägt, weil wir wissen,
dass Sie keine linke Mehrheit sind und damit keine vernünftige Politik machen können.
({11})
Wir dachten aber, wir kämen Ihnen damit entgegen;
denn wir haben nur gefordert, das zu machen, was Herr
Obama macht. Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Obama ist der Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika, kein Linker, kein Sozialist. Wir werden aber
erleben, dass Sie dazu Nein sagen. Ich sage Ihnen auch,
warum: Durch Einführung der Obama-Abgabe bekämen
wir von allen privaten Banken, die direkt oder indirekt
staatliches Geld erhalten haben, jährlich 9 Milliarden
Euro und könnten sie damit an den Kosten beteiligen;
aber das wollen Sie nicht.
Sie wollen eine klitzekleine Abgabe von allen Banken, auch von den Banken, die gar kein Geld bekommen
haben, von den Sparkassen, Volksbanken und Raiffeisenbanken. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Die
müssen nichts zahlen; denn sie haben weder direkte noch
indirekte Leistungen vom Staat erhalten.
({12})
- Die Deutsche Bank muss bezahlen, andere Privatbanken auch.
({13})
Was wollen Sie machen? Sie wollen einen Zukunftsfonds bilden. Herr Kauder, ich bitte Sie! Da soll etwas
eingezahlt werden, damit wir Geld für die nächste Krise
haben. Sie wollen hier jährlich 1,2 Milliarden Euro einnehmen. Denken Sie an die Garantien in Höhe von
480 Milliarden Euro! Man bräuchte über 400 Jahre, um
auf den Betrag zu kommen.
({14})
Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist keine Lösung. Nein,
die Banken und die Spekulanten sollen jetzt an den Kosten beteiligt werden.
({15})
Genau das verweigern Sie.
Sie haben nichts gegen die Ursachen der Krise getan.
Die Deutsche Bank hat schon wieder einen Gewinn
erzielt: 2,8 Milliarden Euro im ersten Quartal 2010.
Ackermann bekommt sofort wieder einen Bonus ausgezahlt. Ich weiß, er wird immer zum Essen eingeladen.
Ich sage Ihnen, wo das Problem liegt. Wissen Sie, weshalb die Deutsche Bank Gewinn gemacht hat? Das kann
ich Ihnen genau sagen: Die Deutsche Bank hatte eine
Forderung gegen die HRE in Höhe von 10 Milliarden
Euro. Die HRE war aber pleite. Hätte die Deutsche Bank
die Forderung abschreiben müssen, hätte sie auch keinen
Gewinn gemacht, hätte Ackermann auch keine 10 Millionen Euro bekommen. Nun haben wir, das heißt Sie,
die HRE verstaatlicht, aber nur die HRE. Damit haben
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland es übernommen, die 10 Milliarden
Euro an die Deutsche Bank zu zahlen. Deshalb hat die
Deutsche Bank Gewinn gemacht.
({16})
Sie schüttet den Gewinn rein privat aus.
Wir haben damals gesagt: So geht das nicht.
({17})
Deshalb haben wir das schwedische Modell vorgeschlagen: Man muss alle Banken vergesellschaften, damit die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht nur die Schulden übernehmen, sondern auch die Einnahmen erhalten,
zumindest so lange, bis alles zurückgezahlt ist, was an
Steuergeldern zur Verfügung gestellt worden ist.
({18})
Damit kommen wir zu Griechenland und Europa.
Was macht die Deutsche Bank, was machen alle anderen
deutschen Banken? Sie gehen zur Europäischen Zentralbank. Da erhalten sie Kredite, für die sie einen einzigen
Prozent Zinsen bezahlen müssen. Dann kaufen sie griechische Staatsanleihen. Für die bekommen sie inzwischen 9 Prozent Zinsen, ein Riesengewinn ohne jede
Leistung. Dann gehen sie zu einer Kreditausfallversicherung und schließen eine Versicherung für den Fall ab,
dass Griechenland nicht pünktlich zahlt; die Versicherung soll dann das Geld zahlen. Dann rennen viele zur
Kreditausfallversicherung und schließen Wetten ab. Sie
sagen: Wir glauben, dass Griechenland nicht pünktlich
zurückzahlt. Sie können 1 Million Euro einzahlen, und
wenn sie recht hatten, bekommen sie 2 Millionen Euro
ausgezahlt. Wenn sie nicht recht haben, dann haben sie
Pech und sind 1 Million Euro los. Das sind die Spekulationsblasen, die uns nachher um die Ohren fliegen! Deshalb sagen wir: Kreditausfallversicherungen müssen verboten werden. Es ist nicht hinnehmbar, was dort läuft.
({19})
Die größten Gläubiger Griechenlands sind übrigens
die Banken Frankreichs, der Schweiz und Deutschlands.
Was Sie nie erzählen, ist: Wenn wir Griechenland Geld
geben, dann fließt es an die deutschen Banken zurück.
Das ist der Weg, der gegangen wird. Das müssen wir
ehrlich benennen.
({20})
Es gab übrigens die Forderung, dass die Banken in
Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich ihre Forderungen gegenüber Griechenland stornieren könnten.
Wenn sie das machten, wäre Griechenland schon fast aus
der Krise heraus. Dann müssten keine Hilfspakete in
Milliardenhöhe beschlossen werden. Sie haben uns das
nicht geglaubt, sie haben das Kurt Biedenkopf nicht geglaubt, der Ihnen das beschrieben hat. Sie haben auch
nicht auf ein Schreiben der BaFin vom 20. Februar 2010
reagiert, in welchem die Krise vorhergesagt wurde. Sie
haben nichts gemacht. Sie haben das alles verzögert,
weil Sie keine Regulierung wollen, weil Sie sich aus
ideologischen und lobbyistischen Gründen so sehr dagegen wehren, endlich ein Primat der Politik über die
Finanzwelt zu stellen und zu sagen: So darf es gemacht
werden, anders lassen wir es nicht mehr zu.
({21})
Sie haben Griechenland einen Weg aus der Krise
aufgezeigt, den Sie für Deutschland ausschließen: Renten kürzen, später in Rente gehen, Löhne kürzen, Mehrwertsteuer erhöhen. Das ist nicht nur sozial unerträglich,
sondern damit organisieren Sie eine Rezession, eine
schwere Wirtschaftskrise. Dann müssen weitere Milliardenhilfen gezahlt werden. Der Weg, den Griechenland
beschreiten soll, ist ökonomisch blödsinnig. Ihre Ansichten können wir nicht teilen.
({22})
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass so getan wird,
als ob es große Unterschiede zwischen CDU/CSU und
FDP auf der einen Seite und SPD und Grüne auf der anderen Seite gebe, aber letztlich sind Sie doch dabei, eine
gemeinsame Entschließung zu verabschieden. Sie werden auch das Gesetz gemeinsam verabschieden. Wie
beim Afghanistan-Krieg, Hartz IV, der Rentenkürzungen
schwimmen sie wieder in der alten Konsenssoße. Sie gehen diesen Weg, aber ich sage Ihnen: Er wird nichts
bringen.
({23})
Übrigens ist Deutschland insofern den Weg Griechenlands gegangen, als wir die einzige kapitalistische Industrienation sind, die in den letzten zehn Jahren die Reallöhne um 11,3 Prozent und die Realrenten um 8,5 Prozent gekürzt hat. Auch dafür werden wir noch teuer bezahlen.
({24})
Wir fordern - lassen Sie mich das zum Abschluss sagen -: Erstens. Die Spekulationsinstrumente - Leerverkäufe und Kreditausfallversicherungen - müssen verboten werden.
({25})
Zweitens. Hedgefonds, also Heuschrecken, müssen ebenfalls verboten werden. Zweckgesellschaften der Banken
sind zu kontrollieren. Wechselkurse müssen festgelegt
werden.
Drittens. Wir brauchen die Schaffung einer staatlichen europäischen Ratingagentur, die die käuflichen Privaten ins Abseits schiebt.
Viertens. Griechenland muss auf Jahre auf jeden Waffenimport verzichten.
({26})
Fünftens. Griechenland und andere EU-Länder müssen endlich gerechte Steuern für Bestverdienende, Vermögende, Banken und große Unternehmen einführen.
({27})
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir brauchen für die Binnenmärkte endlich eine Börsenumsatzsteuer und für die internationalen Finanzgeschäfte endlich eine Tobin- oder Transfersteuer.
Sechstens. Zumindest in Deutschland und allen anderen Euro-Ländern muss eine Bankenabgabe eingeführt
werden, wie sie Obama für die USA vorgeschlagen hat,
damit die Gewinner der Krise endlich für die von ihnen
verursachten Schäden bezahlen müssen. Wir werden
morgen im Bundestag darüber namentlich abstimmen.
Auch Spekulanten und Finanzprofiteure müssen zur
Kasse gebeten werden.
({0})
Herr Kollege.
Siebtens und letztens. Wir brauchen in Europa eine
Wirtschaftsregierung, damit in der EU Schritt für Schritt
bestimmte Standards durchgesetzt werden. Wir brauchen
eine Abstimmung hinsichtlich der Steuern, der Löhne,
der ökologischen und der sozialen Mindeststandards.
Wenn es das alles nicht gibt, dann gibt es von uns
auch keine Zustimmung für das Gesetz.
({0})
Der Kollege Volker Kauder ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gerade nach der Rede von Gregor Gysi
({0})
ist es, glaube ich, notwendig, noch einmal zu sagen, worüber wir heute beraten, worum es in dieser Woche geht:
Es geht um die Zukunft Europas und damit um unsere
eigene Zukunft. Das haben Sie nicht verstanden, Herr
Gysi.
({1})
Der Euro, den wir eingeführt haben, war und ist eine
Erfolgsgeschichte. Er hat dazu geführt, dass wir besser
durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen sind,
als das bei Finanz- und Wirtschaftskrisen in früheren
Jahren, die gar nicht so dramatisch waren wie die letzte,
der Fall war. Deshalb geht es jetzt darum, dass wir den
Euro in seiner Stabilität stützen. Was wir jetzt, in dieser
Woche, im Deutschen Bundestag beschließen, hat sehr
viel mit unserer eigenen Zukunft zu tun, und es hat sehr
viel damit zu tun, dass wir die Ersparnisse der Menschen
in unserem Land sichern. Es geht darum, dass wir nicht
nur im Interesse unseres Landes, sondern auch im Interesse der Menschen in unserem Land etwas für die Währung tun. Deswegen werden wir in dieser Woche handeln.
({2})
Herr Kollege Steinmeier, es geht natürlich auch um
die Frage, wie so etwas in Zukunft vermieden werden
kann. Ich rate aber dringend, Ursache und Wirkung
nicht zu verwechseln. Ich hatte bei den Diskussionen der
letzten Tage manchmal den Eindruck, dass zu wenig
über die wirklichen Gründe für das, was jetzt entstanden
ist, gesprochen wird, weil das zum Teil sehr unangenehm ist. Wir haben in der Koalition sehr frühzeitig gesagt - ja, ich teile diese Auffassung -, dass wir etwas gegen Spekulanten und insbesondere gegen diejenigen tun
wollen, die gegen Währungen spekulieren. Aber zunächst einmal muss doch eine andere Frage gestellt werden: Besteht das Grundproblem bei manchen europäischen Staaten nicht darin, dass ständig über die eigenen
Verhältnisse gelebt wird, dass Schulden gemacht werden, die uns nachher in diese Schwierigkeiten bringen?
Ohne die hohe Verschuldung hätten Spekulanten doch
gar keine Chance, etwas zu unternehmen.
({3})
Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass ein bisschen mehr über diese Frage gesprochen wird.
Es ist überhaupt keine Schuldzuweisung, wenn wir
feststellen: Als die Griechen damals in die Währungsunion aufgenommen wurden, haben sie die Voraussetzungen nicht erfüllt.
({4})
Im Deutschen Bundestag wurde darauf hingewiesen, dass
es für die Griechen sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich wird, ihre Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Europäischen Währungsunion voranzubringen. Aus politischen
Gründen ist damals so entschieden worden. Ich sage das
jetzt nicht als Vorwurf an die rot-grüne Bundesregierung
der damaligen Zeit, Herr Kollege Trittin.
({5})
Ich sage nur, dass eine Konsequenz dessen, was wir jetzt
erleben, sein muss, dass es keine politischen Geschenke
geben darf, wenn es um die Stabilität unseres Euro geht.
({6})
Bei der Frage, wer Mitglied der Europäischen Union und
wer Mitglied der Europäischen Währungsunion wird,
darf nur nach klaren Fakten und nicht nach politischen
Überzeugungen entschieden werden. Alles andere schadet der Stabilität unserer Europäischen Union.
({7})
Deswegen war es zwingend notwendig, dass man Griechenland diesen Weg, der für Griechenland nicht einfach
ist, zumutet. Ich hatte, als schon im März und April über
diese Frage gesprochen wurde, den Eindruck, dass sich
diejenigen, die sehr schnell, ohne irgendeine Vorbedingung zu formulieren, Geld an Griechenland ausreichen
wollten, genau um diese Konsequenzen drücken wollten.
({8})
- Wenn jetzt jemand ruft: „Das ist nicht wahr!“, dann
kann ich nur sagen: All diejenigen, auch einige Mitglieder
des Deutschen Bundestages, die auf der linken Seite des
Hauses sitzen, die gesagt haben: „Griechenland muss
schnell geholfen werden“, haben keine einzige Forderung erhoben, dass in Griechenland endlich Reformund Sparmaßnahmen durchgeführt werden.
({9})
Sie hätten den Griechen Geld gegeben, nach dem Motto:
Weiter so wie bisher! Das haben wir verhindert, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({10})
Dass dies nicht so einfach war, wie jetzt mancher behauptet, hat sich in den letzten Tagen gezeigt. Wenn jetzt
gesagt wird, man hätte schneller, man hätte sofort helfen
sollen, frage ich Sie: Um welchen Preis? Der IWF hat
Tage, fast eine ganze Woche gebraucht, um die Griechen
davon zu überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist,
wenn sie endlich die Kurve kriegen
({11})
und einsehen, dass Sparmaßnahmen notwendig sind.
({12})
Es hat Tage und Wochen gebraucht, bis wir so weit waren. Nachdem uns der IWF gesagt hat: „Jetzt sind die
Voraussetzungen erfüllt, weil Griechenland zugesagt hat;
jetzt können wir mit dem Rettungspaket starten“, haben
wir gesagt: Dann ist jetzt auch der Zeitpunkt, ab dem wir
mitmachen. - Es kann keine konditionslose Hilfe geben.
Es geht hier nicht um Solidarität, sondern es geht um
Stabilität.
({13})
Dafür müssen wir in diesen Tagen werben und kämpfen.
({14})
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Es geht auch darum, dass wir jetzt die richtigen Konsequenzen aus der Krise ziehen. Herr Kollege
Steinmeier, wir haben uns von Anfang an mit Ihnen darüber unterhalten, dass wir neben dem Gesetzentwurf
gemeinsam mit Ihnen auch eine Resolution bzw. Erklärung verabschieden wollen. Jetzt und auch später sprechen wir darüber, ob wir hier zu gemeinsamen Überzeugungen kommen können. Es geht darum, dass wir klar
unterscheiden zwischen dem, was wir unternehmen
müssen, damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt,
und der Frage: Wer muss mitfinanzieren?
Die entscheidende Frage lautet: Was müssen wir tun,
damit sich so etwas nicht wiederholt?
({0})
Erstens. Wir müssen den Stabilitätspakt in Europa
neu justieren; ich bin sehr froh, dass auch Sie dies so erklärt haben. Wir dürfen nie mehr zulassen, dass über den
Stabilitätspakt so dahergeredet wird, wie es zu Zeiten der
rot-grünen Regierung geschehen ist.
({1})
Das gehört zur Wahrheit. Ich erinnere mich noch sehr
gut daran, dass von der damaligen rot-grünen Bundesregierung gesagt worden ist: In Sachen Stabilität lassen
wir uns von Europa nicht rügen. Wir rufen die Gremien
zusammen. Dann wird mit Mehrheit entschieden: Das
lässt sich Deutschland nicht gefallen. - Damit haben Sie
den Keim für die Verirrungen beim Stabilitätspakt gelegt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das darf
nicht wieder passieren.
({2})
Der zweite Punkt. Es muss dafür gesorgt werden, dass
schon frühzeitig von der Europäischen Kommission eingegriffen werden kann, und zwar wenn erkennbar ist,
dass Verschuldung produziert wird, und das auch noch
auf Grundlage falscher Zahlen. Die Bundeskanzlerin hat
zu Recht darauf hingewiesen - das muss man deutlich
machen, damit keine Märchen entstehen -: Allein die
Tatsache, dass die Griechen in Erkenntnis ihrer schweren Notsituation falsche Zahlen genannt haben und dann
eine Korrektur durch den IWF erfolgen musste, durch
die die Verschuldung noch einmal um 1 Prozent angehoben wurde, hat das ganze Misstrauen an den Finanzmärkten hervorgerufen und dafür gesorgt, dass die Zinssatzentwicklung so eskaliert ist. Deswegen fordern wir,
dass es der europäischen Statistikbehörde ermöglicht
wird, sich sehr frühzeitig anzuschauen, was in den einzelnen Ländern passiert, sodass es schnell zu Korrekturen kommen kann. Wir dürfen es nicht bis zu einem Zeitpunkt laufen lassen, wie wir ihn jetzt haben. Das wird
sich in Zukunft ändern. Wir fordern die Bundesregierung
auf - wir unterstützen sie dabei auch -, dafür zu sorgen,
dass wir hier schneller zu Erkenntnissen kommen.
({3})
Dritter Punkt. Wir wollen, dass diejenigen, die Risikogeschäfte machen, wissen, dass sie zahlen müssen,
wenn es schiefgeht. Deshalb fordern wir, ein Verfahren
für eine geordnete Insolvenz in Europa einzuführen.
Das nennt man auch Umschuldung. Wenn man Geld irgendwo hingibt, muss man damit rechnen, dass es zu einer geordneten Insolvenz kommen kann. Das muss derjenige, der dieses Risiko eingeht, wissen.
({4})
Wie bei jedem Insolvenzverfahren ist es dann so, dass
Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen nicht realisieren
können. Es wäre gut, wenn wir dieses Verfahren schon
jetzt durchführen könnten; aber diese Möglichkeit hat
man damals nicht eingeräumt. Für die Zukunft wollen
wir dies jedoch.
Damit wir keine falschen politischen Diskussionen
führen, sage ich Ihnen, Herr Steinmeier: Diese Maßnahme wird mehr bringen als die Steuer, über die Sie
diskutieren. Diese führt angesichts der kleinen Summen
nicht dazu, dass Risiken begrenzt werden. Die Risiken
werden auf die Sparerinnen und Sparer umgelegt. Das
Risiko wird auf die kleinen Leute verteilt und nicht auf
diejenigen, auf die das Risiko verteilt werden muss.
({5})
Deswegen bringt diese Steuer keinen Erfolg.
({6})
Man kann darüber reden - Herr Trittin, wir werden es ja
nachher machen -, ob diese Steuer Geld in die Kasse
bringt. Aber ich bitte Sie, nicht Verirrungen nachzugehen und auch noch zu erklären, dass man mit dieser
Steuer das Problem der Risikoverteilung lösen kann. Das
funktioniert hinten und vorne nicht.
({7})
Vierter Punkt. Ich glaube, dass es auch darum geht,
dass wir zeigen, dass Politik handelt und nicht getrieben
wird.
({8})
- Ich glaube nicht, dass da Gelächter angebracht ist. Ich
möchte ohnehin sagen: Ich bin sehr für die Auseinandersetzung und Diskussion über den richtigen Weg. Aber in
dieser Woche geht es um die Stabilität und die Rettung
des Euro und Europas, nicht um billige Polemik und Parteitaktik, Herr Gysi. Darum geht es in dieser Woche
wirklich nicht.
({9})
Es geht darum, verantwortlich für unser Land zu handeln und den Menschen in unserem Land zu erklären:
Was wir jetzt machen, dient dazu, den Euro zu stabilisieren, die Rettung dessen, was wir alle uns erarbeitet haben, zu ermöglichen und Zukunft für uns in Europa zu
realisieren. Das ist das wahre Thema. Ich bitte darum,
dass sich die Opposition ihrer Verantwortung bewusst
wird.
({10})
Es geht nicht so, wie Sie, Herr Gabriel, formuliert haben:
Vielleicht machen wir mit, vielleicht machen wir nicht
mit.
({11})
In dieser Frage kann man nur sagen: Jawohl, es muss gehandelt werden, damit der Euro stabil bleibt. Da kann
man nicht sagen: Ein bisschen mache ich mit, ein bisschen mache ich nicht mit. Ich hoffe, dass dies nachher in
der Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden gelingen kann.
Die zentrale Frage wird sein: Gelingt es uns, die großen Zusammenballungen von finanzieller Macht in den
Griff zu bekommen? Ich bitte darum, dass wir uns etwas
präziser ausdrücken. Natürlich geht es um Banken; aber
es geht vor allem um die Hedgefonds, die bisher nicht
kontrolliert werden und auch unter rot-grünen Regierungen eher freigestellt als kontrolliert worden sind. Ich
kann die Bundesregierung hier nur unterstützen: Jawohl,
da muss etwas getan werden. Wir wissen, wie schwer
dies in Europa ist. Ich kann nur jeden in diesem Hause
auffordern, auf seinen parteipolitischen Kanälen in Europa dafür zu sorgen, dass beispielsweise die Regierung
in England nicht ständig blockiert, wenn es um die Regulierung von Hedgefonds geht. Da muss etwas getan
werden. Da darf man nicht wegsehen.
({12})
Es gibt Dinge, die sich nicht im nationalen Bereich, im
nationalen Parlament lösen lassen. Dafür braucht die
Bundesregierung Unterstützung.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Paket
besteht aus drei Elementen:
Erstens. Wir werden - das wird die Koalition in dieser
Woche beschließen - zur Stabilität der Situation im
Euro-Raum die Kreditanstalt für Wiederaufbau ermächtigen, Darlehen an Griechenland zu geben, keine Barzahlungen - und damit keine Belastung des Haushaltes -,
sondern einen Kredit, den wir verbürgen.
Zweitens. In einem Entschließungsantrag werden wir
die Dinge auflisten, die wir zur Vorbeugung, damit so etwas nicht wieder passiert, für notwendig halten.
Drittens werden wir den Weg konsequent weitergehen, den wir schon beschritten haben - das ist heute übrigens noch gar nicht gesagt worden -, nämlich durch
konkrete Maßnahmen auch diejenigen zu beteiligen, die
am Finanzmarkt mit dazu beigetragen haben, dass wir in
diese Krise gekommen sind. Wir haben eine Bankenabgabe und ein Gesetz über die Transparenz von
Ratingagenturen - das ist fast noch wichtiger als neue
Agenturen - in Vorbereitung. Wir werden den Weg einer
europäischen Ratingagentur beschreiten, die so selbstVolker Kauder
ständig und transparent sein muss wie die Europäische
Zentralbank. All dies werden wir voranbringen. Das
zeigt: Wir sind in dieser schwierigen Stunde handlungsfähig, und wir handeln. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass alles, was getan werden kann, getan
wird, um den Euro und damit ihre Ersparnisse zu sichern.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Trittin, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind
ja heute Zeuge einer großen Gemeinsamkeit zwischen
Gregor Gysi und Angela Merkel geworden.
({0})
Beide haben reine Rechtfertigungsreden gehalten: Wir
haben recht gehabt. - Nun ist das bei Gregor Gysi eher
ein esoterisches Problem.
({1})
Aber bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, hat das schwerwiegendere Konsequenzen;
({2})
denn das, was Sie hier in den letzten sechs Wochen
abgeliefert haben, der Versuch, aus Angst vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl, aus Angst vor dem nächsten
Sonntag diese Krise auszusitzen, hat die Bundesrepublik
Deutschland, hat übrigens auch Europa unglaublich viel
gekostet.
({3})
Sie haben noch im März gemeint, hier die Maggie
Merkel geben zu müssen.
({4})
Und was ist heute? - Das politische Klima in diesem
Lande kann man sich jeden Morgen in der Bild-Zeitung
angucken.
({5})
Die Folgen: Die griechische Botschaft wird mit Hassmails überschwemmt. Vor dem Konsulat von Griechenland in Düsseldorf demonstriert die NPD. Aber das ist
nicht nur ihr Privileg. Auch die Leute in Ihren eigenen
Reihen sagen, es solle Naxos oder was auch immer verkauft werden.
({6})
Herr Pinkwart, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, erklärt auf einem Parteitag, auf dem Sie,
Herr Vizekanzler, neben ihm sitzen: Eine Hilfe für Griechenland ist ein Schlag ins Gesicht unserer Bürgerinnen
und Bürger. - Wo waren Sie da? Wo sind Sie da aufgestanden und haben gesagt: „So geht das nicht“?
({7})
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden jetzt sagen: Was habe
ich damit zu tun? Ich mache ja nur eine Koalition mit
diesem unzuverlässigen Kandidaten. - Ich sage Ihnen:
Sie bedienen dieses nationale Ressentiment doch selber.
({8})
Was sonst ist denn Ihr Vorschlag, den Sie ja auch in einen Entschließungsantrag schreiben wollen, von der
Suspendierung der Stimmrechte von Mitgliedstaaten?
({9})
Europa ist eine Gemeinschaft von 27 gleichberechtigten
Mitgliedstaaten. Da kann nicht ein Mitgliedstaat einem
anderen Mitgliedstaat die Rote Karte zeigen und sagen:
Du setzt dich jetzt mal eine Weile auf die Bank!
({10})
Das wird es in diesem gemeinsamen Europa nie geben.
Wenn es das nie geben wird, dann sollten Sie das auch
nicht fordern, meine Damen und Herren.
({11})
Ihre Politik hat nicht nur zu einem Verlust an Europafähigkeit Deutschlands geführt, kostet uns nicht nur
politisch etwas. Dass Sie sich seit Februar/März gegen
Hilfe für Griechenland gesperrt haben,
({12})
hat uns, hat Europa und übrigens auch die Griechen viel
Geld gekostet.
({13})
Herr Kauder, Sie haben hier gesagt: Der IWF hat eine
ganze Woche gebraucht, um mit den Griechen zu verhandeln.
({14})
Ich finde, das ist eine ziemliche Leistung. Die Wahrheit
ist doch: Sie haben den IWF sechs Wochen daran gehindert, in dieser Frage zu handeln.
({15})
Wir haben den Direktor des IWF, Herrn Strauss-Kahn,
gefragt: Wie war das denn mit dem Faktor Zeit? Er hat
gesagt: Wenn der IWF im Februar/März hätte tätig werden können, würden wir über geringere Summen reden. - Dass wir heute mit 22 Milliarden Euro ins Risiko
gehen, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Zögerei und Zauderei zu verantworten.
({16})
Ich finde, die Menschen in diesem Lande hätten es
verdient, dass man ihnen erklärt, warum man Griechenland auf diese Weise hilft. Es ist nicht so, dass diese
Hilfe für Griechenland alternativlos wäre. Selbstverständlich gibt es, wie im wirklichen Leben, Alternativen, über die man entscheiden kann. Wie ist es mit den
Vorschlägen, die aus Ihren Reihen gekommen sind? Was
würde es heißen, Griechenland aus der Währungsunion
auszuschließen, damit die Griechen die Drachme wieder
einführen und sie entsprechend abwerten? Das Ergebnis
wären eine gigantische Kapitalflucht aus Griechenland
und der Zusammenbruch des griechischen Bankensektors - mit allen Folgen für das europäische Bankensystem. Das wären die Folgen der Alternative, die Sie gepredigt haben, lieber Herr Friedrich.
({17})
Wie ist es mit der Alternative - auch das ist gefordert
worden -, Griechenland den Staatsbankrott erklären zu
lassen? Die Folge wäre keine andere als bei dem vorigen
Vorschlag, nämlich eine massive Gefährdung und Zerstörung des Bankensystems. Das System, mit dem wir
uns nun einmal herumzuschlagen haben, ist ein Kapitalismus, der sehr stark von Finanzmarktmechanismen geprägt ist. Wenn man das weiß, wenn man weiß, dass man
dem Kapitalismus das Spekulieren in dieser Form nicht
abgewöhnen kann, wenn man weiß, dass es zyklisch immer wieder Krisen geben wird, dann darf man sich doch
nicht, wie Sie es jetzt - zu spät - tun, auf Nothilfe beschränken, dann muss man doch darangehen, künftigen
Krisen vorzubeugen
({18})
und damit Schadensbegrenzung zu betreiben. Das ist die
Herausforderung, vor der wir stehen.
({19})
Sie bewegen sich an einigen Punkten: Plötzlich darf
Eurostat auch in die deutschen Bücher schauen. Plötzlich sind auch Sie der Auffassung - Sie haben das lange
Zeit blockiert -, dass wir eine europäische Ratingagentur brauchen.
Stellen Sie sich einmal vor, die Steuervorschläge der
FDP kämen durch und im Ergebnis würden wir gegen
den Stabilitätspakt verstoßen.
({20})
Ich sehe schon den Jubel in Ihren Reihen, wenn für
Deutschland keine Agrarsubventionen und keine Strukturfondsmittel mehr fließen.
({21})
Ich habe immer den Eindruck: Das gilt immer nur für die
anderen, aber nie für Sie selber.
({22})
Wenn solchen Krisen jetzt vorgebeugt werden soll,
muss man zwei Dinge in den Mittelpunkt stellen: Zum
einen kann es keine europäische Währungspolitik ohne
eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik geben. Das geht eben nur zusammen.
({23})
Zum anderen kann man sich nicht wie der badische
Nationalökonom Kauder
({24})
hier hinstellen und erklären, die Griechen hätten über
ihre Verhältnisse gelebt. Das stimmt zwar, aber das ist
nur ein Teil der Wahrheit. Herr Kauder, den anderen Teil
der Wahrheit muss man als guter Europäer auch sagen.
Der andere Teil der Wahrheit lautet nämlich: Davon,
dass die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt haben,
haben andere gut gelebt.
({25})
Ich kann das auch anders ausdrücken: Das Rekorddefizit
in Griechenland spiegelt sich im Handelsüberschuss der
Bundesrepublik Deutschland gegenüber Griechenland
wider. Das ist die simple ökonomische Wahrheit.
({26})
- Meine Damen und Herren, Sie können sich beruhigen.
Ich muss Ihnen das vielleicht so erklären, wie man das
sonst den Kollegen von der Linkspartei erklärt:
({27})
Wenn Sie 350 Leopard-Panzer an Griechenland verkaufen, dann ist es unfair, sich darüber aufzuregen, dass sich
die Griechen für das Geschäft verschuldet haben. - Ich
halte das jedenfalls nicht für einen Vorwurf, den man
leichtfertig erheben sollte.
({28})
Der Kern ist aber ein anderer. Der Kern ist: Wir brauchen einen Abbau der Ungleichgewichte innerhalb der
Europäischen Union. Das, was es anderswo zu viel an
Binnennachfrage gibt, gibt es hier zu wenig an Binnennachfrage.
({29})
Durch eine europäische Wirtschaftskoordination, eine
Koordination der Wirtschaftspolitik innerhalb der Europäischen Union, wird Deutschlands Wohlstand nicht beschädigt,
({30})
sondern gemehrt, weil das langfristig zu mehr Stabilität
und zu mehr Binnennachfrage der Menschen hier führt.
({31})
Wenn Sie die Banken und andere beteiligen wollen,
dann müssen Sie eine Finanztransaktionsteuer einführen. Frau Merkel, ich habe es im Bericht des IWF nachgelesen. Darin steht ausdrücklich: Durch diese Steuer
werden hochspekulative Geschäfte belastet. - Das ist der
Grund, weswegen wir sagen: Sie ist zielgenau - anders
als Ihre Bankenabgabe -, und durch sie wird dafür gesorgt, dass Spekulationen verteuert werden.
({32})
Ich sage Ihnen: Wir kommen in diesem Hohen Hause
nicht überein, auch wenn Sie jetzt die Position einnehmen, man müsse Griechenland helfen, was Sie lange
Zeit blockiert haben, wenn Sie nicht den Schritt gehen,
endlich dafür Sorge zu tragen, dass diejenigen, die mit
Spekulationen Geschäfte machen, künftig auch für die
Folgen dieser Spekulationen in Haftung genommen werden.
({33})
Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass endlich
wieder wirtschaftlich geordnete Verhältnisse in dieses
gemeinsame Europa einziehen.
Vielen Dank.
({34})
Der Kollege Dr. Friedrich ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Trittin, dafür, dass Sie 2002, als
Griechenland in die Währungsunion geholt wurde, Bundesminister waren,
({0})
dass Sie 2004, als der Betrug der Griechen aufgeflogen
ist und die Grünen, als Sie noch Bundesminister in dieser Regierung waren, windelweich reagiert haben - ich
habe die dpa-Meldung vom 24. September dabei -,
({1})
und dafür, dass Sie als Bundesminister in diesem rotgrünen Kabinett zugeschaut haben, als Ihr damaliger Finanzminister Hans Eichel den Euro-Stabilitätspakt aufgeweicht hat, riskieren Sie hier eine dicke Lippe.
({2})
In Griechenland sind in den letzten Wochen und Monaten Illusionen geplatzt, und zwar erstens die Illusion,
dass Wohlstand schon durch die geografische Lage in
Europa garantiert ist, und zweitens die Illusion, dass
Wohlstand auch dadurch gewährleistet ist, dass man dem
Euro-Raum angehört. Tatsache ist: Jeder Staat, jede
Volkswirtschaft ist nur so wohlhabend, wie es die Menschen in dieser Volkswirtschaft durch Fleiß, Ehrgeiz,
Disziplin und Leistungskraft ermöglichen.
({3})
Das ist die Wahrheit, und das müssen die Griechen jetzt
lernen, und zwar unabhängig davon, ob in Dollar, Euro
oder Gold bezahlt wird. Entscheidend ist: Die Währung
ist die geronnene Leistungskraft einer Volkswirtschaft.
Dafür, dass es Deutschland in dieser schwierigen
wirtschaftlichen Situation gut geht, sind Reformen verantwortlich, die den Menschen in unserem Lande über
viele Jahre auferlegt worden sind, begonnen in den 90erJahren unter Helmut Kohl und Theo Waigel mit den Reformen zur Sicherung des Standortes Deutschland bis
hin zu den Hartz-Reformen, die Sie unter Rot-Grün
durchgeführt haben und die unseren Bürgerinnen und
Bürgern schwere Belastungen auferlegt haben.
Griechenland hat in all dieser Zeit keine Reformen
durchgeführt, im Gegenteil.
({4})
Deswegen muss jetzt die internationale Staatengemeinschaft, vertreten durch den IWF, die Europäische Zen3742
Dr. Hans-Peter Friedrich ({5})
tralbank und die Europäische Kommission, Griechenland zwingen, innerhalb kürzester Zeit all die Reformen
nachzuholen, die es wieder wettbewerbsfähig machen.
({6})
Steuererhöhungen bei der Mehrwertsteuer und bei Verbrauchsteuern, Kürzung von Löhnen und Gehältern, Verkauf von Staatsvermögen, Reduzierung des öffentlichen
Dienstes und Erhöhung des Rentenalters - dieses Programm hat der IWF jetzt den Griechen auferlegt. Damit
wird das nachgeholt, was griechische Regierungen versäumt haben. Das macht in etwa deutlich, lieber Herr
Gysi, was passiert, wenn Regierungen Freibier für alle
versprechen, statt rechtzeitig Reformen durchzuführen.
Darum geht es.
({7})
Griechenland hat, wie bereits gesagt wurde, über
seine Verhältnisse gelebt. Es kann seine staatlichen Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen und keine Zukunftsinvestitionen mehr vornehmen und fragt jetzt bei
seinen Partnern nach Krediten.
({8})
Nun könnte man sagen: „Das ist uns egal. Was geht uns
Griechenland an?“ Griechenland liegt aber in Europa
und ist mit unserer Volkswirtschaft verflochten. Im Jahr
2008 hat die Exportnation Deutschland - Sie haben vorhin darauf hingewiesen, lieber Herr Trittin - Waren und
Dienstleistungen im Wert von 8,3 Milliarden Euro nach
Griechenland exportiert. Dafür haben deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Leistung erbringen
müssen, und dafür haben sie ihren fairen und gerechten
Lohn bekommen.
({9})
180 deutsche Unternehmen sind in Griechenland engagiert. Die deutschen Versicherungen und Renten- und
Pensionsfonds haben griechische Staatsanleihen gekauft;
denn diese Institutionen verfolgen sehr vorsichtige Anlagestrategien, und die vorsichtigste Strategie besteht darin, in Staatsanleihen zu investieren. Deswegen besitzt
im Grunde jede Versicherung in Deutschland griechische
Staatsanleihen. Insofern ist eine Verflechtung über die
Finanzmärkte offensichtlich. Ein griechischer Staatsbankrott hätte deswegen enorme Auswirkungen auf die
Wirtschafts- und Finanzbereiche in der gesamten Europäischen Union.
Nun kann man einwenden, dass Griechenland sehr
klein und seine Volkswirtschaft gegenüber der großen
europäischen Volkswirtschaft und der Stärke des Euros
unbedeutend ist. Ja, der Euro ist stark, und Europa hat
insgesamt eine starke Volkswirtschaft. Dagegen ist Griechenland relativ klein. Aber im September 2008 haben
auch viele Lehman Brothers für ein relativ unbedeutendes Finanzunternehmen gehalten, das man ruhig pleitegehen lassen kann. Die Folge war eine unabsehbare Kettenreaktion auf allen Finanzmärkten, die die ganze Welt
erschüttert hat. Deswegen rate ich, keine Experimente zu
machen, sondern dafür zu sorgen, dass Stabilität in Griechenland und in ganz Europa Einzug hält.
({10})
Die europäischen Partner sind bereit - ich sage das
ausdrücklich -, Griechenland Kredite, Darlehen zu geben, übrigens nicht nur die Europäer, sondern die Weltgemeinschaft. Im IWF sind viele Staaten vertreten, auch
die Amerikaner und die Chinesen sind dabei. Sie alle haben ein Interesse daran, dass Griechenland, dass Europa
insgesamt stabil bleibt. Darum geht es. Das Ziel des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen
Union ist es, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands
schnell wiederherzustellen.
Was wichtig ist: Es geht hier um Nothilfe. In den
90er-Jahren, in den 80er-Jahren und in den 70er-Jahren
hat die Deutsche Bundesbank in vielen Fällen mit Hunderten von Milliarden D-Mark fremde Währungen stützen müssen, um den Aufwertungsdruck von der D-Mark
zu nehmen. Die Finanzexperten unter Ihnen wissen das.
Damals war diese Nothilfe notwendig, um eine Währung
und ein Land zu stabilisieren. Eine solche Nothilfe wird
auch jetzt geleistet, aber es muss klar sein: Diese Nothilfe ist die Ultima Ratio. Sie darf nicht dazu führen,
dass wir eine Transferunion bekommen.
Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar dafür, dass
sie in den letzten Wochen und Monaten hartnäckig geblieben ist. Es wäre das völlig falsche Signal an die
Weltgemeinschaft und an Europa gewesen, wenn wir mit
den Milliarden schon bereitgestanden hätten, nur weil
die Griechen schreien: Wir brauchen Geld.
({11})
Ich darf den sozialdemokratischen Außenminister von
Spanien, Herrn Moratinos, zitieren - das können Sie übrigens in der Süddeutschen Zeitung vom 30. April nachlesen -, der gesagt hat, wie hilfreich es gewesen sei, dass
die Bundesregierung hartnäckig geblieben sei. Er hat gesagt, nur dadurch sei es möglich gewesen, Athen zum
Sparen zu zwingen. Ich danke Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, dass Sie mit harter Hand gezeigt haben, dass
Deutschland zwar zur Solidarität bereit ist, aber nur zur
Nothilfe und nicht zu einer Transferunion. Darum geht
es.
({12})
Wir wollen, dass die Maßnahmen, die der IWF Griechenland jetzt verordnet hat, klar kontrolliert werden.
Der IWF hat das zugesagt. Es gibt regelmäßige Kontrollen. Griechenland bekommt Hilfe nur in dem Maße, in
dem es Fortschritte bei der Umstrukturierung seiner
Volkswirtschaft erzielt. Eines ist klar: Wir müssen jetzt
gemeinsam auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass
das, was in Griechenland passiert ist, nicht wieder passieren kann. Deswegen braucht der europäische Stabilitätspakt nicht eine Aufweichung, wie sie damals unter
der rot-grünen Regierung geschehen ist, sondern er
braucht jetzt scharfe Zähne. Der europäische StabilitätsDr. Hans-Peter Friedrich ({13})
pakt muss für all diejenigen Staaten strafbewehrt sein,
die sich nicht an die Ordnung halten. Es sind schon einige Dinge - Volker Kauder hat sie aufgezählt - genannt
worden: Zahlungen einstellen, Stimmrecht aussetzen.
All diese Möglichkeiten müssen kommen.
Dann gibt es einen zweiten Aufgabenkomplex. Dieser
betrifft die Finanzmärkte. Die Finanzmärkte sind nicht
ursächlich für die Krise, aber sie haben in der letzten
Phase die Krise beschleunigt. Das ist vergleichbar mit
dem Borkenkäfer, der einem gesunden Baum nicht schaden kann. Aber wenn ein Baum krank ist, dann kommen
die Schädlinge. Im Fall Griechenlands waren es die
Finanzhaie, die spekuliert haben. Deswegen müssen wir
uns gut überlegen, wie wir mit dieser Frage umgehen. Es
ist hier des Öfteren über Leerverkäufe gesprochen worden. Ich sage: Ungedeckte Leerverkäufe, also wenn jemand Dinge verkauft, die er nicht hat, darf es nicht
geben. Es darf keine Kreditversicherungen geben für
Kredite, die es gar nicht gibt.
({14})
Wir sind auf dem richtigen Weg, und es wird alles
vorbereitet. Die entsprechenden Maßnahmen sind in
Brüssel in der Pipeline. Wir werden auf europäischer
Ebene mittels einer Derivaterichtlinie den Spekulanten
das Spielgeld aus der Hand schlagen. Aber machen Sie,
Herr Steinmeier, den Menschen in Deutschland bitte
nicht weis, wir könnten das national regeln. Die Finanzmärkte - das weiß doch jedes Kind - sind international,
zumindest aber europäisch. Wir sollten - das ist richtig den Mut haben, Dinge auf europäischer Ebene auch
dann zu machen, wenn unsere amerikanischen und unsere anderen Freunde nicht mitmachen. Ja, das ist wahr.
Diesen Mut sollten wir haben.
({15})
Aber erzählen wir den Leuten nicht, dass wir das national machen könnten; denn das ist nicht die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, das Haus Europa hat ein
gutes Fundament. Aber in einigen Stockwerken dieses
Hauses ist Unordnung. Jetzt geht es darum, Ordnung zu
schaffen. Das kann ein starkes Land wie Deutschland
mit einer starken Regierungschefin. Die Bundesregierung und die Koalition sind entschlossen, diese Ordnung
in Europa zu schaffen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Otto Fricke von der FDP-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Bevor man eine Äußerung
als falsch zurückweist, Herr Kollege Trittin, sollte man
die Zusammenhänge immer prüfen. Deswegen bitte ich
um Entschuldigung, dass meine Kurzintervention erst
jetzt erfolgt. Ich möchte Ihnen, Herr Trittin, auch im Namen meiner Fraktion die Möglichkeit geben, zu zeigen,
dass Sie ein Mann von Ehre sind, jemand, der eine falsche Äußerung auch zurücknehmen kann.
Zu Ihren Aussagen bezüglich des Parteitages der
FDP, der Worte von Herrn Pinkwart und des angeblichen Danebensitzens von Herrn Westerwelle möchte ich
Folgendes sagen:
Erstens. Herr Westerwelle war zu dem Zeitpunkt gar
nicht auf dem Parteitag. Das wissen Sie ganz genau. Zu
diesem Zeitpunkt war er - Sie können gleich richtigstellen, dass das schlicht eine falsche Aussage von Ihnen
war - an einem Ort, den wir alle, glaube ich, als sehr
schwierig empfinden, nämlich bei der Trauerfeier für die
Soldaten.
({0})
Zweitens. Die FDP hat auf dem Parteitag ein Konzept
beschlossen, welches Hilfen für Griechenland gerade
nicht ausschließt, sondern im Gegenteil beinhaltet: Wir
müssen helfen; das muss aber an klare Bedingungen geknüpft sein.
Drittens. Was Sie gesagt haben, Herr Trittin, geht weit
über das hinaus, was im Wahlkampf in einem gewissen
Maße möglich ist. Ich bitte Sie nochmals: Stellen Sie
klar, dass die Äußerungen, die Sie hier im Bundestag zu
dem gemacht haben, was Herr Pinkwart gesagt hat,
schlicht falsch waren. Ich habe mir eben am Telefon
noch einmal die Live-Aufzeichnung - wörtlich - angehört - und kommen Sie mir nicht damit, Sie hätten das
irgendwo anders gelesen; wenn man andere Leute zitiert
und ihnen ihre Worte zum Vorwurf macht, dann sollte
man das genau geprüft haben -: Wer Griechenland Milliardenhilfen in Aussicht stellt und dann vor die deutschen Arbeitnehmer und kleinen Betriebe sich stellt und
sagt: „Für euch ist kein Geld da“, der schlägt dem Bürger ins Gesicht.
({1})
Das ist, glaube ich, immer noch ein himmelweiter Unterschied. Ich bitte Sie, jetzt hier klarzustellen, dass die Äußerung von Herrn Pinkwart so gefallen ist und nicht so,
wie Sie es gerade behauptet haben.
({2})
Herr Kollege Trittin, Sie haben Gelegenheit zur
Reaktion.
Lieber Herr Kollege Fricke, ich bin Ihnen dankbar,
dass Sie das Verhalten Ihres stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden hier noch einmal zur Sprache bringen.
So geht das auch nicht unter. Sie haben eben mein Zitat,
dass er dies als Schlag ins Gesicht der Bürger sieht, ausdrücklich bestätigt.
({0})
Ich unterstreiche an dieser Stelle: Der gleiche Herr
Pinkwart, der sich in dieser Form
({1})
auf dem FDP-Parteitag und in diversen Hörfunkinterviews - ich könnte Ihnen auch Zitate aus dem Deutschlandfunk mitbringen - geäußert hat, wird in seiner Funktion als
stellvertretender Ministerpräsident am kommenden
Freitag genau diesem - in seinen Worten - „Schlag ins
Gesicht“ im Bundesrat zustimmen.
({2})
In einem Punkte gebe ich Ihnen aber ausdrücklich
recht: Der Herr Außenminister war mit gutem Grund
- mit vollem Respekt von meiner Seite - am Samstag
nicht auf dem Parteitag der FDP.
({3})
Ich vermute aber, so wie ich den Kollegen Westerwelle
kenne, dass er sich die wesentlichen Äußerungen der Reden am Samstag angehört hat
({4})
und auch diese Passage von Herrn Pinkwart kannte. Als
Herr Westerwelle am Sonntag auf dem FDP-Parteitag
geredet hat, da hätte ich von ihm als Vizekanzler, als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und als
Vorsitzenden der Partei von Hans-Dietrich Genscher erwartet, dass er diese unglaubliche Äußerung von Herrn
Pinkwart zurückweist.
({5})
Dieser Erwartung ist Herr Westerwelle leider nicht gerecht geworden.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des
Kollegen Friedrich erteile ich der Kollegin Viola von
Cramon.
Herzlichen Dank. - Herr Kollege Friedrich, Sie stellen hier in den Raum, dass es der IWF gewesen sei, der
Griechenland zu diesen sehr ambitionierten Sparpaketen getrieben hat. Das ist nicht korrekt. Griechenland arbeitet - bereits im Dezember des letzten Jahres gab es
das erste und im Februar dieses Jahres das zweite Sparpaket - ganz ohne die Unterstützung und die Hilfe des
IWF und auch ohne den Druck vonseiten des IWF an einer Lösung des Problems. Deutschland hat an dieser
Stelle nichts dazu beigetragen, dass Griechenland sich
dazu entschlossen hat, sein Defizit zurückzufahren.
Am 4. März dieses Jahres wurde das dritte Sparpaket
verabschiedet, wieder ohne die Mitwirkung des IWF.
Erst in der letzten Woche ist der IWF auf den Plan getreten. Man hat dann darüber diskutiert, was die Griechen
bereits selbstständig und eigenverantwortlich ausgearbeitet haben. Laut dem Handelsblatt von Montag dieser
Woche sagte der Direktor des IWF, dass er sehr zufrieden ist mit dem, was Griechenland vorgelegt hat. Erwecken Sie also bitte hier nicht den Eindruck, dass es der
internationale oder sogar der Druck aus Deutschland gewesen ist, der Griechenland dazu gebracht hat, Sparmaßnahmen vorzunehmen. Das war es ganz bestimmt nicht.
({0})
Die Griechen sind Gott sei dank im Oktober des letzten Jahres, als die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat, selbst zu der Erkenntnis gekommen, dass sie
radikale Sparmaßnahmen vornehmen müssen. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.
({1})
Herr Kollege Friedrich, bitte.
Frau Kollegin, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie
noch einmal das bestätigt und unterstrichen haben, was
die Frau Bundeskanzlerin hier vorgetragen hat.
Wir hatten auf europäischer Ebene gemeinsam die
Hoffnung, dass das, was Griechenland an Sparmaßnahmen und Schuldenreduzierung auf den Weg bringt, ausreichen könnte, um die Märkte wieder zu beruhigen und
das Land tatsächlich aus der Krise zu führen. Diese
Hoffnung konnte man haben. Deswegen war es richtig,
nicht gleich zu sagen: „Ihr braucht keine Reformen zu
machen, hier habt ihr Geld“, sondern die Griechen bei
ihren ehrlichen und ernsthaften Bemühungen im Rahmen ihrer Regierungsarbeit moralisch zu unterstützen.
({0})
Aber dann - auch das ist in der Regierungserklärung
deutlich geworden - hat sich plötzlich herausgestellt,
dass all die Bemühungen, die Griechenland unternommen hat, nicht ausgereicht haben. Eurostat hat nämlich
festgestellt, dass die Nettokreditaufnahme noch höher
liegt. Diese Erkenntnis veranlasste die griechische Regierung dazu, zu sagen: Jetzt sind wir mit unseren Möglichkeiten am Ende; jetzt brauchen wir die internationale
Staatengemeinschaft.
({1})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({2})
Dann wurde der IWF eingeschaltet. Das ist die tatsächliche Reihenfolge.
Frau Kollegin, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie
noch einmal unterstrichen haben, dass das, was die Bundeskanzlerin hier vorgetragen hat, zutreffend ist.
Danke schön.
({3})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir stehen heute in dieser historischen Stunde
an einer Weggabelung für die Zukunft Europas. Angesichts der Dimension der Entscheidung, die wir in dieser
Woche zu treffen haben, finde ich es ein Stück weit bemerkenswert, mit welch teilweise billiger Polemik hier
vonseiten der Opposition versucht wird, innenpolitisches
Kapital - womöglich mit Blick auf eine Landtagswahl zu schlagen.
({0})
Es besteht Konsens unter allen Euro-Ländern. Es geht
nicht um eine einzelne nationale Maßnahme, sondern
um ein Gesamtpaket, das in Abstimmung mit dem IWF,
mit der EZB und mit allen Euro-Ländern geschnürt worden ist. Aus dieser schwierigen Situation auf diese billige Weise innenpolitisches Kapital schlagen zu wollen,
ist schon bezeichnend.
({1})
Letztendlich geht es uns doch darum, die Stabilität des
Euro zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass diese
Währung, die Grundlage unseres gemeinsamen Wohlstands ist, auch in Zukunft sicher ist. Auf diese Weise
schützen wir den gesamten Euro-Raum.
Natürlich geht es primär darum, Griechenland wieder
zahlungsfähig zu machen. Es geht auch darum, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zu stärken. Ich finde es
bemerkenswert, wenn Herr Gysi an dieser Stelle feststellt, dass die international vereinbarten Maßnahmen
ökonomischer Blödsinn seien. Denn diese Maßnahmen
zielen gerade darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zu stärken und Griechenland in die Lage zu
versetzen, sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren.
Das ist schon bemerkenswert. Man kann an dieser Stelle
beobachten, was passiert, wenn ein Land leichtfertig
über Jahre hinweg - viel zu lange - von fremdem Geld
lebt, sich hoch verschuldet und es dabei versäumt, seine
Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
({2})
Wir sind der Auffassung: Es gibt tatsächlich keine Alternative zu dieser Rettungsmaßnahme, diesem Notfallprogramm, das wir in dieser Woche auflegen wollen. Es
ist mir wichtig, zu erklären: Damit tun wir alles, um das
Risiko von den deutschen Steuerzahlern so weit als irgend möglich fernzuhalten. Wir übernehmen eine Ausfallbürgschaft für die Kredite der KfW. Diese Kredite
sind letztendlich nichts anderes als Hilfe zur Selbsthilfe.
Es gibt keinen Blankoscheck - teilweise wurde das formuliert -: Die Hilfe ist an strenge Auflagen geknüpft.
Griechenland hat sich zu einem wirklich drastischen
Sparkurs verpflichtet, der daraus resultiert, dass Einnahmeverbesserungen erzielt und durchgreifende Strukturreformen vorgenommen werden müssen. Griechenland will sein Defizit bis 2014 unter die 3-ProzentGrenze senken. Das ist alle Anerkennung wert. Das Memorandum of Understanding, das abgeschlossen und
von den Griechen unterzeichnet wurde, sichert uns zu,
dass diese Maßnahmen umgesetzt werden.
Immer wieder kommt die Frage: Welche Sicherheiten
haben wir? Natürlich kann niemand sagen, dass wir endgültige Sicherheit haben. Dennoch möchte ich an dieser
Stelle betonen, dass wir für die erfolgreichen, nachdrücklichen Verhandlungen unserer Bundeskanzlerin
und unseres Finanzministers dankbar sein müssen, die
erreicht haben, dass der IWF beteiligt wird.
({3})
Durch die Beteiligung des IWF erhalten die Auflagen,
die mit dem Paket verknüpft sind, eine wesentlich größere Durchschlagskraft; wir erhalten bessere Kontrollmechanismen. Dass sich der IWF mit 30 Milliarden
Euro finanziell beteiligt, zeigt, dass die internationale
Gemeinschaft Vertrauen in die Wirksamkeit dieses Pakets hat. Das ist ein ganz wichtiges Signal.
Nebenbei bemerkt: Es ist Bestandteil dieses Paketes,
dass regelmäßig, vierteljährlich, eine Überprüfung vorgenommen wird. Diese Überprüfung orientiert sich an
quantitativen Leistungskriterien und strukturellen Richtwerten, um die erreichten Fortschritte zu bewerten und
gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu beschließen. Im
Kontext dieser Überprüfungen können wir als deutsches
Parlament jederzeit gegensteuern. Vierteljährlich findet
eine Unterrichtung durch die Bundesregierung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Wir haben die Möglichkeit, regelmäßig zu kontrollieren, ob die
entsprechenden Fortschritte erzielt werden.
Die Zahlungspraxis des IWF gestaltet sich folgendermaßen: Die Zahlung weiterer Tranchen ist immer daran
geknüpft, dass die Maßnahmen erfolgreich sind. Das ist
ein wichtiges Signal an die deutsche Öffentlichkeit; denn
damit haben wir ein Stück weit Sicherheit, dass das beschlossene Programm wirkungsvoll umgesetzt wird.
Es wurde bereits von den Vorrednern betont, dass es
über dieses Programm hinaus notwendig sein wird, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um künftige Vorfälle
ähnlicher Dimension zu vermeiden. Ich will das unterstreichen. Wir denken da an zwei verschiedene Bereiche.
Einerseits müssen wir es schaffen, auf europäischer
Ebene dafür zu sorgen, dass bessere Transparenz und
bessere Kontrollmöglichkeiten entstehen. Da ist Eurostat
gefragt. Wir müssen es Eurostat ermöglichen, schärfer
und besser zu kontrollieren, transparentere, klare Zahlen
zu bekommen. Wir müssen entsprechende Sanktionen
vorsehen. Bisher wurden auf europäischer Ebene noch
nie Sanktionen ausgesprochen. Damit sind Sanktionen
ein stumpfes Schwert. Wir müssen die Europäische
Union in die Lage versetzen, tatsächlich Sanktionen auszusprechen.
({4})
Unser Fraktionsvorsitzender hat klipp und klar darauf
hingewiesen, dass es gelingen muss, ein Insolvenzverfahren vorzusehen. Wir brauchen die notwendigen Instrumentarien, damit es künftig, wenn noch einmal solch
ein Fall eintreten sollte, nicht notwendig ist, in einem
mühsamen europäischen Abstimmungsverfahren ein
Programm zu beschließen. Vielmehr müssen Regularien
bestehen, die sofort greifen können. Andererseits wird es
darum gehen, die Finanzmärkte in den Blick zu nehmen.
Auch dazu hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung das Notwendige gesagt. Es wird darum gehen,
eine unabhängige europäische Ratingagentur zu installieren; denn die Ratingagenturen - auch darauf hat der
Finanzminister immer wieder hingewiesen - haben in
diesem Kontext eine ausgesprochen verstärkende Wirkung erzielt. Das muss künftig verhindert werden. Wir
sind gerne bereit, über ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe zu sprechen. Das ist in unserem Maßnahmenpaket
vorgesehen. Wir sind auch gerne bereit, über ein Verbot
der sogenannten Credit Default Swaps zu sprechen,
wenn sie ohne Eigenkapitalunterlegung nur zur Spekulation benutzt werden.
Das alles sind sinnvolle Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, um die Finanzmärkte besser als bisher regulieren zu können. Aber - das muss man immer wieder
hinzufügen - das geht nur im internationalen Kontext.
Deshalb wünsche ich mir, dass der Deutsche Bundestag
in dieser Woche das vorliegende Maßnahmenpaket mit
großer Mehrheit verabschiedet und damit der Bundeskanzlerin den Rücken stärkt, damit sie unser Vorhaben
auf internationalem Parkett durchsetzen kann.
Danke sehr.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/1544 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich unterbreche nun die Sitzung bis 13 Uhr. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal bekannt gegeben.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der Kabinettssitzung von Montag mitgeteilt: Rücknahme der Erklärung
der Bundesrepublik Deutschland vom 6. März 1992
zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön.
Recht herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 3. Mai 2010 wurde in der
Kabinettssitzung der Beschluss zur Rücknahme des Vorbehalts gegen die Kinderrechtskonvention gefasst. Das
war ein wirklich guter Tag für die Kinderrechte. Mit der
Rücknahme der Erklärung zur Kinderrechtskonvention
der Vereinten Nationen haben wir ein jahrelanges Anliegen des Bundestages umgesetzt. Die Koalition hat jetzt,
nachdem jahrelang über dieses Thema diskutiert worden
ist, den Durchbruch erreicht.
1989 wurde die Kinderrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Im Jahr 1992 wurde sie von Deutschland ratifiziert,
wobei aber mit der Interpretationserklärung bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde Anlass zur Diskussion gegeben wurde. Diese Erklärung betraf das Familienrecht, das Jugendstrafrecht sowie das Ausländerrecht
und ist seinerzeit auf Wunsch der Bundesländer zustande
gekommen.
Viele Initiativen und Flüchtlingsorganisationen haben
sich seither für die Rücknahme der Erklärung stark gemacht, nicht nur der Bundestag, sondern besonders auch
die Kinderkommission, und zwar einstimmig. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf
verständigt, diesen Vorbehalt zurückzunehmen. Die Länder haben sich mit der Bundesratsentschließung vom
26. März 2010 für die Rücknahme ausgesprochen. Das
war ein ganz wichtiges Signal, ein wichtiger Schritt dahin, dass sich jetzt auch die Bundesregierung zur Rücknahme des Vorbehalts entscheiden konnte. Denn - das
hat die Debatten in den letzten Jahren geprägt - es sollte
nicht gegen den Willen der Länder erfolgen.
Warum haben sich so viele für die Rücknahme des
Vorbehaltes über Jahre hinweg eingesetzt, und welche
konkreten Folgen resultieren aus der Rücknahme?
Deutschland hat natürlich immer die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen respektiert. Die Erklärung sollte nicht die Rechte der Kinder einschränken
oder außer Kraft setzen, sondern es ging darum, für die
genannten Bereiche Gefahren durch mögliche Fehl- oder
Überinterpretationen auszuschließen. Diese Sorgen hatten die Länder immer zum Ausdruck gebracht.
Dies bezog sich besonders auf Aspekte des Ausländerrechtes. Deshalb hob die Erklärung hervor, dass die
Konvention kein Recht auf widerrechtliche Einreise und
Aufenthalt gewähre. Aber natürlich brauchen minderjährige Flüchtlinge einen ganz besonderen Schutz. Die
Frage, was wir für minderjährige Asylbewerber und
Flüchtlinge tun können, stellt sich in jedem Einzelfall.
Die Rücknahme der Erklärung ist daher vor allem ein
ganz wichtiges politisches Signal für den Vollzug, das
heißt: für die Gesetzesanwender. Es sollte den Ländern
Anlass geben, ihre Praxis zu überprüfen und zu überlegen, wie das Kindeswohl stärker berücksichtigt werden
kann. Ich denke an aktuelle Fälle, in denen Kinder in
Abschiebehaft sitzen. Auch wenn die Abschiebehaft
nach der Kinderrechtskonvention grundsätzlich zulässig
bleibt, muss sie auf die kürzeste noch angemessene Zeit
begrenzt werden. Hier sollten die Länder kritisch überprüfen, wie viele Kinder sich wie lange in Abschiebehaft
befinden, und dann entsprechend reagieren.
Auch im Bereich der medizinischen Versorgung sollte
die Bewilligungspraxis der Sozialbehörden auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen, für die das Asylbewerberleistungsgesetz gilt,
Rücksicht nehmen.
Natürlich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum
18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand zur
Seite zu stellen und in diesen Verfahren auch besonders
geschulte Sachbearbeiter einzusetzen.
Insgesamt ist mit der Entscheidung über die Rücknahme ein ganz wichtiges Zeichen gesetzt worden, auch
auf internationaler Ebene. Unsere Botschaft ist klar: Für
uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt unserer Politik.
Vielen Dank.
Danke schön. - Als erste Fragestellerin zu diesem
Themenbereich hat Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre
Ausführungen. In der Tat ist es ein großer Schritt, diese
Vorbehalte zurückzunehmen. Es steht Deutschland auch
international sehr gut zu Gesicht, das zu tun. Sie haben
hinsichtlich der Konsequenzen oft an die Länder appelliert. Mich interessiert, welche Konsequenzen Sie als
Bundesministerin daraus ziehen. Das heißt: Was werden
Sie konkret tun, sei es gesetzlich oder untergesetzlich,
um diese Rechte der Kinder bundesweit durchzusetzen?
Vielen Dank, Frau Deligöz, für die Frage. Ich möchte
noch einmal betonen, dass es gerade dieser Regierung
gelungen ist, und zwar mit Zustimmung aller Bundesländer, hier weiterzukommen. Das haben andere Regierungen, die sich natürlich auch immer um das Kindeswohl
bemüht haben, nicht erreicht.
Auf Bundesebene haben wir keinen Gesetzgebungsbedarf. Bei der Erklärung spielte zum einen das Familienrecht eine Rolle. Hier sind nach 1992 mit der Kindschaftsrechtsreform bereits Änderungen erfolgt und
Unterschiede zwischen ehelichen und nicht ehelichen
Kindern so weit wie möglich beseitigt worden. Nach der
Kinderrechtskonvention wird nicht ein ganz bestimmtes
Modell vorgegeben. Aber vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs werden wir die Frage des Sorgerechts von nicht verheirateten Eltern, gerade auch von Vätern, zu beraten
haben. Hier arbeiten wir bereits an einem Gesetzentwurf.
Im Bereich des Jugendstrafrechts geht es um einen
rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand zur
Vorbereitung und Wahrnehmung der Verteidigung. Nach
dem geltenden Recht besteht die Pflicht zur Bestellung
eines Pflichtverteidigers, wenn es keinen Wahlverteidiger gibt und das Kind nicht in der Lage ist, sich selbst zu
verteidigen. Diese Regelung greift unmittelbar. Insofern
müssen wir auch hier auf Bundesebene nicht gesetzgeberisch tätig werden.
Auch im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts sehen wir keinen legislativen Handlungsbedarf auf Bundesebene. Es wird verlangt, gerade Flüchtlingskindern,
ob begleitet oder unbegleitet, angemessenen Schutz und
humanitäre Hilfe zu gewähren. Insbesondere in diesem
Bereich - ich habe einige Bereiche angesprochen kommt es auf die Länder an. Die Länder waren im Vorfeld der Befassung des Kabinetts sehr konstruktiv. Sie
haben sich in mehreren Bundesratssitzungen damit befasst, ob sie einer Rücknahme der Erklärung zustimmen
können bzw. damit einverstanden sind. Die ursprünglichen Vorbehalte der Länder - egal wer in den Ländern in
Regierungsverantwortung steht - sind in dieser Form
nicht mehr belegt. Aber wir werden natürlich - die
nächste Justizministerkonferenz im Juni bietet dazu sicherlich eine gute Gelegenheit - mit den Ländern darüber reden, was passiert und wie sich die Situation nach
der Rücknahme des Vorbehaltes und der Zuleitung des
Kabinettsbeschlusses an den Generalsekretär der Vereinten Nationen konkret darstellt. Wir werden dann letztendlich zu gewichten haben, ob es hier, an welche Stelle
auch immer adressiert, gesetzgeberischen Handlungsbedarf geben sollte.
Die nächste Frage stellt Diana Golze.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich möchte an die
Fragen meiner Kollegin Deligöz anschließen. Natürlich
begrüße auch ich die bevorstehende Rücknahme des
Vorbehalts. Aber ich denke schon, dass sich hier für uns
als Bund Handlungsbedarf für Gesetzesänderungen
abzeichnet. Ich nenne als Beispiel die ausdrückliche Verankerung des Vorrangs des Kindeswohls im Asylverfahrens- und Asylbewerberleistungsrecht sowie im Aufenthaltsgesetz.
Sie haben vorhin gesagt, dass die Abschiebehaft laut
UN-Kinderrechtskonvention grundsätzlich zulässig bleibt.
Wir könnten es uns doch durchaus erlauben, darüber hinauszugehen und zu sagen: Während des Verfahrens verbieten wir die Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen in Abschiebehaft. Wir verbieten die Abschiebung
minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge.
Hier sehe ich den Bund in der Pflicht. Gerade jetzt, da
wir auf die Zustimmung der Länder hoffen können,
sollte der Bund auf die Länder in den Fragen zugehen, in
denen die Landesgesetzgebungen betroffen sind. Ich
denke hier zum Beispiel an den Schulbesuch von Kindern unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin, dass Sie noch einmal meine Auffassung bestätigt haben, dass es nach der
Konvention jetzt nicht geboten und rechtlich vorgegeben
ist, die Abschiebehaft für Jugendliche abzuschaffen. Das
ist die richtige juristische Bewertung. Etwas anderes ist
die politische Diskussion, die hierüber geführt werden
muss.
Die Konvention verbietet die rechtswidrige oder willkürliche Inhaftierung und hält die Abschiebehaft als letztes Mittel in der kürzesten angemessenen Zeit für anwendbar. Das ist der rechtliche Rahmen, in dem wir uns
bewegen. Die Debatte darüber, ob man über diese Regelungen hinausgeht, ohne dazu durch die Konvention verpflichtet zu sein, ist natürlich den Ländern, aber auch
dem Bundestag und den Fraktionen unbenommen.
Ich darf auf einen weiteren Punkt hinweisen: Sie haben den Schulbesuch von Kindern ohne Aufenthaltsberechtigung angesprochen, die sich also illegal hier aufhalten. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist - ich
glaube nicht, dass das bei den Vorgängerregierungen in
den Jahren nach 1998 der Fall war -, im Koalitionsvertrag festzuschreiben, dass gerade die Vorschriften
hinsichtlich der aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen geändert werden, sodass
der Schulbesuch von Kindern ermöglicht wird. Ansonsten können Kinder, die sich illegal in Deutschland aufhalten, nicht zur Schule gehen, weil in einem solchen
Fall Meldepflicht besteht und dann entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
({0})
Genau diesen Punkt haben wir in Verantwortung gegenüber den Kindern und dem Kindeswohl als CDU/
CSU/FDP-Koalition in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Ich glaube, daran sieht man, wie ernst wir gerade
diese Frage nehmen und wie konkret wir uns im Gegensatz zu anderen Regierungen auf Verbesserungen verständigt haben.
({1})
Das Wort hat nun Kollege Peter Tauber.
Frau Ministerin, zunächst herzlichen Dank für diesen
Erfolg. Ich glaube, dass er zu gleichen Teilen der Einsicht der Länder als auch Ihrem Charme geschuldet ist.
Mich interessiert nun: Erfüllt die Bundesregierung
bereits jetzt, das heißt unabhängig von der Rücknahme
der Vorbehaltserklärung, alle sich aus der Kinderrechtskonvention ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen? Oft hat man ein bisschen die Sorge, dass in der öffentlichen Debatte aufgrund dieser Rücknahme der
Eindruck entstehen könnte, das sei bisher nicht der Fall
gewesen.
Deutschland hat sich allen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nur theoretisch verpflichtet gefühlt,
sondern ist diesen Verpflichtungen natürlich auch immer
nachgekommen. Hier gab es gerade nach 1992 in manchen Bereichen gesetzliche Änderungen. Ich denke
besonders an die 1998 vorgenommene Kindschaftsrechtsreform im Familienrecht, die, wenn sie vorher vorgenommen worden wäre, damals bei Zeichnung der
Konvention ohne Abgabe des Erklärungsvorbehaltes
eher zu Problemen hätte führen können. Aber wir erfüllen die Verpflichtungen aus der Konvention.
Für mich geht es jetzt vorrangig darum, zu klären,
was das für die Gesetzesanwendung bedeutet. International stehen wir damit gut da. Zu Recht sind die Organisationen - UNICEF, Pro Asyl und viele andere -, die sich
der Situation von Kindern annehmen, mit der Entscheidung des Kabinetts einverstanden. Ich denke, das ehrt
diese Koalition.
Das Wort hat nun Kollegin Katja Dörner.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen herzlichen Dank
für Ihre Ausführungen. Ich möchte Sie ganz konkret
fragen, ob die Bundesregierung jetzt als Folge der Rücknahme der Vorbehaltserklärung plant, Kinder und Jugendliche aus dem Asylbewerberleistungsgesetz herauszunehmen. Sie wissen, dass das erhebliche Folgen hätte,
beispielsweise hinsichtlich der Versorgung im Gesundheitswesen und mit Blick auf das Existenzminimum.
Die Regierung hat nicht die Absicht, jetzt das Asylbewerberleistungsgesetz zu ändern. Natürlich können die
Länder durchaus gerade für minderjährige Jugendliche
bis zum 18. Lebensjahr Regelungen schaffen, zum Beispiel - in Bayern wird aktuell darüber verhandelt - dass
keine Verpflichtung zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften besteht. Da ist die Situation in den
Bundesländern sehr unterschiedlich. Aber kaum irgendwo ist vereinbart worden, dass man das - ohne gesetzliche Änderung - im Rahmen von § 53 Asylverfahrensgesetz regelt. Auch hier besteht ganz klar die
Möglichkeit, in sehr viel größerem Umfang das Kindeswohl zu berücksichtigen und entsprechend tätig zu werden. Aber wir haben uns auf Bundesebene - das liegt
nicht in der Kompetenz des Justizministeriums - nicht
darauf verständigt, das Asylbewerberleistungsgesetz zu
ändern.
Kollegin Marlene Rupprecht ist die Nächste.
Frau Ministerin, ich kann es nur begrüßen, wenn die
Vorbehalte zurückgenommen werden. Mit diesem
Schritt signalisieren wir nach außen, dass wir nicht mehr
zwischen 0- bis 15- und 16- bis 18-Jährigen unterscheiden. Das hat uns international immer Rüffel eingebracht.
Deshalb begrüße ich diese Rücknahme und bin dankbar,
dass wir das geschafft haben.
Mit der Rüge war aber immer auch verbunden, dass
es Folgen hatte, dass wir 16- bis 18-Jährige nicht als
Kinder angesehen haben, wie es die UN-Kinderrechtskonvention eindeutig vorschreibt. Die Vorbehalte, die
Sie eben schon erwähnt haben, haben wir mit gesetzlichen Regelungen außer Kraft gesetzt, zum Beispiel beim
Kindschaftsrecht und in Bezug auf die Kindersoldaten.
Durch diese gesetzlichen Regelungen wurde die Wirkung erzielt, die durch die Vorbehalte verhindert wurde.
Wenn wir nun nicht nur eine Wirkung nach außen erzielen wollen, sondern auch nach innen, wenn die Rücknahme der Vorbehalte also nicht nur ein Placebo oder ein
Feigenblatt sein soll, müssen wir entsprechende Konsequenzen ziehen, vor allem im Jugendhilferecht. Kinder
bis 18 haben nach den internationalen Standards - egal
woher sie kommen und wer sie sind - das Recht auf Jugendhilfe, das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit, auch das Recht darauf, nicht eingesperrt zu werden.
Wenn nun die Vorbehalte nur formal und mit Wirkung
nach außen zurückgenommen werden, ändert sich an
den Fakten des Rechts nichts. Deshalb ist meine Frage:
Wann und wie - da ist der Bund nicht allein zuständig,
weil das Jugendhilferecht zum Beispiel auch auf die
Schulgesetze durchschlägt und eine entsprechende Umsetzung erfolgen muss - beabsichtigen die Länder, das
tatsächlich umzusetzen? Denn sonst ist die Rücknahme
ein Placebo, und wir hätten darauf verzichten können.
Die bisherige Kritik war eben, dass die Folgen aus den
Vorbehalten mit Blick auf die Kinder nicht hinnehmbar
sind. Deshalb die Frage an Sie: Wie sind die Länderminister Ihrer Partei aufgestellt? Denn die haben bisher
immer gebremst, wenn es ans Eingemachte, nämlich an
die tatsächliche Gesetzesänderung, ging.
Ich kann berichten, dass die Länder gerade in den vergangenen Jahren, was zum Beispiel die Schulpflicht anbetraf, das Recht dahingehend geändert haben, den
Schulbesuch auch ausreisepflichtigen Flüchtlingen zu
gewähren. Das ist im Saarland, in Baden-Württemberg
und in anderen Ländern geschehen. Zu meinen, es sei in
den vergangenen Jahren nichts passiert, ist nicht richtig.
Vielmehr ist mit Druck des Bundestages, der in ständiger
Wiederholung deutlich gemacht hat, dass etwas passieren muss, die Gesetzgebung in den Ländern angepasst
und die Situation für jugendliche Flüchtlinge verbessert
worden.
Was das Asylbewerberleistungsgesetz angeht, wird
eine Rolle spielen, wie sich nach Rücknahme des Vorbehalts die Bewilligungspraxis in den Ländern gerade im
Hinblick auf Kinder, besonders auf traumatisierte Kinder, entwickeln wird. Ich bin froh, dass es gelungen ist,
die Länder von diesem Schritt zu überzeugen. Sie haben
sich im Bundesrat in eigener Verantwortung in mehreren
Sitzungen dazu eingelassen, zu sagen: Jawohl, wir sind
damit einverstanden, dass der Vorbehalt zurückgenommen wird. - Jetzt wird auch in den Ländern debattiert
- das wird von den jeweiligen Fraktionen und politischen Kräften mit betrieben -, wie man konkret und
vielleicht auch durch eine Gesetzesänderung gewisse
Dinge auf Landesebene verbessern kann. Dieser Prozess
wird jetzt in Gang kommen. Man merkt dies an den Reaktionen der jeweils betroffenen Verbände, Organisationen und Initiativen.
Von daher wären wir ohne das Handeln der Bundesregierung, ohne die Unterstützung der Länder und natürlich der Koalitionsfraktionen im Vorfeld und ohne die
Koalitionsvereinbarung überhaupt nicht in die Situation
gekommen, über die Gesetzesänderungen, die in den
letzten Jahren vorgenommen worden sind, hinaus einen
möglichen Handlungsauftrag zu sehen.
Jetzt Kollegin Michaela Noll.
Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von meiner Stelle
ein herzliches Dankeschön. Sie haben mit Ihrem Handeln ein deutliches politisches Signal für mehr Kinderfreundlichkeit in Deutschland gesetzt. Ich glaube, es war
nicht schädlich, dass dies zwei Mitglieder der Kinderkommission - deswegen auch ein herzliches Dankeschön an meine Kollegin Gruß - mitbegleitet haben. Wir
sind seit 2002 Mitglieder der Kinderkommission. Die
Zurücknahme des Vorbehalts war einheitlich unser
Wunsch. Jetzt haben wir es vollbracht. Es ist tatsächlich
die erste Bundesregierung, die dies jetzt auf den Weg gebracht hat. Wir haben zwar vorher viel diskutiert; aber
jetzt wird es Tatsache. Ich glaube, dies ist ein wirklich
gutes Zeichen für uns hier und meiner Meinung nach
auch auf internationaler Ebene, das zeigt: Wir nehmen
unsere Vorbildfunktion wahr. Wir wissen, dass es noch
ein, zwei Länder gibt, die dies nicht auf den Weg gebracht haben. Vielleicht könnten wir diese mit diploma3750
tischem Geschick anstoßen, unserem guten Weg zu folgen.
Es wird oft in den Raum gestellt, dass wir, gerade was
das Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht von Kindern
angeht, den Vorgaben der Kinderrechtskonvention nicht
entsprechen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass schon
das jetzige Verfahren, die Art und Weise, wie wir mit
Kindern umgehen, den Vorgaben der Kinderrechtskonvention entspricht. Ich würde das gerne von Ihnen dargelegt bekommen. - Danke schön.
Recht herzlichen Dank, Frau Noll. - Ich habe es deutlich gemacht: Ohne die fraktionsübergreifende Unterstützung der Kinderkommission, die sich diesen Fragen
aus tiefer Überzeugung und mit großem Nachdruck annimmt, wären nicht dieser ständige Druck und diese Erwartungshaltung aufgebaut worden, die dazu geführt haben, dass wir diesen Vorbehalt als erste Regierung nach
1992, nachdem der Vorbehalt eingelegt worden ist, zurücknehmen.
Ich möchte Ihnen bestätigen, dass ich unmittelbar aus
der Konvention keine legislative Handlungsnotwendigkeit und keine Verpflichtung, Gesetze zu ändern, konstatieren kann. Unsere Situation entspricht vielmehr den
Forderungen der Konvention. Was man in der Praxis, in
der Gesetzesanwendung verbessern kann, ist vorrangig
Aufgabe der Länder. Weitere Diskussionen müssen dann
dort geführt werden, wo man meint, Forderungen erheben zu wollen.
Es gibt noch eine ganze Reihe von Fragestellern. Deswegen bitte ich um Kürze bei den Fragen und vielleicht
auch um Kürze bei den Antworten, damit wir noch viele
Fragesteller befriedigen können.
Jetzt Miriam Gruß.
Sehr geehrte Frau Ministerin, auch bei der FDP-Fraktion herrscht große Freude. Der Vorbehalt wäre in diesem Jahr 18 Jahre alt, also erwachsen geworden. Nun ist
er vom Tisch. Ich freue mich außerordentlich, dass es
dieser Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen
gelungen ist, den Vorbehalt aufzuheben.
Ich darf daran erinnern: Wir hatten es geschafft, die
Rücknahme der Vorbehaltserklärung im Koalitionsvertrag zu verankern. Wir haben später hier im Bundestag
eine Debatte dazu geführt, in der zum Ausdruck kam,
dass die Opposition es uns nicht zutraut, das zu schaffen.
Ein paar Monate später haben wir es schon geschafft.
Deswegen wundern mich ein paar Fragen vonseiten der
Kolleginnen und Kollegen.
Ich will an das große Ziel erinnern, für das wir von
der FDP - ich habe in den letzten vier Jahren für meine
Fraktion in der Kinderkommission Verantwortung getragen - und viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen gekämpft haben: die Aufhebung der Vorbehaltserklärung. Das wäre nicht gelungen, wenn nicht
auch von Ihnen, Frau Justizministerin, ein permanenter
Druck auf die Länder ausgeübt worden wäre, sich zu bewegen. Dass sich die Länder bewegt haben, merkt man
daran, dass der Bundesrat im März die aktuelle Kabinettsentscheidung ermöglicht hat.
Mit dieser Entscheidung setzen wir Signale in zwei
Richtungen: nach innen, aber auch nach außen.
({0})
Es wurden schon viele Fragen dazu gestellt, wie sich die
Entscheidung nach innen auswirkt. Mich würde interessieren, wie sie nach außen -
Frau Kollegin, wollten Sie nicht ursprünglich eine
Frage stellen?
({0})
Herr Präsident, ich akzeptiere das; aber just in dem
Moment wäre meine Frage gekommen: Wie waren die
Reaktionen im Ausland? Wurden schon Reaktionen an
Sie herangetragen? Wir haben von UNICEF Deutschland gehört; vielleicht können Sie davon berichten. Ich
glaube, dass wir international ein großes Zeichen gesetzt
haben.
Vor der heutigen Information des Parlamentes über
unseren Beschluss, der am Montag gefasst worden ist,
haben wir uns natürlich noch nicht an viele Stellen gewandt. Wir haben die Rücknahme des Vorbehalts noch
nicht übermittelt. Das wird jetzt, nach dieser Regierungsbefragung, passieren: Durch Übermittlung an den
Generalsekretär der Vereinten Nationen wird die Rücknahme verfahrensmäßig vollzogen.
Die E-Mails, die ich als Reaktion auf die Entscheidung erhalten habe, bringen große Freude und Begeisterung darüber zum Ausdruck, dass sich gerade Deutschland, ein wichtiges Land, in den Kreis derjenigen
einreiht, die die Achtung der Kinderrechte und des Kindeswohls auf ihre Fahnen schreiben. Wenn ich Gelegenheit dazu erhalte, werde ich gern über weitere Reaktionen berichten. Wir werden hier im Bundestag sicherlich
in vielen Bereichen über das Kindeswohl diskutieren.
Dann werden Sie erfahren, welche Reaktionen es aus anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gab.
Nächste Fragestellerin ist Dagmar Enkelmann.
Frau Ministerin, man könnte in diesem Zusammenhang sagen: Was lange währt … Nach 18 Jahren wurde
der Vorbehalt aufgehoben; die Konvention ist älter.
Sie haben auf die Länder abgehoben: Sie schieben die
Verantwortung ein Stück weit auf die Länder. Ich
möchte dennoch nachfragen - das hat bei anderen Fragen schon eine Rolle gespielt -: Was gedenkt die Bundesregierung, die Justizministerin zu tun, um die Konvention tatsächlich in nationales Recht umzusetzen? Vor
allen Dingen: An welchen Punkten will die Bundesregierung im nationalen Recht über die Konvention hinausgehen? Ich nenne das Stichwort Abschiebehaft.
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das nationale
Recht den geschriebenen Vorgaben in den Artikeln der
Konvention entspricht. Bei der Überlegung, was weiter
passieren kann, ist die Bundesregierung zuallererst an
das Grundgesetz gebunden. Wir sind ein föderaler Bundesstaat. Deshalb verweise ich zu Recht auf die Länder
und ihre Befindlichkeiten. Ich werde hier überhaupt
nicht sagen, welche Überlegungen die Länder vielleicht
anstellen sollten, welche Gesetzgebung sie in Angriff
nehmen könnten. Das ist wirklich zuallererst den Ländern überlassen.
Ich habe schon mehrmals betont: Es geht gerade und
vor allem um die Gesetzesanwendung in den Ländern.
Es ist den jeweiligen Fachleuten und den Länderministern unbenommen, auf den jeweiligen Treffen der Justizminister, der Innenminister, der Familien- und Sozialminister den Austausch zu pflegen und sich dabei mit
konkreten Fragen zu befassen. Aus diesen Reihen können Initiativen der Länder hervorgehen.
({0})
Nun stellt Ute Granold eine Frage.
Frau Ministerin, die Diskussion über die Rücknahme
der Vorbehaltserklärung gehört bald der Vergangenheit
an. Ich habe eine konkrete Frage zu Art. 18 der UN-Kinderrechtskonvention. Bislang gab es eine Interpretation
der Bundesregierung zur gemeinsamen elterlichen Sorge
bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind. Hat die
Rücknahme der Vorbehaltserklärung Auswirkungen auf
die aktuelle Arbeit, was die Neuregelung der elterlichen
Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern angeht?
Nein, daraus ergibt sich keine unmittelbare Auswirkung auf die Überlegungen der Bundesregierung, die gemeinsame Sorge Nichtverheirateter unter bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichen. Die Konvention schreibt
kein bestimmtes Modell vor. Vielmehr muss nach dem
EGMR die Möglichkeit bestehen, rechtlich durchzusetzen, dass es gemeinsame Sorge gibt. Wie wir das machen
wollen, da haben wir nach wie vor Handlungs- und Entscheidungsspielraum.
Danke.
Die nächste Frage stellt Andrea Voßhoff.
Frau Ministerin, auch ich möchte mich dem Dank für
die gute Entscheidung der christlich-liberalen Bundesregierung anschließen. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, wie sich das weitere Verfahren der
Rücknahme im Einzelnen gestaltet, insbesondere im
Lichte der Beteiligung der Länder nach dem Lindauer
Abkommen.
Vielen Dank, Frau Voßhoff. - Zunächst zum formalen
Verfahren gegenüber den Vereinten Nationen. Der Kabinettsbeschluss wird dem Generalsekretär der Vereinten
Nationen mitgeteilt, und zwar durch das Auswärtige
Amt auf dem Wege einer Verbalnote.
Zum Lindauer Abkommen. Das Lindauer Abkommen
sieht bestimmte Regelungen zur Beteiligung der Länder
vor. Es ist aber nicht unmittelbar einschlägig, da es sich
bei der Rücknahme des Vorbehalts nicht um einen Akt
der Gesetzgebung handelt. Wir müssen kein Gesetz verabschieden - dann hätten wir eine unmittelbare Anwendung des Lindauer Übereinkommens -, sondern wir nehmen den Vorbehalt durch Kabinettsbeschluss und eine
Mitteilung an den Generalsekretär der Vereinten Nationen zurück. Wir reagieren so, damit die Konvention in
Deutschland in allen Punkten, ohne Einschränkung gilt.
Es könnte sich mittelbar aus dem Lindauer Abkommen eine Anwendung ergeben, wenn es um ausschließliche Ländergesetzgebungskompetenz ginge. Das ist aber
nicht der Fall. Es hat nichts damit zu tun, ob sich aus der
Konvention eine Verpflichtung zur Gesetzgebung ergibt
oder nicht. Ich habe klar die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben. Ausländerrecht, Asylbewerberleistungsgesetz, Familienrecht, Jugendstrafrecht oder
Kinder- und Jugendhilferecht unterliegen nicht der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder, sondern auch
der Bundesgesetzgebung. Deshalb haben wir nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass
kein weiteres Verfahren gemäß dem Lindauer Übereinkommen einzuleiten ist.
Als Nächster stellt Frank Heinrich eine Frage.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe eine Frage
zum Verfahren, das Sie angesprochen haben. Wann können wir damit rechnen, dass es gültig wird? Ich habe
auch noch eine konkrete Frage zum Umgang mit min3752
derjährigen Flüchtlingen, die möglicherweise als Kindersoldaten eingesetzt waren. Wie ist es um deren
Rechtssicherheit bestellt? Sind sie rechtlich geschützt?
Denn sie haben Furcht davor, dass sie wegen der Straftaten, zu denen sie gezwungen wurden, belangt werden.
Zu Ihrem ersten Punkt. Ich kann Ihnen kein genaues
Datum nennen, weil das Auswärtige Amt die Verbalnote
dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zuzuleiten
hat, aber aufgrund der Tatsache, dass wir nach Einlegung
des Vorbehaltes 18 Jahre gebraucht haben, um die Entscheidung zu fällen, werden wir natürlich dafür sorgen,
dass es so zügig wie möglich vonstatten geht. Wir werden Sie entsprechend unterrichten.
Zum Thema Kindersoldaten. Es hat sich hinsichtlich
der Konvention nichts ergeben. Bei Kindersoldaten, die
gezwungen werden, andere Menschen, Angehörige oder
Freunde zu bedrohen oder zu schädigen, und die sich
wegen entsprechender Altersgrenzen möglicherweise
strafbar gemacht haben, kam es in Deutschland meines
Wissens noch nie zu Strafverfahren. Ich denke, in einer
solchen Notsituation sind andere Aspekte zu berücksichtigen. Deswegen wird keiner daran denken, entsprechende Schritte einzuleiten. Man muss froh über jedes
Kind sein - der Ausdruck „Kindersoldat“ verharmlost
das, was mit diesen Kindern passiert -, das aus dieser Situation herauskommen kann.
Die beiden letzten Fragestellerinnen sind Katja Dörner und Ekin Deligöz.
Ich möchte konkret nach der Schulpflicht fragen. Ich
entnehme dem aktuellen Staatenbericht, dass beispielsweise in Hessen Kinder und Jugendliche, die keinen
Aufenthaltsstatus haben, weiterhin nicht schulpflichtig
sind. Meine Frage lautet: Stimmen Sie mit mir darin
überein, dass das nach der Rücknahme der Vorbehaltserklärung nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention übereinstimmt?
Die Länder haben unterschiedliche Regelungen gewählt. Baden-Württemberg knüpft die Schulpflicht an
den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthaltsort,
aber nicht an den rechtlichen Aufenthaltsstatus. Ich habe
schon in mehreren Antworten zum Ausdruck gebracht,
dass nun die jeweiligen Länderregierungen genau prüfen
müssen, inwieweit sie ihre Landesgesetze anpassen und
in welcher Form sie das tun wollen. Aber eines ist klar:
Der Aufenthaltsstatus selbst, also die rechtliche Zuordnung, soll nicht dafür ausschlaggebend sein, dass minderjährige Jugendliche von der Schule wegbleiben bzw.
dass ihnen der Schulbesuch verwehrt wird.
Nun hat Ekin Deligöz das Wort.
Frau Ministerin, ich habe Ihnen sehr genau zugehört
und habe Ihren Ausführungen entnommen: Sie nehmen
zwar symbolisch die Vorbehalte zurück, sehen aber auf
der Bundesebene keinerlei Handlungsbedarf. Sie appellieren an die Länder, ihren Prüfauftrag wahrzunehmen
und darüber nachzudenken, ob sie die Möglichkeit sehen, etwas zu verändern. Wenn Sie auf Bundesebene
nichts unternehmen wollen und an die Länder appellieren, dann interessiert mich: Haben Sie im Zusammenhang mit der Rücknahme konkrete Vereinbarungen mit
den Ländern geschlossen, die darauf abzielen, dass sich
etwas verändern soll und muss, oder hat das, was Sie sagen, lediglich Appellcharakter, und wollen Sie das, was
Sie vorhaben, auf einer der nächsten Justizministerkonferenzen - womöglich unter „Verschiedenes“ - ansprechen?
Frau Deligöz, die Grünen selbst haben Regierungsverantwortung in den Ländern. Ich kann mich überhaupt
nicht erinnern, dass sich die Grünen, als sie selber noch
Verantwortung im Bund getragen haben, jemals im Kabinett mit der Rücknahme des Vorbehalts befasst hätten.
Mir ist nichts erinnerlich. Es tut mir leid: Aber wir machen es! Das als einen reinen Appell niederzumachen,
halte ich in der Sache für überhaupt nicht angemessen
und angebracht. Ich kann nicht verstehen, wie nun einige
anfangen, das kleinzureden. So viel zum ersten Punkt.
Der zweite Punkt ist: Mich freut sehr, wenn ich Vorschläge aus Hamburg bekomme, aus denen hervorgeht,
dass man nun dringenden Bedarf an Gesetzesänderungen
sieht. Ich warte auf solche Vorschläge und werde gerne
mit Herrn Steffen darüber sprechen. Ich mische mich
aber angesichts unserer föderalen Struktur nicht in Überlegungen der Länder ein. Diese verbitten sich das zu
Recht.
({0})
Deshalb wird das die Bundesregierung auch nicht tun.
({1})
Danke schön, Frau Ministerin. - Mir liegen bereits
seit längerem noch zwei Anmeldungen von Fragen zu
anderen Themen der Kabinettsitzung vor.
Zuerst Volker Beck und dann Kollege Matthias
Miersch.
Ich habe eine Frage an das Bundesinnenministerium.
In der Liste 1 zur Kabinettsitzung hat die Bundesregierung den Entwurf eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2010/2011 verabschiedet, das
eine entsprechende Anpassung der Amts- und Versorgungsbezüge der Mitglieder der Bundesregierung und
der Parlamentarischen Staatssekretäre beinhaltet. Können Sie uns bitte sagen, wie hoch diese Erhöhungen für
die Bundesminister und die Parlamentarischen Staatssekretäre jeweils ausfallen und warum Sie vonseiten der
Bundesregierung, obwohl weder ein Gesetz zur Anpassung der Hartz-IV-Bezüge verabschiedet wurde noch das
Hohe Haus bisher über eine Anpassung seiner Bezüge
diskutiert hat, einseitig vorpreschen und es anders halten
als in der 16. Wahlperiode, als die Bundesregierung festgestellt hat - Drucksache 16/9341 -, dass sie auf die entsprechenden Anpassungen verzichtet?
Für uns ist wichtig, dass die Tariferhöhung bei den
Beamten wirkungsgleich umgesetzt wird. Dazu, welche
genauen Auswirkungen das hat, kann ich Ihnen zahlenmäßig nichts sagen. Ich würde Ihnen das gerne schriftlich übermitteln.
Wenn das heute noch möglich wäre. Aber wie rechtfertigen Sie diese Maßnahme angesichts dessen, dass in
der 16. Wahlperiode anders verfahren wurde?
Herr Staatssekretär, können Sie darauf noch antworten? Wenn nicht, wäre das erledigt.
Wir würden Ihnen gerne schriftlich mitteilen, welche
konkreten Auswirkungen das hat.
({0})
Nun Kollege Matthias Miersch.
Ich habe eine Frage an das Bundesumweltministerium.
Wir konnten der öffentlichen Berichterstattung entnehmen, dass es einen Streit zwischen Bundesminister
Röttgen und Bundesminister Schäuble über die Frage der
Finanzierung vieler Programme, der kommunalen Klimaschutzprogramme, der Marktanreizprogramme, und der
damit verbundenen Sperrung der Haushaltsmittel gab.
Augenblicklich warten ganz viele in den Kommunen,
aber vor allen Dingen auch im Mittelstand darauf, dass
die Entsperrung stattfindet. Das Bundesumweltministerium möchte ich fragen, inwieweit dieser Streit noch ausgefochten wird, wann mit der Lösung zu rechnen ist und
ob das in den nächsten Wochen der Fall sein kann.
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Miersch, das Bundesumweltministerium streitet immer an vorderster Stelle, wenn es darum
geht, sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
Darum bemühen wir uns nach wie vor.
In der Tat ist es richtig, dass 115 Millionen Euro, die
wir für das Marktanreizprogramm dringend brauchten,
gesperrt sind. Wir wissen, wie erfolgreich dieses Programm ist. Die 115 Millionen Euro Förderung hätten
dazu geführt, dass über 900 Millionen Euro Investitionen ausgelöst würden. Wir sind davon überzeugt, dass
diese Argumente und der Erfolg des Programms, der unmittelbar Auswirkungen auf die einheimische Wirtschaft
hat, auch das Finanzministerium überzeugen wird, das
Programm fortzusetzen. Wir sind noch in Verhandlungen. Ich weiß aber, dass die Haushälter und Fachpolitiker der Koalitionsfraktionen dies mit uns bestreiten. Wir
hoffen, dass wir auf einem guten Weg sind.
Ein Zusatz sei mir erlaubt: Die Mittel kommen aus
dem Verkauf der Emissionszertifikate. Zur Wahrheit gehört es, zu sagen, dass die Wirtschaftskrise auch dazu
geführt hat, dass wir nicht mehr in dem Maße über Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten verfügen, wie das in wirtschaftlich guten Zeiten der Fall
war, als die Große Koalition sich entschlossen hat, Mittel aus dem Verkauf von Zertifikaten für Klimaschutzmaßnahmen auszugeben. Insofern müssen wir uns der
Tatsache gegenübersehen, dass wir nicht die Einnahmen
aus dem Verkauf von Zertifikaten zur Verfügung haben,
mit denen wir in wirtschaftlich guten Zeiten gerechnet
haben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/1534 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Barbara
Hendricks auf:
Welche Bemühungen wendet die Bundesregierung dafür
auf, die Vergabe von Landtiteln an die ländliche Bevölkerung
in Kambodscha gerade in den Regionen zu unterstützen, in
denen großflächige Zuteilungen von Land an private Investoren durch die kambodschanische Regierung vorgenommen
werden - sogenanntes Land-Grabbing - und somit zu befürchten ist, dass dortige ländliche Bevölkerungsteile kaum
noch Aussicht auf Landtitel haben?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Dr. Hendricks, ich antworte Ihnen wie folgt: Die großflächige Zuteilung von Land- und Minenkonzessionen
ist neben der Flächenfragmentierung durch Bevölkerungswachstum sowie Landverkauf in Notlagen eine wesentliche Ursache für die Zunahme landloser und landarmer Haushalte in Kambodscha.
Mit dem Landgesetz von 2001 wurden vier Kategorien
von Land festgelegt: privates Land, öffentliches Staatsland, privates Staatsland und Land der Pagoden. De facto
hat erst mit der Verabschiedung des Landgesetzes die
Ausgabe von Rechtstiteln auf privates Landeigentum begonnen. Die mehrheitlich arme ländliche Bevölkerung
nutzt privates Staatsland, das durch die Landtitelvergabe
mittelfristig vollständig privatisiert wird. Die Sicherung
der Eigentums- und Verfügungsrechte über die Ressource
Boden benötigt also leider Zeit und ist heute praktisch
noch nicht hinreichend gesichert. Die Landzuteilung an
einflussreiche Kreise erfolgt vor allem auf Flächen, die
rechtlich als öffentliches Staatsland gelten und zur privaten Nutzung in Form langjähriger Konzessionen an private Nutzer vergeben werden.
In diesem Bereich hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit keine Möglichkeit der Einflussnahme. Demgegenüber besteht die Bundesregierung aber darauf, dass verstärkt privates
Staatsland für die Verteilung an die arme Bevölkerung im
Rahmen sozialer Landkonzessionen zur Verfügung gestellt wird. Die deutsche Unterstützung richtet sich deshalb auf die Verbesserung der politischen und rechtlichen
Rahmenbedingungen durch Beratung bei der Ausgestaltung der Landreformpolitik und bei der Entwicklung von
Durchführungsverordnungen.
Darüber hinaus werden die institutionellen Voraussetzungen für die systematische Landregistrierung sowie
Institutionen für die außergerichtliche Schlichtung bei
Landkonflikten gestärkt. Schließlich wird die gezielte
Landvergabe an Landarme und Landlose im Rahmen der
sozialen Landkonzessionen pilothaft gefördert.
Ich füge noch etwas hinzu - es ist zwar sehr lang; aber
ich denke, das ist wichtig, um in dieses Thema hereinzukommen -: Im Rahmen des kambodschanischen Landsektorreformprogramms unterstützt die Bundesregierung
gemeinsam mit Finnland und Kanada die zuständigen
kambodschanischen Behörden dabei, einer signifikanten
Anzahl von Haushalten mit Rechtsansprüchen auf Land
rechtlich abgesicherte Landtitel zu verschaffen.
Langfristig soll ein nationales System der Landadministration eingerichtet werden, um die Landrechte armer
Bevölkerungsgruppen insbesondere in den ländlichen
Regionen zu sichern. Dazu sollen möglichst schnell an
möglichst viele arme ländliche Haushalte private Landtitel vergeben werden. Die Registrierungsaktivitäten
fokussieren sich daher auf Regionen mit einer hohen
Konzentration von ländlicher armer Bevölkerung auf
privatem Staatsland.
Nachfragen dazu? - Kollegin Hendricks.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich
will insbesondere auf das eingehen, was Sie zuletzt genannt haben. Sie haben den Rechtsrahmen sehr gut geschildert. Es ist ja die bundeseigene Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit, die als Ausführungsorganisation tätig ist, um bei der Vergabe von Landtiteln an
die Landbevölkerung voranzukommen. Wie kann sichergestellt werden, dass dies auch nachhaltig ist?
Nach meinem Kenntnisstand gibt es Anzeichen dafür,
dass auch Landtitel, die schon vergeben worden sind,
von größeren Investoren, ich sage einmal, begehrlich betrachtet werden. Es ist nicht sichergestellt, dass diese
Landtitelvergabe auf Dauer wirklich so nachhaltig ist,
wie wir es uns alle wünschen, sondern einmal vergebene
Titel sind allem Anschein nach nicht immer ganz sicher
bei der Landbevölkerung verblieben.
Frau Dr. Hendricks, Sie sprechen sehr wichtige Bereiche an. Es ist sehr schwierig, im Hinblick auf das LandGrabbing, also den Landentzug, voranzukommen und
die Bevölkerung zur eigenen Versorgung zu ertüchtigen.
Ich will Ihnen nur sagen: Die TZ hat für diesen Bereich 4 Millionen Euro eingestellt. Mitte dieses Jahres
wird ein Überprüfungsprozess stattfinden. Wenn die
Überprüfung dessen, was bisher geschehen ist, wenn die
Evaluierung der vier Meilensteine negativ sein sollte,
wenn also keine Nachhaltigkeit gegeben ist, dann werden wir über Mittelkürzungen bzw. sogar über den Ausstieg aus solchen Programmen entscheiden. Wenn wir
feststellen, dass sie nicht zu mehr Landeigentum für die
notleidende Bevölkerung dort führen, dann werden wir
sie auch nicht weiter finanzieren. Hier befinden wir uns,
wie gesagt, in einem Überprüfungsprozess.
Eine weitere Frage?
Ja, ich habe noch eine kurze Nachfrage. - Werden Sie
im Rahmen dieses Evaluierungsprozesses auch überprüfen, ob die Durchführungsorganisationen - sowohl die
deutsche, aber natürlich auch diejenigen, mit denen wir,
wie Sie eben sagten, zusammenarbeiten, nämlich die aus
Finnland und Kanada - eng genug mit der Zivilbevölkerung in Kambodscha zusammenarbeiten?
Ja, auch das prüfen wir. Wenn Sie nach der Wirksamkeit unserer Instrumente fragen - diese Frage steht ja immer dahinter -: Es wird nach unserer Überzeugung ganz
wichtig sein, dass die Geberländer mit einer Stimme
sprechen. Das heißt, wir müssen auch den Druck auf die
jeweilige Regierung aufrechterhalten; das gilt insbesondere für Kambodscha. Wir haben die größten Erfolgschancen, wenn wir an dieser Stelle zusammenstehen, unsere Forderungen gemeinsam vortragen und im Rahmen
dieser Überprüfung einerseits gegenüber der Regierung,
andererseits aber auch mit Blick auf die Durchführungsorganisationen sicherstellen, dass in unserem Sinne erfolgsorientiert und im Interesse der armen Menschen gehandelt wird.
Danke schön. - Die nächste Frage, die Frage 2,
stammt auch von der Kollegin Hendricks:
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, nach Abschluss
der sich derzeit in Planung befindlichen Strukturreform der
Ausführungsorganisationen der deutschen technischen Entwicklungszusammenarbeit mittel- oder langfristig zusätzlich
eine institutionelle Zusammenlegung der deutschen technischen und der deutschen finanziellen Entwicklungszusammenarbeit anzustreben, und, wenn nein, warum nicht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung
sieht die laufende Umstrukturierung der Durchführungsorganisationen der technischen Zusammenarbeit bewusst als offenen Reformprozess. Die Bundesregierung
zielt darauf ab, Schritt für Schritt konkrete Reformergebnisse zu erzielen. Somit ist auch die Frage einer Verschmelzung von finanzieller und technischer Zusammenarbeit derzeit offen.
Frau Kollegin, bitte.
Das wundert mich etwas, weil es bisher hieß, dass die
Organisationen der technischen Zusammenarbeit - die
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit,
der Deutsche Entwicklungsdienst und InWEnt, um die
drei zu nennen - zusammengeführt werden sollen. Bisher ist keinerlei Ankündigung gemacht worden, dass
etwa auch die KfW Entwicklungsbank oder die entsprechenden Abteilungen der KfW mit den genannten Organisationen der technischen Zusammenarbeit zusammengeführt werden sollen.
Aber ich will eine andere Ergänzungsfrage stellen und
mich damit wieder auf die technische Zusammenarbeit
beziehen: Plant die Bundesregierung im Rahmen der Zusammenlegung der drei von mir genannten Organisationen der technischen Zusammenarbeit einen Personalabbau und, wenn ja, in welchem Umfang?
Sie haben die drei Vorfeldorganisationen, die wir zusammenführen wollen, genannt. Es geht uns darum - in
diesem Prozess befinden wir uns -, mit den Organisationen zusammen die Umstrukturierung vorzunehmen. Wir
wollen dadurch erreichen, dass die einzelnen Instrumente wirksamer werden. Wir wollen auch erreichen,
dass Doppelstrukturen - manchmal sogar Dreifachstrukturen - abgebaut werden. Wir wollen, dass bei der
Durchführung von Projekten diejenigen Durchführungsorganisationen, die für das Projekt eine besondere Expertise haben, zum Zuge kommen und hier nicht mehrere Organisationen parallel arbeiten. Das ist die
Zielrichtung bei der Umstrukturierung, die wir vornehmen wollen. Diese Restrukturierung ist keine Kleinigkeit: Diese Vorfeldorganisationen sind mit ungefähr
16 000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in 130 Ländern tätig; ihr Umsatzvolumen liegt bei 1,5 Milliarden
Euro.
Frau Kollegin Hendricks, ich will darauf hinweisen,
dass wir bis zur Sommerpause so etwas wie einen Sachstandsbericht haben wollen. Wenn wir zum Jahresende
zu einem Ergebnis gekommen sind, wird es darum gehen, ganz konkret in die Umsetzung zu gehen, beispielsweise zu sehen, wie wir die Schnittstellen zwischen
finanzieller Zusammenarbeit und technischer Zusammenarbeit abgleichen können.
Ich betone noch einmal: Eine Zusammenführung von
finanzieller und technischer Zusammenarbeit ist für
diese Legislaturperiode nicht geplant; so etwas ist auch
nicht Bestandteil unseres Koalitionsvertrages.
Ich sage noch einmal: Wir gehen bei der Zusammenführung der drei genannten Organisationen Schritt für
Schritt vor. Was die personelle Ausstattung betrifft, sind
in dem Prozess, der jetzt begonnen hat, viele Fragen
- Fragen der rechtlichen Voraussetzungen, der Verträge,
der personellen Ressourcen, der Zusammenführung der
Personalverträge der drei genannten Organisationen überhaupt noch nicht beantwortet. Wir haben aber bei
dieser Zusammenführung ein klares Ziel: Wir haben das
klare Ziel, die Entwicklungszusammenarbeit im technischen Bereich effektiver und effizienter umzusetzen. Wir
haben nicht das Ziel eines Personalabbaus.
Noch eine weitere Nachfrage.
Ich habe noch eine Frage zum Thema Personal und
weitere Verwendung. Wenn die Zusammenführung der
drei Institutionen der technischen Zusammenarbeit gut
läuft, dann können damit durchaus auch Synergieeffekte
gehoben werden. Ob es gut läuft, wissen wir noch nicht,
aber die Zusammenführung müsste mit dem Ziel verbunden sein, Synergieeffekte zu heben.
Plant die Bundesregierung, etwa Personal, welches
dann nicht mehr unmittelbar in den drei Institutionen gebraucht wird, zum Beispiel im Wege der Abordnung im
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
einzusetzen und auf diese Weise die Position des Ministeriums auszubauen und zulasten der Vorfeldorganisationen zu stärken?
Ich denke, dass ich diese Bedenken zerstreuen kann.
Man muss berücksichtigen, was diese Strukturreform bewirken soll. Sie wissen, Frau Kollegin Hendricks, dass
diese Strukturreform längst eingefordert wurde, auch
vom Bundesrechnungshof, der festgestellt hat, dass wir
an dieser Stelle sehr viel effizienter arbeiten müssen.
Wir sehen das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung nach einer solchen
Strukturreform in der Aufgabe, die politischen und inhaltlichen Vorgaben zu machen, aber wir haben die Vorstellung, dass die neue Durchführungsorganisation, zu
der die drei Organisationen zusammengeführt werden,
selbstständig arbeiten kann. Wir rechnen auch mit einem
Effizienzgewinn bei der Arbeit. Wie sich das später genau verteilt und wer welche Aufgaben übernimmt, kann
ich Ihnen derzeit nicht seriös sagen. Das wäre reine Spekulation.
Wir gehen davon aus, dass dieser schwierige Prozess
der Zusammenführung gut läuft. Wir haben jedenfalls
eine Vertrauensbasis aufgebaut. Nach unserer Vorstellung soll nicht irgendeine Institution zu kurz kommen
oder sozusagen unter die Wasseroberfläche gedrückt
werden. Wir diskutieren auf gleicher Augenhöhe. Wir
haben Vorschläge der drei Organisationen dazu erbeten,
wie sie sich eine Zusammenführung vorstellen. Das ist
ein sehr transparenter und guter Prozess. Ich gehe davon
aus, dass er letzten Endes positiv ausgehen wird.
Es gibt noch zwei weitere Nachfragen. Zunächst Kollegin Ute Koczy und dann Kollege Sascha Raabe.
Frau Staatssekretärin, zur Zusammenlegung von TZ
und FZ haben Sie einiges ausgeführt. Wie wir wissen,
macht sowohl die KfW oftmals Finanzierungsangebote
verbunden mit einem Beratungsangebot als auch die
GTZ, die ihre Beratungsangebote mit einer finanziellen
Zusammenarbeit verbindet. Beides ist oftmals in einer
Art von Wechselwirkung zu finden.
Können Sie bestätigen, dass es tatsächlich keinerlei
Gespräche mit der KfW darüber gibt, ob im Falle einer
Zusammenführung der drei Vorfeldorganisationen Auswirkungen auf die KfW stattfinden? Ich kann mir das
schlechterdings nicht vorstellen, weil es in der praktischen Arbeit im Felde durchaus Resonanzen auf die unterschiedlichen Entwicklungen gibt. Ist es tatsächlich so,
dass Sie keinerlei Gespräche mit der KfW führen, um
die Veränderungen, die Sie bei der technischen Zusammenarbeit vornehmen, zu eruieren und die Auswirkungen auf die KfW zu überprüfen?
Frau Kollegin Koczy, wir sind derzeit dabei, die Vorschläge der drei Vorfeldorganisationen aufzunehmen
und sie dann in einen Konsens umzusetzen, den wir zu
erreichen hoffen. Wir sind derzeit noch nicht dabei, irgendwelche Schnittstellen abzugleichen.
Es wird sich im Laufe der Zeit ergeben, wie ich schon
sagte. Wenn uns bis zur Sommerpause ein Sachstandsbericht vorliegt, wie wir uns aufstellen, was mit den drei
Vorfeldorganisationen geschieht und ob der Konsens
auch weiterhin besteht, können wir zum nächsten Schritt
übergehen. Wenn sich Projekte in der Zuständigkeit
überschneiden, werden wir beraten müssen, wie wir damit umgehen. Aber das ist derzeit nicht Gegenstand der
Beratungen. Wir müssen im Vorfeld der bevorstehenden
Zusammenlegung erst einmal Basisarbeit leisten. Ich
denke, dass wir bei dieser Frage sehr schnell weiterkommen werden. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Das Ziel
sind die Effizienzsteigerung, die Steigerung der Wirksamkeit und der rechtliche Abgleich. Sie können sich
vorstellen, dass das noch schwierig genug wird. Wir
werden nach der Sommerpause quasi ans Eingemachte
gehen und die Rechtsfragen behandeln. Ich hoffe, dass
es gelingt, auch an der Stelle möglichst bald ein Einvernehmen herzustellen. Mehr kann ich dazu im Moment
nicht sagen.
Kollege Sascha Raabe, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir zustimmen,
dass die Experten des Entwicklungsausschusses der
OECD und auch die der Wissenschaft immer gesagt haben, wichtig sei es, die finanzielle und technische Zusammenarbeit zusammenzuführen, und dass das zuerst
geschehen solle? Wenn dem so ist, würden Sie mir auch
zustimmen, dass die Vorgängerin des Ministers, Frau
Wieczorek-Zeul, es richtigerweise probiert hat, diesen
ersten Schritt zu machen?
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir auch zustimmen, dass es falsch ist, wenn Minister Niebel es so darstellt, als würde er jetzt eine Reform durchführen, die die
Vorgängerin nicht geschafft hat? Ist es nicht eher so, dass
ihm der Mut fehlt, diese große Reform anzugehen, und
er jetzt eine kleine Reform als großen Erfolg verkaufen
möchte?
({0})
Herr Kollege Raabe, ich finde Ihre Äußerung sehr
mutig, und zwar insofern, als die Vorgängerregierungen
- das muss man sagen ({0})
eine institutionelle Reform dieser Vorfeldorganisationen
nicht geschafft haben, nicht teilweise und schon gar
nicht in vollem Umfang. Ich habe wahrgenommen, dass
wir in allen Berichten, seien es die des BundesrechParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
nungshofs, seien es die der OECD, gelobt und ermuntert
wurden, an diese Reform heranzugehen.
Ich sage noch einmal: Das ist keine Kleinigkeit. Wir
machen uns daran, im Sinne einer besseren Entwicklungszusammenarbeit den ersten konkreten Schritt hin
zu mehr Wirksamkeit und höherer Effizienz zu gehen.
Ich finde, das ist mindestens die Hälfte dieses Weges.
Die vorherige Regierung ist hingegen nicht einen Meter
weit gekommen. Ich bitte Sie doch um etwas mehr Mäßigung. Ich bitte auch um Wertschätzung dessen, was
wir jetzt auf den Weg bringen werden. Ich lade Sie ein,
dabei mitzumachen.
({1})
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Karin Roth:
Wie lässt sich nach Ansicht des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der zuletzt
in der Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche
Frage auf Bundestagsdrucksache 17/1535 von der Bundesregierung immer wieder betonte und gesetzte Schwerpunkt
„Gesundheit in den Entwicklungsländern“ mit der drastischen
Kürzung der Mittel für den Bevölkerungsfonds der Vereinten
Nationen, UNFPA, und die Internationale Föderation geplanter Elternschaft, IPPF, verbinden, und wie gedenkt die Bundesregierung zur Erreichung des Millenniumentwicklungsziels 5 beizutragen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Roth, ich kann Ihnen bezüglich der
Kürzungen antworten, dass UNFPA und IPPF, diese Institutionen der Vereinten Nationen, wichtige Partner für
Deutschland bleiben. Trotz der Kürzungen der Beiträge
zu den Vereinten Nationen und anderen internationalen
Organisationen wurde, anders als vom BMZ vorgeschlagen, vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags
beschlossen, das bilaterale Engagement Deutschlands in
einigen Bereichen zu stärken.
Sie können sich wahrscheinlich daran erinnern, dass
Bundesminister Niebel die Exekutivdirektorin der
UNFPA, Frau Obaid, erst vor zwei Wochen in New York
getroffen hat. Er hat ihr gegenüber ausdrücklich die
Wertschätzung der Arbeit der UNFPA zum Ausdruck
gebracht. Er hat betont, dass uns insbesondere im Bereich der reproduktiven Gesundheit die Erreichung der
Millenniumentwicklungsziele sehr wichtig ist. Auch die
enge Zusammenarbeit mit dem IPPF wird fortgesetzt,
zum Beispiel im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung im kommenden Oktober in Berlin. Dort geht es um
einen internationalen Dialog der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Umsetzung des Menschenrechts
auf reproduktive und sexuelle Gesundheit.
Seien Sie versichert: Gesundheit ist und bleibt ein
Schlüsselsektor der Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Das BMZ trägt auf vielfache Art und Weise
zur Erreichung des Millenniumentwicklungsziels 5, der
Verbesserung der Müttergesundheit, bei. So unterstützen
wir die diesjährige G-8-Initiative zur Verbesserung der
Kinder- und Müttergesundheit, und wir setzen uns ausdrücklich für ein umfassendes Verständnis von Müttergesundheit ein, was den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen einschließlich
Familienplanung umfasst.
Darüber hinaus wirken wir in einer Vielzahl internationaler Gremien und Initiativen mit, die die Erreichung
dieses Millenniumentwicklungsziels, also die Verbesserung der Kinder- und Müttergesundheit, zum Ziel haben.
Ich verweise darauf, dass wir im Haushalt beispielsweise
für den Global Fund 204 Millionen Euro zur Aids- und
Malariabekämpfung bereitgestellt haben, dass wir den
GAVI-Fonds mit 4 Millionen Euro pro Jahr fördern und
dass wir weitere Förderung in Aussicht stellen können.
Nachfrage? - Bitte.
Sehr verehrte Frau Kollegin Kopp, ich verstehe, dass
Sie am Ende Ihrer Antwort den Global Fund erwähnen,
um zu zeigen, dass die Bundesregierung im Gesundheitsbereich international Unterstützung leistet. Aber Sie
haben keine Zahlen genannt. Deshalb möchte ich sie
nennen: Für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sind die Mittel um über 20 Prozent, und für entsprechende Vorhaben im Bereich der Internationalen Föderation geplanter Elternschaft sind die Mittel um fast
20 Prozent gekürzt worden.
Es ist sehr freundlich, wenn Minister Niebel beim Zusammentreffen mit der Exekutivdirektorin in New York
seine Unterstützung für ihre Arbeit zusagt. Aber gleichzeitig werden einige Programmschwerpunkte - zum Beispiel die Familienplanung, die für die Bevölkerungsentwicklung sehr wichtig ist, der Schutz vor Gewalt gegen
Frauen und Kinder, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit - von uns nicht mehr in dem Umfang
finanziert, in dem es notwendig wäre.
Das Millenniumentwicklungsziel 5, also die Verringerung der Müttersterblichkeit, haben wir nur zu 9 Prozent
erreicht. Das Ziel der Verringerung der Kindersterblichkeit haben wir nur zu 32 Prozent erreicht. Dies ist ein
Armutszeugnis für die Bundesregierung. Es wird auch
nicht besser, wenn Sie in diesem Zusammenhang auf den
Haushaltsausschuss und auf das Parlament verweisen.
Diese Zahlen hat die Koalition zu verantworten.
Angesichts dieser aussagekräftigen Zahlen und der
großen Bedeutung der Zuverlässigkeit gegenüber den
Vereinten Nationen möchte ich fragen: Ist damit zu rechnen, dass Sie im nächsten Haushalt wenigstens das fortsetzen, was die Große Koalition in der letzten Legislaturperiode gemacht hat, und dass Sie die entsprechenden
Mittel wieder bereitstellen? Wenn wir unsere Versprechungen einhalten, können wir unser Gesicht wahren.
Frau Kollegin Roth, die äußerst geringe Quote von
9 Prozent bei der Erreichung des Millenniumentwicklungsziels Müttergesundheit wurde zum Ende des Jahres
2009 bilanziert. Haben Sie Verständnis dafür, wenn ich
sage: Die neue Regierung ist erst Ende letzten Jahres ins
Amt gekommen. In den noch verbliebenen zwei Monaten des Jahres 2009 konnten wir die schlechte Quote von
9 Prozent beim besten Willen nicht erhöhen. Das will ich
vorweg anmerken.
Seien Sie versichert, dass das Thema Gesundheit für
unser Ministerium und auch für die Bundesregierung
eine exorbitant wichtige Rolle spielt. Es ist überhaupt
keine Frage, dass wir in diesem Bereich sehr viel arbeiten müssen.
Zur internationalen Zuverlässigkeit will ich Ihnen
Folgendes sagen: Es hat in der vergangenen Woche ein
Treffen der G-8-Entwicklungsminister in Halifax gegeben, bei dem der diesjährige G-8-Gipfel in Kanada vorbereitet wurde. Minister Niebel hat mir gesagt, dass die
Ergebnisse dieser Vorbesprechung zur Vorbereitung des
Gipfels in Kanada Bestandteil des Gipfeldokumentes
sein werden. Es ist also nicht so, dass über dieses Thema
nicht inhaltlich substanziell beraten wird. Die maßgeblichen Punkte werden aufgenommen.
Noch einmal: Wir wollen und werden viele bilaterale
Projekte im Gesundheitsbereich finanzieren. Die neue
Leitung des BMZ hat erstmals im Hinblick auf Südafrika
bilateral einen Schwerpunkt HIV-/Aidsbekämpfung
- der Umfang der zur Verfügung gestellten Mittel liegt
bei insgesamt 10 bis 15 Millionen Euro - geschaffen.
Auch dies ist nicht etwa nichts, sondern wirklich bemerkenswert. Ich will das betonen; denn das hat es vorher
nicht gegeben.
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Jetzt noch etwas zu den künftigen Haushaltsplanungen. Auch Sie kennen das Geschäft: Wir als Bundesregierung können Mittel beantragen - das tun wir auch -;
aber letzten Endes steht jede Mittelanforderung unter
dem Haushaltsvorbehalt und unter dem Vorbehalt der
Zustimmung des Parlaments. Das müssen wir für jede
Initiative akzeptieren, die wir auf diesem Gebiet starten.
Darüber können wir uns nicht hinwegsetzen. Genauso
wenig kann ich Ihnen heute mit Vorgriff auf den Haushalt 2011 oder 2012 sagen, welche Mittelanforderungen
von unserem Haus in diesem Bereich kommen werden
und ob diese Mittel dann auch eingestellt werden. Das
müssen wir sehen.
Ich versichere Ihnen noch einmal: Wir sind hier nicht
unterschiedlicher Meinung; vielmehr sind wir der Ansicht, dass die Erreichung des Millenniumentwicklungsziels Müttergesundheit ganz obenan steht. Ich schließe
dabei immer die Ziele Kindergesundheit und Reduzierung der Kindersterblichkeit ein.
Sie wissen, mit welch einfachen Mitteln wir verhindern könnten, dass Kleinstkinder, also Kinder im Alter
von null bis einem Jahr, sterben. Allein schon durch
mehr Hygienemaßnahmen - durch eine bessere Infrastruktur vor Ort, das heißt durch den Zugang zu sauberem Wasser, durch die Bereitstellung von Toiletten und
dergleichen - könnten wir ganz normale, gut behandelbare Krankheiten wie Durchfall oder Atemwegsinfektionen sehr viel besser bekämpfen. In diesem Bereich sind
wir ebenfalls aktiv. Wir haben Mittel für diese Zwecke
eingestellt. Dies steht bei uns also im Fokus. Wir müssen
auf diesem Gebiet noch sehr viel mehr tun. Wir sind
dazu auch bereit. Ich bitte Sie und das gesamte Parlament um die entsprechende Unterstützung.
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Frau Roth? - Bitte
schön!
Ja, gern, Herr Präsident. - Frau Kollegin Kopp, für
meine Fraktion, die SPD, möchte ich klarstellen, dass
wir für die Unterstützung der Vereinten Nationen bei der
Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblichkeit keine
Reduzierung der Mittel im Etat vorgesehen hatten.
Darüber hinaus ist es gar keine Frage, dass das Thema
Müttersterblichkeit nicht in den letzten sechs Monaten
auf die Schnelle hätte bewältigt werden können. Müttersterblichkeit war ein Problem der letzten Jahre und wird
auch eines der nächsten fünf Jahre sein; da gebe ich Ihnen recht. Die Frage ist nur: In welcher Weise kommen
wir voran? Ohne mehr Mittel für diesen Bereich - entweder aus dem Global Fund oder von den Vereinten Nationen oder durch bilaterale Projekte - wird dies nicht
möglich sein. Deshalb äußere ich noch einmal meine
dringliche Bitte, dass wir unsere Aufmerksamkeit gerade
auf die Millenniumentwicklungsziele 4 und 5 richten,
nämlich auf die Verringerung der Müttersterblichkeit
- jedes Jahr sterben über 500 000 Mütter - und auf die
Verringerung der Kindersterblichkeit; jährlich sterben
über 9 Millionen Kinder. Beabsichtigt die Bundesregierung, Aktionspläne aufzulegen, damit wir auf diesen beiden Feldern vorankommen?
Ich bestätige Ihnen, Frau Roth, dass das Thema Gesundheit im Zentrum unserer Entwicklungspolitik steht;
das ist doch gar keine Frage. Zur Armutsbekämpfung
gehört, Folgendes zu sehen: Zunächst ist es wichtig, die
Ernährungssituation zu verbessern. Dann geht es darum,
die Gesundheit zu fördern. Erst wenn das gewährleistet
ist, sind Menschen meines Erachtens in der Lage, Bildung zu erwerben. Diese drei Schritte sind von zentraler
Bedeutung. Zur Gesundheitsförderung muss der von Ihnen eben genannte Mix von Maßnahmen umgesetzt werden. Es geht sowohl um multilaterale Förderung als auch
um bilaterale Projekte.
Der Schlüssel zu mehr Gesundheit der Mütter, zur erfolgreichen Bekämpfung der Kindersterblichkeit und zur
Verbesserung der Gesundheitsversorgung insgesamt ist,
dafür zu sorgen, dass die Menschen in den ärmsten LänParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
dern weltweit Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommen, dass es Schwangerschaftsversorgung und Präventionsmaßnahmen gibt, um Komplikationen oder zumindest
unüberwindbare Komplikationen bei der Geburt zu vermeiden. Wir müssen Strukturen schaffen, die es Menschen ermöglichen, Gesundheitsversorgung abzufragen.
Wir diskutieren beispielsweise darüber, wie wir Entwicklungsländern helfen können, ein System aufzubauen, das
ärmste Menschen berechtigt, solcherlei Gesundheitsangebote abzufragen. Hinsichtlich der Schaffung von Gesundheitssystemen sind wir sehr aktiv; das gehört mit in
das Portfolio.
Ich kann Ihnen nur sagen: Unter dem Strich ist unser
Engagement im Bereich Gesundheit sehr groß. Ich versichere Ihnen: Auch auf internationaler Ebene werden wir
dafür sorgen, dass Deutschland, dass die deutsche Bundesregierung die Vorreiterrolle im Entwicklungsbereich
behält und weiter ausbaut. Lassen Sie uns alles Weitere
evaluieren und auf dessen Umsetzbarkeit in der Realität
hin prüfen. Ich bin sicher, dass wir einer Prüfung sehr
gut standhalten können.
Wir kommen damit zur Frage 4, ebenfalls von der
Abgeordneten Karin Roth:
Wie beurteilt das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, anlässlich des Jahrestages des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention vom 3. Mai 2008 die Bedeutung der besonderen Problemlagen behinderter Menschen in Entwicklungsländern,
und welche konkreten Maßnahmen zur stärkeren Berücksichtigung dieser Personengruppe in der Entwicklungszusammenarbeit führt das BMZ zusätzlich zur Einrichtung eines runden
Tisches durch, um die Partnerländer bei der Integration der
Menschen mit Behinderungen - zum Beispiel im medizinischen, sozialen und rechtlichen Bereich - zu unterstützen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Weltweit leben
690 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das sind
immerhin 10 Prozent der Weltbevölkerung; das ist eine
enorm große Zahl. 80 Prozent der behinderten Menschen
leben in Entwicklungsländern; das ist eine riesige Herausforderung für uns. Das bedeutet: Jeder fünfte in absoluter Armut lebende Mensch hat eine Behinderung.
Die Millenniumsentwicklungsziele können nur erreicht
werden, wenn Menschen mit Behinderungen bei der
Umsetzung von Maßnahmen entsprechend berücksichtigt werden. Die VN-Behindertenrechtskonvention sieht
in Art. 32 vor, „dass die internationale Zusammenarbeit,
einschließlich internationaler Entwicklungsprogramme,
Menschen mit Behinderungen einbezieht und für sie zugänglich ist …“. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung misst daher der
Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit einen sehr hohen Stellenwert
bei und engagiert sich auf vielfache Weise.
Ich will Ihnen ein Event nennen, das kürzlich stattgefunden hat: Am 27. April dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, haben sich in Bonn auf Einladung des BMZ
Vertreterinnen und Vertreter von 25 Organisationen zu
einem runden Tisch zu diesem Thema zusammengefunden. Diese Veranstaltung führte erstmals staatliche wie
nichtstaatliche Akteure im Bereich Behinderung und
Entwicklung zusammen und machte deutlich, dass die
Bundesregierung auch die entwicklungspolitische Dimension der UN-Behindertenrechtskonvention als essenziell betrachtet. Dieser Dialog mit der Zivilgesellschaft soll fortgeführt werden.
Darüber hinaus fördert das BMZ über den Titel für
private Träger spezifische Vorhaben für Menschen mit
Behinderungen. Die Förderung betrug in 2008 - ich
nenne Ihnen eine alte Zahl - 1,9 Millionen Euro. Wir als
BMZ setzen uns ferner dafür ein, dass sich die Umsetzung der entwicklungspolitischen Dimension der UNBehindertenrechtskonvention auch im Aktionsplan der
Bundesregierung widerspiegelt.
Nachfragen?
Ja.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin Kopp, Sie haben nur eine einzige Zahl genannt - das
ist interessant -, nämlich die im Zusammenhang mit laufenden Projekten für soziale Sicherung. Dort gibt es bezogen auf den gesamten Bereich Ausgaben in Höhe von
103,4 Millionen Euro. Die Bundesregierung sieht für
den Bereich der Menschen mit Behinderungen 1,2 Millionen Euro vor. Sie können selbst ausrechnen, wie hoch
der Anteil ist und was das bedeutet. Das ist angesichts
der von Ihnen richtig geschilderten Dramatik bzw. des
großen Personenkreises eine sehr geringe Unterstützung.
Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und erkennt damit an, dass die UN
eine wichtige Koordinierungsfunktion, auch im Rahmen
von Projekten, hat. Welche Möglichkeiten sehen Sie
- außer dass Sie im Jahre 2010 1,2 Millionen Euro für
die soziale Sicherung von Menschen mit Behinderungen
vorsehen -, in den nächsten Jahren Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern verstärkt zu unterstützen, und welche Aktionen planen Sie außer denen, die
Sie bereits genannt haben?
Bezüglich Aktionen kann ich Ihnen sagen, dass der
runde Tisch, der dieser Tage erstmals auf internationaler
Ebene getagt hat, zum Jahresende ein zweites Mal tagen
wird. Dort wollen wir uns mit konkreten Maßnahmen
und mit der Umsetzung weiterer Projekte beschäftigen.
Lassen Sie mich eine Zahl nachtragen, die ich sehr interessant finde: In den letzten 20 Jahren wurden in
40 Ländern weit mehr als 180 Vorhaben, deren direkte
und indirekte Zielgruppe Menschen mit Behinderungen
waren, mit insgesamt 70 Millionen Euro gefördert.
Die Probleme der Menschen mit Behinderungen gerade in armen Ländern nehmen eher zu. Als Beispiel
nenne ich nur Haiti: Viele Menschen, die unter Trümmern lagen, mussten aus der Not heraus Notamputationen über sich ergehen lassen, um ihr Leben zu retten. An
diesem Staat - was Haiti angeht, ist es eigentlich nicht
seriös, von Wiederaufbau zu sprechen, sondern man
muss eher von Aufbau sprechen - sieht man, wie
schwierig es ist, zu ermessen, was diese Katastrophe für
Menschen mit Behinderungen bedeutet, die so gut wie
überhaupt keine Mittel haben, mit denen sie sich helfen
können, also Prothesen, Alltagshilfen, Rollstühle, Gehhilfen. Dort Abhilfe zu schaffen, das ist eine Riesenherausforderung.
Frau Roth, ich war vor wenigen Wochen bei der Frühjahrstagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Auf dieser Tagung war die Lage in Haiti ein zentrales Thema: Wie gehen wir mit der Entschuldung um?
Wie wollen wir beim Aufbau helfen? - Ich habe dort genau die Frage gestellt, die Sie, Frau Roth, gestellt haben,
weil sie zuvor bei der Diskussion und in der Expertenrunde keine Rolle gespielt hatte. Ich habe gefragt, ob
bekannt ist, wie viele Menschen mit Behinderungen in
Haiti nach dem Erdbeben auf Hilfe und konkrete Hilfsmittel warten. Ich war erschrocken, dass mir niemand
eine Zahl nennen konnte. Ich habe also wahrgenommen,
dass dieses Thema auch auf internationaler Ebene in vielen Köpfen nicht genügend angekommen ist.
Natürlich ist die Not riesengroß. Zahlreiche Menschen sind ohne Obdach. Es gibt viele Kranke und ein
unglaubliches Ausmaß an Zerstörung. Es gibt sehr viele
Hilfsprogramme, die jetzt aber erst umgesetzt werden
müssen. Dazu gehört auch, dass wir alles tun, um auch
bei uns Geberländern und darüber hinaus auf internationaler Ebene das Bewusstsein für die Problematik der
Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Wir als BMZ
sehen es als zentralen Punkt unserer Politik an, Mittel zu
geben, um an dieser Stelle mehr zu tun.
Aber es geht nicht nur darum, Gelder fließen zu lassen, sondern es geht auch darum, nachzuschauen, wofür
diese Gelder ausgegeben werden, wie wirksam sie sind,
welche Programme aufgelegt werden und an welchen
Programmen wir uns beteiligen. Bei den anstehenden
Konferenzen ist es wichtig - ich sagte bereits, dass die
nächste im Herbst stattfindet -, zu prüfen, wo wir stehen
und wo wir nachlegen müssen.
Seien Sie versichert, dass die Themen „Menschen mit
Behinderungen“ und „Was müssen wir tun, um deren
Situation weltweit zu verbessern?“ oben auf der Tagesordnung stehen, übrigens nicht nur im BMZ, sondern in
der gesamten Bundesregierung, denn dies ist ein übergreifendes Thema.
Weitere Nachfragen?
Ja, noch eine, Herr Präsident. - Frau Kopp, ich höre
mit Freude, dass Sie dieses Thema auf die Tagesordnung
setzen; das ist wunderbar. Die Frage ist: Ist damit zu
rechnen, dass es im Rahmen dieser internationalen Verabredungen ein Aktionsprogramm gibt? Man braucht natürlich unterschiedliche Maßnahmen - nicht nur im Bereich der sozialen Sicherung, sondern auch auf anderen
Politikfeldern -, um eine Politikkohärenz der Bundesregierung zu gewährleisten.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir größten Wert auf
eine kohärente Politik legen. Diese verfolgen wir; alles
andere ergibt keinen Sinn. Sie haben gefragt, ob diese
kohärente Politik im Rahmen von Aktionsplänen erfolgt.
Ich bin beim Thema Aktionsplan immer ein wenig vorsichtig, weil viele Aktionspläne oder Aktionen auch in
ihrer Wirkung kurzfristig sind. Ich möchte gerne, dass
wir nachhaltig handeln.
Man kann mit einer Aktion, welcher Art auch immer,
einen Auftakt machen; aber es muss immer Substanz dahinter sein. Es ist nicht so, dass wir uns kurzfristig einem
Thema widmen und dann meinen, wir müssten hierzu einen Aktionsplan ins Leben rufen, sondern uns ist wichtig, nachhaltig vorzugehen, kohärente Politik zu machen
und diese auch zu verfolgen. Ob in diesem Zusammenhang ein Aktionsplan kommen wird, kann ich Ihnen
derzeit noch nicht sagen. Wichtig ist mir, dass wir eine
effiziente und effektive Politik im Sinne der Menschen
machen, die Hilfe brauchen.
Danke schön. - Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Burkhard Lischka:
Was heißt es für den finanziellen Beitrag Deutschlands,
dass 5,1 Milliarden US-Dollar der Weltbank durch eine Kapitalerhöhung zufließen sollen, und werden die Einflussmöglichkeiten Deutschlands infolge der Stimmrechtsreform aus
Sicht der Bundesregierung beschnitten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich muss Sie jetzt zunächst einmal mit ein paar Zahlen quälen und hoffe, es
werden nicht zu viele. Bei der zurückliegenden Weltbanktagung, an der ich für den Bundesminister teilgenommen habe, wurde eine Erhöhung des Kapitals der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung,
IBRD, um insgesamt 86,2 Milliarden US-Dollar vorgenommen. Davon sind 5,1 Milliarden US-Dollar einzuzahlendes Kapital, und der Rest ist Haftungskapital.
Von dem einzuzahlenden Kapital entfallen 1,6 Milliarden US-Dollar auf eine selektive Kapitalerhöhung, die
durchgeführt wurde, um die Stimmrechte der Weltbank
anzupassen. Der Hauptteil wird von den Entwicklungsländern getragen. 3,5 Milliarden US-Dollar entfallen auf
eine generelle Kapitalerhöhung.
Über die Größenordnung der Beteiligung Deutschlands ist im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2011 und des Finanzplanes 2014 zu entscheiden.
Der Stimmrechtsanteil Deutschlands sinkt von 4,35 auf
4 Prozent - darauf kommen wir gleich noch -, wodurch
auch seine Einflussmöglichkeiten geringfügig reduziert
werden.
Wir haben diese, wie ich finde, maßvolle Kapitalerhöhung durchgeführt, um wieder ein Gesamtausleihvolumen von 15 Milliarden US-Dollar zu erreichen. Ich will
hinzufügen, dass die Weltbank im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzkrise vorübergehend nicht in der
Lage war, das Volumen, das vor der Krise Bestand hatte,
zu erreichen. Wir wollen die Weltbank in die Lage versetzen, wieder über ein solches Volumen zu verfügen.
Das Ganze geschieht nicht nur im Rahmen eines Beschlusses über eine Kapitalerhöhung - sie hat Auswirkungen auf unseren Haushalt im Umfang von rund
110 Millionen Euro, verteilt über fünf Jahre -; vielmehr
haben wir das mit einem Maßnahmenpaket verknüpft,
das die Weltbank zu internen Reformen - sie hat in ihrem
Entwurf selber bestätigt, dass sie sie umsetzen wird - und
auch zu inhaltlichen Fokussierungen zwingt. Das heißt,
die Weltbank wird ihre Projekte auf die Armutsbekämpfung fokussieren. Die Weltbank wird eine Initiative für
mehr Transparenz starten. Sie wird ihre Projekte in kürzeren Zeitabläufen als zuvor evaluieren: Wirksamkeit
und Sichtbarkeit der gezahlten Gelder sind dabei das
Ziel. Wir wollen mehr Transparenz und mehr Effektivität bei der Verwendung der Mittel.
Die Weltbank selbst ist auf dem Weg einer weiteren
Dezentralisierung, weil sie festgestellt hat - das kann ich
gut nachvollziehen; die Weltbank ist derzeit in 120 Ländern weltweit präsent -, dass sie durch Büros bzw. Außenstellen in Ländern, die Hilfe und Projektförderungen
brauchen, näher dran ist und es so viel eher möglich ist,
einzuschätzen, welcher Art die Projekte sein müssen, ob
sie sinnvoll sind und ob mehr Beratung nötig ist. Es ist
also der richtige Weg, näher an den Ländern dran zu
sein, die Hilfsprojekte benötigen. Ich habe diesen Weg
zusammen mit den Partnern aus den Geberländern, die
sonst noch mit am Tisch saßen, unterstützt und auch die
Reformen, die ich eben genannt habe, explizit eingefordert, also Erneuerungsbedarf bei der Weltbank und eine
stärkere Fokussierung auf mehr Transparenz und Evaluierung. Das ist damit auch verbunden.
Ihre nächste Frage haben Sie zur Stimmrechtsreform
gestellt. Dazu komme ich dann gleich noch.
Eine Nachfrage zu dieser Frage? - Bitte.
Herr Präsident, vielen Dank. - Frau Kopp, ich komme
auf die künftigen Reformen zu sprechen. Ich habe nach
der Frühjahrstagung der Weltbank der Presse entnommen, dass Sie gesagt haben, ein Hauptziel müsse in den
nächsten Jahren sein, dass wir ein „nachvollziehbares und
transparentes“ System der Gewichtsverteilung in der Weltbank bekommen. Verstehe ich das im Umkehrschluss richtig, dass wir dort derzeit ein intransparentes und nicht
nachvollziehbares System haben?
Schauen Sie sich einmal an, wie die Stimmrechte bislang verteilt werden - jetzt muss ich auf diesen Punkt zu
sprechen kommen, weil man das nicht diskutieren kann,
ohne darauf einzugehen -; dies geschah in einer Art und
Weise, die, wie ich jedenfalls finde, nicht nachvollziehbar
und wenig transparent war. Nehmen Sie nur einmal die
Übertragung von gut 3 Prozent der Stimmrechte: Wie
kommt man darauf? Wie wurden sie errechnet? Wie erfolgt die Übertragung? Wer wird damit gestärkt? Sie wissen, dass es darum ging, zur Stärkung der Entwicklungsund Schwellenländer über deren Basisstimmrechte hinaus gut 3 Prozent der Stimmrechte neu zu verteilen. Es
ist zwar richtig, diese Stärkung vorzunehmen - deswegen
haben wir das auch mitgetragen -, aber wie diese Stimmrechtsverteilung jetzt und auch die in der Vergangenheit
erfolgte, war nicht nachvollziehbar und nicht transparent.
Wir als Geberländer haben nun gesagt - auch darin
waren wir uns, jedenfalls die meisten, einig -: Diese
Umverteilung von 3 Prozent machen wir einmalig mit,
weil es anders schwierig wäre, einen Kompromiss zu erreichen. Es war nämlich - Herr Lischka, Sie wissen das
wahrscheinlich aus der Vergangenheit - ein unglaublich
schwieriger Prozess, diese 3 Prozent auf die schwächeren Länder überhaupt zu verlagern. Das wurde ja seit
vielen Jahren versucht; aber das scheiterte immer auf internationaler Ebene. Das jetzt Erreichte ist also schon
einmal ein Fortschritt. Weil das so ist, habe ich, auch bei
der Konferenz, gesagt: Das machen wir diesmal, aber
mit der Auflage, dass es ein einmaliger Vorgang ist und
sofort nach der jetzigen Weltbanktagung eine Systemreform auf den Weg gebracht wird.
Ich glaube, der Webfehler war, dass bislang die Stimmrechte nach der jeweiligen Wirtschaftskraft verteilt wurden, also nach der ökonomischen Potenz. Ich finde, es ist
nicht weitreichend genug, das alleine zur Grundlage der
Stimmrechtsverteilung zu machen, sondern es muss auch
einbezogen werden, welche Beiträge die Geberländer
zum IDA-Fonds, dem Fonds für die ärmsten Länder, leisten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich finde, dass nicht
nur die ökonomische Kraft eines Landes, sondern eben
auch der Beitrag eines Landes zur Finanzierung dieses
Fonds für die Ärmsten mitzählen müsste. Das müsste eigentlich bei der Stimmrechtsverteilung mitberücksichtigt
werden.
Insofern hat die deutsche Bundesregierung bzw. das
BMZ ein Pooling-Modell eingebracht und dargestellt,
welche Kriterien nach unserer Auffassung in Zukunft
zur Anwendung kommen sollten. Als wir den ersten Entwurf vorgestellt haben, ist dieser auf recht positive Reso3762
nanz gestoßen. Momentan ist noch nichts entschieden.
Wie gesagt, wir sind im Prozess der Reformierung. Aber
unbestritten ist, dass das System dringend verändert werden muss.
Sie haben ja lesen können, dass von den 3 Prozent der
Stimmrechtsanteile, die an die Schwellen- und Entwicklungsländer verteilt wurden, 2 Prozent China zugefallen
sind. China ist in dem Pool der Entwicklungs- und
Schwellenländer nun wirklich führend, was die Stimmrechte betrifft. Es verfügt nun über 4,4 Prozent der
Stimmrechtsanteile. Deutschland ist auf 4 Prozent zurückgefallen. Wir haben knapp 0,4 Prozent eingebüßt.
Die Franzosen und die Briten haben 0,55 Prozent eingebüßt, also mehr als wir. Die Japaner haben sogar mehr
als 1 Prozent abgegeben; ansonsten wäre der Kompromiss gar nicht zustande gekommen.
Nach der derzeit geltenden Austarierung der Stimmrechte rein nach den Kriterien der Wirtschaftskraft ist es
nur logisch, dass China diesen Zuwachs an Stimmenrechten bekommen hat. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Nach Überzeugung meines Hauses ist allerdings
mit dem Zuwachs an Stimmrechten auch zwingend mehr
Verantwortung verbunden - und mehr Verantwortung
heißt auch, mehr Gelder bereitzustellen.
Eigentlich hätten wir an China im Rahmen des derzeit
geltenden nicht gut nachvollziehbaren, intransparenten
Systems noch mehr Stimmrechte übertragen können.
Darüber wurde auch diskutiert. Die Chinesen haben aber
abgelehnt und gesagt, dass sie das nicht wollen. Denn
das hätte natürlich in jedem Fall bedeutet, dass China
auch mehr Geld hätte bereitstellen müssen.
Es bleibt dabei, dass für mehr Transparenz gesorgt
werden muss und wirkliche Reformen durchgeführt werden müssen. Wir wollen das System bis spätestens 2013
neu aufstellen. Ab 2015 - dann steht nämlich die nächste
Prüfung der Verteilung der Stimmrechte an - soll bereits
nach dem neuen System gehandelt werden. Ziel der
Bundesregierung ist es, die Entwicklungs- und Schwellenländer zu stärken. Das ist an dieser Stelle auch geschehen.
Ich füge eine persönliche Anmerkung hinzu: Wir werden auch darüber diskutieren müssen, wer in dem Pool
der Entwicklungs- und Schwellenländer im Endeffekt
auf Dauer bleiben kann; ich hoffe, Sie verstehen, was ich
meine. Denn wenn ein Schwellenland irgendwann de
facto kein Schwellenland mehr ist, sondern in eine höhere Kategorie aufgestiegen ist - das wünschen wir ja allen -, dann muss zur Stärkung der schwächeren Länder
auch eine andere Verteilung der Stimmrechte erfolgen.
Aber das ist Zukunftsmusik. Wir müssen erst einmal
eine Stimmrechtsreform auf den Weg bringen, und das
wird schwierig genug.
Können wir zur Frage 6 kommen?
Das können wir machen.
Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten
Burkhard Lischka auf:
Ist es bei der Frühjahrstagung der Weltbank aus Sicht der
Bundesregierung ausreichend gelungen, die Einflussverteilung zwischen Industrie- und Schwellenländern neu auszutarieren, und wie bewertet die Bundesregierung den durch die
neue Stimmverteilung festgeschriebenen hohen Machtzuwachs Chinas in der Weltbank?
Bitte schön.
Herr Präsident, Herr Lischka, ich hatte die Antwort
auf die Frage 6 eigentlich schon gegeben. Denn es geht
in dieser Frage um die Stimmrechtsreform. Ich kann
gerne noch etwas ergänzen. Aber ich habe Sie jetzt mit
so vielen Sätzen bedacht, dass ich erst einmal nachfragen möchte: Haben Sie aus Ihrer Sicht zur Frage 6 noch
eine offene Frage?
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. Ich habe
tatsächlich zwei Zusatzfragen, die die Stimmrechtsverteilung betreffen. - Einige Ökonomen haben in der
Presse die Befürchtung geäußert, dass es aufgrund der
neuen Stimmrechtsverteilung in Zukunft möglicherweise verstärkt zur Bewilligung von wirtschaftlich unsinnigen Projekten kommt. Ist das eine Befürchtung, die
Sie teilen, Frau Staatssekretärin?
Diese Befürchtung hege ich nicht aufgrund der neuen
Stimmrechtsverteilung. Ich glaube, es ist generell nötig,
sehr viel mehr darauf zu achten, wohin die Gelder fließen. Das betrifft das gesamte Engagement und die gesamte Projektarbeit der Weltbank, aber nicht nur der
Weltbank. Was unsinnige Projekte sind, das muss man
erst einmal definieren. Es kommt natürlich darauf an,
aus welchem Blickwinkel Sie das sehen.
Ich möchte Ihnen dazu sagen: Ich finde es wichtig,
bei jeder Finanzierung dieser Art nachvollziehen zu können, wohin und wofür die Gelder geflossen sind und wie
am Ende das Ergebnis aussieht. Das hat bei der Tagung
der Weltbank eine Rolle gespielt: Wir, die Geberländer,
wollen verstärkt darauf achten, dass beim Einsatz der
Mittel mehr Effizienz und Effektivität zu erkennen sind.
Ich glaube, die Weltbank hat als Erkenntnis mitgenommen, dass wir kürzere Evaluierungszeiträume fordern.
Wir kommen nur weiter, wenn die Evaluierungszeiträume verkürzt werden; denn nur so können wir schnell
genug erkennen, ob Mittel sinnvoll eingesetzt werden
oder nicht.
Die Führung der Weltbank steht jetzt enorm unter
Druck, für mehr Wirksamkeit und Effizienz zu sorgen.
Ich verspreche Ihnen: Wir werden sehr genau darauf
achten.
Weitere Nachfrage?
Ja, eine kurze Zusatzfrage. - Frau Kopp, dankenswerterweise haben Sie gerade viel zu künftigen Reformen
gesagt und uns Ihre Überlegungen zur Stimmrechtsverteilung und zur Stärkung der Mitsprachemöglichkeiten
der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Weltbank mitgeteilt. Es gibt ja den Vorschlag Brasiliens, bei
der Weltbank eine Stimmparität zwischen Nehmer- und
Geberländern herzustellen. Ist das auch aus Ihrer Sicht
ein taugliches Zukunftsszenario?
Das ist im Augenblick realistischerweise überhaupt
nicht diskutierbar. Es spielte bei der Tagung der Weltbank keine Rolle. Ich habe bei der Vorbereitung auf die
Tagung - es war für mich die erste Weltbanktagung von diesem Ansinnen gelesen und mir die Stellungnahmen dazu angeschaut. Ich kann Ihnen nur sagen, dass
eine Umsetzung auf die Schnelle im Moment nicht realistisch ist.
Die Schwellen- und Entwicklungsländer verfügen
jetzt bei der Weltbank über einen Stimmrechtsanteil von
gut 47 Prozent. Sie wissen selber, welch ein riesiger
Kraftakt über Jahre hinweg nötig war, um überhaupt den
Transfer eines Teils der Stimmrechte zustande zu bringen, also die Steigerung des Stimmrechtsanteils der
Schwellen- und Entwicklungsländer um 3 Prozentpunkte, von 44 auf 47 Prozent. Ich kann im Moment nicht beurteilen, ob es möglich sein wird, hier einen weiteren
Schritt, also eine Steigerung von gut 47 auf 50 Prozent,
in Angriff zu nehmen. Ich finde, wir müssen erst einmal
das umsetzen, was realistisch ist. Das haben wir mit dem
jetzt gefassten Beschluss getan; ich finde das gut.
Als Nächstes haben wir eine andere Reform vor uns:
Wir müssen nachvollziehbare Kriterien für die Stimmrechtsverteilung einführen. Im Zuge der Umsetzung dieser Reform werden wir uns natürlich mit der Frage beschäftigen, ob es bei der Stimmgewichtung bleibt oder
wir sie verändern. Das Thema wird dann auf der Tagesordnung stehen. Wann es dazu kommt, ist im Moment
noch nicht zu überschauen; denn auf internationaler
Ebene ist es, wie Sie wissen, immer schwierig, eine Einigung zu erreichen. Wir werden aber mit Sicherheit in
Zukunft auch über diese Stimmverteilung beraten.
Danke schön. - Wir kommen jetzt zu den Fragen 7
und 8 des Kollegen Sascha Raabe:
Wie bewerten der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Parlamentarische
Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgrund konkreter Beobachtungen und Gespräche bei ihren Auslandsreisen die Wirkung
von gebundenen und ungebundenen Budgethilfen in Entwicklungsländern, und sind sie bereit, auf Grundlage dieser Erfahrungen in diesen Ländern Budgethilfen weiterzuführen?
Wie und wann erfolgt in der EU die konkrete Abstimmung
über Budgetfinanzierungen Deutschlands und der EU-Partner
sowie des Europäischen Entwicklungsfonds entsprechend der
Pariser Erklärung über Kohärenz und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit und der Bestätigung dieser Erklärung in
Accra?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Raabe, Sie sprechen ein Thema an, das
immer heiß diskutiert wird. Im Einklang mit dem Koalitionsvertrag vergibt die Bundesregierung Budgethilfen
nur nach strengen, transparenten Kriterien und überprüft
die entsprechenden Programme fortlaufend.
Sie haben nach meinen Beobachtungen und denen des
Ministers auf Auslandsreisen gefragt. Die Reisen dienten auch dazu, uns über bestehende Budgethilfeprogramme zu informieren. Die Besuche haben gezeigt,
dass allgemeine Budgethilfen in den Ländern, in denen
es eine funktionierende parlamentarische Kontrolle, effiziente Rechnungshöfe und eine starke Zivilgesellschaft
gibt, durchaus einen Beitrag zu mehr Eigenverantwortung und verbesserter Rechenschaftslegung gegenüber
der eigenen Bevölkerung leisten können. Auch müssen
die Partner sichtbare Anstrengungen zur Verbesserung
der Situation bei den Eigeneinnahmen - Stichwort Steuerquote - vorweisen können.
Bundesminister Niebel hat bei seinen Gesprächen
deutlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, Ergebnisse
der Reformen im Rahmen der Zusammenarbeit besser zu
dokumentieren. Herr Kollege Raabe, das war heute ja
auch im Ausschuss Thema. Ich will betonen, dass wir
allgemeine Budgethilfen - davon sprechen wir ja - ohne
eine Verknüpfung mit den Zielen von Good Governance,
also guter Regierungsführung, und mit der Beachtung
von Menschenrechten als sehr problematisch ansehen.
Dort, wo es gute Strukturen gibt, kann man durchaus mit
Budgethilfen agieren.
Wir haben aber, wie Sie wissen, im Koalitionsvertrag
festgelegt, dass wir eine neue Gewichtung vornehmen
und mehr in bilaterale Projekte investieren möchten,
weil sie transparenter sind und ihre Wirksamkeit besser
festgestellt werden kann. Wir möchten nicht, dass allgemeine Finanzmittel irgendwo in Haushaltsbudgets von
Regierungen landen, die mit dem Geld nicht das finanzieren, was wir uns vorstellen, sondern den eigenen
Machterhalt, Korruption und viele Dinge mehr.
Nachfragen? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, zunächst kann man feststellen,
wie auch Sie auf Ihren gemeinsamen Auslandsreisen mit
dem Minister beobachtet haben, dass die Budgethilfe,
die Deutschland leistet bzw. geleistet hat - wir haben ja
auch zuvor nur Budgethilfe geleistet, wenn die Rahmenbedingungen gestimmt haben -, in der Tat zu einer Verbesserung der Situation in den Ländern geführt hat. Es
ist auch legitim, von anderen Gebern zu fordern, ihre
Programme in Ländern, wo die Rahmenbedingungen
nicht gegeben sind, anzupassen - wohlgemerkt nicht
Deutschland; denn wir haben in der Vergangenheit nicht
mit solchen Ländern zusammengearbeitet. Aber es gibt
doch einen Unterschied zwischen einer derartigen differenzierten Kritik und - ich befürchte, dass Sie mir, wahrscheinlich berechtigterweise, wieder mangelnde Wertschätzung dem Minister gegenüber vorwerfen - einer
pauschalen Kritik, wie sie unser Minister leider häufig
übt nach dem Motto: Steuergeld wird in irgendwelchen
Haushalten von Despoten verschwendet, indem diese
sich goldene Paläste bauen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass solche pauschalen Verurteilungen unserem
gemeinsamen Anliegen, das wir verfolgen sollten, schadet?
Weiter frage ich Sie: Warum haben Sie im Koalitionsvertrag eine Reduzierung der entsprechenden Mittel vorgesehen? Gehen Sie etwa davon aus, dass alle Entwicklungsländer immer schlechter und korrupter werden? Sie
haben anscheinend nicht die Hoffnung, dass es besser
wird. Wenn Sie davon ausgingen, dass die Rahmenbedingungen besser würden, dann müssten Sie es doch offenlassen, ob Sie das Instrument ausweiten oder reduzieren, statt die Stammtischmentalität zu bedienen und zu
sagen: Das wird jetzt einfach einmal gekürzt. Vor Ort
stellen Sie dann aber fest, dass die Mittel eigentlich weiterhin gezahlt werden sollten.
Herr Kollege Raabe, es ist doch unumstritten und
auch belegt, dass wir es in der Vergangenheit gerade auf
dem afrikanischen Kontinent vielfach erlebt haben, dass
allgemeine Budgethilfen nicht transparent und werteorientiert verwendet wurden, sondern in irgendwelchen
Kanälen verschwunden sind. In Afrika haben über viele
Jahre und Jahrzehnte hinweg Hilfen in Milliardenhöhe
häufig nicht den Nutzen gebracht, den wir uns eigentlich
erhofft hatten. Das heißt: Es gibt viele Beispiele dafür,
dass allgemeine Budgethilfen ohne Verknüpfung mit
Qualitätskriterien und Prüfungen im Vorfeld häufig zum
Fenster hinausgeworfenes Geld war, das nicht zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Ärmsten, für die
es eigentlich gedacht war, beigetragen hat. Genau das
hat auch der Minister gesagt, indem er als Ziel formuliert
hat, bessere Verhältnisse zu schaffen. Ich habe doch eben
sehr differenziert argumentiert - das meine ich jedenfalls -, als ich ausgeführt habe, dass die Budgethilfen,
sofern sie mit der Einhaltung bestimmter Werte verknüpft sind, an der einen oder anderen Stelle auch sinnvoll sein mögen.
Im Koalitionsvertrag sagen wir nun bei der Frage der
Austarierung von multilateralen und bilateralen Strukturen nicht, dass wir gar keine multilateralen Förderungen
mehr wollen, vielmehr haben wir uns dafür ausgesprochen, einen größeren Schwerpunkt im bilateralen Bereich zu setzen. Wir haben nicht gesagt, dass wir ohne
multilaterale Strukturen auskommen wollen, vielmehr
geht es - das will ich deutlich sagen - um die Gewichtung und um die Verantwortung, die die gesamte Bundesregierung, aber mein Haus ganz besonders, dafür hat,
dass die Steuermittel, die wir ausgeben, so verantwortbar
wie irgend möglich eingesetzt werden und Wirkung entfalten können, hier also Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Das muss mit Qualitätskriterien verbunden sein. Einfach
nur auf Cashflow zu setzen und dann zuzuschauen, was
daraus wird, das können wir uns nicht leisten.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, das ist genau das, was ich
meine. Sie reden von Cashflow und darüber, dass man
nicht darauf schaut, was passiert. Sie reden reichlich nebulös über Milliarden, die angeblich versickert sind, und
über Länder, in denen alles ganz schlimm gelaufen ist.
Ich frage Sie konkret - denn es geht um deutsche Steuergelder -: Welches Land hat die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren mit Budgethilfe unterstützt,
bei dem es Ihrer Meinung nach keine Verknüpfung mit
Kriterien gab? Wo haben wir nicht reagiert, als die Partnerländer die Bedingungen nicht erfüllten? Wo ist der
Cashflow in Ländern, bei denen überhaupt nicht geschaut wurde, was mit dem Geld passiert ist?
Ich finde, wenn man so etwas behauptet, ist das auch
eine Beleidigung unserer Durchführungsorganisation
und der Menschen, die vor Ort arbeiten. Ich frage Sie
ganz konkret: In welchen Ländern haben Sie vor Ort die
von Ihnen beschriebenen Erfahrungen gemacht? Nennen
Sie doch die Namen der Länder, in denen in den letzten
Jahren die deutsche Budgethilfe in Form von Cashflow
herübergeschoben wurde und dann versickerte bzw. verschwendet wurde, weil man sich nicht darum gekümmert hat. Wir reden nicht über andere Geber, sondern
über Deutschland.
Ich möchte Ihre Frage positiv beantworten, Herr
Raabe, und Ihnen sagen, welchen reformdynamischen
Niedrigeinkommensländern Deutschland Budgethilfe leistet. Als Beispiele nenne ich Länder in Subsahara-Afrika:
Burkina Faso, Ghana, Mali, Malawi, Mosambik,
Ruanda, Sambia, Tansania und Uganda. Die Budgethilfe
für Benin ist derzeit ausgesetzt. Wie Sie wissen, beobachten wir auch genau, was in Uganda passiert. Bekanntermaßen gibt es dort eine parlamentarische Initiative, Homosexualität mit der Todesstrafe zu belegen.
Bundesminister Niebel hat, wie Sie der Presse sicherlich
entnommen haben, den Botschafter Ugandas zu sich beParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
stellt und gesagt, die Bundesregierung erwarte, dass sich
die Regierung Ugandas davon distanziere, und über entsprechende Schritte nachdenken werde, wenn dies nicht
geschehe. Die Umsetzung dieser Art von Werteorientierung hat schon Wirkung gezeigt. Wie Sie wissen, hat
sich die Regierung Ugandas von dieser Initiative distanziert. Wie es dort in dieser Frage weitergeht, müssen wir
beobachten.
Wir haben jedenfalls die Aufgabe, bei der Finanzierung von Budgets genau darauf zu achten, wohin die
Gelder fließen. Es gibt verschiedene Gutachten - ich
kann aus ihnen jetzt nicht zitieren, weil ich sie nicht dabeihabe; täte das aber gerne -, die belegen, dass in der
Vergangenheit sehr viele Gelder in Kanäle geflossen
sind, die zu fördern nicht in unserem Sinne sein kann.
Neben der allgemeinen Budgethilfe gibt es ja noch
die sektorale Budgethilfe. Aus unserem Programm für
die Sektorbudgethilfe erhalten Peru, Ruanda und Äthiopien eine zweckgebundene Unterstützung für die Sicherung sozialer Grunddienste. Für den Senegal und Madagaskar bestehen Budgethilfezusagen. Allerdings ist es
hier noch nicht zu einer Auszahlung gekommen. Eine
Ausweitung des Länderkreises ist zurzeit nicht geplant.
Ich kann Ihnen sagen, dass in Kürze eine erneute Prüfung und Evaluierung betreffend die Fortführung von
Budgethilfen und Budgethilfeprogrammen stattfinden
werden, um zu sehen, wo wir stehen, ob wir auf dem
richtigen Weg sind, wo wir nachjustieren müssen und
welche weiteren politischen Schritte wir gehen müssen.
Seien Sie versichert: Wir sind darauf aus, die uns anvertrauten Gelder so verantwortlich wie irgend möglich zur
Verbesserung der Lebensverhältnisse in den ärmsten
Ländern einzusetzen.
Danke schön. - Wir kommen damit zu den Fragen 9
und 10.
({0})
- Ich dachte, Frage 8 sei schon mitbeantwortet.
({1})
Bitte schön, Frau Kopp, zur Abstimmung über die
Budgetfinanzierungen.
Herr Präsident, auch ich meine, dass diese Frage
schon teilweise mitbehandelt wurde, wenn auch nur am
Rande.
Die Mitgliedstaaten stimmen ihre Budgethilfeentscheidungen mit der EU-Kommission und mit anderen
Mitgliedstaaten auf Ebene des zentralen, kontinuierlichen Austausches zwischen Länderabteilungen, Expertengruppen und Budgethilfe auf EU-Ebene sowie vor
Ort unter Beachtung der jeweiligen nationalen Entscheidungskompetenz ab. Die Koordinierung von Budgethilfeprogrammen ist insbesondere in den Ländern, in denen
sich auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit an
der Budgethilfe beteiligt, intensiv. Hier bestehen Möglichkeiten zur konkreten gemeinsamen Positionierung
als EU in den Budgethilfegruppen vor Ort sowie im Rahmen des Politikdialogs mit den Partnerländern.
Beim Europäischen Entwicklungsfonds sind die Mitgliedstaaten ebenso wie bei den anderen Außenhilfeinstrumenten an allen Budgethilfeentscheidungen der
EU-Kommission beteiligt. Die Beteiligung der Mitgliedstaaten erfolgt sowohl im Rahmen der jeweiligen Länderprogrammierung in Brüssel als auch im Rahmen der
Vorbereitung und Durchführung vor Ort.
Im Zuge der Umsetzung der Schlussfolgerungen des
Rates zu Aid Effectiveness vom November 2009 haben
Kommission und Mitgliedstaaten insbesondere auf deutsche Initiative hin einen Dialog zur Ausarbeitung eines
koordinierten Ansatzes bezüglich Budgethilfen begonnen. Entsprechend der Pariser Erklärung und des AccraAktionsplans geht es darum, den gemeinsamen Politikdialog, das konkrete Design von Budgethilfeprogrammen sowie die Evaluierung der erzielten Ergebnisse stärker untereinander abzustimmen mit dem Ziel, ein
möglichst einheitliches Auftreten der EU vor Ort zu sichern.
Bitte schön, Kollege Raabe. Wollen Sie nachfragen?
Gerne, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, die
Frage zielte darauf ab, dass wir in der Pariser Erklärung
und der Erklärung von Accra auf internationaler Ebene
mit ganz vielen anderen Gebern vereinbart haben, dass
sich die Geber zur Effizienzsteigerung auf gemeinsame
Programme in Entwicklungsländern einigen sollen, und
zwar auch im Rahmen allgemeiner und sektoraler Budgetfinanzierung, damit sich nicht 100 oder 150 Geber bei
den Ministerien die Klinke in die Hand geben und damit
Kräfte gebunden werden, die besser zur Armutsbekämpfung verwendet werden könnten. Ich frage Sie, ob sich
diese Bundesregierung noch daran hält. In Ihren Koalitionsvertrag, auf den Sie ja auch eingegangen sind, haben Sie nämlich genau das Gegenteil von dem, was international vereinbart wurde, hineingeschrieben. Sehen
Sie nicht die Gefahr, dass sich Deutschland international
immer stärker isoliert, wenn weitere Evaluierungen, die
wir meiner Meinung nach gar nicht brauchen, gefordert
werden? Oder geht es der Bundesregierung vielleicht
eher darum, wieder ganz viele deutsche Fahnen aufzustellen, anstatt das Geld gemeinsam mit anderen wirklich für die Ärmsten der Armen effizient einzusetzen,
wie es international vereinbart wurde? Halten Sie sich
also noch an diese Vereinbarungen?
Nichts gegen deutsche Fahnen!
({0})
Herr Kollege Raabe, Ihre Sichtweise kann ich nicht
teilen; das sage ich ausdrücklich. Ich habe mehrere Entwicklungsministertreffen auf EU-Ebene mitgemacht,
auch zu dem Thema Budgethilfen. Unsere Skepsis, was
die transparente und werteorientierte Verwendung von
Budgethilfen betrifft, teilt eine große Zahl anderer EUPartner. Ich war erstaunt, weil auch ich bisher dachte,
dass neben uns Deutschen nur einige wenige Partner ein
wenig kritischer draufschauen. Nein, das ist nicht so. Es
gibt viele Länder in unserer EU, die diese Bedenken teilen. Auch diese Länder sagen: Wir wollen eine größere
Effizienz bei der Verwendung der Mittel; wir müssen
dringend genauer hinschauen. Genau das Gegenteil von
dem, was Sie gesagt haben, ist der Fall. Wir isolieren uns
nicht. Es ist vielmehr so, dass die Bedenken, die Minister Niebel und ich formuliert haben, auf EU-Ebene zum
großen Teil geteilt wurden.
Was nicht sein darf, ist Folgendes - auch darüber
wurde gesprochen -: Wenn die Mitgliedstaaten mit Projekten begonnen haben, dann aber zu der Erkenntnis
kommen, dass für den verantwortbaren Mitteltransfer
die Voraussetzungen fehlen, zum Beispiel, weil die Prinzipien von Good Governance nicht eingehalten werden
oder keine einigermaßen verlässlichen Strukturen vor
Ort vorhanden sind, dann kann es nicht sein, dass die
EU-Kommission die Finanzierung fortsetzt. Ich finde, es
kann nicht angehen, dass sie dann zwar die Mittel beispielsweise für zwei Jahre aussetzt, aber den Gesamtbetrag nach drei Jahren plötzlich doch ausbezahlt.
Wir sagen, dass uns gute Regierungsführung, Beachtung von Menschenrechten, Transparenz der Mittel,
staatliche Strukturen, die einen verantwortlichen Umgang mit dem Geld überhaupt vermuten lassen, und viele
Dinge mehr wichtig sind. Wenn all das aber nicht gegeben ist, kann man in solche Projekte eigentlich nicht einsteigen. Dann muss man sich sehr genau überlegen, was
man tut. Wir sind auch mit der EU-Kommission sehr kritisch umgegangen. Wir haben gesagt: Wenn wir zu dem
Ergebnis kommen, dass ein bestimmtes Projekt nicht
förderfähig ist, weil es nicht werteorientiert ist, möchten
wir nicht, dass die EU-Kommission dann anders handelt.
Kohärentes Handeln auf EU-Ebene ist uns wichtig. Dafür treten wir auch ein.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, die Abgeordneten und das Publikum haben das Anrecht auf eine wahrheitsgemäße
Beantwortung der Fragen. Sie haben es eben so dargestellt, als habe in der Paris-Deklaration und in der Erklärung von Accra - ich selbst war bei der Konferenz in
Accra dabei - die Meinung vorgeherrscht, dass das Instrument der Budgethilfe nicht ausgeweitet werden soll.
Natürlich muss dieses Instrument kontrolliert werden.
Aber ich frage Sie - ich kann übrigens gut lesen -: Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass in der Erklärung
der EU von Paris und in der Accra-Erklärung steht, wir
sollen das Instrument der Budgethilfe zurückfahren und
beschneiden, wie Sie es in Ihrem Koalitionsvertrag formuliert haben? Das, was Sie jetzt angeblich in Gesprächen auf EU-Ebene erfahren haben, ist jedenfalls nicht
der Stand dieser Erklärungen. Ich würde Sie bitten, mir
diese Passagen zu nennen. Dabei muss es sich um ein
Geheimpapier handeln, aber nicht um den offiziellen
Text der Erklärungen von Accra und Paris.
Herr Kollege Raabe, weil auch ich bei der Wahrheit
bleiben möchte, will ich darauf hinweisen, dass die Erklärungen, die Sie gerade zitiert haben, auch und insbesondere auf bestimmten qualitativen Werten beruhen.
Das heißt, es steht nirgendwo, dass Geld gezahlt werden
soll, ohne dass die notwendigen Voraussetzungen dafür
erfüllt sind.
Ganz im Gegenteil, es gibt genügend korrupte Regierungen, die mit Geldern, die eigentlich entwicklungsorientiert eingesetzt werden sollen, Armeen finanzieren.
Das wollen wir nicht. Da kann man doch nicht sagen:
Das ist vielleicht eine Petitesse. Wir wollen so weitermachen. - Nein, es muss so sein, dass die Gelder, die wir
geben, wirklich bei denen ankommen, die sie nötig haben. Wir dürfen durch unsere Finanzierung nicht die
Beibehaltung von Strukturen, die eigentlich längst nicht
mehr gefördert werden dürften, mitverantworten. Wir
brauchen Regierungen, die sich gegenüber ihrer eigenen
Bevölkerung verantwortlich verhalten, um deren Existenz zu sichern und nicht die eigene Macht. Ich kann Ihnen nur sagen: Hier wird und wurde in der Vergangenheit häufig genug falsch gehandelt. Wir wollen dieser
Fehlentwicklung, ob Sie es richtig finden oder nicht, mit
aller Macht entgegenwirken.
Wir kommen nun zur Frage 9 der Kollegin Dr. Bärbel
Kofler:
Welche zusätzlichen Anstrengungen bzw. inhaltlichen Änderungen hat das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung im Vergleich zu den Vorjahren im Themenschwerpunkt „Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz“ unternommen, und mit welchen Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit kooperiert
es derzeit in diesem Themenschwerpunkt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kofler, das Thema „Erneuerbare Energien in der Entwicklungszusammenarbeit“ ist ein sehr
wichtiges. Die Bundesregierung und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung planen in 2010 bedeutende zusätzliche finanzielle
Anstrengungen zur Förderung von Klima- und Umweltschutz einschließlich der Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Anpassung an die unvermeidlichen
Folgen des Klimawandels.
Als Teil der von der Bundesregierung auf dem Kopenhagener Klimagipfel zugesagten Fast-Start-Finanzierung von insgesamt 1,26 Milliarden Euro im Zeitraum
von 2010 bis 2012 werden für diese Zwecke im Einzelplan 23 - Sie kennen das sicher - Mittel vorgesehen,
welche in 2010 im Vergleich zum Basisjahr 2009 um
205 Millionen Euro steigen.
Inhaltliche Änderungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit werden sich vor allem durch die
im Juli 2009 beschlossene Einführung der obligatorischen Klimaprüfung für Maßnahmen der bilateralen
finanziellen und technischen Zusammenarbeit ergeben.
Die Leitlinien orientieren sich an den internationalen
Vorgaben der OECD. Umweltpolitik, Schutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen sind derzeit
- Stand: Januar 2010 - Schwerpunkt der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit 19 Partnerländern, mit
weiteren neun Ländern im Rahmen regionaler thematischer Kooperationsprogramme. Ich will Ihnen ein paar
Beispiele nennen: im Bereich Mittelmeer, Naher Osten
und Mittlerer Osten Ägypten und Marokko; im Rahmen
regionaler thematischer Kooperationsprogramme Algerien und Tunesien; in Afrika südlich der Sahara Benin,
Kongo, Kamerun, Madagaskar und Mauretanien; in
Asien und Ozeanien Indien, Indonesien, die Mongolei
und Vietnam; in Lateinamerika Brasilien, Ecuador und
Honduras. Hinzu kommen viele weitere Länder.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke. - Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf die zusätzlichen Mittel, die im Einzelplan 23
sein sollen, zu sprechen kommen. Sie haben den Kopenhagen-Akkord zitiert, nach dem - zu Recht - in den
Haushalten für die nächsten drei Jahre und damit auch
im Haushalt 2010 jeweils ungefähr 400 Millionen Euro
vorzusehen sind.
Jetzt sprechen Sie von 205 Millionen Euro, die im
Einzelplan 23 zusätzlich vorhanden sein sollen. Deshalb
meine Nachfrage: Wo finden sich diese 205 Millionen
Euro? Können Sie mir im Bereich der finanziellen und
technischen Zusammenarbeit Vergleichszahlen aus dem
Jahre 2009 nennen, damit wir sehen können, wie sich die
Zahlen entwickelt haben? Der eine Titel, den es im Einzelplan 23 gibt - Klimaschutz in den Entwicklungsländern -, umfasst 35 Millionen Euro, aber nicht 205 Millionen Euro. Also müssten die übrigen 170 Millionen
Euro in anderen Titeln versteckt sein. Daher hätte ich
zum Vergleich gerne die Zahlen aus dem Jahre 2009.
Frau Kollegin Kofler, ich kann Ihnen Zahlen aus dem
Haushalt für 2010 nennen. Ich sprach eben davon, dass
Mittel im Umfang von 205 Millionen Euro eingestellt
sind. Diese Mittel verteilen sich wie folgt: jeweils rund
85 Millionen Euro für die bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit sowie für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, hier vor allem für die Klimainvestitionsfonds bei der Weltbank.
Mit der Entscheidung des Haushaltsausschusses vom
März dieses Jahres - neugeschaffene Titel für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern - finden Sie
im Kap. 2302 Tit. 687 05 Mittel in Höhe von 35 Millionen Euro, die sich noch in der Programmierung befinden. Diese Mittel sollen vor allem für bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit verwendet
werden.
Zielgröße für das bilaterale Engagement 2010 im Klimabereich Minderung und Anpassung sind laut BMZPlanung 930 Millionen Euro. Hinzu kommen die multilateralen Mittel. Bereits im letzten Jahr hat das BMZ im
Anschluss an die Zusage von Bundeskanzlerin Merkel
auf der UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt im Juni
2008 in Bonn 223 Millionen Euro für Biodiversität und
Walderhalt zugesagt. Damit wurde das deutsche Engagement gegenüber 2008 um rund 30 Prozent gesteigert.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Ich finde die Frage der Zusätzlichkeit so nicht beantwortet. Es erstaunt mich schon, dass Sie, wenn ich nach
dem Vergleich der Zahlen von 2009 und 2010 frage, nur
Zahlen des Jahres 2010 nennen. Die spannende Frage
wäre doch, in welchem Bereich die Mittel erhöht wurden.
Es gab Anfang des Jahres Aussagen des Ministers, in
denen er sich von dem Kopenhagen-Akkord nicht übermäßig begeistert gezeigt hat, und auch in der Presse war
nicht von einem großen Engagement in diesem Bereich,
von Mittelaufwüchsen im Einzelplan 23, zu lesen. Wie
wollen sich das BMZ und der Minister, aber auch Ihre
Person engagieren? Werden Sie die Mittel für den Klimaschutz im Haushalt 2011 erhöhen, und wie soll das
ausgestaltet werden? Wie werden die Mittel explizit für
den Klimaschutz in Entwicklungsländern steigen? Bei
400 Millionen Euro im letzten Jahr - Vergleichszahlen
wurden gerade nicht genannt - liegt für mich ehrlich gesagt der Schluss nahe, dass wir in diesem Bereich mehr
als diese Summe einbringen müssten.
Ich würde auch gerne wissen, wie die Abstimmung
mit dem Umweltressort in diesem Bereich erfolgt. Denn
in beiden Ausschüssen wird immer wieder auf den jeweils anderen Ausschuss verwiesen und darauf hingewiesen, dass neue Mittel nicht allein im eigenen Ressort
eingestellt werden. Mich interessiert deshalb die Gesamtsumme und die Zusammenschau.
Frau Kollegin Kofler, die Vergleichszahlen 2009
würde ich Ihnen gerne nachliefern, wenn Sie einverstan3768
den sind. Denn ich habe sie jetzt nicht parat. Aber ich
liefere sie Ihnen gerne nach.
Selbstverständlich gleichen wir unsere Initiativen
auch ressortübergreifend ab. Das heißt, Klimaschutzmaßnahmen sind sowohl im BMU als auch bei uns im
BMZ entsprechend verankert. Dabei gibt es auch ein kohärentes Verfahren. Unabgestimmte Maßnahmen gibt es
nicht.
Was den Klimagipfel in Kopenhagen und die, wie Sie
es ausgedrückt haben, sehr zögerlichen oder eher negativen Äußerungen von Minister Niebel betrifft, sind wir
uns, glaube ich, einig, dass dieser Klimagipfel enttäuschend verlaufen ist. Wir sind doch davon ausgegangen,
dass es ein substanzielles Ergebnis im Sinne eines Vertrages geben könnte, an dem alle mitwirken können.
Dies war aber nicht möglich. Das haben wir zur Kenntnis genommen.
Ich finde, wir sollten nicht weiter zurückblicken. Dieser Tage hat in Bonn die Petersberger Konferenz stattgefunden, bei der Vertreter von rund 50 Ländern mit am
Tisch saßen, um den Klimagipfel im November in Cancún vorzubereiten. Das Ergebnis liegt mir noch nicht
vor, aber ich glaube, dass alle teilnehmenden Länder
durch internationalen Druck auf uns alle zu einem wie
auch immer gearteten Ergebnis mit Substanz beitragen
wollen.
Ich denke, dass wir im November erneut die Möglichkeit haben, das, was in Kopenhagen nicht optimal gelaufen ist, entsprechend zu korrigieren, ohne die Erwartungen zu hoch zu schrauben. Wie gesagt, es kommt auf
internationaler Ebene darauf an, dass sich alle einig sind.
Das ist immer die Schwierigkeit. Man muss am Ende
meist Kompromisse schließen und kann nie 100 Prozent
erreichen.
Lassen Sie uns nach vorne blicken und uns bemühen,
gemeinsam zu einem substanziellen Ergebnis zu kommen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann.
Bevor ich die nächste Nachfrage aufrufe, gestatten
Sie mir einen Hinweis. In Anbetracht der Tatsache, dass
wir noch ganze 25 Minuten für die Fragestunde haben,
bitte ich die Kolleginnen und Kollegen um kurze, präzise Fragestellungen,
({0})
sodass es dann wiederum der Bundesregierung ermöglicht wird, kurz und präzise zu antworten, damit wir auch
den anderen Kolleginnen und Kollegen noch die Möglichkeit zu einer Nachfrage geben können.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Raabe das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will eine kurze
Frage stellen, die auch einfach mit Ja beantwortet werden kann, Frau Staatssekretärin. Es hielt mich nicht mehr
auf dem Stuhl, als Sie sagten, der Klimaschutzgipfel in
Kopenhagen sei ein Erfolg gewesen, und falls nicht,
dann habe es daran gelegen, dass international keine Einigkeit erzielt wurde. Stimmen Sie mir zu, dass die Bundeskanzlerin auf diesem Gipfel 420 Millionen Euro für
Klimaschutzmaßnahmen versprochen und dieses Versprechen in diesem Haushalt eiskalt gebrochen hat, indem nur 70 Millionen Euro eingestellt wurden? Sie hat
also die Weltgemeinschaft um 350 Millionen Euro belogen. Stimmen Sie mir auch zu, dass dies genauso ein
Wortbruch ist, der internationale Glaubwürdigkeit kostet, wie die Tatsache, dass sie das Versprechen gebrochen hat, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in
diesem Jahr auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
zu steigern? Sie können einfach mit Ja antworten. Dann
können wir weitermachen.
Ich wähle die Freiheit, schlicht und ergreifend Nein
zu sagen. Nein, Sie haben nicht recht.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Kofler auf:
Welche bilateralen und multilateralen Programme/Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden im
Bereich der erneuerbaren Energien gefördert, und wie verhält
sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu Anfragen von Partnerländern zur
Förderung von Vorhaben im Bereich der Atomenergie?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank. - Ich will es etwas abkürzen. Das BMZ
unterstützt derzeit im Bereich der erneuerbaren Energien
83 Programme in 40 Ländern.
Das Volumen der in Durchführung befindlichen Erneuerbare-Energien-Programme beträgt 773 Millionen
Euro. Mit 16 Ländern hat das BMZ einen Energieschwerpunkt vereinbart. Diese Länder sind Afghanistan,
Albanien, Bangladesch, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Indien, Kosovo usw. Bei den Regierungsverhandlungen mit Südafrika am 9. April 2010 in Pretoria hat
das BMZ beispielsweise 60 Millionen Euro für Maßnahmen im Bereich der erneuerbaren Energien zugesagt.
Diese Liste könnte ich erweitern, erspare mir es jetzt
aber aufgrund der knappen Zeit.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich möchte meine Nachfrage gern zu dem Bereich
stellen, den Sie in Ihrer Antwort jetzt elegant umgangen
haben. Es geht um die Haltung des BMZ zur Atomenergie und zur Förderung von Projekten im Bereich der
Atomenergie. Der Hintergrund ist: In der letzten Legislaturperiode hatten wir bereits die Diskussion über die
Hermesbürgschaften zum Beispiel für brasilianische
Atomkraftwerke. Das BMZ hat sich damals vehement
gegen solche Hermesbürgschaften gestemmt. Mich
würde interessieren, wie sich das BMZ in solchen Fragen in Zukunft verhält oder auch in den letzten Wochen
schon verhalten hat und wo es einen Konflikt mit der
eben beschriebenen Förderung der erneuerbaren Energien sieht.
Das kann ich mit dem einfachen Satz beantworten,
dass dem BMZ keine formellen Anforderungen vorliegen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Dann frage ich nach: Hat das BMZ zu den beschlossenen Ausfallbürgschaften für das brasilianische Atomkraftwerk eine Meinung, und äußert es diese Meinung
auch im Kabinett?
Natürlich haben wir Meinungen, und die äußern wir
auch. Das ist völlig klar.
({0})
Noch einmal: Das Projekt, das Sie eben erwähnt haben,
ist kein neues. Wir haben im Augenblick keinerlei Diskussions- oder gar Entscheidungsbedarf, weil uns keinerlei Anfragen vorliegen.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung
steht der Staatsminister Eckart von Klaeden zur Verfügung. Die Frage 11 der Kollegin Tabea Rößner und die
Fragen 12 und 13 der Kollegin Angelika Krüger-Leißner
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht die Staatsministerin
Cornelia Pieper zur Verfügung. Die Frage 14 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 15 der Kollegin Heike
Hänsel:
Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Empfehlung
von Menschenrechtsorganisationen und EU-Abgeordneten, die
anlässlich der jüngsten Enthüllungen über das Vorgehen des
kolumbianischen Geheimdienstes DAS gegen Menschenrechtler, Nichtregierungsorganisationen und EU-Politiker, welche
die Menschenrechtssituation in Kolumbien anprangern ({0}), fordern, dass das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien auf keinen Fall unterzeichnet werden darf, bevor diese Affäre vollständig aufgeklärt ist?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich unabhängig von den jetzt vorgebrachten Vorwürfen seit
längerem dafür eingesetzt, dass das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien sowie Peru und
gegebenenfalls später auch Ecuador und Bolivien klare
Menschenrechtsverpflichtungen enthält, deren Verletzungen sanktionierbar sind. Das Abkommen erklärt bereits in seinem ersten Artikel die Einhaltung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und der allgemeinen
Rechtsstaatsprinzipien zu einem essenziellen Element.
Es ist eigentlich ungewöhnlich, so etwas in ein Freihandelsabkommen aufzunehmen, aber das macht deutlich,
dass es der Bundesregierung in diesem Fall sehr wichtig
war. Die Bundesregierung hat daher keine Bedenken gegen die Paraphierung des Abkommens durch die Europäische Kommission. Zu den im genannten Artikel der
taz beschriebenen Aktivitäten des DAS liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Staatsministerin. - Soll das heißen, dass Sie keinerlei Information haben, während eine
Zeitung ausführlich berichtet, dass der kolumbianische
Geheimdienst ein Büro in Europa unterhält und systematisch die Arbeit von Europaparlamentariern überwacht,
gleichzeitig gezielt mit Propaganda versucht, die Menschenrechtsarbeit im Europäischen Parlament zu beeinflussen, und dies nach Kolumbien rückmeldet? Diesen
Informationen müssen Sie doch in irgendeiner Weise
nachgehen. Meine konkrete Frage lautet: Wie reagiert
die Bundesregierung auf diese Meldungen?
In der Tat nehmen wir solche Meldungen ernst. Wir
sind ihnen nachgegangen. Ich kann Ihnen sagen: Die
Bundesregierung hat keinerlei Hinweise darauf, ob und
gegebenenfalls in welchem Umfang der DAS in Ländern
der Europäischen Union nachrichtendienstliche Operationen gegen Zivilpersonen, Nichtregierungsorganisationen oder Einrichtungen der Europäischen Union durchgeführt hat.
Im Übrigen ist uns das Thema Menschenrechte sehr
wichtig. Das habe ich hier schon zum Ausdruck gebracht. Die Bundesregierung weiß natürlich, dass der zivile kolumbianische Nachrichtendienst DAS nach einer
Entscheidung der Regierung Uribe unter anderem auch
aufgrund eines seit Monaten anhaltenden Abhörskandals
aufgelöst und unter Beschränkung auf die Kernkompetenzen Aufklärung, Spionageabwehr und Migrationskontrolle neu aufgebaut werden soll. Wir unterstützen
natürlich diese Reformbestrebungen der kolumbianischen Regierung, die wir positiv beurteilen.
Die Regierung selbst hat das Büro der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte in Bogota gebeten, diese
Reform zu begleiten. Für die Fortsetzung dieser Reformen durch die neue Regierung sorgen neben der Beteiligung regierungsunabhängiger Stellen wie der obersten
Disziplinarbehörde auch das große Interesse der Medien
vor Ort und nicht zuletzt die erfolgreiche Einbeziehung
internationaler Akteure wie die bereits erwähnte Hochkommissarin für Menschenrechte.
Frau Abgeordnete, die Zeitungsmeldungen beunruhigen Sie zu Recht. Aber ich bitte Sie darum, zur Kenntnis
zu nehmen, dass wir ihnen nachgegangen sind, und sich
auch auf die Ergebnisse der Recherche der Bundesregierung zu stützen. Wir alle im Parlament handeln verantwortungsvoll und sollten uns daher nicht einseitig nur auf
Zeitungsberichte, gerade was die deutsche Außenpolitik
anbelangt, stützen, sondern eine genaue Recherche vornehmen. Uns allen sind die Menschenrechtsfragen weltweit wichtig. Deswegen wird die Bundesregierung die
Entwicklung weiter beobachten.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Mich würde noch interessieren, in welchem Umfang
Sie recherchiert haben. Haben Sie zum Beispiel auch recherchiert, ob der kolumbianische Geheimdienst in
Deutschland in ähnlicher Weise agiert und auch hier die
Arbeit von Parlamentarierinnen und Parlamentariern dokumentiert? Gibt es von Ihrer Seite diesbezüglich irgendwelche Erkenntnisse? Sind Sie in irgendeiner Weise
aktiv geworden? Wenn nein, würde mich interessieren,
weshalb nicht.
Ich kann nur sagen, dass die Bundesregierung allumfassend keine Hinweise hat, ob und gegebenenfalls in
welchem Umfang der DAS in Ländern der Europäischen
Union - dazu gehört auch Deutschland - nachrichtendienstliche Operationen gegen Zivilpersonen, Nichtregierungsorganisationen usw. durchgeführt hat. Ich bitte
Sie einfach, dies zur Kenntnis zu nehmen. Die Ergebnisse im Detail vorzutragen, ginge aus meiner Sicht zu
weit.
Ich bitte Sie daher noch einmal, Frau Abgeordnete,
sich nicht nur auf Zeitungsmeldungen zu berufen, sondern im Detail dem zu vertrauen, was wir Ihnen hier vorlegen. Wir sind sehr daran interessiert, dass die Reformen in Kolumbien vorangehen. Dazu gehört auch die
Reform des Geheimdienstes DAS.
Wir sind zuversichtlich, was die Entwicklung in diesem Land anbelangt. Sie wissen, dass in Kolumbien
demnächst, am 30. Mai 2010, Präsidentschaftswahlen
anstehen und dass Präsident Uribe unter anderem die
Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 26. Februar
2010 gegen ein Referendum respektiert hat, das ihm ein
drittes Mandat ermöglicht hätte. Das Verhalten der Regierung zeigt, dass es dort inzwischen relativ stabile Verhältnisse gibt und dass man Vertrauen in die demokratischen Institutionen des Landes gewinnen kann.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Ströbele das
Wort.
Frau Kollegin, ich will Sie und schon gar nicht die
Bundesregierung auf Zeitungsrecherchen reduzieren.
Deshalb rate ich der Bundesregierung, über ihre Botschaft in Bogota mit der Staatsanwaltschaft in Kolumbien Kontakt aufzunehmen. Die Staatsanwaltschaft in
Kolumbien, die das Büro des Geheimdienstes DAS
durchsucht hat, beschlagnahmte dort eine ganze Reihe
von Unterlagen. Auf einer dieser Unterlagen findet sich
ein handschriftlicher Vermerk, der auf deutsche Nachrichtendienste Bezug nimmt.
Ich frage Sie: Ist die Bundesregierung bereit, sich auf
diesem Wege richtig zu informieren und dem Deutschen
Bundestag dazu Auskunft zu erteilen, in welcher Weise
es Verbindungen des DAS, der in Kolumbien wegen
schwerer Menschenrechtsverletzungen unter die Räder
gekommen und sogar einer Durchsuchung durch die
Staatsanwaltschaft ausgesetzt gewesen ist, zu bundesdeutschen Nachrichtendiensten gibt, was Inhalt dieser
Verbindungen war und welchen Inhalts diese Zusammenarbeit gewesen ist?
Nach derzeitigem Kenntnisstand, Herr Abgeordneter,
so kann ich nur wiederholen, liegen uns dazu keine Erkenntnisse vor. Wir haben großes Vertrauen in die Auslandsvertretungen und natürlich auch in die Botschaft in
Kolumbien. Ich werde gern Ihren Hinweis aufgreifen,
dem noch einmal nachgehen und Ihnen die entsprechenden Informationen persönlich zukommen lassen.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin Pieper, ich will daran anknüpfen, dass Sie im Vorfeld
die Frage meiner Kollegin Hänsel so beantworteten, die
Regierung habe sich allumfassend informiert und umfassend recherchiert. In diesem Zusammenhang frage ich
noch einmal nach: Was heißt „umfassend“ konkret?
Heißt dies: aus öffentlich zugänglich Quellen, aus nachrichtendienstlichen Quellen, aus bilateralen Gesprächen?
Wie informiert sich die Bundesregierung ihrer Meinung
nach umfassend? Der Kollege Ströbele hat gesagt, dass
es eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft gegeben
hat und ein Vermerk mit Bezug auf den BND dort gefunden worden ist. Oder wird die Bundesregierung vom
BND nicht allumfassend informiert?
Frau Dağdelen, ich sagte schon auf die Frage des Abgeordneten Ströbele: Allumfassend heißt, dass wir natürlich alle Quellen nutzen, die uns zur Verfügung stehen,
und die Recherche dementsprechend vornehmen. Ich
werde das jetzt nicht im Einzelnen darlegen; das ginge
zu weit. Aber ich betone noch einmal ausdrücklich, dass
ich den Hinweis des Abgeordneten Ströbele durchaus
sehr ernst nehme, auch im Namen der Bundesregierung,
und dass ich dies selbstverständlich noch einmal aufgreifen und nicht nur Herrn Ströbele, sondern den Bundestag
darüber informieren werde.
({0})
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Nouripour, die
Frage 18 der Kollegin Keul und die Frage 19 des Kollegen Dr. Frithjof Schmidt werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Ute Koczy auf:
Welche konkreten Kriterien müssen im Bereich des zivilen
Aufbaus in den Provinzen Badakhshan, Kunduz, Baghlan erfüllt sein, um mit der Einleitung eines schrittweisen Abzugs
der Bundeswehr zu beginnen?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Koczy, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan bettet sich in die internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan ein
und orientiert sich daher an den im NATO-Rahmen gebilligten Grundsätzen und Zielen. Dies gilt für die sogenannte Transitionsphase, deren Kern die Übergabe der
Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte ist. Entscheidendes Kriterium für die Einleitung eines schrittweisen Abzugs ist neben der Sicherheitslage vor allem die Fähigkeit der afghanischen
Sicherheitskräfte, die Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Hinzu kommen die Fähigkeit der afghanischen
Regierung zu guter Regierungsführung sowie das Vorhandensein grundlegender Voraussetzungen für eine
tragfähige sozioökonomische Entwicklung.
Daher soll auf der für den 20. Juli 2010 geplanten
Konferenz in Kabul ein zwischen der afghanischen Regierung, der internationalen Gemeinschaft, der Unterstützungskommission der Vereinten Nationen in Afghanistan, UNAMA, und ISAF abgestimmter Plan zur
Durchführung der Verantwortungsübergabe beschlossen
werden, der auch Kriterien im zivilen Bereich umfasst.
Diese Kriterien werden dann mit Blick auf die Lage in
den einzelnen Provinzen durch die afghanische Regierung, UNAMA, ISAF und die Führungsnationen des jeweiligen regionalen Wiederaufbauteams weiter konkretisiert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke. - Frau Staatsministerin, Ihrer Antwort ist zu
entnehmen, dass es dringend notwendig ist, diese Kriterien zu konkretisieren. Ich habe erwartet, dass sich die
Bundesregierung aufgrund des Wissens, dass der Abzug
der Truppen wahrscheinlich im Juli 2011 anfangen soll,
zügig darauf vorbereitet und Kriterien für diese Maßnahmen entwickelt. Dabei geht es vor allem darum, die
Bevölkerung im zivilen Bereich darin zu unterstützen,
Verantwortung zu übernehmen. Es ist schlichtweg unerträglich, dass hier überhaupt noch keine konkreten Kriterien vorliegen.
Ich möchte deshalb nachfragen. In den Provinzen
Badakhshan und Kunduz gibt es zu wenig Polizei, die
Polizisten werden schlecht bezahlt, und wir wissen, dass
Arbeitsplätze fehlen. Machen wir es einmal an diesen
drei konkreten Kriterien fest. Was gedenkt die Bundesregierung in dieser Hinsicht zu tun? Werden die Gelder,
die im Auswärtigen Amt, aber auch im BMZ zur Verfügung stehen, dafür ausgegeben und die Maßnahmen aufgestockt, die dringend erforderlich sind?
Frau Abgeordnete, Sie fragen, was die Bundesregierung im zivilen Bereich konkret tut, um die von ISAF
entwickelten Kriterien im Norden des Landes zu erfüllen. Ein zentraler Bestandteil der Strategie der Bundesregierung bleiben der Aufbau und die Ausbildung der
afghanischen Sicherheitskräfte in Nordafghanistan. Daneben fokussiert die Bundesregierung ihre zivile Unterstützung im Rahmen ihrer Entwicklungsoffensive noch
stärker auf Nordafghanistan und richtet neue flexible
Programme ein, zum Beispiel einen Stabilisierungsfonds, einen Regionalentwicklungsfonds und Infrastrukturfazilität. Dadurch soll die lokale Verwaltung bei der
eigenständigen Planung und Umsetzung von Wiederaufbau- und Entwicklungsmaßnahmen unterstützt werden.
So wird zum einen die Wahrnehmung der afghanischen
Verwaltung als Dienstleister gegenüber der eigenen Bevölkerung gestärkt; zum anderen vermitteln solche Maßnahmen der Bevölkerung vor Ort eine spürbare Entwicklungsdividende.
Erlauben Sie mir, eines noch kurz zu ergänzen, weil
es zu meinem Aufgabenbereich gehört. Die verstärkte
Ausbildung der Polizei- und Sicherheitskräfte in Afghanistan liegt uns zu Recht am Herzen, weil dadurch ermöglicht wird, dass das Land seine Geschicke zukünftig
selbst in die Hand nehmen kann. Uns allen ist bewusst,
dass die Analphabetenrate gerade unter den Polizei- und
Sicherheitskräften sehr hoch ist; sie liegt bei 70 Prozent.
Die Bundesregierung hat seit 2009 ein Alphabetisierungsprogramm auf den Weg gebracht. Ich persönlich
glaube, dass wir für die Polizei- und Sicherheitskräfte
- aber nicht nur für diese - mehr tun müssen; wir müssen mehr in Bildung investieren. Deswegen haben wir
im Auswärtigen Amt dafür gesorgt, dass die Mittel für
die Bildungsinitiative Afghanistan, die natürlich die
Ausbildung der Polizei- und Sicherheitskräfte einschließt, verdoppelt werden und in diesem Jahr bei rund
11 Millionen Euro liegen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Daran kann ich anschließen. Es geht mir um die drei
Provinzen, die ich explizit genannt habe, weil sich daran
konkret zeigt, wie die Übergabe in Verantwortung aussehen kann. Welche der von Ihnen vorgeschlagenen
Punkte werden in Badakhshan, in der Provinz Kunduz
und in Baghlan umgesetzt werden?
Alle Punkte.
Damit kommen wir zur Frage 21 der Kollegin Koczy:
In welcher Hinsicht bedingen sich die Abzugskriterien im
zivilen Bereich und beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Frau Abgeordnete Koczy, meine Antwort für die Bundesregierung lautet: Die von der Internationalen Sicherheits- und Unterstützungstruppe, ISAF, entwickelten
Kriterien für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung
beruhen auf einer umfassenden Bewertung der Lage in
der jeweiligen Provinz. Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, dass auch gut funktionierende afghanische Sicherheitskräfte alleine nicht dauerhaft für Stabilität sorgen
können. Funktionale Verwaltungsstrukturen, gute Regierungsführung und die Aussicht der jeweiligen Provinz
auf eine tragfähige sozioökonomische Entwicklung werden daher als Kriterien in die Lagebewertung einbezogen. Ich habe das schon erwähnt, als ich Ihre vorherige
Frage beantwortet habe. Ich glaube, dass die beiden Fragen zusammengehören und Sie damit auf die Kriterien
insistieren wollen. Sie hatten dazu ja schon Nachfragen
gestellt.
Ihre Nachfrage, bitte.
Gehen wir noch einmal konkret auf die Provinz
Kunduz ein. Ich habe Informationen, dass es dort ein
großes Misstrauen gegenüber dem Gouverneur und der
dortigen Provinzverwaltung gibt. Zwei der Kriterien
müssen natürlich die Korruptionsbekämpfung und eine
gute Regierungsführung durch die Gouverneursverwaltung sein. Wenn wir nun Unterstützung leisten und es
eine Provinzregierung gibt, die nicht das Vertrauen der
Bevölkerung und meines Wissens auch nicht das der
deutschen Bundesregierung hat, dann stellt sich natürlich die Frage, wie die Kriterien, die Sie vorhin in Bezug
auf den Abzug genannt haben, umgesetzt werden können.
Sie werden wahrscheinlich verfolgt haben, dass die
NATO-Außenministerkonferenz bei ihrem Treffen in
Tallinn das Verfahren zur Identifizierung übergabefähiger Provinzen beschlossen hat. Die Übergabe soll in
zwei Stufen erfolgen. Die erste Stufe ist die Identifizierung von übergabefähigen Provinzen in einem monatlich
stattfindenden Assessment Process. Dabei wird die Lage
in der jeweiligen Provinz hinsichtlich der Sicherheit, der
Fähigkeit der afghanischen Regierung zu guter Regierungsführung sowie der Nachhaltigkeit der sozioökonomischen Entwicklung analysiert. In der zweiten Stufe
entwickelt ein Transition Board Empfehlungen für die
mögliche Übergabe der Sicherheitsverantwortung in bestimmten Provinzen, über die die afghanische Regierung
und natürlich der NATO-Rat beschließen werden.
Die Kabuler Konferenz wird die in London beschlossene Strategie der internationalen Gemeinschaft zur
Übergabe in Verantwortung präzisieren und mit konkreten Zielen und Vereinbarungen unterfüttern. ISAF beabsichtigt, die Grundlage für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung bis zum NATO-Gipfel in Lissabon im
November 2010 vorzulegen und dort die erste Tranche
der zu übergebenen Provinzen zu verkünden.
Dass besonderes Vertrauen der Bevölkerung in die
Verwaltung und zu den politisch dort agierenden Personen erst noch gewonnen werden muss, ist uns allen
bekannt. Diese Kriterien werden natürlich bei der zukünftigen Auswahl, die ja auch durch die afghanische
Regierung erfolgen soll, berücksichtigt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Staatsministerin. - Ihre Antwort lässt
mich sehr nervös werden, und zwar hinsichtlich der Zeitschiene, die Sie gerade beschrieben haben. Ist denn,
wenn man analog der Obama-Strategie mit dem Abzug
im Juli 2011 beginnen will, diese Zeitschiene nicht fahrlässig lang in Bezug darauf, dass wir der Bevölkerung in
Deutschland klarmachen, dass wir einen Abzug beginnen wollen? Alle diese Maßnahmen können ja erst beginnen, wenn der Juli und, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch der November 2010 vorüber sind. Das
bedeutet, dass wir ein halbes Jahr Zeit haben, die Kriterien umzusetzen, um dann mit dem Abzug im Juli 2011
zu beginnen. Das finde ich für die Menschen vor Ort
schlichtweg gefährlich.
Frau Abgeordnete, es gibt keinen Grund für Ihre Nervosität. Wichtig ist, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung nicht gleichzusetzen ist mit dem Abzug
von ISAF-Kräften aus der jeweiligen Provinz, aber ein
wichtiger Schritt dazu ist.
Was die Obama-Strategie anbelangt: Obama hat sich
eindeutig zur ISAF-Strategie bekannt, und die Amerikaner haben diese auch zu ihrer Grundlage gemacht.
Frau Staatsministerin, herzlichen Dank! Die übrigen
Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet, ebenso wie alle anderen nicht aufgerufenen
Fragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 2010,
10 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.