Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion
hat mitgeteilt, dass die Kollegen Ulrich Kelber und
Florian Pronold als stellvertretende Mitglieder aus dem
Vermittlungsausschuss ausscheiden. Als Nachfolger
werden die Kollegen Sigmar Gabriel und Dr. FrankWalter Steinmeier benannt. Darüber hinaus schlägt die
SPD-Fraktion vor, die Mitgliedschaft der Kollegin Ulla
Burchardt im Kuratorium des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung um eine weitere
Amtszeit zu verlängern. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall.
Dann sind die genannten Kollegen gewählt.
Der Kollege Bernd Siebert beging in den vergangenen Tagen seinen 61. Geburtstag. Ihre 60. Geburtstage
haben die Kollegin Gudrun Kopp und der Kollege
Helmut Brandt begangen. Dazu gratuliere ich Ihnen im
Namen des Hauses.
({0})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Rentenkürzung durch Rente erst ab 67 verhindern
({1})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Hubertus Heil ({2}), Ulrich
Kelber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Das Energiekonzept der Bundesregierung zurückziehen
- Drucksache 17/3426 ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksache 17/3411 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({3})Rechtsausschuss
ZP 4 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kerstin Andreae, Volker Beck ({4}),
Dr. Thomas Gambke, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes
- Drucksache 17/3039 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 17/3241 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelDaniela Kolbe ({6})Hartfrid Wolff ({7})-
Petra Pau-
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 33
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön
({8}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Paul K. Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia
Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kinderfreundliche Nachbesserung der EUSpielzeugrichtlinie dringend erforderlich
- Drucksache 17/3424 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({9})Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({10})-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Ausschuss für Gesundheit -
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union -
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Spekulation mit agrarischen Rohstoffen verhindern
- Drucksache 17/3413 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})-
Finanzausschuss -
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Lebensmittel-Smiley nach dänischem Vorbild
bundesweit einführen
- Drucksache 17/3434 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({12})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Gesundheit -
Ausschuss für Tourismus
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({13}), Volker Beck ({14}),
Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung der Visumspflicht für Albanien
und Bosnien und Herzegowina
- Drucksache 17/3438 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({15})Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({16}), Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Bereich des
Steuerrechts
- Drucksache 17/3218 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({17})Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
60 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention
- Drucksache 17/3423 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Menschenwürdiges Dasein und Teilhabe für
alle gewährleisten
- Drucksache 17/3435 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({18})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sönke
Rix, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen nutzen - Jugendfreiwilligendienste
stärken
- Drucksache 17/3429 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({19})Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales VerteidigungsausschussAusschuss für Bildung, Forschung und
TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 5, 11 c, 12, 13 und 20 werden abgesetzt. Aufgrund dieser Auf- und Absetzungen
verschieben sich die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Antragsteller jeweils entsprechend nach hinten oder nach vorne.
Außerdem mache ich auf die nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam. Der in der 65. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich
dem Ausschuss für Tourismus ({20}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Gottschalck, René Röspel, Dr. Hans-Peter
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Die richtigen Lehren aus dem Ausbruch des
isländischen Vulkans Eyjafjallajökull ziehen Klimaforschung und Geowissenschaften stärken und die Voraussetzungen für ein nationales und europäisches Krisenmanagement im
Luftverkehr schaffen
- Drucksache 17/3174 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({21})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und
TechnikfolgenabschätzungPräsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich kann auch hierzu offenkundig Einvernehmen feststellen. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
sich von Ihren Plätzen zu erheben.
({22})
Am 14. Oktober ist unser Kollege Hermann Scheer
verstorben.
Vielen war Hermann Scheer bekannt, vor allem wegen seines Engagements für die Umwelt und insbesondere für eine umweltgerechte Energieversorgung. Früher
als andere erkannte er das Potenzial erneuerbarer Energien, und er setzte sich bereits mit Nachdruck für die Solartechnik ein, als das Wort noch belächelt wurde. Als
ungeduldigen Visionär hat Klaus Töpfer ihn charakterisiert. Unermüdlich warb er für die neuen Technologien
und für neue Wege in der Energiepolitik; viele Gesetze
zur Förderung alternativer Energien, die wir in diesem
Haus beschlossen haben, hat er mit auf den Weg gebracht. Er schrieb Bücher, hielt Vorträge und wurde mit
renommierten Preisen wie dem Alternativen Nobelpreis
ausgezeichnet.
Wir, seine parlamentarischen Kolleginnen und Kollegen, haben Hermann Scheer als einen Abgeordneten mit
einem breiten Spektrum an Interessen kennengelernt, der
mit seinen Beiträgen die politische und parlamentarische
Diskussion beeinflusst und bereichert hat. Von 1990 bis
1993 war er Vorsitzender des Unterausschusses für
Abrüstung und Rüstungskontrolle, von 1994 bis 1997
Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Stets
kenntnisreich, klar in der Analyse, mit Begeisterung und
mit einer seine Mitstreiter wie seine Widersacher gelegentlich nervenden Sturheit setzte er sich für seine Ziele
ein.
Hermann Scheer gehörte dem Parlament 30 Jahre und
damit länger an, als manche jüngeren Mitglieder an Lebensjahren aufweisen. 1980 kam er als Mitglied der
SPD-Fraktion erstmals in den Bundestag, und er war
das, was man von Parlamentariern erwartet: sachkundig,
engagiert, eigenständig denkend, manchmal querstehend. Und: Hermann Scheer war überzeugter Demokrat.
In seinem Buch Die Politiker formulierte er, dass für ihn
- Zitat - „die gewaltengeteilte Verfassungsdemokratie
der wichtigste zivilisatorische Fortschritt der Menschheitsgeschichte“ sei.
Wir trauern um einen allseits geschätzten Kollegen.
Unsere Gedanken und unsere Anteilnahme sind bei seinen Angehörigen, seiner Frau und seiner Tochter, die ich
auf der Besuchertribüne begrüße.
Der Deutsche Bundestag wird Hermann Scheer ein
ehrendes Andenken bewahren.
Unsere besondere Anteilnahme gilt in diesen Tagen
auch Helmut Schmidt. Mit ihm trauern wir um Loki
Schmidt, die am 21. Oktober im Alter von 91 Jahren in
Hamburg gestorben ist. Loki Schmidt hat nie ein öffentliches Wahlamt ausgeübt, aber sie hat ebenso diskret wie
engagiert unserem Land in vielen ehrenamtlichen Aufgaben und Ämtern gedient. Dafür verdient sie unseren
Dank und Respekt und die breite öffentliche Wertschätzung, die sie im Lande seit vielen Jahren genießen
durfte.
Ich danke Ihnen.
Bevor wir nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu
unserer vereinbarten Tagesordnung kommen, müssen
wir zwei Anträge zur Geschäftsordnung behandeln.
Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite
und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Restrukturierungsgesetzes zu
erweitern. Diese Beratung soll als Zusatzpunkt 10 nach
Tagesordnungspunkt 8 mit einer Debattenzeit von 45 Minuten aufgerufen werden. Die Fraktion der SPD widerspricht der Erweiterung der Tagesordnung.
Wir kommen bei diesem Antrag gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.
Wir kommen nun zu einem weiteren Geschäftsordnungsantrag. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
beantragt, die Beratung der Vorlagen zur Energie- und
Klimapolitik - hier handelt es sich um die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Zu diesem Geschäftsordnungsantrag erteile ich das
Wort dem Kollegen Volker Beck für die antragstellende
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere
Fraktion beantragt, die Beratung des Energiekonzepts
der Bundesregierung und die Atomrechtsnovellen heute
von der Tagesordnung abzusetzen, damit ein geordnetes
parlamentarisches Verfahren zu diesen Gegenständen
möglich wird.
({0})
Wenn Sie das heute ablehnen, ist das nicht nur ein
schwarzer Tag für die Energiepolitik in diesem Lande,
sondern ein schwarzer Tag für die parlamentarische Demokratie.
({1})
Großartig wurde dieses Energiekonzept von den Kollegen der Koalition und der Bundesregierung angepriesen. Von „Revolution“ sprach Frau Merkel, von „epochaler Bedeutung“ redete Herr Westerwelle. „Das
anspruchsvollste seiner Art“, meinte der Bundesumwelt7160
Volker Beck ({2})
minister leicht süffisant. Und es hieß: Ein neues Zeitalter
bei der Energieversorgung.
In der Tat sind diese Gesetzesnovellen womöglich das
einschneidendste Gesetzgebungsprojekt von SchwarzGelb, das in dieser Wahlperiode zur Diskussion steht.
Wie aber behandeln Sie dies parlamentarisch? Das Beratungsverfahren spricht allen Regeln des Parlamentes
Hohn.
({3})
Was wir am Dienstag im Umweltausschuss erlebt haben, war ein Putsch gegen die Rechte der Opposition. Es
war ein Bruch von Verfassung und Geschäftsordnung
des Hohen Hauses.
({4})
Sie haben weitere Anhörungsbegehren der Oppositionsfraktionen zu wesentlichen Fragen der Gesetzgebung abgelehnt. Diese wurden damit nicht Gegenstand
der parlamentarischen Beratungen. Sie haben sich sogar
gegen alle Möglichkeiten, die die Geschäftsordnung
bietet, erdreistet, Geschäftsordnungsanträge und Sachanträge der Oppositionsfraktionen durch Mehrheitsbeschluss nicht zuzulassen. Das sieht unsere Geschäftsordnung nicht vor.
({5})
Sie haben damit ein geordnetes parlamentarisches Verfahren zu diesem Gesetzgebungsverfahren unmöglich
gemacht.
({6})
Wesentliche Punkte, die uns alle in Karlsruhe beschäftigen werden, konnten im parlamentarischen Verfahren nicht erörtert werden, weil die Oppositionsfraktionen gerade einmal je einen Sachverständigen
benennen konnten. Zu der Frage: „Ist diese Gesetzgebung zustimmungspflichtig, muss der Bundesrat zustimmen?“, der Frage, die in Karlsruhe entscheidend sein
wird, stand allein Rupert Scholz als Auskunftsperson zur
Verfügung,
({7})
über den die Welt schreibt, dass die rechtliche Stellungnahme, die er vorgelegt hat, von Eon, also einem der Begünstigten, finanziert worden ist. Das passt zur Lobbypolitik Ihrer Koalition. Das passt nicht zur
parlamentarischen Demokratie.
({8})
Der Geschäftsführer der Unionsfraktion hat behauptet, das, was unsere Fraktion im Umweltausschuss mit
den 25 Änderungsanträgen aufgeführt habe, die sie vorlegen wollte, sei Klamauk.
({9})
Die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande kennen
unsere üblichen Verfahren nicht. Um 18 Uhr, zeitgleich
mit der Sitzung im Umweltausschuss, berieten die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss das Finanzmarkt-Restrukturierungsgesetz. Dort hat die Koalition in
einer Beratung, die erst um 18 Uhr begonnen hat,
33 Änderungsanträge vorgelegt.
({10})
Unsere Fraktion, eine Oppositionsfraktion, war in der
Lage, dazu sachlich Stellung zu nehmen und jeden einzelnen Antrag zu bescheiden. Warum ist es kein Klamauk, wenn die Koalition 33 Anträge vorlegt? Wir haben uns nur erlaubt, 21 Anträge zu stellen.
({11})
Es geht aber nicht nur um die formale Frage, ob unsere Bedenken in Form von Änderungsanträgen artikuliert werden konnten. Zentrale Fragen wurden im Verfahren nicht erörtert. Wir haben Ihnen schon in der
letzten Sitzungswoche, als die Gesetzgebung gerade auf
den Weg kam, einen Fragenkatalog zu der zentralen
Frage vorgelegt: Besteht bei einer Änderung Ihres Geheimvertrages bei der vorgesehenen Gesetzgebung eine
Pflicht, mit den Betreibern Verhandlungen aufzunehmen, wenn später die Gesetzgebung geändert wird? Sie
haben zwar geantwortet, aber nicht auf die Frage. Sie haben gesagt: Wenn wir das heute beschließen, entsteht
kein Änderungsbedarf, und es besteht auch kein Nachverhandlungsbedarf.
Was ist aber, wenn eine künftige Mehrheit des Deutschen Bundestages diese Gesetzgebung ändern will?
Dazu verweigern Sie die Antwort. Das heißt, Sie sagen
auch Ihren Kolleginnen und Kollegen nicht, welche Folgen diese Gesetzgebung möglicherweise für die Finanzen des Bundes hat.
({12})
Herr Kollege.
Das bedeutet, Herr Kollege, dass wir diese Fragen im
Ausschuss erörtern müssen, weil die Rechte zur Befragung der Bundesregierung, die die Opposition wahrnimmt, Rechte und Schutzmöglichkeiten auch für die
Mehrheitsabgeordneten sind.
({0})
Volker Beck ({1})
Der Sinn des Interpellationsrechts, des Fragerechts der
Herr Kollege.
- dass die Bundestagsabgeordneten bei solchen Entscheidungen wissen, was sie tun.
({0})
Aber nach dem heutigen Tag, nach diesem Beratungsverfahren, müssen wir sagen: Sie wissen gar nicht, was
Sie tun, weil es Ihnen Ihre Bundesregierung nicht gesagt
hat.
({1})
Deshalb kann dieses Gesetzgebungsverfahren keinen
Vertrauensschutz für die Energieversorger bedeuten. Es
ist verfassungswidrig. Wir werden mit allen Mitteln, die
die Verfassung uns gibt, dagegen vorgehen. Darauf können Sie sich verlassen.
({2})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort der Kollege Peter Altmaier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir werden heute das modernste, das umweltfreundlichste
({0})
Gesetz zur Energiepolitik, über das in diesem Haus jemals diskutiert wurde, beraten und verabschieden.
({1})
Während wir seit Wochen und Monaten in diesem Haus
({2})
darüber ernsthaft diskutieren, wie wir in Deutschland die
Notwendigkeit, den Industriestandort zu sichern, mit einer zukunftsweisenden, ökologischen Energiepolitik verbinden können, fällt Ihnen nichts anderes als Geschäftsordnungstricks, Zurufe und Kostümfeste ein. Liebe Frau
Höhn, das mag für eine Basisversammlung der Grünen in
Dinslaken angehen. Für seriöse Beratungen in diesem
Hohen Hause gehört sich das nicht.
({3})
Nun zum Thema seriöse Beratung. Wir sind Ihnen,
was den Ablauf und die Vorbereitungen dieser Beratungen angeht,
({4})
so weit entgegengekommen, wie ich es in 15 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag noch nicht erlebt
habe.
({5})
Es hat Anhörungen in jedem federführenden Ausschuss
gegeben.
({6})
Wir haben die Anhörungen in die sitzungsfreie Zeit gelegt, damit Sie Zeit zur Vorbereitung haben. Wir haben
Ihnen Ausschusssitzungen in der sitzungsfreien Zeit angeboten. Allein am Montag und am Dienstag hat der
Umweltausschuss zweimal getagt.
({7})
Sie hatten die Chance, eine Debatte auf hohem Niveau
zu führen. Stattdessen haben Sie es vorgezogen, Klamauk zu machen und diese Chance zu vertun.
({8})
Das ist Ihre Sache. Wir machen dabei aber nicht mit.
({9})
Wir hatten doch am Montag und am Dienstag insgesamt fünfeinhalb Stunden Beratungszeit im Umweltausschuss.
({10})
Wenn Sie die Protokolle lesen, werden Sie feststellen,
dass Sie von diesen fünfeinhalb Stunden viereinhalb
Stunden durch Zurufe, unsinnige Anträge und dadurch
vertan haben, dass Sie der Vorsitzenden, die übrigens
von der Linken gestellt wird, die Geschäftsführung unmöglich gemacht haben.
({11})
Sie haben damit jede Sachdebatte im Keim erstickt.
({12})
Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben gesagt - damit
liefern Sie mir das entsprechende Argument -: Ihr habt
doch im Finanzausschuss 33 Änderungsanträge gestellt,
und dann regt ihr euch auf, wenn wir im Umweltausschuss ebenfalls Änderungsanträge stellen. - Ich sage
Ihnen: Sie haben im Umweltausschuss die Abschaltung
jedes einzelnen Kernkraftwerks beantragt.
({13})
Dabei haben Sie selbst und Herr Trittin mit seiner Unterschrift Laufzeiten von vielen Jahren genehmigt.
({14})
Wir haben Änderungsanträge zum Restrukturierungsgesetz gestellt, die in der Sache begründbar sind und die
auch beschlossen werden konnten. Das unterscheidet
uns in der Arbeit von Ihnen.
Der entscheidende Punkt dieser Debatte ist ein anderer. Sie tun so, als befänden Sie sich zusammen mit den
Grünen noch in den Hoch-Zeiten der Anti-AKW-Bewegung der 80er-Jahre. Sie haben eines übersehen, und das
schlechte Gewissen schaut Herrn Trittin aus den Augen:
({15})
Lieber Herr Trittin, als Sie mit Herrn Schröder Ihre Unterschrift daruntergesetzt haben, dass die Kernkraftwerke in Deutschland noch ganze 20 Jahre laufen können - ohne zusätzliches Sicherheitskonzept, ohne
Nachrüstung -,
({16})
da haben Sie jeden Anspruch verwirkt, in dieser Debatte
derart fundamentalistisch aufzutreten und zu reagieren.
({17})
Zum Abschluss. Ich habe mit Interesse gelesen, Herr
Vorsitzender Gabriel, was Sie alles über die Unterschiede zwischen der SPD und den Grünen im Hinblick
auf Dafür und Dagegen gesagt haben,
({18})
und dass die SPD die Partei ist, die dafür ist. Ich habe
nur festgestellt: In dieser ganzen Debatte ist Ihnen über
viele Wochen gar nichts anderes eingefallen, als dann,
als die Grünen gesagt haben: „Jetzt machen wir ein bisschen Klamauk“, brav hinterherzutrotten.
({19})
Wenn Sie auf diese Art und Weise erlauben, dass die
Grünen die Meinungsführerschaft in der Opposition
übernehmen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass
die Umfragen im Ergebnis genau so sind, wie sie sind,
und sich möglicherweise noch weiter in die andere Richtung entwickeln werden.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns
um ein angemessenes parlamentarisches Verfahren bemüht,
({21})
weil es uns darum geht, einen Diskurs über die Zukunftsfragen unseres Landes zu führen, und weil wir im
Gegensatz zu manchen anderen keine Verhinderungspolitik, sondern eine Gestaltungspolitik machen.
({22})
Wir glauben - egal, ob es sich um eine moderne Energieinfrastruktur oder um den Ausbau der Verkehrswege
handelt -, dass es sich lohnt, für ein lebenswertes, umweltfreundliches Deutschland zu kämpfen und zu arbeiten.
({23})
Deshalb lehnen wir Ihren Obstruktionsantrag ab, und wir
werden unser Energiekonzept heute mit deutlicher und
großer Mehrheit verabschieden.
({24})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch
einmal daran erinnern, dass es guter parlamentarischer
Brauch ist, dass wir auch und gerade bei leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, einschließlich eines sicher
zulässigen Schusses von Polemik, auf persönlich herabsetzende Bemerkungen verzichten wollen und sollten.
Das gilt auch für Zwischenrufe. Vielleicht darf ich das
noch einmal in Erinnerung rufen.
({0})
Als Nächster erhält Thomas Oppermann für die Fraktion der SPD das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann
ja verstehen, dass der Kollege Altmaier mit dem Rücken
an der Wand versucht, die Flucht nach vorn zu ergreifen.
Aber ich muss auch darauf bestehen, dass wir hier bei
der Wahrheit bleiben.
({0})
Der Umweltausschuss hat am Montag getagt, und es
waren am Ende ganze 45 Minuten Beratung über die
Anträge. Dazwischen gab es nur eine Geschäftsordnungsdebatte.
({1})
Nach zwei Stunden wurde die Beratung durch die Mehrheit mit der Begründung, der Präsident habe nur zwei
Stunden Sondersitzung genehmigt, abgebrochen. Da haben Sie den Hammer fallen gelassen. Ich sage Ihnen:
45 Minuten sind so viel wie eine Halbzeit im Fußball. Das
mag im Fußball eine lange Zeit sein, aber 45 Minuten
sind für die Beratung von vier so einschneidenden, fundamentalen Gesetzen eindeutig zu wenig.
({2})
Diese vier Gesetze werden - wenn sie heute verabschiedet werden, was wir mit diesem Antrag verhindern
wollen - unwiederbringlich mit dem Makel behaftet
sein, dass bei ihrer Verabschiedung die Minderheitenrechte missachtet und dass sie mit der parlamentarischen
Brechstange durchgesetzt worden sind.
({3})
Jede Novellierung eines x-beliebigen Gesetzes wird
im Deutschen Bundestag sorgfältiger und gründlicher
beraten als diese Gesetze.
({4})
Dies hier ist kein beliebiges Gesetz. Es geht darum, wie
bei verlängerten Laufzeiten die Sicherheitsinteressen der
Menschen wahrgenommen werden. Es geht um die
Schutzpflichten des Staates für Gesundheit und Leben
der Bürgerinnen und Bürger. Es geht darum, wie eine
junge, innovative mittelständische Wachstumsindustrie,
die immerhin schon über 300 000 Arbeitsplätze hervorgebracht hat, weiter existieren kann in Deutschland. Es
geht nicht zuletzt um die energiemarktwirtschaftliche
Ordnung in diesem Land. Es geht darum, ob wir ein altes
Oligopol mit 80 Prozent Marktbeteiligung in seiner
Marktmacht verfestigen oder ob wir Wettbewerb in der
Energiepolitik bekommen.
({5})
Das sind fundamentale Veränderungen. Die Kanzlerin
hat sogar gesagt, das sei nicht nur ein Energiekonzept,
das sei eine Revolution.
({6})
Ein bisschen erinnert der Ablauf der parlamentarischen
Beratungen - das muss ich schon sagen - eher an revolutionäre Prozesse als an einen geregelten parlamentarischen Ablauf.
({7})
Wer so fundamentale Änderungen durchsetzen will,
der muss sich dafür die Zeit nehmen, und Sie haben sich
ja alle Zeit genommen: Sie haben tagelang, wochenlang
Zeit für die Atomlobby gehabt, um mit ihr alle Einzelheiten zu besprechen, die für sie wichtig waren.
({8})
Da zeigt sich wieder einmal, dass Sie das Parlament als
ein Parlament der zwei Geschwindigkeiten benutzen: geduldige Verhandlungen mit der Atomlobby auf der einen
Seite, blitzschnelle Beratungen auf der anderen Seite.
Das ist nicht in Ordnung. Wir können auch beim Atomdeal sehen: Wer in Deutschland eine starke Lobby bei
dieser Bundesregierung hat, der kann seine Interessen
durchsetzen. Wer keine Lobby hat, der geht leer aus.
({9})
Bei den Ausschussberatungen stand nicht einmal der
Umweltminister zur Verfügung. Er war ausnahmsweise
nicht in Düsseldorf, wo er sich darum bewirbt, Nachlassverwalter für die NRW-CDU zu werden, sondern er war
in Japan. Lieber Kollege Röttgen, ob in Japan oder in
Düsseldorf oder bei wichtigen Atomverhandlungen draußen vor der Tür: Sie stehen immer auf dem falschen Posten.
({10})
Aber wenn Sie schon die Verantwortung für ein Gesetz
übernehmen, das Sie in wichtigen Teilen gar nicht selber
verhandelt haben, dann hätte es Ihnen gut zu Gesicht gestanden, wenn Sie in den Ausschüssen die Fragen beantwortet hätten, die Ihre Mitarbeiter dort nicht beantworten konnten.
({11})
Sie haben die Mehrheit, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und von der FDP. Sie können am
Ende mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz auch durchdrücken. Aber die Mehrheit muss sich der Minderheit stellen. Sie darf nicht ausweichen. Sie muss die Fragen beantworten, die im parlamentarischen Prozess gestellt
werden. Das haben Sie nicht getan. So wie Sie mit Ihrer
Mehrheit umgehen, offenbaren Sie die Arroganz der
Macht.
({12})
Sie zeigen auch, dass Sie Angst haben. Wer ein solches Gesetzespaket mit der Brechstange durchsetzen
will, der will es schnell hinter sich bringen. Wer es
schnell hinter sich bringen will, der hat ein ungutes Gefühl bei dem, was er da macht. Ich sage Ihnen: Auf dieser Gesetzgebung liegt kein Segen.
({13})
Kollege Oppermann, Sie müssen jetzt zum Schluss
kommen.
Am Anfang standen die Geheimverträge mit der
Atomwirtschaft, was wir nur durch einen Zufall herausbekommen haben. Am Ende steht ein schnelles Verfahren, ein kurzer Prozess im Parlament. Das werden wir
nicht durchgehen lassen. Sie wollen die Deutschen auf
eine energiepolitische Reise in die Vergangenheit mitnehmen. Ich sage Ihnen, wo diese Reise endet: Sie endet
in Karlsruhe.
({0})
Wir werden Sie und diese Gesetze vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Da sehen wir uns wieder, und
da gibt es einen ordentlichen Prozess.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Jörg van Essen erhält nun für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe am letzten Dienstagabend zum ersten
Mal an einer Sitzung des Umweltausschusses teilgenommen.
({0})
Das, was ich dort erlebt habe, könnte man als Kindergarten bezeichnen,
({1})
aber das wäre eine Beleidigung für alle wohlerzogenen
Kinder in unserem Lande, die solche Einrichtungen besuchen.
({2})
Spätestens da hätten alle die, die uns immer wieder
einzureden versuchen, die Grünen seien bürgerlich geworden, merken können, dass ihnen das Wichtigste
fehlt: Stil und Anstand.
({3})
Herr Kollege Oppermann, Sie waren bei der Sitzung
nicht dabei und haben deshalb bestimmte Dinge nicht
mitbekommen. Ich will auf Ihre Argumente eingehen,
um das, was Sie vorgetragen haben, zu widerlegen.
Erstens. Wir haben unseren Zeitplan im Ältestenrat
des Bundestages vorgestellt. Es gab Bedenken der Opposition wegen des Zeitplans für die Anhörungen. Wir
sind genau darauf eingegangen.
({4})
Insofern ist der Vorwurf, wir hätten eine ordentliche
Beratung nicht ermöglicht, schon widerlegt.
({5})
Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben: Am
Montagabend ist die Sitzung tatsächlich beendet worden, aber es ist angeboten worden, am Dienstagmorgen
um 7 Uhr wieder zusammenzukommen.
({6})
Das macht deutlich, wie wichtig Ihnen dieses Thema offensichtlich ist: Sie waren nicht bereit, früher aufzustehen.
({7})
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie die Sachargumentation scheuen. Genau deshalb haben Sie so viele
Geschäftsordnungsanträge gestellt.
({8})
Um uns herum wird in Ländern, die sich von der Nuklearenergie verabschiedet hatten, wieder neu gebaut.
({9})
In vielen anderen Ländern wird es genauso geschehen.
Das macht deutlich, dass Sie eine ganz schwierige Argumentation verfolgen. Deshalb scheuen Sie natürlich die
Sachauseinandersetzung. Wer die Sachauseinandersetzung nicht scheut, muss auch nicht das Affentheater
spielen, das uns hier geboten wird.
({10})
Es macht mich nachdenklich. Es hat keinem Parlament
in der Geschichte gutgetan, wenn eine Fraktion einheitlich gekleidet aufgetreten ist.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beantragen,
dass der Geschäftsordnungsantrag der Opposition zurückgewiesen wird.
Vielen Dank.
({12})
Es gibt hinreichenden Anlass zu der Vermutung, dass
wir zu dieser heute Morgen stattfindenden Geschäftsordnungsdebatte noch eine Nachbetrachtung haben werden.
Ich bitte nur, die Toleranzgrenzen im Auge zu behalten,
deren Überschreitung man sich offenkundig wechselseitig zumutet, und nicht einseitig Empfindlichkeiten zu reklamieren.
Nun hat für die Fraktion Die Linke der Kollege
Wunderlich das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle, die wir hier sitzen, haben uns zu Beginn dieser Legislaturperiode eine Geschäftsordnung gegeben, die für uns alle verbindlich ist. Jedenfalls habe
ich das bis Dienstagabend gedacht. Aber die Koalition
scheint da anderer Meinung zu sein; denn am Dienstagabend hat die Koalition im Umweltausschuss in einem
untauglichen Versuch und mit einer für mich bis dato
nicht dagewesenen Arroganz der Macht versucht, darzulegen, dass die Geschäftsordnung für sie nicht gilt.
Um nicht nur den Zuschauern, sondern auch denjenigen Abgeordneten, die sich in der Geschäftsordnung offensichtlich nicht auskennen, einmal ein wenig Grundsätzliches zu sagen: Die Geschäftsordnung kann
entsprechend § 126 der Geschäftsordnung geändert werden, wenn mindestens zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Bundestages zustimmen. Die Geschäftsordnung gilt auch für die Ausschüsse - mit Ausnahme des
von mir gerade genannten § 126. Das heißt, dass ein
Ausschuss die Geschäftsordnung nicht ändern kann.
In der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am Dienstagabend hat die
Koalition von CDU/CSU und FDP mit einfacher Mehrheit beschlossen, dass Geschäftsordnungsanträge nur
noch für zehn Minuten zugelassen werden, und durch
unparlamentarisches Verhalten verhindert, dass weitere
entsprechende Anträge gestellt werden konnten. Damit
wurde massiv in die Rechte von Abgeordneten eingegriffen.
({0})
Nach meinem Kenntnisstand wurde auch gegen § 25
Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung - Antrag auf
Schluss der Aussprache - verstoßen, da die entsprechenden Anträge gar nicht beraten wurden.
Am Montagabend - Herr van Essen, das muss man
schon einmal sagen - fand die Geschäftsordnungsdebatte im Rahmen der Beratung ja statt, weil die Regierungskoalition überhaupt nicht über die Gesetzentwürfe
beraten wollte.
({1})
Die anschließenden 45 Minuten wurden dann durch Antrag der FDP beendet. So viel gehört dann auch zur Ehrlichkeit.
({2})
Am Dienstagabend, in der Nachtsitzung, gab es noch
eine Vielzahl von Änderungsanträgen. Diese sind auch
nicht der Geschäftsordnung entsprechend behandelt
worden. Der Antrag der Opposition, diese Änderungsanträge mit einer Begründung von einer Minute einzubringen, ist mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt worden. Eine Aussprache fand dazu nicht statt.
Dann gab es Änderungsanträge, die nicht eingebracht
werden konnten und nicht behandelt wurden. Anschließend wurde über den Gesetzentwurf abgestimmt. An
dieser Abstimmung hat die Opposition nicht mehr teilgenommen; denn an einer so rechtswidrigen Verfahrensweise beteiligen wir uns nicht.
({3})
Man muss sich einmal vor Augen führen, dass die
rechtliche Beratung während der Sitzung durch den GOAusschuss in folgendem Satz bestand - ich zitiere -:
„Der Ausschuss entscheidet selbst über die Anwendung
der Geschäftsordnung.“ Das läuft der Geschäftsordnung
allerdings völlig zuwider.
({4})
Am Ende der Sitzung wurde von der Koalition erstaunlicherweise noch beantragt, dass der Abgeordnete
Dr. Nüßlein alleiniger Berichterstatter für die Koalition
sein soll. Dieser Antrag ist dann auch zur Abstimmung
gestellt worden, die Änderungsanträge allerdings nicht.
({5})
Auf die Frage, warum und mit welcher Begründung sie
einen solchen Antrag stelle, antwortete die antragstellende Kollegin unter anderem: Weil mir danach ist.
({6}) - Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Stil!)
- Das ist wirklich Stil.
({7})
Daher kann ich auch den Antrag der Opposition sehr
gut nachvollziehen, dass die Tonbandaufzeichnung dieser Sitzung vom Dienstag nicht gelöscht werden soll. Es
ist im Grunde ein Beweissicherungsantrag. Das Bundes7166
verfassungsgericht wird seine helle Freude an dieser
Aufzeichnung haben.
({8})
Ob die vorgeschriebene Frist zur Einreichung von
Vorlagen eingehalten ist, sei dahingestellt. Alles in allem
handelt es sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt um ein
rechtswidriges Zustandekommen dieser Gesetze, sollten
sie denn beschlossen werden.
Liebe Kollegen der Koalition, eines muss ich Ihnen
sagen: Die Beteiligung der Atomindustrie ersetzt nicht
die Beteiligung des Parlaments.
({9})
Was Sie hier machen, ist ein Schlag ins Gesicht der Demokratie. Bei diesem Verhalten, das Sie hier an den Tag
legen, brauchen Sie sich doch nicht zu wundern, wenn
sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden
und das Vertrauen in die Demokratie verlieren.
({10})
Daher werden wir dem Antrag der Grünen zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Wir sind damit am Ende der Geschäftsordnungsdebatte.
Der Kollege Beck hat noch um eine Wortmeldung
nach § 30 der Geschäftsordnung gebeten. Ich werde Ihnen, Herr Beck, nicht das Wort erteilen, weil ich nicht
erkennen kann, dass es sich um die Zurückweisung von
Äußerungen handelt, die sich auf Ihre eigene Person beziehen.
({0})
- Einen Augenblick, bitte! - Wir werden wegen einer
ganzen Reihe von Tatsachenbehauptungen, die in dieser
Geschäftsordnungsdebatte wechselseitig vorgetragen
worden sind, Anlass haben, in Ruhe über unseren Umgang mit unserer Geschäftsordnung nachzudenken.
({1})
Ich meine das so ernst, wie ich es sage.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir ausdrücklich den Hinweis, dass wir offenkundig auch Anlass haben, darüber nachzudenken, ob der angemeldete Beratungsbedarf von allen Fraktionen des Hauses im
Allgemeinen und bei konkreten Gesetzgebungsvorhaben
im Besonderen und die von uns vereinbarte Beratungszeit in einem angemessen Verhältnis zueinander stehen.
({2})
Diese Frage richtet sich an alle Beteiligten und muss zu
gegebener Zeit neu geklärt werden.
Ich lasse nun über den Absetzungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt gegen
die beantragte Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 a
bis 4 c? - Wer stimmt dafür? - Wer enthält sich? - Damit
ist der Geschäftsordnungsantrag mit der Mehrheit der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt
worden.
({3})
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c so-
wie den Zusatzpunkt 2 auf:
4 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung
des Atomgesetzes
- Drucksache 17/3051 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksache 17/3052 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({4})
- Drucksachen 17/3409, 17/3453 Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/3410 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte-
Sören Bartol-
Heinz-Peter Haustein-
Michael Leutert-
Sven-Christian Kindler
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines
Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ ({6})
- Drucksache 17/3053 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Präsident Dr. Norbert Lammert
Entwurfs eines Kernbrennstoffsteuergesetzes
({7})
- Drucksache 17/3054 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
- Drucksache 17/3405 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({9})-
Otto Fricke-
Roland Claus-
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP
Energiekonzept umsetzen - Der Weg in das
Zeitalter der erneuerbaren Energien
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Energiekonzept für eine umweltschonende,
zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung
und
10-Punkte-Sofortprogramm - Monitoring und
Zwischenbericht der Bundesregierung
- Drucksachen 17/3050, 17, 3049, 17/3402 Berichterstattung:Abgeordneter Thomas Bareiß
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Hubertus Heil ({11}), Ulrich
Kelber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Das Energiekonzept der Bundesregierung zurückziehen
- Drucksache 17/3426 Zum Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes
liegen 24 Änderungsanträge und zum Zwölften Gesetz
zur Änderung des Atomgesetzes drei Änderungsanträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Weiterhin liegen zum Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes
je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die vier
Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
sowie über alle Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich
abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({12})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten jetzt die Gelegenheit nutzen,
uns in dieser Debatte einmal sachlich und nüchtern über
die Daten und Fakten zu unterhalten.
Worum geht es? In der Tat geht es um nicht mehr und
nicht weniger als die Verabschiedung des weltweit ambitioniertesten Energiekonzeptes. Damit wird erstmals
auch in Deutschland ein Konzept vorgestellt und heute
verabschiedet, das alle Sektoren, nämlich den Strom, die
Wärme, die Mobilität, die Nachfrageseite und die Angebotsseite, gleichermaßen umfasst. Dieses schlüssige,
technologieoffene und marktorientierte Gesamtkonzept
liefert eine Antwort aus einem Guss.
Es ist im Übrigen das erste Energiekonzept seit
20 Jahren, das wir hier in diesem Hause debattieren und
verabschieden. In der Großen Koalition hat es nicht
funktioniert, weil sich die SPD verweigert hat, als es um
die entscheidenden Punkte ging. Rot-Grün hat gar nicht
erst versucht, ein Energiekonzept aus einem Guss vorzulegen. Sie haben nur Einzelmaßnahmen adressiert: ein
bisschen erneuerbare Energien hier, ein bisschen KWK
da, ein bisschen Steinkohlesubventionen an anderer
Stelle. Aber die Dinge haben vorne und hinten nicht zueinander gepasst.
({0})
Was tun wir? Wir formulieren in unserem Energiekonzept Ziele, die wir erreichen wollen; wir beschreiben
realistische Wege, die zu diesen Zielen führen.
Welche Ziele setzen wir uns? Es geht um eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung für die
Bürger und für die Wirtschaft in diesem Land. Es geht
darum, dass zukünftig der Hauptanteil der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien stammen soll. Es
geht darum, die Energieeffizienz in diesem Land entscheidend zu verbessern. Wir wollen die Energieeffizienz im Zeitraum von 1990 bis 2020, also innerhalb
von 30 Jahren, verdoppeln. Das heißt, dass wir den gleichen Anteil am Bruttosozialprodukt mit nur der Hälfte
der Energie produzieren wollen. Es geht darum, den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch
von heute 16 Prozent bis 2020 mehr als zu verdoppeln.
Einen Augenblick, Herr Kollege Pfeiffer. - Darf ich
die Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht
oder jedenfalls nicht konzentriert folgen können oder
wollen, bitten, den Plenarsaal zu verlassen oder zumindest sicherzustellen, dass der Redner wirklich die notwendige Aufmerksamkeit erhält.
({0})
Wie gesagt: Wir wollen den Anteil der erneuerbaren
Energien am Bruttostromverbrauch bis 2020 mehr als
verdoppeln; er soll auf 35 Prozent steigen. Bis 2050 wol7168
len wir diesen Anteil der erneuerbaren Energien auf
80 Prozent erhöhen.
Es geht darum, den Primärenergieverbrauch gegenüber dem Stand von 2008 bis 2020 um 20 Prozent und
bis 2050 um 50 Prozent zu senken. Es geht darum, eine
CO2-freie oder -arme Energieversorgung zu erreichen,
indem wir die CO2-Emissionen gegenüber dem Stand
von 1990 bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 sogar um
80 Prozent reduzieren. Damit gehen wir an das Limit
dessen, was realistisch erreichbar ist. Wir sind dort weltweit an der Spitze und einzigartig.
Jetzt frage ich Sie: Sind Sie gegen diese Ziele? - Ich
glaube, nicht. Ich glaube, dass die große Mehrheit hier in
diesem Hause für diese Ziele ist. Sie gehen nämlich sogar weit über das hinaus, was wir in der Großen Koalition, in der Europäischen Union und auf internationaler
Ebene - im Kioto-Protokoll und in anderen Abkommen vereinbart haben. So weit, so gut.
Aber mit einem bloßen „Weiter-so wie bisher!“ können wir diese Ziele nicht erreichen. Es wäre weder technisch noch physikalisch möglich, weil weder Netze noch
Speicher in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen,
um den Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz einzuspeisen und zu transportieren. Es wäre wirtschaftlich
schon gar nicht möglich, weil uns die Kosten aus dem
Ruder laufen würden. Das ist die Analyse; da sind wir
uns offensichtlich auch noch einig.
Jetzt ist die Frage: Wie wollen wir diese Ziele erreichen? Wir schlagen ein Bündel von Maßnahmen mit
über 50 Instrumenten vor, damit wir die Ziele realistisch
erreichen können. Zunächst legen wir ein Sofortprogramm vor. Dazu gehört ein Kreditprogramm in einem
Umfang von 5 Milliarden Euro für den weiteren Ausbau
der Kapazitäten im Bereich der Offshorewindkraft. Im
Speicherbereich - das ist am dringendsten; dort brennt es
am meisten - wollen wir neue Speicherkraftwerke von
den Netzentgelten befreien. Wir wollen die Modernisierung und Dezentralisierung des Kraftwerkparks der
kommunalen Energieversorger mit einem Förderprogramm weiter stärken und verbessern. Der Schlüssel
zum Erreichen der Ziele liegt aber vor allem im Ausbau
der Infrastruktur. Mit unserem ehrgeizigen Plan, den Infrastrukturausbau im Energiebereich zu beschleunigen,
kommen wir diesen Zielen näher.
({0})
Wir werden das nicht mit einem Weiter-so erreichen.
In diesen Tagen wird die dena, die Deutsche EnergieAgentur, hierzu einen Bericht veröffentlichen. In Deutschland ist ein Stromnetz mit einer Länge von 3 500 Kilometern notwendig, um diese Ziele realistischerweise zu
erreichen. Mit der jetzigen Ausbaugeschwindigkeit werden wir dies in 50 Jahren nicht schaffen, somit natürlich
auch nicht die von uns gesetzten Ziele erreichen.
Es wäre daher schön, wenn diejenigen, die im Plenum
und in den Ausschüssen die erneuerbaren Energien und
deren Ausbau vollmundig befürworten, nicht dann, wenn
es um den Ausbau der Leitungsnetze oder den Bau von
Pumpspeicherkraftwerken geht, als Erste gegen diese Infrastrukturprojekte wären und den Protest vor Ort organisieren würden.
({1})
Um diesen Weg schneller gehen zu können, um diese
Brücke schneller überqueren zu können, werden wir
jetzt den volkswirtschaftlichen Nutzen, den die Kernenergie - das ist unstrittig - für unser Land hat, abschöpfen. Diesen Nutzen werden wir für die schnellere
Begehung dieses Weges einsetzen. Alle Forschungsinstitute im Bereich der Wirtschaft haben dargelegt, dass die
Kernenergie diesen volkswirtschaftlichen Nutzen hat.
Otto Schily, den Sie ja gut kennen, hat es plastischer ausgedrückt. Er hat gesagt: Das ist ein Lastwagen voller
Geld, der verbrannt wird. Wir wollen diesen Lastwagen
voller Geld nicht verbrennen, sondern wir wollen das
Geld für den schnelleren Umbau unseres Energieversorgungssystems nutzen.
({2})
Deshalb verlängern wir die Laufzeit unserer sicheren
deutschen Kernkraftwerke moderat, ohne dabei die Sicherheit aus dem Auge zu verlieren. Ganz im Gegenteil:
Wir verbessern sogar die Sicherheitspuffer gegenüber
dem, was Rot-Grün im Rahmen des Ausstiegsbeschlusses verabschiedet hat.
Wir gehen auch die Entsorgungsfrage entschieden
an und stellen den Schacht Konrad fertig, wo 90 bis
95 Prozent des Volumens der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle dauerhaft eingelagert werden können. Wir
wollen ferner endlich eine Lösung für die hochradioaktiven Abfälle. Daher erkunden wir weiter, ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht. Das haben Sie,
Herr Trittin, damals verhindert. Jetzt weisen Sie immer
darauf hin, dass die Entsorgungsfrage ungelöst ist.
Gleichzeitig tun Sie aber alles, um eine Lösung des Entsorgungsproblems zu verhindern.
({3})
Mit der Verlängerung der Laufzeiten mobilisieren wir
mehr als 30 Milliarden Euro, die wir unter anderem in ein
Sondervermögen einbringen, mit dem Maßnahmen zur
Gebäudesanierung - Isolierung, Austausch von Heiztechnik, Installierung modernster Heiztechnik - gezielt finanziert werden können. Das ist erforderlich, damit wir unser
Ziel schnell erreichen.
Insofern ist die Verabschiedung dieses Energiekonzeptes hier und heute in diesem Haus ein Meilenstein in
der Energiepolitik, ein Marshallplan für den Umbau der
deutschen Energiewirtschaft.
({4})
Dies ist ein guter Tag für Deutschland. Ich freue mich,
dass wir heute diesen guten Tag für Deutschland mit einem klaren Zeichen für die Zukunft begehen können.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Sigmar Gabriel für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ungefähr achteinhalb Jahren wurde von diesem Parlament die
Entscheidung getroffen, das nukleare Risiko des Betriebs von Atomkraftwerken in Deutschland ein für alle
Male - wenn auch nur Schritt für Schritt - zu beseitigen.
Gleichzeitig und untrennbar verbunden mit der Entscheidung für den Ausstieg aus der Atomenergie begann
der Siegeszug der erneuerbaren Energien in Deutschland. 300 000 neue Arbeitsplätze sind inzwischen auf
der Grundlage dieser Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland geschaffen worden.
Das ist das Zehnfache der Anzahl von Arbeitsplätzen,
die in der Atomwirtschaft existieren.
({0})
Statt diese Erfolgsgeschichte auszubauen, statt aus
300 000 Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren 600 000
zu machen, statt zu zeigen, dass Arbeit und Umwelt, Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg zusammenpassen,
statt den Bereich der erneuerbaren Energien auszubauen,
stoppen Sie diese Entwicklung und verhindern den Ausbau von Arbeit, Klimaschutz und sauberen Energien.
Das ist das, was Sie heute hier machen.
({1})
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben ein paar Lastwagen
mit Geld in Bewegung gesetzt. Das kann man wirklich
nicht anders sagen. Die Richtung ist eindeutig. Die Lkw
fahren nacheinander vier Adressen ab. Die vier großen
Dinosaurier der Energiewirtschaft bekommen, je nachdem, wie sich die Strompreise entwickeln, zwischen 40
und 100 Milliarden Euro zugeschustert. Herr Brüderle
hat von 100 Milliarden Euro gesprochen und gesagt,
dass die Aufteilung fifty-fifty erfolgt. Jetzt sind es nur
30 Milliarden Euro. Angesichts Ihrer Rechnung - fiftyfifty - frage ich mich, wie der PISA-Test bei Ihnen ausgegangen wäre.
({2})
Ich kann Ihnen sagen: Die setzen das von der Steuer
ab. Und dann machen Sie auch noch Geheimabsprachen. Entschuldigung, Herr Brüderle, ich muss Sie in Schutz
nehmen. Das war die Bundeskanzlerin persönlich. Sie
hat nebenbei auch noch Geheimabsprachen getroffen,
sodass, wenn sich die Situation ändert und die Nachrüstung im Bereich der Sicherheitstechnik zu teuer wird,
das dafür notwendige Geld nicht von den Unternehmen
zur Verfügung gestellt werden muss. All das lassen Sie
zu. Sie schaffen Wettbewerbsvorteile für die vier Dinosaurier der Energiewirtschaft, und damit schädigen Sie
die mittelständische Energiewirtschaft. Wenn Sie wissen
wollen, was uns droht, dann lesen Sie heute die ganzseitigen Anzeigen der Stadtwerke in Deutschland, die sich
gegen Sie zur Wehr zu setzen versuchen.
({3})
Wir haben vorhin Hermann Scheer gedacht, und ich
danke dem Präsidenten für seine Würdigung von
Hermann Scheer. Ich sage Ihnen allerdings eines dazu
- das ist eines unserer Versprechen, die wir im Rahmen
einer solchen Würdigung abgeben -: Wir werden dieses
Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen, und alles, was Sie hier noch zustande bringen, werden wir nach der nächsten Bundestagswahl zurückschrauben. Damit werden wir dem Vermächtnis von
Hermann Scheer gerecht.
({4})
Kommen Sie nicht mit Ihren Märchen von der
Brückentechnologie. Kommen Sie nicht mit Ihren Märchen von den paar Hundert Millionen Euro, die die Konzerne zur Verfügung stellen. Es geht vielmehr darum, ob
es auch noch in Zukunft zu den Milliardeninvestitionen
privater Unternehmen in erneuerbare Energien kommen
wird. Diese investieren nämlich nicht in erneuerbare
Energien, wenn sie sich nicht sicher sein können, dass
sie den Strom auch ins Netz einspeisen können.
({5})
Das hat nicht nur etwas mit dem Netzausbau zu tun.
Übrigens, Herr Kollege Pfeiffer, warum haben Sie in
der letzten Wahlperiode den Netzausbau so massiv behindert? Wir hätten doch längst die Hochspannungsleitungen unter die Erde verlegen können, wenn Sie dazu
nicht immer Nein gesagt hätten.
({6})
Sie selbst, Ihr damaliger Wirtschaftsminister Glos und
Herr zu Guttenberg haben den ehemaligen Ministerpräsidenten Wulff gestoppt, als er versucht hat, den schnellen Ausbau der Netze von der Nordsee zu den Lastschwerpunkten zu erreichen. Sie sind doch selber schuld
an dem Stau, den wir derzeit haben.
({7})
- Ich habe mich hier zu Wort gemeldet, weil ich die Debatte vielleicht ein bisschen länger kenne als Sie und
weil man verhindern muss, dass hier in Deutschland
Volksverdummung betrieben wird.
({8})
- Warten Sie einmal ab. Wir kommen noch zu ein paar
spannenden Themen.
Sie haben doch jetzt dafür gesorgt, dass sich derjenige, der in Zukunft 1 Milliarde Euro in die Nordsee investieren will, damit dort Windparks gebaut werden,
nicht sicher sein kann, ob er den Strom ins Netz einspeisen kann. Schließlich laufen die alten Atomkraftwerke
noch immer. Sie sind angesichts dessen, was Sie hier gerade betreiben, ein echtes Investitionshindernis für
Deutschland.
({9})
Das alles stört Sie nicht. Es stört Sie auch nicht, dass
Hunderttausende von Menschen in Deutschland dagegen
demonstrieren. Die Menschen wissen nämlich, dass Sie
die Zukunft behindern und eine Rolle rückwärts in die
Vergangenheit machen.
Heute Morgen haben wir 170 000 Unterschriften von
Avaaz bekommen; Avaaz hat nur vier Wochen gebraucht, um sie zu sammeln. Das ist Ihnen allerdings
egal. Stattdessen eröffnen Sie erneut einen gesellschaftlichen Großkonflikt, den wir schon einmal in mühsamer Arbeit über viele Jahre gelöst hatten. Sie spalten die
Gesellschaft, obwohl sie sich in diesem Punkt schon einig war. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen
und Herren.
({10})
Zu all dem sagt der Bundesumweltminister Ja und
Amen. Sagen Sie einmal, Herr Röttgen, kennen Sie eigentlich die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland?
({11})
Ich habe den Eindruck, dass Sie sie nicht kennen. Denn
sonst wüssten Sie, dass Sie als zuständiger Minister für
Ihren Aufgabenbereich die Verantwortung tragen und
dass Ihnen diese niemand abnehmen kann - weder der
Koalitionsausschuss noch die Kanzlerin. Wissen Sie,
wie Ihre Amtsbezeichnung lautet? Ich lese Ihnen diese
einmal vor, weil Sie sie vielleicht vergessen haben: Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und - jetzt kommt
es - Reaktorsicherheit.
({12})
Diese Amtsbezeichnung hat eine große Bedeutung. Schließlich birgt der Betrieb von Kernkraftwerken Risiken. Ich
nenne Brunsbüttel, Krümmel, Biblis, Philippsburg. Wir
alle kennen doch die Probleme aus den letzten Jahren. Jeder der bekannt gewordenen Störfälle hätte sich zur Katastrophe entwickeln können.
({13})
- Keine Sorge, ich komme noch zu Ihrem Lieblingsthema
Nachrüstung. Keine Angst, ich lasse Sie nicht davonkommen; das wird Ihrerseits ein untauglicher Versuch sein.
Herr Trittin wird auch noch ein paar Bemerkungen dazu
machen. Sie glauben doch nicht etwa, dass wir auf Ihre
Tricks hereinfallen. Schließlich verschlechtern Sie mit
dem, was Sie gerade machen, die Sicherheitsstandards in
Deutschland. Sie verbessern sie nicht.
({14})
Aber keine Sorge, das kann man entlang Ihres Textes sehen.
Herr Röttgen, wie können Sie, obwohl Sie für Reaktorsicherheit zuständig sind, eigentlich zulassen, dass der
Finanzminister und das Kanzleramt über Reaktorsicherheit verhandeln und Sie nicht einmal dabei sind, nicht
einmal dazu eingeladen werden?
({15})
Wie können Sie als Minister für Reaktorsicherheit zulassen, dass Laufzeitverlängerungen vereinbart werden,
ohne vorher zu klären, ob die alten Atommeiler überhaupt nachgerüstet werden können? Sie wollen doch
jetzt beschließen, dass diese 10, 12 oder 14 Jahre länger
laufen, ohne überhaupt geprüft zu haben, ob man das bei
Biblis A, bei Biblis B, bei Neckarwestheim und all den
anderen Kraftwerken machen kann. Sie verletzen doch
das Atomgesetz. Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen die
alten Reaktoren, auch die ältesten Meiler, weiterbetrieben werden. Durch die vorgelegte Novelle zum Atomgesetz wird es quasi möglich, die Laufzeiten zu verlängern,
ohne dass eine neue Genehmigung erteilt werden muss;
denn es ist klar, dass sie keine neue Genehmigung bekommen würden.
Angeblich wollen Sie ein Nachrüstprogramm auflegen. Sie müssen das trotz der Geschwindigkeit, in der
der Gesetzentwurf verabschiedet werden soll, einmal lesen. Auch Sie in der Union können das doch nicht wirklich wollen. In diesem Nachrüstprogramm werden so
lange Zeiträume vorgesehen, dass es erst kurz vor dem
Zeitpunkt, an dem die Atommeiler - selbst mit der geplanten Laufzeitverlängerung - abgeschaltet werden
müssen, zur Nachrüstung kommt. Im Bereich der Nachrüstung wird also nichts passieren. Dann vereinbaren Sie
auch noch, dass das die Konzerne nur 500 Millionen
Euro kosten darf; wenn es mehr kostet, muss der Steuerzahler den Rest zahlen. Das hat es noch nie gegeben in
Deutschland; so etwas gab es noch nie in unserem Land.
({16})
Bisher hat jeder Minister, Herr Röttgen, egal wer im
Amt war, gesagt: Ihr müsst nachrüsten, wenn es für die
Sicherheit erforderlich ist, und wenn euch das zu teuer
ist, dann müsst ihr die Dinger vom Netz nehmen. - Sie
sind der erste Minister, der die Sicherheit der Bevölkerung von der Bevölkerung selber bezahlen lassen will.
Sie sind der Erste in Deutschland, der das so macht.
({17})
Die eigentliche Frage ist doch: Warum prüfen Sie
nicht vorher, warum mischen Sie sich eigentlich gar
nicht ein? Warum sagen Sie nicht, dass ein Antrag geSigmar Gabriel
stellt werden muss, wenn die Laufzeiten verlängert werden sollen, und Sie dann gemeinsam mit den Ländern
prüfen, ob die Meiler sicher genug sind, und Nachrüstungen festlegen? Das wäre ein Weg. Auch diesen halten
wir nicht für besonders klug, aber das wäre zumindest
ein Weg, bei dem Sie Minister für Reaktorsicherheit
blieben. Stattdessen bewilligen Sie das Ganze, bevor es
überhaupt eine Prüfung gegeben hat. Sie wollen doch
auch gar nicht wissen, welche Nachrüstungen möglich
sind.
Sie behaupten hier tatsächlich, Sie würden sich um
Sicherheit kümmern? Sie werfen Herrn Trittin und mir
vor, wir hätten das nicht getan?
({18})
Ich frage Sie eines: Warum war Ihre erste Amtshandlung, dass Sie der Bundesaufsicht das neue Kerntechnische Regelwerk weggenommen haben und ein 30 Jahre
altes wieder eingeführt haben? Warum haben Sie das gemacht?
({19})
Wir haben 2008 und 2009 gegen den massiven Widerstand der Atomwirtschaft zumindest für die Bundesaufsicht einen modernen Prüfstandard eingeführt: das Kerntechnische Regelwerk. Das Erste, was Sie gemacht
haben, war, dieses wieder abzuschaffen. Ich vermute,
das geschah auf Vorschlag von Herrn Hennenhöfer; er
hat vor einiger Zeit sein Geld bei der Atomindustrie verdient.
({20})
Die Investitionen haben sich für die Atomindustrie bezahlt gemacht; das kann ich nicht anders sagen. Er hat
Ihnen empfohlen, es außer Kraft zu setzen. Wir werden
uns den Schriftverkehr zwischen den Ländern, Ihrem
Haus und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit dazu, warum Sie das Kerntechnische Regelwerk
nicht weiterentwickeln wollen und warum Sie den Stand
von Wissenschaft und Technik nicht akzeptieren, sondern nur den Stand der Technik, einmal genauer ansehen.
({21})
Damit sind wir bei Ihrem schönen § 7 d des Atomgesetzes, in dem Sie schreiben, Sie würden neue Sicherheit schaffen. Wissen Sie, was Ihr Minister da tut? Er behauptet, es gebe jetzt zum ersten Mal eine dynamische
Sicherheitsverbesserung.
({22})
Herr Röttgen, meine Bitte ist: Wenn Sie schon nicht ins
Atomgesetz schauen - vielleicht aus Zeitgründen wegen
des Wahlkampfes in NRW -, dann rufen Sie doch einmal
beim Bundesverfassungsgericht oder beim Bundesverwaltungsgericht an. Das sind die beiden Gerichtsinstanzen, die in der Vergangenheit immer den Anträgen des
Bundesumweltministeriums recht gegeben haben, wenn
es um Laufzeitverlängerungen und andere Fragen ging.
Wissen Sie, was das Verfassungsgericht Ihnen sagen
wird? Lieber Herr Röttgen, den dynamischen Vorsorgegrundsatz gibt es im Atomgesetz bereits seit 50 Jahren,
seit 1959.
Ich zitiere aus dem entsprechenden Urteil dazu - Verfassungsgericht 1978 zu Kalkar -:
Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7
Abs. 2 Nr. 3 AtomG
- also des bestehenden Atomgesetzes dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie
hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils
bestmöglich zu verwirklichen.
Weiter schreibt das Verfassungsgericht in dem Urteil:
Das muss sogar über den bestehenden Stand der Technik
hinausgehen. Der Gesetzgeber muss das Recht haben,
die Atomkraftwerksbetreiber dazu zu zwingen, neue
Techniken zu entwickeln, wenn sie nicht da sind. - Das
alles steht darin.
Jetzt legen Sie ein Gesetz vor, von dem Sie sagen:
Wir können nur noch Vorsorge da verlangen, wo technische Lösungen vorhanden sind. Ich sage Ihnen, was das
Ergebnis davon wäre: Wenn Sie das heute wirklich beschließen, dann können Sie keinen Kraftwerksbetreiber
mehr dazu zwingen oder von ihm verlangen, für existierende Gefahren und Probleme, die von der Atomaufsicht
entdeckt werden, neue Technik zu entwickeln. Sie werden Sie immer darauf verweisen, dass doch jetzt im Gesetz steht, nur das, was schon Stand der Technik sei,
müsse gemacht werden. Ich sage Ihnen einmal, was wir
dann nicht mehr hätten: Wir hätten keinen Schutz gegen
Wasserstoffexplosionen im Sicherheitsbehälter, wir hätten keine Sicherheitsventile im Sicherheitsbehälter, keinen Schutz gegen Verstopfung im Kühlkreislauf, keinen
Schutz gegen viele andere Störfälle. Bei Problemen haben die Kraftwerksbetreiber gesagt: Es gibt dafür aber
keine Technik. Dann haben wir gesagt: Wenn ihr die
Technik nicht entwickelt, dann nehmen wir euch das
Kraftwerk vom Netz.
Das ist die jetzige Rechtslage. Sie verändern sie, Sie
verschlechtern die Sicherheit für die Bevölkerung in
Deutschland.
({23})
Das, was Sie hier abliefern, ist nichts anderes als eine
Auftragsarbeit der Atomindustrie. Sie sind der Minister,
der billig das aufschreibt, was die wollen, und lassen
sich dafür ein bisschen Geld in den Haushalt geben.
({24})
Auftragsschreiber sind Sie, aber kein Minister für Reaktorsicherheit in Deutschland. Das ist die Wahrheit über
Ihre Arbeit.
({25})
Dynamischer Schutzstandard, den vernichten Sie gerade. Mensch, Herr Kauch, Sie wissen das doch alles,
Sie kennen doch die Rechtsprechung. Sie kennen das
Gesetz, und trotzdem wollen Sie zustimmen, dass dieser
Minister und Ihre Koalition die Sicherheitsstandards für
Atomkraftwerke herabsetzen, weil die doch wissen, dass
mit den bestehenden Sicherheitsstandards die alten Dinger nicht weiter betrieben werden könnten. Das lassen
Sie als umweltpolitischer Sprecher zu?
Ich sage Ihnen, Sie haben diese ganzen Beratungen
durchpeitschen müssen - Ihre Regierung, Ihr Minister
und Ihr Fraktionsvorstand -, weil sonst Ihren Abgeordneten aufgefallen wäre, was da wirklich im Gesetz steht.
({26})
- Da lachen Sie mal. Das ist der Grund, weshalb Sie das
machen.
({27})
Verstehen Sie, Herr Trittin und ich melden sich normalerweise nicht zu Wort, wenn es um Herrn Röttgen
geht, weil man das bei dem Nachfolger eigentlich nicht
macht. Aber wenn er sein Amt so dreist nicht ausübt,
wenn er so dreist der Öffentlichkeit die Unwahrheit über
Sicherheitsprobleme erzählt, dann müssen hier einmal
ein paar stehen, die in ihrer Amtszeit für mehr Sicherheit
gesorgt haben, als Sie das jemals in Ihrer Amtszeit
schaffen werden, selbst wenn Sie vier Jahre Minister
bleiben.
({28})
Herr Kollege Gabriel.
Meine Kollegen ahnen, was passieren wird.
Gut. Wir sind uns ja einig, gut.
Weil das mit dem Endlager so schön war, dazu zum
Schluss auch etwas zum Märchenonkel Röttgen. Meine
Damen und Herren, da wird gesagt, wir hätten bei Endlagern nichts gemacht.
({0})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Erzählen Sie doch jemandem, der in seinem eigenen Wahlkreis ein Endlager
genehmigt hat, nicht, er hätte nichts gemacht. Den
Mumm haben Sie in Bayern und in Baden-Württemberg
doch gar nicht, wenigstens einmal nach einem Endlager
suchen zu lassen.
({1})
Wir haben die Sicherheitsanforderungen für Endlager
entwickelt. Das sind dieselben, die Herr Röttgen gerade
wieder aufweichen lässt. Nicht nur das Kerntechnische
Regelwerk für die Sicherheit der Atomkraftwerke will er
aufweichen oder hat er sogar aus der Bundesaufsicht
wieder herausgenommen, sondern er lässt auch die Sicherheitsanforderungen für Endlager aufweichen. Wir
haben Schacht Konrad gemacht, wir haben begonnen,
die Asse zu sanieren - am Anfang gegen den massiven
Widerstand bei Ihnen.
({2})
2006 haben wir übrigens ein Konzept vorgelegt, Frau
Bundeskanzlerin, in dem ich Ihnen angeboten habe, Gorleben weiterzuentwickeln. Wir haben gesagt: Wir sind
bereit, Gorleben weiter zu erkunden, aber nur dann,
wenn die von uns erarbeiteten internationalen Kriterien
für ein Endlager gelten - nicht einmal dazu haben Sie Ja
gesagt - und wenn in Deutschland parallel dazu nach anderen Standorten geschaut und am Ende der beste Standort genommen wird.
({3})
Das haben wir Ihnen vorgeschlagen.
Kommen Sie nicht zu mir und sagen, wir hätten Ihnen
keinen Vorschlag zu Gorleben gemacht. Herr Röttgen,
fragen Sie doch einmal Ihren Herrn Hennenhöfer, wer
zuerst ein Moratorium für Gorleben vorgeschlagen hat.
Das war nämlich die Atomindustrie. Fragen Sie einmal
Frau Merkel, warum sie in ihrer Amtszeit als Bundesumweltministerin Herrn Hennenhöfer beauftragt hat, die
Untersuchungskriterien für das Endlager Gorleben zusammenzustreichen. Sie hat es getan, weil die Atomindustrie Angst hatte, dass sie mit den existierenden Salzrechten gar keine vernünftige Untersuchung durchführen
kann.
Ihre Kanzlerin steckt im Thema Gorleben und in der
Verantwortung für Gorleben ganz tief drin. Sie wussten
immer, dass Gorleben ein virtuelles Endlager ist.
({4})
Sie wussten immer, dass Gorleben am Ende nicht realisiert wird. Aber Sie brauchten Gorleben - das gilt auch
heute -, weil dies der zentrale Entsorgungsnachweis für
längere Laufzeiten der Atomkraftwerke ist. Dafür missbrauchen Sie den Standort Gorleben.
({5})
Sie sind zu feige, in Bayern und Baden-Württemberg
- da, wo die meisten und die lautesten Rufe nach längeren Atomlaufzeiten herkommen - nach einem Endlager
zu suchen.
Oh, Überraschung! Vor wenigen Tagen erschien doch
tatsächlich ein Gutachten - es ist ein bisschen dünn - des
Bayerischen Landesamtes für Umwelt, ohne dass es je
eine entsprechende Untersuchung gegeben hat. Die überraschende Überschrift des Gutachtens lautet: „Kein Endlager in Bayern möglich“.
({6})
Wissen Sie was? Wir wären längst weiter, wenn Sie
nicht zu feige gewesen wären.
({7})
Ich weiß doch, was Ihre Leute am Ende sagen werden.
Wenn Gorleben nicht funktioniert, wenn es also scheitert
- es wird scheitern -, dann werden Ihre Leute sagen:
Lasst uns den Atommüll ins Ausland bringen, in die
Weiten Sibiriens, aber ohne deutsche Sicherheitsbedingungen. - Das ist unverantwortlich. Das ist das Ende Ihrer Strategie.
({8})
Ich sage Ihnen: Wir werden beim Ausverkauf der Sicherheit genauso wenig mitmachen wie beim Ausverkauf der Erneuerbaren. Herr Röttgen und Frau Merkel,
für unsere Zukunft mit erneuerbaren Energien, für zukunftsfähige Jobs und bezahlbare Energie, für unsere eigenen Kinder und Enkel, für die Umwelt und das Klima,
für all das brauchen wir die Atomenergie nicht - weder
ihr Geld noch den Strom. Darum geht es. Das ist die
Politik, die wir am Ende durchsetzen werden.
({9})
Für die Bundesregierung hat nun der Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition macht zwar viel Wind; aber davon dreht sich in
Deutschland noch kein einziges Windrad.
({0})
Mit unserem Energiekonzept ist das anders. Es bietet
erstmals seit langem einen belastbaren Fahrplan für die
Energieversorgung von morgen. Das haben Rot-Grün
und all unsere Vorgängerregierungen nicht geschafft.
({1})
Wir haben das geschafft. Ich möchte mich beim Kollegen Röttgen für die gute, sorgfältige Zusammenarbeit,
die zu diesem Energiekonzept geführt hat, ausdrücklich
bedanken.
({2})
Es geht dabei um den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, es geht um aktiven Klimaschutz, es geht
um Versorgungssicherheit, und es geht um bezahlbare
Energiepreise. Ein wesentlicher Aspekt ist der Ausbau
der Netze. Ohne Netzausbau gibt es kein Zeitalter der erneuerbaren Energien.
({3})
Das wissen auch die Damen und Herren von der Opposition. Hier im Bundestag bekennen Sie sich dazu
schön brav. Aber vor Ort haben das viele von Ihnen und
Ihren politischen Freunden sehr schnell vergessen. Wenn
es zum Beispiel um den Bau notwendiger Hochspannungsleitungen und Speicher geht, sind viele von Ihnen
an vorderster Front bei den Blockierern dabei. Das ist
unredlich, das ist unverantwortlich.
({4})
Wir werden in Deutschland circa 3 500 Kilometer
neue Leitungen brauchen; das ist dreieinhalbmal die
Strecke von Füssen nach Flensburg.
({5})
Das betrifft den Bund, die Länder und die Kommunen.
In Stuttgart und beim Berliner Flughafen sehen wir gerade, dass große Infrastrukturprojekte mit den Bürgern
gemeinsam geplant und durchgeführt werden müssen.
Ich rege daher einen nationalen Pakt für neue Netze an.
Vorbild könnte der Ausbildungspakt sein. Ziel des Paktes soll es sein, die Bürger beim Netzausbau für das regenerative Zeitalter adäquat einzubeziehen.
({6})
Die beim Bundeswirtschaftsministerium bereits bestehende Netzplattform könnte die Basis für einen Dialog
der unterschiedlichen Beteiligten und für einen sinnvollen gemeinsamen Weg sein.
Für das im Kern marktwirtschaftliche Energiekonzept
brauchen wir die Unternehmen. Wir brauchen Unternehmen, die moderne Kraftwerke bauen, die die Vernetzung
der Windräder im Norden mit den Stromabnehmern im
Süden zuverlässig umsetzen können und die die notwendigen Energie- und Kohlendioxidspeicher bauen. Auf
die private Initiative dieser Unternehmen setzen wir. Das
ist die richtige Balance zwischen Markt und Staat. Das
ist soziale Marktwirtschaft.
({7})
Auf die Stärken der sozialen Marktwirtschaft können wir
vertrauen. Das zeigt auch das derzeitige Wachstumswunder in Deutschland.
({8})
Der Netzausbau ist aber nur ein Teil des Gesamtpakets. Zu dem Gesamtpaket gehört auch eine neue Energieaußenpolitik; denn nicht nur in Deutschland verändert sich die Energiepolitik. Von Afrika bis Asien wollen
Staaten die erneuerbaren Energien ausbauen. Viele Staaten, zum Beispiel Russland, wollen ihre Energieeffizienz
erhöhen. Mit der Russisch-Deutschen Energie-Agentur,
rudea, kommen wir gut voran. Wir wollen neue Exportchancen frühzeitig nutzen. Wir werden das mit der
Exportinitiative Erneuerbare Energien, mit der Exportinitiative Energieeffizienz und mit den allgemeinen Instrumentarien der Außenwirtschaftspolitik, zum Beispiel
den Hermesbürgschaften, aktiv flankieren.
Klar ist, dass der Klimawandel mit nationalen Alleingängen nicht aufzuhalten ist. Alle müssen ihren Beitrag
leisten. Aber nicht nur beim Klimaschutz brauchen wir
starke Partner in der Welt. Bis auf Weiteres bleiben wir
auf den Import fossiler Energieträger wie Öl und Gas angewiesen. Deshalb arbeiten wir eng mit einigen Partnerländern zusammen. Es gibt nicht nur die Modernisierungspartnerschaft mit Russland, sondern wir haben
auch Energiepartnerschaften mit Katar, Nigeria und der
Türkei auf den Weg gebracht. Das schafft eine verlässliche Grundlage für die deutsche Industrie, für die deutsche gewerbliche Wirtschaft. Es hilft auch den Partnerländern bei ihrer Entwicklung und trägt dazu bei, die
Lieferrisiken zu streuen.
Meine Damen und Herren, mit dem Energiekonzept
ebnen wir den Weg in das Zeitalter der regenerativen
Energien. Als Leitkonzept kann es Nachahmer in Europa und weltweit finden. Wir sollten uns jetzt auf die
Umsetzung konzentrieren und nicht erneut die Debatten
von gestern und vorgestern führen.
({9})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kelber
das Wort.
Herr Präsident, vielen Dank. - Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben gerade Ihr sogenanntes Energiekonzept vorgestellt und ausgeführt, wo Sie Investitionen bei den Erneuerbaren anregen wollen. Das betrifft
einen der großen Streitpunkte. Deswegen ist es interessant, einmal auf die Fakten zu schauen.
Die Regierung hat Energiegutachten zu verschiedenen Szenarien in Auftrag gegeben, die darstellen, wie
der Zubau bei den Erneuerbaren sich in Zukunft unter
der Bedingung einer Laufzeitverlängerung, die Sie heute
beschließen wollen, entwickeln wird.
Ich habe dazu eine Anfrage an die Bundesregierung
gestellt, die federführend von Ihrem Ministerium beantwortet wurde. Es sagt: Wir teilen die Sichtweise der Gutachter zu diesem Ausbau der Erneuerbaren. - Von daher
sollte man die Zahlen an dieser Stelle noch einmal nennen.
Die Gutachter gehen bei der Windenergie von einem
Rückgang des Zubaus in Deutschland um 98 Prozent
aus, bei der Photovoltaik sind es 99 Prozent und bei der
Biomasse 100 Prozent. Der gesamte Heimatmarkt der
erneuerbaren Energien wird bei Umsetzung Ihres Energiekonzeptes zusammenbrechen. Das haben Ihnen Ihre
eigenen Gutachter aufgeschrieben, von denen Sie sagen,
Sie stellen sich hinter deren Zahlen. Sie vernichten die
340 000 Arbeitsplätze und nehmen dem Technologieführer den Heimat- und Innovationsmarkt weg. Das ist
die falsche Politik, die Sie hier am Rednerpult auch noch
verteidigt haben.
({0})
Zur Erwiderung, Herr Minister.
Herr Kollege Kelber, das Gegenteil ist richtig. Selbst
Sie haben in der grün-roten Zeit gesehen, wie wichtig
bezahlbare Energiepreise sind. Sonst hätten Sie bei der
Ökosteuer nicht die Ausgleichsmaßnahmen für energieintensive Unternehmen eingeführt, deren Umfang wir
jetzt gegen Ihre Proteste vor Ort teilweise reduzieren.
({0})
Wichtig für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Deutschland ist also, dass wir eine sichere und bezahlbare Energieversorgung haben.
Richtig ist auch, dass wir die Netze brauchen, damit
der Ausbau der regenerativen Energien sinnvollerweise
erfolgen kann. Wir befinden uns in einer Situation negativer Strompreise.
({1})
Strom ist nicht nur nicht kostenlos, sondern aufgrund des
Einspeisungsvorrangs und der Festpreisgarantie erleben
wir sogar noch Zahlungen von Anbietern, damit andere
nicht marktregulierte und marktorientierte Produktionsmengen aus den Netzen abnehmen.
({2})
Es macht Sinn, dies in einem ganzheitlichen Ansatz
anzugehen. Es ist unredlich, vor Ort zu sagen: Ja, wir
machen das am liebsten offshore und nicht in der Nähe. Es ist ein neuer Trend, draußen auf dem Meer tätig zu
werden, wo man weit weg ist. Sie müssen das aber ganzheitlich sehen. Die Gleichen, die die Umsteuerung wollen - ich gehöre dazu -, müssen dann auch stehen, wenn
es darum geht, die Netze auszubauen. Es sind doch Ihre
Freunde, die nicht stehen, sondern das Gegenteil von
Umsteuerung in Deutschland tun.
({3})
Davon können Sie nicht ablenken. Sie sollten draußen
dazu stehen und nicht auf Nebenpunkte ausweichen.
Dann würden wir gemeinsam etwas erreichen.
({4})
Die Gutachten wurden seriös aufgelegt und im Ausschuss mehrfach diskutiert. Sie versuchen immer wieder,
eine Schieflage zu konstruieren, weil Sie vor dem Kern
und dem Stehen vor Ort zurückweichen.
({5})
Ich bitte um Nachsicht, dass ich bei aller verständlichen Neigung zu spontanen zusätzlichen Wortmeldungen nur in sehr begrenztem Umfang Gelegenheit dazu
geben kann. Auch unter Berücksichtigung der anstehenden Entscheidungsverfahren sprengen wir sonst alle hier
vereinbarten Zeitmaße für die heutige Plenardebatte. Ich
bitte, das im Hinterkopf zu behalten.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Wir kämen mit der Zeit viel besser aus, wenn Sie
nochmals abstimmen ließen und die Mehrheit doch für
die Absetzung stimmen würde. Alles andere würden wir
dann ohne Probleme schaffen.
({0})
Abgesehen davon glaube ich, dass die Bundesregierung mit dieser Änderung des Atomgesetzes einen wirklich schwerwiegenden Fehler begeht, weil sie die Gesellschaft spaltet, und zwar so offenkundig durch eine
Klientelpolitik, wie es das nur selten gegeben hat. Vier
Konzerne werden gewinnen, und Millionen und Abermillionen Menschen werden verlieren. Das ist die Spaltung, die Sie organisieren und ganz bewusst in Kauf nehmen.
({1})
Sie entscheiden sich für eine längere Laufzeit der
Atomkraftwerke und haben kein Endlager. Sie werden in
Deutschland mit Sicherheit auch keines finden, das internationalen Standards genügt. Dieses Problem ist weltweit ungelöst.
({2})
- Ich kann Ihnen einmal etwas zum Osten sagen: Wir
sind Vorbild und haben kein Atomkraftwerk mehr - davon können Sie einmal ausgehen -, warum auch immer.
({3})
- Ja, aber jetzt sind sie doch dicht, während Sie die ältesten Atomkraftwerke am Leben erhalten und Ihnen die
Sicherheitsstandards dabei ziemlich gleichgültig sind.
Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.
({4})
Was den rot-grünen Kompromiss betrifft, so ist er hier
auch kritisiert worden. Das kann man machen, das haben
auch wir gemacht. Aber das ist kein Grund, ihn jetzt aufzukündigen. Das ist eine wirkliche Katastrophe. Jetzt
gab es eine Verständigung, jetzt gab es in dieser Frage
endlich einen inneren Frieden, und Sie stellen absichtsvoll Unfrieden her. Und dann beschweren Sie sich über
die Ergebnisse dieses Unfriedens; das sehe ich jetzt
schon kommen. Aber Sie sind dafür verantwortlich.
({5})
Denn es wird eine schwere gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geben. Was können Sie denn den Leuten sagen? Was passiert denn, wenn uns jemals ein
AKW um die Ohren fliegt? Was sagen Sie ihnen dann?
Dann gibt es dieses Land überhaupt nicht mehr, dann
lebt hier keiner mehr. Das alles nehmen Sie für die Profitinteressen von vier Konzernen in Kauf. Es ist nicht nachvollziehbar, was Sie hier machen.
({6})
Sie sagen, Sie hätten viel gesprochen und viel geredet. Das stimmt: mit den Konzernleitungen. Aber den
Bundestag haben Sie so gut wie ausgeschlossen. Das
verletzt schwerwiegend das Grundgesetz und die Demokratie in unserem Lande.
({7})
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sind die Nutznießer
Ihrer Politik. Sie gehen so weit - Sie müssen sich das
einmal überlegen -, mit denen Verträge zu machen. Sie
handeln alles aus. Nachdem die Bundesregierung alles
ausgehandelt hat, kommt sie zu ihren beiden Fraktionen,
weil sie die Mehrheit haben, und sagt: Ihr dürft kein
Komma mehr ändern; denn wenn ihr noch ein Komma
ändert, dann stimmt unsere ganze Vereinbarung nicht
mehr. - Sie sind entmachtet worden. Das ist der eigentliche Skandal, der hier im Bundestag passiert ist, und Sie
finden das auch noch gut.
({8})
Dann wird das Ganze durchgezockt und die Geschäftsordnung verletzt.
({9})
Herr van Essen, eines geht auch nicht. Sie sagen hier:
Am Dienstag früh hätten Sie ja noch tagen können, aber
das habe die faule Opposition abgelehnt.
({10})
- Ja, passen Sie auf, immer schön bei der Wahrheit bleiben. - Bevor der Antrag auf eine neue Sitzung Dienstag
früh entschieden und verhandelt wurde, hat Ihr Abgeordneter beantragt, die Sitzung zu beenden, und das ist beschlossen worden. Das ist die Wahrheit. Deshalb ist es
ein Skandal, wenn Sie das hier so vortragen.
({11})
Für die Profite von vier Konzernen gefährden Sie so
viel, machen Sie so viel kaputt. Keiner von uns weiß,
wie die Auseinandersetzung endet. Keiner von uns weiß,
wie sie laufen wird. Aber Sie tragen dafür die Verantwortung. Das will ich Ihnen vorher gesagt haben, weil
Sie eine so leichtfertige Politik im Interesse der Konzerne machen.
Sie haben gerade gesagt, das Ganze nutze den erneuerbaren Energien. Ich komme kurz auf die entsprechenden Zahlen zu sprechen. Ihnen sind eben Zahlen
vorgehalten worden. Auf längere Frist gesehen stellt sich
Folgendes heraus: Durch die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wird der Zuwachs bei Photovoltaik bis 2020 um 72 Prozent sinken, bei Windkraft um
65 Prozent und bei Biomasse um 85 Prozent gesenkt
werden. Nichts tun Sie für erneuerbare Energien. Im Gegenteil: Sie zerstören die Unternehmen, die jetzt gegen
die vier Großen noch standhalten konnten, und Sie
bauen dort Arbeitsplätze ab. Das, was Sie machen, ist
nicht nur ökologisch eine Katastrophe, sondern auch sozial- und arbeitsmarktpolitisch.
({12})
Zu den Stadtwerken. Die Stadtwerke haben heute
eine schöne ganzseitige Anzeige geschaltet: „Vier gewinnen, Millionen verlieren“. Recht haben die Stadtwerke. Sie haben nämlich fehlinvestiert, weil sie von
dem alten Kompromiss ausgegangen sind. Selbst die
Stadtwerke ruinieren Sie. Auch das macht Ihnen nichts
aus.
({13})
Sie kommen damit, dass ja so viel Geld flösse. Also
machen wir es doch einmal konkret: Sie haben 2,3 Milliarden Euro pro Jahr an Brennelementesteuer gefordert.
Dann kam die Atomlobby und hat Ihnen gesagt, dass sie
nicht so viel bezahlen will. Daraufhin haben Sie gesagt:
Na gut, dann nur 1,5 Milliarden Euro und auch nur sechs
Jahre lang. Sie haben sich auf insgesamt 9 Milliarden
Euro herunterhandeln lassen. Sie setzen das genauso um,
wie es Ihnen die Atomlobby diktiert hat, keinen Deut anders.
Jetzt haben Sie gesagt: Aber sie müssen ja in die Förderung erneuerbarer Energien einzahlen. Von 15 Milliarden Euro reden Sie. Sagen Sie doch einmal ehrlicherweise: Gefördert werden sollen nur jene erneuerbaren
Energien, die die vier Konzerne auch selbst herstellen.
Sie investieren für sich selbst. Das ist die Wahrheit.
({14})
- Nein, das ist die Wahrheit.
({15})
Das Nächste ist, dass Sie so viele Sonderklauseln in
den Verträgen geschaffen haben, dass von dem Geld fast
nichts übrig bleibt.
Sie haben gesagt: Wenn die neuen Sicherheitsvorkehrungen mehr als 500 Millionen Euro kosten, dann
müssen das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen. - Das heißt, dass dieser Betrag von den
15 Milliarden Euro abgezogen werden kann. Außerdem
sehen Sie für die Sicherheitsvorkehrungen ewig lange
Umsetzungszeiten vor.
({16})
Ihr Bundesministerium hat errechnet, dass die Kosten
mindestens bei 1,2 Milliarden Euro pro Atomkraftwerk
liegen. Wenn ich nur von Ihrer Zahl ausgehe, dann reduzieren sich die 15 Milliarden Euro schon auf 3 Milliarden Euro. Das ist alles, was dabei herauskommt. Wenn
man die erwähnten 9 Milliarden Euro und die 3 Milliarden Euro, die ich eben genannt habe, zusammennimmt,
dann kommt man auf 12 Milliarden Euro.
Der Mindestgewinn der vier Konzerne liegt nicht bei
40 Milliarden Euro, Herr Gabriel, sondern bei den heutigen Preisen bei 67 Milliarden Euro. Wenn es zu Preissteigerungen kommt, womit zu rechnen ist, dann liegt
der Gewinn bei 127 Milliarden Euro. Der Einnahme von
12 Milliarden Euro aus der Laufzeitverlängerung stehen
also mindestens 67 Milliarden bzw. wahrscheinlich
127 Milliarden Euro gegenüber. Das ist Ihre Politik, und
darauf sind Sie auch noch stolz. Hinterher können Sie
sagen: Wir haben vier Konzerne reich und Millionen
Menschen arm gemacht. Daran arbeiten Sie, und das bezeichnen wir als nicht hinnehmbar.
({17})
Lassen Sie mich noch eines sagen: Die Atompläne
der Bundesregierung gefährden, wie ich versucht habe
nachzuweisen, die Demokratie. Sie sind alles andere als
eine Revolution, wie Frau Merkel meinte. Sie sind ein
deutlicher Rückschritt weg von Demokratie und einer
modernen Energieversorgung hin zu einer klaren Lobbyisten- und Klientelpolitik.
Deshalb hoffe ich sehr, dass unser Bundesverfassungsgericht sagen wird, so geht das alles nicht. Denn
Sie planen ganz bewusst einen Verfassungsbruch ein, indem Sie den Bundesrat nicht beteiligen wollen. Sie planen den Verfassungsbruch nur deshalb ein, weil Sie wissen, dass Sie im Bundesrat keine Mehrheit haben. Das
kann ein Bundesverfassungsgericht Ihnen nicht durchgehen lassen. Dann wird Ihre ganze Gesetzgebung wieder
platzen. Das hoffe ich zumindest.
({18})
Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben
von einer energiepolitischen Revolution gesprochen,
Frau Merkel. Ablauf, Beratung und Inhalt dieses Gesetzentwurfs zeigen, dass das, was Sie hier inszenieren,
keine Revolution, sondern schlicht und ergreifend ein
Putsch ist.
({0})
Was ist eigentlich daran Blockiererpolitik, sehr geehrter Kollege Altmaier, wenn eine Fraktion von ihrem
selbstverständlichen Recht Gebrauch macht, Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf vorzulegen? Was
gibt es Urparlamentarischeres und Konstruktiveres, als
Änderungsanträge vorzulegen?
({1})
Was aber haben Sie gemacht? Sie haben im Umweltausschuss das Recht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Änderungsanträge einzubringen, entgegen der Geschäftsordnung mit Mehrheit unterbunden. Wer ist denn
hier eine Blockiererpartei? Wer bewegt sich hier denn
jenseits von Recht und Gesetz? Sie sind es.
({2})
Sie treten die Rechte von Minderheiten mit Füßen.
Sie versuchen, den Bundesrat zu umgehen. Kurz: Sie
brechen die Verfassung, und Sie spalten die Gesellschaft.
Dies alles begleiten Sie mit absurden Behauptungen. Da
wird behauptet, Deutschland habe die sichersten Atomkraftwerke der Welt.
({3})
Die Wahrheit ist: Deutschland hat den drittältesten
Kraftwerkspark. Den wollen Sie jetzt bis 2040 verlängern. Am Ende sollen 55 Jahre alte Kraftwerke in einem
wechselnden Lastbetrieb hier Versorgungssicherheit
garantieren.
Was da auf die Atomaufsicht der Länder zukommt, ist
eine völlig neue Aufgabe. Das ist keine Petitesse.
({4})
Die Übertragung von neuen Aufgaben im Rahmen der
Bundesaufsicht und der Bundesauftragsverwaltung ist
zwingend zustimmungsbedürftig. Wenn Sie diese Zustimmungsbedürftigkeit missachten, dann ist Ihr Gesetz,
Ihr energiepolitischer Putsch, schlicht und ergreifend
nichtig. Das werden Sie erleben.
({5})
Sie wissen, dass die bestehenden Atomanlagen den
Sicherheitsanforderungen nicht genügen; denn sonst
wären Sie mit den neuen Regelungen nicht von der bestmöglichen Vorsorge nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik weggegangen und zu Maßnahmen
übergegangen, die nur noch geeignet und angemessen
sein müssen. „Geeignet und angemessen“ heißt, sie dürfen nicht mehr als 500 Millionen Euro kosten. Das ist Ihr
neuer Sicherheitsstandard.
({6})
Ich höre immer wieder gerne zu, wenn gerade Christdemokraten über Sicherheit reden und der Regierung
von SPD und Grünen einen laxen Umgang mit Sicherheitsbestimmungen vorwerfen. Ich frage Sie: Warum
musste ich denn regelmäßig Herrn Müller und seinen
Staatssekretär Mappus zum bundesaufsichtlichen Gespräch bestellen, um sie zu zwingen, Philippsburg stillzulegen, weil es nicht nach Stand von Wissenschaft und
Technik betrieben wurde?
({7})
Warum musste ich Herrn Koch zwingen, Biblis vom
Netz zu nehmen, als die Dübel aus der Decke fielen?
Nehmen Sie die Sicherheit ernst? Nein, Sie wollen nun
diese laxe Form der Atomaufsicht, die Ihnen jahrelang
von einem grünen Bundesumweltminister verboten bzw.
untersagt worden ist, zum Bundesgesetz erheben. Sie
übernehmen schlicht und ergreifend die Sicherheitsvorstellungen der Atomkraftwerksbetreiber. Das ist der einzige Grund, warum Sie Herrn Hennenhöfer von Eon zurückgeholt haben.
({8})
Das gilt im Übrigen auch für die Endlagerfrage. Wie
kann man auf die Idee kommen, einen wegen Unfähigkeit in den Fällen Brunsbüttel und Krümmel von Vattenfall gefeuerten Atommanager zu beauftragen, die Sicherheit von Gorleben zu beurteilen?
({9})
Das zeigt doch den ganzen Abgrund von Lobby- und
Klientelpolitik. Das ist unerträglich, wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung in diesem Land geht.
({10})
Sie reden davon, Sie bauten eine Brücke zu den Erneuerbaren.
({11})
Warum verringern Sie dann die Ausbauziele? Sie behaupten, Sie stellten den Erneuerbaren mehr Geld zur
Verfügung. Das ist nicht wahr. Tatsächlich kommt in
30 Jahren gerade so viel Geld zusammen, wie die Branche der erneuerbaren Energien allein in diesem Jahr
investiert hat. Wie passt es dazu, dass Sie noch in der
gestrigen Haushaltsausschusssitzung die Steuerbegünstigung der Fernwärme einkassiert haben, was die Stadtwerke noch einmal Millionen kostet? Wollen Sie mehr
Klimaschutz, oder wollen Sie die Marktmacht von Eon,
RWE und den anderen Konzernen stärken? Sie wollen
die vier großen Energiekonzerne stärken und gleichzeitig die Stadtwerke, die Erneuerbaren und neue Anbieter
auf dem Markt schwächen. Das ist Kern und Gegenstand
Ihrer Energiepolitik.
({12})
Ich weiß - auch von Grünen -, dass der Konsens in
der Energiepolitik nicht von allen geliebt war. Aber eines konnte man ihm nicht absprechen: Die Kombination
aus der Begrenzung von Laufzeiten, dem Inkrafttreten
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Einführung
des Emissionshandels hat klare, kalkulierbare Rahmenbedingungen für alle Markteilnehmer geschaffen. Jeder
Investor, der etwa in ein Gaskraftwerk oder einen Windpark investiert hatte, wusste, wie lange noch diese Anlagen mit alten, abgeschriebenen Atomkraftwerken konkurrieren mussten.
Jeder wusste, was er in den nächsten Jahren an Einspeisevergütung bekommt, wenn er etwas im Bereich
der erneuerbaren Energien in das Netz einbringt. Jeder
Investor wusste als Betreiber eines Kohlekraftwerks
auch, dass CO2 einen Preis hat und dass dieser Preis
künftig steigen wird. In diesem Rahmen sind in den vergangenen Jahren Milliarden Euro in Deutschland investiert worden - übrigens überwiegend nicht von den vier
großen Energiekonzernen, sondern von vielen Bürgerwindparks, von Mittelständlern und von anderen Investoren aus dem europäischen Ausland.
Und was passiert heute? Was macht die angeblich
bürgerliche Koalition mit dem bürgerlichen Stilempfinden eines Herrn van Essen?
({13})
Sie enteignen diese Unternehmen, Sie enteignen sie zugunsten von Eon, RWE und Co.
({14})
Das ist Ihre Vorstellung bürgerlicher Politik.
Nein, meine Damen und Herren, der heutige Tag ist
das Ende der Investitionssicherheit in der Energiebranche in Deutschland. Diese Investitionen brauchen Sicherheit über mehrere Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte. Sie wissen sehr genau, dass das, was Sie heute
hier beschließen, ein sehr kurzfristiges Geschenk für vier
Unternehmen ist. Es wird keine vier Jahre Bestand haben.
({15})
Für die Bundesregierung spricht nun der Umweltminister Dr. Norbert Röttgen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es gibt ein ganz klares Ziel, das die
Bundesregierung und die Koalition mit dem Energiekonzept verfolgen.
({0})
Dieses Ziel besteht darin, dass wir in Deutschland die
effizienteste, die klimaverträglichste und die wettbewerbsfähigste Energieversorgung verwirklichen werden,
die es weltweit in einem Industrieland gibt. Das ist unser
Ziel.
({1})
Ich glaube sogar - weil wir so viel streiten und weil es
hier in dieser Debatte so einen großen Streitgestus gibt -,
dass das in Wahrheit ein Konsens in diesem Haus ist,
dass wir das alle wollen.
({2})
Darum sollten wir auch dazu stehen, dass wir das gemeinsam wollen. Ich glaube nämlich, dass es unsere
Pflicht ist, dass wir alle einen Beitrag dazu leisten, dass
Energiepolitik, diese Lebensader unserer Gesellschaft,
diese Lebensader unserer Industriegesellschaft, kein
Streitthema und kein Kampfthema ist, sondern dass es
im Interesse der Menschen, der Industrie ein gemeinsames Thema von uns ist, weil wir dem Land zu dienen haben.
({3})
Warum führen Sie denn diesen - das muss ich wirklich sagen - etwas albernen Gestus hier in dieser Debatte
und in den Ausschüssen auf? Warum? Weil Sie sich dafür entschieden haben, dieses Thema entgegen den Interessen unseres Landes als parteipolitisches Kampfthema
wiederzuentdecken. Sie stellen die Parteiinteressen vor
die Interessen des Landes, vor die Interessen der Zukunft
dieses Landes.
({4})
- Natürlich. Sie wollen Wähler aktivieren, Sie wollen
Stimmung machen. Sie schüren Ängste. Warum das alles? Weil das dem Land dient? Nein, Sie glauben, es
dient Ihnen als Partei. Ich sage Ihnen aber eins: Sie unBundesminister Dr. Norbert Röttgen
terschätzen die Intelligenz und das Verantwortungsbewusstsein der Wähler.
({5})
Die wollen Zukunftsorientierung und nicht dieses Parteigeschrei, das Sie hier aufführen.
({6})
- Ich möchte das kurz zu Ende ausführen, Frau Höhn. Wir können jedenfalls unsere Ziele in Zahlen ausdrücken, zu denen wir uns verbindlich bekennen.
({7})
Das sind nicht Parteiprogramme, sondern das ist das
Konzept unseres Landes. Ein Anteil von 80 Prozent
durch erneuerbare Energien beim Strom ist unser Ziel.
Mindestens 80 Prozent an CO2 zu reduzieren, ist unser
Ziel. 50 Prozent Reduzierung des Energieverbrauchs
durch Steigerung der Energieeffizienz ist unser Ziel. Das
ist unser Konzept. Das ist Zukunft, die wir realisieren
wollen, und zwar ganz konkret.
({8})
Zum ersten Mal gibt es überhaupt ein Konzept. Zum
ersten Mal werden diese Ziele verbindlich. Seit 20 Jahren
fehlt ein solches Konzept. Ich glaube, dass das der entscheidende Unterschied ist. Wenn man Ihnen in den Debatten, die wir führen, zuhört, dann stellt man fest: Es
kommt ganz viel Kritik. Sie kritisieren dies und jenes. Sie
kritisieren sogar das, was Sie selber nicht geschafft haben,
was wir jetzt realisieren. Sie kritisieren, kritisieren, kritisieren. Ich sage Ihnen, was der Unterschied ist. Was ich in
Ihren Reden - ich habe jetzt mehrere Debatten verfolgt;
wir haben zahlreiche durchgeführt -, in den Reden sämtlicher Oppositionsabgeordneter, noch nicht einmal gehört
habe, ist ein Vorschlag, wie Sie es machen wollen, ist Ihr
Konzept, ist Ihre Alternative.
({9})
Gar nichts bieten Sie. Das sind doch reine Retroveranstaltungen, keine Zukunftsorientierungen.
Ich will Ihnen einmal eines sagen: Diejenigen, die
hier sitzen und nur kritisieren können, sind in Wahrheit
energiepolitische Blindgänger. Sie haben nichts drauf.
Sie wissen nicht, wie wir die Zukunft in unserem Land
bewältigen wollen.
({10})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, wie Ihre
maßlose Kritik, die Sie hier - mehr durch Lautstärke als
durch Argumente - artikulieren,
({11})
völlig an der Sache vorbeigeht: Photovoltaik. Wir haben
hier ähnlich gestritten über den Vorschlag des Bundesumweltministers, der nämlich für erneuerbare Energien ist, und den Beschluss der Koalition im Haus, die
staatliche Vergütung für die Photovoltaik zu reduzieren,
weil die Preise um 40 Prozent gefallen waren. Was haben Sie alles angekündigt: Zigtausende von Arbeitsplätzen gehen verloren; die Märkte brechen ein; die Technologieführerschaft wird aufs Spiel gesetzt. Das waren
doch Ihre wilden, unbegründeten Drohungen.
Jetzt sind wir ein halbes Jahr weiter. Was können wir
heute schon registrieren? Die Branche boomt wie nie zuvor. Sie boomt sogar so sehr, dass wir darauf achten
müssen, dass die Netze die Belastung aushalten und dass
die Kosten unter Kontrolle bleiben. Wer erneuerbare
Energien will, der muss das in einem Konzept zum Ausdruck bringen. Wir brauchen nicht nur wilde Reden und
den guten Willen bei einigen von Ihnen, sondern ein hartes, konkretes Konzept, und das legen wir vor.
({12})
Das unterscheidet uns von Ihnen. Sie bieten nichts, und
das ist vielleicht das, was Sie ärgert.
({13})
Es ist eine Revolution, die Energieversorgung umzustellen von fossiler Energie und Kernenergie. Das ist
eine Revolution im Prozess. Das ist eine grundlegende
Umgestaltung unseres Landes. Wir führen sie durch,
weil wir glauben, dass sie dem Klimaschutz dient, und
Klimaschutz ist unsere Lebensgrundlage. Wir führen
diese Umgestaltung durch, weil wir überzeugt davon
sind, dass damit eine technologische Modernisierung,
eine Innovation, die Erschließung neuer Märkte und die
Entstehung Hunderttausender von Arbeitsplätzen, die
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherung einhergehen. Wir realisieren ein langfristiges Konzept. Sie haben dabei nichts zu bieten, keine Alternative.
Wir machen es anders. Es ist der parteipolitische Neid,
der Sie hier zum Schreien bringt. Nichts anderes ist das,
was Sie machen.
({14})
Von Ihnen ist nichts da. Wo ist Ihr Antrag? Wo ist Ihr
Konzept? Wie sehen Ihre Pläne bezüglich Netzausbau
und Speichertechnologien aus? Wo ist das Geld, das Sie
zur Verfügung stellen wollen?
({15})
All diese Fragen werden von uns beantwortet. Wir haben
klare Ziele. 60 Maßnahmen sind geplant. Ab 2013 werden pro Jahr Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Wir
machen etwas, wovon Sie noch nicht einmal geträumt
haben, weil Sie nicht geglaubt haben, dass es unter Ihren
Finanzministern überhaupt möglich wäre.
({16})
Da sitzt ein Finanzminister, der nicht nur Fiskalpolitik macht, sondern Finanzpolitik strategisch betreibt.
Das spricht für die ganze Regierung. Wir wollen dieses
Feld im Hinblick auf die Interessen unseres Landes, auf
die Zukunftsinteressen der nächsten Generationen strategisch ausbauen. Auch darin zeigen sich die Unterschiede
zwischen Ihnen und uns.
({17})
Jetzt komme ich zu einem besonders unangenehmen
Verhalten meiner beiden Vorgänger im Bereich Sicherheit.
({18})
- Sehr gerne.
({19})
- Ja. Ich bin informiert; darum kann ich das ganz nüchtern feststellen.
({20})
Der erste Grund Ihres argumentationslosen Kampfgeschreis ist die parteipolitische Aktivierung. Der zweite
Grund Ihres Geschreis beim Thema Sicherheit ist, wenn
ich es positiv formuliere, das schlechte Gewissen, das
Sie treibt.
({21})
Sie wollen durch Angriff davon ablenken, was Sie gemacht haben, was viele von Ihnen mit schlechtem Gewissen vollzogen haben.
({22})
Vielleicht hatten gar nicht alle ein schlechtes Gewissen.
Das ist das, was Ihr eigener Sachverständiger, der von
Ihnen, von der Opposition benannte Sachverständige, in
der Ausschussanhörung gesagt hat.
({23})
Das ist genau der Punkt, den ich Ihnen vorwerfe. Der
Sachverständige Lothar Hahn, den Sie benannt haben
- früher beim Öko-Institut -, hat gesagt,
({24})
dass durch den rot-grünen Atomausstieg wichtige Nachrüstungen ausgeblieben seien. Das betont Hahn. Ich zitiere ihn nach der taz, die das Zitat aufgenommen hat.
({25})
Genau das ist der Punkt. Ihr eigener Sachverständiger
sagt, dass durch den Atomausstieg - so wie Sie ihn gemacht haben - Nachrüstungen und Sicherheit auf der
Strecke geblieben sind.
({26})
Warum ist das so? Es ist so, weil Sie etwas getan haben, das inakzeptabel ist. Sie waren beim Atomausstieg
für den Skalp „Noch 20 Jahre Atomenergie“ bereit, über
Sicherheit zu verhandeln und keine neuen Sicherheitsauflagen zu machen.
({27})
Das ist in Wahrheit der Deal, Herr Trittin. Das ist in
Wahrheit der Deal, den Ihnen der Oberdinosaurier vorgeschlagen hat, wenn es schon vier Dinosaurier sind.
Das ist die Wortwahl des SPD-Parteivorsitzenden. Sie
verstehen sich mit diesen Dinosauriern übrigens glänzend, wahrscheinlich ist die SPD auch ein Dinosaurier,
daher kommt das gute Einvernehmen, Sie sind eben ein
Dinosaurier der Parteipolitik.
({28})
Herr Trittin, würden Sie bitte zuhören, wenn ich mit Ihnen spreche? Können wir miteinander reden?
({29})
Ich bin davon überzeugt, dass es so war. Das war der
Preis dafür, dass Ihnen der Oberdinosaurier Schröder
und seine Truppe der SPD diesen Ausstieg ermöglicht
haben. Der Preis, den Sie zu zahlen hatten, war, dass Sie
bei der Sicherheit nichts mehr tun.
({30})
Das haben Sie vertraglich zugesichert.
({31})
Herr Trittin, ich habe es Ihnen versprochen, ich lese Ihnen in jeder Debatte vor, was Sie als Minister für Reaktorsicherheit unterschrieben haben.
({32})
Sie haben den Unternehmen, die zu beaufsichtigen
sind, die Gegenstand und Adressat Ihrer Amtspflichten
waren, zugesagt,
({33})
die Bundesregierung werde keine Initiative ergreifen,
um diesen Sicherheitsstand - das ist der heutige Sicherheitsstand - und die zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Sie haben eine Garantie gegeben. Sie
haben gesagt, der Staat werde nie mehr machen, als er
jemals gemacht hat.
({34})
Das war amtspflichtwidrig, das durften Sie nicht tun. Sie
dürfen dem Adressaten der Aufsicht nicht zusichern,
dass es keine neuen Anforderungen an ihn gibt.
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gabriel zu?
Bitte sehr.
Ich will nicht, dass es da Missverständnisse gibt. Ich
habe nur eine Frage: Würden Sie akzeptieren, dass die
größte Kritik der Atomwirtschaft und eines Teils der
Länder an dem geänderten Kerntechnischen Regelwerk die Veränderung der Sicherheitsphilosophie gewesen ist und dass in Ihren Akten steht, dass die Veränderung der Sicherheitsphilosophie im Jahre 2008 und 2009
beim Kerntechnischen Regelwerk stattgefunden hat, und
zwar gegen Widerstand? Und dass wir das auch in Ihren
Akten im Bundesumweltministerium wiederfinden?
Würden Sie das bestätigen, oder würden Sie das bestreiten?
Erstens steht diese Frage in keinem Widerspruch zu
dem, wozu sich Herr Trittin vertraglich verpflichtet hat,
es zu unterlassen.
({0})
Er hat sich verpflichtet, es zu unterlassen, eine Änderung
der Anforderung im Gesetz vorzunehmen.
Zweitens. Ich komme zur nächsten Heldentat, derer
Sie sich immer rühmen: dem berühmten Kerntechnischen Regelwerk. Verehrter Herr Vorgänger, Sie haben
dieses Kerntechnische Regelwerk überhaupt nicht
durchgesetzt.
({1})
Sie haben mit den Ländern die Erprobung versucht und
sind zu keinem Ergebnis gekommen.
({2})
Auch an dieser Stelle muss ich die Arbeit erledigen, die
Sie nicht geschafft haben. Das ist die blanke Wahrheit.
({3})
Sie rühmen sich der Taten, die Sie gar nicht vollbracht
haben. Ich will gar nicht sagen, dass es an Ihnen gelegen
hat, dass Sie es nicht geschafft haben. Aber Sie haben es
nicht geschafft. Es hat niemals ein verbindlich ins Werk
gesetztes Kerntechnisches Regelwerk gegeben, weil Sie
die Beziehungen zu den Ländern auf einen Nullpunkt
gebracht haben. Deshalb haben Sie auch an dieser Stelle
nichts in puncto Sicherheit geleistet.
Herr Minister, werfen Sie bitte auch einen Blick auf
die Redezeit.
Das werde ich tun. Es ist aber mit meiner Fraktion
verabredet, dass das in Anrechnung gebracht wird.
Zum Thema Gorleben: Warum steht denn in dem
Vertrag, dass es bis zu zehn Jahre keine Erkundung gibt?
Weil das so ein populäres Thema ist? Weil man als Umweltminister Gabriel oder Trittin damit so gut herauskommt? Nein, weil die Pflichterfüllung unangenehm ist
und Sie sich dafür entschieden haben, den bequemen
Weg zu gehen und nicht das Unangenehme zu wählen.
Dabei haben Sie aber Ihre Pflichten vernachlässigt.
Kernenergie kann man ablehnen. Man kann aber nicht
ignorieren, dass sie seit 40 Jahren betrieben worden ist.
Darum ist es jedermanns Pflicht, als für Reaktorsicherheit zuständiger Minister und auch hier im Haus dafür zu
sorgen, dass wir die daraus entstehenden Abfälle behandeln und sie sicher lagern, anstatt sie ungesichert der
nächsten Generation, unseren Kindern, vor die Füße zu
kippen. Das ist doch das, was Sie gemacht haben.
({0})
Diese Zukunftsverweigerung und Verantwortungsverweigerung ist leider eine rot-grüne Linie auf dem Gebiet
der Energiepolitik. Das Ganze war für Sie nämlich leider
- das muss ich zu meinem Bedauern sagen - immer nur
ein parteipolitisches Kampfthema. Das ist ja in Ordnung.
Dann können Sie aber nicht den Anspruch erheben, dem
Land zu dienen und seine Zukunft zu sichern. Das geht
dann eben gerade nicht.
({1})
Als Parlamentarier - ich habe übrigens, als ich rechtspolitischer Sprecher war, häufig diese Art von Verfahren
bei der rot-grünen Regierung kritisiert ({2})
muss ich nun feststellen, dass Sie sich jetzt auch noch
über Verfahrensfragen und das angebliche Reden mit der
Industrie beklagen. Das überschreitet die erträgliche
Grenze der Unwahrhaftigkeit; denn in der Vereinbarung
ist doch alles transparent. Man muss es nur einmal zur
Kenntnis bringen. Natürlich haben Sie in der Vereinbarung mit der Atomwirtschaft, als Sie dafür zuständig
waren, auch eine weitere Zusage gegeben.
({3})
Sie haben dort nämlich vereinbart und zugesagt: Die Beteiligten - das sind die Betreiber der Kernkraftwerke schließen diese Vereinbarung auf der Grundlage, dass
das zu novellierende Atomgesetz einschließlich der Begründung die Inhalte dieser Vereinbarung umsetzt. - Sie
haben mal eben dem Gesetzgeber mitgeteilt, was er zu
tun hat. Das haben Sie mit den Betreibern verabredet.
({4})
Weiter haben Sie vereinbart: Über die Umsetzung der
Atomgesetznovelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der Kabinettsfassung zwischen den
Vertragspartnern beraten.
({5})
Das heißt, dass noch nicht einmal das Kabinett berät,
sondern die Vertragspartner zuerst die Konsultation
durchführen. Das ist doch hanebüchen.
({6})
Das ist eine Desavouierung und Beleidigung unserer
Verfassungsinstitutionen, die Sie begangen haben.
Nichts anderes haben Sie gemacht.
({7})
Darum will ich Ihnen sagen, dass wir trotzdem daran
festhalten, sachlich über diese Fragen zu debattieren,
({8})
dass wir an dem Weg festhalten, die Ziele, die unserem
Land dienen, zu realisieren, dass wir Klimaschutz durch
Energiepolitik vorantreiben und dass wir konsequent auf
die erneuerbaren Energien umstellen.
Man muss aber die notwendigen Schritte dafür tun.
Wir müssen den Netzausbau realisieren. Mit der wachsenden Photovoltaik, deren Untergang Sie prophezeit haben, kommen wir in manchen Regionen dieses Landes
leider an die Grenze der Netzstabilität, weil die beiden
Helden in den vergangenen Jahren nichts gemacht haben. Das ist die Wahrheit.
({9})
Sie haben hier Wehklagen über die Kürzung der Photovoltaikvergütung geübt und gesagt, sie würden alle kaputtgehen. Am heutigen Tag meldet sich die Erneuerbare-Energien-Branche und erklärt: Wir sehen uns in der
Pflicht, gerade weil wir erneuerbare Energien wollen,
der Politik ein Angebot zu machen; denn die Kosten
müssen unter Kontrolle bleiben, und die Netze müssen
es transportieren. - Die Branche stützt diesen Kurs, weil
sie von Ihren parteipolitischen Sprüchen nicht leben
kann.
({10})
Darum bleiben wir dabei: Das ist eine grundlegende
Umformung unserer Lebensweise und unserer Wirtschaftsweise. Es ist aber kein Verzichtsprozess, sondern
ein Prozess der technologischen Modernisierung für
unser Land - neue Arbeitsplätze, neue Technologieführerschaft,
({11})
internationale Marktanteile - und verbunden damit, dass
wir unsere Lebensgrundlage schützen, sie nicht zerstören und Klimawandel beseitigen. Bei allen wirtschaftlichen und technologischen Vorteilen, die wir hierbei sicher auf unserer Seite haben, geht es auch darum, unsere
Lebensgrundlagen durch moderne Energieversorgung zu
sichern und die Schöpfung zu bewahren.
Diese Perspektive wirtschaftlicher Art verbindet sich
mit einem moralischen Anspruch, den wir in dieser Politik verfolgen. Das ist es, was unsere Politik ausmacht:
eine wertgebundene, moderne Politik der Energieversorgung, die zukunftsorientiert ist und keine Feigheit zulässt, weil Themen unangenehm sind. Dieser Unterschied
trennt uns in diesem Haus zwischen Regierungskoalition
und Oppositionsfraktionen.
Herzlichen Dank für die Unterstützung, die wir hierfür haben durften, meine Damen und Herren.
({12})
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Höhn
das Wort.
({0})
Zunächst einmal für diejenigen, die „Dinslaken“ gesagt haben: Ich wohne in Oberhausen. Bevor Sie Zwischenrufe machen, sollten Sie sich erst einmal erkundigen.
Herr Minister, ich habe vorhin versucht, Ihnen eine
Frage zu stellen. Sie haben sie nicht zugelassen. Deshalb
möchte ich diese Anregung jetzt in einer Kurzintervention vorbringen.
Sie haben vorhin ausgeführt, dass wir Grüne das
Thema zu einem parteipolitischen Kampfthema machten. Ich sage Ihnen - hören Sie zu! -: Bei Ihnen sind die
Reihen sehr leer. Dieses Thema scheint Sie nicht wirklich zu interessieren. Mich hingegen interessiert dieses
Thema.
({0})
Sie haben recht: Auch das ist ein Grund gewesen, warum
ich mich bei den Grünen engagiere. In diesem Land
muss es möglich sein, dass man für seine politischen
Themen brennt. Ich tue das. Ich mache aktive Politik,
um Inhalte umzusetzen.
({1})
Die Auseinandersetzung um die Atomkraft hat in dieser
Gesellschaft Jahrzehnte gedauert.
Ich möchte Sie Folgendes fragen: Ist es Ihnen entgangen, dass es die Grünen waren, die genau dieses Kampfthema, wie Sie es bezeichnet haben, zusammen mit der
SPD zu einer Lösung gebracht haben, indem wir den
Atomkonsens geschaffen haben?
({2})
Wir und die Gegner der Atomkraft haben mit den Energiekonzernen verhandelt. Das heißt, wir haben ein
Thema abgeräumt, das diese Gesellschaft jahrzehntelang
beschäftigt hat. Sie haben diesen Konsens wieder infrage
gestellt; Sie provozieren diese Proteste.
({3})
Sie sind die Verursacher. Aber Sie wollen nur davon ablenken, dass Sie die Verursacher der Proteste sind, die es
jetzt gibt.
Können Sie bestätigen, dass nicht nur der Atomausstieg hier beschlossen worden ist, sondern dass RotGrün gleichzeitig das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf
den Weg gebracht hat und dass es die Union war, die dagegen gestimmt hat? Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist Rot-Grün zu verdanken und nicht Ihnen.
({4})
Können Sie ebenfalls bestätigen, dass, nachdem Sie
entschieden hatten, die Laufzeiten zu verlängern, auf der
Windmesse in Husum die Anmeldungen für Investitionen für 2012 eingebrochen sind? Der Bundesverband Erneuerbare Energie selbst sagt, die Laufzeitverlängerung
schade den erneuerbaren Energien und nütze ihnen
nichts. Sie sind der Einzige, der hier verkündet, für die
erneuerbaren Energien wäre es etwas Gutes, die Laufzeiten zu verlängern. Die Betroffenen selber sehen das anders, und auch wir sehen das anders.
({5})
Der letzte Punkt, zu dem ich etwas sagen möchte, betrifft Ihren Vorwurf an uns bezüglich der Sicherheit. Ja,
es war ein Atomkonsens. Deshalb stellt sich die Frage
- als Beispiel nenne ich die Warte in Biblis -: Wie viele
Investitionen brauchen Atomkraftwerke noch, wenn sie
ohnehin nur noch eine begrenzte Laufzeit von zehn Jahren haben?
({6})
Herr Röttgen, im Zusammenhang mit der Sicherheit
haben Sie noch im Mai verkündet, die völlig ungeschützten Atommeiler Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1 sollten gegen Terrorangriffe geschützt werden.
Machen Sie es, oder machen Sie es nicht? Ja oder nein?
Die Antwort darauf wollen wir heute von Ihnen hören.
({7})
Sie haben außerdem gesagt, dass Sie den Betreibern
maximal fünf Jahre für die Nachrüstung der Altmeiler
einräumen. Machen Sie es, ja oder nein? Die Antwort
darauf wollen wir heute von Ihnen hören.
({8})
Jemand, der sich angeblich so sehr für die Sicherheit
einsetzt, muss hier Farbe bekennen. Sie können nicht immer nur herumreden, wie Sie es bisher getan haben.
Der letzte Punkt. Bei Biblis ist die Sicherheit doch
wohl am größten, wenn es abgeschaltet wird.
Frau Kollegin, die drei Minuten sind überschritten.
({0})
Letzter Satz. - Die Abschaltung von Biblis sorgt für
die größtmögliche Sicherheit; man darf den Reaktor
nicht weiterlaufen lassen.
({0})
Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Reaktion auf diese Kurzintervention.
Ich will ganz sachlich auf die einzelnen Punkte eingehen.
({0})
Erstens: zur Windenergiemesse in Husum. Man muss
sich wirklich nicht bei der Politik bedanken. Wenn sich
aber eine Branche bei der Politik bedankt hat, dann darf
man das zur Kenntnis nehmen - ich teile es hier dem
Bundestag mit -: Die Windenergiebranche bedankt sich
ausdrücklich für das Engagement der Koalition für die
Förderung der Offshorewindenergie;
({1})
denn wir setzen auf keine andere Energiequelle so sehr
wie auf die Windenergie.
Ich will hier keine zweite Rede halten, sondern nur
ein Beispiel nennen. Wir haben bei der Offshorewindenergie ein absolutes Investitionsproblem. Diese Koalition hat dafür gesorgt, dass in Zeiten einer schwierigen
Kassenlage ein Investitionsprogramm für Offshorewindenergie mit einem Volumen von 5 Milliarden Euro
aufgelegt wird, damit bei dem Thema in Deutschland
endlich etwas passiert, also nicht nur Wind gemacht
wird, sondern Windenergieanlagen entstehen.
({2})
Dafür bedankt sich die Branche selbstverständlich; denn
sie hat endlich klare Bedingungen.
Zweitens: EEG. Natürlich gab es auch damals Opposition und Regierung. Das EEG ist ein richtiges Gesetz.
({3})
Sie machen aber auch dort einen Fehler - einen Dinosaurierfehler -, indem Sie sagen: Wir haben das einmal gemacht; wir müssen daran nichts mehr ändern. - Doch:
Wir müssen es fortentwickeln und anpassen.
({4})
Denn wir möchten einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung von 80 Prozent erreichen.
Darum muss man dieses Gesetz anpassen. Sie wollen
vielleicht - manche von Ihnen aus lobbyistischen Gründen -, dass das EEG zu einem Dauersubventionstatbestand wird. Damit untergräbt man aber die Akzeptanz
der erneuerbaren Energien. Das EEG dient der Markteinführung und ist keine Investitionshilfe für einige Investmentfonds, damit diese Kapitalrenditen im zweistelligen
Prozentbereich erzielen.
({5})
Wenn wir die Änderung des EEG im Bereich der Photovoltaik nicht durchgeführt hätten, dann würde uns die
Photovoltaik um die Ohren fliegen, und zwar in Bezug
auf die Kosten und das Netz. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis: Gerade diejenigen, die erneuerbare
Energien wollen, müssen die gesetzlichen Grundlagen
anpassen, damit die erneuerbaren Energien im Markt ankommen und zukunftsfähig sind. Genau darum geht es.
({6})
Drittens: Sicherheit. Um es ganz nüchtern und ruhig
zu sagen: Bei den Sicherheitsstandards und -anforderungen bleibt alles so, wie Sie es vereinbart und damit offensichtlich für verantwortbar gehalten haben.
({7})
Der Rechtszustand, mit dem die Minister Trittin und
Gabriel leben konnten, bleibt selbstverständlich unangetastet. Das gilt uneingeschränkt. Selbstverständlich wird
nichts von dem, was Sie für vollkommen ausreichend
gehalten haben, gestrichen.
({8})
Wir sind aber im Unterschied zu Ihnen damit nicht
zufrieden und schaffen eine zusätzliche Vorsorgestufe.
({9})
Das ist die Wahrheit: Alles bleibt so, wie es bei Ihnen
war - Sie wollten keine Veränderung -; es kommen sogar noch mehr Sicherheitsmaßnahmen hinzu.
({10})
Viertens. Frau Höhn, Sie haben eine verräterische Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt, Sie hätten im Zusammenhang mit dem Ausstiegsbeschluss - Sie nennen
das immer „Konsens“, aber Sie haben eine Vereinbarung, einen Vertrag mit der Wirtschaft geschlossen über die Sicherheit verhandelt. Wir sind der Auffassung:
Sicherheit gehört ins Gesetz; es ist die Prärogative des
Gesetzgebers, die Sicherheitsbedingungen festzulegen.
Die Regierung hat diesbezüglich kein Verhandlungsmandat.
Sie haben es richtig formuliert, als Sie sagten, Sie hätten „ein Thema abgeräumt“. Genau so ist es. Sie haben
versucht, ein für Sie unangenehmes Thema - das konzediere ich sofort - abzuräumen, sodass es nicht mehr auffällt. Die Castortransporte haben auch in der rot-grünen
Regierungszeit stattgefunden; Sie haben aber keinen
Protest dagegen organisiert. Jetzt ist eine andere Regierung an der Macht; jetzt organisieren Sie wieder den
Protest.
({11})
Sie haben das Thema parteipolitisch abgeräumt; das ist
richtig. Das ist eine Bestätigung meines Vorwurfs: Bei
dem Thema ist es Ihr Anliegen, es parteipolitisch abzuräumen.
Wir sind der Auffassung: Energie ist elementar für die
Zukunft dieses Landes; dem fühlen wir uns verpflichtet.
Es ist für uns kein Thema, das man abräumen sollte.
Vielmehr geht es darum, die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Das ist der abweichende
Ansatz und Anspruch, den wir auf diesem Gebiet haben.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Matthias Miersch für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesumweltminister, das war wieder typisch.
Reden und Handeln fallen bei Ihnen um 180 Grad auseinander.
({0})
Herr Bundesumweltminister, Sie stellen sich hier hin
und sagen, dass Sie Lob vom Bundesverband WindEnergie bekommen. Aber warum steht denn dann der Präsident des Bundesverbandes WindEnergie gerade jetzt
draußen vor dem Reichstag und demonstriert gegen Sie?
({1})
Sie werfen uns vor, wir hätten kein Konzept. Was zerschlagen Sie hier denn gerade? Sie zerschlagen den
Atomkonsens. Sie zerschlagen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie zerschlagen die Zukunft von kommunalen Stadtwerken. Sie können uns doch nicht vorwerfen,
dass es kein Konzept gibt. Sie haben es hier mit einem
Konzept zu tun. Sie machen es aber gerade kaputt, lieber
Herr Bundesumweltminister.
({2})
Sie haben sich leider sämtlichen Diskussionen im
Ausschuss verweigert. Trotz der Kürze meiner Redezeit
will ich auf einige Punkte eingehen. Sie lachen zwar im
Augenblick, hören Sie mir aber trotzdem zu! Es geht um
ganz viel, unter anderem um Ihre Behauptung im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit. Dazu kann ich
Ihnen nur sagen: Es war Bundesumweltminister Sigmar
Gabriel, der das Kerntechnische Regelwerk für die Bundesaufsicht 2008 erarbeitet und 2009 in Kraft gesetzt
hat.
({3})
Das werden wir darlegen. Sie haben dieses Regelwerk
jetzt, im Jahr 2010, außer Kraft gesetzt, Herr Bundesumweltminister.
({4})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU und der FDP, einmal genau zuzuhören. Es geht hier
um zentrale Sicherheitsaspekte, die auch für künftige
Generationen relevant sind. Der Bundesumweltminister
hat hier erklärt, dass er im Bereich der Sicherheit nichts
ändert. Sie waren am Montag und Dienstag leider nicht
bereit, über diese Punkte zu reden. Möglicherweise glauben Sie uns auch nicht. Ich will den Justizminister des
Landes Schleswig-Holstein zitieren, der an Sie, Herr
Röttgen, schreibt:
Ich bin vielmehr in Sorge, dass die von Ihrem Haus
verfolgte Absicht zur Festschreibung einer eigenständigen Sorgepflicht im Ergebnis zu einer Abschwächung der nach dem gültigen Atomgesetz bestehenden weitreichenden Pflichten der Betreiber
und damit im Ergebnis möglichweise zu einer Absenkung des verfassungsrechtlich gebotenen hohen
Schutzniveaus führen könnte.
Das stammt aus der Feder der schwarz-gelben Regierung von Schleswig-Holstein. Was sagen Sie dazu, Herr
Bundesumweltminister?
({5})
Wie können Sie behaupten, dass Sie das hohe Schutzniveau, das der Justizminister der schwarz-gelben Regierung Schleswig-Holsteins bestätigt, tatsächlich beibehalten?
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich hätte mir gewünscht, dass auch das Justizressort dazu etwas sagt;
denn der Justizminister schreibt weiter:
Für gänzlich inakzeptabel halte ich die von Ihnen
geplante und regelungstechnisch auch in § 7 b
Atomgesetz verankerte Einschränkung des Rechtsschutzes Dritter. Ich halte es für einen umweltrechtlich sowie verfassungsrechtlich und rechtspolitisch
verfehlten Rückschritt.
Das schreibt die schleswig-holsteinische Landesregierung an Sie, Herr Bundesumweltminister. Und Sie
stellen sich hier hin und sagen, das Schutzniveau werde
nicht abgesenkt. Auch darum wird es beim Bundesverfassungsgericht gehen müssen.
({6})
Im Zusammenhang mit „Worte und Taten“ will ich
ein weiteres Zitat anführen. Herr Bundesumweltminister, vor zwei Monaten haben Sie der deutschen Öffentlichkeit erklärt:
Die Politik muss mächtige Unternehmen gerade
auch im Steuerrecht so wie die normalen Bürger
behandeln … Deshalb darf der Staat grundsätzlich
nicht mit einzelnen Unternehmen einen Deal machen.
Das sind Ihre Worte. Heute sehen wir die Taten, Herr
Bundesumweltminister. Sie sitzen mit den Konzernen
zusammen, und Sie machen einen Vertrag.
({7})
Herr Kollege Gysi, es ist nicht nur so, dass die Kernbrennstoffsteuer zeitlich befristet ist, sondern in dem
Vertrag wird den Konzernen sogar zugesichert, dass sie
gegen diese Steuer klagen können. Herr Bundesumweltminister, Sie haben es nicht einmal hinbekommen, dass
diese Einnahmen sicher sind.
({8})
Ich will an der Stelle sagen: Wir werden den vier
Konzernen sagen müssen, dass sie ihren Vertrauensschutz missbraucht haben; sie werden sich auf diesen
nicht mehr berufen können.
Insofern möchte ich mit den letzten Worten aus dem
letzten Werk von Hermann Scheer enden. Ich zitiere:
Es bedarf keines mit den Energiekonzernen abgestimmten energiepolitischen Gesamtkonzepts, sondern politischer Entscheidungen. Auf der politischen
Ebene entscheidet sich, ob der Energiewechsel, den
die Gesellschaft vollzieht, beschleunigt wird.
Nehmen wir dies als Aufbruch zum Kampf gegen das,
was Sie hier heute durchsetzen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir
hier heute erleben und auch schon im Umweltausschuss
des Deutschen Bundestages erlebt haben, ist, dass die
Opposition Hysterie verbreitet. Sie erkennt nämlich, was
sie in der Vergangenheit versäumt und welche Fehler sie
begangen hat und dass sie kein Konzept für die Zukunft
der Energieversorgung in Deutschland hat.
({0})
Herr Trittin, der hier und heute heuchelt und hetzt, hat
sieben Jahre lang bei den Fehlern, die bei der Lagerung
in der Asse passiert sind, weggeschaut.
({1})
Er hat sieben Jahre lang die Hände in den Schoß gelegt,
wenn es um die sichere Endlagerung ging. Dies tat er,
weil er es sich mit der grünen Basis nicht verscherzen
wollte. Deswegen haben Sie Ihre Pflichten verletzt. Jetzt
schreien Sie hier in diesem Parlament herum
({2})
und machen uns Vorwürfe, obwohl wir mit diesem Gesetz die Lösungen für die Zukunft bringen, beispielsweise die Lösung für die Entsorgung der Nuklearabfälle.
({3})
Lieber Herr Gabriel, ich erinnere mich noch an die
Zeit, als Sie bedeutungsschwanger in den Umweltausschuss kamen und uns über Ereignisse in Kernkraftwerken berichteten. Am Schluss Ihrer Berichte haben Sie
stets gesagt: Trotzdem ist es sicher, und deshalb wird
nichts gemacht. - Dieses „es wird nichts gemacht“ zog
sich durch die gesamte Regierungszeit von Rot-Grün.
({4})
Seit 2000 sind keine wirklichen Nachrüstungen vorgenommen worden; denn Sie haben den Konzernen vertraglich versprochen,
({5})
dass diese keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen, dass sie keine zusätzliche Steuer zu entrichten haben und dass es zu keinen Gewinnabschöpfungen kommen wird. Das war Ihr schmutziger Deal von
2000.
({6})
Wir machen einen Vertrag, der Gewinnabschöpfungen vorsieht. Wir machen ein Gesetz für mehr Sicherheit, und wir werden eine Steuer erheben. Wir kassieren
diese Konzerne so ab, wie Sie es sich nie getraut haben.
({7})
Wir sehen eine zusätzliche Risikovorsorge für die
Kernkraftwerke vor. Wir ändern allerdings nichts am
bisherigen § 7 des Atomgesetzes. Das heißt, alle Regelungen, die die Atomaufsicht heute heranziehen kann,
werden ihr auch weiterhin zur Verfügung stehen. Zusätzlich geben wir ihr in § 7 d eine Regelung an die Hand,
nach der der Betreiber entschädigungslos über das bisherige Schutzniveau bzw. Design der Genehmigung hinaus
für Sicherheit und dafür zu sorgen hat, dass Nachrüstungen vorgenommen werden. Das ist ein Mehr an Sicherheit, welches Sie nie erreicht haben, und nun wollen Sie
von Ihrem eigenen Versagen ablenken.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schwabe von der SPD-Fraktion?
Nein. Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die
sich hier ständig melden, hätten sich von ihren Fraktionen auf die Rednerliste setzen lassen können.
({0})
Die permanenten Versuche der Opposition, ihre Redezeit
zu erhöhen, werde ich hier nicht unterstützen.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie arbeiten permanent
mit Unterstellungen. Es wird uns gesagt, wir wollten die
erneuerbaren Energien gar nicht und wir wollten den
Einspeisevorrang abschaffen. Dazu werde es schon irgendwann kommen, und dann würden die Netze verstopft. Das ist doch eine Märchenstunde, die Sie hier
permanent abhalten.
({2})
Deshalb sage ich ganz klar für meine Fraktion - ich
denke, auch für die Koalition; denn wir haben das im
Energiekonzept und im Koalitionsvertrag vereinbart -:
Wir werden den unbegrenzten Einspeisevorrang für erneuerbare Energien sichern. Wir werden das EEG modernisieren. Wir werden eine stetigere Netzeinspeisung
anregen.
({3})
Aber wir werden die Möglichkeiten der erneuerbaren
Energien in keiner Weise einschränken. Im Gegenteil:
Mit dem Klima- und Energiefonds legen wir das größte
Förderprogramm für erneuerbare Energien auf, das dieses Land je erlebt hat.
({4})
Mit dem unbegrenzten Einspeisevorrang findet der
Wettbewerb nicht zwischen den erneuerbaren Energien
und der Kernkraft statt, sondern zwischen der Kernkraft
und der Kohle und dem Gas. Das ist doch die Wahrheit.
({5})
Sie, die Grünen, wollen neue Gaskraftwerke bauen und
damit die Brücke zu den erneuerbaren Energien bauen.
Sie sind die Lobbyisten von Herrn Putin.
({6})
Herr Gabriel mit seiner SPD ist der Lobbyist der Kohlewirtschaft. Es ist kein Zufall, dass im Aufsichtsrat von
RWE ganz viele Sozialdemokraten sitzen.
({7})
Wir werden den Wettbewerb in der Energiewirtschaft stärken. Deshalb legen wir ein Förderprogramm
für Offshorewindenergie auf, von dem gerade Zusammenschlüsse von Stadtwerken profitieren können. Deswegen haben wir die Investitionszulagen für hocheffiziente Kraftwerke auf Anbieter mit weniger als
5 Prozent Marktanteil beschränkt. Wir schmeißen das
Geld nicht RWE und Co hinterher. Das können Sie hier
noch so oft behaupten, es ist falsch. Die Mittelständler
werden von unseren Förderprogrammen profitieren.
({8})
Die größte Leistung des Energie- und Klimafonds ist,
dass künftig für Programme der Gebäudesanierung, der
erneuerbaren Wärme, der Forschung im Bereich der erneuerbaren Energien, aber auch für Klimaschutzprojekte
im Ausland die jeweiligen Minister nicht immer beim
Finanzminister betteln gehen müssen. Wir gewährleisten
durch die Gewinnabschöpfung bei den Kernkraftwerken
und vor allem durch die Entscheidung, 100 Prozent der
Mehrerlöse aus der Versteigerung von Emissionsrechten
für diese Klimaschutzprojekte zu verwenden, eine gesicherte Finanzierung. Der Multiplikatoreffekt dieser Ausgaben, von dem Sie selbst immer sagen, er liege bei 1 : 8
bis 1 : 10, wird - Herr Trittin kann noch so sehr versuchen, dies kleinzureden - viele Investitionen auslösen.
Sie werden vor Neid erblassen, wenn dieses Programm
in die Realität umgesetzt wird.
({9})
Die Auferlegung von Nachrüsttechnik ohne Zahlung
von Entschädigung, die Investitionsoffensive für erneuerbare Energien - das sind Meilensteine auf dem Weg zu
den erneuerbaren Energien. Wir werden das Zeitalter erreichen,
({10})
indem wir die wirtschaftliche Vernunft, die die FDP und
die Union - anders als Sie - haben, für die Erreichung
der ökologischen Ziele, die wir gemeinsam haben, einsetzen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort zu Kurzinterventionen nacheinander erteile
ich zunächst dem Kollegen Frank Schwabe und dann
dem Kollegen Ralph Lenkert.
Herr Kollege Kauch, wir hätten die Fragen natürlich
gerne an anderer Stelle gestellt, aber dort wurde uns
nicht die Gelegenheit dazu gegeben. Deswegen müssen
wir die Gelegenheit hier nutzen.
Sie haben auf § 7 d des Atomgesetzes Bezug genommen und davon gesprochen, dass es mehr Sicherheit geben soll. Herr Bundesumweltminister Röttgen hat den
Sachverständigen Lothar Hahn zitiert und hält ihn,
denke ich, für sehr glaubwürdig. Er hat ihn aber nicht
vollständig zitiert. Ich habe mir das Protokoll der zu kurzen, aber immerhin durchgeführten Anhörung vom
21. Oktober 2010 noch einmal angesehen. Der Sachverständige Lothar Hahn sagte zu dem im Gesetzentwurf
vorgesehenen § 7 d:
Mir erschließt sich der Mehrwert dieser Regelung
nicht. Das liegt vielleicht am Text, vielleicht auch
an der ganz missratenen Begründung, die widersprüchlich und nicht nachvollziehbar ist. … Vielleicht wird das in der endgültigen Fassung besser.
Es ist in der endgültigen Fassung nicht besser geworden. Er sagte weiter:
Die zweite Frage lautete, ob mit der AtG-Novelle
der neueste sicherheitstechnische Stand abgebildet
wird. Ich muss sagen: Nein.
Weiter:
Es sind im Wesentlichen Dinge festgeschrieben
worden, die ohnehin üblich sind und anderswo gefordert werden.
Wenn also Herr Hahn diese hohe Glaubwürdigkeit
hat, vom Bundesumweltminister bestätigt: Wie verhalten
Sie sich zu diesen Äußerungen?
Herr Kollege Lenkert, jetzt sind Sie dran, und dann
kann Kollege Kauch zusammenhängend antworten.
Sehr geehrter Herr Kollege Kauch, Sie wissen,
Schleswig-Holstein wird von Schwarz-Gelb regiert. Der
dortige Justizminister hat in einem Brief an den Bundesumweltminister Röttgen die Sorge geäußert, dass der
neue § 7 d zur Einschränkung der Klagerechte Dritter
gegenüber Atomkraftwerken führen kann.
Des Weiteren möchte ich Sie in Fortsetzung der Anhörung - das ist uns in der Anhörung nicht gestattet
worden - etwas zum verfassungsmäßig garantierten
Gleichbehandlungsgrundsatz fragen. Es geht um das
Haftungsrecht von Atomkraftwerksbetreibern im Vergleich zum Haftungsrecht des normalen Bürgers oder
auch eines Windkraftbetreibers. Bürger, auch Windkraftbetreiber, müssen für Schäden, die durch ihre Anlagen
entstehen, in unbegrenzter Höhe haften, aber die Haftungshöhe der Atomkraftwerksbetreiber ist gedeckelt
worden. Dies ist aus meiner Sicht eine eklatante Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Grundgesetzes.
({0})
Der Rechtssachverständige der Regierungskoalition
antwortete auf meine Frage, dass der Gesetzgeber die
Haftungshöhe deckeln müsse, weil das Risiko des Betreibens von Atomkraftwerken so hoch wäre, dass es
niemand versichern würde.
Jetzt habe ich an die FDP, die selbsternannte Bürgerrechtspartei, die Frage, wie sie dies mit der Vertretung
der Interessen der Bürger vereinbaren kann.
({1})
Kollege Kauch, Sie haben das Wort.
Liebe Kollegen, ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir
noch einmal die Gelegenheit geben, auf den Mehrwert
dieser Regelung in § 7 d hinzuweisen und deutlich zu
machen, was der politische Wille des Gesetzgebers, was
der politische Wille dieser Koalition ist.
({0})
Erstens. Wir schaffen Nachrüsttechnik über den Stand
des genehmigten Designs hinaus.
Zweitens. Wir schaffen Nachrüsttechnik über den sicheren Betrieb des Kernkraftwerks hinaus; denn der sichere Betrieb kann auch nach den entsprechenden Urteilen ein hinnehmbares Restrisiko beinhalten. Über diesen
sicheren Stand des Betriebs hinaus - das ist die bisherige
Rechtslage - sind die Betreiber verpflichtet, zusätzliche
Vorsorge zu betreiben, und zwar für die Allgemeinheit,
während sich § 7 eben auf die Allgemeinheit und die
Dritten bezieht. Deshalb kann ich es nur als Missverständnis des schleswig-holsteinischen Justizministeriums erkennen, dass man hier diese beiden §§ 7 und 7 d
offensichtlich nicht als komplementär ansieht. Wir haben mit dieser Gesetzgebung die politische Absicht - um
auch für künftige Gerichtsverfahren deutlich zu machen,
dass diese Paragrafen komplementär sind -, dass zusätzlich zu § 7 ein § 7 d mit einer weiteren Vorsorge eingeführt wird.
Drittens. Der wesentliche Mehrwert dieser Regelung
besteht auch in Folgendem: Nach der jetzigen Rechtslage
können nachträgliche Auflagen über das genehmigte Design des Reaktors hinaus nur gegen Entschädigungszahlung - § 18 Atomgesetz - erfolgen. Entschädigungspflichtig ist jeweils das Bundesland, das die
Genehmigung nachträglich verändert. Deshalb hat in
den letzten zehn Jahren kein Bundesland eine solche
Nachrüsttechnik auferlegt. Das zeigt den Handlungsbedarf. Weil wir die Kernkraftwerke länger betreiben wollen, als es bisher im Gesetz vorgesehen war, halten wir
es für unsere Pflicht und Schuldigkeit, über das bisherige
Sicherheitsniveau hinaus einen Schutz für die Allgemeinheit zu schaffen. Das ist ein großer Fortschritt für
die Reaktorsicherheit.
({1})
Das Wort hat nun Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Zustimmung zur Laufzeitverlängerung läuten Sie
den Kampf zwischen Atomenergie und erneuerbaren
Energien ein. Wer ihn verlieren wird, ist klar.
Ich gebe Ihnen, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern jetzt eine energiepolitische Vorausschau, einen
Fahrplan, was uns als Nächstes erwarten wird:
Im Zuge der Laufzeitverlängerung wird es immer häufiger zu Netzüberlastungen durch Kohle- und Atomgrundlaststrom kommen. Sie werden weiter lügen - das
haben Sie auch in den letzten Wochen schon getan ({0})
und behaupten, das sei ein Problem des Überangebots an
erneuerbaren Energien.
({1})
Wir werden versuchen, diese Aussage richtigzustellen,
genauso wie Verbände und Initiativen. Aber Sie werden
wohl nicht auf uns hören, weil Sie nicht erkennen wollen, dass die stocksteife, nicht regelbare Atomenergie
das Problem ist und nicht ein Überangebot an Erneuerbaren.
({2})
Sie werden dann - da bleibt Ihnen gar nicht viel anderes übrig - immer häufiger Wind- und Solaranlagen abschalten müssen, weil die Netze instabil werden. Das tun
Sie schon heute; in Zukunft werden Sie das allerdings
vermehrt tun müssen.
Weil Sie nach wie vor alle Warnungen in den Wind
schlagen, die Aussagen Ihres eigenen Sachverständigenrates ignorieren, die Signale der Umweltverbände, der
Bevölkerung, der Stadtwerke und der Branche der erneuerbaren Energien nicht ernst nehmen, ja sogar die Hinweise Ihrer eigenen Bürgermeister ignorieren, werden
Sie den bevorstehenden Systemkonflikt weiter auf die
Spitze treiben. Es handelt sich nämlich um einen Systemkonflikt, um einen Systemkonflikt zwischen Erneuerbaren und Grundlastkraftwerken. Sogar Ihr Sachverständigenrat hat das konstatiert, indem er schreibt: Jetzt
wäre eine Systementscheidung notwendig.
Zunächst werden Sie - das steht auch schon in Ihrem
Energiekonzept - die Direktvermarktung von EEGStrom umsetzen. Dann werden Sie den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien abschaffen müssen. Ich
unterstelle Ihnen nicht einmal, dass Sie das wollen.
({3})
Aber das ist die zwanghafte Konsequenz Ihres verantwortungslosen Energiekonzepts.
({4})
Sie betreiben volkswirtschaftliches Schiffeversenken auf
Kosten der Allgemeinheit.
({5})
Dass der Systemkonflikt längst Realität ist, konnten
wir im letzten Jahr beobachten. Allein im Jahr 2009 kam
es 18-mal zu Strompreiskapriolen. Da wurde Strom zu
Negativpreisen gehandelt, bzw., um es verständlicher zu
sagen, es wurde Geld gezahlt, wenn nur jemand den
überflüssigen Strom abnahm - und das in Zeiten, als vier
Atomkraftwerke abgeschaltet waren und Deutschland
immer noch massiv Strom ins Ausland exportierte. 18-mal
war also zu viel Grundlast im Netz; diese Tendenz wird
weiter zunehmen.
Die Gewinner dieses Prozesses werden die vier
Atomkonzerne und ihre Lobbyisten sein; darauf ist
schon mehrfach hingewiesen worden. Ihr Gerede von
der Abschöpfung des Großteils der Zusatzgewinne ist
nichts anderes als eine populistische Nebelkerze.
({6})
Die Verlierer dieses Prozesses werden die kommunalen Energieversorger, Tausende von Menschen, die um
ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, die Bürgerinnen und
Bürger und nicht zuletzt die nachfolgenden Generationen sein.
Sie verschanzen sich weiterhin hinter Ihrer betonköpfigen Ignoranz. Ihr Gerede von der Brückentechnologie ist eine Schimäre. Das Ende dieser Brücke hängt
nämlich offen weit über dem Wasser.
Sie vertun hier und heute eine historische Chance. Sie
lassen die Bürgerinnen und Bürger über höhere Strompreise und Steuern die Zeche für die Profite der Konzerne zahlen; hinzu kommen die Sicherheitsrisiken. Ich
versichere Ihnen: Das werden sich die Bürgerinnen und
Bürger nicht widerstandslos gefallen lassen.
Ich danke.
({7})
Das Wort hat nun Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die
Fraktion Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sie wollen heute mit Ihrer Mehrheit in diesem Hause Gesetzentwürfe verabschieden, deren angemessene parlamentarische Beratung Sie verweigert haben. Dafür war die
außerparlamentarische Beratung aber umso intensiver.
({0})
Die Höhe von Steuern und Abgaben und der Umfang
von Sicherheitsauflagen, deren Dauer und Verrechnung
und vermutlich auch die Jahre der Laufzeitverlängerung,
für die es keine fachliche Begründung gibt, all dies verhandelten die Konzernvertreter.
Sie haben den Vorwurf formuliert, auch Rot-Grün
habe damals mit den Konzernvertretern verhandelt. Das
ist richtig. Aber es ist doch wohl ein Unterschied, ob
man im Vorfeld einer Entscheidung verhandelt, weil
man in die Eigentumsrechte einer Wirtschaftskraft eingreifen und der Branche etwas Elementares abverhandeln will, oder ob man verhandelt, weil man die Wünsche der Branche erfüllen will.
({1})
Sie, Umweltminister Röttgen, lagen in der Nacht, in
der die Vereinbarung mit den Konzernen unterschrieben
wurde, im Bett. Die Feder der Regierung führte der bekennende Atomlobbyist Hennenhöfer. Freunde unter sich
beim Aushandeln der Revolution zurück ins 20. Jahrhundert!
({2})
Das, was Sie in einem Monat durch das Parlament peitschen, ist in der Tat eine Revolution gegen boomende
Exportmärkte, gegen Aufwächse bei den Arbeitsplätzen,
gegen Investitions- und Planungssicherheit einer jungen
Industrie, gegen die Chancen der erneuerbaren Energien
auf dem Markt, gegen kommunale und zivilgesellschaftliche Wettbewerber und vor allem gegen die Sicherheit,
({3})
die sich bis heute in einem Atomausstieg manifestiert,
der die Atomkraftwerke vor dem Erreichen eines gefährlichen Alters vom Netz nehmen will.
Sie, Herr Minister Röttgen, haben sich zu der Aussage verstiegen, mit Ihrem Konzept die Sicherheit erhöhen zu wollen. Eine beabsichtigte Laufzeit von 50 Jahren für Atomkraftwerke ist in Verbindung mit dem
Fehlen jeglicher Erfahrungen, was mit einem AKW in
einem solchen Alter geschieht, nicht der glaubwürdigste
Beleg für die Behauptung, Sicherheit generieren zu wollen.
({4})
Deshalb haben Sie den neuen § 7 d Atomgesetz erfunden. Dadurch soll dafür gesorgt werden, dass durch geeignete und angemessene Maßnahmen die Sicherheit erhöht wird. Aber bitte: Wem oder was angemessen? Den Gewinnen der Konzerne?
Herr Minister - oder wer immer hinter diesem Streusandparagrafen steckt -, wie wollen Sie eigentlich die
nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gefor7190
derte Vorsorge verbessern? Dieser Vorsorgestandard entspricht bereits dem jetzigen Gesetzestext. Sie können die
höchstmöglichen Schadensvorsorgeanforderungen nicht
noch steigern.
({5})
Nun kommen Sie uns nicht mit Dynamisierung - eine
weitere tolle Erfindung. Der Stand von Wissenschaft und
Technik ist immer dynamisch. Sie relativieren den Stand
von Wissenschaft und Technik. Es gibt nur eine Möglichkeit, die bisherigen Sicherheitsanforderungen zu verschärfen: Abschalten!
({6})
Und dafür, Herr Kauder, gibt es seit 2008 für die ältesten, nicht gegen Flugzeugabstürze gesicherten AKW
eine gute Begründung. Mit seinem Urteil vom 10. April
2008 hat das Bundesverwaltungsgericht den Absturz einer Passagiermaschine auf ein AKW unter Hinweis auf
den 11. September 2001 nicht mehr als Restrisiko eingestuft. Dieses Risiko ist also jetzt als realistisch zu betrachten. Gegen dieses Risiko muss daher Schadensvorsorge getroffen werden. Wo ist Ihre entsprechende
Forderung, Herr Röttgen? - Ist sie ebenfalls Herrn
Hennenhöfer und seinen Freunden nächtens zum Opfer
gefallen?
({7})
Im Vorfeld haben Sie laut genug davon geredet, dass Sie
Nachrüstungen gegen Flugzeugabstürze fordern wollen. Recht hatten Sie! Es ist richtig, die Urteile der
obersten Gerichtshöfe umzusetzen. Dabei hätten Sie uns
ganz an Ihrer Seite. Aber wo steht das in dem Gesetzentwurf? - Nichts dazu steht in der zwölften AtG-Novelle.
Da gehört es aber hin!
({8})
Nicht nur hat die Koalition die Einhaltung der angemessenen parlamentarischen Abläufe vergessen. Sie spielen auch mit der Rechtmäßigkeit Ihrer Gesetzesvorlagen. Es zieht Sie offensichtlich mit Gewalt vor das
Bundesverfassungsgericht. Das, meine Damen und Herren von der Koalition, können Sie haben.
({9})
Sie legen heute Gesetzentwürfe und Beschlussvorlagen vor, die verlässlich einen Weg für die Energieversorgung bis 2050 beschreiben sollen. Sie geben alles, was
sich die Zivilgesellschaft erobert hat, verlässlich in die
Hände der Konzerne zurück. Sie verstopfen verlässlich
die Netze auf Jahrzehnte mit Atom- und Kohlestrom. Sie
ziehen dezentralen Energieversorgern verlässlich den
Boden unter den Füßen weg. Und Sie verkaufen verlässlich für vielleicht 15 Milliarden Euro die Sicherheit.
({10})
Sie können sich darauf verlassen, dass die Auseinandersetzung über die Zulässigkeit Ihrer heute abzustimmenden Gesetze mit diesem Tag nicht beendet ist. Sie
treten einen vor Jahren schwer erkämpften Konsens mit
Füßen, und das wird Ihnen genau auf dieselben Füße fallen.
({11})
Sie sollten lernen, zu sehen, dass die Gesellschaft nicht
mehr willens ist, sich von Konzernen regieren zu lassen weder von der DB AG noch von RWE. Ihre heutigen
Gesetze werden von der Mehrheit der Gesellschaft genauso abgelehnt wie von uns.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, das, was Sie heute hier
veranstalten, nicht nur im Verfahren, sondern vor allen
Dingen auch in der Sache, ist in höchstem Maße unseriös.
Ich habe mich in den letzten zwei Tagen einmal damit
beschäftigt, was Sie in der Energiepolitik wollen, welche
Gutachten Sie in den letzten Jahren vorgelegt haben und
welche Zielsetzungen Sie sich vorstellen. Ihre Energiepolitik basiert darauf, dass in den nächsten 10 bis 15 Jahren 35 Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen gebaut
werden, die nur dazu dienen sollen, dass wir in Deutschland eine sichere Energieversorgung haben. Es sollen
25 Hochspannungsleitungen von Norwegen nach Deutschland gebaut werden. Norwegen soll zum Energiespeicher
Deutschlands ausgebaut werden. Das ist eine absolut unrealistische Vorstellung.
Sie wollen die Leistung, die mit der Photovoltaik in
Deutschland erreicht wird, in den nächsten 10 bis
15 Jahren auf 130 000 Megawatt ausbauen. Unterstellt,
die jetzige Förderkulisse ändere sich nicht, würde das
eine Steigerung der Ausgaben im Bereich der erneuerbaren Energien um über 500 Milliarden Euro in unserem
Land bedeuten. Das wäre unbezahlbar. Die Energiepolitik von Rot-Grün ist absolut unrealistisch.
({0})
Daneben bauen Sie auf einen hohen Grad an Stromimporten in den nächsten 10 bis 15 Jahren.
({1})
Das wird kommen, wenn Sie das umsetzen. Das sagen
alle. Selbst Herr Kohler von der dena, der ja beim ÖkoInstitut Freiburg angefangen hat, sagt, wir werden spätestens in den nächsten sieben, acht Jahren eine StromThomas Bareiß
lücke bekommen. Was würde ein Stromimport mitten in
Europa bedeuten? Das würde bedeuten, dass wir von
französischen, rumänischen, bulgarischen, polnischen
und russischen Kernkraftwerken in den nächsten Jahren
abhängig werden.
Das kann nicht die Energiepolitik eines Industrielandes mitten in Europa sein. Deshalb müssen wir es anders
machen. Aus diesem Grund haben wir ein Energiekonzept vorgelegt, mit dem wir für eine sichere, bezahlbare
und saubere Energieversorgung sorgen.
({2})
Betrachten wir uns das doch einmal genau. Wo liegen
die Potenziale in Deutschland? Wo können wir im Bereich der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren
wirklich etwas aufbauen? Wir haben uns enorm hohe
Ziele gesetzt. Der Umweltminister hat es gesagt: Bis
2020 soll die Stromversorgung zu 35 Prozent aus erneuerbaren Energien erfolgen. - Dafür müssen wir alle Potenziale nutzen, die wir haben. Es geht hier nicht mehr
um ein Ja oder Nein zur Kernenergie, sondern es geht
darum, die Potenziale, die wir in Deutschland haben,
auszuschöpfen. Das höchste Potenzial - darin sind wir
uns hier im Hause ja einig - gibt es im Bereich Offshorewindanlagen; hierdurch sollen bis 2030 circa 25 Gigawatt Strom erzeugt werden. Um dieses Ziel überhaupt zu
erreichen, müssten wir aber ab heute bis 2025 jeden Tag
ein neues Windrad aufstellen. Wir brauchten eine
enorme Kapitalausstattung, für die wir jetzt als ersten
Schritt mit dem 5-Milliarden-Euro-Programm der KfW
sorgen. Wir haben also riesige technische Voraussetzungen zu bewältigen.
In einer Anfrage der Grünen vom Juni dieses Jahres
steht, dass es wegen der Schweinswalpopulation Bedenken gegen das Aufstellen von Windrädern in der Ostund Nordsee gibt. Ich muss also feststellen, dass wir uns
berechtigterweise auch mit Umwelt- und Naturschutzfragen auseinandersetzen müssen, ehe wir Windräder in
der Nord- und Ostsee aufstellen können.
Schließlich müssen wir den Strom aus dem Norden,
von der Ost- und Nordsee, auch in die Zentren im Süden
bringen, die diesen Strom dringend brauchen. Auf vielen
Gebieten müssen wir also wichtige Themen angehen.
Liebe Frau Kotting-Uhl, wir saßen vor wenigen Tagen bei der Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam auf dem
Podium. Sie haben dort behauptet, dass Sie erst dann für
eine 380-kV-Leitung durch Deutschland sind, wenn gewährleistet ist, dass kein Atomstrom mehr durch diese
Leitung fließt. In diesem Punkt kann ich Sie weiß Gott
nicht ernst nehmen. Strengen Sie sich einmal an, damit
Sie und Ihre Fraktion in diesem Bereich auch in sich
konsistent sind, und sprechen Sie sich für diese Leitungen durch Deutschland aus, die 4 300 Kilometer lang
sein müssten. Ich widerspreche unserem Bundeswirtschaftsminister in diesem Punkt nicht gerne, aber die
Leitungen durch Deutschland müssen nicht nur 3 500
Kilometer, sondern 4 300 Kilometer lang sein. Bei dem
jetzigen rot-grünen Tempo würden wir über 45 Jahre
brauchen, bis es diese Leitungen gibt.
({3})
Wir haben also genügend Probleme, die wir angehen
müssen. Gehen wir sie beherzt an!
({4})
Wir brauchen nicht nur Kapital, wir brauchen auch
Akzeptanz. Im Zusammenhang mit dem Thema Akzeptanz müssen wir auch schauen - das wird uns die nächsten Tage und Wochen beschäftigen -, wie wir mit den
enorm steigenden Kosten des EEG umgehen. Ein Dreipersonenhaushalt wird im nächsten Jahr im Schnitt
145 Euro mehr zahlen, ein kleiner Handwerksbetrieb,
ein Bäckerbetrieb circa 3 000 Euro mehr. Wir brauchen
das Geld, um die Investitionen zu tätigen. Aber wir brauchen neben noch mehr Geld auch noch mehr Zeit.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es ein in sich
stimmiges Konzept, wenn wir die Mehrgewinne bzw. einen Großteil der Mehrgewinne aus der Verlängerung
der Laufzeit auch in diese Herausforderungen stecken
und damit ein in sich stimmiges Gesamtkonzept bilden,
wie es im Übrigen auch von den Menschen mitgetragen
wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hempelmann?
Nein, ich möchte nicht. Danke.
({0})
Sie behaupten immer, dass die Menschen in unserem
Land gegen die Kernenergie sind. Ich glaube, die Menschen sind zurecht skeptisch gegenüber der Kernenergie.
Ich bin es auch.
({1})
Deshalb haben wir gerade auch die Debatte über das
Thema Sicherheit geführt.
Aber die Menschen sagen auch: Wir brauchen in den
nächsten Jahren die Kernenergie; denn der Strom kommt
nicht allein aus der Steckdose, und er kann auch nicht
aus anderen europäischen Ländern kommen, sondern
wir sind selber dafür verantwortlich, dass wir eine sichere, saubere und bezahlbare Strom- und Energieversorgung auch in den nächsten Jahren haben. Deshalb
brauchen wir eine sinnvolle Verbindung zwischen der
Kernenergie auf der einen Seite, aber auch den Schrittfür-Schritt-Ausbau der erneuerbaren Energien auf der
anderen Seite.
({2})
Ich will zum Schluss sagen, dass wir, wie ich glaube,
ein in sich stimmiges Energiekonzept haben. Wir haben jetzt nicht groß über das 10-Punkte-Sofortprogramm
gesprochen, das wir heute auch mit auf den Weg bringen. Wir haben einmal die verlängerte Laufzeit, dann
das 10-Punkte-Sofortprogramm, in dem es allein in vier
Punkten konstruktiv und direkt um das Thema Netzausbau geht, und schließlich ein Energiekonzept, das auf
über 40 Seiten alle Bereiche unserer Energieversorgung
bzw. des Primärenergiebedarfs entsprechend einbindet.
Ich glaube, das sind Meilensteine für die Energieversorgung.
Deshalb ist es ein guter Tag für Deutschland, für die
Wirtschaft und die Umwelt. In diesem Sinne sollten wir
dieses Thema in den nächsten Monaten auch beherzt angehen.
Herzlichen Dank.
({3})
Jetzt kommen kurz hintereinander zwei Kollegen für
Kurzinterventionen zu Wort, zunächst der Kollege HansJosef Fell und danach der Kollege Rolf Hempelmann.
Herr Kollege Bareiß, Sie haben gerade gesagt, man
brauche die Kernenergie, denn der Strom komme ja aus
der Steckdose. Ich gehe schon mal davon aus, dass Sie
wissen, dass der Strom auch in die Steckdose hinein
muss, dass wir deswegen Stromerzeugung brauchen und
dass wir heute in Deutschland einen großen Überschuss
an Strom haben, weil wir zu viel Strom im Netz haben.
So produzieren über fünf Kernkraftwerke allein für den
Export.
Wenn wir tatsächlich den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien schaffen wollen, müssen wir Luft in den
Netzen schaffen, damit auch zusätzlicher, aus erneuerbaren Energien erzeugter Strom im Netz Platz findet - übrigens nicht nur vom Volumen her, sondern auch, um die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dadurch endlich
die Grundlast von Kernkraftwerken und Kohlekraftwerken ersetzt werden kann. Denn bereits heute stehen wir
mitten in dem Systemkonflikt zwischen dem Wachstum
der erneuerbaren Energien und der Grundlaststromerzeugung, weil an manchen Tagen und Stunden in
Deutschland bereits mehr Strom aus Wind und Sonne im
Netz ist, als diese Grundlastkraftwerke abdecken. Das
heißt, Grundlast wird nicht abgeschaltet, dafür werden
Windräder abgeschaltet. Dies ist nicht mehr tragfähig.
Der Systemkonflikt wird weiter wachsen. Aus diesem
Grunde haben Sie ja Wissenschaftler von EWI/Prognos
und GWS um Antwort auf die Frage gebeten, wie man in
Deutschland den Ausbau erneuerbarer Energien machen
könnte. Die Zahlen, die in diesem Gutachten stehen, sind
erschreckend: Demzufolge kann der Ausbau erneuerbarer Energien nicht mehr im Umfang des derzeitigen
jährlichen Zubaus weitergehen. Im nächsten Jahrzehnt
muss der Ausbau der Onshorewindenergie um 65 Prozent gedrosselt werden, die Photovoltaik gegenüber den
aktuellen Ausbauraten um 75 Prozent und die Bioenergie gegenüber den aktuellen Ausbauraten um 85 Prozent. Wasserkraft- und Geothermiezubau finden gar
nicht mehr statt. Herr Kelber hat bereits darauf hingewiesen, dass es ab 2020 sogar noch viel schlimmer
kommt.
Das heißt, die Branche, die nicht nur vom Betrieb dieser Anlagen, sondern vor allem vom Neuzubau lebt, bekommt massive Probleme. Wir haben in den Diskussionen öfter darauf hingewiesen. Sie und andere Ihrer
Kollegen haben dann behauptet, die Zahlen in diesem
Gutachten, das Sie zur Rechtfertigung für die Laufzeitverlängerung herangezogen haben, entsprächen nicht
den Ausbauzahlen, die die Bundesregierung zugrunde
legt. Wir haben aber im Nationalen Aktionsplan, den Sie
nach Brüssel gemeldet haben, ähnliche Reduktionen gefunden. Wir haben Sie im Ausschuss und anderswo nach
Ihren Zahlen gefragt. Sie haben sie nicht vorgelegt. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass Sie diese Branche massiv unter Druck setzen und die Situation auf
diese oben geschilderte Weise bereinigen werden.
Herr Präsident, mein letzter Satz. - Ich habe mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, dass Bundesminister
Röttgen Unwahrheiten verbreitet. Die Windenergiebranche hat sich nicht für das Energiekonzept der Bundesregierung bedankt. Ich habe gestern am Parlamentarischen
Abend der Windenergiebranche teilgenommen. Der Vorsitzende, Herr Albers, hat seine größte Besorgnis um den
Weiterbestand dieser Branche in Deutschland zum Ausdruck gebracht.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen, welche Zahlen Sie in den nächsten Jahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien zugrunde legen, damit die Branche
endlich Sicherheit hat und nicht fürchten muss, in Konkurs zu gehen.
({0})
Nun Kollege Rolf Hempelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege
Bareiß, Sie haben eben meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Dabei wollte ich Ihnen eigentlich nur helfen. Sie
haben das Thema Akzeptanz angesprochen und letztlich
das Parlament aufgefordert, mit auf eine größere Akzeptanz - Sie haben es am Beispiel Netze festgemacht hinzuwirken. Vorher gab es mit den beiden Ministern
zwei andere Redner der Koalition, die sich ähnlich geäußert haben. Herr Röttgen wollte mehr Gemeinsamkeit.
Herr Brüderle wollte einen Pakt, in dem Fall auch für die
Netze.
Ich will Ihnen sagen, wie es nicht funktioniert, also
wie Sie unter keinen Umständen in der Gesellschaft und
schon gar nicht hier im Hause politische Akzeptanz erreichen werden. Es funktioniert nicht, wenn Sie an allen
negativ von einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke Betroffenen vorbei diese hier einsam beschließen.
Wenn Sie diese Beschlüsse an den Interessen der Stadtwerke, der anderen Wettbewerber der großen Vier und
der Vertreter der erneuerbaren Energien vorbei fassen,
dann werden sie weder hier im Hause noch in der Gesellschaft politische Akzeptanz finden. Dann ernten Sie das,
was Sie heute erleben, nämlich Proteste auf der Straße
und auch Proteste in Form von ganzseitigen Anzeigen in
den Medien. Es gibt zahlreiche Stadtwerke, die auf diese
Weise ihrem Protest Ausdruck geben. Übrigens sagen
auch viele CDU-geführte Stadtwerke sehr deutlich, dass
das, was an ihnen vorbei entschieden worden ist, von ihnen auf gar keinen Fall akzeptiert werden kann.
Ich schlage Ihnen Folgendes vor - das haben wir auch
in unseren Antrag aufgenommen -: Ziehen Sie Ihr Konzept und die beabsichtigte Laufzeitverlängerung zurück!
Kommen Sie zur Besinnung! Diskutieren Sie das, was
Sie Konzept nennen, mit uns und der Öffentlichkeit und
nehmen Sie an den Stellen Korrekturen vor, an denen einige von Ihnen schon durchaus zu besserer Einsicht gekommen sind! Wenn Sie sich dazu nicht aufraffen können, dann gestatten Sie wenigstens ein Minimum an
Beteiligung, indem Sie die Länder beteiligen. Wenn Sie
Akzeptanz wollen, dann fangen Sie wenigstens dort an,
und beteiligen Sie die von der Laufzeitverlängerung betroffenen Länder. Das wäre wenigstens ein kleiner
Schritt.
({0})
Kollege Bareiß.
Lieber Herr Fell, Sie haben in Ihrer Frage konkret das
Thema Systemkonflikt angesprochen. Wir haben beide
an der Anhörung des Wirtschaftsausschusses teilgenommen, in der ich Herrn Mundt vom Bundeskartellamt
ganz konkret gefragt habe, wo ein Systemkonflikt besteht. Ich habe dann auch Herrn Albers vom Bundesverband WindEnergie gefragt, ob er die Windenergie eher
in Konkurrenz zur Verlängerung der Laufzeiten oder
eher in Konkurrenz zu dem inzwischen unkontrollierten
Ausbau der Photovoltaik sieht. Er hat sich bei der Beantwortung dieser Frage sehr gewunden und hat uns letztendlich keine Antwort gegeben.
({0})
- Doch. - Im Nachhinein hat er mir gegenüber zugegeben, dass die Windenergie natürlich ein massives Problem durch den enormen Zubau im Bereich der Photovoltaik bekommt. Wenn durch die Photovoltaik 40 oder
sogar 50 Gigawatt sowie 25 Gigawatt offshore und 80 Gigawatt onshore, wie Herr Albers vorgeschlagen hat, ins
Netz eingespeist werden, dann wird das System technisch nicht mehr in der Lage sein, das aufzunehmen, und
wir werden das auch finanziell nicht schaffen können.
Insofern ist das, was hier vorgeschlagen wird, ein Weg in
die falsche Richtung.
Wir brauchen die Kernenergie, um den Herausforderungen insbesondere im Bereich des Netzausbaus und
der Speicherproblematik finanziell begegnen zu können;
denn wir müssen die enormen Kapazitäten, die durch die
hoch fluktuierenden erneuerbaren Energien auf den
Markt kommen, auffangen. Dazu brauchen wir sehr viel
Geld. Dabei werden uns die in der Kernenergie erzielten
Zusatzgewinne massiv helfen.
Herr Hempelmann, Sie haben das Thema „Akzeptanz
des Netzausbaus“ angesprochen. Wir brauchen nicht nur
Akzeptanz, sondern auch - das habe ich vorhin aufgrund
der Zeit leider nicht sagen können - Kapital. Hier wollen
wir einiges tun. Wir wollen auch die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Um hierfür die Akzeptanz zu erhöhen, brauchen wir alle: die Kommunen, die Bürgerinnen und Bürger, die Länder und die Stadtwerke,
beispielsweise hinsichtlich ihrer Verteilnetze. Die Stadtwerke haben derzeit das riesige Problem, die enormen
Kapazitäten der Photovoltaik auf den Markt zu bringen
und die notwendigen Investitionen zu tätigen. Darüber
wird diskutiert werden müssen.
75 Prozent der Stadtwerke erzeugen jedenfalls weder
Energie noch Strom. Diese sind uns dankbar, dass wir
die Kernenergie weiterhin als bezahlbare Energie auf
dem Markt halten. Die Kernenergie wird in den nächsten
Jahren preissenkend wirken. Davon profitieren 75 Prozent der Stadtwerke. Die Stadtwerke, die in erneuerbare
Energien investieren, erhalten bevorrechtigt Einspeisemöglichkeiten. Deshalb gibt es da an sich auch keinen
Systemkonflikt. Dann gibt es noch diejenigen, die in die
Kraft-Wärme-Kopplung investieren wollen.
({1})
Wir müssen in der Tat darüber diskutieren, welchen Stellenwert die Kraft-Wärme-Kopplung in den nächsten Jahren bekommen soll.
Es geht aber nicht an, dass die Stadtwerke, die auf einen enormen Preisanstieg in den nächsten Jahren gehofft
haben, damit sich ihre Investitionen rentieren, uns nun
vorwerfen, dass die Preise nicht so stark steigen, wie es
unter Rot-Grün der Fall gewesen wäre. Das ist aber nicht
unsere Politik. Ich möchte eine Politik, die auch die Interessen der Verbraucher und der Wirtschaft berücksichtigt
und dafür sorgt, dass zukünftige Preisanstiege moderat
ausfallen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Hubertus Heil für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Röttgen - ihn sehe ich gerade nicht - hat sich
vorhin etwas hämisch darüber geäußert, dass Rot-Grün
für sich in Anspruch nimmt, im Jahr 2000 mit dem Energiekonsens einen gesellschaftlichen Konflikt befriedet
zu haben, der 30 Jahre lang in Deutschland getobt hat für und gegen Atomkraft. Sie, Herr Röttgen,
({0})
haben ebenso wie Frau Merkel nicht begriffen, dass das
erneute Aufreißen dieses Konflikts in der Wirtschaftspolitik zu Attentismus bei den Investitionen, zu Planungsunsicherheit und zu unproduktiven Auseinandersetzungen führt, die die Modernisierung der Energiewirtschaft
nicht voranbringen und alles, was richtig ist, verhindern.
Das ist die Wahrheit.
({1})
Des Pudels Kern ist doch - das ist bereits verschiedentlich gesagt worden; Sie, Herr Röttgen, können noch
so wortreich versuchen, das zu verbrämen -, dass es Ihnen einzig und allein darum geht, die Lobbyinteressen
weniger zulasten der Allgemeinheit zu bedienen. Verlängerte Restlaufzeiten für abgeschriebene Atommeiler sind
eine schöne Sache für die vier großen Energiekonzerne.
Das ist die Lizenz zum Gelddrucken für vier Konzerne.
Aber genau das behindert Investitionen, die wir für moderne Kraftwerkstechnik und im Bereich der erneuerbaren Energien brauchen. Das ist die Wahrheit. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({2})
Sie, Frau Merkel, nehmen für sich in Anspruch, dass Sie
die Kämpferin für den Fortschritt seien. Sie leisten dem
Fortschritt in Deutschland einen Bärendienst, wenn Sie
diesen Konflikt wieder aufreißen und gleichzeitig die
Lobbyinteressen von vier großen Konzernen bedienen.
Weil Sie, Herr Brüderle immer so viel von Wettbewerb reden, möchte ich, dass Sie eines zur Kenntnis nehmen: Der jetzige Präsident des Bundeskartellamtes, aber
auch die beiden Vorgänger, von denen einer, Herr
Heitzer, pikanterweise inzwischen Ihr Staatssekretär ist,
haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die
Verlängerung der Restlaufzeiten für diese vier Konzerne
nichts anderes ist, als das Oligopol dieser vier Konzerne
dauerhaft zu zementieren. Das müssen Sie zur Kenntnis
nehmen.
({3})
Sie sind ein Minister der Monopole. Das ist die Wahrheit.
Ludwig Erhard, den Sie so gern im Munde führen,
aber auch Karl Schiller, selbst Otto Graf Lambsdorff
würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was
Sie hier in Deutschland verursachen. Das geht zulasten
einer Energiewirtschaft, die Wettbewerb braucht. Das
geht zulasten von Stadtwerken, die Sie für eine vernachlässigenswerte Randerscheinung der öffentlichen Hand
halten. Die Wahrheit ist, dass die Wettbewerber in diesem Bereich - was ihre Investitionen betrifft - enteignet
werden. Ihnen wird ihre Planungssicherheit genommen. Genau das erleben wir in Deutschland.
Herr Brüderle, das Peinlichste fand ich vorhin Ihre
Antwort auf Ulrich Kelber. Herr Kelber hat nichts anderes getan, als Sie zu fragen, ob Sie noch einmal bestätigen können, was Sie schon auf unsere Kleine Anfrage
geantwortet haben, nämlich dass laut dieser Antwort der
Bundesregierung Ihr Energiekonzept gegen den Ausbau
der erneuerbaren Energien mit den Laufzeitverlängerungen und Marktsteuerungen die Märkte bei Onshorewindparks um 98 Prozent, bei Photovoltaik um 99 Prozent
und bei Biomasse um 100 Prozent zum Zusammenbrechen bringen wird. Und Sie faseln irgendetwas von Ökosteuer. Ich glaube, dass Sie das Thema nicht ganz durchdrungen haben, Herr Brüderle. Das ist ein typischer
Brüderle. Sie reden über Äpfel, wenn andere über Birnen
reden. Aber das hat mit wirtschaftspolitischem Sachverstand in der Energiepolitik nicht viel zu tun.
({4})
Wir haben heute einen Umweltminister erlebt,
({5})
der wortreich und durchaus eloquenter als Herr Brüderle
- das mag ihm zugestanden sein - versucht hat, seine
Niederlage als Minister für Reaktorsicherheit „schönzuquatschen“. Dass das Prinzip von Helmut Kohl, dass die
Realität anders ist als die Wirklichkeit, auch das von
Herrn Röttgen ist, ist von diesem heute hier vorgeführt
worden. Das hat mit der Realität nichts zu tun.
Weil Sie als Christdemokraten auch immer auf die Bibel fixiert sein sollten, sage ich Ihnen: Bei den Sicherheitsthemen - das werden wir nachweisen - haben Sie
heute nach dem Motto gehandelt: falsch Zeugnis reden
wider deinen Nächsten. Sie haben beim Thema Sicherheitsstandards in diesem Parlament schlicht und ergreifend gelogen. Das wird Folgen haben, Herr Röttgen.
({6})
Wir haben einen Wirtschaftsminister erlebt, der zulasten des Wettbewerbs und der Investitionen in Deutschland, aber zugunsten von vier großen Konzernen Politik
macht. Das ist wettbewerbsfeindlich, das ist wirtschaftsfeindlich, und das schadet dem Standort Deutschland
und den Arbeitsplätzen
Ich komme aus Niedersachsen. Ich weiß, was dort,
wo die Industrie früher geschrumpft ist, in den letzten
Jahren an Arbeitsplätzen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz geschaffen worden ist - in Bremerhaven, in
Cuxhaven, in meiner Heimatregion, im Stahlbereich, im
Bereich des Maschinenbaus und im Handwerk. Weitere
300 000 Arbeitsplätze wären möglich, wenn Sie das
Hubertus Heil ({7})
durch dieses Energiekonzept nicht kaputtmachen würden. Sie vernichten mit diesem Energiekonzept Arbeitsplätze.
({8})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Gestatten
Sie eine Nachfrage des Kollegen Hinsken?
Sehr gern. - Herr Hinsken, danke für die Verlängerung meiner Redezeit! - Bitte schön.
Herr Kollege Heil, ich möchte Sie nur fragen: Können
Sie mir ein Land auf dieser Welt nennen, das auch einen
Beschluss über den Ausstieg aus der Atomenergie gefasst hat, so wie das die rot-grüne Regierung hier einmal
gemacht hat? Und sind Sie auch mit mir der Meinung,
dass es wichtig ist, darauf zu verweisen, dass es weltweit
momentan 439 Kernkraftwerke in Betrieb gibt, allein in
Europa 196, und rund um die Bundesrepublik Deutschland zurzeit 14 Kernkraftwerke gebaut und 23 neu geplant werden?
({0})
Was sagen Sie dazu? Sind diese Länder nicht so realitätsbewusst wie wir, oder sind sie der Zeit voraus und
besser als die rot-grüne Mannschaft, die sich hier findet?
Lieber Herr Hinsken, ich bin wirklich sehr dankbar
für diese Frage, da sie mir die Gelegenheit gibt, mit einem Märchen aufzuräumen, mit dem Sie, offensichtlich
ideologisch verblendet, durch die Gegend laufen, nämlich damit, dass weltweit in den nächsten Jahren ein
Boom der Atomwirtschaft stattfinden werde. Es werden
in den nächsten Jahren weltweit weit mehr Meiler vom
Netz gehen, als neue eingeschaltet werden. Das ist die
Wahrheit.
({0})
Es ist für uns, die Bundesrepublik Deutschland, eine
Chance, dass wir angesichts der Tatsache, dass diese
Welt eine gute Energieversorgung braucht, Vorreiter sein
können bei erneuerbaren Energien, bei moderner
Kraftwerkstechnik. Genau das verhindern Sie. Die
Atomkraft ist im Gegensatz zu dem, was Sie erzählen,
nicht Motor des Fortschritts, sondern eine Dinosauriertechnologie, die auf dieser Welt nicht mehr zukunftsfähig ist. Das zeigt die Tatsache, dass Kernkraft global
nicht ausgebaut, sondern abgebaut wird. Das steht im
Gegensatz zu dem, was Sie erzählen.
({1})
Herr Hinsken, ich sage Ihnen noch etwas: Reden Sie
einmal mit den österreichischen Kollegen. In Österreich
ist man in die Atomenergie nicht eingestiegen. Dort hat
man große Sorgen an dieser Stelle. Reden Sie mit anderen in Europa. Es gibt einige, die aus Verblendung, wie
ich finde, noch auf Atomenergie setzen. Die Behauptung, die Atomkraft werde in Europa und auf der Welt
ausgebaut, ist ein Märchen; sie stimmt nicht, Herr
Hinsken. Das müssten Sie eigentlich wissen.
({2})
Fahren Sie in die entsprechenden Länder und schauen
Sie sich das an! Wollen Sie denn neue Atomkraftwerke
in Deutschland bauen? Ich dachte, es geht nur um längere Restlaufzeiten. Der Bau neuer Atomkraftwerke, das
ist vielleicht Ihr Ansatz. Danke, dass Sie uns das heute
bestätigt haben.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Letzter Satz,
dann ist Schluss.
Ich darf zum Schluss sagen: Sie begehen heute offensichtlich einen Verfassungsbruch. Wir werden uns in
Karlsruhe wiedersehen. Das Traurige daran ist nur: Wir
werden durch diese falsche Politik Zeit für die Modernisierung der deutschen Energiewirtschaft verlieren. Unter
anderem deshalb werden Sie bei der nächsten Bundestagswahl verlieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Angelika Brunkhorst für die FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch
§ 7 d des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes werden die Sicherheitsreserven erhöht werden. Außerdem wird dadurch ein Beitrag zur weiteren Vorsorge
gegen die Risiken für die Allgemeinheit geleistet. Wir
kommen damit auch der Richtlinie 2009/71/EURATOM
nach. Europa hat nämlich längst erkannt, dass wir die
kerntechnische Sicherheit kontinuierlich fortentwickeln sollten. § 7 d dieses Gesetzes regelt eine aktive
Sorgepflicht für die Kraftwerksbetreiber: Diese können
sich nicht passiv zurücklehnen, sondern sie müssen von
sich aus Sicherheitsvorkehrungen treffen, die dem fortschreitenden Kenntnisstand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Diese Vorkehrungen gehen also über
die schon getroffene erforderliche Vorsorge gegen Schäden hinaus.
({0})
- Hören Sie bitte zu.
Diese Nachrüstungen sollen entschädigungsfrei erfolgen. Der Bund hat zudem - ich komme auf das Thema
Endlagerung zu sprechen - die Pflicht, zum Wohle der
Allgemeinheit die Endlagerung sicherzustellen. Im Moment sieht es so aus, dass der Bund diesem gesetzlichen
Auftrag nicht nachkommen kann, wenn sich ein einziger
Grundeigentümer verweigert. Deshalb führen wir mit
§§ 9 d f. des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes die 2002 außer Kraft gesetzten Vorschriften
über die Enteignung wieder ein. Nur für den Fall, dass
alle vorhergehenden Einigungsversuche scheitern, wird
die Möglichkeit der Enteignung als allerletztes Mittel
zur Sicherstellung der Endlagerung vorgesehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Menzner?
Nein, im Moment nicht. Sie kann eine Kurzintervention machen. - Die Verfassung selbst und viele Fachgesetze sehen die Enteignung ausdrücklich als allgemeinwohlorientierte Lösung vor.
Selbst das Bundesamt für Strahlenschutz hatte in der
Anhörung zum Atomausstieg erklärt - das ist vom BfS
2001 so statuiert worden -, Enteignungsvorschriften
würden zum damaligen Zeitpunkt nicht benötigt, aber
sie müssten zum gegebenen Zeitpunkt im Atomgesetz
vorhanden sein. Dieser Zeitpunkt scheint jetzt gekommen zu sein. Durch §§ 9 d f. dieses Gesetzes wird die
Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Bund seine
Pflicht zur Einrichtung eines Endlagers erfüllen kann.
Ich möchte hier zum Schluss noch einmal sagen: Ich
verstehe die apokalyptischen Ausführungen zur Unsicherheit der kerntechnischen Anlagen und zu den Auswirkungen auf die Branche der erneuerbaren Energien
überhaupt nicht. Herr Gabriel und Herr Trittin hätten in
den Jahren, in denen sie das Umweltministerium geführt
haben, sehr wohl längst das tun können, was sie sich so
sehr wünschen; aber sie haben es nicht getan. Die Frage
ist offen, warum sie es nicht getan haben? Vielleicht
kann jemand das einmal beantworten.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Koalition beschließt heute Gesetze, die die Energiewende behindern werden. Ich sage an dieser Stelle:
Leider ist der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg
revidierbar. Wir hatten es uns damals anders gewünscht.
Aber ich sage auch all denen, die jetzt am Pariser Platz
demonstrieren, die gucken, was heute los ist: Auch der
Beschluss zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist revidierbar. Wir werden uns bemühen, das zumindest in
der nächsten Legislaturperiode gemeinsam mit anderen
Parteien auch zu tun.
({0})
Um Ihnen das noch einmal zu sagen: Die Mehrheit
der Bevölkerung möchte diese Verlängerung der Laufzeiten nicht, sondern sie will regenerative Energien. Das
gilt nicht nur für die Wählerinnen und Wähler der Oppositionsparteien, sondern dies gilt auch für Wähler Ihrer
Parteien, die ich persönlich kenne und die mir geschrieben haben.
({1})
Noch einmal zur Frage der Preise: Atomenergie ist
angeblich so billig, aber sie wird die Bürgerinnen und
Bürger sehr teuer zu stehen kommen. Allein von 1950
bis 2010 wurden gigantische 2,4 Milliarden Euro als
Subventionen in die Atomenergie investiert. Das heißt,
seit 1950 bis jetzt ist jede produzierte Kilowattstunde mit
4,3 Cent subventioniert worden. Das ist das Doppelte
dessen, was momentan von den Verbraucherinnen und
Verbrauchern für die regenerativen Energien bezahlt
wird. Regenerative Energien werden billiger. Es wird
eine Massenproduktion geben, und die Preise werden
fallen - und das alles ohne zusätzliche Kosten für eine
Haftpflichtversicherung; denn regenerative Energien
brauchen keine bzw. haben alle eine im Gegensatz zu
AKWs.
Jeder Cent, der in den Rachen der Atomkonzerne geworfen wird, ist für mich und die Linke vergeudetes
Geld;
({2})
denn dieses Geld könnten wir in regenerative Energien
stecken, wir würden außerdem ohne Atommüll auskommen, und es würden zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, die wir dringend brauchen.
({3})
Jetzt sagen Sie immer, der Strom werde bezahlbar - die
Frage ist nur, von wem - und billiger. Wenn Atomstrom
so hoch subventioniert ist, müsste er doch eigentlich billiger sein. Das ist logisch, oder? Aber was passiert? An
den Strombörsen wird genau dieser Strom gehandelt. Wo
ist der Grenzpreis des Stromes? Am teuersten ist nicht
Atomstrom, sondern der vom ältesten Kohle- oder Ölkraftwerk erzeugte Strom. Diese Profite sacken die Konzerne ein, genauso wie die Profite durch kostenlose CO2Zertifikate, über die ich schon oft gesprochen habe. Das
wird alles eingesackt. Das heißt also, dass die Profite
weiter steigen. Die Macht der Energiekonzerne wird somit noch weiter gestärkt. Diese Koalition ist angetreten,
dafür zu sorgen. Das steht im Koalitionsvertrag. Kein
anderer Zweig macht so viele Gewinne wie die Atomkonzerne.
Mir hat jemand einen Brief geschrieben, aus dem ich
Ihnen zum Schluss kurz vorlesen möchte: Wer Laufzeiten verlängert, dem sollte die Legislatur verkürzt werden.
({4})
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({5})
Das Wort hat nun Herr Kollege Georg Nüßlein für die
Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen! Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter,
auch wenn ich inhaltlich nicht teile, was Sie gerade gesagt haben, freue ich mich, dass Sie wieder an Bord sind,
({0})
insbesondere und deshalb, weil die Grünen Sie mit ihrem Geschrei während der letzten Umweltausschusssitzung dazu gezwungen haben, das Handtuch zu werfen
und die Sitzungsleitung an Ihren Stellvertreter abzugeben.
({1})
Ich sage das deshalb so explizit, weil ich es für extrem
unanständig gehalten habe, was Sie da mit einer Kollegin gemacht haben, die versucht hat, als Ausschussvorsitzende sachlich und neutral ihre Arbeit zu tun. Das war
ein Skandal.
({2})
Nachdem etliches zu dem Energiekonzept gesagt
wurde, möchte ich mich an dieser Stelle mit den Alternativen auseinandersetzen, die hier vorgeschlagen werden insbesondere mit dem, was die Grünen als Alternative
vorgeben. Dazu gibt es einen Antrag. Er beginnt damit,
dass Sie fordern, den Atomausstieg zu forcieren, und
zwar gegenüber dem, was Sie seinerzeit im Jahr 2000
mit den Energieversorgern vereinbart haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schirmbeck?
({0})
Gern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Nüßlein, wir haben eben mit Begeisterung dem
Kollegen Heil zugehört. Der eine oder andere von Rot,
Rot und Grün nennt ja immer das Beispiel „falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“. Mit Blick auf die
Wahrheit wollen wir hier deshalb eines aufklären. Können Sie uns sagen, in welchen Ländern konkret aus der
Kernenergie ausgestiegen wird oder in welchen Ländern
sogar neue Kernkraftwerke gebaut werden? Denn Herr
Kollege Heil hat die pauschale Behauptung in den Raum
gestellt, viele Länder würden aus der Kernenergie aussteigen. Welche vielen Länder in der Welt sind es konkret, die aus der Kernenergie aussteigen?
Vielen Dank für die Frage und die Chance, hier einige
Dinge aufzuklären. - Ich beginne mit dem Land, das
viele Jahre das Vorzeigeland für den Ausstieg war, nämlich Schweden. Schweden hat beschlossen, wieder einzusteigen. Die Schweden sind also weiterhin Vorbild aber Vorbild für das, was wir an dieser Stelle tun.
({0})
Nehmen Sie das Land Finnland. Der Neubau ist dort
schon erfolgt. Nehmen Sie Großbritannien, wo man
uns ganz klipp und klar sagt
({1})
- lassen Sie mich doch reden -,
({2})
dass sie verstärkt in die Kernenergie investieren werden.
Dasselbe gilt für Tschechien, für die USA und im Übrigen leider Gottes auch für Russland oder China. Dort
hat man mir bei einer Reise in einer sitzungsfreien Woche deutlich erklärt, dass sie verstärkt auf Kernenergie
setzen werden.
Da kann ich uns nur eines raten, Kollege Schirmbeck:
dass wir versuchen, durch Forschung und Entwicklung
in diesem Bereich eine Technologieführerschaft zu erreichen
({3})
und dafür Sorge zu tragen, dass diese Neubauten dann
auch mit deutscher Technologie und deutschen Sicherheitsstandards erfolgen. - Vielen Dank.
({4})
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?
Nein, ich gestatte keine zusätzlichen Zwischenfragen,
Herr Präsident,
({0})
weil jetzt dasselbe passieren soll, wie es hier schon seit
Tagen aufgeführt wird.
({1})
Man will nämlich die Debatten verlängern, die ganze
Geschichte in die Länge ziehen und dafür sorgen, dass
wir hier Debatten führen, die nicht zielführend sind. Sie
können ja eine Kurzintervention machen. Ich möchte an
dieser Stelle mit dem weitermachen, was ich vorhatte,
und auf die von den Grünen vorgeschlagene Alternative
eingehen.
Der Antrag der Grünen beginnt mit der Forderung,
den Atomausstieg zu forcieren, und zwar gegenüber
dem, was sie selber mit den Energieversorgern ausgedealt hatten. Hier bohre ich mit großer Freude und
Wonne in der gleichen Wunde, in die der Umweltminister vorhin schon Salz gestreut hat. Meine Damen und
Herren, Sie sind bis 1998 mit der Forderung nach einem
sofortigen und unerbittlichen Ausstieg aus der Kernenergie in den Wahlkampf gezogen. Das war die Losung der
Grünen. Als Sie im Jahr 2000 die Chance dazu hatten,
haben Sie etwas anderes gemacht. Sie haben einen
schmutzigen Deal, wie Sie es nennen würden, abgeschlossen und gesagt: Die Technologie ist zwar unverantwortlich, aber 20 Jahre können wir durchaus noch so
weitermachen.
Mir erschließt sich nicht: Vor wem sind Sie denn eingeknickt? Vor der Atomlobby? Vor der SPD? Oder ging
es darum, einen Dienstwagen zu ergattern? Worum ist es
Ihnen gegangen? Diese Frage hätte ich gerne einmal beantwortet.
({2})
In demselben Antrag „Energie 2050 - Sicher erneuerbar“ schlagen Sie als weitere Maßnahme eine Brennelementesteuer vor. Wir machen jetzt eine Brennelementesteuer. Sie hätten sieben Jahre lang die Chance gehabt,
sie durchzusetzen, haben es aber nicht getan. Im Gegenteil: Sie haben darauf verzichtet. Man muss es als reinen
Populismus einordnen, wenn man erst darauf verzichtet
hat, aber dann plötzlich, wenn es zu spät ist, wenn man
nicht mehr die Möglichkeit dazu hat, vorschlägt, man
könnte eine Brennelementesteuer einführen. Die dadurch erzielten Einnahmen sollen mit 3,7 Milliarden
Euro um gut 1 Milliarde Euro über dem liegen, was wir
vorschlagen. Sie müssen sich an der Stelle schon entscheiden, ob Sie die Kuh schlachten oder melken wollen.
Das wäre eine spannende Entscheidung, die Sie hier treffen müssten.
Weiterhin fordern Sie zum Neubau von Kohlekraftwerken Folgendes, was für grüne Politik ganz entlarvend
ist: Im Strombereich soll der Neubau von Kohlekraftwerken durch die Einführung eines Mindestwirkungsgrads
für fossile Kraftwerke wirksam gestoppt werden. Nicht
einmal da haben Sie die Geradlinigkeit, zu sagen: Wir
wollen die Kohle nicht. - Denn letztendlich müssten Sie
erklären, woher sonst die Hälfte unseres Stroms, der aus
Kernenergie und Kohle gewonnen wird, kommen soll.
({3})
Im nächsten, anschließenden Absatz fordern Sie die
Einrichtung eines Energiesparfonds in Höhe von
3 Milliarden Euro. Ich stelle fest: Sie lassen sich von
dem, was wir hier vorschlagen, durchaus inspirieren.
Aber dazu, wie der Fonds finanziert wird, sagen Sie
nichts. Das unterscheidet unser Konzept von Ihrem Konzept. Auch in Zeiten knapper Kassen formulieren wir,
wie dieser Fonds zum Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Forschung und Entwicklung voranzubringen, finanziert wird. Das ist die eigentliche Leistung an
der Stelle.
({4})
Weiterhin sagen Sie, man bräuchte jetzt eine Netzund Systemintegration. Aufgrund der vielen Verhandlungen, die ich bei den Novellierungen des EEG mit Ihnen führen durfte, darf ich feststellen, dass Sie sich dieser Maßnahme bisher immer verschlossen haben.
Bislang haben Sie, meine Damen und Herren, immer
Folgendes gesagt: Wir machen die Markteinführung,
und möglichst viel erneuerbarer Strom muss in die
Netze. - Aber das war es dann. Dass man für eine Versorgung eine Netzintegration braucht, war Ihnen vermutlich klar, aber an der Stelle wahrscheinlich egal.
Der Kollege Fell sagte vorhin in einer Kurzintervention, er hätte gerne Luft in den Netzen. Auch das ist ein
Unterschied: Wir hätten gern Strom in den Netzen, lieber
Kollege Fell, keine Luft.
({5})
Das ist unser Anliegen. Deshalb machen wir das, was
wir hier tun wollen, während Sie versuchen, es uns denkbar schwer zu machen.
Ich habe jetzt leider keine Zeit, auf das einzugehen,
was Sie im Wärmebereich alles vorschlagen. Aber das
ist wieder typisch Grüne: Zwang, Vorschriften, Verpflichtungen, Ökostalinismus per se und par excellence.
({6})
Diese Geschichte werden wir so sicherlich nicht mittragen. Wir haben hier ein Konzept vorgelegt, das weit über
das Thema Wiedereinstieg - oder wie auch immer Sie es
formulieren wollen -, weit über das Thema Laufzeitverlängerung hinausgeht. Dieses Konzept zeigt einen richtungweisenden Weg in das Zeitalter der erneuerbaren
Energien auf. Es ist finanziert, indem die Kernenergie
diesen Ausbau doppelt gegenfinanziert, und zwar über
den Fonds und durch die preisdämpfende Wirkung.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile jetzt der Kollegin Bulling-Schröter das
Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Aussprache
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
nach § 30 unserer Geschäftsordnung. Anschließend folgen zwei Kurzinterventionen.
Vielen Dank. - Herr Nüßlein hat hier behauptet, ich
als Vorsitzende des Umweltausschusses hätte das Handtuch geschmissen.
({0})
Ich möchte zu dieser Ausschusssitzung noch kurz einige Worte sagen. Die Koalition hat einen extremen
Zeitdruck aufgebaut und dieses Verfahren so gewählt,
wie es war. In dieser Ausschusssitzung gab es immer
wieder Differenzen über die Auslegung der Tagesordnung und der Geschäftsordnung. Infolgedessen habe ich
als Ausschussvorsitzende den Sekretär des Geschäftsordnungsausschusses herbeigebeten, der dann der ganzen Ausschusssitzung beigewohnt und mich juristisch
beraten hat. Ich bin leider keine Juristin. Es gab im Rahmen der Sitzung mehrere Auszeiten, die von mehreren
Fraktionen beantragt wurden.
Zu Beginn der heutigen Sitzung, in der Geschäftsordnungsdebatte, wurde schon vieles über den Verlauf der
vorgestrigen Ausschusssitzung erzählt. Es ist aber nicht
richtig, dass ich das Handtuch geschmissen hätte. Vielmehr muss auch eine Ausschussvorsitzende nach dreieinhalb Stunden die Möglichkeit haben, den Raum - aus
bestimmten Gründen, die ich jetzt vielleicht nicht ausführen muss - für zehn Minuten zu verlassen. Dafür hat
man einen Stellvertreter: Mein Kollege Meierhofer hat
die letzten Minuten der Sitzung geleitet. Davon war er,
wie er mir gesagt hat, nicht begeistert; denn alles - das
ist bekannt - war sehr kompliziert und schwierig.
Im Übrigen möchte ich auch auf Folgendes hinweisen: Es ist auch nicht richtig, dass ich den Raum - wie
ich jetzt aus den Medien erfahren habe - mit Tränen in
den Augen verlassen hätte. Als originale Bayerin, die als
Vertreterin der Linken noch Härteres gewöhnt ist, werde
ich nicht so schnell weinen. Die Verhältnisse sind momentan aber trotzdem traurig.
({1})
Meine Damen und Herren! Jetzt folgen insgesamt
drei Kurzinterventionen nacheinander. Zunächst erteile
ich dem Kollegen Oliver Krischer von den Grünen das
Wort zu einer Kurzintervention. Herr Krischer, Sie müssen allerdings die drei Minuten dafür nicht voll ausnutzen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Debattenbeitrag von Herrn Nüßlein hat mich zu einer
Zwischenfrage angeregt, die er leider abgelehnt hat. Er
lässt nur Zwischenfragen aus der eigenen Fraktion zu;
das halte ich für ein merkwürdiges parlamentarisches
Verhalten, aber nun gut.
({0})
Herr Nüßlein, Sie haben sich über das Projekt eines
AKW-Neubaus in Finnland geäußert. Ich wollte Sie erstens fragen: Ist Ihnen bekannt, dass die Umsetzung dieses Projekts inzwischen doppelt so teuer ist wie erwartet? Ist Ihnen bekannt, dass der geplante Baufortschritt
um zwei Jahre verzögert ist, dass das ganze Projekt zu
scheitern droht, dass es Klagen gibt? Ist Ihnen bekannt,
dass das ganze Projekt nur deshalb funktionieren kann,
weil staatlicherseits dafür gehaftet wird? Unter anderem
hat dort die Bayerische Landesbank einige Milliarden
versenkt.
({1})
Sie heben hier auf dieses Projekt ab und stellen es als
mustergültig hin.
Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass dieses Projekt in
Finnland faktisch das einzige wirkliche Neubauprojekt
- nicht Reaktivierung von alten Baustellen - in Europa
ist? Ansonsten gibt es in Europa keinen wirklichen Neubau. Tatsächlich werden mehr Reaktoren vom Netz genommen, als neue hinzukommen.
({2})
Ich habe eben beobachtet, wie Sie vorhin Herrn
Röttgen Beifall gespendet haben, als er gesagt hat, die
Windenergiebranche habe sich „ausdrücklich für das
Engagement der Koalition“ bedankt. Wir haben inzwischen nachgeschaut, was die Windenergiebranche, der
Präsident des Bundesverbandes WindEnergie, Herr
Albers, zum Energiekonzept der Bundesregierung gesagt hat. Herr Albers sagte zu den Annahmen des
Energiekonzepts wörtlich:
Mit diesen Annahmen gewährt die Bundesregierung der Windenergie an Land eine Restlaufzeit
von nur 5 Jahren …
({3})
Er kann das sagen, weil die Windenergiebranche selber
die Ziele der Bundesregierung nicht erst 2050 erreicht,
sondern schon 2015. Das heißt, Sie produzieren 35 Jahre
Stillstand beim Ausbau der Windkraft. Das halte ich für
einen absoluten Skandal. Es ist schlicht und ergreifend
eine Unverschämtheit, sich dann hierhin zu stellen und
zu sagen, Sie würden von der Windkraftbranche gelobt.
Das möchte an dieser Stelle deutlich sagen.
({4})
Herr Nüßlein, eine letzte Bemerkung. Sie haben den
Mindestwirkungsgrad für Neubauten von Kohlekraftwerken angesprochen, den wir einführen wollen.
Das ist eine völlig richtige, notwendige Maßnahme, um
den überflüssigen Neubau von Kohlekraftwerken zu verhindern. Es gibt ein Papier aus dem Haus von Herrn
Röttgen, das genau diese Initiative aufgegriffen hat:
Auch das Bundesumweltministerium hat einen Mindestwirkungsgrad vorgeschlagen. Das ist eine notwendige
Maßnahme, um in Deutschland die Klimaschutzziele zu
erreichen.
({5})
Nun hat Kollege Ulrich Kelber das Wort zu einer
Kurzintervention.
({0})
Herr Kollege Nüßlein, die Zwischenfrage Ihres Fraktionskollegen war scheinbar vorbestellt. Trotzdem sind
Sie auf dem falschen Fuß erwischt worden. Deswegen
biete ich mich jetzt als Telefonjoker an.
({0})
Erstens. Weltweit gibt es 193 Staaten, inklusive Taiwan. Ich wollte Sie darüber informieren, dass 163 dieser
Staaten keine Atomkraftwerke gebaut haben und auch
keine bauen wollen. Das als kleine Gegendarstellung.
Ganz wichtig ist auch der Hinweis - das hat Herr
Schirmbeck Ihnen in seiner Frage nicht souffliert -, dass
seit vielen Jahren weltweit mehr Atomkraftwerke vom
Netz gehen als zugebaut werden. Herr Pfeiffer, der links
neben Ihnen sitzt, wird Ihnen diese Aussage, die wissenschaftlich anerkannt ist, bestätigen können.
Kommen wir zum letzten Punkt, zu Finnland. Das
finnische Atomkraftwerk wird gebaut mit einem Milliardenzuschuss der französischen Regierung für den Lieferanten, mit einer Hermesbürgschaft der deutschen Bundesregierung und mit einem subventionierten Kredit der
Bayerischen Landesbank - das ist vielleicht auch ein
Beitrag zu den hervorragenden wirtschaftlichen Ergebnissen dieser Bank -, trotzdem gibt der Betreiber schon
jetzt zu, dass der Strom, der aus diesem Atomkraftwerk
kommen wird, subventioniert werden muss, weil er andernfalls mehrere Cent über den Börsenpreis von Skandinavien liegt. Wenn das Ihr Modell für Deutschland, für
unsere energieintensive Industrie und für unsere Stromkunden ist, dann sollten Sie das bitte als Reaktion auf
meine Kurzintervention noch einmal ausführlich darstellen.
({1})
Die dritte Kurzintervention kommt von Horst
Meierhofer von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu
den Aussagen von Herrn Dr. Nüßlein: Ich glaube nicht,
dass ich als FDP-ler in dem Ruf stehe, Frau BullingSchröter inhaltlich nahezustehen. Ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen, dass Frau Bulling-Schröter, soweit die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion und
ich das beurteilen können, einen ganz guten Job als Vorsitzende des Ausschusses gemacht hat. Es war wirklich
turbulent. Das wurde heute mehrfach angesprochen. Ich
sage das, ohne einzelnen Fraktionen Vorwürfe machen
zu wollen. Sie hat dreieinhalb Stunden lang versucht,
diese Sitzung wirklich ausgewogen zu leiten. Das gilt
auch für das Sekretariat und alle anderen, die mitgeholfen haben. Deswegen sind, glaube ich, persönliche Anfeindungen nicht nötig.
({0})
Herzlichen Dank. - Kollege Nüßlein, bitte.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank. - Ich beginne mit dem,
was der Kollege Meierhofer gerade erwähnt hat. Sehr
geehrte Frau Bulling-Schröter, wenn meine Äußerungen
missverstanden worden sein sollten, entschuldige ich
mich ausdrücklich bei Ihnen persönlich.
({0})
Ich wollte Ihre Sitzungsführung in keiner Weise tadeln
oder Sie persönlich kritisieren. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass das, was Kolleginnen und Kollegen
im Umweltausschuss veranstaltet haben, unparlamentarisch, ungehörig und unanständig war. Ich habe nur sagen wollen, dass Sie das dazu bewogen hat, weil Sie sich
stimmlich nicht mehr durchsetzen konnten, die Sitzungsleitung abzugeben. Ich halte das Verhalten der Kollegen
nach wie vor für verwerflich. Ich wollte Sie in keiner
Weise angreifen.
({1})
Was Finnland, Schweden und andere Länder angeht:
In Finnland befindet sich ein neues Kernkraftwerk im
Bau; nichts anderes habe ich gesagt. Der Bau zweier zusätzlicher Kraftwerke ist beschlossen. Ob es dort Widerstände gibt und wie diese aussehen, kann ich nicht beurteilen.
({2})
Ich gehe aber davon aus, dass ich die Frage, die mir der
Kollege Schirmbeck gestellt hat, korrekt beantwortet
habe. Er hat mich gefragt, ob es eine nennenswerte Anzahl von Ländern gibt, die aus der Atomenergie aussteigen, oder ob es nicht vielmehr so aussieht, dass Länder,
die einen Ausstiegsbeschluss gefasst haben, das jetzt
ganz anders handhaben. Dafür ist Schweden ein klassisches und krasses Beispiel.
Was den Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken angeht: Ich kritisiere ja nicht, dass Sie nach dem Stand der
Technik vorgehen und den Wirkungsgrad entsprechend
höher ansetzen wollen. Ich kritisiere, dass Sie diesen
Wirkungsgrad ganz gezielt, prohibitiv höhersetzen wollen, um Kohlekraftwerke zu verhindern. Das ist nicht
Sinn und Zweck eines Wirkungsgrades.
({3})
Was Herrn Kelber und die Renaissance der Kernkraftwerke angeht: Ich habe die Zahlen nicht im Kopf und
weiß nicht, in wie vielen Ländern Kernkraft tatsächlich
genutzt wird.
({4})
Ich sage Ihnen aber - das können Sie aufschreiben und
zu gegebener Zeit wieder hervorholen -: Der Energiehunger dieser Welt und das sich abzeichnende Bevölkerungswachstum, insbesondere in den Schwellenländern,
werden dafür sorgen, dass die Kernenergie eine Renaissance erlebt, wenn uns nichts Besseres einfällt.
({5})
Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was wir momentan mit
Wind und Sonne probieren, wird nicht ausreichen, um
den immensen Energiehunger der Welt zu stillen.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Klaus Breil für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Energiekonzept ist kein Kernenergiekonzept
({0})
und primär auch kein Konzept zur Klimarettung. Auf die
Entwicklung des Weltklimas hat Deutschland nämlich
nur wenig Einfluss.
({1})
Unser Energiekonzept ist vielmehr das größte Modernisierungsprogramm für eine gesamte Volkswirtschaft.
Es ist weltweit ein Prototyp.
({2})
Es wird den Nachweis erbringen, dass die größte Industrienation der EU die Harmonisierung von Volkswirtschaft und Klimaschutz ohne Wohlstandsverluste organisieren kann. Die deutsche soziale Marktwirtschaft
kann das leisten - und sie wird es leisten. Wir werden
weder Wirtschaft noch Bürger mit unbezahlbaren Energiekosten belasten. Das ist eben der Unterschied zu den
Vorstellungen der Grünen: Wir fordern die Energiewende,
ohne zu überfordern.
Bereits heute zahlen wir für gerade einmal 15 Prozent
unserer Stromerzeugung, die aus erneuerbaren Energien
kommt, Zusatzkosten von über 8 Milliarden Euro pro
Jahr. Auf dieser Basis gerechnet müssten bei einer regenerativen Vollversorgung auf Betriebe und Verbraucher
Zusatzkosten von über 50 Milliarden Euro im Jahr umgelegt werden. Die erforderlichen Investitionen in Netze,
Speicher und Regelenergiekraftwerke sind in dieser
Rechnung noch nicht einmal enthalten. Eine solche Belastung kann niemand wollen.
Energiekosten, meine Damen und Herren, sind der
Brotpreis des 21. Jahrhunderts. Schon deshalb muss
Energie für alle bezahlbar bleiben.
({3})
Doch gerade die Grünen verschweigen systematisch die
enormen Folgekosten und Risiken dieses Umbaus. Das
ist zwar unredlich, entspricht aber dem bekannten grünen Dreiklang: Verschweigen, Verweigern, Verhindern.
({4})
Unser Energiekonzept hingegen ist durchgerechnet
und mit ausreichenden staatlichen Stabilisatoren untersetzt. Daher benötigen wir Rahmenbedingungen, die
sich stärker an der Kosteneffizienz und der Verantwortung der Erzeuger für eine bedarfsgerechte Erzeugung
ausrichten. Bei der Gebäudesanierung werden wir einen
Sanierungsfahrplan erarbeiten und setzen dabei auf wirtschaftliche Anreize. Zwangssanierungen wird es mit uns
nicht geben.
({5})
Dreh- und Angelpunkt des gesamten Umbaus ist und
bleibt neben der Bereitstellung von Speichern die Entwicklung der Netze. Wenn wir die Erzeugungsstruktur
ändern, muss auch das Netz grundsätzlich verändert
werden. Hier werden wir noch drei Punkte regeln müssen.
Erstens werden wir die Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigen.
Zweitens können nur auskömmliche Renditen den
Ausbau der Netze anschieben.
Drittens wird die Bundesregierung eine Informationsoffensive zur Bedeutung der Netze und für eine größere
Akzeptanz des Netzausbaus starten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung ist ein Generationenprojekt, über dessen Notwendigkeit über alle Fraktionen hinweg Einigkeit besteht.
Dann sollten wir aber auch alle gemeinsam für mehr Akzeptanz der neuen Energieinfrastrukturen gerade dort aktiv werben, wo lokale Interessen den Fortschritt behindern.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Michael Luther für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren nun seit ungefähr drei Stunden. Ich denke, gegen Ende der Debatte ist es vielleicht
ganz gut, noch einmal festzuhalten, worum es heute eigentlich geht.
Es geht heute um die Frage, wie die Energieversorgung in Deutschland in 40 Jahren, in 2050, aussehen
wird. Wir sind uns, auch wenn das in vielen Debattenbeiträgen nicht so klar zum Ausdruck gekommen ist, in
einem Punkt einig: Wir wollen den Wechsel hin zu den
erneuerbaren Energien. Wir wollen, dass 2050 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien kommt. Nicht einig sind wir uns bei der Frage, wie
der Weg dorthin zu beschreiten ist. Ich denke, es gibt auf
diesem Weg ein paar wichtige Fragen zu beantworten.
Erstens. Wie schaffen wir es, dass erneuerbare Energien grundlastfähig werden? Es ist zwar wahr, dass in
Spitzenzeiten zu viel Strom im Netz ist, aber erneuerbare
Energien, Wind und Sonne, sind nicht 24 Stunden am
Tag, 365 Tage im Jahr verfügbar, sondern sehr volatil.
Deswegen ist eine wichtige Frage: Wie erreichen wir
eine stabile Stromversorgung? Wir sind der Meinung,
dass wir dafür noch eine ganze Weile Grundlastkraftwerke brauchen. Eine Art von Grundlastkraftwerken, die
wir in Deutschland haben, sind nun einmal Atomkraftwerke.
Zweitens. Mich wundert es nicht, dass in diesen Tagen in der Öffentlichkeit - man tut so, als habe man das
vorher nicht gewusst - geschrieben wird, dass der Ausbau der Solarenergie die Energie in unseren Netzen teurer macht. Das haben wir gewusst. Deswegen muss man
in diesem Zusammenhang eine zweite Frage beantworten: Wie schaffen wir es, den Strompreis stabil zu halten, und zwar so, dass wir weiterhin eine Industrienation
sein können und nicht die Wirtschaft aus Deutschland
vertreiben? Letztendlich fordern auch die Verbraucher
einen stabilen Strompreis. Sie sind heute schon skeptisch. Daher müssen wir ihnen sagen, wie wir es schaffen
wollen, den Strompreis stabil zu halten.
({0})
Das sind die wesentlichen Bausteine unseres Energiekonzeptes, in dem wir genau beschreiben, wie wir zu
dem Ziel kommen, dass der Anteil der Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien im Jahr 2050 bei 80 Prozent
liegt. Unser Energiekonzept ist realistisch und kein Fantasiegebilde.
Im Energiekonzept wird noch eine weitere Frage beantwortet, die der Finanzierung. Wir wissen, dass es
Geld kostet, diesen Weg zu beschreiten. Deswegen richten wir einen Energie- und Klimafonds ein, in den unter anderem die Mehrgewinne der Energiekonzerne, die
es aufgrund der längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke
gibt, fließen werden. Damit sind wir in der Lage, die
Grundlastfähigkeit zu erforschen und anwendungsorientierte Forschung zu betreiben. Dies wird bei der Erreichung der Ziele helfen.
Ich will noch eine letzte Bemerkung machen; bei diesem Punkt mache ich mir Sorgen. Heute erleben wir den
Ausbau der erneuerbaren Energien, doch diese werden
über das vorhandene Leitungsnetz nicht transportiert
werden können. Wenn wir dieses Problem im Rahmen
der Planungsgegebenheiten, die wir in Deutschland haben, lösen wollen, dann wird es sehr lange dauern, entsprechende Netze aufzubauen. Es ist jedoch notwendig,
diese Netze schnell zu schaffen. Mir ist dazu ein vergleichbares Beispiel eingefallen. 1990 mussten wir in
den neuen Bundesländern Straßen bauen. Wenn wir das
im Rahmen des westdeutschen Straßenbaurechts hätten
bewältigen wollen, hätten wir 20 Jahre Planungszeit gebraucht.
({1})
Das heißt, wir würden heute mit der ersten Autobahn anfangen. Das ist unvorstellbar. Deswegen ist aus meiner
Sicht ganz klar, dass wir so etwas wie ein Bundesenergiewegeplanungsbeschleunigungsgesetz brauchen.
({2})
- Wenn Sie, Herr Trittin, dafür sind, ist es doch relativ
einfach. Dann sind wir uns einig und können das umsetzen.
Wenn wir alle gemeinsam diese Ziele verfolgen, kann
man sagen, dass heute ein Konzept vorliegt, das für
Deutschland gut ist. Ich werbe ausdrücklich dafür, all die
Maßnahmen, all die Gesetze, die im Einzelnen dafür notwendig sind, entsprechend umzusetzen.
Recht herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Klaus-Peter Willsch für die CDU/
CSU-Fraktion. Er ist der letzte Redner in dieser Debatte.
Anschließend folgt eine ganze Reihe namentlicher Abstimmungen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Am Ende dieser Debatte steht
eines fest: Die bisherige Politik in Energiefragen, die auf
Illusion und Ideologie basierte, wird abgelöst durch eine
Politik, die Tatsachen zur Kenntnis nimmt, durch eine
intelligente zukunftsgerichtete Politik, die Versorgungssicherheit, Klimaschutz und bezahlbare Energie zum
Ziel hat.
({0})
Dass Ihnen das nicht gefällt, vor allen Dingen Ihnen,
geschätzte Vertreter der Grünen, sieht man an dem AufKlaus-Peter Willsch
zug, den Sie hier heute präsentieren. Sie beschwören die
Straße, die diese Politik kommentieren würde, bringen
sich schon mal ein bisschen in Stimmung, indem Sie
sich hier einheitlich, relativ uniform zeigen. Ich muss ja
sagen, die Grundtöne Ihrer übereinstimmenden Kleidung gefallen mir durchaus: überwiegend ein starkes
Schwarz, ein bisschen Gelb dabei. Das ist die Farbenlehre, die ich mir für die Politik in Deutschland wünsche.
({1})
Die Vorwürfe aber, die Sie uns in diesem Zusammenhang
machen - die Bevölkerung sei dagegen, und all das -,
weise ich eindeutig zurück. Wir sind in diesem Punkt mit
einer klaren Aussage in die Bundestagswahl gegangen.
Wir haben gesagt, die Laufzeit wird verlängert, weil wir
es für Unsinn halten, Volksvermögen zu vernichten,
({2})
und weil wir die Sicherheit der Versorgung sowie bezahlbare Preise für notwendig halten und damit Schluss
machen, dass auf der Grundlage von Illusionen Energiepolitik für einen Wirtschafts- und Industriestandort
Deutschland gemacht wird. Das kann nicht tragen.
Ich will noch einmal für die Menschen an den Bildschirmen und hier oben auf der Besuchertribüne deutlich
machen, was das, was hier immer von Ihnen behauptet
wird, heißt. Ich komme aus Hessen; wir haben Biblis A
und B. Wenn wir Biblis A und B durch Photovoltaik ersetzen wollten, müssten wir 20 km2 Fläche mit Photovoltaikanlagen bebauen; das sind 2 600 Fußballfelder.
Wer will das denn in der Landschaft unterbringen, und
wer will den Bürgern vor allen Dingen die Preise zumuten, die sich daraus ergeben angesichts der Tatsache,
dass der Strom sechsmal so teuer ist wie der, den sie an
der Strombörse beziehen können?
({3})
Nun zum Ersatz von Biblis A und B durch Windkraft:
Hier brauchten wir 1 200 Windräder onshore bei besten
Bedingungen, und selbst offshore bräuchte man 520, und
da haben wir gerade mal zwölf stehen. Das ist Politik auf
der Grundlage von Illusionen und keine realistische Politik. Das, was Deutschland braucht, ist aber eine Politik,
die die Wirklichkeit und die Bedürfnisse der Menschen
zur Kenntnis nimmt und zur Grundlage ihres Handelns
macht.
({4})
Wir sagen, wir lassen die funktionierenden, sicheren
und preiswerten Strom liefernden Kernkraftwerke weiterlaufen. Genau das wissen Sie, und genau das ist Gegenstand des Gesetzgebungsvorhabens, das wir hier jetzt
zum Abschluss bringen werden und in dessen Verlauf
wir im Übrigen eine intensive Diskussion mit Ihnen gesucht haben. Ich weiß nicht, wie oft ich die sitzungsfreie
Woche umgeplant habe, weil immer wieder neue Wünsche von der Opposition gemeldet wurden, wie man es
vielleicht hinbekommen könnte.
({5})
Mit dieser Verschwörungstheorie ist in dieser Debatte
genauso aufgeräumt worden wie mit der Theorie, es sei
in Hinterzimmern irgendwas verhandelt worden. Alles
liegt auf dem Tisch. Sie wollen es nicht. Das können Sie
ja laut sagen. Aber wir wollen es. Wir haben es den
Menschen vorher gesagt, und wir setzen es ganz genau
so durch. Versprochen, gehalten.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Herr Beck, ich freue mich, wenn Sie durch eine Frage
meine Redezeit verlängern.
Herr Kollege, Sie haben gerade so demonstrativ gesagt, es läge alles auf dem Tisch. Zumindest auf meinem
Tisch liegt nicht die Antwort der Bundesregierung auf
eine Frage, die wir schriftlich im Plenum gestellt haben
und auch den Ausschüssen zur Beantwortung übermittelt
haben. Wir haben danach gefragt, welche Rechtswirkung der Vertrag mit den vier Energieversorgungsunternehmen hat, den die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, wenn ein nächster
Bundestag eine Änderung der heute zu erwartenden Beschlussfassung der Elften und Zwölften Atomgesetzesnovellen vornehmen würde, und welche Zahlungsverpflichtungen das womöglich für den Bund auslöste.
Darauf hat uns die Regierung im Ausschuss nicht geantwortet; gestern in der Fragestunde hieß es, die Frage sei
schriftlich im Ausschuss beantwortet. Legen Sie diese
Antwort mal auf den Tisch. Sie behaupten ja, es läge alles auf dem Tisch des Hauses. Nun haben Sie die Gelegenheit.
Also, Herr Beck, wenn Sie auf Ihrem Tisch nicht alles
finden, was Sie da vermuten, dann müssen Sie mal aufräumen.
({0})
Ich jedenfalls kann sagen, dass ich mich von der Bundesregierung vollumfänglich informiert fühle und dass
ich alle Entscheidungsgrundlagen beieinander habe.
Jetzt ist genug geredet worden, jetzt muss entschieden
werden.
({1})
Herr Beck, weil ich die Befürchtung habe, dass Sie
mir nicht unbedingt folgen, will ich jemand anderen anführen, zu dem Sie häufig große Nähe gezeigt haben.
Der Führer der freien Welt, Barack Obama, hat gesagt:
Um unseren wachsenden Energiebedarf zu decken
und die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu
verhindern, werden wir unsere Versorgung mit
Kernenergie erhöhen müssen. So einfach ist das.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atom-
gesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/3409 und
17/3453, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP auf Drucksache 17/3051 anzuneh-
men.
Hierzu liegen 24 Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men. Zu allen Änderungsanträgen wurde namentliche
Abstimmung verlangt.
Wir stimmen zuerst über zehn Änderungsanträge ein-
zeln und dann in einer elften Abstimmung über eine Zu-
sammenfassung von 14 Änderungsanträgen gewisserma-
ßen in einer „Listenabstimmung“ ab.
Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung,
und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3486, Stichwort Bundesratszustimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zugleich
mitteilen, dass mir zur Abstimmung 51 schriftliche Er-
klärungen von Kolleginnen und Kollegen vorliegen. De-
ren Namen werden im Protokoll verzeichnet sein.1)
Sind alle Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist der
Fall. Dann ist die erste Abstimmung eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle ihre
Stimme bei dieser ersten namentlichen Abstimmung ab-
gegeben? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann schließe
ich diese Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die
Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ih-
nen später bekannt gegeben.2)
Wir kommen damit zur zweiten namentlichen Ab-
stimmung, und zwar über den Änderungsantrag auf
Drucksache 17/3487. Das Stichwort heißt „Biblis A“.
Sind alle Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist offen-
sichtlich der Fall. Ich eröffne die zweite namentliche
Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme
bei dieser zweiten namentlichen Abstimmung abgege-
ben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich
die zweite namentliche Abstimmung und bitte die
1) Anlagen 2 bis 5
2) Ergebnis siehe Seite 7222 D
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.3)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit
zur dritten namentlichen Abstimmung, und zwar über
den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3488. Das
Stichwort heißt „Biblis B“. Ist alles vorbereitet für die-
sen Abstimmungsgang? - Das ist der Fall. Ich eröffne
die dritte namentliche Abstimmung.
Ich darf Sie fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwe-
send ist, das seine Stimmkarte bei der dritten namentli-
chen Abstimmung noch nicht abgegeben hat. - Es wurde
alles abgegeben. Dann schließe ich diese Abstimmung.4)
Wir kommen nun zur vierten namentlichen Abstim-
mung, und zwar über den Änderungsantrag auf
Drucksache 17/3489; das Stichwort ist Brunsbüttel. -
Sind alle Urnen mit den Schriftführerinnen und Schrift-
führern besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
vierte namentliche Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme bei der vierten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? Ist jetzt alles abgegeben, was für
die vierte namentliche Abstimmung abgegeben werden
soll? - Das ist der Fall. Dann schließe ich diese Abstim-
mung.5)
Wir kommen zur fünften namentlichen Abstimmung,
und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3490, Stichwort: Isar 1. - Die Plätze an den Urnen
sind besetzt. Ich eröffne die fünfte namentliche Abstim-
mung.
Sind Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die ihre
Stimmkarte für die fünfte namentliche Abstimmung
noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich diese Abstimmung.6)
Wir kommen zur sechsten namentlichen Abstim-
mung, und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 17/3491; hier geht es um Krümmel. - Die Plätze an
den Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die sechste na-
mentliche Abstimmung.
Sind nun alle Stimmkarten für die sechste namentli-
che Abstimmung abgegeben? - Das ist der Fall. Dann
schließe ich diese Abstimmung.7)
Wir kommen zur siebten namentlichen Abstimmung,
und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3492; es geht hier um Neckarwestheim 1. - Die
Plätze an den Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die
siebte namentliche Abstimmung.
Ist eine Kollegin oder ein Kollege im Saal, die ihre
Stimme bzw. der seine Stimme bei der siebten namentli-
chen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das ist
3) Ergebnis siehe Seite 7223 A
4) Ergebnis siehe Seite 7223 A
5) Ergebnis siehe Seite 7223 A
6) Ergebnis siehe Seite 7223 B
7) Ergebnis siehe Seite 7223 B
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich diese Ab-
stimmung.1)
Wir kommen zur achten namentlichen Abstimmung, und
zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3493;
Stichwort: Philippsburg 1. - Wie ich sehe, sind die
Plätze an den Urnen besetzt. Dann eröffne ich die achte
namentliche Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte bei dieser achten namentlichen Abstimmung
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich diese Abstimmung.2)
Wir kommen zur neunten namentlichen Abstimmung,
und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3494; hier geht es um „Unterweser“. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann er-
öffne ich die neunte namentliche Abstimmung.
Sind jetzt alle Stimmkarten für die neunte namentli-
che Abstimmung abgegeben? - Das ist offenkundig der
Fall. Dann schließe ich die neunte Abstimmung.3)
Ich rufe die zehnte namentliche Abstimmung über
den Änderungsantrag auf Drucksache 17/3495 auf. Hier
geht es um eine Einfügung im Zusammenhang mit Flug-
zeugabstürzen. - Wie ich sehe, sind die Plätze an den
Urnen besetzt. Ich eröffne die zehnte namentliche Ab-
stimmung.
Ist jemand anwesend, der stimmberechtigt ist und
seine Stimmkarte zur zehnten namentlichen Abstim-
mung noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist auch diese Abstimmung geschlossen.4)
Nun kommen wir zu 14 Änderungsanträgen, über die
wir auf einem Stimmzettel gemeinsam abstimmen wer-
den. Es handelt sich um die 11. bis 24. namentliche Ab-
stimmung. Den Stimmzettel erhalten Sie, falls noch
nicht geschehen, von den Plenarassistenten hier im Saal.
Auf diesem Stimmzettel tragen Sie bitte zunächst Ihren
Namen und die Bezeichnung Ihrer Fraktion deutlich in
Druckbuchstaben ein. Unter der Namensleiste finden Sie
eine Auflistung der 14 abzustimmenden Änderungsan-
träge. Sie haben die Möglichkeit, jeden einzelnen Ände-
rungsantrag mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder
„Enthaltung“ zu markieren. Ich weise darauf hin, dass
Stimmzettel ohne Namensangabe oder mit mehr als ei-
nem Kreuz je Änderungsantrag ungültig sind. Sie kön-
nen die Stimmzettel auf Ihrem Platz ankreuzen. Nach-
dem Sie den Stimmzettel ausgefüllt haben, werfen Sie
ihn in eine der im Saal aufgestellten Urnen. Sind die
Plätze an den Urnen nach wie vor besetzt? - Das ist der
Fall. Dann eröffne ich diese Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinen
Stimmzettel noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist auch diese Abstimmung geschlossen.5)
1) Ergebnis siehe Seite 7223 B
2) Ergebnis siehe Seite 7223 C
3) Ergebnis siehe Seite 7223 C
4) Ergebnis siehe Seite 7223 C
5) Ergebnis siehe Seite 7223 C
Da die vollständige Auswertung der Stimmzettel einen erheblichen Zeitbedarf erfordert, werden die Schriftführerinnen und Schriftführer zunächst noch kein zahlenmäßiges Ergebnis ermitteln, sondern nach Sichtung
der Stimmzettel feststellen, ob die Vorlagen angenommen oder abgelehnt wurden. Die Ergebnisse dieser
24 Abstimmungen werden wir Ihnen auf jeden Fall dann
bekannt geben, wenn wir sie haben. Dann erst werden
auch die weiteren Abstimmungen stattfinden.
Die Sitzung wird jetzt nicht unterbrochen, sondern
wir nutzen die Zeit der Auszählung, um den Kolleginnen
und Kollegen, die eine mündliche Erklärung zur Abstimmung abgeben wollen, die Möglichkeit dazu zu geben.
Es sind nach jetzigem Stand - das kann sich natürlich alles ändern; es können auch noch weniger werden 21 Abgeordnete. Ich möchte vorschlagen, dass diejenigen, die die mündlichen Erklärungen der Kolleginnen
und Kollegen hier im Saal verfolgen wollen, Platz nehmen und sich aufmerksam den Reden widmen. Die anderen Kollegen darf ich bitten, ihre Gespräche außerhalb
des Saales weiterzuführen und im Übrigen auf das zu
achten, was ihnen über die Lautsprecher bzw. Bildschirme bezüglich des Beginns der weiteren Abstimmungen mitgeteilt wird.
Ich darf darauf hinweisen, dass nach unserer Geschäftsordnung inhaltlich zum Abstimmungsverhalten
Stellung genommen werden kann und dass die Redezeit
dafür maximal fünf Minuten beträgt. Die fünf Minuten
müssen nicht in jedem Fall ausgeschöpft werden.
Nun bitte ich die Kollegin Ekin Deligöz für ihre persönliche Erklärung ans Mikrofon.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich werde gegen das Elfte Gesetz zur Änderung des
Atomgesetzes stimmen und möchte hierzu eine persönliche Erklärung abgeben.
Die schwarz-gelbe Koalition will, dass das in meinem
Wahlkreis befindliche Atomkraftwerk Gundremmingen
- Block B, Block C ({0})
noch viele Jahre weiterlaufen soll. Wir reden hier von einem Siedewasserreaktor veralteter, störanfälliger und
unzureichend gesicherter Bauweise. Herr Nüßlein sagt:
Das ist nicht Ihr Wahlkreis, das ist mein Wahlkreis. Herr Nüßlein, meine Kinder wachsen auch in diesem
Wahlkreis auf. Auch sie sehen das Atomkraftwerk. Ich
habe sehr wohl einen Anspruch darauf, mich für all die
Menschen einzusetzen, die mich gewählt haben, die
mich hierher entsandt haben und für die ich einstehe.
({1})
Ich will vor allem dafür sorgen, dass meine Kinder gesund aufwachsen.
Herr Nüßlein, Sie können die Fakten noch so sehr
ignorieren. Die Kinderkrebsstudie sagt, dass in der Umgebung von Gundremmingen die Krebsrate von Kindern, die in der Umgebung wohnen, 60 bis 120 Prozent
höher ist als an anderen vergleichbaren Standorten. Das
sind die Auswirkungen von Gundremmingen, mit denen
wir leben müssen. Da bringt es nichts, wenn Sie sich
jetzt abwenden. Das ist die Verantwortung, zu der wir
uns bekennen müssen. Dementsprechend müssen wir
eine Entscheidung fällen.
In Gundremmingen kam es schon zu zahlreichen,
nämlich über 200, Zwischenfällen; zwei Menschen sind
gestorben. Es gab schon einen Großunfall mit einem
wirtschaftlichen Totalschaden. Es wurden radioaktive
Edelgase freigesetzt, aber wir haben vor Ort kein Sicherheitskonzept, nach dem wir reagieren können, wenn es
zu einem Super-GAU kommt.
Sie sagen, dass ein solcher GAU nicht möglich ist.
Aber was ist, wenn er eintritt? Sie setzen dann die freiwillige Feuerwehr ein und sagen ihr, dass sie das Problem bitte lösen soll. Wer wird die 220 000 Menschen
evakuieren, die vor Ort leben und die davon betroffen
wären?
Mehr noch: Wir haben vor Ort den Atomreaktor, der
den meisten Strahlenmüll in Deutschland produziert.
Alle zwei Monate wird ein neuer Castorbehälter gefüllt.
Täglich werden 150 Kilogramm radioaktiver Müll produziert. Auch Herr Waigel geht auf die Straße.
({2})
- Herr Waigel geht in Gundremmingen und in Günzburg
auf die Straße, weil er gegen das Zwischenlager ist. Erklären Sie Herrn Waigel, wie Sie es hier verantworten
können, dass das weiterhin so geschehen soll und dass es
nicht weniger, sondern mehr Müll wird.
({3})
Sagen Sie den Menschen, wie Sie für Sicherheit garantieren wollen. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass
noch mehr Müll in diesen Zwischenlagern gelagert werden soll,
({4})
die noch nicht einmal abgesichert sind, sondern bestenfalls einem Unwetter widerstehen können, aber sicherlich nicht der Radioaktivität.
({5})
Sie handeln hier unverantwortlich. Deshalb werde ich
diesem Gesetz nicht zustimmen.
Sie können auch keinem Menschen vor Ort - nicht
den Schwaben, nicht den Bayern - in irgendeiner Weise
erklären, warum Sie freiwillig dieses Risiko eingehen,
das wir so nicht eingehen müssten.
({6})
Das ist unverantwortlich gegenüber unseren Kindern,
die vor Ort leben und die dann von einer Krebserkrankung betroffen sind. Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen, wenn es wirklich Ihr Wahlkreis sein sollte, was ich
Ihnen hiermit abspreche.
({7})
Bevor ich dem nächsten Kollegen das Wort erteile,
will ich noch darauf hinweisen, dass selbstverständlich
auch heute rechtzeitig mit einem Klingelzeichen im
Haus auf die bevorstehenden weiteren namentlichen Abstimmungen hingewiesen wird.
Herr Kollege Dr. Thomas Gambke von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, bitte.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich stimme gegen das
Elfte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes, weil ich
direkt betroffen bin. Ich wohne und arbeite nur 15 Kilometer vom Atomkraftwerk Isar 1 entfernt.
Die meisten von Ihnen haben möglicherweise gar
nicht mehr präsent, dass im Jahr 1988 ein französisches
Militärflugzeug nur 1,5 Kilometer von diesem Atomkraftwerk entfernt abgestürzt ist. Stellen Sie sich einmal
vor, was passiert wäre, wenn dieses Flugzeug das Kernkraftwerk getroffen hätte. Es hätte bei diesem sehr alten
Kraftwerk noch nicht einmal den Sicherheitsbehälter
treffen müssen,
({0})
sondern nur das Gebäude, in dem sich direkt unter dem
Dach das Abklingbecken befindet,
({1})
um großen Schaden anzurichten. Sie werden vielleicht
jetzt verstehen, dass ich persönlich das etwas anders
sehe als diejenigen, die hier glauben, diesem Gesetz zustimmen zu müssen.
({2})
Der Bundesumweltminister hat noch im August erklärt, dass er genau diese Kernkraftwerke sichern
möchte. Nun ist er davon abgegangen. Viele Gutachten
belegen die Gefährlichkeit in Bezug auf Flugzeugabstürze. Meine Damen und Herren, Sie können diese Warnungen doch nicht einfach in den Wind schlagen.
({3})
Sie mögen vielleicht sagen: Herr Gambke, Sie gehen
ja auch Risiken ein, wenn Sie in ein Auto oder ein Flugzeug steigen. Diese Risiken nehmen Sie doch in Kauf,
bis hin zu einem Unfall, bei dem Sie möglicherweise Ihr
Leben verlieren. - Es gibt aber einen großen Unterschied. Sie entscheiden hier nicht nur für sich, sondern
für Hunderte von Generationen nach Ihnen. Diese haben
nicht mehr die Möglichkeit zur Entscheidung, wenn Sie
in unverantwortlicher Weise die Laufzeit verlängern.
({4})
Als Physiker will ich Ihnen auch Folgendes sagen:
Manche glauben vielleicht - diesen Eindruck habe ich,
wenn ich mit Nichttechnikern spreche -, man könne irgendwann einmal die Strahlung von radioaktivem Material unterbinden; vielleicht in hundert Jahren, vielleicht
auch erst etwas später. Das ist physikalisch nicht möglich. Genauso wenig wie Sie den absoluten Temperaturnullpunkt unterschreiten können oder ein Material schaffen können, das die Sonnentemperatur oder eine
Atomexplosion aushält, können Sie auch die Strahlung
von radioaktivem Material nicht unterbinden. Als Physiker sage ich Ihnen: Das kann man nicht. Deshalb müssen
wir die Laufzeit begrenzen.
({5})
Jetzt komme ich noch auf eine Erfahrung aus meiner
jahrelangen Industrietätigkeit zu sprechen. Ich bin davon
überzeugt, dass die Kernkraftwerke in Deutschland von
sehr sicherheitsbewusstem Personal gefahren werden.
Menschliches Fehlverhalten können Sie aber nicht ausschließen. Da helfen mir keine Statistik und auch keine
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Das kann morgen passieren. Dann wird man den Schuldigen suchen. Eines wird
man aber nicht reparieren können: dass Menschen ihr
Leben verlieren und dass meine niederbayerische Heimat auf Jahrhunderte nicht mehr betreten werden kann.
Das können Sie doch nicht verantworten.
({6})
Ich habe 1969 mein erstes Auto gekauft, nämlich einen VW, ein wunderbares Auto mit Seilzugbremsen und
unsynchronisiertem Getriebe. Aus demselben Baujahr,
der Baulinie 1969, ist Isar 1. Das ist eine Sicherheitsarchitektur, die heute keine Genehmigungsbehörde mehr
akzeptieren würde. Aber deren Laufzeit wollen Sie jetzt
verlängern.
({7})
225 Tage wäre das Kraftwerk nur noch gelaufen. Jetzt
wird es über 3 000 Tage laufen. Wollen Sie das weiter
verantworten?
Meine Damen und Herren, ich halte es für absolut unverantwortlich, was Sie hier tun. Wir hatten einen Konsens. Diesen Konsens haben Sie aufgekündigt. Sie haben
damit nicht nur die Fraktion der Grünen, sondern auch
viele Ihrer Kollegen einschließlich des CSU-geführten
Stadtrats in Landshut gegen sich. Entscheiden Sie anders, als Sie hier entscheiden wollen! Stimmen Sie einer
Verlängerung nicht zu!
Danke schön.
({8})
Nun hat der Kollege Frank Schwabe das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich werde gegen
sämtliche Gesetzesvorlagen im Zusammenhang mit der
Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke stimmen. Ich mache das auch besonders vor dem Hintergrund, dass ich der zuständige Berichterstatter für Klimaschutz bin.
Deutschland ist seit vielen Jahren Vorreiter gewesen
- ich betone: gewesen - in der internationalen Debatte
zur Entwicklung einer ambitionierten Klimaschutzpolitik und dem damit verbundenen Umbau der Energieversorgung. Dies ist jetzt zentral gefährdet. Es ist absehbar,
dass der Laufzeitverlängerung im Rahmen des auftretenden Systemkonflikts der Angriff auf den Ausbau der erneuerbaren Energien folgen wird.
Die neue Energiepolitik war mit der Entscheidung zur
Beendigung der Atomnutzung und mit den Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien
zentral verbunden. Diese Entwicklung wurde gegen
massive, auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtete Lobbyinteressen durchgesetzt. Diese Entscheidungen haben das demokratisch legitimierte Primat der
Politik gegenüber kurzfristigen betriebswirtschaftlichen
Interessen einiger weniger durchgesetzt. Diese Politik
des klar fixierten Atomausstiegs und der gesetzlichen
Rahmenbedingungen für die Förderung erneuerbarer
Energien hat zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien in ungeahnten Größenordnungen geführt. Dieser
Boom und der Paradigmenwechsel hin zu einem anderen
Energieversorgungssystem werden für immer mit dem
Namen Hermann Scheer verbunden sein.
Es sind neue wirtschaftliche Strukturen und bislang
über 300 000 Arbeitsplätze entstanden. Die vorgesehenen Gesetzesänderungen zementieren eine überholte
zentrale Energieversorgungsstruktur, die von vier großen
Energieversorgern bestimmt wird, welche ihre Oligopolstellung zur Durchsetzung zu hoher Energiepreise ausnutzen.
({0})
Sie ist weder gut für bezahlbare Preise noch für die Sicherheit der Energieversorgung in der Zukunft, geschweige denn für den Klimaschutz. Es geht um Profitmaximierung ohne Rücksicht auf volkswirtschaftliche
und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen.
({1})
Die von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP getragene Bundesregierung macht sich zur willfährigen
Durchsetzerin dieser Interessen.
Das gesamte parlamentarische Verfahren wurde in einer der Tragweite der Gesetze und der Komplexität der
Thematik vollkommen unangemessenen Art und Weise
durchgepeitscht. Gleichzeitig haben sich die Regierung
und die sie tragenden Fraktionen von CDU/CSU und
FDP jedoch Wochen und Monate Zeit genommen, um
mit den vier großen betroffenen Energieversorgungsunternehmen zu verhandeln.
Mehrere Sondersitzungen des Umweltausschusses
wurden nur genutzt, um den formalen Mindestansprüchen an die Beschlussfassung im Deutschen Bundestag
Genüge zu tun. Dies ist aber durch zahlreiche Verfahrensfehler noch nicht einmal gelungen. Nachfragen waren nicht erwünscht. Aufklärung durch die Bundesregierung gab es nicht. Der zuständige Minister war gar nicht
anwesend. Der traurige Höhepunkt war, dass in der letzten Sitzung des Umweltausschusses, über die heute
schon viel gesprochen worden ist, durch die Koalitionsfraktionen etwa acht Minuten Beratungszeit bis zur Abstimmung eingeräumt werden sollten: Antrag von Frau
Dött um 18.22 Uhr, Abschluss der Debatte um
18.30 Uhr.
Eine viel zu kurze und mit zu wenigen Sachverständigen ausgestattete Anhörung fand in der sitzungsfreien
Zeit statt. Trotzdem hat diese Anhörung Dutzende von
Hinweisen auf offene Punkte der Atomgesetznovellen
ergeben, zu denen es bis heute keine Antworten durch
die Bundesregierung gibt. Dazu gehört, dass das zentrale
Beratungsgremium der Bundesregierung für Umweltfragen, nämlich der Sachverständigenrat für Umweltfragen,
SRU, in einer Stellungnahme mit der Überschrift „Laufzeitverlängerung gefährdet Erfolg der erneuerbaren
Energien“ der Position der Bundesregierung von der
Brückenfunktion der Atomenergie grundsätzlich widerspricht. Mehrere Sachverständige haben gravierende Sicherheitsmängel angesprochen, die im Rahmen eines
Weiterbetriebs zahlreicher Atomkraftwerke zu erwarten
sind. Es gibt keine Antwort auf die Frage, was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenkt.
({2})
Dasselbe gilt für die Frage der mangelnden Wettbewerbsneutralität gegenüber den Konkurrenten; auch hier
gibt es keine Antwort. Es gibt keine Klarheit über die
Höhe der Mittel für den Klima- und Energiefonds. Es
gibt keine Klarheit über den Umfang des anfallenden
Atommülls. Diese Liste ließe sich lange fortführen; man
kann sie an anderer Stelle nachlesen.
Dass die Gesetze ohne Bundesratsbeteiligung beschlossen werden sollen, ist bloß der Tatsache geschuldet, dass es seit dem Sommer keine Bundesratsmehrheit
von Schwarz-Gelb mehr gibt. Das macht den Versuch
der Nichtbeteiligung des Bundesrats politisch verständlich. Eine Regierung könnte so handeln, wenn es nicht
zahlreiche Hinweise gäbe, die eine Regierung nicht
ignorieren darf.
Im Rahmen der vom Umweltministerium selbst in
Auftrag gegebenen Expertise wurde eine Mitwirkungspflicht des Bundesrates bestätigt. Die Verfassungsministerien, nämlich das Bundesministerium der Justiz und
das Bundesministerium des Innern, haben im Rahmen
verschiedener Einschätzungen zu erkennen gegeben,
dass zumindest bei einer umfassenden Verlängerung der
Laufzeiten der Atomkraftwerke eine Mitwirkung des
Bundesrates gegeben sein müsse. Von den mir bekannten elf Expertisen von Verfassungsrechtlern sehen acht
die Beteiligung des Bundesrats als notwendig an. Nicht
zuletzt hat der Bundesrat selbst per Beschluss eine Beteiligung eingefordert. Zahlreiche Verfassungsklagen sind
angekündigt.
Aus all diesen Gründen werde ich den oben genannten Gesetzesvorlagen meine Zustimmung verweigern.
Ich bin mir sicher, dass es hier heute nicht zu einem
verfassungsgemäßen Zustandekommen dieser Gesetze
kommt.
({3}) Hartwig Fischer ({4}) ({5}): Das
hat Ihnen Ihr Referent aber gut aufgeschrie-
ben!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will darauf hinweisen, dass das Instrument der persönlichen Erklärung
vor der Abstimmung kein Instrument ist, um die Sachdebatte zu verlängern.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich lehne die Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke ab.
Es ist klar, warum es überhaupt zu dieser Laufzeitverlängerung kommen soll: Die vier Atomkonzerne haben
die Entwicklung der erneuerbaren Energien verschlafen;
sie fürchten um ihr Monopol. Ihre Helfershelfer, die
schwarz-gelbe Regierung, wollen nun das Monopol verlängern. Das kostet aber nicht nur viele Arbeitsplätze im
Mittelstand und zerstört den Wettbewerb. Denn: Wenn
Sie die Verlängerung durchsetzen, machen Sie etwas
Gravierendes: Sie gefährden die Sicherheit einer Vielzahl von Menschen und produzieren weiteren Atommüll.
({0})
Ganz in der Nähe meines Wahlkreises befinden sich
die beiden Atomreaktoren Isar 1 und Isar 2. Es ist bereits
angesprochen worden: Isar 1 ist eines der ältesten Atomkraftwerke in Deutschland.
({1})
Wenn es bei Isar 1 zu einem GAU kommt, dann sind
Millionen von Menschen gefährdet: in der Großstadt
München, im Landkreis München und in der Stadt
Landshut. Sie nehmen das billigend in Kauf. Warum?
Isar 1 ist eines der gefährlichsten Atomkraftwerke.
Angesichts seines Alters ist es schwer möglich, es auf
neue technische Standards zu heben. Bestimmte Teile,
zum Beispiel den Kessel, kann man nicht austauschen,
weil sie integrale Bestandteile des Reaktors sind.
Des Weiteren besteht bei einem Atomkraftwerk, das
so alt ist wie dieses, das große Problem, dass keinerlei
Schutz vor einem Flugzeugabsturz vorhanden ist. Dieses
Atomkraftwerk ist teilweise nicht einmal gegen den Absturz eines Kleinflugzeuges geschützt. Es liegt ganz in
der Nähe des Münchener Flughafens. Ein Flugzeug, das
eigentlich auf dem Flughafen München landen will,
könnte in Isar 1 oder Isar 2 hineinstürzen. Isar 1 wird
schon beim Absturz eines Kleinflugzeuges zerstört;
Isar 2 wird beim Absturz eines herkömmlichen Verkehrsflugzeuges zerstört, von denen viele München anfliegen.
Das heißt, Sie verlängern den Betrieb von zwei Atomkraftwerken, die sich in der Nähe eines Flughafens und
in der Nähe von mehreren mittelgroßen Städten und einer Großstadt befinden.
Sie können nicht schlüssig erklären, wie Sie die Sicherheit der Menschen garantieren wollen.
Sie machen das Ganze nicht, weil es notwendig ist,
sondern um das Monopol der Atomkonzerne zu erhalten.
Das ist der Skandal.
({2})
Sie gefährden die Menschen in dieser Region, deren Abgeordneter ich bin.
({3})
Sie gefährden die Gesundheit und das Leben dieser
Menschen zugunsten des kurzfristigen Profits der Atomkonzerne und um das Monopol der Atomkonzerne aufrechtzuerhalten. Das ist der Skandal. Sie machen das
nicht, um die Energieversorgung zu sichern, auch nicht,
um günstige Strompreise garantieren können, sondern
nur, um die Profite der mit Ihnen verbundenen Konzerne
zu sichern. Deswegen gefährden Sie das Leben der Menschen. Das ist der zentrale Skandal, und dafür gehören
Sie abgewählt.
Ich möchte noch einmal an Sie appellieren: Geben Sie
Ihrem Gewissen einen Schubs und stimmen Sie bei den
folgenden Abstimmungen gegen die Verlängerung der
Laufzeiten.
Vielen Dank.
({4})
Ich möchte noch einmal auf meine Bemerkung von
vorhin hinweisen.
({0})
Der Kollege Dr. Hermann Ott ist der nächste Redner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Diese heutige Abstimmung über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist keine normale Abstimmung.
({0})
Deshalb möchte ich eine kurze persönliche Erklärung
abgeben.
Ich hatte das Glück, nicht direkt neben einem Atomkraftwerk aufzuwachsen, und ich habe das Glück, nicht
neben einem Atomkraftwerk zu leben. Aber ich kämpfe
seit 1979, seit den großen Demonstrationen in Gorleben
und Hannover, gegen die Atomenergie. Dieser Kampf
war entscheidend für meine politische Bewusstseinsbildung und für meinen beruflichen Werdegang, zuerst als
Wissenschaftler und jetzt als Politiker.
All das, wofür ich in den letzten 30 Jahren gekämpft
habe, versuchen Sie von der Koalition jetzt kaputtzumachen. Sie versuchen, einen der größten Fortschritte der
Menschheit - einen der größten zivilisatorischen Fortschritte hätte es wahrscheinlich Hermann Scheer genannt - wieder zurückzunehmen, nämlich den friedlichen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie.
Die Wirkung dieses Ausstiegs vor zehn Jahren nach
innen und außen war kaum zu überschätzen. Der Atomausstieg hat den Menschen in aller Welt Mut gemacht.
Das habe ich selbst immer dann erfahren, wenn ich im
Rahmen meiner Arbeit mit Menschen zusammengekommen bin. Der Atomausstieg hat allen Menschen Mut gemacht, daran zu glauben, dass ein Leben ohne die Schrecken der Atomkraft möglich ist. Plötzlich war da eine
Alternative zu dieser Monstertechnologie. Diese Hoffnung der Menschen in aller Welt wird von der Koalition
heute enttäuscht, wenn nicht gar zerstört.
({1})
Auch die Wirkung auf uns war gewaltig. Der Atomausstieg hat bei uns und bei vielen anderen gesellschaftliche Kräfte freigesetzt. Sie hat die Kreativität der Menschen gefördert und die Innovationsfreude im Bereich
der Industrie befeuert. Viele Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Sie heute aufs Spiel setzen. Was besonders
verstörend ist, ist, dass Sie das völlig ohne Not tun. Es
gibt keinen sachlichen Grund für die Verlängerung der
Laufzeiten; mein Vorredner und viele andere haben
schon darauf hingewiesen. Der einzige Grund für die
Verlängerung sind die Profitinteressen einiger großer
Unternehmen und die damit zusammenhängende Gier
von Managern und anderen Profiteuren.
({2})
Für die Menschen im Land ist diese Laufzeitverlängerung ein weiterer Schlag ins Gesicht. Die Bundesregierung setzt ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste
zum Schaden der Menschen jetzt und zum Schaden der
Menschen, die in hunderttausend Jahren leben, durch.
Deshalb mein Petitum - das entspricht dem, was viele
andere vor mir gesagt haben -: Überdenken Sie Ihre Entscheidung, die Sie heute und hier treffen, vor dem Hintergrund Ihrer Biografie und Ihrer persönlichen Erfahrung.
({3})
Heute Morgen war ich vor der Sitzung in der Andacht. Ich habe versucht, die Entscheidung, die vor allen
Dingen Sie heute treffen, in ihrer ganzen Wucht auf
mich wirken zu lassen. Ich bin zu diesem Schluss gekommen: Wenn Sie von der Christlich-Demokratischen
und der Christlich-Sozialen Union den Auftrag, der sich
aus Ihrer christlichen Überzeugung ergibt, ernst nehmen,
dann müssen Sie heute gegen die Laufzeitverlängerung
der Kernkraftwerke stimmen. Ich gelobe an diesem Ort
und an dieser Stelle, dass ich das tun werde.
Ich werde dafür kämpfen, dass das wieder rückgängig
gemacht wird. Das wird eine der ersten Amtshandlungen
der nächsten Bundesregierung sein.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dirk Becker.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde dem gesamten Gesetzeswerk heute aus
drei persönlichen Gründen widersprechen.
Erstens. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages fühle ich mich dem Wohl und dem Schutz der deutschen Bevölkerung und der Menschen, die hier leben,
besonders verbunden. Die Koalition hat in den letzten
Monaten viel über Versorgungssicherheit und Versorgungsunabhängigkeit gesprochen und Versorgungslücken thematisiert. Fakt ist: Im Ergebnis Ihres Konzeptes
prognostizieren Sie für das Jahr 2050 das Erfordernis
von Stromimporten in Höhe von bis zu 30 Prozent. Damit wird die Unabhängigkeit Deutschlands geschwächt,
obwohl wir heute Exportüberschüsse haben. Das heißt,
im Endeffekt werden wir künftig verstärkt auf den
Strombezug aus dem Ausland angewiesen sein. Das
kann ich mit meiner Verantwortung gegenüber dem
deutschen Volk nicht in Einklang bringen.
({0})
Der zweite Punkt betrifft die Sicherheit. Im Zusammenhang mit der Anhörung haben sowohl der Sachverständige Hahn als auch andere über die Sicherheit der
Atomkraftwerke gesprochen. Anders als Herr Röttgen es
dargestellt hat, hat Herr Hahn sehr wohl darauf hingewiesen, dass es vor dem Hintergrund des Auslaufens des
Betriebs der Kernkraftwerke möglich war, den Betrieb
des Kraftwerks in Biblis A zunächst mit Ersatzmaßnahmen fortzusetzen. Er betonte aber, dass diese Maßnahmen für den Fortbetrieb unzureichend sind. Es war
Wunsch der Opposition, Herrn Röttgen zu fragen, welche Konsequenzen daraus resultieren. Wenn er seine Ankündigung ernst nimmt, Kraftwerken höhere Sicherheitsstandards abzuverlangen, kann dies nur zur Folge
haben, dass Biblis A nicht weiterbetrieben werden darf.
Hierzu hat Herr Röttgen nicht Stellung bezogen.
Es gibt weitere erhebliche Bedenken, auch gegen den
§ 7 d Atomgesetz. Wir haben von mehreren Sachverständigen gehört, dass § 7 d Atomgesetz zur Absenkung
des Sicherheitsstandards führen und darüber hinaus auch
die Klagemöglichkeit Betroffener eingeschränkt wird.
Dies kann ich mit meinem Anspruch an Sicherheit nicht
in Einklang bringen. Daher werde ich auch aus diesem
Grund dem Gesetzesvorhaben nicht zustimmen können.
({1})
Der dritte Punkt ist, dass ich mich als Abgeordneter in
meinen Mitwirkungsrechten beeinträchtigt fühle und
auch die Rechte der Opposition missachtet sehe. Ich
möchte entgegen den Äußerungen von Herrn Altmaier
und von Herrn van Essen darauf hinweisen, wie die Ausschusssitzung am Dienstag abgelaufen ist.
({2})
- Ja, chaotisch, Herr Kauder, aber daran hatte Frau Dött
einen erheblichen Anteil. - Nach 20 Minuten Ausschusssitzung stellte Frau Dött den Antrag, nach weiteren zehn Minuten abzustimmen und keine weitere Diskussion zuzulassen. Wenn die Regierungsmehrheit das
unter einer ausführlichen Beratung oder Beteiligung der
Opposition versteht, dann habe ich ein grundsätzlich anderes Verständnis von Parlamentarismus.
({3})
Ich bin nicht bereit, es Ihnen durchgehen zu lassen, dass
Sie die Opposition daran hindern, diese kritischen und
wichtigen Sicherheitsfragen zu erörtern. Sie hatten
Angst davor, Antworten geben zu müssen. Ich bin daher
nicht imstande, hier eine objektive Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen.
Der Umweltminister stand uns - entgegen unserem
Wunsch - zur Beantwortung dieser Fragen nicht zur Verfügung. Da Herr Röttgen nicht auf die vielen dezidierten
Fragen, die von den Sachverständigen aufgeworfen wurden, einging, sehe ich mich heute nicht in der Lage, darüber abzustimmen.
Ich sehe in einer heutigen Abstimmung ein grob fahrlässiges Verhalten, das dem hohen Sicherheitserfordernis
der Kernkraftwerke nicht gerecht wird. Auch aus diesem
Grunde dürfte heute eigentlich keine Abstimmung erfolgen. Da sie aber erfolgt, werde ich - nicht nur aus diesem, sondern auch aus vielen anderen Gründen - den
Gesetzentwürfen nicht zustimmen, sondern sie ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun die Kollegin Ute Koczy.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dies sind meine persönlichen Gründe für die
Ablehnung der Laufzeitverlängerung: Ich lebe in Ostwestfalen-Lippe. Ich habe miterlebt, welchen Aufwand
und welche Kosten der Abbau des AKW Würgassen in
dem von mir betreuten Wahlkreis Höxter verursacht.
Nicht sehr viel weiter, in Niedersachsen, liegt das AKW
Grohnde. Dieses ist trotz des Baujahres 1984 sehr störanfällig. Eigentlich war die Abschaltung für 2017 geplant. Jetzt soll Grohnde bis 2030 laufen. Daher wirft die
Laufzeitverlängerung für mich und in meinem Wahlkreis
Fragen auf.
Dazu kommen noch weitere persönliche Gründe. Ich
stelle folgende Fragen in den Mittelpunkt: Woher
stammt das Uran für diese Atomkraftwerke? Was bedeutet die Laufzeitverlängerung für die Ressource Uran und
für die Menschen, die in der Nähe des Uranabbaus leben? 75 Prozent der Vorräte an Uran lagern in Regionen,
die von indigenen Völkern bewohnt werden. Ich habe in
diesem Sommer, im August, zwei Reisen nach Tansania
und nach Brasilien unternommen, um mich persönlich
über die Konsequenzen des Uranabbaus zu informieren.
In Tansania beginnt der Uranabbau erst. Dieses Land
steigt nächstes Jahr in die Förderung des radioaktiven
Materials ein. Die Menschen dort werden nicht über die
Risiken informiert. Sie fühlen sich hilflos den Interessen
der Firmen ausgesetzt und haben kaum eine Chance,
sich dagegen zu wehren. In Brasilien, in der Nähe der
Mine Caetité lebt die Bevölkerung in Angst vor Gesundheitsschäden. Greenpeace hat nachgewiesen, dass das
Wasser dort verseucht ist. Mindestens acht Brunnen mussten versiegelt werden. Die nationalen Behörden und die
Betreiber der Mine leisten trotz richterlicher Beschlüsse
und eindeutiger Auflagen unzureichende Aufklärung und
Unterstützung. Die Forderung der Zivilbevölkerung nach
sauberem Wasser, Lebensmittelkontrollen und Gesundheitsüberwachung wird ignoriert.
Diese Botschaft bringe ich persönlich in diese Debatte ein. Uran ist kein normales Metall, keine normale
Ressource. Einmal an die Oberfläche gelangt, zersetzt es
sich. Erst entweicht das toxische Gas Radon, danach beginnen die Alpha-, Beta- und Gammastrahlen zu wirken,
an manchen Orten nur schwach, doch kontinuierlich und
gefährlich. Uran ist radiotoxisch und chemotoxisch
wirksam. Einmal im menschlichen Körper gelagert, konzentriert es sich im Skelett, in der Leber, in den Nieren
und in den Lymphknoten. Es verursacht durch sein
Spaltprodukt Lungenkrebs, Leberkrebs, Magenkrebs,
Leukämie und andere Bluterkrankungen. Bei Embryonen kommt es zu Fehlbildungen, es bewirkt eine erhöhte
Rate der Säuglingssterblichkeit, mehr Totgeburten und
mehr Fälle von Downsyndrom. Ich finde, das sind persönliche Gründe, um die Laufzeitverlängerung abzulehnen.
({0})
Mit der Verlängerung der Laufzeiten nehmen diese
Gefahren weiter zu, besonders für die Menschen, die in
den Abbaugebieten leben. Ich persönlich halte das nicht
nur für verantwortungslos, sondern auch für eine Menschenrechtsverletzung. Daher unterstreiche ich: Der
Uranabbau ist gleichbedeutend mit dem Öffnen der
Büchse der Pandora. Stoppt den Uranabbau! Der Ausstieg aus der Atomkraft ist der richtige Weg. Nein zur
Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke!
({1})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Mir ist es ein persönliches Anliegen, heute eine
Erklärung abzugeben, warum ich die Gesetzentwürfe zur
Änderung des Atomgesetzes und die weiteren damit zusammenhängenden Gesetzentwürfe ablehne. Ich bin als
Finanzpolitikerin nicht nur für die Zukunft, sondern
auch für die Gegenwart mit verantwortlich. Ich möchte
deshalb etwas zum Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes sagen. Als dieser Entwurf in den Bundestag
eingebracht worden ist, hieß die geplante Steuer noch
Brennelementesteuer. Sie sollte dem Haushalt netto
2,3 Milliarden Euro bringen. Diese 2,3 Milliarden Euro
werden dringend gebraucht. Es gibt vieles, das man damit machen wollte und sollte.
Im Verfahren wurde sie in Kernbrennstoffsteuer umbenannt und soll nur noch 1,5 Milliarden Euro bringen.
Sie ist völlig verändert worden, nicht nur in ihrem Aufkommen, sondern auch in ihrer Zielsetzung. Sie ist begrenzt auf sechs Jahre. Keiner kann erklären, warum. Ihr
Aufkommen wird nicht mehr ausreichen, um zum Beispiel das Volumen für eine Sanierung von Asse II, wofür
sie auch gedacht war, sicherzustellen.
Ich denke, wir haben für die Atompolitik, die in der
Vergangenheit betrieben worden ist und mit der auch die
Zukunft gestaltet werden wird, eine besondere Verant7212
wortung. Wenn hier ein Volumen, das mit 2,3 Milliarden
Euro angedacht worden ist -
Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
Entschuldigung. Ich hatte fünf Minuten angemeldet,
und die Anzeige hier vor mir fing bei einer Minute an.
Nein, nein, das kann nicht sein.
Nein, nein. Ich manipuliere die Redezeit nicht.
Ja. - Es fing mit 1:16 Minuten an. Ich habe nichts
dazu gesagt. - Aber einen Schlusssatz möchte ich noch
sagen.
Mir ist es ein persönliches Anliegen, dass hier bei
340 Euro pro Gramm Uran weitergemacht wird. Wir
wollen also eine Erhöhung. Wir wollen netto 2,3 Milliarden Euro. Wir wollen einen Ausgleich der Steuerausfälle
bei Ländern und Kommunen, und wir wollen die Einspeisung der Summe in den Energiefonds, der sonst
nicht sichergestellt ist. Ich bitte Sie, das ausreichend zu
berücksichtigen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich gehe nach der hier angezeigten Redezeit. Dann
bitte ich um Entschuldigung.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
werde gegen die Gesetzesnovelle stimmen, und ich
möchte Ihnen das als hessische Abgeordnete persönlich
begründen. Ich stamme aus dem Rhein-Main-Gebiet, aus
einem Gebiet in unmittelbarer Nähe zu Biblis A und B.
Meine Eltern, meine Großeltern, mein Bruder und weitere Angehörige meiner Familie wohnen dort noch immer.
Ohne Ihren Atomdeal würde Biblis A demnächst vom
Netz gehen und wäre kein Sicherheitsrisiko mehr. Jetzt
läuft es aber weiter, und zwar noch viele Jahre. Es werden weiter meldepflichtige Zwischenfälle von diesem
Pannenreaktor hervorgerufen werden. Wir werden weiterhin die Gefahr haben, dass wir nicht gegen Terroranschläge geschützt sind. Biblis A hat keine externe Notstandswarte.
Wir haben den Frankfurter Flughafen, wir haben das
Frankfurter Bankenzentrum in unmittelbarer Nähe. Wir
wissen seit dem 11. September 2001, dass Terroranschläge mit Flugzeugen kein Hirngespinst mehr sind und
dass auch in unmittelbarer Nähe von Biblis A so etwas
passieren könnte. Das macht mir Angst. Deshalb werde
ich die Atomgesetznovelle ablehnen.
Ich habe noch einen zweiten Grund zur Ablehnung,
nicht auf meinen Herkunftsort, sondern auf meinen jetzigen Wahlkreis in Nordhessen bezogen. Diese Region
galt immer als das Armenhaus Hessens. Sie war von hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Man hat gesagt, die Fachkräfte werden abwandern. Seit einigen Jahren haben wir
bei uns in der Region einen großen Boom. Er kommt natürlich nicht von der Atomkraft - davon sind wir verschont geblieben -, sondern von den erneuerbaren Energien. Wir haben bei uns in der Region Weltmarktführer
auf dem Solarmarkt. Ihr Energiekonzept sieht vor, dass
der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich gedrosselt wird.
Ich finde, meine Region hat eine bessere Zukunft verdient. Wir möchten, dass der Ausbau der erneuerbaren
Energien weitergeht. Wir wollen weiter Jobs für hochqualifizierte und für normale Industriearbeiter schaffen.
Wir wollen, dass der Ausbau in die Zukunft weitergeht.
Deshalb wollen wir, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Ich finde, Hessen hat etwas Besseres
verdient als Biblis A und B, nämlich vor allem die Solarenergie. Ich fordere Sie auf, heute gegen die Atomgesetznovelle zu stimmen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Nestle.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde gegen
die Laufzeitverlängerungen stimmen. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Punkt aus meiner Heimat
Schleswig-Holstein zur Sprache bringen.
Trotz meiner persönlichen Bemühungen in den letzten Tagen und Wochen bestehen Sie darauf, auch das
AKW Brunsbüttel mit einer Laufzeitverlängerung von
acht Jahren auszustatten.
({0})
Das AKW Brunsbüttel, das sich in meiner Heimat befindet, ist nur deshalb heute noch nicht im Rückbau, weil es
dort mehrere schwerwiegende Pannen gab, die dazu geführt haben, dass es jahrelang vom Netz genommen war;
sonst wäre das AKW Brunsbüttel schon heute im Rückbau. Ich denke, diese Pannen, die Leib und Leben der
Bevölkerung vor Ort gefährden, sind kein Grund, den
Kernkraftwerksbetreibern zu sagen: Ihr bekommt ein
Geschenk in Form einer Laufzeitverlängerung um acht
Jahre obendrauf; wir betreiben diesen Reaktor weiter.
({1})
Ich will in der gebotenen Kürze nur von einer einzigen Panne berichten. 2001 kam es im AKW Brunsbüttel
zu einer Knallgasexplosion. In direkter Nachbarschaft
zum Reaktordruckbehälter wurden drei Meter Rohrleitung vollkommen zerfetzt. Ein einziges Ventil, das stark
gestaucht wurde, war noch dazwischen. Es hat verhindert, dass massiv Radioaktivität ausgetreten ist.
Obwohl viele Instrumente angeschlagen und gezeigt
haben, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, ließen die
Betreiber das AKW Brunsbüttel zwei Monate weiterlaufen. Die Strompreise waren damals relativ hoch; deshalb
wollte man das AKW nicht vom Netz nehmen. Es hieß,
das sei ein spontaner Druckabfall gewesen, der nicht so
schlimm gewesen sei. Erst zwei Monate später wurde
bei einer Routineuntersuchung entdeckt, was passiert
war. Nach und nach mussten die Betreiber zugeben, dass
sie, als einige Instrumente anschlugen, vielleicht doch
hätten misstrauisch werden und das AKW vom Netz
nehmen sollen.
Nur aufgrund solcher Pannen ist das AKW Brunsbüttel heute noch nicht im Rückbau begriffen. Nur aufgrund
solcher Pannen können Sie überhaupt eine Laufzeitverlängerung des AKW Brunsbüttel vornehmen. Nur aufgrund solcher Pannen bekommt der Betreiber des AKW
Brunsbüttel für seine Verantwortungslosigkeit eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren geschenkt, und das,
obwohl das AKW Brunsbüttel nichts mit dem Thema
Versorgungssicherheit zu tun hat.
Zum Thema Versorgungssicherheit möchte ich in der
Kürze der Zeit nur ein Beispiel nennen. Sie haben heute
mehrmals Ihrer Sorge Ausdruck verliehen, wie schwierig es wird, den notwendigen Netzausbau hinzubekommen. Das AKW Brunsbüttel liegt in einer Region, in der
sich Offshoreanlagen befinden. Durch die Leitungen
fließt aber schon heute jede Menge Onshorewindenergie.
Wenn das AKW Brunsbüttel wieder ans Netz ginge,
müssten die Leitungen massiv ausgebaut werden. Denn
durch die Leitungen, durch die früher der Atomstrom
des AKW Brunsbüttel floss, fließt heute längst Windstrom. Das AKW Brunsbüttel wieder ans Netz zu lassen,
dient weder Ihrem Gesamtkonzept noch der Versorgungssicherheit. Ganz im Gegenteil: Ein großer
Stromausfall in Hamburg, bedingt durch Pannen im
AKW Brunsbüttel, ist keine Seltenheit.
Ich erkenne an, dass Sie in der Atomfrage zum Teil
eine andere Meinung haben als ich. Man mag sich in der
Atomfrage verhalten, wie man will: Brunsbüttel wieder
ans Netz zu lassen, ist der helle Wahnsinn.
({2})
Der Zeitplan diverser Sitzungen ist heute etwas
durcheinandergeraten. Deshalb will ich darauf hinweisen, dass die Sitzung des Ältestenrates entgegen der vorherigen Ankündigung jetzt parallel zum Plenum beginnt.
Diejenigen Mitglieder des Ältestenrates, die an dieser
Sitzung teilnehmen sollen und wollen,
({0})
will ich hiermit informiert haben.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Konstantin von
Notz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich komme aus dem Wahlkreis 10, Herzogtum
Lauenburg - Stormarn-Süd. In diesem Wahlkreis steht
das Atomkraftwerk Krümmel, der Pannenreaktor der
Republik, der in den letzten Jahren so viele Störfälle produziert hat, dass es meine Redezeit sprengen würde,
wenn ich auf alle eingehen wollte. Sie machen sich hier
und heute daran, auch die Laufzeit dieses Reaktors zu
verlängern.
In der Umgebung des AKW Krümmel, unmittelbar
vor dem Schrottreaktor, gibt es das Leukämiecluster Elbmarsch, das weltweit einzigartig hoch ist und die Menschen in meinem und im benachbarten Wahlkreis - ich
sage Ihnen das, weil das vielleicht auch für Sie eine
Rolle spielt - extrem beunruhigt.
Das AKW Krümmel ist wegen der vielen Störfälle
seit Jahren abgeschaltet. Vattenfall hat diese Zeit genutzt, um den alten Schrottreaktor mit zusätzlichen Generatoren hochzurüsten. Der heutige Zustand des alten
Siedewasserreaktors ist vergleichbar mit einem alten,
klapprigen Golf mit Porschemotor. Die letzten Störfälle,
die sich beim AKW Krümmel ereignet haben, waren genau diesem Umstand geschuldet: dass die alte Technik
mit neuer Technik hochgerüstet wurde, die aber nicht
miteinander harmonieren. Auch dies sollte Sie im Herzen bewegen, wenn Sie nachher bei der Abstimmung
über die Verlängerung der Laufzeit des AKW Krümmel
Ihre Hand heben.
Das Ganze ist so beunruhigend, dass in SchleswigHolstein Ihre eigenen Minister - vor allen Dingen der
Justizminister, der für Sicherheitsfragen zuständig ist Einspruch gegen eine Laufzeitverlängerung erheben.
Dem Justizminister wird schon schlecht, wenn er an die
Sicherheitsprobleme nur denkt, die sich mit Ihrer Abstimmung heute ergeben werden.
Auch Folgendes sollten Sie sich zu Herzen nehmen:
Als das Atomkraftwerk in Tschernobyl hochgegangen
ist, war das für die Ukraine und die weißrussische
Steppe schlimm und hatte katastrophale Folgen. Wenn
aber Krümmel in unmittelbarer Nähe der Millionenmetropole Hamburg hochgeht, dann gehen die Lichter aus,
dann ist Schicht im Schacht. Herr Kauder, nehmen Sie
sich das zu Herzen. Der Pannenreaktor der Republik ist
nur 30 Kilometer von Hamburg entfernt, und Sie wollen
heute seine Laufzeit verlängern. Das ist unfassbar. Heute
ist unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ein
schwarzer Tag. Mit Blick auf die Sicherheit der Menschen in meinem Wahlkreis und der gesamten Republik
wäre es eine Affenschande, wenn Sie heute diesen Gesetzen zustimmen würden.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Oliver Kaczmarek.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Tragweite
der vorliegenden Gesetzentwürfe und ihrer Auswirkungen auf zukünftige Generationen, aber vor allem aufgrund der kritikwürdigen parlamentarischen Vorgehensweise nehme ich mein Recht wahr, mein Abstimmungsverhalten besonders zu begründen.
Seit der ersten Lesung der Gesetzentwürfe am 1. Oktober 2010 sind noch nicht einmal vier Wochen vergangen. Die Anhörung des zuständigen Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fand vor einer Woche hier im Deutschen Bundestag statt. Aufgrund
der begrenzten Zeit - die Koalitionsfraktionen haben
dem Wunsch der Oppositionsfraktionen nach einer längeren Anhörung natürlich widersprochen - konnten einige wichtige Aspekte aus dem Themenbereich nicht erörtert werden. Ich nenne beispielhaft die Endlagerung
des aufgrund der Laufzeitverlängerung zusätzlich anfallenden radioaktiven Abfalls.
Es sind aber auch Aspekte dargelegt worden, die im
bisherigen Gesetzgebungsverfahren noch nicht erkennbar waren und noch nicht behandelt worden sind. Ich
nenne beispielhaft die Äußerung der Sachverständigen
Hildegard Müller vom Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft, die wettbewerbliche Nachteile des
Energiekonzepts unter anderem für die Stadtwerke eingeräumt hat. Dafür hat sie nachdrücklich einen Nachteilsausgleich eingefordert.
Dieser Aspekt konnte neben vielen anderen, die schon
benannt worden sind, in dem Gesetzgebungsverfahren
nicht mehr berücksichtigt werden. Die Bundesregierung
war bei der Sitzung des Umweltausschusses am
25. Oktober 2010 ebenfalls nicht in der Lage, angemessen auf diese Frage zu antworten. Ich gehe sicher von einer wettbewerblichen Benachteiligung der Stadtwerke
aus. Welchen Zweck erfüllen Anhörungen und Gesetzgebungsverfahren eigentlich, wenn Aspekte, die sich daraus ergeben, keinen Eingang in die Gesetzgebung finden?
({0})
Man bekommt den Eindruck, dass es sich für die Koalitionsfraktionen um eine lästige Pflicht gehandelt hat,
das, was hinter verschlossenen Türen verhandelt worden
ist, irgendwie zu legitimieren. Das von der Koalitionsmehrheit gewählte Vorgehen im Umweltausschuss entsprach in keiner Weise den Anforderungen an ein transparentes parlamentarisches Verfahren. Es wurde zum
Beispiel die Öffentlichkeit von den Beratungen im Umweltausschuss ausgeschlossen, und man fragt sich: Warum eigentlich? Was gab es da zu verbergen? Die Berichterstattung wurde auf einen Vertreter der Regierungsfraktionen konzentriert. Deshalb komme ich zu der
Schlussfolgerung, dass die Mehrheit des Hauses die unterschiedlichen Standpunkte zu den Gesetzentwürfen
überhaupt nicht angemessen erörtern will.
Ohne erkennbaren Sachzwang soll das Gesetzgebungsverfahren nun in vier Wochen durch das Parlament
geschleust werden. Die fachliche Beratung des zuständigen Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betrug knapp eine Stunde.
Angesichts dieser Tatsache, angesichts der Tragweite
der mit diesen Gesetzentwürfen verbundenen Risiken für
viele in Deutschland lebende und zukünftige Generationen und angesichts des gewählten Verfahrens wäre eine
Zustimmung zu diesen Gesetzentwürfen mit einer verantwortlichen Wahrnehmung des mir von den Wählerinnen und Wählern meines Wahlkreises übertragenen
Mandats nicht vereinbar. Deshalb werde ich alle in Verbindung mit dem sogenannten Energiekonzept der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe ablehnen. Ich
erkläre ausdrücklich meine Missbilligung des Gesetzgebungszeitplans und des Vorgehens der Koalitionsfraktionen im Parlament. „Parlamentarisch“ mag ich das nicht
nennen.
Vielen Dank.
({1})
Die Kollegin Brigitte Pothmer hat nun das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
stimme heute gegen den Entwurf eines Elften Gesetzes
zur Änderung des Atomgesetzes, weil die Verlängerung
der Laufzeiten von Atomkraftwerken, die heute von Ihnen, von der CDU-FDP-CSU-Koalition, beschlossen
werden soll, politisch, juristisch und moralisch schlicht
und ergreifend falsch ist.
Ich bin in einem kleinen Dorf im Wendland geboren
und aufgewachsen, nicht weit von Gorleben entfernt,
und meine Familie betreibt dort noch immer einen landwirtschaftlichen Betrieb. Ich erwähne das, weil die
Wendländer in den letzten Tagen einen wirklich interessanten Besuch hatten. Der Bischöfliche Generalvikar
Dr. Werner Schreer aus meiner Heimatstadt Hildesheim
war zu Gast. Sie alle wissen: Der Generalvikar ist nach
dem Bischof der ranghöchste Repräsentant der katholischen Kirche im Bistum.
Wissen Sie, was Herr Schreer den Leuten im Wendland gesagt hat? Er hat gesagt - ich zitiere -:
Als Christen haben wir den Auftrag, uns um die Bewahrung der Schöpfung zu bemühen.
Er hat zu bedenken gegeben, dass man die Ängste der
Menschen im Wendland ernst nehmen und die möglichen Umweltbelastungen - auch für die zukünftigen Generationen - im Blick haben muss. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, so spricht ein Christenmensch. Ich frage Sie: Was symbolisiert eigentlich
noch das „C“ in Ihrem Parteinamen?
({0})
Herr Dr. Schreer hat auch eine 23-seitige Stellungnahme beim katholischen Forschungsinstitut für Philosophie Hannover in Auftrag gegeben. Diese Stellungnahme lege ich Ihnen ernsthaft ans Herz. In dieser
Stellungnahme heißt es nicht etwa einfach nur, Atomkraft gefährde die Umwelt. Nein, in dieser Stellungnahme heißt es: Der Weiterbetrieb von AKW ist eine
Verletzung des Gemeinwohls.
Meine Damen und Herren, wir alle sind gewählt worden, um das Gemeinwohlinteresse im Auge zu behalten
und zu vertreten. Wir sind nicht gewählt worden, um die
Interessen der Atomlobby zu vertreten.
({1})
Als Konsequenz aus all diesen Argumenten, die in
diesem Papier vorgetragen worden sind, heißt es dann,
„dass die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der
Atomenergie nicht bejaht werden kann“. Setzen Sie sich
über diese Argumente, über diese Stellungnahme, bitte
nicht einfach arrogant hinweg. Ihre Leute haben das geschrieben.
({2})
Der evangelische Bischof von Braunschweig,
Dr. Friedrich Weber, der unmittelbar in der Nähe des Katastrophenmülls der Asse und von Schacht Konrad arbeitet, beantwortete die Frage, was die Kirche zu einem
politischen Thema wie der Laufzeitverlängerung zu sagen habe. Er sagte:
Wenn Probleme auftreten, die die Menschen in unseren Gemeinden verunsichern, dann müssen wir …
Farbe bekennen, zumal bei Projekten, die den sozialen Frieden gefährden.
Meine Damen und Herren, die Laufzeitverlängerung
gefährdet den sozialen Frieden.
({3})
Castortransporte gefährden den sozialen Frieden. Ich
weiß als gebürtige Wendländerin wirklich, wovon ich
rede.
({4})
Sie sollten schon allein um ihrer christlichen Selbstachtung willen von diesem Atomkurs ablassen. Die Beschlüsse der Laufzeitverlängerung sind falsch, sie sind
gegen jede Vernunft, und sie sind gegen die Mehrheit der
Interessen der Bevölkerung.
({5})
Meine Damen und Herren von den christlichen Unionsparteien, wenn Sie uns Grünen schon nicht glauben,
dann glauben Sie wenigstens Ihren Kirchenführern.
Abschließend zitiere ich noch einmal Dr. Friedrich
Weber.
({6})
- Herr Kauder, hören Sie mal zu, was Ihre Kirchenleute
sagen. - Er sagt:
Wir, … die gesamte Kirche, lehnen die Laufzeitverlängerung ab, weil das Problem der Endlagerung
überhaupt noch nicht geklärt ist.
({7})
Das ist eine zentrale ethische Frage. Wir haben bereits
genug Atommüll, von dem wir nicht wissen, wohin er
kommt, und jetzt kommt noch neuer hinzu …
Frau Kollegin, achten Sie auf die Redezeit.
Herr Dr. Weber ist nicht nur ein kluger, er ist auch ein
sehr verantwortungsbewusster Mann. Ich frage Sie:
Wann kommen Sie zur Vernunft?
Ich danke Ihnen.
({0})
Die Kollegin Tabea Rößner hat nun das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich nehme heute das Recht wahr, eine persönliche Erklärung abzugeben, nicht nur weil die Verlängerung der
Laufzeiten von Atomkraftwerken jeglichem Sinn und
Verstand widerspricht,
({0})
sondern weil sie auch meiner Verantwortung gegenüber
meinen Kindern, gegenüber meinen Kindeskindern und
auch dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung sowie
meiner Wählerinnen und Wähler widerspricht. Darum
werde ich hier und heute gegen die vorgelegte Atomgesetznovelle stimmen.
({1})
- Herr Kauder, Sie können mir glauben, dass ich mit
meinen Wählerinnen und Wählern in Kontakt stehe.
({2})
Ich stimme gegen die Laufzeitverlängerung, weil ich
für eine verantwortungsvolle Politik stehe, für die mich
viele Menschen in Rheinland-Pfalz gewählt haben. Auch
wenn in Rheinland-Pfalz selbst kein Atomkraftwerk am
Netz ist, so liegt mein Wahlkreis in direkter Nachbarschaft zum Atomkraftwerk Biblis. Das sind keine
20 Kilometer Luftlinie von meinem Heimatort.
Die beiden Reaktoren Biblis A und B gehören zu den
ältesten in Deutschland. Biblis A ist bereits 1974 ans
Netz gegangen. Nach der geplanten Gesetzesnovelle soll
Biblis mindestens acht Jahre länger in Betrieb sein - und
dies, obwohl Studien insgesamt 80 Sicherheitsdefizite
aufzeigen. Bereits jetzt gehören die Reaktoren in Biblis
zu den störanfälligsten. In der Pannenbundesliga ist
Biblis A der unangefochtene Rekordmeister. Es gab insgesamt über 400 meldepflichtige Zwischenfälle. Die
Verlängerung der Laufzeiten bedeutet mindestens acht
Jahre weiter Pleiten, Pech und Pannen, acht Jahre, in denen die Pannenreaktoren wie ein radioaktiv strahlendes
Damoklesschwert über uns hängen.
Zudem sind die Reaktoren in Biblis gegen Störfälle
schlechter geschützt als andere. Meine Kollegin Maisch
hat auch dies eben schon erwähnt. Bei einem Flugzeugabsturz - der Frankfurter Flughafen liegt in unmittelbarer Nähe - hätten wir in Rheinland-Pfalz ganz
schlechte Karten. Laut Öko-Institut wäre eine großflächige Zerstörung des Reaktorgebäudes zu befürchten.
Die Folge - wir kennen das - wäre eine Kernschmelze,
und ein Gebiet von 10 000 Quadratkilometern würde zur
Katastrophenzone.
Mit den Atomgesetzen gefährden Sie, sehr verehrte
Damen und Herren der Koalition, das Leben der Menschen aus dieser Region.
({3})
Wollen Sie wirklich eine solch riesige Verantwortung
übernehmen?
({4})
Biblis A wäre, wenn sich der Betreiber RWE dem beschlossenen und mitgetragenen Atomkonsens verpflichtet gefühlt hätte, längst stillgelegt. Nur durch künstliche
Drosselung, fragwürdige Revision und die Übertragung
von Reststrommengen aus dem stillgelegten AKW Stade
wurde die Betriebserlaubnis bis heute gerettet.
Diese Strategie soll jetzt nach Ihrem Willen satte
Früchte tragen. Eine acht Jahre längere Laufzeit würden
RWE Zusatzeinnahmen in Milliardenhöhe bringen. Ob
es zu Nachrüstungen beim völlig inakzeptablen Sicherheitszustand kommt, steht dagegen völlig in den Sternen.
({5})
Ein derart unsicherer Reaktor wie Biblis A muss sofort
abgeschaltet werden. Jede Verlängerung der Laufzeit ist
aus meiner Sicht unverantwortlich.
({6})
Die Menschen, die in der Region leben, wollen ihre
strahlenden Nachbarn auf jeden Fall loswerden. Denken
Sie daran, wer in den vergangenen Wochen und Monaten
auf die Straße gegangen ist und an den Demonstrationen
gegen Atomkraft teilgenommen hat. Ob es in Berlin war,
in Gorleben oder bei mir zu Hause: So bunt gemischt
war die Atomkraftbewegung noch nie. Aber in einem
waren sich alle einig: Sie wollen in diesem Land keine
Atomkraft. Wenn Sie, sehr verehrte Damen und Herren
der Koalitionsfraktionen, dieses Gesetz heute beschließen, dann wird - das garantiere ich Ihnen - auch Sie niemand mehr wollen.
Ich appelliere daher an Sie: Nehmen Sie diese Gesetzesvorlagen zurück und machen Sie endlich den Weg
frei für den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien!
Vielen Dank.
({7})
Nun hat die Kollegin Dorothea Steiner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte kurz erklären, warum ich gegen die elfte Atomgesetznovelle stimmen werde, die eine Laufzeitverlängerung für alle Atomkraftwerke in Deutschland vorsieht.
Ich bin auch deswegen von der Laufzeitverlängerung
persönlich betroffen, weil sich in meiner Region und
meinem Bundesland das Atomkraftwerk Unterweser befindet, das besonders viele Mängel aufweist. Je älter die
Meiler, desto größer die Störanfälligkeit; da kann der
Bundesumweltminister über Sicherheit philosophieren,
so lange er will.
Schon heute kommt es alle zweieinhalb Tage zu einer
meldepflichtigen Betriebsstörung in einem deutschen
Atomkraftwerk. Für mich gehört das Atomkraftwerk
Unterweser zu den sieben Atomreaktoren, die sofort
stillgelegt werden müssten. Für mich ist es unverantwortlich, die Bevölkerung, unsere Umwelt und uns alle
diesem immensen Risiko auszusetzen, das von der längeren Betriebsdauer des AKW Unterweser ausgeht, und
das nur, um die Profite von Eon zu erhöhen.
({0})
Das AKW Unterweser, auch Esenshamm genannt,
wird von der Eon Kernkraft GmbH betrieben und ging
1978 ans Netz. Das war damals mit einer elektrischen
Leistung von 1 400 Megawatt der leistungsstärkste Reaktor der Welt.
Seit seiner Inbetriebnahme gab es 330 meldepflichtige Zwischenfälle in diesem AKW. Das sind circa zehn
pro Betriebsjahr. Ich will auf zwei oder drei dieser Zwischenfälle besonders hinweisen.
Bereits 1998 kam es zu einer ernsten Störung, als sich
zwei Sicherheitsventile während einer Reaktorschnellabschaltung nicht öffneten. Diese Sicherheitsventile, die
der Reaktorkühlung und somit der Reaktorsicherheit
dienten, funktionierten offenbar über längere Zeit nicht.
Das wurde erst spät bemerkt.
2005 gab es einen Kurzschluss im zuvor eingebauten
Generator. Das AKW musste mehrere Monate vom Netz
getrennt werden.
Im Juli 2007 wurde festgestellt, dass seit der Jahresrevision 2006 das Not- und Nachkühlsystem falsch eingestellt war. Das heißt, bei einem Störfall hätte dieser
Strang nicht ausreichend kühlen können.
Gleichzeitig möchte ich noch einmal auf etwas hinweisen, was mich sehr betroffen macht: Im AKW Unterweser wurde lange Zeit mit plutoniumhaltigen Mischoxidbrennelementen gearbeitet. 2000 wurde aufgedeckt,
dass systematisch Sicherheitsdokumente für die im britischen Sellafield hergestellten Brennelemente gefälscht
worden waren. „Unterweser“ war betroffen, und so
mussten alle Brennelemente ausgetauscht werden. Wer
sagt mir denn, dass nicht noch an anderen Stellen gefälscht worden ist und Dokumente unterdrückt worden
sind?
({1})
- Ich habe eine Frage gestellt, mehr nicht.
({2})
Nach dem Atomausstiegsbeschluss von Rot-Grün
würde dieser Reaktor voraussichtlich im Herbst 2011
stillgelegt werden. Jetzt soll er nach dem Willen der Koalition noch bis 2020 in Betrieb bleiben. Ich kann das
nicht verantworten. Ich finde das unverantwortlich. Deswegen stimme ich gegen die Laufzeitverlängerung, insbesondere gegen die Laufzeitverlängerung für diesen
Pannenreaktor.
Ich möchte Sie noch auf eines aufmerksam machen.
Was, glauben Sie, wird in den nächsten rund zehn Jahren
passieren, die Sie diesem Reaktor noch geben? Der Klimawandel hat gerade an der Nordseeküste schon genügend Sturmfluten erzeugt; diese werden sich häufen.
Was wird passieren, wenn sich die Pannen, die ich aufgezählt habe, vervielfachen werden und Sturmfluten hinzukommen? Das ist ein Grund mehr, zu sagen: Sofort
abschalten, aber auf keinen Fall eine Laufzeitverlängerung!
({3})
Nun erhält das Wort der Kollege Marco Bülow.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Ich bin
der Meinung, dass man mit persönlichen Erklärungen
- vor allem mit mündlichen - sparsam umgehen sollte.
Aber es handelt sich in diesem Fall um ein sehr weitreichendes und wichtiges Gesetzespaket, das erheblichen
Einfluss auf die Zukunft unserer Energieversorgung haben wird und welches durch die Atomlaufzeitverlängerung uns und den nachfolgenden Generationen willkürlich zusätzlichen hochgiftigen Atommüll beschert und
uns unkalkulierbaren Gefahren aussetzt.
({0})
Ich erkläre hiermit meine entschiedene Missbilligung
des Gesetzgebungszeitplans der Koalitionsfraktionen,
der fehlenden Möglichkeit einer ausführlichen Befragung der Bundesregierung und der unzureichenden Aussprache über dieses zentrale politische Thema. Herr
Bundesminister, es ist richtig, dass Sie zu der Vertragsstaatenkonferenz nach Japan gefahren sind. Aber es war
nicht so zwingend, dass wir nicht nächste Woche mit Ihnen vernünftig hätten diskutieren können und nicht nur
mit Vertretern des Ministeriums.
({1})
Zudem habe ich in den Gesetzesberatungen in den
letzten Tagen und Wochen den Eindruck gewonnen, dass
meine Rechte als Abgeordneter und die Rechte der Opposition insgesamt deutlich beschnitten wurden. Auf der
einen Seite hat sich die Regierung viele Monate Zeit genommen, um mit Atomkonzernen ein Gesetz auszuhandeln. Auf der anderen Seite wird dieses Gesetz ohne
Beteiligung des Bundesrates und ohne ausreichende Diskussion innerhalb von einem Monat durch den Bundestag gepeitscht. Die Lobby wurde ausreichend bedient.
Die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter
und damit die Bevölkerung sollen aber außen vor gehalten werden. Das dürfen wir so nicht hinnehmen.
Die Beratungen im Umweltausschuss waren eine
Farce und der Dimension und Wichtigkeit des Themas
nicht angemessen. Einer zeitlich viel zu knapp bemessenen Anhörung folgten zwei Sonderausschusssitzungen,
in denen die Regierungsfraktionen ihr Mehrheitsrecht
überstrapaziert haben und nur eine Diskussionsrunde zu
dem gesamten Themenkomplex zugelassen haben. Das
muss man sich einmal vorstellen. Dabei dürfen wir sonst
über alle möglichen Dinge - Gott sei Dank - in ausgiebiger Breite diskutieren.
({2})
Es konnten nur fünf Abgeordnete jeweils eine kurze
Stellungnahme zu dem Gesetz abgeben und gleichzeitig
Fragen an die Bundesregierung stellen, Fragen, die in
keiner Weise von der Bundesregierung beantwortet wurden. So wurde beispielsweise keine meiner Fragen, die
sich durch die Anhörung, die erst letzte Woche stattgefunden hat, ergeben haben und in denen ich die Aussagen von Sachverständigen zitiert habe, in der Ausschusssitzung beantwortet. Was nutzt eine Anhörung, wenn die
Mehrheitsfraktionen die Aussagen der Experten ignorieren und die sich daraus ergebenden Fragen nicht zugelassen werden?
Meiner Ansicht nach ist nicht nur der Stil unangemessen. Vielmehr wurden auch meine Rechte als Abgeordneter beschnitten. Ausgehend von § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags in Verbindung mit
§ 74, wollte ich in der Sitzung des Umweltausschusses
mein Recht in Anspruch nehmen - ich bin ordentliches
Mitglied dieses Ausschusses -, eine persönliche Erklärung abzugeben. Dieses wurde mir mit der einfachen
Mehrheit des Ausschusses, der Regierungsfraktionen,
aberkannt, obwohl das nach § 126 der Geschäftsordnung
nur mit Zweidrittelmehrheit - das ist die einzige Ausnahme - möglich ist. Das heißt, es wurden mit einfacher
Mehrheit Geschäftsordnungsrechte verändert. Das ist
gegen alle Gesetzmäßigkeiten dieses Parlamentes und
beschneidet meine Rechte. Dagegen sollten wir uns
wehren.
({3})
Viele weitere Abgeordnete sind in der Sitzung nicht
mehr zu Wort gekommen, obwohl keine zeitliche Not
besteht, diese Woche die Beratungen abzuschließen,
sondern wir auch in der nächsten Sitzungswoche noch
weiter hätten diskutieren können.
Die Bundesregierung hat aus den Diskussionen in
Stuttgart nichts gelernt. Sie will die Entscheidung im
Bundestag nicht nur über die Köpfe der Bürgerinnen und
Bürger, sondern mittlerweile sogar über die Köpfe der
Parlamentarier hinweg fällen und die Verlängerung der
Atomlaufzeiten einfach mit Mehrheit ohne parlamentarisches Verfahren durchpeitschen.
Die Fraktionen von Union und FDP, der auch Sie angehören, spielen dieses Spiel mit und nutzen ihre Mehrheit, ohne das Parlament in voller Angemessenheit zu
berücksichtigen
({4})
und die nötige Beratungszeit einzuräumen. Dies ist ein
weiteres Beispiel dafür, dass die Fraktionen von Union
und FDP hauptsächlich die Funktion der Erfüllungsgehilfen der Regierung übernehmen. Das widerspricht zutiefst meinem Demokratieverständnis.
Es geht hier aber nicht nur um verschiedene politische
Vorstellungen, sondern darum, dass es nicht sein darf,
dass viele aufgeworfene Fragen unbeantwortet bleiben.
In diesem Gesetz geht es schließlich um die Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um die Frage, ob
wir die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien
fortsetzen oder auf die alten Energiestrukturen setzen
wollen, welche die Oligopolstrukturen von einigen wenigen Energieunternehmen stärken und die erneuerbaren
Energien ausbremsen. Es geht um die Frage, ob wir gefährlichen Atommüll vermeiden wollen oder zusätzlichen Müll anhäufen werden, obwohl wir kein Endlager
besitzen. Es geht um die Frage, ob wir alte, marode
Kraftwerke bald abschalten oder länger laufen lassen,
sodass die Gefahren von Pannen und Unfällen steigen
und auch der Super-GAU wahrscheinlicher wird. - Ich
komme zum Schluss.
Die jetzige Regierung will einen Kompromiss, den
die damalige rot-grüne Bundesregierung ausgehandelt
hat, auflösen und riskiert dabei einen langen Rechtsstreit
und heftige Gegenreaktionen, die auch auf der Straße
ausgetragen werden.
In meiner politischen Laufbahn und acht Jahren Bundestag habe ich solche Sitzungen wie im Umweltausschuss noch nicht erlebt. Ich finde es fast ein Wunder,
dass wir heute unsere persönlichen Erklärungen dann
doch noch mündlich hier abgeben dürfen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Daniela Wagner.
({0})
- Das Wort hat die Kollegin Daniela Wagner.
({1})
- Frau Wagner, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch diese
Szene hier macht deutlich, was wir uns alle gemeinsam
hätten ersparen können, würde man auf die Verlängerung der Restlaufzeiten der deutschen AKW verzichten.
Ich möchte mich persönlich dazu erklären, warum ich
gegen die elfte Atomgesetznovelle stimme und eine
Laufzeitverlängerung für alle Atomkraftwerke in Deutschland ablehne.
Ich sehe mich im Besonderen betroffen, sowohl persönlich als auch als Vertreterin der Bürgerinnen und Bürger meiner Stadt. Die Stadt Darmstadt liegt in der Region Südhessen nur 30 Kilometer von dem Uralt-AKW
Biblis entfernt. Dort in Biblis stehen zwei der ältesten
Kraftwerke der Bundesrepublik Deutschland, nämlich
Biblis A und Biblis B, 35 und 33 Jahre alt. Beide weisen
erhebliche Sicherheitsmängel auf, und weitere Betriebsjahre, dann weit über 40 Jahre Gesamtbetriebszeit, sind
wahrlich ein abenteuerliches Experiment, das Sie da vorhaben.
({0})
Seit Inbetriebnahme kam es in Biblis A zu 419 und in
Biblis B zu 415 meldepflichtigen Ereignissen. Am
17. Dezember 1987 kam es beinahe zu einem GAU. Das
letzte meldepflichtige Ereignis geschah am 16. Oktober
2006 und führte zu einer außerplanmäßigen Abschaltung
der Blöcke A und B. Ursache dafür waren übrigens nicht
spezifikationsgerechte Dübelverbindungen an Rohrleitungshalterungen. Es stellte sich heraus - man glaubte es
damals kaum -, dass alle 15 000 Spezialdübel von
Biblis A und B ersetzt werden mussten. Die Störfallbeherrschung ist nicht sichergestellt, weil unter anderem
ein unabhängiges Notkühlsystem fehlt. Das AKW ist gegen Erdbeben und Druckwellen von außen, zum Beispiel
durch Explosion, weit weniger geschützt, als es nach
dem Stand der Technik heute möglich wäre und als es
dem Stand der Technik entspricht.
Erschwerend kommt hinzu, dass Biblis A nicht über
ein dem Stand der Technik entsprechendes unabhängiges
verbunkertes Notstandssystem verfügt. Niemand von
uns wollte mit einem Auto vergleichbaren Alters und in
vergleichbarem technischen Zustand heute noch mit
180 Stundenkilometern auf der Autobahn herumrasen.
({1})
Auch sind die Notfallpläne für das AKW Biblis unzureichend. Während der letzten Überarbeitung der Notfallpläne 2008 durch RWE und die Landesbehörden sind
die neuen Erkenntnisse einer Studie des Öko-Instituts
aus 2007 nicht berücksichtigt worden. Der Verdacht liegt
nun nahe, dass der mögliche Radius einer Katastrophe
bewusst kleingehalten worden ist, um die anliegenden
Großstädte wie Frankfurt und Mannheim in die Evakuierungsszenarien nicht einbeziehen zu müssen. Die Studie
des Öko-Instituts hat darüber hinaus gezeigt, dass die gemäß Strahlenschutzvorschriften zu evakuierenden Bereiche sich bis zu 600 Kilometer und damit je nach Windrichtung bis nach Berlin, München oder Hamburg
erstrecken könnten. Dem ist nicht mehr sehr viel hinzuzufügen.
Lassen Sie mich noch einen Darmstadt-spezifischen
Aspekt hinzufügen. Unser kommunales Energieversorgungsunternehmen, übrigens der größte Ökostromanbieter bundesweit, hat wie viele andere kommunale Unternehmen im Vertrauen auf die Verbindlichkeit des bisher
geltenden Atomkonsenses gehandelt und entsprechende
Investitionen auf den Weg gebracht. Das Ziel der Laufzeitverlängerung hat dazu geführt, Neuinvestitionen auf
den Prüfstand zu stellen. Ein erneuter Strategiewechsel
der regionalen EVU und insbesondere unseres EVU
schadet wirtschaftlich unmittelbar auch der Stadt Darmstadt, weil die Wirtschaftlichkeit der Investitionen nicht
mehr gegeben ist. Auch das wird sich zum Beispiel in
kommunalen Haushalten durch verringerte oder ausbleibende Dividendenausschüttungen zeigen.
Aus diesem Grund ist es auch wirtschaftlich abstrus,
gefährlich und gesellschaftsspaltend - es bringt Menschen gegeneinander auf -, wegen einer Angelegenheit,
die längst schiedlich-friedlich gelöst worden ist - man
hatte sich wirklich auf einen Weg geeinigt, den am Ende
alle mittragen konnten -, so vorzugehen. Diese Verständigung opfern Sie abstrusen, einseitigen Renditeerwartungen der großen vier Kernenergieanbieter. Es ist einfach vollkommen verkehrt, was Sie hier vorhaben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Der Kollege Hans-Christian Ströbele ist nun der
nächste Redner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Die Koalition will gleich, in wenigen Minuten, gegen
den Willen der großen Mehrheit der wahlberechtigten
deutschen Bevölkerung ein Gesetz verabschieden.
({1})
Zu dieser Mehrheit der Bevölkerung gehören viele Wählerinnen und Wähler der CDU und der CSU. Das kann
man allen Umfragen entnehmen. Ich fühle mich verantwortlich für das ganze deutsche Volk und vor allen Dingen für seine Mehrheit.
({2})
Ich habe vor der Wahl an die Wählerinnen und Wähler in
dem Wahlkreis, in dem ich kandidiert habe, einen Brief
geschrieben. In diesem Brief habe ich mehrfach mühsam
erläutert, warum das Gesetz, das Sie ändern wollen, das
richtige und einzig mögliche gewesen ist, nämlich der
Atomausstieg. Die Wählerinnen und Wähler haben mir
ihre Stimme gegeben. Daher kann ich jetzt nicht anders
stimmen. Aus Überzeugung - weil die Gründe mich überzeugen, aber auch, weil meine Wählerschaft das will stimme ich gegen dieses Gesetz.
({3})
Es gäbe nur eine Möglichkeit, sich überhaupt zu überlegen, ein solches Gesetz zu ändern. Wir erinnern uns an
die Diskussion zu Stuttgart 21. Bei Stuttgart 21 wird darüber diskutiert, ob man ein ordnungsgemäß zustande
gekommenes Gesetz ändern kann oder ob man nicht den
Willen des Parlaments respektieren und ein Gesetz ausführen muss und nicht später einfach ändern kann.
({4})
Wir vertreten dazu die Auffassung: Auch ordnungsgemäß zustande gekommene Gesetze und Projekte kann
und muss man ändern, wenn sich die tatsächliche Grundlage entscheidend verändert hat. Aber - ich habe heute
aufmerksam zugehört - zu dem Atomgesetz hat sich weder die tatsächliche noch die Begründungslage in irgendeiner Weise geändert. Nicht einmal der zuständige
Minister Röttgen behauptet, dass Atomkraftwerke heute
sicherer sind als früher. Nicht einmal Herr Kauder behauptet, dass er weiß, wohin der Atommüll gebracht
werden kann. Keiner hat behauptet, dass überall in
Deutschland die Lichter ausgehen, wenn die Laufzeit der
Atomkraftwerke nicht verlängert wird. Deshalb gibt es
überhaupt keinen vernünftigen Grund, an diesem Gesetz
irgendetwas zu ändern, außer dem, der sich aus dem
Lastwagen mit Euro, von dem hier schon die Rede war,
ergibt. Sie wollen - das ist der einzige Grund, den Sie
hier nennen können - diesen Lastwagen mit Euro in die
Scheunen der Konzerne einfahren. Das will ich nicht.
Das wollen wir nicht. Die Wählerinnen und Wähler können nicht billigen, dass Sie, um die vier Konzerne immer
reicher zu machen, den Willen der Bevölkerung missachten und die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel
setzen. Deshalb werde ich gegen dieses Gesetz stimmen.
Weil das ein Tag zum Trauern ist, habe ich das heute mit
meiner Kleidung zum Ausdruck gebracht.
({5})
Es gibt noch drei Kolleginnen und Kollegen, die eine
persönliche Erklärung abgeben werden - nur damit Sie
sich darauf einrichten können. Anschließend werden Ihnen die Ergebnisse der bisherigen namentlichen Abstimmungen über die Änderungsanträge bekannt gegeben.
Wir können dann die weiteren namentlichen Abstimmungen vornehmen.
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Valerie Wilms.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde gegen die Änderungen des Atomgesetzes
stimmen und appelliere aus meiner persönlichen Betroffenheit als Aufsichtsrätin von kommunalen Stadtwerken
an die Mitglieder der Koalitionsfraktionen: Überdenken
Sie wirklich ernsthaft Ihre heutigen Entscheidungen.
Ich möchte Sie vor allem an Ihre Verantwortung gegenüber der regionalen Wirtschaft erinnern. Ich will Ihnen ins Bewusstsein rufen, dass Hunderte von Stadtwerken über 240 000 Menschen beschäftigen und fast
6,5 Milliarden Euro in ihren Regionen - auch da, wo Sie
Ihre Wahlkreise haben - investieren. Bitte seien Sie sich
darüber klar, dass besonders die Kommunen weiterhin
unter Finanznot leiden. Mit der Laufzeitverlängerung
setzen Sie Hunderte Energieversorger - kommunale
Stadtwerke - weiterhin unter Druck. Für viele lokale
Anbieter wird der Wettbewerb noch schwieriger, weil es
mit der Laufzeitverlängerung noch weniger Wettbewerb
geben wird.
Viele Stadtwerke sind aktive Klimaschützer. Sie setzen auf erneuerbare Energien - auch die Stadtwerke, in
deren Aufsichtsrat ich bin - und investieren hohe Summen in eine saubere und zukunftsfähige Energieversorgung. Die Stadtwerke müssen sich jetzt fragen, ob sie
mit diesen Investitionen richtig lagen.
Ich will hier vor allem an die Kolleginnen und Kollegen in der Koalition appellieren, die wie ich in Aufsichtsräten sitzen. Mit der heutigen Entscheidung, die
Sie treffen wollen, sägen Sie an dem Ast, auf dem Sie,
Ihre Stadtwerke und die Bürgerinnen und Bürger in Ihren Kommunen sitzen.
({0})
Stadtwerke, die auf erneuerbare Energien setzen, werden zukünftig weniger davon verkaufen können. Es ist
leider nicht so, dass die Atomkraft abgeschaltet wird,
wenn viel Wind weht oder die Sonne besonders intensiv
scheint. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wie eine Untersuchung der Universität zu Köln gezeigt hat, laufen
selbst bei starkem Wind die Atommeiler nicht unter
70 Prozent ihrer Kapazitäten. Offensichtlich ist es zu
aufwendig oder zu teuer, die Meiler herunterzufahren.
Lieber wird der Atomstrom verschenkt und sogar noch
Geld hinterhergeworfen. In der Folge müssen Stadtwerke, die mit Windkraft Strom erzeugen, ihre Rotoren
herunterregeln, wenn der Atomstrom die Leitungen verstopft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den heutigen
Entscheidungen für längere Laufzeiten schaden Sie Ihrer
regionalen Wirtschaft. Schauen Sie sich das wirklich
einmal genau an. Unsere Stadtwerke haben auch sauber
dokumentiert, was dort los ist. Sie zementieren die zentrale Energieversorgung und erfüllen die Wünsche von
vier Quasimonopolisten. Wie Sie das mit Ihrer Verantwortung gegenüber Ihren Stadtwerken in Einklang bringen können, ist mir absolut unverständlich. Unsere kommunalen Stadtwerke sind heute die großen Verlierer der
von Ihnen geplanten Gesetze.
Dank der namentlichen Abstimmung werden wir
auch ganz genau wissen, wer sich daran beteiligt, unsere
Stadtwerke zugrunde zu richten.
Deswegen fordere ich Sie auf: Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten als frei gewählte Abgeordnete des gesamten
Volkes. Stimmen Sie für Ihre Stadtwerke und gegen die
Laufzeitverlängerung.
Danke.
({1})
Nun hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt ungefähr ein Jahr in diesem Hause. Für
mich war das heute der interessanteste Tag. Ich habe hier
sehr viel Nachhilfeunterricht bekommen. Man hat mir
gesagt, ich hätte eine schlechte Kinderstube, sei flegelhaft usw. usf. Das ist alles geschenkt; wir vergessen es
einfach.
Ich finde es aber unerträglich, dass sich ein Kollege
hier hinstellt und die Grünenfraktion, direkt oder indirekt, in die Nähe der Nazis stellt. Das halte ich für eine
Unmöglichkeit. Ich fordere den Kollegen auf, sich hier
klar und deutlich dafür zu entschuldigen.
({0})
- Doch, ich erkläre Ihnen schon noch etwas.
Frau Präsidentin, Sie wollten eine persönliche Begründung für die Ablehnung haben. Ich habe 27 und
wähle eine davon aus. Meine These lautet: Atomstrom
ist ein ganz klarer Verstoß gegen das Menschrecht.
({1})
- Es ist schön, dass Sie lachen; denn es zeigt mir, dass
Sie zuhören. Bleiben Sie dabei, und hören Sie weiter zu;
dann können Sie jetzt noch etwas lernen.
Im Niger wird seit 40 Jahren Uran gefördert. Aufgrund des Exports des Urans müssten die Menschen dort
eigentlich eine finanzielle und materielle Basis haben,
die ihnen ein angemessenes Leben ermöglicht. Was ist
aber Tatsache? Der Export von Uran hat diese Menschen
arm gemacht. Die Menschen sind von ihrem Land vertrieben worden. Man hat ihnen die Lebensgrundlage,
nämlich eine kleine Landwirtschaft, zerstört. Sie haben
davon gelebt. Sie wissen, dass auch die sozialen Strukturen zerfallen, wenn eine Familie kein Einkommen mehr
hat. Das geringe Einkommen ist also weg. Und was ist
der Hintergrund? Wir in Europa brauchen das Uran für
unsere Atomkraftwerke.
Die Uranproduktion - hören Sie bitte zu! - erfolgt auf
einer Fläche von mehreren Hundert Quadratkilometern.
Das Uran wird durch Herauslösen aus gigantischen Erdmassen gewonnen, verbunden mit einem gigantischen
Wasserverbrauch. Der Niger hat dieses Wasser überhaupt nicht, sondern das Wasser wird aus den Millionen
Jahre alten unterirdischen Seen abgepumpt. Der Wasserbestand nimmt dramatisch ab. Ich bin der Meinung:
Wenn das Wasser schon verbraucht wird, dann sollte es
von den Menschen und Tieren verbraucht werden, aber
nicht dafür, dass wir hier in Europa Atomstrom haben.
({2})
Nun ist es aber nicht so, dass die Technik schon so
weit ist und tatsächlich die ganzen radioaktiven Materialien nach Europa verschickt werden. Vielmehr ist das,
was an handelbarem Uran herausgelöst wird, nur ein
kleiner Teil.
Inzwischen haben sich in Niger über 45 Millionen
Kubikmeter - hören Sie gut zu! - radioaktiven Materials
auf Halden abgelagert, die Wind und Wetter ausgesetzt
sind. Das seit Jahrtausenden festgesetzte radioaktive
Material liegt nun in pulverisierter Form offen da. Sie
wissen - die Münchener können Ihnen ein Lied davon
singen -, es kommt gar nicht selten vor, dass man in
München Saharastaub findet. Der Staub, der in Niger
liegt, wird durch Wind und Wetter in der Gegend verbreitet. Das ist unverantwortlich. Die Menschen - Ute
Koczy hat es vorhin berichtet - nehmen diese radioaktiven Partikel über die Luft auf. Es kommt zur materiellen
Strahlung. Das bedeutet früher oder später den sicheren
Krebstod.
Unsere Atomenergie stellt somit eine Missachtung
der Lebensrechte der Bevölkerung in Niger dar. Unsere
Atomenergie ist für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Ich kann Ihnen diese vier Menschenrechtsverletzungen nennen: Es ist das Menschenrecht
auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Es ist das Menschenrecht auf Eigentum verletzt; denn die Bauern
werden von ihrer Fläche vertrieben. Es ist das Menschenrecht auf eine gesunde, intakte Umwelt verletzt.
Selbstverständlich ist auch das Menschenrecht auf
Selbstbestimmung verletzt; denn diese Menschen werden nicht gefragt, ob sie einen Uranabbau haben wollen
oder nicht.
Sie wissen - ich habe es bereits gesagt -, dass der
Uranabbau bei vielen Menschen zu einem qualvollen,
langsamen Krebstod führt. Ursache dafür ist unsere unverantwortliche Atompolitik. Wir haben längst die Alternativen aufgezeigt. Sie aber weigern sich, diese Alternativen umzusetzen. Deswegen tragen wir heute ganz
bewusst Schwarz. Es ist nämlich ein Trauertag. Sie werfen die Republik in ihrer Geschichte 30 Jahre zurück.
Darum kann man diesem Gesetz nicht zustimmen, man
muss es ablehnen.
Danke schön.
({3})
Der Kollege Hans-Josef Fell hat das Wort zu einer
persönlichen Erklärung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich stimme gegen die elfte und zwölfte Atomgesetznovelle und auch gegen das Energiekonzept dieser
Bundesregierung, weil ich persönlich von all diesen Gesetzesänderungen betroffen bin. Dies möchte ich hier
zum Ausdruck bringen.
Mein Wohnhaus liegt Luftlinie nur 26 Kilometer vom
Atomkraftwerk Grafenrheinfeld entfernt. Bei normalem
Wetter kann ich die Dampfwolken sehen, die in diesem
unsinnigen Kraftwerk mit Wärmevernichtung erzeugt
werden.
Aber viel schlimmer: Es war ein Desaster, was die
deutsche Bundesregierung in den 80er-Jahren nach dem
Tschernobyl-Unfall gemacht hat; denn sie konnte die
Bevölkerung nicht einmal darüber informieren, welche
Auswirkungen dieser Unfall hatte, und sie hat auch
keine Messdaten oder andere Informationen herausgegeben. Deshalb habe ich Geld in die Hand genommen und
eine eigene Radioaktivitätsmessstation in meinem Haus
installiert. Ich habe dies zusammen mit anderen getan,
die in einem Netzwerk eine private Messnetzorganisation aufgebaut haben. Ich gebe Ihnen gern die Protokolle
über diese Messnetze aus den letzten 20 Jahren. Sie sind
lückenlos vorhanden. Wir können in aller Klarheit nachweisen: Auch im Normalbetrieb kommen radioaktive
Emissionen aus dem Kraftwerk Grafenrheinfeld und
auch aus anderen Kraftwerken. Ja, sie sind im Rahmen
der gesetzlich erlaubten Grenzwerte. Aber das beruhigt
mich überhaupt nicht. Ich habe bereits in den 70er-Jahren als Student der Physik gelernt - das haben die neuesten Untersuchungen über die Auswirkungen von niedrig
radioaktiver Strahlung längst bestätigt -: Es gibt keinen
Schwellenwert, unterhalb dessen Krebsgefahren ausgeschlossen werden können.
({0})
Somit ist die zusätzliche radioaktive Strahlung dieser
Kraftwerke auch im Normalbetrieb eine Gesundheitsgefährdung; das ist längst nachgewiesen.
Ich bin persönlich betroffen, weil ich viele Bürgerbriefe aus der Umgebung von Grafenrheinfeld erhalte,
mit denen sich Eltern bittend an mich wenden: Helfen
Sie mit, dass diese Kraftwerke endlich abgeschaltet werden! Ich muss fürchten, dass mein Kind wegen der
Strahlung dieser Kraftwerke an Leukämie erkrankt ist. Andere junge Eltern haben mir geschrieben: Wir müssen
fürchten, dass unsere Kinder gefährdet sind.
Die Mainzer Kinderkrebsstudie hat in aller Deutlichkeit nachgewiesen, dass es in der Umgebung von Kernkraftwerken erhöhte Leukämieraten gibt. Ich halte es
deshalb für nicht verantwortbar, den Normalbetrieb von
Kernreaktoren aufrechtzuerhalten, ganz zu schweigen
von den anderen problematischen Aspekten der Kernkraft: Atommüll, radioaktive Verseuchungen in Uranbergbaugebieten und anderes.
Ich will Ihnen einen zweiten persönlichen Grund mitteilen, der mich dazu treibt, Ihre rückwärtsgewandte
Energiepolitik nicht mitzutragen. Ich habe immer gegen
Laufzeitverlängerungen, gegen die Atomkraft an sich
gekämpft. Ich war verantwortungsvoll und habe immer
gesagt: Wir wollen Alternativen. Schon als Kommunalpolitiker habe ich mich für kommunale Regelungen
eingesetzt - sie waren erfolgreich -, die den Ausbau erneuerbarer Energie vorangetrieben haben. Diese Erfahrungen auf kommunaler Ebene haben mich in die Lage
versetzt, 1999 im Bundestag Eckpunktepapiere zu formulieren und den Entwurf eines Gesetzes mitzuformulieren, das Möglichkeiten zum Ausbau der erneuerbaren
Energien schafft: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das
mit großer Unterstützung der grünen Bundestagsfraktion, der Fraktion der SPD, der damaligen Minister und
anderer gegen Ihren Widerstand und Ihre Ablehnung
durchgesetzt wurde. Dieses Gesetz hat zur Schaffung
von 340 000 Arbeitsplätzen geführt.
({1})
Ich will in diesem Zusammenhang vor allem die Unterstützung meines Freundes Hermann Scheer herausstellen, dessen Tod wir heute gedacht haben. Sein Tod
macht mich sehr traurig. Er ist viel zu früh von uns gegangen. Ohne ihn hätten wir das nicht geschafft. Auch
deswegen bin ich dankbar.
({2})
Ich bin persönlich betroffen. Heute habe ich wieder
Briefe aus meinem Wahlkreis und aus der ganzen Bundesrepublik Deutschland bekommen, in denen ich gefragt werde, was denn das Energiekonzept der Bundesregierung für die betroffenen Menschen bedeuten soll.
Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze; sie fürchten, dass es
mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mehr
so weitergeht wie bisher. Für die Laufzeitverlängerung
werden Hunderttausende Arbeitsplätze geopfert und gefährdet.
Ich kann das, was Sie hier vorlegen, nicht mittragen.
Es ist unverantwortlich im Hinblick auf den Klimaschutz, die Umwelt und die Gesundheit unserer Bevölkerung. Darum kann ich nur darum bitten: Hören Sie
auf! Kehren Sie auf Ihrem Irrweg um! Es ist Zeit, dass
Sie endlich ernsthaft die erneuerbaren Energien ausbauen. Das geht nur ohne eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken.
({3})
Ich gebe jetzt die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentli-
chen Abstimmungen bekannt. Ich komme zunächst zu
den Einzelabstimmungen.
Zum Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung
des Atomgesetzes - Drucksachen 17/3051, 17/3409
und 17/3453 - gab es den Änderungsantrag der Abge-
ordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Hans-Josef
Fell, Oliver Krischer und weiterer Abgeordneter der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3486.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Abgegeben wurden 598 Stimmen. Mit Ja haben ge-
stimmt 274, mit Nein haben gestimmt 320;
4 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit
ist der Änderungsantrag abgelehnt.1)
Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag
der Kolleginnen und Kollegen Kotting-Uhl, Höhn, Fell,
Krischer und weiterer Abgeordneter der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3487 zur
zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP, Drucksachen 17/3051, 17/3409, und
17/3453. Abgegebene Stimmen 596. Mit Ja haben ge-
stimmt 272, mit Nein haben gestimmt 324. Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.2)
Änderungsantrag der Abgeordneten Kotting-Uhl,
Höhn, Fell, Krischer und weiterer Abgeordneter der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3488 zum
selben Gesetzentwurf, Drucksachen 17/3051, 17/3409 und
17/3453. Abgegeben wurden 599 Stimmen. Mit Ja haben
gestimmt 277, mit Nein haben gestimmt 322. Damit ist
der Änderungsantrag ebenfalls abgelehnt.3)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3489 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 601 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 274, mit Nein
haben gestimmt 327. Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.4)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3490 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 597 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 272, mit Nein
haben gestimmt 325. Der Änderungsantrag ist ebenfalls
abgelehnt.5)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3491 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 593 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 270, mit Nein
haben gestimmt 323. Dieser Änderungsantrag wurde ab-
gelehnt.6)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3492 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 598 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 273, mit Nein
haben gestimmt 325. Der Änderungsantrag ist ebenfalls
abgelehnt.7)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3493 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
3) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
4) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
5) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
6) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
7) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 597 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 273, mit Nein
haben gestimmt 324. Der Änderungsantrag ist ebenfalls
abgelehnt.8)
Änderungsantrag derselben Kolleginnen und Kolle-
gen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3494 zum selben Gesetzentwurf, Druck-
sachen 17/3051, 17/3409 und 17/3453. Abgegeben wur-
den 606 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 278, mit Nein
haben gestimmt 328. Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.9)
Letzter Änderungsantrag derselben Kolleginnen und
Kollegen und weiterer Abgeordneter der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3495 zur zweiten
Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP, Drucksachen 17/3051, 17/3409 und
17/3453. Abgegeben wurden 597 Stimmen. Mit Ja haben
gestimmt 273, mit Nein haben gestimmt 323. Es gab
eine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.10)
Ich komme jetzt zum Ergebnis der auf dem Stimmzet-
tel gebündelten Abstimmungen. Die Schriftführerinnen
und Schriftführer haben mir mitgeteilt, dass sich nach
der Sichtung der Stimmzettel zu den Anträgen auf den
Drucksachen 17/3496 bis 17/3499, 17/3527 und 17/3539
sowie 17/3531 bis 17/3538 eine Mehrheit von Neinstim-
men ergeben hat. Damit sind diese Änderungsanträge
ebenfalls abgelehnt. Das detaillierte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmungen wird später veröffentlicht.11)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf in der zweiten Lesung. Ich bitte diejenigen, die
dem Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des
Atomgesetzes zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf bei Zustimmung durch die Koalition aus
CDU/CSU und FDP in zweiter Beratung angenommen.
Die Fraktionen der SPD, der Linken und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen haben abgelehnt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlan-
gen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP nament-
lich über den Gesetzentwurf ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und weise ins-
besondere für das Protokoll darauf hin, dass es in der
Abstimmung über den Entwurf des Gesetzes in der zwei-
ten Beratung mindestens eine Enthaltung gegeben hat.12)
Ich schließe die Abstimmung.
8) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
9) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
10) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
11) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
12) Ergebnis siehe Seite 7274 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Es würde meine Arbeit erleichtern,
wenn sich die Kolleginnen und Kollegen auf ihre Plätze
begeben würden.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/3439? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschlie-
ßungsantrag abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende
Fraktion. Dagegen gestimmt haben CDU/CSU und FDP.
Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben sich enthalten.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3485? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis
90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die übrigen
Fraktionen des Hauses haben dagegen gestimmt.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Zwölften
Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes. Der Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksachen 17/3409 und 17/3453, den Gesetz-
entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/3052 anzunehmen.
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir wiederum na-
mentlich abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksa-
che 17/3528. Dabei geht es um die Zustimmung des
Bundesrates. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Sind alle Ur-
nen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit
die 26. namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich diese Abstimmung.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 17/3529. Hier geht es um die
Streichung des § 7 d.
1) Ergebnis siehe Seite 7227 A
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Dann eröffne ich die 27. namentliche Abstimmung.
Auch das Präsidium brauchte vielleicht Assistenz, da-
mit es seine Stimmen abgeben kann.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 17/3530. Es geht um die Strei-
chung eines Artikels betreffend Enteignung.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Dann eröffne ich hiermit die 28. namentliche Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, dass
seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist der Fall.
Dahinten ist noch ein Gedränge, weil alle an der Regie-
rungsbank abstimmen wollen.
Ist immer noch ein Mitglied des Hauses anwesend,
das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.3)
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentli-
chen Abstimmungen bekannt.
Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung
des Atomgesetzes auf den Drucksachen 17/3051, 17/3409
und 17/3453: Abgegeben wurden 599 Stimmen. Mit Ja
haben gestimmt 308, mit Nein haben gestimmt 289,
2 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit
ist der Gesetzentwurf angenommen.
2) Ergebnis siehe Seite 7227 B
3) Ergebnis siehe Seite 7227 B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591;
davon
ja: 309
nein: 280
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Nadine Schön ({12})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({15})
Anita Schäfer ({16})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({17})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({24})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({25})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({26})
Michael Link ({27})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({28})
Dr. Martin Neumann
({29})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({30})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Serkan Tören
Johannes Vogel
({31})
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({32})
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
Frank Heinrich
Rüdiger Kruse
Hans-Georg von der Marwitz
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({33})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({34})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({35})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({36})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({37})
Frank Hofmann ({38})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({39})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({40})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({41})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({42})
Michael Roth ({43})
({44})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({45})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({46})
Werner Schieder ({47})
Ulla Schmidt ({48})
Silvia Schmidt ({49})
Carsten Schneider ({50})
Swen Schulz ({51})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
({52})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Christine AschenbergDugnus
Sebastian Blumenthal
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({53})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({54})
Volker Beck ({55})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner
({60})
Ich teile Ihnen nun das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Kolleginnen
und Kollegen Kotting-Uhl, Höhn, Fell, Krischer und
weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Entwurf eines
Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
- Drucksachen 17/3052, 17/3409, 17/3453 - auf Druck-
sache 17/3528 mit: Abgegeben wurden 593 Stimmen.
Mit Ja haben gestimmt 272, mit Nein haben gestimmt
320, es gab eine Enthaltung. Damit ist der Änderungsan-
trag abgelehnt.1)
Zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag ebenjener Kolleginnen und Kolle-
gen ebenfalls zu der zweiten Beratung des Gesetzent-
wurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Ent-
wurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des
Atomgesetzes - Drucksachen 17/3052, 17/3409, 17/3453 -
auf Drucksache 17/3529 -: Abgegeben wurden
585 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 268, mit Nein ha-
ben gestimmt 317. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.2)
Zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag der gleichen Kolleginnen und Kol-
legen ebenfalls zu der zweiten Beratung des Gesetzent-
wurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Ent-
wurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des
Atomgesetzes - Drucksachen 17/3052, 17/3409, 17/3453 -
auf Drucksache 17/3530: Abgegebene Stimmen 592.
Mit Ja haben gestimmt 272, mit Nein haben gestimmt
320, hier gab es keine Enthaltungen. Der Änderungsan-
trag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über das Gesetz in
zweiter Lesung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atom-
gesetzes zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Zuge-
stimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP.
Dagegen gestimmt haben SPD, Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Es gab wenigstens eine Enthaltung.
Wir kommen zur
dritten Beratung
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
3) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
und Schlussabstimmung. Wir stimmen auf Verlangen der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP über den Gesetz-
entwurf namentlich ab. Sind alle Urnen besetzt? - Nein,
zwei Urnen sind noch nicht besetzt. Wir haben zwei
Fehlstellen. Einmal fehlt die Koalition, einmal fehlt die
Opposition.
Sind jetzt alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann
eröffne ich die 29. namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergebnis der
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.4)
Ich komme nun zu Tagesordnungspunkt 4 b.
Zunächst Abstimmung über den von den Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung eines Sondervermögens „Energieund Klimafonds“. Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3405, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3053 in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Um zu sehen, welche Handzeichen Sie geben, wäre es
für mich sehr hilfreich, wenn Sie sich ungefähr in der
Gegend Ihrer eigenen Fraktion positionieren würden.
Das gilt gerade auch für diejenigen, die direkt vor dem
Präsidium stehen. Das ist hier nämlich kein Stehtisch,
sondern das Rednerpult.
({61})
Ich würde jetzt gerne zur Abstimmung kommen. -
Danke sehr.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Zuge-
stimmt haben CDU/CSU und FDP, dagegen gestimmt
SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen über diesen Ge-
setzentwurf ebenfalls auf Verlangen von CDU/CSU und
FDP namentlich ab. - Sind nach wie vor alle Urnen be-
4) Ergebnis siehe Seite 7232 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
setzt? - Das ist der Fall. Dann ist die 30. namentliche
Abstimmung eröffnet.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergebnis
der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich komme nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes. Der Haushalts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/3405, den Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Druck-
sache 17/3054 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen,
die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustim-
mung durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung
durch die Oppositionsfraktionen angenommen. Enthalten
hat sich dem Augenschein nach niemand.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Über diesen Gesetzentwurf
stimmen wir wiederum auf Verlangen von CDU/CSU
und FDP namentlich ab. Sind noch immer alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die 31. und je-
denfalls zu diesem Tagesordnungspunkt letzte namentli-
che Abstimmung. Es folgen allerdings später noch eine
Reihe einfacher Abstimmungen.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Damit schließe ich die Abstimmung. Auch
das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung wird Ih-
nen später bekannt gegeben.2)
Tagesordnungspunkt 4c: Wir kommen jetzt zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
17/3402. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, in Kenntnis der Unterrichtung durch die
Bundesregierung auf Drucksache 17/3049 über ein
„Energiekonzept für eine umweltschonende, zuver-
lässige und bezahlbare Energieversorgung“ und ein
„10-Punkte-Sofortprogramm - Monitoring und Zwi-
schenbericht der Bundesregierung“ die Annahme des
Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/3050 mit dem Titel „Energiekonzept um-
setzen - Der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Ener-
gien“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitions-
fraktionen und Ablehnung durch die Opposition ange-
nommen.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 2. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3426 mit
dem Titel „Das Energiekonzept der Bundesregierung zu-
rückziehen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist ab-
gelehnt bei Zustimmung der Fraktionen der SPD und der
1) Ergebnis siehe Seite 7235 A
2) Ergebnis siehe Seite 7238 A
Linken. Dagegen haben die Koalitionsfraktionen gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksache 17/3411 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({62})Rechtsausschuss
ZP 4 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kerstin Andreae, Volker Beck ({63}),
Dr. Thomas Gambke, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes
- Drucksache 17/3039 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({64})
- Drucksache 17/3241 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelDaniela Kolbe ({65})Hartfrid Wolff ({66})Petra PauMemet Kilic
Hierzu ist verabredet, eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Memet Kilic.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
letzter Zeit habe ich Déjà-vu-Erlebnisse. Als ich vor
20 Jahren als Student nach Deutschland kam, gab es
kurz nach der Wiedervereinigung ähnliche Debatten.
Damals argumentierte mancher Repräsentant der Republik ähnlich wie heute mit den Sätzen: Wir hätten zu
viele Ausländer, die uns ausnutzten; das Boot sei voll;
Deutschland sei überfremdet. Diese rassistischen Debatten haben zu Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda
geführt, wo Flüchtlingsheime in Brand gesteckt wurden,
und zu Mölln und Solingen, wo Immigranten bei lebendigem Leib verbrannt wurden.
Die Welt hat damals alle Aufmerksamkeit auf
Deutschland gerichtet und sich gefragt, was schon wieder mit den Deutschen los sei. Die Welt hat uns gesagt:
Nein, ihr habt nicht zu viele Ausländer, sondern die Immigrantinnen und Immigranten, die seit Jahrzehnten bei
euch leben, haben kaum eine Chance, eingebürgert zu
werden.
Diese Zeichen haben der damalige Bundeskanzler,
Dr. Helmut Kohl, und der damalige Innenminister,
Dr. Wolfgang Schäuble, verstanden und im Jahre 1993
die Anspruchseinbürgerung eingeführt, für die nicht
einmal der Nachweis von Sprachkenntnissen notwendig
war. Mit Ausnahme der rot-grünen Ära wurden die Einbürgerungsvoraussetzungen seit diesem Zeitpunkt ständig erschwert, um die Zahl der Immigranten und deren
Nachkommen unten zu halten.
So kommt es, dass wir in Deutschland etwa
6,7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit haben. Fast 5 Millionen von ihnen leben seit
mehr als acht Jahren hier und erfüllen damit eine der
wichtigsten Voraussetzungen für die Einbürgerung. Seit
2004 sind die Einbürgerungszahlen um etwa ein Fünftel zurückgegangen. Im europäischen Vergleich hat
Deutschland eine der niedrigsten Einbürgerungsquoten.
Es ist verantwortungslos, dass Herr Seehofer und
Frau Merkel jetzt schon wieder das leidige Thema Leitkultur wiederbelebt haben.
({0})
Nur um den rechten Rand bei der Stange zu halten das
gesellschaftliche Klima zu vergiften, ist gefährlich.
Diese unwürdigen Diskussionen schaden nicht nur der
Gesellschaft und der Wirtschaft, sondern dem internationalen Image Deutschlands.
Nach den schrecklichen Brandanschlägen in Mölln
und Solingen wurden die Immigranten von der breiten
Gesellschaft nicht allein gelassen: Es gab Lichterketten.
Als ich von einer Demonstration gegen diese rassistischen Ausschreitungen aus Solingen zurückkehrte, habe
ich in einer Zeitung einen Artikel von Heribert Prantl gelesen. Einen Satz daraus habe ich seit etwa 17 Jahren im
Gedächtnis behalten. Er lautete sinngemäß: Wenn Immigranten nur der Staatsgewalt unterworfen sind, aber
nicht daran teilhaben können, werden sie als fremd gelten und fremd bleiben.
Wir müssen diese Phantomdebatten beenden und eine
tatsächliche Integration und Teilhabe forcieren.
({1})
Dafür brauchen wir gute Rahmenbedingungen, zum Beispiel ein einladendes Einbürgerungsrecht. Einbürgerungen müssen nach sechs Jahren und bei besonderer Integrationsleistung nach vier Jahren rechtmäßigen
Aufenthalts möglich sein. Die Mehrstaatigkeit darf kein
Einbürgerungshindernis mehr sein.
Von Rentnerinnen und Rentnern, die ihre Jugend in
den Aufbau dieses Landes investiert haben, dürfen wir
keinen Sprachtest fordern.
({2})
Warum sollten wir das tun? Auch Eigeninteresse spielt
dabei eine Rolle. Wir müssen diese Rentnerinnen und
Rentner ohne Sprachtest einbürgern, damit wir die Herzen ihrer Kinder und Enkelkinder für dieses Land gewinnen und damit diese Enkelkinder sagen können, dass die
Einbürgerungsanträge ihrer Großeltern nicht deshalb abgelehnt worden sind, weil sie lückenhafte Sprachkenntnisse haben oder weil deren Rente so mager ist wie die
vieler Millionen anderer deutscher Rentnerinnen und
Rentner.
({3})
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Viel wichtiger ist: Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln. Die Kanadier begrüßen die neuen
Einwanderer mit folgenden Sätzen: Herzlich willkommen. Kanada gehört Ihnen. Sie gehören zu Kanada.
Herr Kollege!
Aber unsere Kinder, Vertreter der dritten Einwanderergeneration, müssen sich hier dreimal am Tag anhören,
dass sie nicht dazugehören. Diese komische Debatte
muss ein Ende haben. Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Diese notorische, rassistische Diskussion muss beendet werden.
Vielen Dank.
({0})
Reinhard Grindel hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kilic, Sie haben von einem Déjà-vu-Gefühl gesprochen. Das habe auch ich gehabt, weil die Rede, die Sie
gehalten haben, Parteifreunde von Ihnen in der Tat schon
vor 10, 15 Jahren gehalten haben.
({0})
Ich dachte eigentlich, wir wären in der Integrationsdebatte weiter. Wir haben uns erst vor wenigen Wochen
hier bei einer tiefgehenden und, wie ich fand, sehr sach7230
orientierten Integrationsdebatte gegenseitig gesagt, dass
alle Parteien in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, dass wir hier in Berlin, also vor der Haustür, Missstände wahrnehmen können und dass wir deswegen alle
überprüfen müssen, ob unsere Thesen, die wir jahrzehntelang vertreten haben, richtig sind. Dass Sie heute wieder sagen: „Man muss auch dann deutscher Staatsbürger
werden können, wenn man Deutsch nicht sprechen
kann“, dazu muss ich sagen: Das ist ein Rückfall, den
ich Ihnen nicht zugetraut hätte.
({1})
Es muss doch ein Antrieb sein, sich zu integrieren,
um Deutscher werden zu können. Dazu muss man doch
wohl die deutsche Sprache erlernen. Das ist einer der
Grundtatbestände, die wir von unseren ausländischen
Mitbürgern zu Recht einfordern, wenn sie Teil der
Staatsbürgergesellschaft Deutschland werden wollen.
({2})
Gerade bei jungen Menschen wollen Sie auf die Erfüllung des Kriteriums der Unterhaltssicherung verzichten. Das heißt, Sie wollen darauf verzichten, dass
sich junge ausländische Mitbürger, die Deutsche werden
wollen, sich hier zumindest anstrengen, eine Ausbildung
zu machen und einen Arbeitsplatz anzunehmen. Das verstehe ich nicht. Sie wollen die Optionspflicht abschaffen.
Das Einzige, was wir von hier in Deutschland geborenen
jungen Ausländern verlangen, ist, dass sie sich zu unserem Land, zur deutschen Staatsbürgerschaft bekennen
und ihre alte ablegen.
({3})
Ich muss ganz offen sagen: Wir alle miteinander wollten aus der Debatte über ein bestimmtes Buch eigentlich
etwas lernen.
({4})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Sie zementieren Zustände, die solche Bücher und die Reaktion darauf erst
möglich gemacht haben. Ich habe den Eindruck, dass Sie
das ganz bewusst tun, weil Sie nicht bereit sind, von einem alten Multikultidenken Abstand zu nehmen.
({5})
Wir wollen diese Spaltung der Gesellschaft nicht. Wir
wollen, dass man miteinander lebt, dass man die deutsche Sprache beherrscht und dass es in diesem Land
keine Parallelgesellschaften gibt.
({6})
Herr Grindel, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele zulassen?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Grindel, das Buch könnten Sie ruhig
nennen. So tabuisiert ist es immer noch nicht, dass man
es nicht nennen kann.
Sie haben einen Kollegen, der Sarrazin heißt. Ich
möchte jede Verwechslungsgefahr vermeiden.
Meine Frage zielt eigentlich in eine andere Richtung.
Haben Sie zur Kenntnis genommen, was der von Ihrer
Partei gestellte Innenminister zur Integration von - ich
will mich darüber gar nicht streiten - 90 oder über
90 Prozent der Migranten, die nach Deutschland gekommen sind, erklärt hat? Wie leben sie denn? Sind Sie dieser Frage schon einmal nachgegangen? Leben diese
Menschen multikulti, oder wie leben sie? Wir können
hier lange über das Gelingen von Multikulti diskutieren.
Aber schauen Sie sich doch einmal an, wie diese Menschen leben, wenn sie integriert sind. Wie leben integrierte Migranten hier in Deutschland Ihrer Meinung
nach?
Aber lieber Herr Kollege Ströbele, wir können uns
doch freuen, wenn sie bei uns gut integriert leben ({0})
übrigens Ausländer wie Aussiedler,
({1})
also viele Menschen mit Migrationshintergrund. Ich
kann nur sagen, dass ich in meinem Wahlkreis und in
dem Umfeld, in dem ich politisch Verantwortung trage,
alles dafür tue, dass das so ist. Aber eine Grundvoraussetzung dafür, dass das so ist, ist doch wohl, dass man
sich miteinander austauschen kann,
({2})
dass man miteinander spricht. Es ist übrigens auch wichtig, gerade Kindern und Jugendlichen eine gute Perspektive in Deutschland dadurch zu eröffnen, dass sie Erfolg
in der Schule und in der Ausbildung haben. Wenn in den
Familien kein Wort Deutsch gesprochen wird, ist das
eine Behinderung dieser guten IntegrationsperspektiReinhard Grindel
ven. Wenn jemand deutscher Staatsbürger werden will,
muss ich doch als Anreiz bewahren, sagen zu können:
Dann musst du, wenn du es bisher nicht ausreichend getan hast, Deutsch lernen. Es ist ein Beitrag zur Integration, wenn ich die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft mit der Anforderung verknüpfe, dass sie
endlich Deutsch lernen.
({3})
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel. Herr Kollege
Ströbele, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie auf
Einbürgerungstests als Voraussetzung verzichten wollen. Sie schreiben: „Die Durchführung von Prüfungen in
Staatsbürgerkunde hat gerade auch für die erste Generation abschreckende Wirkung“, also für Menschen, die
seit 15 bis 20 Jahren bei uns leben.
({4})
Wer so lange bei uns lebt und sich trotzdem davon abschrecken lässt, dass er ein bisschen unserer Gesetze, unserer Werte und unserer Verfassungsvorstellungen vermittelt bekommt, dem sage ich, dass wir so jemanden
tatsächlich nicht einbürgern dürfen. Das ist unter Integrationsgesichtspunkten nicht das richtige Signal, um
das ganz deutlich zu sagen.
({5})
Herr Ströbele, gerade wenn ich an Ihren Wahlkreis
denke, frage ich Sie - seien Sie einmal ganz ehrlich -:
Wen wollen Sie einbürgern? Den jungen, integrationsbereiten oder gelungen integrierten Migranten? Oder wollen Sie Einbürgerung wegen der Wählerstimmen bislang
ausländischer Mitbürger? Worum geht es Ihnen eigentlich wirklich?
({6})
Das ist eine Frage, die man sich bei Ihrem Antrag mit
Fug und Recht stellen kann.
({7})
Nun hat der Kollege Kilic nichts zu dem anderen Antrag gesagt, in dem es um die Frage der Senkung der
Hürden bei der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte geht. Das ist ein Thema, das auch zu diesem Tagesordnungspunkt gehört. Dazu will ich einiges sagen.
Ich glaube, dass niemand bestreiten kann, dass wir
Fachkräftemangel haben. Wir sind selbstverständlich
dafür, dass dieser Fachkräftemangel durch die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte ausgeglichen wird.
Aber ein Grund für den Fachkräftemangel ist vor allem,
dass wir eine Abwanderung aus Deutschland haben. Ich
persönlich finde, da das ersichtlich nicht mit Zuwanderungshürden zusammenhängen kann,
({8})
dass wir uns stärker mit der Frage befassen sollten, warum diese Menschen abwandern; denn meine These ist,
dass die Gründe, die zum Abwandern beitragen, zumindest auch teilweise die Gründe sein können, die das Zuwandern verhindern.
({9})
Abgewandert wird, weil in unserem Land gerade
Hochschulabsolventen schlicht und ergreifend zu wenig
gezahlt wird, weil sie mit Praktika abgespeist werden,
während sie in anderen Ländern sofort unbefristete Anstellungen bekommen. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Es ist auch ein ganz entscheidender Beitrag der
deutschen Wirtschaft gefragt, selbst etwas dafür zu tun,
um attraktiver im Kampf um die klugen Köpfe in aller
Welt zu werden.
({10})
Ich will auch deutlich machen, dass wir im Kern alle
rechtlichen Rahmenbedingungen haben, damit Unternehmen auf ausländische Arbeitskräfte zurückgreifen
können. Herr Kollege Scholz hat das in einem bemerkenswerten Beitrag vor wenigen Tagen deutlich gemacht. Es kommt nur darauf an - das ist eine der wenigen Bedingungen -, dass nicht in gleicher Weise
qualifizierte Arbeitslose auf dem heimischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Das ist die Vorrangprüfung. Ich frage mich, warum wir nicht weiter an der Vorrangprüfung festhalten sollten; denn wenn es einen
Fachkräftemangel gibt - gerade in bestimmten Regionen -, kann die Vorrangprüfung kein Problem sein.
Wenn es, was ich höre - ich sage das ausdrücklich als
einen Hinweis, lieber Kollege Wolff, wie sich unser Gesetzeswerk an der Stelle vielleicht weiterentwickeln
kann -, manchmal zu lange dauert, bis die Bundesagentur die Vorrangprüfung durchgeführt hat, können wir uns
gern darüber unterhalten, ob man mit einer Zustimmungsfiktion arbeitet.
Lieber Herr Kollege Kilic, Sie müssen sich im Hinblick auf Ihren Antrag überlegen, ob Sie damit tatsächlich etwas zur Beseitigung des Fachkräftemangels tun
oder ob Sie nicht eher einen Beitrag dazu leisten, dass einige Unternehmer billige und willige Arbeitskräfte aus
dem Ausland ins Land holen wollen, um die berechtigten Lohnforderungen der hiesigen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu unterdrücken.
({11})
Letztere haben nämlich angesichts des Fachkräftemangels eine stärkere Durchsetzungskraft als vielleicht noch
vor einigen Jahren.
Ich muss auch darauf hinweisen, dass nicht etwa nur
einige wenige Fachkräfte zu uns kommen. Es kommen
jedes Jahr zwischen 20 000 und 30 000 Fachkräfte zu
uns.
({12})
Die wenigen Hundert, von denen immer die Rede ist,
sind nur diejenigen, die als besonders hochqualifizierte
Spitzenkräfte die Einkommensgrenze von 66 000 Euro
überschreiten und daher ohne Vorrangprüfung zu uns
kommen. Diese Regelung haben wir eng gefasst. Auch
der frühere Arbeitsminister Scholz hat dies mitgetragen.
Wir haben diese hohe Einkommensgrenze eingeführt,
weil wir gesagt haben: Man kann sicher davon ausgehen,
dass diese hochspezialisierten Arbeitskräfte auf Dauer
einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden und sowohl
ihre soziale Integration als auch die ihrer Familie dementsprechend gesichert ist. Deswegen bekommen diese
Leute eine Niederlassungserlaubnis, also eine Daueraufenthaltsberechtigung für Deutschland. Das gibt es in keinem anderen europäischen Land.
({13})
Ich bin bereit, über die in Ihrem Antrag genannte Senkung der Einkommensgrenze zu diskutieren. Es darf
aber nicht sein, dass wir den nicht eben Höchstqualifizierten mit einem Einkommen von 40 000 Euro sofort
eine Niederlassungserlaubnis erteilen. Darüber müssen
wir diskutieren. In Deutschland müssen Arbeitsverhältnis und Aufenthaltserlaubnis aneinandergekoppelt werden.
({14})
Man könnte zunächst ein befristetes Aufenthaltsrecht
und erst dann, wenn die Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integriert sind, eine Niederlassungserlaubnis gewähren. Darüber kann man sicherlich diskutieren.
Das Entscheidende ist - daran müssen wir bei der
Senkung der Einkommensgrenzen im Rahmen der Veränderung des Zuwanderungsrechts für ausländische Arbeitskräfte denken -: Die Beseitigung des Fachkräftemangels ist das eine. Das andere ist, dass wir keinen
Beitrag dazu leisten dürfen, dass diese Menschen auch in
unsere sozialen Sicherungssysteme einwandern. Es muss
gewährleistet sein, dass derjenige, der zu uns kommt,
auch tatsächlich langfristig einen Platz auf dem Arbeitsmarkt findet. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung. Wir in der Union sind gegen das Punktesystem,
weil es nicht sein darf, dass es in Deutschland nur allgemeine Kriterien zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsaufnahme gibt. Vielmehr muss das enge
Band zwischen dem ausländischen Arbeitnehmer und
dem konkreten Arbeitsplatz, den er besetzen will, beibehalten werden.
Es gibt kaum eine öffentliche Stelle, die die Abschlüsse von Arbeitnehmern aus zum Beispiel Lesotho,
Ägypten oder Georgien beurteilen kann. Aber ein Unternehmer, der einen ganz bestimmten Arbeitnehmer anstellen will, kann es beurteilen, weil er ihn in seinem Betrieb beschäftigen und ihn bezahlen will. Deswegen
sollten wir daran festhalten, dass nur derjenige nach
Deutschland kommen kann, der für einen bestimmten
Arbeitsplatz in einem bestimmten Unternehmen tatsächlich gebraucht wird. Beim Punktesystem ist dies nicht
der Fall. Außerdem darf er keinen Arbeitsplatz blockieren, für den auch ein gleichwertig qualifizierter Arbeitsloser aus Deutschland infrage käme.
({15})
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung: Es ist nicht
allein Aufgabe des Staates, diesen Kampf um die klugen
Köpfe zu führen. Die Unternehmensverbände fordern
weniger Staat und mehr Markt. Wenn sie dies tun, sollen
sie sich durch entsprechende Vermittlungsbüros auch darum kümmern, an den großen Universitäten dieser Welt
für den Arbeitsplatz Deutschland zu werben. Andere
machen das auch.
Herr Kollege!
Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich folgenden
Gedanken kurz formulieren. - An der großen TU in
Bombay steht auf dem Plakat eines Vermittlungsbüros
amerikanischer Firmen: Wir bieten eine Karriere, nicht
nur einen Job. - Genau das ist der Grund, warum sich
viele für die USA und somit gegen Deutschland entscheiden: bessere Bezahlung, mehr Risikokapital.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Das sind die entscheidenden Dinge. Das hat nichts
mit dem Aufenthaltsrecht, sondern mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Deutschland attraktiv
machen, zu tun.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich möchte Ihnen zwischenzeitlich weitere von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum
Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des
Atomgesetzes auf den Drucksachen 17/3052, 17/3409
und 17/3453: Abgegeben wurden 596 Stimmen. Mit Ja
haben gestimmt 320, mit Nein haben gestimmt 273, es
gab 3 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon
ja: 318
nein: 271
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Nadine Schön ({12})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({15})
Anita Schäfer ({16})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({17})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({24})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({25})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({26})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({27})
Michael Link ({28})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({29})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({30})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({31})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Serkan Tören
Johannes Vogel
({32})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({33})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({34})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({35})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({36})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({37})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({38})
Frank Hofmann ({39})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({40})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({41})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({42})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({43})
Michael Roth ({44})
({45})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({46})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({47})
Werner Schieder ({48})
Ulla Schmidt ({49})
Silvia Schmidt ({50})
Carsten Schneider ({51})
Swen Schulz ({52})
Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
({53})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Paul Schäfer ({54})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({55})
Volker Beck ({56})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({57})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({58})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({59})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({60})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner
FDP
Sebastian Blumenthal
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP über
den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ auf den Drucksachen 17/3053 und 17/3405: Abgegeben wurden
593 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 321, mit Nein haben gestimmt 271, eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter hat sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist ebenfalls
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 320
nein: 268
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({61})
Manfred Behrens ({62})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({63})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({64})
Dirk Fischer ({65})
Axel E. Fischer ({66})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({67})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({68})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({69})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({70})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({71})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({72})
Nadine Schön ({73})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({74})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Katherina Reiche ({75})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({76})
Anita Schäfer ({77})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({78})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({79})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({80})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({81})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({82})
Peter Weiß ({83})
Sabine Weiss ({84})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({85})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({86})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({87})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({88})
Michael Link ({89})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({90})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({91})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({92})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Serkan Tören
Johannes Vogel
({93})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({94})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({95})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({96})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({97})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({98})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({99})
Frank Hofmann ({100})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({101})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({102})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({103})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({104})
Michael Roth ({105})
({106})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({107})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({108})
Werner Schieder ({109})
Ulla Schmidt ({110})
Silvia Schmidt ({111})
Carsten Schneider ({112})
Swen Schulz ({113})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
({114})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({115})
Volker Beck ({116})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({117})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({118})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({119})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({120})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum
Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes auf den
Drucksachen 17/3054 und 17/3405: Abgeben wurden
589 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 319, mit Nein haben gestimmt 269, es gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist ebenfalls angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 589;
davon
ja: 319
nein: 269
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({121})
Manfred Behrens ({122})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({123})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({124})
Dirk Fischer ({125})
Axel E. Fischer ({126})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({127})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({128})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({129})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({130})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({131})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({132})
Nadine Schön ({133})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({134})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({135})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({136})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({137})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({138})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({139})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({140})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({141})
Peter Weiß ({142})
Sabine Weiss ({143})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({144})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({145})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({146})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({147})
Michael Link ({148})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({149})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({150})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({151})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Serkan Tören
Johannes Vogel
({152})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({153})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({154})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({155})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({156})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({157})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({158})
Frank Hofmann ({159})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({160})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({161})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({162})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({163})
Michael Roth ({164})
({165})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({166})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({167})
Werner Schieder ({168})
Ulla Schmidt ({169})
Silvia Schmidt ({170})
Carsten Schneider ({171})
Swen Schulz ({172})
Ewald Schurer
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
({173})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({174})
Volker Beck ({175})
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({176})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({177})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({178})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({179})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner
Wir fahren in unserer Debatte fort. Ich erteile das
Wort dem Kollegen Olaf Scholz für die SPD-Fraktion.
({180})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung zu dem Beitrag des
Kollegen Grindel. Er hat uns ein großes Sprachrätsel
aufgegeben, nämlich die Frage: Wie bekommen wir das
mit der Einbürgerung der Mitbürger hin?
({0})
Das haben Sie an einer Stelle als Aufgabe beschrieben.
Ich finde, wir sollten uns einmal länger damit beschäftigen, wie wir diese Frage lösen können; denn das ist wohl
nicht ganz unkompliziert.
({1})
Ich möchte mich vor allem mit dem Thema der Fachkräftezuwanderung beschäftigen. Ich hoffe, dass es gelingt, in die oft sehr aufgeregte Debatte einen etwas ruhigeren Ton hineinzubekommen; denn das verdient diese
Debatte, und das ist wirklich notwendig.
Ein paar Fakten vorweg, die manchmal vielleicht erst
mit zwei Jahren Verzögerung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit dringen, die aber gesagt und berichtet werden müssen: Deutschland hat seit dem 1. Januar 2009
den offensten Arbeitsmarkt für akademisch qualifizierte Arbeitskräfte auf der ganzen Welt. Seit diesem
Datum ist es möglich, dass diejenigen, die in der EU als
akademisch Qualifizierte nach Arbeit suchen, in
Deutschland arbeiten - ohne Einschränkung und ohne
Vorrangprüfung. Sie müssen nicht auf den 1. Mai 2011
warten, sondern das ist schon jetzt so.
Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit geschaffen,
mit der Vorrangprüfung in Deutschland einen Arbeitsplatz zu suchen, und zwar - das muss man ausdrücklich
sagen - unabhängig von der Höhe des Einkommens:
31 000 Euro, 42 000 Euro oder was auch immer. Voraussetzung ist lediglich, dass es keine inländischen oder europäischen Bewerber gibt, die diese Arbeit ebenfalls machen können. Eine weitere Voraussetzung ist, dass man
nicht weniger zahlt als das, was sonst für einen solchen
Arbeitsplatz in Deutschland gezahlt wird.
Natürlich führt das dazu, dass die Zuwanderungsmöglichkeiten für Fachkräfte mit Ingenieurskapazitäten größer sind als für andere, weil dort der Bedarf im Augenblick recht groß ist. Das ist eine Möglichkeit, die jetzt
schon uneingeschränkt existiert und auf die einmal hingewiesen werden muss, übrigens auch auf Unternehmerversammlungen, weil Unternehmer dies zum Teil noch
nicht wissen; diese Möglichkeit kann genutzt werden.
Ich kann nicht erkennen, dass die Vorrangprüfung als
zusätzliche Kontrolle ein Problem ist; denn hier stellt
sich die Frage: Wer aus aller Welt außerhalb der EU
sucht auf solch eine Art und Weise nach einem Arbeitsplatz?
Weiterhin haben wir bei dieser Gelegenheit dafür gesorgt, dass diejenigen, die in Deutschland einen Hochschulabschluss erworben haben, hierbleiben und Arbeit
suchen können, und zwar - was nicht jeder weiß - immer wieder. Diese vorrangprüfungsfreie Arbeitsplatzsuche existiert als Möglichkeit für das ganze Berufsleben
für denjenigen, der an einer deutschen Hochschule seinen Abschluss erworben hat.
Wir haben ein besonderes Privileg für die Absolventen deutscher Auslandsschulen geschaffen, die zum
Beispiel die deutsche Sprache schon gut beherrschen.
Sie haben die Möglichkeit, hier eine Berufsausbildung
zu machen. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit,
nach einer beruflichen Qualifikation - zum Beispiel an
einer anderen Universität anderswo auf der Welt - hier
in diesem Land zu arbeiten, und zwar ohne Vorrangprüfung.
Wir haben Managern innerhalb eines Konzerns einen fast unbeschränkten Austausch ermöglicht. So ist
zum Beispiel der Wechsel eines Managers von einer Filiale in Südafrika nach Deutschland möglich.
Für alle zusammen haben wir geregelt, dass ein Nachzug der Ehegatten immer möglich ist; sie können ohne
Vorrangprüfung nach Arbeit suchen. Wir haben also lauter Änderungen vorgenommen, die schon immer gewünscht worden sind. Diese Änderungen sind in Kraft
getreten, allerdings ohne dass sie tatsächlich wahrgenommen worden sind. Dazu will ich gerne sagen: Es hat
sich weder jemand darüber aufgeregt, noch hat jemand
dafür geworben. Deshalb darf man noch heute vieles fordern, was schon längst umgesetzt worden ist.
({2})
Ich bin dafür, dass man die Änderungen zur Kenntnis
nimmt.
Obendrauf gibt es ab einem bestimmten Einkommen
- ich nenne es einmal flapsig so - ein Super-PremiumGoldpaket: die Möglichkeit, ohne Vorrangprüfung
gleich eine Niederlassungserlaubnis zu bekommen.
Diese Möglichkeit existiert ab einem Einkommen, das
der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Das ist übrigens eine kluge Regelung: Es handelt sich um das Doppelte des Durchschnittseinkommens. Die Festlegung der Summe ist
vielleicht nicht völlig plausibel - man kann darüber reden, ob eine andere Summe richtig wäre -; aber die gewählte Summe hat ein gewisses Gewicht, weil sie eine
Größenordnung vorgibt, die wir aus unseren sozialen Sicherungssystemen kennen. Die Summe ist viel niedriger
als der Betrag von über 80 000 Euro, der vorher festgelegt war. Ab diesem Betrag ist die Regelung für die Unternehmen interessant: Als ich die Summe identifiziert
habe, habe ich mich damit vorher nicht nur wissenschaftlich beschäftigt, sondern auch mit den Managern
großer Unternehmen diskutiert: Was für eine Summe
brauchten sie, damit es bei ihnen etwas bringt? Die Manager haben gesagt, eine Summe in etwa dieser Höhe sei
genau der richtige Weg; dadurch werde der Einstiegsarbeitsmarkt der deutschen Akademiker nicht gefährdet.
Wenn man als Voraussetzung für diese sehr weitgehende und prüfungsfreie Öffnung des Arbeitsmarkts eine
niedrigere Summe wählt - darüber kann man immer diskutieren -, dann kann man auf dem deutschen Arbeitsmarkt sehr viele Probleme erzeugen, die man vielleicht
nicht im Blick hat. Denn eine ganze Reihe von Berufsgruppen liegt zum Beispiel über einem Gehalt von
40 000 Euro jährlich bzw. rund 3 300 Euro monatlich ich habe es mir einmal angeschaut -: zum Beispiel Bohrer - also Facharbeiter -, Maschineneinrichter, Bürofachkräfte, Bibliothekare, Flach- und Tiefdrucker, Walzer, Stenografen.
({3})
Meinen Angaben liegt eine volkswirtschaftliche Studie
zugrunde. Es gibt sehr viele Berufe, bei denen das Jahresgehalt über 40 000 Euro liegt.
Es stellt sich schon die Frage, ob es wirklich klug ist,
auf die Vorrangprüfung zu verzichten, die sicherstellt,
dass die Gehälter nicht sinken und es keine Leute in diesem Land gibt, die diese Aufgabe übernehmen könnten.
Da bin ich sehr skeptisch; das sage ich gerne.
Im Übrigen gibt es demnächst bei den Berufen ohne
akademische Qualifikation Zuwanderung aus der ganzen
Europäischen Union.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kilic
zulassen?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege Scholz, ich habe eine Verständnisfrage.
Es ist mein Kenntnisstand, dass die SPD bis heute offiziell für eine Zuwanderung nach dem Punktesystem
eintritt. Eine andere offizielle Meinung kenne ich nicht.
Ihre Argumente sprechen dafür, dass Sie gegen ein
Punktesystem bei der Einwanderung sind. Ist das der
Fall?
Ich finde in der Tat, dass man über den Sinn und
Zweck eines Punktesystems diskutieren muss; das will
ich gar nicht verhehlen. Denn ein Punktesystem führt zu
einer Zuwanderung ohne freie Arbeitsplätze, also obwohl es in diesem Bereich Arbeitslose gibt.
({0})
Ob das im Bereich der Tätigkeiten, die keine akademische Qualifikation zur Voraussetzung haben, wünschenswert ist, muss man sich überlegen. Der Begriff „Punktesystem“ heißt übersetzt, dass es Zuwanderung ohne freie
Arbeitsplätze geben kann. Sonst wäre es nur ein Schlagwort, das für sich existiert.
Ich wünsche mir eine sehr unaufgeregte Diskussion
darüber, ob man Folgendes möchte: Weil es bei uns nicht
genügend Altenpfleger gibt - übrigens weil wir nicht genügend ausbilden und die Gehälter für Altenpflegekräfte
zu gering sind -, holen wir uns Fachkräfte von anderswo, die bereit sind, zu schlechten Gehältern in
Deutschland zu arbeiten, anstatt die Gehälter zu erhöhen
und mehr auszubilden. Das hielte ich für einen Fehler;
ich will das ausdrücklich sagen. Man muss schon sehr
sorgfältig darüber diskutieren, was man tut.
Ich glaube, wir haben mit der Zuwanderungsmöglichkeit für Akademiker viel erreicht. Eine Zuwanderung ist
übrigens nicht erst ab dem genannten Gehalt möglich;
sie ist auch möglich, wenn man den Arbeitsmarkt zuvor
geprüft hat. Ich halte es für wichtig, über eine weitgehendere Regelung nachzudenken. Jedenfalls will ich
nicht, dass sich die deutsche Wirtschaft das Ausbilden
und das Zahlen ordentlicher Löhne spart.
({1})
Sie haben jetzt Zeit für einen Gedanken außerhalb der
vorgesehenen Redezeit.
Zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist. Bedenken wir, wenn wir
über all diese Fragen diskutieren, Folgendes: Ab dem
1. Mai 2011 haben über 500 Millionen Personen in Europa die Möglichkeit, in Deutschland Arbeit zu suchen;
das ist in Ordnung. Sehr viele von ihnen, nämlich mehr
als 200 Millionen Menschen, kommen als Erwerbstätige
infrage. Ob wir den Arbeitskräftebedarf der deutschen
Volkswirtschaft durch Qualifizierung und Ausbildung
oder durch diese 200 Millionen Menschen lösen wollen,
das müssen wir uns sehr gut überlegen. Problematisch
ist, dass einige Leute in dieser Debatte den falschen Ton
anschlagen. Ich will ausdrücklich sagen: Dem guten Ton
dieser Debatte hat Herr Seehofer geschadet.
({0})
Herr Kollege.
Wichtig ist aber auch, dass man darüber nicht die Vernunft verliert. Auch dafür plädiere ich.
Im Übrigen sollten wir sehen, dass wir den Arbeitsmarkt für die Hochqualifizierten längst geöffnet haben,
auch wenn jeden Tag ein anderer fordert, dass das endlich geschehen sollte.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fachkräftemangel ist keine traurige Botschaft, er ist
Realität. Der Arbeitsmarkt ist international. Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe hat bereits begonnen, und
die Zuwanderung von Fachkräften verläuft dank dessen,
was Sie, Herr Scholz, gerade vorgetragen haben, nach
wie vor bürokratisch und unsystematisch. Das, was Sie
hier gerade vorgetragen haben - etwas anderes hätte ich
von Ihnen nicht erwartet -, ist Ausdruck einer Klientelpolitik, deren Richtung ich, ehrlich gesagt, nicht für zukunftsweisend halte.
({0})
Wir brauchen Klarheit, wir brauchen Transparenz, und
wir brauchen, insbesondere wenn es darum geht, eine
gesteuerte Zuwanderung zu betreiben, schnelle Entscheidungen.
({1})
Ich will auf den vorliegenden Gesetzentwurf eingehen. Beim Lesen hatte ich ein Déjà-vu. Aber ehrlich gesagt: Durch einen Neuaufguss wird kalter Kaffee nicht
wärmer. Es hat nach wie vor keinen Sinn, das Staatsangehörigkeitsgesetz hinsichtlich des Optionsmodells jetzt
zu ändern. Uns liegen noch keine Daten vor, sodass wir
nicht wirklich darüber entscheiden können.
({2})
Bizarr ist, dass die Grünen vortragen, 5 Millionen
ausländische Staatsangehörige seien schon acht oder
mehr Jahre hier und hätten nach dem bestehenden Recht
damit eine wesentliche Einbürgerungsvoraussetzung erfüllt. Es seien aber nur 90 000 eingebürgert worden, tragen die Grünen vor. Das ist bizarr, weil die Grünen allein
an der Quantität ein Interesse zu haben scheinen. Als Lösung wird die Senkung der Mindestaufenthaltszeit auf
sechs Jahre gefordert. Für die 4,9 Millionen anderen gibt
es nach dem Gesetzentwurf der Grünen keine weiteren
Anreize, keine Lösungen. Das ist Klientelbeschwichtigungsaktionismus à la Grüne.
({3})
Hartfrid Wolff ({4})
Die Grünen fordern ausdrücklich, die Anforderungen
an die Sprachkompetenz der Einzubürgernden abzubauen. Die Grünen wollen, dass dieser Staat jemanden
als Deutschen anerkennt, der kein Deutsch kann.
({5})
Kennen Sie das gesellschaftliche Konfliktpotenzial, das
zwischen ethnischen Gruppen in sogenannten sozialen
Brennpunktgebieten herrscht, Herr Kollege? Sie schweben nach wie vor in einem grünen Multikultidelirium
ohne Anforderungen, ohne Noten, ohne Prüfungen, in
einer bunten und heilen Welt.
({6})
Herr Kollege, seien Sie einmal etwas realistischer.
Denken Sie einmal über das nach,
({7})
worüber wir in der letzten Zeit diskutiert haben. Die
Grünen haben die Zuwanderungsdebatte in den letzten
zehn Jahren offensichtlich vollkommen verschlafen. Übrigens ist auch das ein Déjà-vu-Erlebnis.
({8})
Die Meinung der Deutschen in diesem Land ist Ihnen offensichtlich egal. Hauptsache, Ihre Klientel wird befriedigt.
Das Beherrschen der deutschen Sprache ist essenziell. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist Voraussetzung für demokratische Partizipation und ermöglicht
die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Die Staatsangehörigkeit muss deshalb Resultat der Integration
sein. Wer nicht integrierten Migranten die Staatsangehörigkeit verleiht, untergräbt den Zusammenhalt in dieser
Gesellschaft. Ein Anreiz zur Integration geht davon
nicht aus.
Nicht nur bei den Grünen bekommt man den Eindruck, dass alles, was in unserer freiheitlichen, aufgeklärten Gesellschaft als reaktionär gilt, wieder hoffähig
gemacht wird, indem man ihm das Mäntelchen „Migrationshintergrund“ umhängt. Man muss plötzlich die Beibehaltung des Abstammungsrechts für Doppelstaatler
unterstützen, frauenfeindliche Bekleidungssitten akzeptieren, Machokultur hinnehmen, Verständnis für orientalisches Eherecht aufbringen oder Vorstellungen von einer Familienehre tolerieren, die in einer fortschrittlichen
Gesellschaft nur Abscheu hervorrufen können.
({9})
Die Grünen wollen auch den Einbürgerungstest abschaffen. Tests, etwa zur politischen Bildung, aber auch
zum Führerscheinerwerb oder
({10})
zum Schulabschluss, sind geborenen Deutschen zeit ihres Lebens vertraut und natürlich auch zumutbar. Zuwanderer sind aus Grünen-Sicht aber offenbar zu dumm
oder zu sensibel, sich einem Test zu stellen. Dieser Test
hat laut grüner Antragsbegründung
({11})
ich zitiere gerade den Antrag der Grünen - eine abschreckende Wirkung auf diese bedauernswerten Menschen.
Entlarvender können die Grünen ihr Bild von unseren
Zuwanderern nicht zeichnen: Die Grünen halten sie für
unfähig, Deutsch zu lernen. Sie halten sie für unfähig,
rudimentäre Grundkenntnisse unseres politischen Systems zu erlernen,
({12})
und für unfähig, ihren eigenen Lebensunterhalt selbst zu
verdienen.
({13})
Solche Ansichten setzen unsere Zuwanderer in unerträglicher Weise herab, und die Grünen pflegen unter
dem Deckmantel des Mitleids längst überwunden geglaubte Vorurteile gegen Ausländer in Deutschland.
({14})
Die Grünen beleidigen mit ihren Vorschlägen jeden Zuwanderer, der es geschafft hat, hier anzukommen und
sich hier zu integrieren. Das ist angestaubter Alt-68erBallast, der dem Zuwanderungsland Deutschland nicht
wirklich weiterhilft.
({15})
Wir Liberalen wollen diejenigen unterstützen, die
sich integriert haben und die sich integrieren wollen.
Viele unternehmen große Anstrengungen, sich in unsere
Gesellschaft einzubringen. Wir werden sie dabei fördern, aber wir werden auch etwas von ihnen fordern.
Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen
der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls
die Akzeptanz von Migranten. Erfolgreiche Integration
bedeutet, dass sie wie alle deutschen Staatsbürger die
gleichen Rechte und gleichen Pflichten haben.
Die Koalition wird Anreize setzen und Anforderungen definieren, eine aktive Integrationspolitik voranbringen und eine Willkommenskultur des gegenseitigen Respekts fördern. Die Grünen wollen die deutsche
Staatsangehörigkeit auf dem Multikultibasar verram7244
Hartfrid Wolff ({16})
schen. Uns dagegen ist die deutsche Staatsangehörigkeit
etwas wert.
Die Grünen sind in der Vergangenheit stehen geblieben. Die Koalition hingegen setzt auf einen zukunftsorientierten Neuanfang in der Integrationspolitik.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Sevim Dağdelen für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
hat diese schwarz-gelbe Bundesregierung einen Sanktionskatalog gegen vermeintliche Integrationsverweigerer, die es so nicht gibt, beschlossen. Die schwarzgelbe Bundesregierung baut eigentlich seit Jahren - das
war schon das Verdienst der Großen Koalition - einen
Popanz vom vermeintlichen Integrationsverweigerer
auf. Sie kann aber bis heute nicht sagen, was sie darunter
versteht und wer diese Menschen sind. Wenn sie darunter Menschen versteht, die nicht an Integrationskursen
teilnehmen, dann ist sie bis heute nicht in der Lage, zu
erklären, wie viel Prozent es tatsächlich sind und ob es
Menschen sind, die aus vorwerfbaren Gründen und nicht
wegen des Beginns einer Erwerbsbeschäftigung, einer
Krankheit oder einer Schwangerschaft nicht an den Kursen teilnehmen können.
({0})
Interessant ist auch, dass gestern acht Bildungsträger,
die diese Integrationskurse anbieten, entgegen dem,
was das Kabinett beschlossen hat, erklärt haben, dass sie
diesem Popanz von Integrationsverweigerung widersprechen, weil sie bei Migrantinnen und Migranten Motivation und Lernbereitschaft feststellen und weil im Gegensatz zu dem, was diese Regierung jeden Tag als
Propaganda verkündet, Zehntausende von Migrantinnen
und Migranten seit Monaten auf diese Kurse warten. Es
wird davon ausgegangen, dass es bis Jahresende 20 000
Migrantinnen und Migranten sein werden.
Sie kürzen die Mittel,
({1})
sagen aber, dass die Menschen nicht an den Kursen teilnehmen.
({2})
Das kann man unter „TTT“ zusammenfassen: Tricksen,
Täuschen, Tarnen. - Das ist das Konzept von SchwarzGelb, meine Damen und Herren.
({3})
Frau Dağdelen, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, Herr Grindel hat hier schon lange genug geredet.
({0})
Ob es in diesem Land hochqualifizierte Menschen
gibt, die ein Interesse daran haben, in Deutschland zu
bleiben, oder ob es Menschen gibt, die nach Deutschland
kommen wollen, hängt nicht davon ab, ob die Mindestverdienstgrenze im Sinne des Kapitals ist. Das haben die
Grünen und lange Zeit auch die SPD gefordert, und
heutzutage fordern das noch FDP, Frau von der Leyen,
Frau Schavan und viele andere Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU. Nein, das hängt vor allem davon ab, dass in diesem Lande endlich eine andere Kultur
herrscht. Sie führen ausgrenzende Debatten. Wenn sich
die Menschen die Reden von Herrn Grindel und anderen
im Bundestag anhören, hören sie, dass Sie nur fordern:
Die Migranten müssen das und das und das. Das ist der
Grund, warum die Menschen nicht hierher kommen wollen. Sie sagen: In so einem gesellschaftlichen Klima
möchte ich nicht leben. Deshalb wandern sie aus. Sie
wandern aus, weil sie keine Arbeit finden; auch vielen
Ostdeutschen ist es so ergangen. Viele wandern aufgrund
der Diskriminierung, die sie erfahren, aus; das ist bewiesen. Sie wandern auch wegen dieser ausgrenzenden Debatten aus. Sie wandern außerdem aus, weil diese Bundesregierung aus ideologischen Gründen immer noch
nicht die Tatsache anerkennt, dass wir ein Einwanderungsland sind. Ich weiß, die Statistiken zeigen, dass
wir uns eher zu einem Auswanderungsland entwickeln.
({1})
Schwarz-Gelb ist nicht einmal in der Lage, dies anzuerkennen.
Gestern in der Fragestunde habe ich folgende Frage
gestellt:
Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung ein Einwanderungsland?
Was Staatssekretär Bergner dazu gesagt hat, war lächerlich. Er konnte weder Ja noch Nein sagen; er hat nur
dummes Zeug von sich gegeben.
({2})
Er hat keine Antwort auf diese einfache Frage gegeben.
Ich frage Sie noch einmal - Herr Schröder als Staatssekretär wird nach mir die Gelegenheit haben, hier zu reden -:
({3})
Welche politische Wertung nehmen Sie vor? Sind wir
ein Einwanderungsland, oder sind wir es nicht?
({4})
Das möchte ich von dieser Bundesregierung wissen. Aus
ideologischen Gründen lehnen Sie es ab, anzuerkennen,
dass wir ein Einwanderungsland sind.
Ich komme jetzt zum Gesetzentwurf der Grünen zum
Thema Einbürgerungen. Am 31. Oktober 1990 hat das
Bundesverfassungsgericht zum Thema Ausländerwahlrecht Folgendes festgestellt - Hartfrid Wolff hat dies in
einer früheren Debatte als reaktionär bezeichnet -:
… es entspreche der demokratischen Idee, … eine
Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer
politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen
herzustellen.
Nennen Sie das nicht wieder reaktionär, Herr Wolf;
das ist ein Zitat vom Bundesverfassungsgericht.
({5})
Als das Bundesverfassungsgericht dies vor 20 Jahren
formulierte, lebten etwa 6 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Sie lebten im Durchschnitt bis zu zwölf Jahre hier. Wie sieht es
heute aus? Ende 2009 lebten über 7 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland; im Durchschnitt
lebten sie seit 19 Jahren hier. Das heißt, seit 20 Jahren ist
die Zahl der Menschen, die hier Bürgerinnen und Bürger
zweiter Klasse sind, gestiegen, und diese leben hier auch
viel länger als damals. Das ist ein Skandal. Deshalb
möchte ich, dass die Einbürgerungen endlich erleichtert
werden.
Die Bundestagsfraktion Die Linke hat bereits im
Sommer dieses Jahres einen Antrag „Ausgrenzung beenden - Einbürgerungen umfassend erleichtern“ eingereicht. In diesem Zusammenhang sage ich: Wir begrüßen
es, dass die Grünen sich den Positionen der Linken bezüglich der Erleichterung der Einbürgerung angenähert
haben.
({6})
Bei der SPD muss man sich immer noch fragen, ob sie
sich nicht auf ihre Wurzeln besinnen möchte. Der große
Sozialdemokrat Karl Liebknecht sagte in seiner Rede
zum Gesetz über die Staatsangehörigkeit im Jahre 1912
im Deutschen Reichstag - ich zitiere -:
Sie wollen die ausländischen Arbeiter in Deutschland, aber sie sollen in Deutschland Sklaven sein …
Genau das ist das politische Credo der bisherigen
Bundesregierungen seit dem ersten Anwerbeabkommen
mit Italien 1955. Damals forderten die Sozialdemokraten
übrigens nicht nur einen Zipfel politischer Rechte wie
das kommunale Wahlrecht, sondern sie forderten auch
die Gleichstellung durch die Einbürgerung. Ausländerinnen und Ausländer sollten eingebürgert werden, sofern
sie seit zwei Jahren in Deutschland lebten oder im Inland
geboren wurden. Damals war es noch so, dass das für die
Sozialdemokraten aus Gründen der Klassensolidarität
- nicht der Solidarität mit der herrschenden Klasse, wie
es leider mittlerweile der Fall ist - ein selbstverständliches Gut war.
({7})
Ich muss auch sagen: In dem Gesetzentwurf der Grünen zur Senkung der Mindestverdienstgrenze, Herr
Kilic, sieht die Linke nichts Gutes. Wir lehnen ihn ab.
Sie sprechen von Fachkräftemangel, aber zum Beispiel
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit - auch andere Studien belegen
das - sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel.
Laut Institut der deutschen Wirtschaft in Köln besteht
kein qualifikationsübergreifender Fachkräfteengpass bei
den Hochqualifizierten, also genau bei jenen, auf die Sie
sich beziehen.
Sie sagen: Deutschland braucht Fachkräfte und Fachkräftezuwanderung. Ich möchte Sie fragen: Wer ist für
die Grünen eigentlich Deutschland? Der in Deutschland
lebende Arzt aus Russland, der putzen gehen muss, die
kamerunische Akademikerin, die trotz Promotion als
Küchenhilfe arbeitet, oder der deutsche oder iranische
Ingenieur, der Taxi fahren muss, oder die 1,5 Millionen
jungen Menschen in Deutschland zwischen 20 und
29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben, oder die
lediglich 51 Prozent Jugendlichen, die dieses Jahr einen
Ausbildungsplatz erhalten haben? Ist das für Sie
Deutschland?
({8})
Ich muss eigentlich das Fazit ziehen: Für Sie ist
Deutschland nur das Kapital.
({9})
Denn das Kapital ist es, das billige Fachkräfte braucht.
Menschenverachtende Konzepte wie das Punktesystem,
das Menschen nach betriebswirtschaftlichen Merkmalen
vermessen möchte, werden von FDP und Grünen vertreten, lange Zeit auch von der SPD. Ich freue mich, dass
die SPD da jetzt ein bisschen geläutert ist. Ich möchte
daher wissen, wer für Sie die Menschen sind, die an diesem Fachkräftemangel Interesse haben.
({10})
Schauen Sie sich die Zahlen an. Ihnen ist auch das Problem „Braindrain“ ganz egal. Das kommt bei Ihnen
überhaupt nicht vor. Das ist das Problem von Ländern
des Südens, deren qualifizierte Fachkräfte von den Industrienationen ausgeplündert werden.
({11})
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
- Ja, darauf kommen Sie in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht.
({12})
In Ihrem Gesetzentwurf wird eben nicht berücksichtigt, dass Länder wie Indien diese Abwerbestrategien
deutlich und explizit ablehnen, weil sie sagen: Das ist
nicht im Interesse unseres Landes; wir wollen nicht, dass
gute Fachkräfte, qualifizierte Menschen abgeworben
werden. - Wir sagen: Wenn es wirklich einen Fachkräftemangel gibt - wir gehen davon aus, dass es ihn so nicht
gibt -, dann ist er vor allen Dingen politisch gewollt und
lange Zeit auch gefördert worden.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja, Frau Präsidentin. - Wir sagen: Wenn Sie etwas gegen Fachkräftemangel tun wollen, dann müssen Sie
Mindeststandards festlegen, dann brauchen wir endlich
eine Ausbildungsplatzumlage, damit jeder und jede Jugendliche einen Ausbildungsplatz findet. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, damit die Leute eben
nicht ausgebeutet werden können.
Frau Kollegin.
Wir wollen vor allen Dingen endlich einen Rechtsanspruch auf die Anerkennung von akademischen Abschlüssen von über einer halben Million Menschen, die in
Deutschland leben und deren Abschlüsse nicht anerkannt
werden, und keine Mogelpackung, wie es die Bundesregierung unter Verantwortung der Ministerin Schavan im
Moment vorhat.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Grindel.
Frau Präsidentin! Ich habe mich nur deswegen zur
Kurzintervention gemeldet, damit hier, Frau Kollegin
Dağdelen, keine falschen Behauptungen stehen bleiben.
Wir geben in diesem Jahr für Integrationskurse 233 Millionen Euro aus - so viel wie noch nie zuvor und deutlich
mehr als nach dem Haushaltsplan ursprünglich beabsichtigt. Wir geben viele Millionen Euro für Kinderbetreuungskosten aus, damit Frauen die entsprechenden Kurse
besuchen können. Wir geben sehr viel Geld für Fahrtkosten aus, damit auch im ländlichen Raum Integrationskurse besucht werden können. Alphabetisierungskurse
haben heute 300 Stunden und nicht wie früher 100 Stunden, und wir bieten spezielle Jugendkurse an, in denen
nicht nur ein Sprachangebot gemacht wird, sondern auch
ein Praktikum in Richtung einer Ausbildung angeboten
wird.
Es ist von den finanziellen Rahmenbedingungen,
die wir geschaffen haben, möglich, dass jeder sofort einen Integrationskurs beginnen kann. Jeder, der sich auskennt, Herr Kollege Veit - Sie kennen das Geschäft genauso gut wie ich -, weiß, dass wir ein großes Problem
haben, dass wir nämlich gerade in großen Städten eine
Vielzahl von Kursträgern haben, die leider deshalb, weil
Kurse erst mit zehn, zwölf Teilnehmern effektiv durchgeführt werden, nicht bereit sind, dann, wenn sie fünf
Teilnehmer auf der Anmeldeliste haben und einem anderen Kursträger noch fünf Teilnehmer fehlen, diese abzugeben, damit bei jedem Kursträger ein Kurs beginnen
kann. Es bleiben - um es etwas lax auszudrücken - zu
viele auf ihren Anmeldungen sitzen, und deswegen haben wir Verzögerungen beim Start von Kursen.
Herr Kollege Veit, ich sage noch einmal - bei allem,
was uns trennt -: Sie wissen, dass das ein großes Problem ist; dass wir hier noch mehr Kooperation zwischen
den Kursträgern brauchen, um jedem Teilnehmer, der
sich bereit erklärt hat - ob bei den Freiwilligen oder natürlich auch bei den Verpflichteten -, einen solchen Kurs
zu besuchen, dies auch zu ermöglichen.
Frau Dağdelen, Sie mögen vieles von dem, was wir
machen, ablehnen. Dass aber noch nie so viel Geld in Integrationskurse investiert worden ist wie im Jahre 2010,
ist nachweisbar. Das können Sie nicht bestreiten. Ich
finde, es ist auch nicht im Interesse der Betroffenen und
nicht in Ordnung, hier falsche Behauptungen in die Welt
zu setzen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben ihre Hausaufgaben gemacht.
({0})
Frau Dağdelen zur Antwort.
Herr Grindel, ich bin seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Im Jahre 2005 haben die Integrationskurse, nennen wir sie Sprachkurse, angefangen. Wir
als Linksfraktion haben im Deutschen Bundestag von
Anfang an gesagt: Die Idee ist gut. Aber sie muss auch
gut finanziert werden.
({0})
Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass die
angesetzte Stundenzahl viel zu gering war. Wir haben
von Anfang an kritisiert, dass die Kursgruppen aus bis
zu 25 Personen bestehen und sie sehr heterogen zusammengesetzt sind, ihnen also sowohl Analphabeten als
auch studierte Menschen angehören.
({1})
Wir haben seit 2005 darauf hingewiesen, dass die
Lehrerinnen und Lehrer, die Dozentinnen und Dozenten,
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
die mit den Menschen Zeit verbringen, eine super Arbeit
leisten. Sie arbeiten nämlich nicht nur im Rahmen der
Sprachvermittlung oder in den Orientierungsstunden,
sondern viel mehr. Sie haben auch soziale Kompetenzen
und versuchen, den Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, auch anderweitig zu helfen; nur Neuzuwanderer haben nämlich den Rechtsanspruch auf einen
Integrationskurs.
Wir haben gefordert: Die Lehrerinnen und Lehrer
müssen besser entlohnt werden. Wir haben außerdem gefordert, nicht nur Neuzuwanderern den Rechtsanspruch
auf einen Integrationskurs einzuräumen, sondern auch
den Menschen, die schon länger in Deutschland leben
und großes Interesse an diesen Kursen haben; über diese
Menschen wird in der öffentlichen Debatte schon sehr
lange geredet.
Der Präsident des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge war oft im Innenausschuss, als auch Sie zugegen waren. Dort hat er immer wieder gesagt: Wir haben eine super Bilanz. Die Nachfrage ist viel größer als
das Angebot. Wir brauchen aber mehr Geld.
({2})
Dieses Geld steht aber nicht zur Verfügung.
Der gestrigen Erklärung von acht Bildungsträgern
war zu entnehmen, dass ungefähr 10 000 Menschen darauf warten, an einem solchen Kurs teilnehmen zu können. Das Problem ist, dass diese Zahl bis zum Jahresende auf 20 000 steigen wird. Das ändert nichts daran,
dass die Lehrerinnen und Lehrer, die diese Kurse geben,
für ihre Arbeit eine Bezahlung auf Hartz-IV-Niveau erhalten. Wir haben die Forderung nach einem Mindestlohn für diese Lehrerinnen und Lehrer erhoben. Denn
wir sagen: Qualitativ hochwertigen Unterricht können
vor allem gut bezahlte Lehrerinnen und Lehrer bieten.
({3})
Wir brauchen also viel mehr Geld.
Sie verleugnen, dass Sie für das Jahr 2009 schon
20 Millionen Euro aus dem Etat für 2010 „herübergeschafft“ haben. Sie haben 15 Millionen Euro nachgelegt.
Aber dieser Betrag reicht bei weitem nicht aus.
({4})
Sie wollen die Fahrtkosten kürzen und keine Teilzeitkurse mehr zulassen; wenn, dann nur in Extremfällen.
Ich war vor kurzem in Wuppertal und habe dort mit Dozentinnen und Dozenten gesprochen. Diese haben mir
gesagt: Wir haben mehrmals Teilzeitkurse beantragt.
Diese Anträge sind abgelehnt worden. - Das Problem
ist, dass Migrantinnen und Migranten, die voll erwerbstätig sind, an Vollzeitkursen nicht teilnehmen können.
Durch Ihr Vorgehen blockieren Sie somit die Teilnahme
von Migrantinnen und Migranten an diesen Kursen.
Deshalb bleibt es dabei: Sie tricksen, täuschen und tarnen.
({5})
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Ole
Schröder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Dağdelen, ich habe eigentlich gedacht, dass wir die Frage, ob Deutschland Zuwanderungsland ist oder nicht
({0})
bzw. ob Deutschland Einwanderungsland ist oder nicht,
schon überwunden haben. Die entscheidende Frage für
unser Land ist, ob es ein Integrationsland ist oder nicht.
Darum geht es, und dafür setzt sich diese Koalition ein.
Um genau dieses Thema geht es auch in der heutigen
Debatte. Es liegen zwei Gesetzentwürfe des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Während Ihr Gesetzentwurf zum
Staatsangehörigkeitsrecht sehr weit reicht, rücken Sie in
Ihrem Gesetzentwurf zum Thema Arbeitsmigration einen einzigen Aspekt in den Mittelpunkt.
Zunächst zum Staatsangehörigkeitsrecht: Deutschland ist ein offenes Land; wir haben ein offenes Staatsangehörigkeitsrecht. Wir machen ein großzügiges Angebot
und werben dafür, dass es auch angenommen wird und
dass die bei uns lebenden gut integrierten Menschen sich
einbürgern lassen. Ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung
besteht beispielsweise bereits nach einer Aufenthaltsdauer von acht Jahren; bei besonderen Integrationsleistungen kann sogar schon nach sechs Jahren eingebürgert
werden.
Selbstverständlich muss das Einbürgerungsrecht dabei
die Belange der aufnehmenden Gesellschaft zugrunde
legen. Die Integrationsleistungen der einzubürgernden
Menschen sind wichtig. Die Integrationsbereitschaft wird
gerade dadurch gefördert, dass die entsprechenden Anforderungen berücksichtigt werden. Wir fördern die Integrationsbereitschaft nicht, indem wir die Anforderungen
bei der Einbürgerung immer weiter herabsetzen. Das Gegenteil ist der Fall.
Abstriche von den Anforderungen, nur um die Einbürgerungszahlen zu steigern, wären integrationspolitisch kontraproduktiv und das falsche Signal an die gut
integrierten Migranten und die stolzen Neubürger. Die
Einbürgerung muss am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen und nicht am Anfang.
({1})
Mit den Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Gesetzgeber die Anforderungen formuliert, deren Erfüllung
er für die volle Aufnahme in die Gesellschaft und für das
Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens für
erforderlich hält.
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Unser Einbürgerungsrecht ist bereits jetzt flexibel genug, um auch besonderen Situationen durch Ausnahmen
gerecht werden zu können. Zu den Einbürgerungsvoraussetzungen gehören ganz selbstverständlich ausreichende Sprachkenntnisse sowie Kenntnisse über Staat,
Geschichte, Kultur und Lebensverhältnisse in Deutschland. Erst das Verständnis der Sprache ermöglicht es den
Menschen, sich in der Gesellschaft zu orientieren und
aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Im Jahr 2007 haben wir die Sprachanforderungen
mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz bundesweit harmonisiert. Bundeseinheitlich werden für die Anspruchseinbürgerung nunmehr sowohl mündliche als auch
schriftliche Sprachkenntnisse gefordert. Diesen Anforderungen wurde zugleich eine entsprechende Förderung
zur Seite gestellt. Bei der Zulassung zu den Integrationskursen werden Einbürgerungsbewerber bevorzugt berücksichtigt. In den letzten zwei Jahren haben sich mehr
als eine halbe Million Menschen entschieden, in den
Kursen die deutsche Sprache zu erlernen.
Für ältere Menschen gibt es natürlich Ausnahmen,
mit denen besondere Situationen berücksichtigt werden.
Es besteht die Möglichkeit, die Anforderungen an die
Sprachkenntnisse abzusenken oder ganz auf den Sprachtest zu verzichten, wenn es für diese Menschen unmöglich ist, die deutsche Sprache zu erlernen. Diese Problemfälle haben wir also berücksichtigt. Mit Blick auf
die Bedeutung der Sprachkenntnisse für die Integration
wäre die Schaffung zusätzlicher Ausnahmen kontraproduktiv.
Auch die vor zwei Jahren eingeführten Einbürgerungstests haben sich bewährt. Wenn Sie sich die Zahlen
anschauen, sehen Sie, dass diese Einbürgerungstests
nicht abschreckend wirken. Das wird bereits an der hohen Quote derjenigen deutlich, die diese Tests bestehen.
({2})
Auch das Erfordernis, seinen Lebensunterhalt selbst
bestreiten zu müssen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich müssen wir von denjenigen, die
sich einbürgern lassen wollen, verlangen können, dass
sie für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen wollen.
Anders kann unsere Gesellschaft nicht funktionieren.
Aber es gibt auch Ausnahmen für diejenigen, die ihren
Lebensunterhalt unverschuldet nicht selbst bestreiten
können; von ihnen wird dies auch nicht gefordert. Insofern haben wir diesbezüglich keinen Anpassungsbedarf.
({3})
Auch die 2007 angehobenen Anforderungen an die
Rechtstreue der Einbürgerungsbewerber dienen der Integration in unseren demokratischen Rechtsstaat. Es ist
selbstverständlich, dies zu verlangen.
Neben diesen Voraussetzungen für eine Einbürgerung
ist es zudem ein legitimes Anliegen, dass der Einbürgerungsbewerber seine frühere Staatsangehörigkeit grundsätzlich aufgeben muss. Zum einen kann Mehrstaatlichkeit natürlich zu rechtlichen Komplikationen führen.
Ich denke beispielsweise an eine mögliche Wehrpflicht
in anderen Staaten.
({4})
Auch die diplomatische Betreuung von Mehrstaatlern im
Herkunftsstaat ist problematisch. Zum anderen ist es
aber auch ein Zeichen der Integration, wenn sich derjenige, der sich einbürgern lässt, klar zu unserem Staat bekennt und er seine alte Staatsbürgerschaft aufgibt.
({5})
Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Die Einbürgerung
kann ohne Aufgabe der früheren Staatsangehörigkeit erfolgen, wenn diese nicht oder nur unter besonders
schwierigen Bedingungen aufgegeben werden kann.
Deshalb wurden schon viele Bürgerinnen und Bürger
eingebürgert, die ihre alte Staatsangehörigkeit behalten
durften.
Seit dem 1. Januar 2000 erwerben nun auch die Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Bedingungen
mit der Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit. Insgesamt waren dies bisher 390 000 Kinder.
Hinzu kommen weitere 50 000 Menschen aus den Jahrgängen 1990 bis 1999, die im Rahmen der Übergangsregelung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben. Die Ersten dieser Kinder sind 2008 18 Jahre alt
geworden und müssen sich nun bis zur Vollendung des
23. Lebensjahres für die deutsche oder die ausländische
Staatsangehörigkeit entscheiden.
Die Erfahrungen mit dieser Optionsregelung müssen
nun genau ausgewertet werden. Wir werden das tun. Das
wird nicht vor 2012 möglich sein. Ich warne davor,
schon jetzt vorschnell Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Einbürgerungszahlen haben sich auf einem stetigen Niveau von etwa 96 000 - das ist in etwa der Stand
des Jahres 1997 - stabilisiert. Zeitweilig waren die Zahlen sehr viel höher. Das waren Sondereffekte nach der
Einführung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts
({6})
oder auch davor, als viele gesagt haben, sie wollen noch
das alte Staatsangehörigkeitsrecht nutzen.
Wir haben uns in der Koalitionsvereinbarung darauf
verständigt, dass wir genau analysieren, ob es mögliche
unverhältnismäßige Hemmnisse gibt. Wir haben eine
Studie in Auftrag gegeben, in deren Rahmen eine repräsentative Befragung unter Einbürgerungskandidaten
durchgeführt wird. Lassen Sie uns die Ergebnisse abwarten und dann die notwendigen Schlüsse daraus ziehen!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
noch einige Bemerkungen zum Gesetzentwurf über die
Absenkung der Gehaltsgrenze für Hochqualifizierte
machen. Ich bin dem Kollegen Scholz dankbar dafür,
dass er die jetzigen Möglichkeiten hier in aller Offenheit
dargelegt hat. Es wird ja immer so getan, als ob unser
Ausländerrecht geradezu ein Hemmnis für Hochqualifizierte darstellt. Das Gegenteil ist der Fall.
Die geltende Regelung in § 19 Aufenthaltsgesetz, um
die es in dieser Vorlage geht, besagt, dass Hochqualifizierten ein sofortiges Daueraufenthaltsrecht gewährt
wird. Nach diesem Gesetzeswortlaut ist es ausdrücklich
das Ziel, dass Hochqualifizierte mit besonderer Berufserfahrung nach Deutschland kommen.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen ist
eine Absenkung der Gehaltsgrenze von derzeit 66 000
Euro auf 40 000 Euro vorgesehen, was insbesondere mit
der Höhe der Einstiegsgehälter von Ingenieuren und ITSpezialisten begründet wird. Für diese Berufsanfänger
ist die geltende Regelung in § 19 Aufenthaltsgesetz aber
gerade nicht konzipiert. Sie haben nicht nur keine besondere Berufserfahrung, sondern Berufseinsteiger haben
überhaupt noch keine Berufserfahrung. Insofern kann
ich Ihren Gesetzentwurf überhaupt nicht nachvollziehen.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber eben nicht, dass
Berufsanfänger keine Zuwanderungsmöglichkeiten haben. Der Kollege Scholz hat diese ja dargelegt. Der Arbeitsmarkt ist für die Zuwanderung ausländischer Hochschulabsolventen ohne jede Gehaltsgrenze offen, wenn
die Beschäftigungsbedingungen denen vergleichbarer
deutscher Beschäftigter entsprechen. Für Ausländer mit
einem inländischen Hochschulabschluss gilt dies sogar
ohne Vorrangprüfung. Ich kann daher sagen, dass beide
Gesetzentwürfe sicherlich gut gemeint sind; wir brauchen sie aber nicht.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Aydan Özoğuz für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär, so wenig es einen starren Endpunkt
beispielsweise für Demokratieprozesse gibt, so wenig
gibt es wohl auch einen starren Endpunkt für Integration.
Da gibt es nicht die Marke X, wo man sagen kann: So,
jetzt ist es erreicht, und jetzt bekommst du den Orden dafür. - Ich glaube, das ist ein grundsätzlich falsches Verständnis von Integration und gesellschaftlichem Zusammenwachsen.
({0})
- Machen wir es doch mal ganz praktisch, Herr Grindel:
Warum soll ein einbürgerungswilliger Rentner, ob er
nun 54 oder 60 Jahre alt ist, der - das ist ja kein seltenes
Beispiel - seine jungen Jahre in deutschen Bergwerken
verbracht hat
({1})
- ja, es gibt recht viele ({2})
- jetzt hören Sie doch einfach mal zu -, in einem Test
beispielsweise beantworten können, welche Ausländer
in der DDR gelebt haben? Oder warum soll er - das ist
schon eine wichtige Frage; dass wir uns da nicht falsch
verstehen - heute mit 60 sagen können, was nicht zu den
Aufgaben des Bundesrates gehört? Sie wissen genauso
wie ich: Wenn Sie eine Befragung in der Bevölkerung
machen würden, würde herauskommen: Recht viele wissen diese Dinge auch nicht. Das heißt nicht, dass wir uns
darauf ausruhen sollten. Es heißt auch nicht, dass die Integrationskurse abgeschafft werden sollen. Ich habe gar
nicht verstanden, warum Sie dies hier immer wieder so
hervorgehoben haben, als stünde das in den Vorlagen. Es
geht um Rentner, die hier ihr Leben verbracht haben, die
heute eingebürgert werden könnten und für die der Test
ein Hindernis darstellt. Es ist doch legitim, darüber nachzudenken und zu überlegen: Die haben hier ihre Leistung vollbracht, und das sollten sie nicht mehr tun müssen.
({3})
Was sollen also die Verallgemeinerungen?
Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Grünen, greift ja Punkte auf, die auch wir schon im
Februar dieses Jahres formuliert haben. Die Forderung,
die Sie mit Blick auf ältere Menschen erheben, unterstützen auch wir; das wollen wir auch durchsetzen. Unser
Entwurf - so empfinden wir es - ist an dieser Stelle ein
wenig differenzierter; aber darüber kann man sprechen.
Was Sie vorschlagen, geht in die richtige Richtung.
Man muss vielleicht auch - ich finde, das ist nicht
ganz unwichtig, Herr Grindel - dazusagen: Die Debatte,
die wir heute führen, findet zu einer Zeit statt, in der
viele der älteren Gastarbeiter schon verstorben oder doch
recht alt sind. Ich empfinde es wirklich als sehr schade,
dass die meisten von ihnen niemals dieses Signal gehört
haben: Ja, ihr gehört zu uns, ihr gehört in diese Gesellschaft, auch wenn ihr solche Fragen nicht beantworten
könnt.
({4})
Ihre Arbeit wurde immer gerne genommen, ihre Arbeit war gut, aber ansonsten können sie eben auch heute
noch gerne Ausländer bleiben. Es muss uns allen klar
sein - Herr Staatssekretär, Sie sind ja eben darauf eingegangen -, dass das auch für die nachfolgenden Generationen wichtig ist; aber es werden falsche Signale ausgesendet. Denn bei diesen Generationen ist heute der
Optionszwang das Thema. Er ist unsinnig, und wir wis7250
sen, er ist unpraktikabel. Wir müssen da einen verwaltungstechnischen Aufwand betreiben, Tausende anschreiben und Überprüfungen anstellen, obwohl
gleichzeitig Millionen Menschen in diesem Land legal
mit mehreren Pässen leben. Niemandem ist dadurch ein
Nachteil entstanden.
({5})
Wenn ich das noch sagen darf: Die alten Geschichten
mit der Wehrpflicht sind schon längst - seit vielen, vielen Jahren - zwischen den Staaten geklärt. Die können
wirklich nicht mehr als Argument dagegen herhalten.
({6})
Ich denke, Nachteile entstehen unserem Land vielmehr durch solche populistischen Wahlkämpfe wie den
von Jürgen Rüttgers im Jahr 2000, als es auch um den
Slogan „Kinder statt Inder“ ging. Fazit nach zehn Jahren
ist: Rüttgers ist abgewählt. Wir haben nicht besonders
viele Inder gewinnen können - Frau Dağdelen hat das
schon angesprochen -, und wesentlich mehr Kinder werden bei uns auch nicht geboren.
So etwas bringt uns nicht weiter. Im Jahre 2009 haben
wir 2 465 Computerexperten aus dem Ausland angeworben. Das klingt zunächst ganz toll; aber aus der BITKOMPresseerklärung von vor zwei Tagen ging hervor, dass
bei uns 28 000 IT-Spezialisten fehlen. Man kann zwar
versuchen, an diesen Zahlen zu arbeiten, die eine höher,
die andere niedriger anzusetzen: Sie passen einfach nicht
zusammen.
({7})
- Ich erkläre Ihnen jetzt aber, dass man das auch anders
sehen kann.
({8})
- Das passt schon zusammen. Es ist unsere Meinung. Der Verband Deutscher Ingenieure sagte am 2. August
dieses Jahres, dass aktuell 36 000 Ingenieure fehlen. Das
ist doch kein Widerspruch zu der Aussage, dass es
durchaus schon Öffnungen gibt. Ich versuche gerade, Ihnen deutlich zu machen, dass Sie mit der Art, wie Sie
von dieser Stelle im Deutschen Bundestag aus zu dem
Volk sprechen und mit solchen Vorlagen umgehen,
({9})
und mit der Atmosphäre, die Sie mit solchen Wahlkämpfen wie dem von Herrn Rüttgers schaffen - die sind bei
Ihnen nicht gerade selten -, die Menschen abschrecken.
({10})
Das ist doch ein Widerspruch dazu, dass wir die Grenzen
für Europäer zum Beispiel öffnen. Das sind doch zwei
verschiedene Paar Schuhe. Es spricht aber für sich, dass
Sie das nicht verstehen.
Wir müssen unsere Gesetze und das Staatsangehörigkeitsrecht endlich der Realität anpassen. Ich glaube, dabei können wir endlich einen Schritt weiter gehen. Ich
weiß, dass Herr Seehofer und Sie es nicht wahrhaben
wollen, aber wir sind ein Auswanderungsland, und
zwar erst recht, was die Fachkräfte anbelangt. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und
Migration hat errechnet, dass Deutschland per saldo seit
2003 fast 180 000 deutsche Staatsangehörige an OECDStaaten abgegeben hat.
Ich möchte betonen, dass gerade die hoch selektiven
Einwanderungsregelungen der Länder, in die die deutschen Staatsangehörigen gehen, dafür sprechen, dass
diese Menschen qualifiziert, flexibel, risiko- und leistungsbereit sind. Diese Menschen kehren unserem Land
den Rücken zu.
({11})
Das ist ein Problem. Damit sollten wir uns vernünftig
beschäftigen, statt immer nur populistisch über dieses
Thema zu sprechen. Dies muss in einer anderen Atmosphäre geschehen.
Wir müssen uns über die Jugendlichen in unserem
Land Gedanken machen - auch dieses Thema betont
Herr Scholz immer wieder -, und ich füge hinzu: Wir
müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass die gut Qualifizierten, die bei uns ihre Ausbildung erhalten und in unserem Lande groß werden, nicht irgendwann sagen: Dieses Land nervt mich. - Auch wenn es hier einen sehr
großen Arbeitskräftemangel gibt - dass es ihn gibt, haben wir alle bereits festgestellt -, gehen diese Menschen
trotzdem. Das muss bei uns doch endlich bewirken, dass
wir uns fragen: Warum ist das so? Die Regierung sagt
kein Wort dazu.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Serkan Tören von der
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Mindestgehalt von 66 000 Euro für junge,
hochqualifizierte Zuwanderer ist realitätsfern.
({0})
Sie sind nicht die Ersten, die das erkannt und ausgesprochen haben, verehrte Damen und Herren von den Grünen. Ihr Gesetzentwurf greift aber viel zu kurz.
Aydan ÖzoðuzAydan Özoğuz
Wir Liberalen sind schon einen Schritt weiter. Kollege Wolff sprach es bereits an: Wir brauchen eine Reform des gesamten Zuwanderungssystems. Das ist ein
elementarer Baustein in der Bekämpfung des Fachkräftemangels. An Gehaltszahlen zu schrauben, macht das
Gesamtsystem nicht effektiver und die Kriterien nicht
transparenter. Ihr Gesetzentwurf ist in der Sache zwar
löblich, aber er geht am eigentlichen Problem vorbei.
({1})
Wir brauchen transparente Kriterien und eine gesteuerte Zuwanderung, Zuwanderung, die klar auf den Bedarf
unserer Wirtschaft ausgerichtet ist, aber auch die Integrationsfähigkeit der potenziellen Zuwanderer berücksichtigt. Diese Zuwanderung ist gleichzeitig auch präventive
Integrationspolitik.
Nichtsdestotrotz stehen wir derzeit insbesondere vor
Herausforderungen in der aktuellen Integrationspolitik.
Dazu gehört ohne Zweifel auch das Thema Staatsangehörigkeit. Deshalb werden wir die Optionspflicht evaluieren. Wir werden dies kritisch und unter Einbeziehung
aller relevanten Akteure tun. Ich habe keinen Zweifel:
Wir werden hier zu guten Lösungen kommen. Unabhängig davon gilt aber: Wir müssen für die deutsche Staatsangehörigkeit werben, und zwar nicht lediglich für ein
Papier oder eine Urkunde, sondern für unser wunderbares Land und unsere Gesellschaft als solche.
({2})
Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Ein paar
warme Worte reichen da nicht aus. Wir müssen konkrete
Anreize schaffen. Ein Ansatzpunkt ist die zügigere Einbürgerung von besonders erfolgreich integrierten Migranten.
Man kann darüber streiten: Sollte Einbürgerung am
Anfang oder am Ende einer erfolgreichen Integration
stehen? Lassen Sie mich das so formulieren: Einbürgerung ist ein Meilenstein im Integrationsprozess eines Zugewanderten.
({3})
Das sage ich auch aus eigener Erfahrung. Ich kann in Ihren Ausführungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, aber nicht viele Meilensteine entdecken,
ganz im Gegenteil. Sie wollen die Pflicht, ausreichende
Deutschkenntnisse vorzuweisen, pauschal für alle Jungen und Alten abschaffen.
({4})
Auch Einbürgerungskurse wollen Sie nicht mehr. Sie unterstellen Migranten, sie würden das Interesse an Integrationskursen verlieren, weil es derzeit Wartezeiten
gibt. Ich betone an dieser Stelle noch einmal: Es sind
Wartezeiten, nicht Abweisungen. Dazu hat der Kollege
Grindel schon einiges gesagt. Ich sage Ihnen ganz klar:
Mir gefällt Ihr Bild von Zuwanderern nicht. Ich finde
es traurig, wie wenig Sie diesen Menschen zutrauen.
({5})
Migration und das Leben in einem fremden Land sind
immer auch ein individuelles Risiko. Es verlangt der
Aufnahmegesellschaft, aber insbesondere dem Zuwanderer etwas ab. Der Grundsatz „Fordern und Fördern“ ist
nicht eine Phrase, sondern ein wichtiges Modell. Es ist
eine Orientierung für Aufnahmegesellschaft und Zuwanderer. Das ist übrigens in keinem erfolgreichen Einwanderungsland anders. Unser Ziel ist, aus Migranten Bürger dieses Landes zu machen, Bürger, die sich
verantwortlich fühlen, partizipieren und Deutschland
mitgestalten. Genau das wollen auch die meisten Migranten. Sie fördern eher Lethargie und Unsicherheit als
Leistungsmotivation und Ehrgeiz. Dieser Ansatz ist in
jeder Hinsicht falsch und rückwärtsgewandt.
({6})
Ich bin froh, dass diese Koalition in eine andere Richtung denkt.
Vielen Dank.
({7})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Kerstin Andreae.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin wirtschaftspolitische Sprecherin meiner Fraktion
und werde mich auf die Vorlage zu Zuwanderung und
Fachkräftemangel beziehen. Mir ist wichtig, zu sagen,
dass wir mit unseren Gesetzentwürfen das Bild einer
modernen Gesellschaft zeichnen wollen. Zum einen geht
es um Erleichterungen bei der Einbürgerung. Ich finde
es sehr wichtig, dass wir eine ernsthafte Debatte, wie Sie
sie angemahnt haben, tatsächlich führen. Zum anderen
geht es um Erleichterungen bei der Zuwanderung im
Hinblick auf den Fachkräftemangel. Hier gibt es kurzfristige und langfristige Maßnahmen. Wir könnten jetzt
einen ganzen Strauß präsentieren und Sie auffordern, bei
der Anerkennung ausländischer Abschlüsse anzufangen
und sich zu den Themen Ausbildung und Qualifizierung
zu äußern. Aber in diesem Sommer ist eine alte Forderung aufgeflammt: Ist es richtig, dass die Zulassungshürde bei der Niederlassung ausländischer Fachkräfte
derart hoch ist? Da ein Jahreseinkommen in Höhe von
mindestens 66 000 Euro notwendig ist, sind im Jahr
2009 gerade einmal 142 Niederlassungserlaubnisse an
Hochqualifizierte erteilt worden. 142! Angesichts dessen erzählen Sie mir nicht, dass das ein sinnvolles Konzept ist!
({0})
Hier besteht deutlich Änderungsbedarf.
({1})
Diese 66 000 Euro entsprechen in keiner Weise dem
heutigen Einstiegsgehalt deutscher Akademiker.
({2})
- Das ist deutlich niedriger. - Schauen Sie sich die Statistiken an! 40 000 Euro sind im Schnitt das Einstiegsgehalt. Welche Einkommensgrenze sollen wir für Menschen setzen, die zu uns kommen wollen? Wie viel
sollen die Unternehmen zahlen? Sie haben sich Statistiken und Studien angeschaut. Aber gehen Sie doch einmal in die Unternehmen! Die Unternehmen sagen Ihnen:
Wir haben offene Stellen, die wir nicht besetzen können,
weil wir das nicht zahlen können. - Wir haben einen
Fachkräftemangel, dem wir mit kurzfristigen und mit
langfristigen Maßnahmen begegnen müssen. Eine davon
ist die Senkung der Einkommensschwelle.
({3})
Es gab im Sommer einen Hoffnungsschimmer. Minister Brüderle hat es angesprochen, Generalsekretär
Lindner hat es angesprochen, ebenso die IHK, die BDA
und der BDI - auch wenn ich jetzt ausschließlich das
Kapital zitiere, wenn ich das einmal so sagen darf.
({4})
Auch wenn ich Ihnen, Frau Dağdelen, durchaus recht geben will, dass wir den Braindrain auf jeden Fall diskutieren müssen, müssen Sie einsehen, dass diese offenen
Stellen nicht besetzt werden können und dass wir den
Unternehmen die Möglichkeit geben müssen, sie zu besetzen.
({5})
Denn Arbeit zieht auch immer Arbeit nach sich. Das ist
doch kein Kuchen, den wir auf eine Anzahl von Menschen verteilen, sondern das ist ein dynamischer Prozess.
Zuwanderung heißt auch offene Gesellschaft; Zuwanderung heißt Bereicherung der Gesellschaft und der Wirtschaft.
({6})
Und Zuwanderung von Fachkräften heißt auch, neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist das, was wir Grünen
wollen.
({7})
Was ich in dieser Debatte überhaupt nicht einsehe, ist,
wenn wir anfangen, Dinge gegeneinander auszuspielen,
wenn beispielsweise gesagt wird: Ausländische Fachkräfte in dieses Land zu holen, bedeutet im Umkehrschluss, dass für deutsche Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nichts getan wird oder im Bereich der
Ausbildung nichts getan wird. - Das stimmt nicht. Wir
müssen auf jeden Fall beides tun. Wir werden ein Konzept zur umfassenden Bekämpfung des Fachkräftemangels wie auch zum Punktesystem vorlegen.
Aber wenn Sie immer nur etwas ankündigen, wie es
im Sommerloch Minister Brüderle getan und gesagt hat:
„Das ist doch super; wir gehen auf die 40 000 Euro herunter“, und nichts nachfolgt - ich sage Ihnen: Mit dieser
CDU werden Sie diese Maßnahmen nicht umsetzen können -, dann bleiben Sie eben bei der Ankündigung. Das
ist falsch.
Wir haben hier einen ganz klaren Vorschlag dazu gemacht, was Sie machen sollten. Stimmen Sie dem zu!
Das wäre richtig.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Stephan Mayer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist schön, dass die in
Deutschland derzeit aktuell geführte Debatte über den
Fachkräftemangel auch den Bundestag erreicht hat. Insoweit haben die beiden Vorlagen der Grünen schon einmal etwas Gutes. Sie haben vor allem auch deshalb etwas Gutes, weil dadurch die Möglichkeit besteht, diese
vielen Fehlinterpretationen, diese mannigfachen Fehldeutungen, die es gibt, aus der Welt zu schaffen und
- das möchte ich an der Stelle auch sagen - einem Informationsdefizit, das aus meiner Sicht teilweise auch in
der Wirtschaft vorhanden ist, abzuhelfen.
Es gibt unbestreitbar einen Fachkräftemangel in
Deutschland. Den kann man nicht negieren. Er ist in
manchen Branchen stark, in manchen weniger stark ausgeprägt. Es ist insbesondere auch zu befürchten, dass wir
einen noch stärkeren Fachkräftemangel bekommen werden.
Das liegt natürlich - das ist etwas Erfreuliches - an
der derzeitigen konjunkturellen Situation in Deutschland. Die Wirtschaft in Deutschland hat sich gut erholt,
ist gut aus der Krise herausgekommen. Wir sind wieder
die wirtschaftliche Lokomotive in Europa. Es ist ein
schönes Zeichen, dass heute bekannt gegeben werden
konnte, dass die offizielle Arbeitslosenzahl in Deutschland endlich wieder unter 3 Millionen liegt. Wir haben
mittlerweile so wenige Arbeitslose wie seit 1992 nicht
mehr. Das ist den Unternehmen und den vielen fleißigen
Arbeitnehmern geschuldet, aber auch - das möchte ich
sagen - der sehr umsichtigen und weisen Politik der
christlich-liberalen Koalition, die diesen Aufschwung
begleitet und unterstützt hat.
({0})
Die Frage ist jetzt, wie wir mit diesem Fachkräftemangel umgehen. Die Antwort, die manche jetzt geben:
Stephan Mayer ({1})
„Macht die Türen auf und lasst ausländische Fachkräfte
hinein!“, ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen.
({2})
Wir brauchen natürlich auch die Zuwanderung aus
dem Ausland, das ist unbestreitbar. Liebe Kollegen von
den Grünen, aber auch hier sollten wir uns mit den Fakten beschäftigen. Es sind im letzten Jahr - wie gesagt:
Krisenjahr 2009 - insgesamt 89 713 Arbeitsgenehmigungen für Ausländer in Deutschland erteilt worden.
Wie viele Ablehnungen gab es? 12 258. Der Großteil
von Anträgen, die von deutschen Unternehmen gestellt
worden sind, ungefähr 90 Prozent, ist also positiv beschieden worden. In der Debatte ist auch schon darauf
hingewiesen worden: Auch unter Berücksichtigung der
Einkommensgrenze gibt es die Möglichkeit der Vorrangprüfung. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Die Große
Koalition hat mit der Verabschiedung des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes aus meiner Sicht den richtigen
Schritt getan, indem sie zum 1. Januar 2009 die Einkommensgrenze von 85 000 Euro auf 66 000 Euro gesenkt
hat. Ich halte eine weitere Senkung auf 40 000 Euro für
- das sage ich in aller Offenheit - ausgesprochen bedenklich, weil die infrage kommenden Arbeitnehmer aus
meiner Sicht keine hochqualifizierten sind. Gerade von
der linken Seite des Plenums wird uns immer wieder die
Forderung angetragen: Führt endlich den Mindestlohn
ein! Ich möchte sagen: Unsere Seite muss in Richtung
Wirtschaft die Forderung erheben: Liebe Wirtschaft, bezahlt die Menschen endlich ordentlich! Das ist der entscheidende Punkt.
({3})
BDI und BDA rufen jetzt laut: Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. - Wir sollten uns schon die
Aufgabe stellen - ich bin sehr unternehmerfreundlich -,
zu hinterfragen: Was ist eigentlich die Intention der
Wirtschaft? Der Wirtschaft geht es doch größtenteils
- auch hier muss man differenzieren - um günstige Arbeitskräfte
({4})
und nicht darum, hochqualifizierte Arbeitnehmer aus
dem Ausland zu bekommen. Das ist doch der eigentliche
Hintergrund dieser Forderung.
Es gilt, hinzuzufügen, dass es schon heute sehr ausdifferenzierte Regelungen gibt, nach denen ausländische Fachkräfte nach Deutschland kommen können.
Das gilt für EU-Ausländer ohnehin. Es ist schon erwähnt
worden: Zum 1. Mai nächsten Jahres herrscht die volle
Freizügigkeit für die Länder, die der EU 2004 beigetreten sind. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Vorrangprüfung. Wie ich ebenfalls bereits erwähnt habe,
sind 60 Prozent all derjenigen, die aus dem Ausland
nach Deutschland gekommen sind, nach einer erfolgreichen Vorrangprüfung nach Deutschland gekommen.
Diese Vorrangprüfung ist für die meisten in der Praxis
also überhaupt kein Problem. Dies muss einmal in aller
Deutlichkeit gesagt werden.
({5})
Uns sollte schon zu denken geben: Es gibt immer
noch 1,5 Millionen Deutsche zwischen 20 und 29, die
keinen Ausbildungsabschluss haben. Auch in diesem
Zusammenhang fordere ich von der Wirtschaft, noch
mehr dafür zu sorgen, dass auch diese 1,5 Millionen
Mitbürger ordentlich ausgebildet werden, also einen entsprechenden Ausbildungsabschluss machen können.
({6})
Nur die singuläre Forderung zu erheben, etwas dadurch
gegen den Fachkräftemangel zu tun, dass ein verstärkter
Zuzug aus dem Ausland gestattet wird, ist aus meiner
Sicht nicht der Weisheit letzter Schluss.
({7})
Der zweite Gesetzentwurf der Grünen beschäftigt
sich mit dem Thema Staatsangehörigkeit. Auch dies ist
ein wichtiges Thema. Ich bitte, auch hier zu sehen, dass
der Leitgedanke, den Sie von den Grünen verfolgen,
meines Erachtens grundsätzlich falsch ist. Sie gehen davon aus, dass dem in Deutschland unbestreitbar vorhandenen Problem, dass leider Gottes zu viele Ausländer
oder Menschen mit Migrationshintergrund nicht ordentlich integriert sind, dadurch abzuhelfen ist, dass wir ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit ausreichen. Die
deutsche Staatsangehörigkeit ist, wie es heute schon erwähnt wurde, mit Sicherheit ein Meilenstein in der Integrationshistorie eines Menschen. Ich sage aber auch
ganz deutlich: Das kann nur der letzte Meilenstein dieser
Integrationsgeschichte sein. Die Ausreichung der deutschen Staatsangehörigkeit kann und darf nur der Abschluss eines erfolgreichen Integrationsprozesses sein.
Deswegen halte ich es für vollkommen verfehlt, dass Sie
in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen, dass generell Mehrstaatlichkeit hingenommen wird, dass die Optionspflicht
abgeschafft wird, dass Einbürgerungstests abgeschafft
werden, dass über 54-Jährige dahin gehend privilegiert
werden, dass ihnen keine Sprachtests abverlangt werden.
Dies ist meines Erachtens der vollkommen falsche Weg.
Ich möchte eines zur Dämonisierung der Einbürgerungstests sagen: Fast 99 Prozent aller Ausländer, die
den Einbürgerungstest machen, schaffen ihn.
({8})
So schwer kann die Hürde Einbürgerungstest nun wirklich nicht sein, wenn knapp 99 Prozent all derjenigen,
die ihn machen, ihn auch tatsächlich bestehen. Ich
glaube, dieser Einbürgerungstest ist mit Sicherheit sachgerecht und keine Hürde im Einbürgerungsprozess im
Hinblick auf die Ausreichung der deutschen Staatsbürgerschaft.
Wir müssen peinlich genau darauf achten, dass die
deutsche Staatsbürgerschaft ein Privileg ist, das natürlich
auch mit entsprechenden Pflichten verbunden ist. Ich
Stephan Mayer ({9})
glaube, dass wir hier bisher den richtigen Weg gegangen
sind. Es geht nicht um soziale Selektion, sondern es geht
darum, klarzumachen, dass derjenige, der die deutsche
Staatsangehörigkeit erwerben will, etwas dafür tun
muss.
Deswegen halte ich den Grundansatz, der Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegt, nämlich vom Jus Sanguinis
zum Jus Soli überzugehen, für vollkommen verfehlt. Es
kann nicht angehen, dass ein Kind allein schon deshalb
die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, nur weil die
Eltern - das gilt auch für den Fall, dass sie selbst nicht
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen - über ein
Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen. Diesen jeglichen Verzicht auf Voraufenthalt halte ich für vollkommen verfehlt.
({10})
Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir diese Debatten
führen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Ausreichung der deutschen Staatsangehörigkeit als auch im
Hinblick auf die wichtige Frage, wie wir mit dem zunehmenden Fachkräftemangel in Deutschland umgehen.
Aber die Antworten, die hier von Ihrer Seite gegeben
werden, sind aus meiner Sicht vollkommen verfehlt. Der
Ansatz, den die Bundesregierung wählt, ist der richtige.
Es soll bis zur Sommerpause des nächsten Jahres ein
Konzept entwickelt werden, um insbesondere dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen. Ich glaube,
dass wir hier auf einem ordentlichen Weg sind.
Wir werden als christlich-liberale Koalition unseren
Auftrag weiterhin ernst nehmen und die Punkte, die wir
im Koalitionsvertrag festgelegt haben, behandeln. Dazu
gehört auch die Evaluierung des Optionsrechts, aber dies
wird frühestens im Jahr 2012 möglich sein. Das ist aber
ausreichend; denn erst im Jahr 2013 wird für die ersten
Optionspflichtigen die Frist ablaufen, innerhalb derer sie
sich entscheiden müssen. Die Forderung, jetzt die Optionspflicht aufzugeben, erfolgt vollkommen zur Unzeit.
Daher kann man Ihren Gesetzentwürfen nur eine klare
Absage erteilen. Diese bringen uns, was das Thema Integration und Bekämpfung des Fachkräftemangels betrifft,
in keiner Weise weiter. Ich kann also nur Ablehnung
empfehlen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der für mich etwas kürzer gewordenen Redezeit - das
bedaure ich nicht, weil Wichtiges von meiner Kollegin
Aydan Özoğuz gesagt worden ist - will ich ein wenig
das kommentieren, was die Debattenredner hier zum
Besten gegeben haben.
Ich würde gern am Anfang feststellen, dass ich den
Kollegen Hartfrid Wolff von der FDP, der sich dafür entschuldigt hat, dass er meinen Ausführungen hier nicht
mehr folgen kann, kaum beleidige, wenn ich sage: Bei
manchen seiner Ausführungen fühlte ich mich ein bisschen in eine Art unbezahlte Dichterlesung von Thilo
Sarrazins Werken versetzt.
Ansonsten ging es hier eher gemäßigt zu. Frau Kollegin Dağdelen, ich würde nur darum bitten, dass wir bei
den Dingen, bei denen wir einer Meinung sind, damit
aufhören, uns wechselseitig auseinanderzudividieren;
denn es macht keinen Sinn, die Grünen für einen Gesetzentwurf zu beschimpfen oder zu kritisieren, der im Ergebnis einige Dinge und Elemente enthält, die uns von
der linken Seite des Hauses miteinander verbinden. Darauf komme ich noch zurück. Denn wenn wir nicht nach
dem Motto fortfahren, dass uns Einigkeit und nicht Uneinigkeit starkmacht, bleibt das, was mit dem Begriff
von der herrschenden Klasse bezeichnet wird, bestehen.
Und das wollen wir alle nicht.
In der Sache geht es bei der Arbeitsmigration um erweiterte Möglichkeiten der Zuwanderung für qualifizierte Arbeitskräfte. Welche Möglichkeiten da heute
schon gegeben sind, hat der Kollege Scholz in ganz eindrucksvoller Weise noch einmal aufgezählt. Das war für
den einen oder anderen hier im Hause möglicherweise
sogar neu oder jedenfalls in dieser Deutlichkeit nicht
klar. Ich will gar nicht abschließend beurteilen, ob nicht
auch die Absenkung der Einkommensgrenze ein weiteres Element sein könnte, um die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte zu erleichtern. Wie gesagt: Ich will
das nicht abschließend beurteilen. Aber man kann sich
da sehr viel mehr vorstellen, Stichwort Bluecard und einige andere Dinge mehr.
Lassen Sie mich daher zur Frage der Staatsbürgerschaft kommen. Der Kollege Kilic hat recht, wenn er
sagt, dass es in Deutschland rund 5 Millionen Menschen
gibt, die eigentlich die Voraussetzung dafür erfüllten,
sich als Deutsche einbürgern zu lassen. 5 Millionen! Es
wäre ja schön, wenn sie es tun könnten, lieber Kollege
Brandt und lieber Kollege Grindel. Das Problem ist nur,
dass sich einige hier im Haus bemühen, möglichst hohe
Hürden aufzubauen, die verhindern, dass diese Menschen Anträge stellen, über die dann positiv entschieden
wird. Da gibt es zwischen uns einen ganz großen Unterschied im Grundverständnis. Das ist in allen Ihren Beiträgen deutlich geworden, auch in dem Beitrag von
Herrn Dr. Schröder.
Sie sagen, dass für Sie die Einbürgerung sozusagen
der krönende Abschluss der Integration ist.
({0})
Wir sagen hingegen - selbst Herr Tören hat das angedeutet -, dass sie ein Meilenstein, ein wichtiger Zwischenschritt für Integration ist. Wir müssen doch unsererseits den Menschen, die hier bei uns leben, ein
Angebot machen, um ihnen gegenüber zum Ausdruck zu
bringen: Natürlich freuen wir uns darüber, wenn ihr als
deutsche Staatsbürger an der Gestaltung dieses Gemeinwesens mitwirkt. Dazu wollen wir die Voraussetzungen
schaffen.
Das ist doch das Problem. Wenn nur 80 000 Menschen im Jahr von der Möglichkeit zur Einbürgerung
Gebrauch machen, muss uns dies angesichts einer Zahl
von 5 Millionen Menschen, die das tun könnten, alarmieren; denn es verdeutlicht, dass hier irgendetwas nicht
stimmen kann. Vor diesem Hintergrund kann man nicht
davon reden, dass wir hier eine Willkommenskultur hätten. Vielmehr haben wir uns zum Teil sozusagen bemüht, möglichst viele Hindernisse aufzubauen, die verhindern, dass die Einbürgerungsverfahren zügig und mit
Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden können.
({1})
Ein ganz wichtiger Grund für den Rückgang der Zahl
der Einbürgerungsverfahren ist ganz offensichtlich, dass
wir ein Verbot der Mehrfachstaatigkeit haben.
({2})
Dieses Zugeständnis hat Rot-Grün, damit die Staatsbürgerschaftsreform überhaupt im Bundesrat durchgehen
konnte, der FDP leider machen müssen. Deswegen haben wir uns auch auf das Optionsmodell eingelassen,
von dem übrigens - das richtet sich an Herrn Mayer und
andere, die davon gesprochen haben - schon seit dem
Jahr 2008 die ersten Betroffenen Gebrauch machen können und unter Umständen auch müssen.
Herr Grindel, das ist eben nicht das Einzige, was wir
von ihnen verlangen. Wenn wir heute jemandem sagen:
„Du bist zwar geborener Deutscher; jetzt musst du aber
die Staatsbürgerschaft deiner Eltern aufgeben, damit du
auch Deutscher bleiben kannst“, dann ist das ein ganz
wesentliches Element dafür, dass er unter Umständen
daran gehindert wird, weiterhin deutscher Staatsbürger
zu sein. Wir halten das für verkehrt.
Etwa 51 Prozent werden heute schon unter Hinnahme
von Mehrstaatigkeit eingebürgert. Wenn Sie es mit der
Integration wirklich ernst meinen - ich will Ihnen da
nicht allen den guten Willen absprechen -, dann müssen
Sie wenigstens die staatlich verordneten Hindernisse im
Staatsbürgerschaftsrecht und im Aufenthaltsrecht beseitigen. Dann kann dieses Integrationsangebot auch entsprechend wahrgenommen werden.
Dazu gehören nicht nur die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen, und eine entsprechende Willkommenskultur. Dazu gehört auch - gestern hatten wir dazu eine
Anhörung im Innenausschuss - eine vernünftige Altfallund Bleiberechtsregelung für Menschen, die seit vielen
Jahren in Deutschland nur geduldet werden, also auf
Koffern leben. An dieser Stelle geht es darum, Kindern
und Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind und zum
Teil in Deutschland geboren wurden, zu signalisieren:
Ihr dürft hierbleiben; ihr habt hier eine Perspektive; ihr
könnt euch bei uns integrieren. Wenn ihr in der Schule
lernt, wenn ihr eure Ausbildung macht, wenn ihr einen
Beruf ergreift und wenn ihr euch selber ernähren könnt,
dann gibt es hier eine Perspektive für euch und eure Familien.
({3})
Daran müssen wir arbeiten. Wir dürfen uns nicht auf
Symbolpolitik beschränken, sondern wir brauchen ernsthafte Veränderungen, um die Ursachen für Desintegration, die wir in Deutschland haben, zu beseitigen. Dazu
sind wir hier in erster Linie gefordert. Das sollten auch
Sie langsam einsehen. Es wäre gut, wenn Sie sich etwas
in diese Richtung bewegen könnten.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Bezüglich des Zusatzpunktes 3 wird interfraktionell
Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/3411
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe, dass das der Fall ist. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Beim Zusatzpunkt 4 kommen wir nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/3241, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3039 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Dafür hat die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthalten haben sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Umsetzung
der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie
- Drucksachen 17/1720, 17/1803, 17/2472,
17/3037, 17/3312 Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael Meister
Wird das Wort zur Berichterstattung oder für Erklärungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir unmittelbar zur Abstimmung.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/3312? - Wer
ist dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak7256
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
tionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
({1})
- Frau Kollegin, wir entscheiden. - Ich darf Ihnen nach
Rücksprache mitteilen, dass im Präsidium die Meinung
hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses nicht einheitlich ist und dass wir deshalb die Notwendigkeit sehen,
die Stimmen auszuzählen. Sie alle wissen, was das bedeutet: Sie dürfen jetzt den Saal verlassen, und beim
Wiederbetreten werden die Stimmen ausgezählt.
Nachdem sich der Saal geleert hat, frage ich: Sind
jetzt an jeder Tür Schriftführer? - Das ist der Fall. Dann
eröffne ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis liegt mir zur Minute noch nicht
vor, aber es kann sich nur noch um Sekunden handeln.
Nun darf ich Ihnen das Ergebnis dieser Abstimmung
bekannt geben: Mit Ja haben gestimmt 294, mit Nein
222. Enthaltungen gab es keine.
({2})
Damit ist die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun haben wir noch
eine ganze Reihe von Abstimmungen vor uns. Um diese
konzentriert abwickeln zu können, bitte ich Sie, soweit
Sie an der Abstimmung teilnehmen wollen, Platz zu neh-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkt 33 a bis 33 n sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 d auf:
33 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Zusatzprotokoll vom 28. Januar 2003 zum
Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität
betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art
- Drucksache 17/3123 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({3})-
Innenausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des
Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und
Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November
2001 über Computerkriminalität betreffend
die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer
und fremdenfeindlicher Art
- Drucksache 17/3124 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({4})-
Innenausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. März 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Französischen Republik
über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit im Luftraum bei Bedrohungen durch
zivile Luftfahrzeuge
- Drucksache 17/3125 Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss ({5})-
Innenausschuss-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung
({6})
- Drucksachen 17/3360, 17/3441 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit ({7})-
Innenausschuss-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Arbeit und Soziales-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung des Post- und Telekommunikationssicherstellungsrechts und zur Änderung
telekommunikationsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 17/3306 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})-
Innenausschuss-
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung des Freihafens Hamburg
- Drucksache 17/3353 -
Überweisungsvorschlag:-
Finanzausschuss
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stipendienprogramm-Gesetzes
({9})
- Drucksache 17/3359 -
Überweisungsvorschlag:-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz
und zur Änderung weiterer Vorschriften
- Drucksache 17/3356 -
Überweisungsvorschlag:-
Rechtsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Auch Verletztenrenten von NVA-Angehörigen
der DDR anrechnungsfrei auf die Altersrente
stellen
- Drucksache 17/3217 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10})-
Innenausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Memet Kilic, Viola von CramonTaubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschiebungshaft auf dem Prüfstand - Europäische Rückführungsrichtlinie umsetzen
- Drucksache 17/2139 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({11})-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Smiley-Kennzeichnungssystem bundesweit
verbindlich einführen
- Drucksache 17/3220 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({12})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
l) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit als politische Herausforderung
- Drucksache 17/3428 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({13})-
Auswärtiger Ausschuss-
Innenausschuss-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union-
Ausschuss für Kultur und Medien
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kirsten
Lühmann, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Logistikstandort Deutschland stärken Transport- und Güterverkehr nachhaltig gestalten
- Drucksache 17/3430 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({14})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Arbeit und Soziales-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Haushaltsausschuss
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
20 Jahre Büro für Technikfolgenabschätzung
beim Deutschen Bundestag - Ein gelungenes
Beispiel und internationales Modell für den
Austausch von Wissenschaft und Politik
- Drucksache 17/3414 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({15})-
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung-
Auswärtiger Ausschuss-
Finanzausschuss-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Gesundheit-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union-
Haushaltsausschuss
ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön
({16}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Paul K. Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia
Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kinderfreundliche Nachbesserung der EUSpielzeugrichtlinie dringend erforderlich
- Drucksache 17/3424 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({17})Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({18})-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Gesundheit-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union-
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Spekulation mit agrarischen Rohstoffen verhindern
- Drucksache 17/3413 7258
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})-
Finanzausschuss-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Lebensmittel-Smiley nach dänischem Vorbild
bundesweit einführen
- Drucksache 17/3434 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Gesundheit-
Ausschuss für Tourismus
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({2}), Volker Beck ({3}),
Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung der Visumspflicht für Albanien
und Bosnien und Herzegowina
- Drucksache 17/3438 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({4})InnenausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Zunächst kommen wir zu den unstrittigen Überweisungen. Das betrifft die Tagesordnungspunkte 33 a bis
33 n sowie die Zusatzpunkte 5 b bis 5 d.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen.
Zu dem Gesetzentwurf zur nachhaltigen und sozial
ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung - das betrifft den Tagesordnungspunkt
33 d - liegt inzwischen auf Drucksache 17/3441 die Gegenäußerung der Bundesregierung vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind diese
Überweisungen so beschlossen.
Nun kommen wir zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist. Das betrifft den Zusatzpunkt
5 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3424 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Strittig ist die Federführung. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Wir stimmen zunächst über den Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Überweisungsvorschlag ist damit abgelehnt. Die Oppositionsfraktionen waren für diesen Überweisungsantrag
und die Koalitionsfraktionen dagegen.
Nun stimmen wir ab über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, das
heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 l auf. Es
handelt sich dabei um Beschlussfassungen zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 34 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Marieluise Beck ({5}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010
- Drucksache 17/2412 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
- Drucksache 17/3126 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({7})Otto FrickeDr. Gesine LötzschAlexander Bonde
Der Haushaltausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3126, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2412 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der
SPD abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 34 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung - Wahlrecht der Wirtschaftsprüferkammer
- Drucksache 17/2628 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8})
- Drucksache 17/3467 Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Wicklein
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/3467, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/2628 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 34 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und des Kraftfahrsachverständigengesetzes
- Drucksachen 17/3022, 17/3035 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({9})
- Drucksache 17/3450 Berichterstattung:Abgeordnete Kirsten Lühmann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/3450, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/3022 und 17/3035 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon
- Drucksache 17/3118 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({10})
- Drucksache 17/3475 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Max LehmerElvira Drobinski-WeißDr. Erik SchweickertDr. Kirsten TackmannUlrike Höfken
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3475, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/3118 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({11}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Neunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 17/2822, 17/2971 Nr. 2.2, 17/3141 Berichterstattung:Abgeordneter Rolf Hempelmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3141, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/2822 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Humanitäre Hilfe ({12}) zu der Unterrichtung
Uganda: Entwurf eines Gesetzes über das Verbot von Homosexualität
Entschließung des Europäischen Parlaments
vom 17. Dezember 2009 zum Entwurf eines
Gesetzes über das Verbot von Homosexualität
in UgandaEuB-EP 2004; P7_TA-PROV({13})0119
- Drucksachen 17/859 Nr. A.13, 17/2960 Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Über diese Beschlussempfehlung stimmen wir nun ab. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 g bis
34 l.
Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 147 zu Petitionen
- Drucksache 17/3223 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 147 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 148 zu Petitionen
- Drucksache 17/3224 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 148 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 149 zu Petitionen
- Drucksache 17/3225 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 149 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 150 zu Petitionen
- Drucksache 17/3226 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 150 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 151 zu Petitionen
- Drucksache 17/3227 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 151 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion der
SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 152 zu Petitionen
- Drucksache 17/3228 -
Hierzu liegt eine persönliche Erklärung zur Abstim-
mung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen
Ilja Seifert vor1). Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? Gibt es Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 152 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2011 ({20})
- Drucksachen 17/3030, 17/3361 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({21})
- Drucksachen 17/3406, 17/3452 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({22})-
Otto Fricke-
Roland Claus-
Es liegen ein Änderungsantrag und ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der SPD sowie vier Ände-
rungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf
und den Änderungsantrag der Fraktion der SPD werden
wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind. Dann können wir so verfah-
ren.
1) Anlage 6
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Norbert Barthle für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({23})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Politik, so sagt unser Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble immer, beginnt mit der Betrachtung der Realitäten. Deshalb ist es vielleicht klug, uns zur abschließenden Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes nochmals zu
vergewissern, woher wir kommen, wo wir stehen und
wohin wir wollen.
Vor gut zwei Jahren hat uns die größte Finanz- und
Wirtschaftskrise in der Geschichte dieses Landes ereilt.
Wir haben darauf sehr schnell reagiert und noch in den
Jahren 2008 und 2009 zwei Nachtragshaushalte aufgestellt. Wir haben Schutzschirme für die Unternehmen,
für die Menschen und für die Banken gespannt. Wir haben Konjunkturprogramme aufgelegt. Wir haben die
Zahlung des Kurzarbeitergeldes verlängert. Mit einer
Reihe von Maßnahmen haben wir diese Krise bekämpft.
Das hat dazu geführt, dass wir 2009 noch unter Bundesfinanzminister Steinbrück eine Rekordneuverschuldung von 50 Milliarden Euro bekommen haben. Der
Haushaltsentwurf von Peer Steinbrück sah für dieses
Jahr eine Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro
vor.
Seit Finanzminister Wolfgang Schäuble das Ruder in
der Hand hält, haben wir begonnen, diese exorbitant
hohe Nettokreditaufnahme Schritt für Schritt abzubauen.
({0})
Wir haben ein Zukunftspaket mit einer mittelfristigen Finanzplanung für die kommenden Jahre vorgelegt und damit gezeigt, wie wir diese Verschuldung wieder zurückführen wollen.
({1})
Unsere Orientierung dabei sind die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sowie der Stabilitäts- und
Wachstumspakt der Europäischen Union. Das sind unsere beiden Leitlinien, die wir aber nur als Obergrenze
dessen interpretieren, was möglich ist. Wenn wir bessere
Abschlüsse erzielen können, streben wir dies selbstverständlich auch an.
({2})
Wo stehen wir jetzt? Deutschland ist die Konjunkturlokomotive in Europa. Innerhalb der G-7-Staaten haben
wir mit 3,4 Prozent das höchste Wachstum im Jahre
2010 zu verzeichnen. Wer hätte sich das Anfang des Jahres träumen lassen? Kein Mensch!
({3})
Das ist eine ausgesprochen positive Entwicklung. Wir
haben - das muss man immer wieder feststellen - einen
breiten und inzwischen auch nachhaltigen Aufschwung,
der mittlerweile Gott sei Dank auch bei der Binnenkonjunktur angekommen ist und dazu führt, dass der Arbeitsmarkt sich in einer ausgesprochen erfreulichen Art
und Weise entwickelt.
({4})
Verlorene Jobs kehren wieder zurück, und neue Jobs entstehen. Gerade dieser Tage haben wir erfahren, dass wir
erstmals seit 1992 - damals war der Kollege Kindler gerade bei der Einschulung ({5})
weniger als 3 Millionen - 2,9 Millionen - Arbeitslose
haben. Davon hat Rot-Grün immer nur geträumt. Wir
haben es tatsächlich erreicht.
({6})
Nun gibt es eine breite öffentliche Diskussion darüber, wer denn eigentlich der Vater dieses Erfolges ist.
Das wollen ja immer viele sein. In der Bild-Zeitung habe
ich gelesen, dass Herr Schröder, der Ex-Bundeskanzler,
für sich reklamiert, das sei nicht das Verdienst von
Angela Merkel, sondern das sei sein Verdienst. Niemand
will bestreiten, dass die Hartz-IV-Gesetze eine wichtige
Voraussetzung für das waren, was wir heute am Arbeitsmarkt erleben. Deshalb haben wir als Opposition diesen
Gesetzentwürfen damals auch teilweise zugestimmt.
Man reibt sich aber schon die Augen, wenn die Alleinherrschaft dafür in Anspruch genommen wird.
({7})
- Lieber Herr Poß, ich frage mich, wieso die SPD eigentlich so schändlich mit ihrem Übervater Willy Brandt
umgeht. Für ihn könnten Sie doch vielleicht auch noch
Anteile reklamieren.
({8})
- Dazu komme ich jetzt.
Wir sind jetzt in der schönen Situation, dass wir das
Jahr 2010 statt mit 80 Milliarden Euro, wie ursprünglich
vorgesehen, vermutlich mit circa 50 Milliarden Euro an
neuen Schulden abschließen werden.
({9})
Dadurch kommen wir in die glückliche Situation, nicht
nur in Europa, sondern sogar weltweit Vorbild zu sein.
Das hat sich auf der IWF- und Weltbanktagung in
Washington gezeigt. Andere sagen: Das, was Deutschland macht, ist die beste Voraussetzung für eine stabile
wirtschaftliche Entwicklung; denn durch gesunde Staats7262
finanzen wird Vertrauen in der Wirtschaft geschaffen,
und das ist die Voraussetzung für entsprechendes Wachstum. - Wir wurden dort von vielen beneidet.
({10})
Deshalb haben wir auch diesen Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes vorgelegt. Dieser Entwurf eines
Haushaltsbegleitgesetzes ist Bestandteil einer Gesamtstrategie dafür, wie wir den Haushalt des Landes wieder
auf starke Beine stellen. Es geht hier vor allem auch um
strukturelle Verbesserungen.
Wenn ich mir die Vorschläge der Opposition zu diesem Gesetzentwurf anschaue, von denen wir während
des parlamentarischen Verfahrens erfahren und gehört
haben, dann kann ich nur sagen: Es geht Ihnen nur um
mehr Ausgaben und mehr Einnahmen, aber nicht ums
Sparen.
Ich habe einmal den Antrag der Grünen mitgebracht,
den Sie im Haushaltsausschuss eingebracht haben. Darin
wird gefordert, alle Kürzungen, die wir im sozialen Bereich vorgenommen haben, wieder zurückzunehmen.
({11})
Außerdem wird gefordert, das Aufkommen aus der
Brennelementesteuer auf 3,7 Milliarden Euro zu erhöhen,
({12})
die Ermäßigung bei der Strom- und Energiesteuer wieder zurückzunehmen,
({13})
Steuerbefreiungen für energieintensive Prozesse ganz zu
beseitigen,
({14})
die Subventionierung der Steinkohlenförderung ganz zu
beenden - sagen Sie das einmal der Landesregierung in
NRW; schöne Grüße an die dortige Landesregierung -,
die Lkw-Maut zu erhöhen - das muss man dem Transportgewerbe sagen -, eine Kerosinsteuer und eine
Vermögensabgabe einzuführen, den Spitzensteuersatz
anzuheben usw. usf. Ich höre also nur etwas von Mehreinnahmen, Mehreinnahmen, Mehreinnahmen und
Mehrausgaben. Von Sparen ist keine Rede.
({15})
Die Einzige, die in diesem Hause ernsthaft spart, ist die
christlich-liberale Koalition. Das muss wieder einmal
festgestellt werden.
({16})
Innerhalb dieses Gesetzgebungsverfahrens haben wir
an verschiedenen Punkten Korrekturen vorgenommen.
Ich will nicht mehr alle Bestandteile referieren, sondern
nur zwei, drei Schwerpunkte herausgreifen.
({17})
Bei der Ökosteuer und der Stromsteuer haben wir einige Korrekturen vorgenommen, um zu verhindern, dass
manche Betriebe so stark betroffen werden, dass Arbeitsplätze gefährdet werden, sodass womöglich Standortverlagerungen stattfinden. Das wollen wir nicht. Deshalb haben wir die entsprechenden Sätze verringert.
Wir haben auch beim Elterngeld Korrekturen vorgenommen, sodass künftig auch die ALG-II-Bezieher, die
zum Beispiel Minijobber sind, nach wie vor einen Anspruch auf Elterngeld haben. Auch die Aufstocker haben
nach wie vor einen Anspruch auf Elterngeld. Ich glaube,
das ist gerechtfertigt; denn sie tragen durch ihre berufliche Tätigkeit immerhin teilweise zu ihrem Lebensunterhalt bei und verzichten dann zugunsten eines Kindes auf
diesen Zuverdienst.
Daneben haben wir das Elterngeld für die Spitzenverdiener gestrichen.
({18})
Wer 250 000 Euro und mehr als Alleinstehender oder
500 000 Euro und mehr als gemeinsam Veranlagte verdient, bekommt kein Elterngeld mehr. Ich glaube, damit
haben wir ein deutliches Ausrufezeichen gesetzt, mit
dem wir darauf hinweisen, dass die soziale Balance dieses gesamtes Konzepts - ein Drittel der Einsparungen
durch Mehreinnahmen aus der Wirtschaft, ein Drittel
durch Einsparungen im eigenen Verwaltungsbereich und
ein Drittel durch Einsparungen im sozialen Bereich - gewahrt bleibt.
({19})
Die Architektur ist gut gewählt; das ganze Gebäude
steht.
({20})
- Herr Poß, wenn das ein Placebo ist, dann war Ihre Reichensteuer auch ein Placebo. Das sollten Sie sich einmal
überlegen. Wenn Sie das als Placebo bezeichnen, war
Ihre Reichensteuer genau das gleiche Placebo. Das wollen Sie wahrscheinlich ernsthaft nicht behaupten.
({21})
Ich will damit feststellen: Mit diesem Haushaltsbegleitgesetz machen wir den ersten Schritt hin zu einer
Konsolidierung unseres Haushaltes. Weitere werden folgen. Ich setze auf dann hoffentlich konstruktive Mitarbeit der Opposition und bitte um Zustimmung zu diesem
Gesetz.
Danke.
({22})
Das Wort hat nun die Kollegin Bettina Hagedorn für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollege Barthle, die Art und Weise, wie Sie sich
hier, ich will einmal sagen: ein Stück weit selbstgefällig
für die wirklich hervorragenden Zahlen der Arbeitslosen
gefeiert haben und dabei überhaupt nicht dazu stehen,
dass das das Ergebnis der gemeinsamen Politik der Großen Koalition ist, ist erwähnenswert. Es ist so, dass Sie
bei der Neuverschuldung - bei einem unterstellten Arbeitslosenstand von 4,6 Millionen -, die noch 2009 mit
86 Milliarden Euro angenommen werden musste, nicht
durch Sparen auf jetzt möglicherweise 50 Milliarden
Euro herunterkommen, sondern vor allen Dingen dadurch, dass die Konjunktur brummt. Das ist das Ergebnis
unserer gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik, des Kurzarbeitergeldes und der Konjunkturpakete. Darauf können
wir gemeinsam stolz sein. Das hat aber mit dieser neuen
Koalition nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({0})
Das alles war aber am Thema vorbeigeredet; denn wir
debattieren ja das Haushaltsbegleitgesetz. Darin ist das
sogenannte Sparpaket verpackt. In Wahrheit ist es ja ein
Kürzungspaket von round about 80 Milliarden Euro in
den nächsten vier Jahren. Dieses Paket ist Etikettenschwindel pur. In Wahrheit setzen Sie von Schwarz-Gelb
nämlich mit Ihrer heutigen Zustimmung zum Haushaltsbegleitgesetz lediglich die Giftliste mit Kürzungen fast
ausschließlich im Bereich Arbeit und Soziales um. Sie
machen genau das kaputt, was zu den Ergebnissen auf
dem Arbeitsmarkt geführt hat, die wir gemeinsam erreicht haben und auf die wir stolz sein können.
({1})
Das, was Sie im Gegenzug angeblich bei den Unternehmen und den Besserverdienenden einsammeln, sind
Luftbuchungen. Das hat bestenfalls einen Placeboeffekt,
der vor allen Dingen Ihre unverhohlen umgesetzten
Klientelinteressen kaschieren soll.
({2})
Sie verursachen mit Ihren Kürzungen von über 30 Milliarden Euro bis 2014 einen verheerenden, irreparablen
Kahlschlag nicht nur bei der Arbeits- und Sozialpolitik.
Dieser Kahlschlag trifft gleichzeitig den vermeintlichen
Tabubereich Bildung knallhart zulasten all jener, die erhöhten Förderbedarf haben, um Chancen in einem sich
öffnenden Arbeitsmarkt mit erkennbarem Fachkräftemangel erfolgreich zu ergreifen.
Ihr vermeintliches Sparpaket ist in Wahrheit eine
volkswirtschaftlich unsinnige Kürzungsorgie, bei der
nicht gespart wird, sondern Lasten in die Zukunft verschoben werden, und bei der Menschen die Chancen genommen werden. Sie beweisen einmal mehr, dass Sie
keinen Kompass für soziale Gerechtigkeit oder auch nur
christlichen Anstand haben.
({3})
2011 kürzen Sie unter dem verharmlosenden Stichwort „Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen“ 2 Milliarden Euro allein bei den Arbeitslosen, vor
allen Dingen bei den Langzeitarbeitslosen. Ab 2012 kürzen Sie dort schon die doppelte Summe und 2013 und
2014 sogar jeweils 5 Milliarden Euro. Das ist summa
summarum die atemberaubende Summe von 16 Milliarden Euro in nur vier Jahren. Da bleibt in den Jobcentern
kein Stein mehr auf dem anderen.
Was heißt das alles, was Sie machen, konkret? Sie
kürzen gnadenlos bei der Umschulung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen, das heißt auch - trotz aller Lippenbekenntnisse von Frau von der Leyen - zulasten von Alleinerziehenden und ihren Kinder und trotz
aller Sonntagsreden dieser Regierung zum Thema Integration zulasten von Migranten. Sie kürzen damit trotz
aller Studien und Warnungen vor dem Fachkräftemangel
bei Jugendlichen ohne Schulabschluss und trotz aller Erkenntnisse zum demografischen Wandel bei Älteren mit
erhöhtem Aus- und Weiterbildungsbedarf.
Diese Kürzungsorgie wird mit Sicherheit sogar die
Förderchancen von Menschen mit Behinderung treffen,
weil die astronomischen Kürzungssummen, die Sie hier
kurzfristig erreichen wollen, vor allen Dingen dort zu
holen sind, wo Maßnahmen aus gutem Grund zunächst
einmal viel Geld kosten, damit etwas langfristig und
nachhaltig Gutes für Betroffene und die Gesellschaft daraus erwachsen kann.
({4})
Dieser Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes ist der
in Zahlen gegossene Beleg dafür, dass Sie von SchwarzGelb offenbar das Ziel verfolgen, die soziale Schieflage
einerseits zulasten der benachteiligten Menschen und andererseits zulasten strukturschwacher Regionen und verarmender Stadtstaaten in unserem Land dramatisch zu
verstärken.
({5})
Sie streichen beim Übergangsgeld für Arbeitslose und
damit bei der Lebensleistung von Menschen, die lange
hart gearbeitet haben und in der Krise häufig genug völlig ohne ihre Schuld arbeitslos geworden sind und jetzt
in Hartz IV zu rutschen drohen. Sie kürzen das Elterngeld bei den Familien im ALG-II-Bezug, und zwar ganz
überwiegend bei Alleinerziehenden. 40 Prozent aller Alleinerziehenden in Deutschland leben im Arbeitslosengeld-II-Bezug. Diese Menschen werden selbstverständlich von der Kürzung des Elterngeldes mit betroffen.
({6})
Der Heizkostenzuschuss trifft gerade Familien und
Rentner. Er trifft ungefähr 800 000 Wohngeldempfängerhaushalte in Deutschland mit einem durchschnittlichen Einkommen von 800 Euro. Da kürzen Sie.
Die SPD hat Anträge vorgelegt, in denen sie fordert,
all diese Kürzungen im sozialen Bereich rückgängig zu
machen. Sie haben das abgelehnt. Wir werden heute
Abend im Haushaltsausschuss die Anträge zum Haushalt
erneut vorlegen. Wir wollen Kürzungen in Höhe von
4 Millionen Euro rückgängig machen. Behaupten Sie
nichts Falsches: Wir werden das sauber und solide gegenfinanzieren. Denn selbstverständlich wollen auch wir
die Schuldenbremse einhalten und aus Verantwortung
gegenüber den nächsten Generationen nicht mehr Geld
ausgeben.
Die Frage ist allerdings nicht, ob gespart wird - denn
wir sind uns darin einig, dass gespart werden muss -,
sondern wie, wo und zu wessen Lasten.
({7})
Herr Barthle, Sie haben gesagt, der erste wichtige
Punkt sei die Betrachtung der Realität. Ich habe Ihnen
eine Karte mitgebracht, die Sie kennen. Sie war Gegenstand der Anhörung des Haushaltsausschusses zum
Haushaltsbegleitgesetz. Diese Karte macht farblich deutlich, wie die sozialen Kürzungen, die Sie mit dem Haushaltsbegleitgesetz beschließen wollen, regional wirken.
Alles, was auf der Karte gelb ist - das sind in erster Linie
Baden-Württemberg und Bayern -, sind die Regionen,
die fast gar nicht betroffen sein werden. Der dunkelrote
Teil zeigt, dass Sie nur vier Wochen nach dem 20. Jahrestag der deutschen Einheit eine unsichtbare Mauer der
sozialen Kälte neu errichten. Das ist genau zu sehen.
Aber auch im Norden und Westen gibt es strukturschwache Bereiche, wo sich das Paket regional verheerend auswirken wird.
({8})
Ich will Ihnen sagen, wie ungerecht das Paket regional
wirkt. Mecklenburg-Vorpommern wird mit 82 Euro pro
Einwohner doppelt so stark wie der Durchschnitt belastet. In Bayern sind es nur 21,88 Euro pro Einwohner. Die
Stadtstaaten sind Verlierer. Betroffen ist vor allem Berlin
mit knapp 100 Euro pro Einwohner. Aber auch Bremen
und Hamburg müssen richtig bluten.
In Eichstätt in Bayern betragen die Kürzungen nur
1,77 Euro pro Einwohner. In der Uckermark bzw. in
Brandenburg sind es 105 Euro.
Die Toppverlierer sind, regional betrachtet, Berlin,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen, Bremen und Thüringen mit massiven
Kürzungen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Aber auch diejenigen
- mein Kollege Carsten Schneider wird mir sicherlich
nachsehen, dass ich das noch sage -, die fast ungeschoren davonkommen wie Bayern, werden in den nächsten
vier Jahren viel Geld durch das Paket verlieren. Für Bayern sind es 2,4 Milliarden Euro, für Baden-Württemberg
2,2 Milliarden Euro, für Hessen 1,5 Milliarden Euro, für
Niedersachsen 2,27 Milliarden Euro, für NordrheinWestfalen 5,6 Milliarden Euro, für Sachsen 1,8 Milliarden Euro und für Mecklenburg-Vorpommern und
Schleswig-Holstein 850 Millionen Euro in vier Jahren.
Das alles beschließen Sie mit Ihrem Sparpaket und
Ihrem Haushaltsbegleitgesetz. Damit verschärfen Sie die
soziale Ungerechtigkeit auch regional und bei den Menschen. Das ist unverantwortlich.
({0})
Was Sie machen, ist keine zukunftsfähige Politik. Sie
werden damit Ihrer Verantwortung nicht gerecht.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Keiner spart mit heißem Herzen.
Keiner macht das gerne.
({0})
Aber wer vernünftig ist, spart zur rechten Zeit und sorgt
in guten Zeiten für schlechte Zeiten vor.
({1})
Das ist das, was diese Koalition mit dem Haushaltsbegleitgesetz in einem ersten Schritt umsetzt.
({2})
Mit dem Haushalt wird der zweite Schritt folgen. Sie
werden sehen, dass sich all Ihre Vorwürfe und all Ihr Reden über Luftbuchungen nicht bewahrheiten, sondern
dass dieser Haushalt das einhält, wozu uns die Schuldenbremse in Bund, Ländern und Kommunen verpflichtet,
nämlich zum vernünftigen Sparen. Unser Sparen ist
nichts Negatives; denn es ist ausgeglichen.
({3})
Wir sparen auf allen Ebenen. Der linken Seite dieses
Hauses fällt es schwer, das in der Realität anzunehmen.
({4})
Ich sage den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder:
Wer Ihnen vonseiten der Politik weismachen will, man
könne sparen, ohne Dinge zu tun, die wehtun, sollte sich
fragen, ob es ihm persönlich möglich ist, zu sparen, ohne
dass etwas Unangenehmes passiert.
({5})
Niemand nimmt gerne in einer sozialen Marktwirtschaft Veränderungen und Klarstellungen im sozialen
Bereich vor.
({6})
Der Vorwurf, es handele sich um ein unsoziales Haushaltsbegleitgesetz und Lobbyismus, ist schlichtweg
({7})
die alte Leier, die Sie seit einem Jahr anstimmen. Sie
verneigen sich immer nur vor Ihren eigenen Worten, anstatt auf die Zahlen zu achten. Frau Kollegin Hagedorn,
bei den Fragen, wohin die Reise in diesem Land geht
und was Spaltung ist, kommt es darauf an - das ist ein
wesentlicher Punkt -, dass Arbeitslosigkeit abgebaut
wird. Das findet doch statt. Daher sollte man nicht versuchen, anhand von Schaubildern zu zeigen, dass wir weiter spalten wollen. Es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete dieses Bundestages, dafür zu sorgen, dass es diesem
Land insgesamt besser geht. Man muss feststellen, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland an der Spitze des
Wachstums befindet. Wenn Ihre Argumentation stimmig
wäre, wir machten alles schlecht, dann hieße das, dass es
in Deutschland ein Wachstum von 6 Prozent ohne diese
Koalition gäbe. Das glaubt Ihnen doch keiner.
({8})
Das jetzige Wachstum ist ein Verdienst aller Deutschen:
der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, aber auch dieser
Koalition. In diesem Zusammenhang ist auch die Ankündigung zu sehen, dass wir bereit sind, zu sparen. Das
gehört einfach dazu. Das sollten Sie ehrlicherweise sagen.
({9})
Was wir machen, ist sozial. Schauen Sie sich nur die
Sozialquote an! Ich frage die Bürgerinnen und Bürger
immer wieder: Wie viel Prozent des Bundeshaushaltes
gibt dieser Staat in den nächsten Jahren für Soziales aus?
Gibt er prozentual gesehen für Soziales mehr oder weniger als unter Rot-Grün aus?
({10})
Da Schwarz-Gelb prozentual gesehen mehr ausgibt als
Rot-Grün, sollte man den Vorwurf des Unsozialen
hintenanstellen, auf die Zahlen schauen und bei diesen
bleiben und nicht auf irgendein Bauchgefühl vertrauen.
Das ist ganz gefährlich.
({11})
Wenn sich das Gehirn irgendwann im Bauch befindet
und man es verdaut hat, dann bleibt von Ihrer Argumentation nichts mehr übrig.
({12})
Wie begründen Sie, dass unsere Politik unsozial ist,
angesichts der Tatsache, dass das Sparpaket 2 Milliarden
Euro zusätzlich für die GKV - nicht für die privaten
Krankenkassen - im Vergleich zu dem, was Sie beschlossen haben, vorsieht?
({13})
Wie begründen Sie, dass wir unsozial sind, angesichts
der Tatsache, dass wir - daraufhin hat der Kollege
Barthle schon hingewiesen - Aufstockern und 400-EuroJobbern weiterhin Elterngeld gewähren?
({14})
- Genau, wow! Das ist komisch, nicht wahr? - Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben eben die Alleinerziehenden
angesprochen. Wem helfen wir besonders? Den Alleinerziehenden! Sie sagen zuerst, dass das, was wir machen, schrecklich sei, und dann - darin besteht der Widerspruch -, wenn wir es machen, dass das nicht so
wichtig sei.
({15})
Für uns ist jede Unterstützung, die wir geben können,
wichtig. Für uns ist aber auch jede einzelne Million - wir
fangen nicht erst im dreistelligen Millionenbereich an -,
die wir einsparen können, wichtig;
({16})
denn das befähigt uns, den Generationenvertrag und die
Verfassung einzuhalten, die uns zum Sparen verpflichtet.
({17})
Als es dann dazu kam, dass Sie Ihre Alternativen darstellen sollten, sind Sie - wie immer - kein einziges Mal
konkret geworden, weil Sie genau wissen, dass Sie das
nicht bringen können, weil Sie genau wissen, dass Ihre
Alternative die Alternative ist, die Sie uns in NRW zeigen, nämlich die Verschuldung zu erhöhen, oder weil die
andere Alternative wäre, die Steuern anzuheben. Etwas
anderes gelingt Ihnen nicht.
({18})
Diese Koalition spart in der Zeit, damit wir in der Not
etwas haben. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es diesem Land schlechter geht, immer geringer wird. Machen Sie doch einfach mit, und
gehen Sie nicht nur nach Ihrem Bauch, sondern gehen
Sie nach Zahlen und dem Verstand. - Herzlichen Dank.
({19})
Für die Fraktion die Linke spricht nun der Kollege
Roland Claus.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Weil nicht selbstverständlich verständlich sein
kann, was ein Haushaltsbegleitgesetz denn so ist, zunächst die Antwort auf die Frage: Was steht da drin? Es
handelt sich um ein Gesetz, in dem die Balance von Einnahmen und Ausgaben des Bundes geregelt wird, also
Einnahmen als Steuern und Abgaben, Ausgaben als Sozialleistungen, Zinsen, Verwaltung und Investitionen.
Oder wenn man es einmal ganz einfach und verständlich
sagen möchte - für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer -: Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein neues
Auto kaufen. Dann haben Sie mit zwei Fragen zu tun.
Sie überlegen sich: Wo kann ich sparen, und bei welcher
Tante kann ich noch etwas abfassen? Auf diese Weise
habe ich Sie in die Geheimnisse von Haushaltsbegleitgesetzen eingeführt.
Nun kann man die gestellten Fragen gut oder schlecht
beantworten. Das Haushaltsbegleitgesetz, das uns hier
vorliegt, gibt die denkbar schlechtesten und untauglichsten Antworten auf diese einfachen Fragen. Deshalb kann
es nicht unsere Zustimmung finden.
({0})
Dieses Gesetz vertieft die soziale Spaltung der Gesellschaft, es missachtet die Situation im Osten und in strukturschwachen Regionen, und es entmündigt die Kommunen. Es ist auch in vielen weiteren Punkten, auf die ich
gar nicht im Einzelnen eingehen möchte, gründlich
missraten.
Nun hat Bundesminister Schäuble dieses Gesetz immer mit der Begrifflichkeit eingeführt, die Bundesregierung hätte mit diesem Gesetz einen Wendepunkt hin zur
Haushaltskonsolidierung eingeleitet. Wenn Sie es nicht
ganz so dicke gemacht hätten, wäre unsere Kritik jetzt
nicht so scharf. Aber wenn man einmal zusammenrechnet, was Sie in dieser Legislaturperiode an Neuverschuldung zusammenbringen, dann werden es - auch wenn
Sie noch so optimistisch rechnen - über 200 Milliarden
Euro Neuverschuldung sein. Das ist keine Wende zum
Besseren, das ist eine Rolle rückwärts und vor allen Dingen eine Irreführung der Öffentlichkeit, die wir nicht
mitmachen.
({1})
Stichwort soziale Spaltung: Der Beitrag zur Rentenversicherung bei Hartz-IV-Empfängern soll wegfallen.
Das ist nicht nur eine weitere vorprogrammierte Altersarmut, das ist, wenn man es sich genau anschaut,
({2})
auch ein Betrag, der in der Rentenkasse bei allen Rentenbezieherinnen und Rentenbeziehern fehlen wird.
({3})
Das Elterngeld bei Hartz-IV-Empfängern soll wegfallen. Nun trifft Sie die Kritik und man könnte denken, die
Koalition neige zu großen kreativen Änderungen vor
dem Hintergrund dieser Kritik. Aber was macht
Schwarz-Gelb? Schwarz-Gelb vollzieht die Flucht in
den maximal möglichen Populismus, indem Sie sagen:
„Kein Elterngeld für Superreiche!“, und das gewissermaßen als ausgleichende Gerechtigkeit darstellen. Fakt
ist doch, mit dem Vorschlag erreichen Sie etwa 1 000 superreiche Paare, und auf der anderen Seite werden über
130 000 mit einer Einkommensminderung in Höhe eines
Viertels bedacht. Das ist zynisch, das ist Rosstäuscherei,
erst recht vor dem Hintergrund dieser 5-Euro-Hartz-IVErhöhung.
({4})
Ich sage Ihnen einmal eines: Wenn mir vor zwei Wochen ein Kabarettist im Fernsehen mit dieser Idee gekommen wäre, ich hätte zu dem gesagt: Auf so viel
Quatsch wird auch Schwarz-Gelb nicht kommen.
({5})
Ich muss sagen, ich hätte mich getäuscht, Sie sind auf so
viel Quatsch gekommen. Satire ist in diesem Land wirklich schwer.
Im 20. Jahr der deutschen Einheit sagen Sie den Ostdeutschen: Ihr seid für das Tragen der Lasten durch die
Finanzwirtschaftskrise zuständig. Es ist schon gesagt
worden, etwa die Hälfte der Lasten trägt Ostdeutschland
und tragen die von sozialen Problemen betroffenen
Städte und Regionen. Aus den angesagten blühenden
Landschaften machen Sie zahlende Landschaften. Da
hat die Genossin Hagedorn von der SPD mit ihrer Kritik
vollkommen recht. Ich muss Sie nur daran erinnern: Die
Menschen in diesen Regionen und insbesondere im Osten haben nicht vergessen, wer die Agenda 2010 einst
auf den Weg gebracht hat.
({6})
Sie zerstören mit dieser Politik auch mutige und kreative Ansätze sowie die Suche nach neuen Entwicklungspfaden, die es in den neuen Ländern gibt. Wir haben
heute den ganzen Tag über die Einführung erneuerbarer
Energien gesprochen. Wir wollen, dass der Osten endlich als Chance begriffen wird, diese Republik zum Besseren zu verändern, und zwar in allen ihren Teilen.
Sie zerstören das kommunale Gemeinwesen. Sie
brauchen sich nur die Stellungnahme des Bundesrates
anzuschauen: Ihnen wird zu Recht vorgeworfen, Lasten
nach unten zu verteilen, ohne für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Angesichts dessen ist es so interessant,
dass der Widerstand gegen Ihre Haushaltspolitik inzwischen ein Widerstand ist, der nicht zuerst betriebswirtschaftliche Aspekte im Auge hat, der zuerst nicht haushaltspolitische Kritiken äußert, sondern der ganz
eindeutig das benennt, was hier stattfindet: Sie zerstören
das gesellschaftliche Gemeinwohl. Das kann nicht hingenommen werden.
({7})
Wäre ein besseres Haushaltsbegleitgesetz möglich?
Aber ja! Genau hier wäre der Platz gewesen, um Ansätze
für eine gerechte Lohn- und Einkommensteuerpolitik,
für eine Millionärsabgabe, für eine Finanztransaktionsteuer zu schaffen. Das alles trauen Sie sich nicht, und
stattdessen kommen Sie jetzt wieder mit der alten Leier
der Erhöhung der Tabaksteuer. Diese Steuer ist achtmal
erhöht worden, und das Ergebnis ist, dass das Steueraufkommen real nicht gestiegen, sondern gesunken ist. Ihre
Politik zerstört das Gemeinwesen. Sie schadet der Demokratie. Wir wollen eine bessere Gesellschaft und natürlich auch eine bessere Regierung.
({8})
Diese Regierung und vor allem die FDP versprechen
ein Steuersystem nach dem Prinzip „einfach, niedrig und
gerecht“. Dazu ist festzustellen: Einfach, niedrig und gerecht sind in diesem Lande nur die Umfragewerte der
FDP.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Koalition begeht heute den Tag des Lobbyisten. Wir
haben heute Morgen erlebt, wie Sie der Atomlobby die
Geschenke nachgetragen haben. Wir werden heute noch
erleben, wie Sie mit der Verabschiedung des Restrukturierungsgesetzes den Bankenlobbys hinterherrennen.
Wir werden dabei erleben, wie die Deutsche Bank auf
Kosten der Genossenschaftsbanken und der Steuerzahler
ein Rettungssystem präsentiert bekommt. Wir erleben
hier, wie ein Gesetz, das einmal als Haushaltsbegleitgesetz gestartet ist, als „Lobbybegleitgesetz“ ins Parlament
zurückkehrt.
({0})
Sie konkretisieren mit diesem Gesetz Ihr Sparpaket,
mit dem Sie angetreten sind, um der großen Herausforderung „Einhaltung der Schuldenbremse“ wenigstens
am Anfang ein kleines bisschen gerecht zu werden.
Schauen wir uns einmal an, womit Sie gestartet sind.
Sie sind mit einem Sparpaket gestartet, durch das soziale
und ökologische Gerechtigkeit abgebaut wurde, durch
das Belastungen einseitig auf die sozial Schwachen geschoben wurden. Das ist Ihr Ausgangspunkt, Ihr Sparpaket. Jetzt schauen wir uns einmal an, was aus den restlichen Teilen, bei denen es um die Verteilung von Lasten
auf starke Schultern ging, eigentlich geworden ist. Sie
haben angekündigt, sich mit Trippelschrittchen der
Frage des Subventionsabbaus zu nähern. Die Beratungen
dieses Gesetzes haben nichts anderes gezeigt, als dass
sich die Koalition beim Thema Subventionsabbau vom
Acker gemacht hat.
({1})
Sie haben keinen Mumm zum Subventionsabbau. Das
beweisen Sie mit den Änderungen, die Sie im Gesetzgebungsverfahren vorgenommen haben.
Sie trauen sich nicht, ein kleines Stück an die Frage
des Abbaus ökologisch schädlicher Subventionen heranzugehen. Das Einzige, was noch übrig ist, ist, dass Sie
Umgehungstatbestände beseitigen, die schon immer an
der Grenze zur Legalität waren.
({2})
Mit Verlaub, wenn man fast Kriminelle nicht mehr subventioniert, dann ist das noch kein Einstieg in einen Subventionsabbau. Da müssen Sie mehr machen, als immer
nur etwas in Ihren Parteiprogrammen zu verkünden.
({3})
Dann schauen wir uns an, was in den anderen Teilen
passiert ist: ökologischer Subventionsabbau - Fehlanzeige bei dieser Koalition. Sie haben stattdessen gesagt,
dass Sie das jetzt mit der Tabaksteuer ausgleichen.
Schon wenn man Ihrer Rechnung da glaubt, entsteht auf
einmal eine Lücke von 350 Millionen Euro. Das ist ganz
schlicht neue Verschuldung. Diese Verschuldung resultiert daraus, dass Sie mit diesem Gesetz vor den Lobbys
eingeknickt sind.
({4})
Ich weiß übrigens nicht, Kollege Fricke, woher Ihre
Ansage: „Generationengerechtigkeit - auf jede Million
Euro kommt es an“ kommt, die Sie hier gerade in Verteidigung eines Gesetzes abgelassen haben, mit dem Sie
den zukünftigen Generationen 350 Millionen Euro neue
Schulden auf den Tisch gelegt haben.
({5})
Sie sind zu feige, wenigstens ein kleines bisschen bei
dem Subventionsabbau tatsächlich einmal durchzuhalten, den Sie alle hier schon gemeinsam verkündet hatten.
Da Sie gerade dabei waren, haben Sie gleich noch
schnell die Kraft-Wärme-Kopplung richtig an die Wand
gefahren. Das war der zweite große Schlag gegen die
Stadtwerke, den Sie heute vollzogen haben. Sie haben
interessanterweise dort, wo es um die Schwachen in dieser Republik geht, nichts verändert. Das heißt, Sie grei7268
fen weiter in die Rücklagen der Rentenkasse, indem Sie
Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und Arbeitslosengeld-II-Empfänger in die Grundsicherung im Alter
schieben. Sie billigen den Leuten weniger Rente zu und
lassen die Kommunen hinterher zahlen. Haben Sie irgendetwas an dieser schreienden Ungerechtigkeit geändert? Nein, das haben Sie nicht. Und das ist bezeichnend
für diese Koalition.
({6})
Das zieht sich durch dieses Begleitgesetz. Jetzt kann
man sagen, dass man von Schwarz-Gelb nichts anderes
erwartet hat. Das stimmt wahrscheinlich sogar. Ich finde,
die richtige Schwierigkeit an dieser Stelle ist: Sie diskreditieren auch diesen wichtigen Prozess der Einhaltung
der Schuldenbremse, weil Sie alle wissen, dass das ein
Prozess ist, den man nur hinbekommt, wenn man ihn
breit abfedert und sich die Breite der Gesellschaft daran
beteiligt.
({7})
Es ist das große Versagen dieser Koalition, auch tatsächlich in eigenen Bereichen zu vermitteln, dass auch
die starken Schultern etwas tragen müssen. Man muss es
sich nur einmal ansehen: Die 1,8 Milliarden Euro, die
die Kürzung oder Streichung der Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger bedeutet, sind das Vierfache dessen, was starke Schultern in Ihrem Sparpaket
noch tragen. Das Vierfache dessen, was die starken
Schultern und die Wirtschaft in Ihrem Sparpaket tragen,
tragen die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger
alleine. Mehr als diese Relation braucht man Ihnen gar
nicht vorzuhalten.
({8})
Es ist schon interessant, wenn man sich dann anguckt,
wie einige Redner der Koalition hier sprechen. Wir
freuen uns alle darüber, dass die Konjunktur trotz dieser
Regierung im Moment gut läuft. Die Wirtschaft hat entschieden, dieses Chaos, das Sie veranstalten, auszublenden und ihren Job zu machen. Das ist auch die einzige
Art und Weise, wie man mit so einer Regierungsbilanz,
wie Sie sie vorlegen, produktiv umgehen kann. Wir erleben aber, dass Sie sich schon wieder hierhin stellen und
in dem nachlassen, was Ihre Aufgabe ist. Sie lassen nämlich nach in der Aufgabe, zu beschreiben, wie man die
Schuldenbremse eigentlich umsetzen kann. Das, was Sie
im Haushaltsbegleitgesetz machen, ist nichts anderes als
zu sagen: Dort, wo es unseren einmal wehtäte, wenn sie
sich in einem Minischritt beteiligen, lassen wir das einfach; das wird schon die aufkommende Konjunktur für
uns erledigen.
Das ist übrigens auch der Grund, warum Sie bei der
Schuldenbremse trotz der Steuermehreinnahmen nicht
das machen, was Ihnen die Bundesbank und der Bundesrechnungshof nahelegen. Es wäre richtig, den Abbaupfad anzupassen. Das tun Sie nicht. Sie gehen von einem
alten, überhöhten Schuldenstand aus, von dem aus Sie
die Schuldenbremse anwenden wollen. So wollen Sie
sich bis 2016 einen Puffer von 25 Milliarden Euro neuen
Schulden aufbauen, damit Sie jetzt wieder Ihre neuen
Steuerschenkungsarien singen und Ihre neuen Geschenkpakete verteilen können.
({9})
- Kollege Fricke, auch ich weiß, dass Sie nicht in den
Genuss dieser 25 Milliarden Euro kommen. Sie tragen
aktiv viel dazu bei, dass die Menschen das rechtzeitig
verhindern werden. Aber das Schlimme ist doch, dass
Sie hier dem Anspruch, dieses Instrument wirklich solide anzuwenden, diesem Anspruch auf Generationengerechtigkeit überhaupt nicht gerecht werden.
({10})
Sie legen die Axt an zentrale Fragen des Sozialstaats und
der ökologischen Modernisierung, die Sie nicht voranbringen.
({11})
Wir haben Ihnen ein Paket von Vorschlägen für Kürzungen in den Haushalten des Bundes vorgelegt. Gleich
marschieren wir hier gemeinsam weiter in die Beratungen des Verteidigungsetats mit Herrn zu Guttenberg. Auf
der einen Seite sagen Sie ihm, die Bundeswehrreform sei
super. Gleichzeitig geben Sie ihm jetzt noch Geld in die
Hand, damit er ein Dreivierteljahr lang munter weiter in
Rüstungsprojekte und Bauten investieren kann, die bei
der Schlussversion der reformierten Bundeswehr möglicherweise überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen.
({12})
- Wir haben Ihnen Kürzungen in allen möglichen anderen Bereichen vorgelegt, Kollege Fricke. Mit Verlaub:
Da können Sie jetzt viel erzählen. Sie wissen doch selber, dass es zum Schluss ein Mix aus zusätzlichen Einnahmen, gerechten Kürzungen im Bundeshaushalt und
Subventionsabbau sein muss. Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind.
Ich glaube, Sie wissen alle, wie kurz Sie mit diesem
Haushaltsbegleitgesetz springen. Ich würde mich freuen,
wenn Sie einmal in sich gingen und endlich anfingen,
den Anspruch „Konsolidierung“ wirklich ernst zu nehmen.
({13})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Norbert Brackmann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man den heutigen Tag verfolgt hat, liegt
es sicherlich nahe,
({0})
sich gegen Abend ein bisschen Realitätsverlust zu wünschen und - quasi wie in einem schönen Hollywoodfilm ein Happy End herbeizusehnen. Das wäre doch etwas
Tolles.
({1})
Ich kann mir vorstellen - dieses Gefühl habe ich
manchmal -, dass Sie angesichts der guten Leistungen
dieser Regierung nervös werden.
({2})
Bei dem Abbau von Arbeitslosigkeit - wann hatten wir
das letzte Mal unter 3 Millionen Arbeitslose? -,
({3})
dem Wirtschaftsaufschwung von über 3 Prozent - wir
sind die Wachstumslokomotive in Europa -, bei
15 Milliarden Euro Zinsen, die wir weniger aufwenden
müssen, und dem festen Verbraucherpreisindex kann
man sich doch tatsächlich wie bei einem Happy End vorkommen.
({4})
Aber wir wissen alle, wir leben hier nicht in Hollywood, sondern haben es mit der Realität zu tun. Diese
Realität ist eine ganz harte. Wir dürfen nicht vergessen,
dass wir auch diesen nächsten Bundeshaushalt wieder finanzieren müssen
({5})
- Frau Hagedorn, Sie wissen das doch auch -, und zwar
mit einer Kreditaufnahme, die ein Viertel des Gesamthaushalts ausmacht. Herr Claus hat auch zu Recht darauf
hingewiesen, wie groß die Belastungen sind.
({6})
Keiner von Ihnen weist aber darauf hin, dass diese
Belastungen daraus herrühren, dass die größte Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir seit ewigen Zeiten gehabt haben, an den meisten Menschen in unserem Land
glücklicherweise vorbeigegangen ist und alle negativen
Auswirkungen, die wir für die Menschen prognostiziert
hatten, nicht eingetreten sind.
({7})
Das rechtfertigt vorübergehend die hohen Ausgaben.
Wenn sich unsere Politik jetzt als erfolgreich erweist
und wir wieder mehr Luft haben, dann ist es nicht an der
Zeit, über neue Ausgabenprogramme nachzudenken.
Vielmehr müssen wir den Kurs dann weiterhin wachstumsfreundlich gestalten und endlich Schulden abbauen,
also die Nettoneuverschuldung drastisch zurückführen.
({8})
Dafür ist dieses Haushaltsbegleitgesetz ein wichtiger
Schritt; denn mit diesem Haushaltsbegleitgesetz werden
wir rund ein Drittel des gesamten Sparpakets schon auf
den Weg gebracht haben.
({9})
Ich finde es auch irreführend - damit sind wir wieder
ein Stück weit bei Hollywood -, Herr Bonde, wenn Sie
uns hier weismachen wollen,
({10})
dass wir gerade beim Subventionsabbau und beim Abbau ökologisch fragwürdiger Subventionen überhaupt
nichts getan hätten.
({11})
Deswegen will ich hier nur kurz auf zwei Themenkreise eingehen. Genau wie wir wissen Sie alle - Sie haben es auch oft genug hier im Bundestag dargestellt -,
dass bei den umweltschädlichen Subventionen, über die
wir auch regelmäßig Berichte erhalten, alleine der Luftverkehr 11,5 Milliarden Euro von insgesamt 48 Milliarden Euro ausmacht.
Wenn wir mit diesem Haushaltsbegleitgesetz eine
Luftverkehrsteuer einführen, ist dies auch ein deutlicher
Hinweis darauf, dass wir einen der Geschäftszweige, die
ökologieschädliche Subventionen erhalten, weil sie an
anderen Ecken heutzutage keine Steuern bezahlen, mit
zur Verantwortung ziehen. Das ist aus ordnungspolitischer ebenso wie aus ökologischer Sicht dringend erforderlich. Dies ist genau der richtige Anreiz und die richtige Politik, die wir hier als Koalition einleiten.
({12})
Das Zweite ist der Abbau der Steuervergünstigungen
im Bereich Energie- und Stromsteuer. Drei der 20 größten Steuersubventionen mit einem Volumen von über
4 Milliarden Euro im Jahr entfallen auf Steuervergünstigungen für Unternehmen des produzierenden Gewerbes
und der Landwirtschaft. Diese Einnahmen fehlen uns.
Wir haben erkannt, dass wir auch hier deutliche Signale
setzen müssen.
Sie wissen, dass wir vorhatten, im Bereich der Stromsteuer 1,3 Milliarden Euro zu sparen. Aber wir haben in
dem Diskussionsprozess erkennen müssen, dass die Gefahr bestand, bei Gießereien, bei Zementwerken, in der
Chemieindustrie und ähnlichen Branchen 870 000 Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen, wenn wir den Subventionsabbau in der Größenordnung durchgezogen hätten,
oder dass metallverarbeitende Handwerksbetriebe das
bis zu Zehnfache dessen hätten bezahlen müssen, was
sie jetzt bezahlen. Augen und Ohren vor der Realität zu
verschließen, ist nicht der richtige Weg. Den Weg, die
Belastbarkeit unserer Wirtschaft neu zu testen, werden
wir als Koalition hier in diesem Hause nicht mitgehen.
({13})
Statt der im Gesetzentwurf veranschlagten 1,3 Milliarden Euro bringt aber auch der moderate Kurs immerhin zusätzliche Belastungen von 800 Millionen Euro für
diesen Bereich mit sich. Dann aber, Herr Bonde, von
Steuergeschenken zu sprechen, ist eine völlig irreführende Darstellung der Politik. Das kleine Einmaleins
sollte jeder beherrschen. Man darf den Bürgerinnen und
Bürgern mit einer Ausdruckweise wie „Keine Belastung
energieintensiver Unternehmen“ keinen Sand in die Augen streuen. Solche Vorwürfe sind unseriös und einfach
falsch. Wir als Koalition hingegen machen eine Politik
für mehrere Hunderttausend Beschäftigte in Klein-, Mittel- und Großbetrieben und nicht für eine einzelne Branche. Deswegen ist dieses Haushaltsbegleitgesetz genau
der richtige Weg.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute erleben wir sicherlich einen maßgeblichen Tag.
Jetzt, zu später Stunde, führen wir eine einstündige Debatte über die größten Sozialkürzungen,
({0})
die dieses Land je erlebt hat, was von der Koalition mit
Alternativlosigkeit begründet wird.
({1})
- Die höchsten Sozialausgaben, höre ich gerade von der
FDP. Dazu kann ich nur sagen: Ihre Antwort auf die Finanz- und Staatsfinanzierungskrise - die hohen Defizite,
die es in allen europäischen Ländern gibt, wurden von
der spekulativen Finanzindustrie verursacht, die in vielen Jahren enorme Gewinne gemacht hat - ist die Kürzung einzig im Sozialbereich, weil Sie der Auffassung
sind, dass dieser zu groß ist. Das haben Sie soeben hier
bestätigt.
({2})
Dazu muss ich sagen, dass wir ein anderes Weltbild haben.
Wir haben jetzt ein Jahr Schwarz-Gelb hinter uns.
Nach einem Jahr sieht man, dass Sie ein halbes Jahr
nichts gemacht haben. Sie sagen immer, der Aufschwung wäre Ihrer. Aber ein halbes Jahr haben Sie erst
einmal nichts gemacht. Sie wollen doch nicht ernsthaft
sagen, dass sich in dem halben Jahr, nachdem Sie angefangen haben, die Welt verändert hat. Das Gegenteil ist
richtig: Trotz dieser Regierung läuft es gut. Wir sind froh
darüber, dass es ökonomisch gut läuft.
({3})
Jetzt tun Sie so, als wäre die SPD an den Schulden
schuld. Das hat Herr Barthle hier zu Beginn gesagt. Es
gab aber nicht nur einen Finanzminister Peer Steinbrück,
sondern es gab zur gleichen Zeit auch eine Bundeskanzlerin von der CDU, die Angela Merkel hieß.
({4})
- Ja, sie heißt noch immer so.
({5})
Wir haben eine deutlich bessere Lage; das ist vollkommen klar.
Aber geben Sie irgendeine Antwort auf die Frage, wie
wir die hohen Schulden, die wir aufnehmen, zurückzahlen? Sie wollen in dieser Legislaturperiode über
200 Milliarden Euro Kredite aufnehmen. Das hat es vorher noch nicht gegeben. Die FDP hat noch davon geträumt, die Steuern zu senken. Aber davon hat sie sich
mit der Zeit verabschiedet und ist jetzt in der Realität angekommen. Was ist die Realität? Was machen Sie? Sie
erhöhen die Steuern, die Tabaksteuer gleich fünfmal.
({6})
Das stand nicht in Ihrem Wahlprogramm; da stand etwas
anderes.
({7})
Wir haben im Bereich einer ökologischen Steuerreform eine andere Auffassung, was die Belastung der Betriebe betrifft. Ein Großteil der Einsparungen, die jetzt
überhaupt noch erbracht werden, ergibt sich aus der Abschaffung des Contracting - eines Betruges -, aber nicht
aus einer tatsächlichen Verbesserung bei den Einnahmen. Die Einnahmen holen Sie sich bei den Verbrauchern, indem Sie die Steuern erhöhen.
Das zieht sich durch Ihre gesamte Politik, von der
Luftverkehrsabgabe, die auch eine Steuer ist, bis zur
Kernbrennstoffsteuer, die zu gering etatisiert ist, aber in
Ihrer Finanzplanung, Herr Schäuble, mit einem Betrag
von 2,3 Milliarden Euro beziffert wird. Die Anhörung
hat aber ergeben, dass Einnahmen in Höhe von maximal
1,7 Milliarden Euro zu erwarten sind.
Ich addiere diese Punkte und stelle die Frage: Reicht
die Finanzplanung, die Sie uns vorlegen, eigentlich aus?
Sie sagen, es handle sich um ein sehr ambitioniertes Programm und Sie wollten ganz schnell herunter von den
Schulden.
({8})
Nur belasten Sie diejenigen, die sich etwas leisten können, überhaupt nicht; sie kommen bei Ihnen nicht vor.
Wer in diesem Land Geld hat, wer einigermaßen verCarsten Schneider ({9})
dient, trägt keine Lasten und geht aus der Krise reicher
hervor, als er vorher war.
({10})
Das ganze System ist löcherig. Ihnen fehlt das Geld
aus der Kernbrennstoffsteuer, weil Sie einen Deal mit
der Atomlobby gemacht haben und sich letztendlich den
Steuersatz haben diktieren lassen, anstatt eigenständig zu
entscheiden. Ihnen fehlen aufgrund Ihrer Entscheidungen 350 Millionen Euro bei der Ökosteuer; Kollege
Bonde hat darauf hingewiesen. Ihnen fehlen aufgrund
der Beschlüsse zum Jahressteuergesetz, das heute noch
zu verabschieden ist, weitere 250 Millionen Euro. Der
Finanzminister hat vorhin im Haushaltsausschuss angekündigt, wegen der anstehenden Steuervereinfachung
den Ländern zusätzlich eine Kompensation in Höhe von
500 Millionen Euro zu zahlen.
Wenn man die Beträge summiert, dann erkennt man:
Es besteht eine Lücke von 1,6 Milliarden Euro. Ich habe
noch nicht gehört, wie Sie diesen Betrag eigentlich decken wollen. Da frage ich mich natürlich: Was haben Sie
vor? Mir schwant Böses. Wahrscheinlich werden Sie,
weil Sie an die Reichen in diesem Land nicht herangehen - das kriegen Sie mit Ihrem Koalitionspartner FDP
nicht hin - und Sie es auch nicht hinbekommen, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen - Sie verhandeln darüber in Brüssel nicht so ernsthaft wie über andere
Punkte -,
({11})
den Kurs des Abbaus der Neuverschuldung nicht so entschieden verfolgen, wie es aufgrund der besseren Konjunktur, der steigenden Steuereinnahmen und der niedrigeren Arbeitsmarktausgaben möglich wäre. Das ist
meine Prophezeiung.
({12})
Sie schützen Ihre Lobby. Sie ziehen den Kurs der
Konsolidierung nicht wirklich durch. Ich komme zum
entscheidenden Punkt: Sie kündigen groß an, ein großes
Paket auf den Weg zu bringen; aber Sie bleiben in den
nächsten drei Jahren wahrscheinlich vollkommen hinter
dem zurück, was aufgrund der verbesserten konjunkturellen Lage möglich wäre.
Ich fühle mich bestätigt, insbesondere wenn ich mir
die Schuldenbremse anschaue. Da muss ich ein bisschen
technisch werden: Wir haben hier im Bundestag einen
Abbau der Neuverschuldung in gleichmäßigen Schritten
beschlossen. Das war großer Konsens. Der Ausgangspunkt, der dafür gewählt wurde, ist das Defizit des
Jahres 2010. Jetzt haben wir aber ein viel geringeres Defizit im Jahr 2010 - das ist schon jetzt erkennbar -, als es
bei Aufstellung der mittelfristigen Finanzplanung im
Juni zu erwarten war.
({13})
Nach meinen Berechnungen wird das Defizit bis
2016, bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung,
30 Milliarden Euro geringer sein - Kollege Bonde hat
25 Milliarden Euro errechnet - als erwartet. Das bedeutet: Sie nehmen diesen zusätzlichen Puffer, um die Steuergeschenke, die Sie jetzt nicht durchsetzen können, am
Ende der Legislaturperiode zu verteilen. Das heißt, der
Betrug, den Sie schon im Jahr 2009 angekündigt, aber
jetzt noch nicht umgesetzt haben, wird 2013 kommen.
({14})
Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Situation, auch an den Finanzmärkten, wichtig.
({15})
- Herr Kollege Fricke, ich habe noch 30 Sekunden Redezeit. Sie können eine Frage stellen; dann erkläre ich es
Ihnen genau. Uns liegen Stellungnahmen des Bundesrechnungshofs und der Bundesbank, der wirklich unabhängigsten
Institutionen im Bereich der Finanzen in Deutschland,
vor. Die sagen Ihnen klipp und klar: Schummeln Sie hier
nicht, tricksen Sie hier nicht, sondern nutzen Sie die
Mehreinnahmen, die wir aufgrund der guten Konjunktur
haben, tatsächlich zum Abbau der Neuverschuldung. Ansonsten sind Sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Der Finanzminister würde weiter gerupft,
wie er in den Verhandlungen von der Atomlobby und der
Industrie schon gerupft wurde.
({16})
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Ich will daran erinnern, dass Deutschland im
letzten Frühling, als das Konsolidierungspaket vorgelegt
worden ist, zu den ersten Ländern überhaupt gehört hat,
die ein Spar- und Konsolidierungspaket für den Haushalt
vorgelegt haben.
({0})
Wenn man die Wortbeiträge heute verfolgt hat, dann
erkennt man: Nur mit dieser Regierung gibt es ein Sparund Konsolidierungspaket. Sparen und Haushaltskonsolidierung sind von der Opposition offenkundig nicht gewünscht.
({1})
Am 26. und 27. Juni 2010 fand in Toronto der G-20Gipfel statt. Im Vorfeld dieses Gipfels haben viele Partnerländer unsere Bundesregierung gefragt: Warum spart
ihr eigentlich? Ist der Zeitpunkt richtig? Ist das Volumen
richtig? Sollte man überhaupt so viel sparen? Wir haben
unsere Überzeugungen dort vertreten. Dieser Gipfel endete damit, dass sich alle G-20-Länder verpflichtet haben, zu sparen und ihre Haushalte Schritt für Schritt zu
konsolidieren. Insofern waren wir in Deutschland gut
aufgestellt und unserer Zeit ein Stück voraus.
({2})
Wir sparen,
({3})
aber gleichzeitig gibt diese Regierung einen Rekordbetrag für Bildung aus. In den nächsten vier Jahren werden
über 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung ausgegeben. Das heißt, dass nicht ohne Schwerpunktsetzung gespart und konsolidiert wird. Durch höhere Ausgaben im
Bereich der Bildung sorgen wir für bessere Zukunftschancen der jungen Menschen.
({4})
In diesem Jahr erlebten wir noch etwas anderes Bemerkenswertes. Zum 1. Januar dieses Jahres sind die
Steuerzahler in Deutschland um mehr als 20 Milliarden
Euro entlastet worden.
({5})
- Ja, Herr Kollege Poß, aber Sie haben auch gegen Steuerentlastungen gestimmt, zum Beispiel, als es um die Familien ging. Damals haben Sie gesagt: Das ist nicht zu
finanzieren. - Die Steuereinnahmen in diesem Jahr sind
aber wesentlich besser als erwartet. Das zeigt, dass die
Gleichung „hohe Steuereinnahmen gleich hohe Staatseinnahmen“ falsch ist. Auch das zeigt die erfreuliche
Wirtschaftsentwicklung der letzten Monate.
({6})
Neben der Entlastung der Bürger konsolidieren wir
auch den Haushalt: 80 Milliarden Euro in vier Jahren.
Das Gegenstück zu unserer Politik kann man in Nordrhein-Westfalen, wo Sie regieren, sehen. Mit das Erste,
was die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf angekündigt hat, war eine Erhöhung der Neuverschuldung
von 6,4 auf 9 Milliarden Euro.
({7})
Das ist eine um fast ein Drittel höhere Verschuldung. Die
Bundesbürger sollten sich ganz genau anschauen, was
Sie in Nordrhein-Westfalen machen; denn nicht das, was
Sie sagen, zählt, sondern das, was Sie machen, und das
kann sich jeder in Nordrhein-Westfalen anschauen.
({8})
Herr Toncar, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Poß zulassen?
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege Toncar, können Sie bestätigen, dass von
der steuerlichen Entlastung von gut 20 Milliarden Euro,
von der Sie sprachen - auch Ihr Parteivorsitzender
Westerwelle sprach in einem heute in der Bild-Zeitung
abgedruckten Interview davon -, rund 14 Milliarden
Euro von der Großen Koalition beschlossen wurden, und
zwar im Zusammenhang mit dem Bürgerentlastungsgesetz und den Konjunkturpaketen?
({0})
Diese Entlastung wurde zum 1. Januar dieses Jahres umgesetzt.
({1})
Sehen Sie es nicht als Täuschung der Öffentlichkeit an,
wenn Sie den Eindruck erwecken, Sie hätten diese Entlastung unter Schwarz-Gelb herbeigeführt? Das war im
Wesentlichen das Werk der Großen Koalition, und der
Antreiber waren die Sozialdemokraten.
({2})
Lieber Kollege Poß, ich kann Ihre Frage nachvollziehen. Ich bestätige das, wobei ich festhalten möchte, dass
manche Ihrer Steuersenkungen in Zeiten der Großen Koalition nicht aus Überzeugung, sondern schlicht und einfach deshalb erfolgt sind, weil das Bundesverfassungsgericht sie von Ihnen verlangt hat.
({0})
Zweitens halte ich fest, dass Sie und Ihre Fraktion unter anderem gegen die Erhöhung des Kindergeldes, gegen die Erhöhung der Kinderfreibeträge und gegen die
Entlastung von Familienunternehmen gestimmt haben.
({1})
- Ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage.
({2})
Zum Dritten halte ich fest, dass das, was Sie, Herr
Kollege Poß,
({3})
immer sagen - hohe Steuern, eine hohe Belastung derjenigen, die ein unternehmerisches Risiko tragen, und eine
hohe Belastung derjenigen, die in unseren Betrieben arbeiten, bedeuten gesunde Staatsfinanzen -, schlicht und
ergreifend falsch ist.
({4})
Am Verlauf dieses Jahres können wir erkennen, dass
eine steuerliche Entlastung durchaus Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Zukunftschancen schaffen kann
und sie nicht im Widerspruch zu einem gesunden Staatshaushalt steht.
({5})
Ich möchte noch auf zwei Punkte in diesem Konsolidierungspaket eingehen, die auch heute angesprochen
worden sind.
Der erste ist das Thema Ökosteuer. Ich denke, dass
uns diese Krise gezeigt hat, dass eines in Deutschland
wichtig ist: Schon seit Jahrzehnten sagen wir, dass wir
ein Industrie- und auch ein Produktionsstandort sein
wollen. Wir setzen eben nicht nur auf Dienstleistungen,
sondern auch auf die produzierende Industrie. Für einen
großen Teil unserer Arbeitnehmer ist es wichtig, dass die
produzierende Industrie die entsprechenden Arbeitsplätze anbietet. Deswegen muss man, wenn man über
Energiepreise, die die produzierende Industrie betreffen,
spricht, daran denken, dass diese nicht abwandert und
die Arbeitsplätze verloren gehen.
Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass die Koalition eine gute Lösung gefunden hat,
({6})
indem sie einerseits Missbrauch bei der Ökosteuer beseitigt und andererseits dafür sorgt, dass die produzierende
Industrie weiterhin in Deutschland vertreten sein kann
und Arbeitsplätze bereitstellt. Es ist übrigens auch ein
sehr sozialer Aspekt, dass wir Produktionsarbeitsplätze
in Deutschland erhalten.
({7})
Wenn der Kollege Bonde sagt, dass das, was wir bei
der Ökosteuer abschaffen, Ausnahmen seien, die nur von
fast Kriminellen genutzt würden - das war Ihr Wortlaut -,
({8})
dann ist das - insofern bin ich dankbar, dass Sie das gesagt haben, Herr Kollege Bonde - exemplarisch für Sie.
Denn eines muss man einmal festhalten: Diese Ausnahmen sind von niemand anderem eingeführt worden als
von der damaligen rot-grünen Bundesregierung.
({9})
Da Sie das offensichtlich ärgert, frage ich Sie: Wie
konnten Sie es eigentlich zulassen, dass Ihre damalige
Regierung Gesetze verabschiedet hat, die handwerklich
offenkundig so schlecht sind, dass sie von fast Kriminellen, wie Sie sagen, missbraucht werden können? Das ist
eine Anklage gegen Ihre eigene Regierungszeit,
({10})
die im Übrigen zeigt, dass bei den Grünen zwischen
dem, was sie hier in der Opposition vortragen, und der
Realität ihres Regierens, wenn sie denn wirklich selber
Verantwortung tragen,
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
- seit jeher Welten liegen. Bei niemand anderem ist
die Kluft zwischen Gesagtem und Handeln größer als bei
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Andreas Mattfeld hat das Wort für die CDU/CSU.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich höre den ganzen Tag, dass die
überwältigende Mehrheit in diesem Hause für striktes
Sparen ist. Aber immer wenn es konkret wird, werden
von der Opposition Gründe genannt, warum gerade an
dem einen oder anderen Punkt nicht gespart werden darf,
und dabei - das sage ich deutlich - schreckt man auch
vor populistischen Behauptungen nicht zurück.
({0})
Den Gipfel der Unverschämtheit habe ich in einer
SPD-Presseerklärung zum Haushaltsbegleitgesetz gelesen. Schon in der Überschrift wirft man der Regierung
„Soziale Kälte statt Heizkostenzuschuss“ vor
({1})
und erklärt, dass sich diejenigen, die Anspruch auf
Wohngeld haben, die Heizung zukünftig kaum noch leisten werden können. Solche Aussagen sind an Populismus nicht mehr zu überbieten.
({2})
Deshalb einige sachliche Argumente zum Thema
Heizkostenpauschale. Richtig ist, dass der Heizkostenzuschuss - und zwar völlig zu Recht - Anfang 2009 eingeführt wurde, nachdem die Energiepreise 2008 historische Höchstwerte erreicht haben. Äußerst flexibel - das
ist bei uns nicht immer so - hat die Politik so auf veränderte Rahmenbedingungen reagiert und Notstände verhindert. Schon seinerzeit war klar, dass der Zuschuss für
Heizkosten wieder abgeschafft werden muss, wenn die
Energiepreise sinken, und die Energiepreise sinken nun
seit Monaten. Derzeit liegen die Energiepreise wieder
niedriger, sodass es einfach nur folgerichtig ist, den Zuschuss abzuschaffen.
({3})
Einen weiteren Schwerpunkt des Haushaltsbegleitgesetzes betreffen notwendige Veränderungen beim Elterngeld. Auch hier sind Sie nicht bereit, sachlich Argumente zu bewerten, sondern werfen uns in der Presse
vor, dass arme Eltern künftig noch ärmer würden.
({4})
Dies ist einfach nur falsch und zeigt,
({5})
dass Sie eine Verteilungspolitik ausschließlich zugunsten
der Empfänger von Sozialleistungen ankündigen und
dass ihnen diejenigen, die diese Leistungen hart erarbeiten, egal sind. Dies ist echte Klientelpolitik.
({6})
Beim Elterngeld geht es um Gerechtigkeit für alle Eltern. Wir beseitigen mit dem Haushaltsbegleitgesetz einen von Ihnen verursachten Systemfehler, der uns in der
Vergangenheit viel Geld gekostet hat. Ich betone immer
wieder: Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung. Aber
Hartz-IV-Empfänger haben das Elterngeld bisher zusätzlich zu ihrem Lohn - sprich: ihrer Regelleistung - erhalten. Dies kann man keinem Arbeitnehmer erklären.
Sicherlich wäre es auch von Ihrer Seite notwendig,
einmal deutlich zu sagen, dass der Bezug von Hartz-IVLeistungen - gerade angesichts der enorm guten Arbeitsmarktdaten - nur vorübergehend ist. Dies gilt zumindest
für die Menschen, die gesundheitlich in der Lage sind,
zu arbeiten.
({7})
Man darf nicht suggerieren, dass dies ein dauerhafter
Zustand ist. Das funktioniert einfach nicht. Man muss
den Menschen Mut machen.
({8})
Deshalb ist es absolut richtig, dass wir heute Veränderungen vornehmen. Zukünftig wird das Elterngeld auf
die Hartz-IV-Leistungen - genauso wie übrigens das
Kindergeld seit eh und je; das haben Sie mit beschlossen angerechnet.
({9})
Außerdem - auch das gehört zur Gerechtigkeit - wird
die Zahlung des Elterngeldes für diejenigen, die so viel
verdienen, dass sie die sogenannte Reichensteuer zahlen
müssen, gestrichen.
({10})
Als Verwaltungsratsmitglied einer Kommune, die
Hartz-IV-Empfänger in Arbeit vermittelt, erlebe ich täglich, dass ein Mehr an sozialen Leistungen nicht zu einer
verstärkten Motivation zur Aufnahme von Arbeit und
schon gar nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt.
Unsere Aufgabe als Bundestag ist es, die Bedingungen
dafür zu schaffen, dass die Menschen Arbeit haben. Die
Entscheidungen der Merkel-Regierung haben dafür gesorgt, dass sich die Arbeitslosenzahlen positiv entwickeln und wir im nächsten Jahr dauerhaft weniger als
3 Millionen Arbeitslose haben werden.
({11})
Noch in 2005, also in Zeiten, in denen Rot-Grün
Deutschland regiert hat, gab es über 5 Millionen Arbeitslose; das ist noch gar nicht so lange her. Sie waren damals nicht in der Lage, durch eine kluge Wirtschaftsund Motivationspolitik die Rahmenbedingungen so zu
setzen, dass die Menschen Arbeit haben. Deshalb brauchen wir von Ihrer Seite überhaupt keine Ratschläge zu
diesem Thema.
({12})
Das Haushaltsbegleitgesetz, das der Einhaltung der
Schuldenbremse dient, wird dazu beitragen, dass es allen
Menschen in Deutschland - ich betone: allen - dauerhaft
besser geht. Wir als Christlich-Liberale sind uns unserer
Verantwortung für alle Menschen bewusst. Wir fordern
Sie auf, hieran aktiv mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
({13})
Bartholomäus Kalb ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vorteil
des letzten Redners vor einer namentlichen Abstimmung
ist, dass er die meisten Zuhörer hat. Der Nachteil ist,
dass er die geringste Aufmerksamkeit genießt.
({0})
Trotzdem will ich meine Pflicht gerne erfüllen und noch
auf einige Aspekte hinweisen.
Wenn uns vor einem Jahr jemand vorausgesagt hätte,
dass wir heute weniger als 3 Millionen Arbeitslose haben, wenn uns vor einem Jahr jemand vorausgesagt
hätte, dass wir 2010 ein Wirtschaftswachstum von rund
3,4 Prozent verzeichnen können, wenn uns noch im Mai
dieses Jahres jemand vorausgesagt hätte, dass der Euro
stabil sein und heute nahe bei 1,40 US-Dollar stehen
wird, dann hätten wir gesagt, dass diese Propheten wohl
von einem anderen Stern sein müssen.
({1})
Gott sei Dank sind diese Dinge eingetreten. Sie sind
eingetreten, weil die Menschen in unserem Land, die
Verantwortlichen in der Wirtschaft, aber auch die Verantwortlichen in den Betriebs- und Personalräten gemeinsam die Chancen genutzt haben, die sich in der
Krise ergeben haben und die wir durch politische Rahmensetzungen geschaffen haben.
Heute stellt sich heraus - Herr Kollege Poß, wir ziehen überhaupt nicht in Zweifel, dass Sie an einigem mitgewirkt haben -, dass die Stabilisierung des Finanzmarktes letztlich richtig war, dass die Stabilisierung des
Bankensektors richtig war, dass die Maßnahmen zur
Kurzarbeit richtig waren, dass das Konjunkturpaket im
Grunde richtig war und dass die Maßnahmen zur Rettung des Euro richtig waren. Die Menschen und die
Wirtschaft in diesem Lande haben diese Chancen genutzt.
({2})
Sie haben auch die Chancen genutzt, die sich aus den
Maßnahmen ergeben haben - Kollege Toncar hat darauf
hingewiesen -, die wir zur Stärkung der Wirtschaft Stichwort: Wachstumsbeschleunigungsgesetz -, zur
Stärkung der Familien und zur Entlastung der Beitragszahler ergriffen haben. Diese Maßnahmen haben gewirkt; sie haben den Menschen und der Wirtschaft in
diesem Land gedient.
Man kann nicht einfach sagen: Wenn es schlecht geht,
dann ist die Politik dafür verantwortlich, und wenn es
gut geht, hat die Politik daran überhaupt keinen Anteil. Ich denke, man muss beides sehen. Ich bin der Überzeugung, dass wir in den zurückliegenden schwierigen Jahren unserer Verantwortung gerecht geworden sind und
unseren Beitrag zum Aufschwung geleistet haben.
({3})
Trotz dieser besseren Entwicklung werden wir im
Haushaltsjahr 2010 die höchste Neuverschuldung in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben. Deswegen dürfen wir in unseren Konsolidierungsbemühungen nicht nachlassen. Wir müssen
die Gunst der Stunde nutzen, um die Neuverschuldung
konsequent zu senken - und das nicht nur, weil wir die
Schuldenbremse im Grundgesetz verankert haben. Hintergrund ist, dass wir erkennen müssen, dass wir eine alternde Gesellschaft sind, dass die Zahl der erwerbsfähigen Personen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren
rapide zurückgehen wird, dass in der Zukunft von jetzt
45 Millionen dann wahrscheinlich nur noch 37 Millionen unser Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften und damit unseren Wohlstand sichern werden.
Das heißt auf Deutsch: Die Schultern, die die Last zu
tragen haben, werden weniger. Deswegen müssen wir
dafür sorgen, dass wir in der Zukunft den laufenden Betrieb aus laufenden Einnahmen und nicht durch zusätzliche Schulden finanzieren.
({4})
Ich rede noch gar nicht vom Abbau des Schuldenstandes, und ich rede noch gar nicht von der Zinslast, die es
auch wert wäre, betrachtet zu werden.
Dazu dienen all die Maßnahmen, die wir jetzt im
Haushaltsbegleitgesetz und in den weiteren begleitenden
Gesetzen vorsehen.
Ich kann in der verfügbaren Zeit leider nicht mehr auf
den Beitrag des Kollegen Bonde eingehen.
({5})
Kollege Toncar hat darauf schon geantwortet. Sie müssen sich dabei doch irgendetwas gedacht haben, als Sie
das Ökosteuergesetz geschaffen haben. Wir sind jetzt im
parlamentarischen Verfahren zu der Überzeugung gekommen, dass wir nicht alles beseitigen können, was Sie
an Vergünstigungen geschaffen haben, weil wir die industriellen Kerne im Land erhalten wollen. Wir haben
gesehen, was Großbritannien widerfahren ist, das geglaubt hat, es brauche keine industriellen Kerne mehr,
und nur noch auf die Finanzwirtschaft gesetzt hat.
Jetzt ist auch nicht die Zeit - das sage ich ganz bewusst -, die Ausweitung von Leistungsgesetzen und
Entlastungen anzukündigen. Jetzt müssen wir die Chancen zur Haushaltskonsolidierung nutzen.
Ich bin auch der felsenfesten Überzeugung - ich weiß
mich in Übereinstimmung mit den allermeisten Bürgern
im Land, mit denen ich spreche -: Die Menschen erwarten von uns, dass wir solide wirtschaften, dass wir die
Zukunft sichern und dass wir für eine dauerhafte Stabilität der Währung sorgen. Das tun wir. Dafür unternehmen
wir diese Anstrengungen, auch wenn sie nicht immer jedem gefallen.
Herzlichen Dank.
({6})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Haushaltsbe-
gleitgesetzes 2011. Zur Abstimmung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung liegen uns eine Reihe von Erklärungen
vor, die Sie im Protokoll nachlesen können.1)
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf den Drucksachen 17/3406 und
17/3452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
den Drucksachen 17/3030 und 17/3361 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen uns fünf Än-
derungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/3548.
Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen.
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Sind alle Urnen besetzt? - Nein, es sind noch nicht
alle Urnen besetzt. Wir würden Michael Brand gern hier
vorne sehen, damit wir beginnen können. - Jetzt sind
alle Urnen sind besetzt. Die Abstimmung ist eröffnet.
Sind noch Abgeordnete anwesend, die ihre Stimme
nicht abgeben konnten? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.
Bevor ich die Sitzung unterbreche, stimmen wir noch
über vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ab. Dafür wäre es für mich wiederum hilfreich, wenn Sie sich in den Bereich Ihrer eigenen Fraktionen begeben könnten.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3442? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben
die einbringende Fraktion und die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Die Koalitionsfraktionen haben
dagegen gestimmt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3443? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt
haben die Oppositionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3444? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt, und zwar mit
dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/3445? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die
einbringende Fraktion. Alle anderen Fraktionen haben
dagegen gestimmt. Enthaltungen gab es vermutlich
keine.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der SPD zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs
der Bundesregierung zum Haushaltsbegleitgesetz 2011
- Drucksachen 17/3030, 17/3361, 17/3406, 17/3452 -
auf Drucksache 17/3548 bekannt: abgegebene Stimmen
581. Mit Ja haben gestimmt 195, mit Nein haben ge-
stimmt 321, Enthaltungen 65. Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.1)
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 17/3030 und
17/3361 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen. Die Koalitionsfraktionen haben dafür, die Op-
positionsfraktionen dagegen gestimmt. Es gab keine
Enthaltungen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Hier stimmen wir auf Verlan-
gen der SPD namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das haben sie ganz
offensichtlich schon getan. Alle Urnen sind besetzt, und
ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Das Ergeb-
nis der Abstimmung gebe ich Ihnen später bekannt. Jetzt
bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszu-
zählen.2)
Wir fahren mit Abstimmungen über Entschließungsanträge fort. Auch dafür wäre es wieder hilfreich, wenn
Besprechungen zwischen Geschäftsführern und anderen
Fraktionsmitgliedern woanders stattfinden könnten. Vielen Dank.
Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3454 ab. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dafür hat die SPD-Fraktion gestimmt. Dagegen haben
die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3440. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung durch die
einbringende Fraktion abgelehnt. Alle übrigen haben dagegen gestimmt. Enthalten hat sich niemand.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Schummer, Nadine Schön ({1}), Albert
Rupprecht ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Patrick Meinhardt,
Dr. Martin Neumann ({3}), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Qualitätsoffensive in der Berufsausbildung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter
2) Ergebnis siehe Seite 7279 A
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Berufliche Bildung als Garant zur Sicherung der Teilhabechancen junger Menschen
und des Fachkräftebedarfs von morgen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verordnungsermächtigung in § 43 Absatz 2
des Berufsbildungsgesetzes entfristen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes
Alpers, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Konsequenzen aus dem Berufsbildungsbericht ziehen - Ehrliche Ausbildungsstatistik
vorlegen, gute Ausbildung für alle ermöglichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({4}), Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Jugendlichen bessere Ausbildungschancen geben - DualPlus unverzüglich umsetzen
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2010
- Drucksachen 17/1435, 17/1759, 17/1745, 17/1734,
17/541, 17/1550, 17/3401 Berichterstattung:Abgeordnete Uwe SchummerWilli BraseHeiner KampAgnes AlpersPriska Hinz ({5})
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Beiträge von
Uwe Schummer, Willi Brase,1) Heiner Kamp, Agnes
Alpers, Priska Hinz und Marcus Weinberg.2)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/4301.
Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Berufsbil-
dungsberichts 2010 auf Drucksache 17/1550 unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/1435 mit dem Titel „Qualitätsoffensive
in der Berufsausbildung“. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha-
1) Der Redebeitrag wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
2) Anlage 9
ben CDU/CSU und FDP, dagegen gestimmt SPD, Linke
und Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1759 mit
dem Titel „Berufliche Bildung als Garant zur Sicherung
der Teilhabechancen junger Menschen und des Fachkräftebedarfs von morgen stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten haben
sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1745 mit dem Titel
„Verordnungsermächtigung in § 43 Absatz 2 des Berufsbildungsgesetzes entfristen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen
gestimmt haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die
Fraktion Die Linke hat sich enthalten.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1734
mit dem Titel „Konsequenzen aus dem Berufsbildungsbericht ziehen - Ehrliche Ausbildungsstatistik vorlegen,
gute Ausbildung für alle ermöglichen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und
Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen hat die Fraktion Die
Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/541
mit dem Titel „Mehr Jugendlichen bessere Ausbildungschancen geben - DualPlus unverzüglich umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Dagegen
hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die
SPD-Fraktion hat sich enthalten.
Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung
eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung ({6})
- Drucksachen 17/3024, 17/3362 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({7})
- Drucksachen 17/3407, 17/3547 7278
Abgeordnete Ralph BrinkhausManfred ZöllmerBjörn SängerRichard PitterleDr. Gerhard Schick
Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke vor.
Verabredet ist, eine Dreiviertelstunde zu debattieren.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Restrukturierungsgesetz legen die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der
Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, in dem notwendige und richtige Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise gezogen werden. Mit dem Restrukturierungsgesetz schaffen wir eine Grundlage dafür, dass der
Steuerzahler nicht immer als Erster dran ist, wenn es um
die Rettung und Neustrukturierung von Banken geht.
Zwar bietet auch dieser Gesetzentwurf nicht die Gewähr
dafür, dass der Steuerzahler als Letzter oder gar nicht herangezogen wird, aber er wird zumindest nicht mehr wie
bisher als Erster herangezogen.
Gestatten Sie mir nach den Debatten, die wir heute
morgen zur Geschäftsordnung geführt haben, vorweg
eine Bemerkung an die Opposition, Herr Kollege Schick
und liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der
Linken, was die Beratung im Fachausschuss anbelangt:
Wir haben die Beratung des Gesetzentwurfs diese Woche in relativer zeitlicher Enge durchgeführt und am
Dienstagabend im Ausschuss die abschließende Beratung durchgeführt. Ich glaube, das Argument, dass nicht
genügend Zeit zur Beratung war, wird allein schon dann
widerlegt, wenn man bedenkt, wie lange wir beraten haben und wie konstruktiv die Beratung verlaufen ist. Ich
darf mich trotz der knappen Zeit bei meiner Fraktion dafür bedanken, dass dies in einem vernünftigen Verfahren
mit genügend Beratungszeit über die Bühne gegangen
ist.
({0})
Sie haben sich zumindest im Ausschuss der Verantwortung gestellt und über die ergänzenden Punkte, die wir
eingebracht haben, sachlich beraten.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick zulassen?
Nein, nach dem Lob möchte ich in der kurzen Zeit,
die mir zur Verfügung steht, zumindest die sachlichen
Punkte im Zusammenhang darlegen, Herr Kollege
Schick, damit den Damen und Herren Zuhörern klar
wird, um welche Schwerpunkte es in diesem Gesetz
geht.
({0})
Ich habe bereits betont, dass wir mit diesem Gesetz
die notwendigen Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise ziehen. Auch das Bundesfinanzministerium und
das Bundesjustizministerium haben unsere Beratungen
sehr konstruktiv begleitet. Es handelt sich ja um ein sehr
anspruchsvolles Gesetz. Das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht für Finanzinstitute unterscheidet sich nämlich stark vom Insolvenz- und Restrukturierungsrecht
der gewerblichen Wirtschaft bzw. der Industrie. Es ging
hier darum, mit dem Gesetz überhaupt erst einmal das
erforderliche Instrumentarium für die Restrukturierung
und Abwicklung von Banken zu schaffen. Das Gesetz
sieht zum einen die Möglichkeit der freiwilligen Sanierung und zum anderen die Möglichkeit der Reorganisation als hoheitlichen Akt vor. Hierfür werden die
Kompetenzen sowie die präventiven Eingriffsmöglichkeiten der Finanzaufsicht demnächst gestärkt.
Das Ganze wird von einem Restrukturierungsfonds
begleitet. Es handelt sich dabei nicht um einen Rettungsfonds, sondern, wie das Wort schon sagt, um einen
Fonds, der bei Restrukturierung einspringt. Kein Fonds
kann ja vom Volumen her so groß gestaltet werden, dass
mit seiner Hilfe Milliardendefizite einer systemischen
Bank aufgefangen werden können. Somit geht es also
um Restrukturierung.
Der Restrukturierungsfonds wird im Grunde durch
die Bankenabgabe gespeist. Die Diskussion darüber
wird kontrovers geführt. Die einen sagen, die Bankenabgabe sei viel zu niedrig. Die anderen sagen, die Bankenabgabe dürfe nicht zu hoch sein, weil den Banken sonst
zu viel Eigenkapital entzogen werde. Unser Vorschlag
zeigt einen Weg auf, wie diese Bankenabgabe auf dem
Verordnungsweg maßvoll ausgestaltet werden kann.
({1})
Wir haben bewusst nur wenige Ausnahmen bei der Beitragspflicht zugelassen. Die Landesförder- und die Bundesförderinstitute haben wir von der Abgabenpflicht entbunden; das ist richtig. Ansonsten haben wir den Kreis
der Beitragspflichtigen möglichst groß gehalten und alle
anderen Banken nach Risikogewichtung möglichst breit
einbezogen; denn das Gesamtsystem und damit alle werden in Zukunft von der Möglichkeit zur Restrukturierung profitieren.
Wir haben in unseren parlamentarischen Beratungen
eine weitere Maßnahme hinzugefügt: Das Gesetz sieht
nun Begrenzungen für das Gehaltsgefüge der Banken
vor, die durch den Staat und demgemäß durch den Steuerzahler rekapitalisiert werden. Ich glaube, dieses Gesetz
leistet den richtigen Beitrag, um in Zukunft Banken restrukturieren zu können.
Ich hoffe, dass dieser Gesetzentwurf große Zustimmung hier im Plenum findet.
Vielen Dank.
({2})
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2011 auf Drucksachen 17/3030, 17/3361, 17/3406
und 17/3452 bekannt: Abgegeben wurden 579 Stimmen.
Mit Ja haben gestimmt 319, mit Nein 260, es gab keine
Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 578;
davon
ja: 319
nein: 259
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Ewa Klamt
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({11})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({13})
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({16})
Dr. Kristina Schröder
({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({24})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({25})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({26})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({27})
Michael Link ({28})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({29})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({30})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({31})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Heiko Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Serkan Tören
Johannes Vogel
({32})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({33})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({34})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({35})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({36})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({37})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({38})
Frank Hofmann ({39})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe ({40})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({41})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({42})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({43})
Michael Roth ({44})
({45})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({46})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({47})
Werner Schieder ({48})
Ulla Schmidt ({49})
Silvia Schmidt ({50})
Carsten Schneider ({51})
Swen Schulz ({52})
Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
({53})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({54})
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Volker Beck ({55})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Manfred
Zöllmer für die SPD-Fraktion.
({60})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zum Inhalt des Gesetzes komme und eine Bewertung vornehme, kann ich es den Kolleginnen und
Kollegen der Regierungsfraktionen nicht ersparen, auch
an dieser Stelle noch einmal ein paar Worte zum parlamentarischen Verfahren zu verlieren, das zu der heutigen
Debatte geführt hat.
Es gab eine gemeinsame Vereinbarung der Obleute,
die nach dem ohnehin extrem dichten Zeitplan für das
Gesetzesvorhaben die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfes im November vorsah. Dies war mit dem
Bundesrat insoweit besprochen und hätte sichergestellt,
dass das Gesetz auch zu Beginn des nächsten Jahres in
Kraft treten kann. Dass dieses Gesetz nunmehr - offenbar auf Initiative der Unionsführung - in dieser Woche
durch das Verfahren gepeitscht wird, ist einem parlamentarischen Beratungsverfahren nicht würdig und widerspricht den vormals einvernehmlich getroffenen Verabredungen.
({0})
- Selbst der Ausschussvorsitzende hat sich bezüglich
des Verfahrens so oft entschuldigt, dass wir kaum mitzählen konnten. Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
hat sich entschuldigt, alle haben sich entschuldigt, weil
sie es wirklich peinlich gefunden haben, wie hier vorgegangen worden ist.
Wir haben zum Teil erst am Montagabend dieser Woche eine Vielzahl von Umdrucken der Koalition mit Änderungsvorschlägen zu dem Gesetzentwurf erhalten, die
teilweise ganz erheblich waren. In der zweiten Sondersitzung des Ausschusses am Dienstag haben wir weitere
Umdrucke und Änderungsvorschläge erhalten, die bis in
den späten Abend hinein diskutiert und entschieden worden sind.
Ich möchte betonen, dass wir im Ausschuss trotzdem
konstruktiv mitgearbeitet haben. Wir haben auch darauf
verzichtet, bestimmte Verfahrensrechte in Anspruch zu
nehmen, die diesen Termin heute gekippt hätten. Ich
bitte die Koalition, dass sie dies auch entsprechend würdigt.
({1})
Ein geordnetes parlamentarisches Verfahren sieht wirklich anders aus. Ich möchte deutlich machen, dass wir
Ihnen das in dieser Form ein zweites Mal nicht durchgehen lassen werden.
Lassen Sie mich nun zu den Inhalten des Gesetzentwurfes kommen. Das Restrukturierungsgesetz geht in
vielen Aspekten auf einen Gesetzentwurf zur Einführung
eines Reorganisationsplanverfahrens für systemrelevante Kreditinstitute zur Abwehr von Gefahren für die
Stabilität des Finanzsystems - von den damaligen SPDMinistern Brigitte Zypries und Peer Steinbrück am Ende
der Großen Koalition noch ins Verfahren eingebracht zurück.
Bisher galt die Erkenntnis, dass große Banken nicht
pleitegehen dürfen, da sie derart groß und vernetzt sind,
dass sie damit einen nicht mehr beherrschbaren Dominoeffekt auslösen - mit extrem negativen wirtschaftlichen
Folgen für andere Banken, für die Unternehmen, für die
Arbeitnehmer, für die Rentner, für uns alle. Um dies zu
verhindern, wurden bisher in der Krise solche systemrelevanten Kreditinstitute vom Staat gerettet. Diese Institute galten als „too big to fail“ oder „too interconnected
to fail“.
({2})
- So viel Englisch werden Sie doch wohl verstehen, Herr
Kauder. Davon gehe ich einfach aus.
({3})
Es ging nach dem Motto: In der Krise wird der Staat uns
schon retten.
Mit dem vorliegenden Gesetz wird nun ein geordnetes Verfahren zur Sanierung und Abwicklung von in finanzielle Probleme geratenen Banken etabliert und werden die bankenaufsichtsrechtlichen Instrumente zur
Krisenprävention gestärkt. Es gibt also quasi ein spezielles Insolvenzverfahren für Banken, damit zukünftig
nicht mehr der Steuerzahler zur Kasse gebeten werden
muss, wenn sich Bankmanager verzockt haben.
In einer ersten Stufe, dem Sanierungsverfahren, sollen
Kreditinstitute von sich aus durch ein frühzeitiges Eingreifen der eigenen Geschäftsführung saniert werden.
Eine zweite Stufe ist das Reorganisationsverfahren.
Dabei wird die Aufsicht tätig. Dieses Verfahren sieht
Maßnahmen zur Beschleunigung eines Insolvenzverfahrens vor. Hier wird dann auch in die Rechte von Gläubigern und Anteilseignern eingegriffen, wenn dies notwendig ist. Das Vermögen einer systemrelevanten Bank
kann ganz oder teilweise auf eine private Bank oder auf
eine staatliche „Brückenbank“ übertragen werden, damit
die „Restbank“ abgewickelt werden kann. Zusätzlich
gibt es einen Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute
in Form eines Sondervermögens des Bundes. Dort müssen nahezu alle Kreditinstitute einzahlen. Das ist dann
das, was in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Bankenabgabe“ diskutiert wird.
Wir hatten eine sehr ausführliche mehrstündige Anhörung zu diesem komplexen Gesetzentwurf. Diese Anhörung hat ergeben, dass es notwendig war, eine Reihe
von Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen.
Zum Beispiel macht es wenig Sinn, bei einem Verfahren,
in dem man auf Freiwilligkeit setzt, die Geschäftsführung, die initiativ werden soll, damit zu bedrohen, dass
sie abgesetzt wird. Das ist geändert worden. Verfahrensabläufe sind gestrafft worden, und die Situation
ausländischer Tochterunternehmen ist ins Blickfeld genommen worden. Dort hat man Veränderungen vorgenommen. Das ist in Ordnung.
Aber äußerst unbefriedigend sind die mit besonders
heißer Nadel gestrickten Regelungen zu Boni und Vergütungen. Es hatte sich erst kürzlich bei der HRE gezeigt, dass sich trotz Inanspruchnahme umfassender
staatlicher Hilfeleistungen einige Bankmanager in der
zweiten Reihe üppigste Bonizahlungen gegönnt haben.
Nun sollte das Ganze mithilfe des Restrukturierungsgesetzes verändert werden. Wir hatten miteinander eine
entsprechende Vereinbarung getroffen. In der Presse
hieß es auf einmal vonseiten der Koalition, nun sei dieses Problem gelöst. Das stimmt allerdings nicht. Schaut
man genau hin, welche Regelung hier getroffen worden
ist, dann kommt man zu dem Ergebnis: Nur bei der Inanspruchnahme von staatlichen Rekapitalisierungsmitteln,
nicht aber bei anderen Stabilisierungsmaßnahmen des
Staates gilt die hier vorgesehene Begrenzung zusätzlicher Bonimaßnahmen. Dies kann man wohl nur als Mogelpackung bezeichnen.
({4})
Wenn wir schon einmal beim Thema Mogelpackung
sind: Dies gilt insbesondere für die Bankenabgabe zur
Finanzierung des Restrukturierungsfonds. Ich darf die
Bundeskanzlerin wörtlich zitieren, die im Rahmen der
Haushaltsdebatte am 15. September in diesem Jahr hier
an diesem Pult Folgendes gesagt hat:
Es ist vollkommen klar: Je risikobehafteter das Kapital ist und die Geschäfte sind, umso mehr Abgabe
muss gezahlt werden, damit in Zukunft nicht mehr
der Steuerzahler für solche Krisen eintreten muss,
sondern die Banken das selber tun müssen.
So weit Frau Merkel.
({5})
- Warten Sie ab.
Wir haben uns einmal die Details der Regelung zur
Bankenabgabe angeschaut. Ich kann nur sagen: Liebe
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in dieser Republik,
glauben Sie nicht, was Ihnen diese Bundeskanzlerin und
diese Regierung in diesem Fall versprochen haben.
({6})
Es ist die traurige Wahrheit, dass hier die Unwahrheit
verkündet wird.
({7})
Dies ist nicht nur eine Mogelpackung, sondern schlichtweg auch eine Täuschung der Öffentlichkeit.
({8})
Ich darf Ihnen das anhand der Details einmal deutlich
machen: So wie die Bankenabgabe von der Regierung
konzipiert ist, wird sie etwa 600 Millionen Euro bis maximal 1,3 Milliarden Euro pro Jahr für den Restrukturierungsfonds einbringen ({9})
je nachdem, welches Referenzjahr man zugrunde legt
und wie sich die Konjunktur entwickelt. Die Regierung
hat in dem Gesetz festgelegt, dass die Zielgröße des Restrukturierungsfonds bei 70 Milliarden Euro liegt.
({10})
- Ja, wunderbar, „Zins und Zinseszins“. Das ist aber nur
die baden-württembergische Rechnung. - Nun fangen
Sie einmal an, zu rechnen. Was ich dargestellt habe, bedeutet nichts anderes, als dass 70 bis 100 Jahre in den
Restrukturierungsfonds eingezahlt werden muss, damit
man im Fall einer Krise überhaupt in der Lage ist, mit
den Mitteln dieses Fonds Restrukturierungsmaßnahmen
zu finanzieren. 70 Milliarden Euro sind sehr wenig. Halten Sie sich bitte vor Augen, dass in dieser Krise allein
die HRE mit Garantien von über 140 Milliarden Euro
gerettet werden musste.
({11})
Dann fragen wir doch einfach einmal, was bis dahin
passiert. Was geschieht in den 100 Jahren dazwischen?
Ich kann es Ihnen verraten: Dann werden erneut die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in dieser Republik
zur Kasse gebeten. Es werden nicht die Banken sein, die,
wie die Kanzlerin behauptet hat, die Kosten tragen.
({12})
Wir reden hier nur über die Kosten einer möglichen
zukünftigen Krise, nicht über die Beteiligung der Banken an den Kosten dieser Krise. Auch das ist von der
Bundeskanzlerin früher mehrfach anders versprochen
worden, inzwischen ist das schamhaft beiseitegelegt
worden. Diese Überlegungen kommen bei der jetzigen
Regierung gar nicht mehr vor. Alle diesbezüglichen Versprechungen dieser Regierung und der Kanzlerin sind
vergessen. Die Bankenabgabe in dieser Form ist der untaugliche Versuch, der Öffentlichkeit Sand in die Augen
zu streuen.
({13})
Was wir brauchen, ist eine tatsächliche Beteiligung
der Banken an den Kosten der Krise, keine Placebos. Es
zeigt sich deshalb wieder einmal, dass wir die Finanztransaktionsteuer dringender denn je benötigen.
({14})
Wir werden dem Gesetz daher nicht zustimmen. Wir bitten um die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.
Herzlichen Dank.
({15})
Herr Christian Ahrendt hat das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung hat mit dem Restrukturierungsgesetz ein gutes Gesetz vorgelegt. Den Gesetzentwurf haben wir zügig parlamentarisch beraten. Es ist
in der parlamentarischen Beratung noch besser geworden, und ich sage Ihnen auch, an welcher Stelle.
Verehrter Kollege Zöllmer, vielleicht kommt es gar
nicht so sehr auf die Frage des Bankenfonds und die
Mittel in dem Bankenfonds an, und zwar aus einem einfachen Grunde: Wir haben etwas ganz Entscheidendes
getan. Wir haben die Aufsicht gestärkt, indem wir den
§ 45 des Kreditwesengesetzes ausgebaut haben. Damit
sorgen wir dafür, dass die Bankenaufsicht, wenn eine
Bank in eine Schieflage gerät, früh eingreifen kann. Das
ist eine bessere Krisenintervention als zu warten, bis es
zu spät ist und dann den Fonds in Anspruch zu nehmen.
Das ist der erste Erfolg dieses Gesetzes.
({0})
Der zweite Erfolg dieses Gesetzes ist, dass wir ein Sanierungsverfahren schaffen, mit dem die Bank sich
selbst aus der Krise retten kann. Wir haben dieses Sanierungsverfahren so definiert, dass es früh einsetzen kann,
die Bank somit frühzeitig ein sinnvolles Instrumentarium nutzen kann, um sich selbst aus der Krise zu retten.
Wir haben etwas getan, was Sie auch nicht gemacht
haben, als Sie die Verantwortung hatten: Wir haben eine
Boni-Regelung ins KWG geschrieben: Bei Banken, an
denen der Staat mit 75 Prozent oder mehr beteiligt ist,
sind Boni nicht mehr zulässig. Es gibt nur noch die
Obergrenze von 500 000 Euro - nicht nur für die, die im
Vorstand sitzen, sondern auch für die, die in der zweiten
und dritten Managerebene tätig sind.
Wir haben noch etwas Entscheidendes erreicht: Wir
haben die Haftung verschärft. Wenn Sie sich den Gesetzentwurf angeschaut haben, wie er vorgelegt worden ist,
dann haben Sie gesehen, dass vorgesehen war, die zehnjährige Verjährungsfrist nur im Aktiengesetz einzuführen. Wir schreiben die zehnjährige Verjährungsfrist für
nicht sorgfältiges Handeln der Vorstände direkt ins
KWG und schaffen damit die Grundlage dafür, dass Verfehlungen von Vorständen lange und sorgfältig aufgearbeitet und dann die Vorstände, Aufsichtsräte und die anderen Organe, die Verantwortung tragen, entsprechend
in Haftung genommen werden können.
Insofern haben wir nach der zügigen parlamentarischen Beratung ein Gesetz vorliegen, das aufgrund des
neu geschaffenen Mechanismus einer frühen Intervention geeignet ist, künftig Bankenkrisen zu beseitigen. Es
hilft auch, Banken über ein geordnetes Verfahren dort
aus dem Markt zu nehmen, wo sie nicht mehr saniert
werden können. Insofern haben Sie heute Abend die
Freude, einem guten Gesetz zuzustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Der Kollege Richard Pitterle hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wall Street 2 ist in den Kinos, und zwar
mit dem Untertitel: Geld schläft nicht. Der Protagonist
Gekko aus dem ersten Wall-Street-Film dürfte noch allen
als Mister „Gier ist gut“ bekannt sein. In Wall Street 2 so viel sei verraten - stellt Gekko, der gerade aus dem
Gefängnis gekommen ist, fest, dass sich gar nicht so viel
geändert hat. Sein Motto „Gier ist gut“ ist inzwischen in
der Gesellschaft angekommen.
Warum erzähle ich Ihnen das?
({0})
Fakt ist: Während das Geld nicht schläft, hat unsere
Regierung geschlafen. Außer vielen Ankündigungen ist
wenig passiert. Zwei Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise wacht Schwarz-Gelb auf, bringt einen Gesetzentwurf in die Beratungen ein, um ein Gesetz zu verabschieden, das präventiv gegen Finanzkrisen wirken soll.
Sie bietet sogar der Opposition eine Mitwirkung an, um
den Entwurf halbgar innerhalb einer Woche durch das
Parlament zu jagen. Gekko hätte seine Freude daran.
({1})
Wieder einmal erweisen sich die Ankündigungen der
Bundesregierung, dass die Finanzwirtschaft für die Folgen der Krise zur Verantwortung gezogen werden soll,
als eine Seifenblase. Die Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs sind hochgesteckt. Die Schieflage einer systemrelevanten Bank soll ohne Gefahr für die Stabilität
des Finanzsystems bewältigt werden. Der Finanzsektor
soll die Kosten der Insolvenzbewältigung vorrangig
selbst tragen, nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Schließlich soll das Gesetz krisenpräventiv wirken.
Doch das ist glatter Unsinn.
Selbst mit den vorgestern im Ausschuss beschlossenen Änderungen ist dieser Gesetzentwurf nicht geeignet,
die darin genannten Ziele zu erfüllen. Wiederholt wurde
in der Anhörung darauf hingewiesen, dass mit einer
Bankenabgabe in Höhe von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr
der Restrukturierungsfonds frühestens in einem halben
Jahrhundert auch nur ansatzweise genügend finanzielle
Mittel enthalten würde, um eine Bank zu retten. Vorgestern haben Sie in den Gesetzentwurf geschrieben, dass
die Zielgröße des Fonds 70 Milliarden Euro betragen
soll. Offen bleibt aber, innerhalb welcher Zeit diese Zielgröße zu erreichen ist. Sie verkaufen die Leute für
dumm. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({2})
Sie schaffen mit dem Gesetz eine Scheinsicherheit
nach dem Motto: Wenn etwas schief geht, wird der Restrukturierungsfonds schon einigermaßen funktionieren.
Das bedeutet im Klartext: Die Banken können weiterhin
fröhlich risikoreiche Spekulationsgeschäfte betreiben.
Das ist nicht hinnehmbar.
({3})
Der vom Gericht eingesetzte Verwalter verfügt dem
Gesetz nach über keinerlei Instrumente, um einer in
Schieflage geratenen Bank risikoreiche Geschäfte zu untersagen; darauf haben die Sachverständigen in der Anhörung hingewiesen. Auch das vorgesehene Sanierungsverfahren ist wirklichkeitsfremd. Sie verlassen sich
darauf, dass es von den Vorständen einer sanierungsbedürftigen Bank eingeleitet wird. Eher wird sich ein Einbrecher bei der Polizei selbst anzeigen, als dass ein
Bankenvorstand eingesteht, dass er die Bank in eine
Schieflage gebracht hat. Das Bekanntwerden einer Sanierungsanzeige könnte das Aus für die Bank bedeuten,
wenn die Kunden Angst bekommen und ihr Geld abziehen.
Weiterhin ist auch nicht einsichtig, warum mit der Sanierung und Restrukturierung der Banken das Oberlandesgericht beschäftigt sein soll. Normalerweise befassen
sich die Amtsgerichte mit Insolvenzen. Deswegen ist die
fachliche Kompetenz dort gebündelt.
Frau Merkel hat beteuert, der Staat sowie die Bürgerinnen und Bürger dürften nie mehr durch die zu groß
geratenen Banken und deren Misswirtschaft erpressbar
werden. Welch schöne Worte! Stattdessen legen Sie uns
heute einen wirkungslosen und unausgegorenen Gesetzentwurf vor. Die Sachverständigen haben ihn ganz klar
für ungeeignet erklärt, eine Systemkrise, wie wir sie gerade erlebt haben, zu überstehen, ohne die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Anspruch zu nehmen.
({4})
Auch dieses Gesetz ist in aller Eile mit heißer Nadel
gestrickt worden. Man kann sogar sagen, dass es zusammengeschustert wurde. Die Mitglieder des Rechtsausschusses kamen am Montag um 22 Uhr von einer
Dienstfahrt aus Brüssel zurück - Herr Ahrendt würde
hierbei von einer Klassenfahrt sprechen - und wurden in
der Sondersitzung am Dienstag um 8 Uhr mit 32 Änderungsvorschlägen konfrontiert, die am Montagabend per
E-Mail in die Büros gesandt worden waren.
({5})
Über diese wurde am Dienstagmorgen im Rechtsausschuss nach einer gnädigerweise zugestandenen Lesepause von einer Stunde ohne Erläuterung im Block abgestimmt. Ich bitte Sie: Glaubt denn jemand hier im Haus,
dass die Mehrheit der Abgeordneten den Inhalt der Veränderungen in seinem Kern erfasst hat oder Zeit hatte,
die Auswirkungen der einzelnen 32 Änderungen zu beurteilen? Von der Verwirklichung der Ankündigung, die
Opposition ernsthaft in die Beratung eines solch wichtigen Gesetzes einzubeziehen, konnte bei diesem Zeitdruck keine Rede sein. Das ist weder demokratisch noch
der Bedeutung der Angelegenheit angemessen.
({6})
Demokratie stelle ich mir anders vor.
Die Vorgehensweise und die damit verbundene Mangelhaftigkeit dieses Gesetzes werden eines Tages die
Bürgerinnen und Bürger mit viel Steuergeld zu bezahlen
haben, wie sie es schon bei der letzten Finanzkrise erlebt
haben. Das ist der eigentliche Skandal. Deswegen lehnt
Die Linke dieses Gesetz ab.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Anfang dieses Gesetzgebungsprozesses standen sehr
große Worte. Von einem Meilenstein war die Rede.
({0})
Nie wieder sollte der Steuerzahler herangezogen werden.
Die Bankenabgabe sollte dafür sorgen, dass die Banken,
die Verursacher, auch wirklich zur Kasse gebeten werden.
({1})
- Sie klatschen zu früh. - Wenn wir uns anschauen, wie
Herr Dautzenberg heute ganz vorsichtig sagt, der Steuerzahler solle zumindest nicht immer der Erste sein,
({2})
dann sehen wir, dass aus den ganz großen Ankündigungen ein überschaubares Päckchen geworden ist, was Sie
lieber zur abendlichen als zur frühmorgendlichen Stunde
diskutieren.
({3})
Lassen Sie mich noch kurz zum Verfahren kommen.
Herr Dautzenberg hat gesagt, wir hätten gute Anträge
vorgelegt. Vielen Dank für das Kompliment. Ich kann
Ihnen aber gleichzeitig sagen: Es ist uns - anders als
sonst üblich - nicht mehr möglich gewesen, vom Ministerium wie üblich die Unterstützung bei der Formulierung zu bekommen, weil die Zeit zu knapp war. Zwischen Montagabend und Dienstagabend war es also
nicht mehr in der notwendigen Qualität möglich, Änderungsanträge zu stellen. Deswegen ist das Verfahren
- das haben Sie im Ausschuss ja auch zugestanden - zu
kurzfristig gewesen.
({4})
Mit dem Anspruch, mit dem Sie gestartet sind, dass wir
hier eine qualitativ gute gemeinsame Gesetzgebung machen, war dies nicht zu vereinbaren. Das muss so stehen
bleiben.
({5})
Ich möchte auf die Kernkritikpunkte zu sprechen
kommen. Der erste Punkt: Es ist richtig, eine solche Regelung zur Insolvenz von Banken, eine große Restrukturierung zu schaffen. Aber - das muss man dazu sagen die Regelung gilt weder für die Deutsche Bank - sie ist
zu groß, als dass dieses Gesetz dies wirklich leisten
könnte; das ist deutlich geworden - noch für die Sparkasse Memmingen-Lindau-Mindelheim
({6})
oder andere Sparkassen, die das mit ihrer Institutssicherung schon heute ohne dieses Gesetz gut machen, sondern sie gilt für eine begrenzte Gruppe von Instituten;
denn der Fonds, der dahinter steht, ist von der Größe her
gar nicht zur Rettung aller Banken in der Lage. Sie
schreiben als Zielgröße 70 Milliarden Euro in das Gesetz. Das wird sehr lange nicht erreicht werden können.
Die Sachverständigen haben uns gesagt, dass die Beteiligung der Gläubiger nicht wirklich gelingen wird. Ich
könnte jetzt mehrere Sachverständige zitieren. Deren
Bedenken muss man schon ernst nehmen; denn wenn
nicht der Steuerzahler zahlen soll, dann müssten es die
Anteilseigner und die Gläubiger tun. Die Sachverständigen, Herr Krahnen, Herr Schich von der OECD und Professor Zimmer, um nur ein paar Beispiele zu nennen,
sagten uns, dass das so nicht funktionieren werde. Deswegen ist uns ganz wichtig, dass hier nachgearbeitet
wird; denn die Gläubigerbeteiligung, wie sie hier geregelt ist, reicht nicht aus. Ich frage mich, warum das, was
man in der Schweiz mit den sogenannten Contingent
Convertible Bonds machen kann, um die Beteiligung
von Gläubigern wirklich sicherzustellen, nicht auch in
Deutschland möglich sein soll.
({7})
Das internationale Vorbild zeigt uns: Es geht konsequenter, als Sie es tun.
Der zweite Punkt: Sie setzen beim Sanierungsverfahren nach wie vor auf Freiwilligkeit. Das ist falsch. Auch
das haben mehrere Sachverständige gesagt. Denn wir
wissen, dass die Vorstände in einem Unternehmen kein
Interesse haben, in der Krisenlage selber das Verfahren
einzuleiten. Das haben wir an verschiedenen Beispielen
gesehen: bei der HRE, bei der Sachsen LB und bei der
Bayern LB. Wir haben es doch immer wieder gesehen.
({8})
Warum setzen Sie nach den schlechten Erfahrungen immer noch darauf? Nicht nur die Banker sollen aus der
Krise lernen; auch wir müssen aus diesen Fällen lernen.
({9})
Deswegen hätte man hier einen Ansatz für die BaFin
schaffen müssen.
Drittens. Bei den Bonuszahlungen bleiben Sie wieder
hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Viele in Ihren
Reihen haben sich über die Luxuspension empört gezeigt, die bei der HRE zulasten des Steuerzahlers gezahlt
worden ist. Bei der Verschärfung - sie ist richtig - gehen
Sie aber wieder nicht den nächsten entscheidenden
Schritt: Sie beziehen Pensionszahlungen nicht ein. Das,
was wir bei der HRE kritisiert haben, könnte wieder vorkommen. Das finden wir falsch.
({10})
Ich möchte zum letzten Punkt kommen, der mir sehr
wichtig ist. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Sie
bei der parlamentarischen Kontrolle agieren. Wie viele
von uns aus allen Fraktionen haben sich zu Recht darüber beschwert, dass die parlamentarische Kontrolle
beim SoFFin nicht gelingt, dass hier Milliarden ohne adäquate Kontrolle ausgegeben werden können. Jetzt haben wir die Gelegenheit, da nachzujustieren; aber Sie
nehmen nur eine Minimalverbesserung vor. Warum haben Sie unsere Änderungsanträge abgelehnt, die eine
wirklich konsequente parlamentarische Kontrolle ermöglicht hätten?
({11})
Es ist uns unverständlich, dass Parlamentarier die
Möglichkeit aus der Hand geben, im Bereich des Haushalts, der Kontrolle der Administration ihrer Verantwortung wirklich gerecht zu werden. Da besteht nach wie
vor Korrekturbedarf. Wir fordern Sie auf, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen.
Danke.
({12})
Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir waren uns einig darüber: Die Exzesse, die wir
auf den Finanzmärkten erlebt haben, dürfen sich nie wiederholen. Daher ist es eine zentrale Lehre aus der Finanzmarktkrise, dass wir eine stärkere und vor allem
effizientere Regulierung der Finanzmärkte erreichen
müssen. Wir ziehen auch heute wieder die Lehren. Es
braucht Transparenz und Sicherheit; es muss neues Vertrauen entstehen.
Viele im Finanzmarkt Tätige wollen es auch heute
noch nicht wahrhaben: Es zerstört nun einmal die gesellschaftliche Akzeptanz unserer sozialen Marktwirtschaft,
wenn die Gewinne privatisiert werden, aber der Steuerzahler die Verluste tragen soll. Das Engagement des
Staates kann immer nur auf das Notwendigste beschränkt sein: Das ist die Grundüberzeugung der sozialen Marktwirtschaft; das ist unsere ordnungspolitische
Linie im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehört auch die Verpflichtung des Eigentums. Deswegen
ist zunächst einmal immer der Eigentümer für Verluste
zur Kasse zu bitten, nicht der Steuerzahler.
({0})
Das vorliegende Restrukturierungsgesetz bildet den
wichtigsten Baustein einer verbesserten Finanzmarktregulierung. Wir sind dabei, ein solideres Haus für den Finanzmarkt der Zukunft zu bauen. Dieses ehrgeizige Ziel
gehen wir Baustein für Baustein an. Ich möchte daran erinnern, dass wir heute den fünften Gesetzentwurf zur
Bankenregulierung im weiteren Sinne beschließen; zuvor haben wir Regelungen zum Rating und zur Vergütungsstruktur sowie zu den Leerverkäufen und zur
Verbriefung geschaffen. All dies dient dem Ziel der Regulierung des Finanzmarktes.
Heute setzen wir mit dem Restrukturierungsgesetz
unsere Eckpunkte für die Bankenrestrukturierung und
die Finanzmarktregulierung um. Zukünftig wird durch
die Einführung einer Insolvenzordnung für Kreditinstitute eine geordnete Sanierung oder Abwicklung von
Banken möglich, die in eine Schieflage geraten sind. Das
ist ein wesentlicher Schritt nach vorne. Unser Ziel ist es,
die Schieflage einer systemrelevanten Bank ohne Gefahr
für die Stabilität des Finanzsystems zu bewältigen. Wir
müssen dafür Sorge tragen, dass Eigen- und Fremdkapitalgeber die Kosten der Insolvenzbewältigung so weit
wie möglich selbst tragen. Das ist mit diesem Gesetz gewährleistet.
Natürlich lässt dieses Gesetzes eine parlamentarische
Kontrolle zu. Sie wollten die Möglichkeit einer Untersuchung schaffen. Wir bauen auf die parlamentarische
Kontrolle durch gewählte Mitglieder dieses Hauses, die
im SoFFin-Kontrollgremium arbeiten.
Das können Sie nicht auf dem Finanzmarkt offen austragen. Wir haben eine ganz klare parlamentarische Kontrolle, die ernst zu nehmen ist.
({1})
Neben den wichtigen Instrumenten der Insolvenzordnung zur Sanierung oder Abwicklung haben wir - das ist
ganz wichtig - vier wesentliche Punkte vorgesehen: erstens die Kostenbeteiligung der Banken, zweitens die
Haftungsverpflichtung der Manager, drittens die VerlänDr. h. c. Hans Michelbach
gerung der Verjährungsfrist und viertens eine Boniregelung. Neben den Instrumenten haben wir also wesentliche Elemente aufgenommen, die letzten Endes die
Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz der Banken in der
Gesellschaft wieder erhöhen werden. Deswegen ist die
Kostenbeteiligung in Form einer Bankenabgabe richtig.
Natürlich ist es völlig falsch, diese auf 100 Jahre hochzurechnen. Sie können die Banken nicht gleich überfordern. Wir müssen die Dinge Schritt für Schritt kontrollieren und prüfen.
Zu der Boniregelung kann ich sagen: Im Zusammenhang mit den Managementvergütungen bei staatlich unterstützten Banken setzen wir ein Zeichen der Vernunft.
({2})
Die staatlichen Mittel, die Mittel der Steuerzahler, dürfen nicht durch unangemessene Vergütungsleistungen
aus den notleidenden Banken abfließen. Für mich grenzt
es an Untreue, wenn in Unternehmen, die pleite sind,
Boni gezahlt werden. Das gibt es in der Wirtschaft nicht.
Das ist Insolvenzverschleppung. Das ist Untreue. Bei
Banken, die ihre Mittel letzten Endes vom Steuerzahler
erhalten, können keine Boni gezahlt werden.
({3})
Wir müssen ganz deutlich darauf hinweisen: Dies ist
ein ganz wichtiger Schritt. Wir haben gute Instrumente
für die Sanierung und Abwicklung und vier weitere wesentliche Punkte, die ich angesprochen habe. Ich glaube,
dies ist ein guter Tag für die Anleger, für die Sparer, für
die Steuerzahler und für den Finanzmarkt.
Herzlichen Dank.
({4})
Björn Sänger hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf könnte genauso
gut den Namen „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung
der Verantwortungskultur“ tragen. Das Gesetz wird
nämlich einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft leisten, indem es auch das Scheitern
großer, systemisch relevanter Banken ermöglichen wird.
Gleichzeitig werden die Risiken für die Steuerzahler minimiert.
Wie geht das? Es gibt drei Gründe:
Erstens. Wir haben ein mehrstufiges Verfahren - das
wurde hier schon mehrfach angesprochen -, welches es
den Verantwortlichen in den Banken ermöglicht, zunächst auf der Basis der Freiwilligkeit - weil das eben
auch zur Verantwortung einer Geschäftsleitung dazugehört - einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Es ist vollkommen richtig, Herr Kollege Schick, dass wir auf Freiwilligkeit setzen.
Zweitens stärken wir die Verantwortungskultur beim
Thema Haftung, indem wir die Verjährungsfristen verlängern. Sobald ein Unternehmen staatlich gestützt wird,
führen wir eine Sonderprüfung durch, die sich mit der
Frage beschäftigt, ob es seitens der Geschäftsleitung
Verfehlungen gegeben hat. Ich denke, das ist ein ganz
starker Anreiz für die Verantwortlichen, freiwillig Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.
Als dritten Punkt haben wir die Bankenabgabe geregelt, um die Risiken für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler so weit wie möglich zu minimieren. Diese Mittel werden eingesetzt, um das Finanzsystem zu
stabilisieren. Dabei geht es nicht darum, Banken zu stützen. Wenn ein Unternehmen am Markt gescheitert ist,
wird es auch entsprechend abgewickelt. Das wird dieses
Gesetz ermöglichen.
Folglich ist es auch nur logisch, dass alle Banken entsprechend einzahlen. Denn es geht nicht darum, einzelne
Banken zu stützen, sondern darum, das gesamte System
zu stabilisieren. Davon profitieren nämlich alle.
Auch die Ausnahmen, die wir gemacht haben, sind
logisch. Es geht darum, dass Förderbanken - das ist die
KfW, das ist im Übrigen die Landwirtschaftliche Rentenbank - nicht einzahlen. Denn diese Banken gehen
politisch gewollt Risiken ein, die vom Staat abgesichert
werden. Insofern hätte es überhaupt keinen Sinn gemacht, diese mit einzubeziehen.
Fazit: Dieses Gesetz wird eine ganz entscheidende
Rolle spielen, um Krisen zukünftig gar nicht erst entstehen zu lassen. Es stärkt die Grundprinzipien der sozialen
Marktwirtschaft, zu der auch ein Scheitern dazugehört.
Wir meinen, es ist ein Gesetz, dem Sie alle zustimmen
könnten.
Die Sozialdemokraten werden sich enthalten. Meine
sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein bisschen so
wie mit dem Anhalter, der ein schwarz-gelbes Auto vorbeifahren lässt, weil er auf ein rotes wartet. Das ist in
diesem Bereich nicht akzeptabel. Überdenken Sie das
noch einmal.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Brinkhaus spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir - damit meine ich nicht nur die christlich-liberale Koalition,
sondern auch die Große Koalition, Parlamentarier auf
deutscher und europäischer Ebene und Regierungen jeglicher Couleur - haben uns nach der Finanzkrise im
Herbst 2008 auf den Weg gemacht, um die Finanzmärkte
ein wenig besser zu gestalten und sicherer zu machen.
Wir alle haben uns dabei an einer gewissen Architektur orientiert. Die Architektur beinhaltete folgende Aspekte: Erstens wollten wir die Aufsicht stärken. Zweitens wollten wir das Handeln der einzelnen Akteure, der
Banken und der Institute, auf den Finanzmärkten stärker
regulieren. Drittens waren wir so bescheiden, anzunehmen, dass es sein kann, dass Regulierung und stärkere
Aufsicht irgendwann vielleicht doch nicht greifen, und
deswegen brauchten wir ein Verfahren, um mit Krisen
der Institute umzugehen und zu verhindern, dass der
Kollaps einer Bank zum Kollaps des gesamten Systems
führt.
({0})
Wir - damit meine ich uns alle, schließlich waren
auch grüne Politiker auf europäischer Ebene und Sie von
der Großen Koalition mit dabei; das haben Sie zu Recht
angemerkt - haben geliefert. Wir haben geliefert, indem
wir die europäischen Aufsichtsstrukturen angepasst haben, und wir werden auch in Deutschland liefern und
nachziehen. Wir haben geliefert, indem wir die Regulierung der Ratingagenturen, der Vergütungssysteme, der
Leerverkäufe - diese haben wir in Deutschland verboten und der Verbriefungen gestärkt haben.
Wir haben allerdings noch keine Antwort auf die
Frage geliefert, meine Damen und Herren, wie wir mit
der Schieflage einer systemischen Bank umgehen. Wir
verabschieden hier und heute diesen Gesetzentwurf, weil
das Gesetz notwendig ist. Denn es ist höchste Zeit, dass
wir diese Lücke in unserer Architektur schließen.
({1})
Natürlich kann man dieses Gesetz jetzt kritisieren. Ich
glaube, kein Gesetz ist perfekt.
({2})
Eines darf man allerdings nicht tun: diesen Gesetzentwurf mit den Kritikpunkten, die Sie vorgebracht haben,
ablehnen. Das geht nicht. Ich will darauf eingehen, um
welche Kritikpunkte es sich im Einzelnen handelt.
Sie beklagen - damit meine ich insbesondere die Damen und Herren von der Linken und der SPD -, dass die
Regelungen über die Boni nicht ausreichend sind. Ich
kann dazu nur eines sagen: Wir werden auf der einen
Seite von den Banken dafür kritisiert, dass die Regelungen über die Boni zu streng sind. Auf der anderen Seite
werden wir von Ihnen dafür kritisiert, dass sie zu
schwach sind. Das heißt, wir scheinen irgendwo einen
guten Mittelweg gefunden zu haben, der auch passt.
({3})
Der zweite Punkt, meine Damen und Herren: Kommen wir doch einmal zur Restrukturierungsabgabe und
zur Bankenabgabe. Sie sagen - und das ist eine tolle
SPD-Argumentation, die immer kommt; ich hätte sie vorausahnen können, Herr Zöllmer -,
({4})
dass diese nicht ausreiche, um die Kosten der Krise tatsächlich zu bewältigen.
Ich will Ihnen eines sagen: Wir werden mit dieser
Bankenabgabe von den Banken in Deutschland - von
den Volksbanken bis zu den Großbanken - in einem normalen Jahr 1 Milliarde bis 1,3 Milliarden Euro einziehen. Nehmen Sie bitte nicht die Krisenjahre mit ihren
600 Millionen Euro. Das sind keine normalen Jahre, und
es wäre nicht seriös, so zu argumentieren.
({5})
Wir werden darüber hinaus im Rahmen des Sparpaketes die Banken mit 2 Milliarden Euro an den Kosten der
vergangenen Krisen beteiligen. Das sind dann zusammen schon 3 Milliarden Euro.
Wir verlangen von den gleichen Banken - und das
verlangen auch Sie von den Banken -, dass sie ihr Eigenkapital stärken und dass sie auch weiterhin Kredite
ausreichen, um den Mittelstand zu finanzieren.
({6})
Was wollen wir denn eigentlich noch erreichen! Wir
müssen irgendwo auch Maß halten und die volkswirtschaftlichen Aufgaben, die den Banken obliegen, akzeptieren, meine Damen und Herren.
({7})
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Herr Schick, die
Grünen sagen, und das ist ihre Strategie: Jetzt haben wir
zwar einen Gesetzentwurf, aber wir müssen einmal über
die Lösung mit den Convertibles, die in der Schweiz gefunden worden ist, nachdenken. Das mag richtig sein.
Um der Ehrlichkeit Genüge zu tun, müssten Sie auch sagen, dass sich andere Länder, die USA und Großbritannien, nicht für diese Lösung entschieden haben. Man
kann sicherlich darüber diskutieren. Man kann sicherlich
auch über viele andere Vorschläge diskutieren, die gemacht worden sind.
Herr Pitterle hat angemerkt, dass das Sanierungsverfahren in den Details vielleicht nicht ganz richtig ist. Sie
haben auch noch angeführt, dass es in diesem Verfahren
vielleicht zu viel Freiwilligkeit gibt. Aber eines muss
man akzeptieren: Wir handeln hier in einer sehr schwierigen Situation. In diesem Gesetz müssen Arbeitsrecht,
Gesellschaftsrecht und Steuerrecht zusammengeführt
werden. Die Bundesländer haben gegebenenfalls ein anderes Interesse als der Bund. Uns liegen Stellungnahmen
von Professoren vor, die unterschiedlicher Meinung
sind. Trotz dieser Gemengelage haben wir ein Gesetz
aufgebaut, dass es so in Europa und in der Welt nicht
gibt. Das muss man an dieser Stelle einfach einmal anerkennen.
({8})
Man kann nicht immer nur an Details herumkritteln
und dann nicht fertig werden. Genau das ist das Problem
der Opposition. Immer wieder wird an irgendwelchen
Details herumgekrittelt. Den großen Wurf habe ich von
Ihnen noch nicht gehört.
({9})
Den haben wir gelandet. Wir leisten, wir liefern, Sie kritisieren. Die Politik der Opposition in dieser Legislaturperiode ist: Kritik, Kritik, Kritik, aber keinerlei konstruktive Vorschläge.
({10})
Ich sage Ihnen eines: Sie haben keine Gründe, diesen
Gesetzentwurf abzulehnen. Es ist beschämend, dass sich
die SPD unter dem Mantel, dass eine Finanztransaktionsteuer eingeführt werden muss, allem in diesem Haus
verweigert. Das ist das goldene Kalb der SPD, um das
Sie herumtanzen.
({11})
Sie wissen eines ganz genau, Herr Zöllmer: Diese Finanztransaktionsteuer hat nur Sinn, wenn wir sie auf europäischer Ebene durchsetzen. Wir versuchen das. Sie
haben verpasst, das durchzusetzen, als Sie an der Regierung waren. Wenn Sie wollen, dass diese Finanztransaktionsteuer auf nationaler Ebene durchgesetzt wird, dass
wir einen Alleingang machen, dann erklären Sie den
Menschen, die am Finanzplatz Frankfurt arbeiten, dass
Sie schuld sind, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren. Das
ist nicht seriös.
({12})
Sie müssten bitte zum Ende kommen, Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss. In dem Wissen, dass dieses
auf den Weg gebrachte Gesetz nicht perfekt ist, haben
wir ganz bewusst gesagt - dabei sind wir auf Ihre Anregungen eingegangen -, dass wir dieses Gesetz in zwei
Jahren evaluieren werden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Dann sprechen wir uns wieder. Ich denke, dann werden wir sehen, dass wir ein gutes Gesetz auf den Weg
gebracht haben.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Restrukturie-
rungsgesetzes. Nach § 31 unserer Geschäftsordnung lie-
gen dazu Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen
Schick, Gambke, Haßelmann und Paus vor.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, Drucksachen 17/3407 und 17/3547,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und SPD.
Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke waren dagegen. Enthaltungen gab es keine.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 17/3024
und 17/3362, in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die SPD hat
sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3471? - Gegenprobe! Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion, dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich
enthalten.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3472? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion,
dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen und
die Fraktion der SPD. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Grundrecht auf Wohnen sozial, ökologisch
und barrierefrei gestalten
- Drucksache 17/3433 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) -
Innenausschuss-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Arbeit und Soziales
1) Anlage 8
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Die Reden zu Protokoll gegeben haben die Kollegin-
nen und Kollegen Storjohann, Raab, Bartol, Gottschalck,
Körber, Bluhm und Wagner.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3433 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 6
auf:
9 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Jahressteuergesetzes 2010 ({1})
- Drucksachen 17/2249, 17/2823 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jutta Krellmann,
Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Abschaffung des Progressionsvorbehalts für Kurzarbeitergeld
- Drucksache 17/255 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache 17/3449 Berichterstattung:Abgeordnete Olav GuttingLothar Binding ({3})Dr. Daniel VolkDr. Barbara HöllLisa Paus
Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/3466 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({5})Otto FrickeRoland ClausAlexander Bonde
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({6}), Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Bereich des
Steuerrechts
- Drucksache 17/3218 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({7}) -
Innenausschuss-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Haushaltsausschuss
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag
1) Anlage 10
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen
Änderungsantrag werden wir später namentlich abstimmen.
Verabredet ist, eine halbe Stunde lang zu debattieren.
- Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({8})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Jahressteuergesetz 2010 hat es, insbesondere
was den Umfang anbelangt, mal wieder in sich. Im letzten Jahr gab es kein Jahressteuergesetz. So hatten wir in
diesem Jahr zusammen mit den Empfehlungen des Bundesrats über 200 Maßnahmen zu beraten.
In diesem Zusammenhang darf ich mich zunächst bedanken bei allen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern in den Fraktionen und vor allem auch bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMF. Herr
Minister, seien Sie so gut und richten Sie es ihnen aus.
Es waren immer zielorientierte Gespräche, und es war
eine gute Zusammenarbeit. Dadurch ist es gelungen, das
Jahressteuergesetz in diesem Jahr über einen Monat früher abzuschließen als in den vergangenen Jahren.
({0})
Das ist gut so; denn das bedeutet eine Erleichterung
für die Praxis. So können die notwendigen Änderungen,
die ja in der Regel zum 1. Januar des jeweils nächsten
Jahres in Kraft treten, bereits heute in die Praxis einfließen, und es ist nicht so wie in den letzten Jahren, dass
immer kurz vor Weihnachten die große Hektik und Betriebsamkeit ausbricht.
Auch wenn es ganz überwiegend lediglich steuertechnische Anpassungen aus Gerichtsurteilen, EU-rechtlichen Vorgaben oder aus Anregungen von der Verwaltung waren, enthält das Jahressteuergesetz 2010 doch
eine Reihe von erwähnenswerten Punkten, welche ich
hier kurz ansprechen möchte.
Bei der Absetzbarkeit der Kosten für das häusliche
Arbeitszimmer haben wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Nunmehr können Arbeitnehmer wieder einen Werbungskostenabzug in Höhe
von bis zu 1 250 Euro jährlich für ein häusliches Arbeitszimmer vornehmen, sofern - das ist wichtig, und
das halte ich auch für richtig - kein anderer Arbeitsplatz
zur Verfügung steht.
Die Neuregelung gilt auch rückwirkend für alle noch
offenen Fälle ab dem Veranlagungszeitraum 2007. Wir
erreichen hier für die betroffenen Menschen eine jährliche Entlastung von rund 250 Millionen Euro.
Ganz bewusst haben wir bei den nicht privatrechtlich
organisierten Banken, also bei den Sparkassen und
Volksbanken, sowie bei den Versicherungen die umsatzsteuerliche Behandlung der Auslagerung von Finanzdienstleistungen durch dieses Jahressteuergesetz nicht
berührt. Das sichert Arbeitsplätze gerade im ländlichen
Raum.
Als Abgeordneter des Spargelwahlkreises BruchsalSchwetzingen
({1})
will ich eine weitere sehr positive Maßnahme hervorheben. Mit dem Jahressteuergesetz 2010 haben wir die zu
Recht vielfach kritisierte Steuerpflicht für viele Saisonarbeitskräfte abgeschafft. Bislang zwang diese Regelung
300 000 Saisonarbeitskräfte, davon allein 200 000 in der
Landwirtschaft beschäftigte, eine Steuererklärung abzugeben, obwohl in der Regel absehbar war, dass keine
Steuerlast entsteht; seit 2009 war das so.
In der Praxis lief es oft so ab, dass nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Steuererklärung
abgegeben haben, sondern zum Beispiel die Obst- und
Spargelbauern damit belastet waren. Das ist auch nicht
verwunderlich. Eine Steuererklärung ist schon für einen
Muttersprachler eine schwierige Angelegenheit. Wenn
jemand aber aus Polen, Kroatien, Rumänien oder Bulgarien kommt und der deutschen Sprache nicht hundertprozentig mächtig ist, dann ist es gar ein Ding der Unmöglichkeit, eine Einkommensteuererklärung auszufüllen.
({2})
Die Praxis sah so aus, dass der Bauer oder gleich ein
Steuerberater einspringen musste. Die damit einhergehenden Kosten, die Bürokratiekosten, blieben natürlich
beim Landwirt hängen, obwohl der Steuerbescheid, was
von vornherein völlig klar war, regelmäßig eine Steuerlast von 0 Euro ausgewiesen hat. Wir sorgen mit dieser
Maßnahme nicht nur für eine Entlastung der saisonal Beschäftigten, sondern gleichermaßen auch für eine Entlastung der Arbeitgeber und der Finanzverwaltungen.
Bürokratieabbau konnten wir auch bei der Informationspflicht im Zusammenhang mit ELStAM erzielen. Die
Information der Arbeitnehmer über die gebildeten elektronisch gespeicherten Lohnsteuerabzugsmerkmale wird
nunmehr von der Finanzverwaltung übernommen, wodurch aufseiten der Arbeitgeber Bürokratiekosten von
nahezu 100 Millionen Euro eingespart werden.
Besonders hervorzuheben ist, dass wir im vorliegenden Gesetzentwurf für den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Abbau gleichheitswidriger Benachteiligungen
im Steuerrecht von Lebenspartnern und Ehegatten gesorgt haben, und zwar im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz sowie im Grunderwerbsteuergesetz.
Im Hinblick auf die von der Opposition geforderten Angleichungen im gesamten Einkommensteuerrecht plädieren wir allerdings dafür, zunächst die Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichtes abzuwarten, statt einen
Schnellschuss zu wagen.
({3})
Das Füreinander-Einstehen in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft erkenne ich an. Das Füreinander-Einstehen ist auch steuerlich entsprechend zu
privilegieren; das ist begründbar. Ich will aber auch sagen: Eine absolute Gleichstellung der Ehe als im Grundgesetz verankerte Keimzelle der Gesellschaft auf der einen Seite
({4})
und der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft auf
der anderen Seite entspricht nicht meiner Auffassung
vom Schutz der Ehe, die ich als Familie verstehe.
({5})
Es können daher nach meiner Meinung nicht sämtliche
Rechtsvorschriften, die für Ehe und Familie gelten, eins
zu eins auf Eingetragene Lebenspartnerschaften übertragen werden.
({6})
Insgesamt haben wir mit dem vorliegenden Entwurf
eines Jahressteuergesetzes 2010 einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Wir entlasten die Menschen in diesem
Jahr um knapp 1 Milliarde Euro, und wir entbürokratisieren.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck
zulassen?
Ich bin gleich fertig. Das muss jetzt nicht mehr sein.
({0})
Zum Schluss noch ein paar Sätze zum Gesetzentwurf
der Linken zur Abschaffung des Progressionsvorbehalts
beim Kurzarbeitergeld. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den Sie schon mehrmals vorgelegt haben.
({1})
Er wird aber nicht richtiger, nur weil Sie ihn häufig einbringen.
({2})
Durch den Progressionsvorbehalt wird die Besteuerung
nach Leistungsfähigkeit sichergestellt. Anders formuliert: Wer mehr hat, muss mehr Steuern zahlen; so einfach ist das. Würden wir Ihren Gesetzentwurf verabschieden, würden wir diesen Grundsatz auf den Kopf
stellen. Deswegen werden wir ihn ablehnen.
Herzlichen Dank.
({3})
Lothar Binding spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Ich bin umfangreich vorbereitet.
Sie wissen, wie lang Ihre Redezeit ist?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Das
Jahressteuergesetz 2010 bietet die große Chance, Fehler,
die im vergangenen Jahr oder früher gemacht worden
sind, zu korrigieren.
({0})
- Ja, auch unsere. Alle Fehler, die in der Vergangenheit
gemacht wurden, hättet ihr korrigieren können. - Diese
Chance ist verpasst worden. Herr Brinkhaus hat vorhin
vorwurfsvoll gesagt, die SPD verweigere sich bestimmten Dingen. Damit hat er vollkommen recht. Wir verweigern uns zum Beispiel einem 1-Milliarde-Euro-Geschenk für die Hotels.
({1})
- Diesen Bart hätte man heute mit diesem Gesetz abschneiden können. Dann wäre alles wunderbar gewesen.
({2})
Wir verweigern uns auch Körperschaftsteuergeschenken
an Konzerne, die diese nicht brauchen, Subventionen für
eine Klientel, die diese nicht nötig hat.
({3})
Ich will aber einmal die Frage aufwerfen, ob das Gesetz wenigstens die eine Forderung erfüllt, die speziell
die FDP elf Jahre lang wie eine Monstranz vor sich hergetragen hat. Sie hat gesagt, sie kümmere sich um Einfachheit.
({4})
Ich habe diesen Ordner mitgebracht,
({5})
in dem sich ein Quiz befindet. Der Ordner enthält den
Gesetzentwurf und die über 36 Änderungsvorschläge.
Die Quizaufgabe besteht darin, in Ihren Vorschlägen
eine einzige einfache Formulierung zu finden.
({6})
Ich will einmal eine Stelle vorlesen, die ein Mitarbeiter
mir vorgeschlagen hat - Sie können aber auch jede beliebige andere Stelle aufschlagen -:
Der Teilbetrag im Sinne des § 54 Absatz 11 Satz 1
des Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung der
Bekanntmachung vom 22. April 1999 …, das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 14. Juli
2000 … geändert worden ist ({7}), erhöht sich um die Einkommensteile, die
nach § 34 Absatz 12 Satz 2 bis 5 einer Körperschaftsteuer von 45 vom Hundert unterlegen haben,
- So weit war Ihnen das ja klar ({8})
und der Teilbetrag, der nach dem 31. Dezember
1998 einer Körperschaftsteuer in Höhe von 40 vom
Hundert ungemildert unterlegen hat, erhöht sich um
die Beträge, die nach § 34 Absatz 12 Satz 6 bis 8 einer Körperschaftsteuer von 40 vom Hundert unterlegen haben, jeweils nach Abzug der Körperschaftsteuer, der sie unterlegen haben.
({9})
Es ist offensichtlich, dass Sie das Ziel der Einfachheit erreicht haben. Diesem Begriff von Einfachheit verweigern wir uns aber. Da hat Herr Brinkhaus schon wieder
recht.
({10})
- Nein, im Moment kann ich keine Zwischenfrage zulassen.
Wir nehmen aber noch an anderer Stelle eine Verweigerungshaltung ein. Wir verweigern uns zum Beispiel
der Abschaffung der Rentenversicherungsbeiträge für
ALG-II-Empfänger, der Abschaffung des Elterngeldes
für ebendiese Gruppe sowie der Abschaffung des Heizkostenzuschusses.
({11})
Das Versäumnis der Korrektur von Fehlern führt zu
einem System, das sich nur dann erschließt, wenn man
den Blick auf den Unterschied zwischen Arm und Reich
richtet. Es wird jetzt die Zulagenberechtigung bei der
Riester-Förderung ermöglicht. Aber warum wird sie eigentlich ermöglicht? Weil man die Altersvorsorgeregelung für die ALG-II-Empfänger zuvor abgeschafft hat.
({12})
Sie meinen, das sei eine ganz tolle Regelung. In Wahrheit ist es aber nur ein Placebo für diejenigen, die nichts
haben und nach Inkrafttreten dieser Regelung erst recht
Lothar Binding ({13})
nichts haben werden. Da verweigern wir uns schon wieder.
({14})
Die Rechtsprechung des BFH hat die Möglichkeit der
korrigierenden Verlustfeststellung gemäß § 10 d des Einkommensteuergesetzes hinsichtlich der Werbungskosten
während einer Phase der Arbeitslosigkeit geschaffen.
Wir wollen, dass die Kosten für Umschulung und Arbeitsplatzsuche auch nachträglich geltend gemacht werden können. Sie wollen das verhindern. Wie kleinlich
muss man sein, um einem Arbeitslosen, der eine Umschulung hatte und möglicherweise vergessen hat, dies
geltend zu machen, die nachträgliche Geltendmachung
zu verwehren?
({15})
Umgekehrt bekommt der Selbstständige fast alle Bescheide unter Vorbehalt. Für ihn ist also eine automatische Sicherung eingebaut. Das ist der Unterschied zwischen Schwach und Stark und zwischen einer
Verweigerung und einer Politik der Gestaltung.
({16})
- Das ist keine Neiddebatte. So neidisch bin ich nicht auf
die Leute, die Sie schlecht behandeln.
({17})
Über eine Bundesratsinitiative wollen wir es Lohnsteuerhilfevereinen erlauben, ihre Mitglieder auch dann
zu beraten, wenn sie eine unwesentliche Beteiligung an
einem geschlossenen Fonds haben. Auch das verweigern
Sie. Warum verweigert man den Lohnsteuerhilfevereinen die Erweiterung ihrer Befugnisse um einen Mikrometer, während man ganz anderen Leuten Befugnisse
gibt, durch die ihnen fast alles erlaubt wird?
({18})
Auch hier gibt es eine große Ungerechtigkeit zwischen
den Schwachen und den Starken. Wir verweigern uns
der Missachtung dieser Gerechtigkeitsprinzipien.
({19})
Es gibt noch einen anderen Punkt anzusprechen. Sie
wollen nämlich noch etwas machen, was das Parlament
betrifft. Hier sind wir sehr sensibel, insbesondere deshalb, weil einige CDU/CSU-Kollegen zuvor, in der Großen Koalition, gemeinsam mit uns noch sehr vehement
für die parlamentarische Beteiligung an internationalen
Verhandlungsprozessen eingetreten sind. Dabei ging es
zum Beispiel um Doppelbesteuerungsabkommen. In
diese Prozesse wollten und sollten wir stärker eingebunden werden. Was passiert jetzt? Sie ermächtigen die Regierung, Verordnungen in Kraft zu setzen und Konsultationen und Verständigungsverfahren durchzuführen,
damit das Parlament außen vor bleibt. Das wollen wir
nicht; wir wollen beteiligt werden. Wir können im Zweifelsfall selbst darauf verzichten; dass aber per Gesetz
festgelegt werden soll, dass wir nicht beteiligt werden,
sehen wir natürlich nicht ein.
({20})
Jetzt komme ich zu etwas ganz Schlimmem. Das betrifft wahrscheinlich weniger die Arbeitslosengeld-IIEmpfänger, weshalb das auch noch nicht geregelt wurde.
Sie haben die strafbefreiende Selbstanzeige in diesem
Gesetzentwurf nicht geregelt, obwohl der Bundesrat Ihnen das nahegelegt hat.
({21})
Es ist natürlich klar, warum Sie das noch nicht geregelt
haben: Die strafbefreiende Selbstanzeige ist möglicherweise eine Hilfe für Leute, die mehr Geld als
Arbeitslosengeld II haben. Nach dem Eiertanz beim Ankauf der CD in Baden-Württemberg ist das eigentlich
auch gar nicht verwunderlich.
({22})
Die Dimension ist klar: Es gab 27 000 Selbstanzeigen
infolge des Ankaufs dieser CD. Daran merkt man, um
welche Größenordnung es sich im Bereich der Steuerhinterziehung handelt. Wir glauben, dass es ein wirklich
schwerer Fehler ist, dass Sie das noch nicht geregelt haben.
Ich will noch Folgendes sagen: Das Kabinett wollte
etwas Gutes tun und einen redaktionellen Fehler im Erbschaftsteuerrecht korrigieren. Dadurch hätte die Übertragung ganz bestimmten Verwaltungsvermögens auf
Untergesellschaften, um die Obergesellschaft erbschaftsteuerlich freizustellen, vermieden werden können. Das
Parlament hat dieser guten Idee der Regierung, das zu
korrigieren, nicht zugestimmt und damit die Erbschaftsteuer noch weiter ausgehöhlt.
({23})
250 Milliarden Euro werden im Jahr vererbt. Es war
angedacht, durch die Erbschaftsteuer 4 Milliarden Euro
einzunehmen. Das wird jetzt weiter abgesenkt. Wer sich
ausrechnen kann, wie viel 3 bis 4 Milliarden von
250 Milliarden Euro sind, der kennt die Bedeutung der
Erbschaftsteuer und weiß, was hier passiert und für welche Klientel bei diesem Gesetzentwurf gearbeitet wird.
Ich will jetzt nicht weiter darauf eingehen.
Die FDP erklärte uns in diesem Zusammenhang, es
sei eine Verschärfung der Gesetzgebung, die Gestaltung
einzuschränken. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich übersetze das einmal: Es ist eine Verschärfung der Gesetzgebung, wenn man dagegen vorgeht, dass Steuertricks angewendet und Schlupflöcher
ausgenutzt werden. - Das halte ich für absurd. Hier verweigern wir uns total, und wir stimmen dem Gesetzentwurf auch nicht zu.
Vielen Dank.
Lothar Binding ({24})
({25})
Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk von der
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Binding,
({0})
das hat wirklich wehgetan, aber nicht wegen der Lautstärke, sondern wegen des Inhalts, weil es teilweise
wirklich absurd war. Die Bestimmung, über die Sie hier
comedymäßig geredet haben - Sie haben sich beschwert,
dass das so kompliziert klingt -, ist genau die Bestimmung, die wir in das Jahressteuergesetz aufnehmen
mussten, weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Ihnen als SPD - einem SPD-geführten Finanzministerium - es wieder einmal schwarz auf weiß gegeben hat,
({1})
dass Sie eine verfassungswidrige Steuergesetzgebung
vorgenommen haben.
({2})
Dementsprechend mussten wir diese Regelung so im
Jahressteuergesetz fassen - übrigens auch mit der Folge
einer nicht unerheblichen Mindereinnahme, die wir im
jetzigen Haushalt zusätzlich verkraften müssen, weil Sie
schon damals nicht in der Lage waren, eine verfassungsgemäße Steuergesetzgebung vorzunehmen.
Zu dem, was Sie zuletzt zur Erbschaftsteuer gesagt
haben, möchte ich zunächst einmal klarstellen, dass wir
die Erbschaftsteuer nicht aushöhlen.
({3})
Wir lassen sie doch in der jetzigen Regelung bestehen.
({4})
Wir nehmen keine Änderung vor. Dass wir sie aushöhlen
würden, würde ja voraussetzen, dass wir eine Änderung
vornehmen. Das machen wir eben nicht.
({5})
Vielmehr haben wir den Vorschlag für eine Verschärfung
der Erbschaftsteuer, die die Unternehmen, insbesondere
mittelständische Unternehmen, zusätzlich belasten würde,
aus dem Regierungsentwurf herausgenommen.
({6})
Ich glaube, es ist unser souveränes Recht als Parlamentarier, dieses so vorzunehmen, weil wir es nämlich für
richtig halten.
({7})
Insofern ist wieder einmal klar, wo der Unterschied zwischen dieser Seite und jener Seite des Hauses liegt.
({8})
Sie würden immer nur die Steuern erhöhen und sagen:
Die Steuerpflichtigen können noch mehr zahlen, weil
der Staat ja mehr Geld braucht. - Für Sie in Ihrer Denkweise ist eine hohe Besteuerung Garant dafür, dass es
auch hohe Steuereinnahmen gibt. Anders herum wird
aber ein Schuh daraus; wir haben das in den letzten zehn
Monaten in Deutschland beobachten können. Diese, die
rechte Seite hat nämlich zu Beginn des Jahres entsprechende Steuerentlastungen vorgenommen,
({9})
die dazu geführt haben, dass die Steuereinnahmen insgesamt steigen. Wir sorgen durch eine vernünftige Steuerpolitik dafür, dass die Unternehmen in Deutschland investieren und Arbeitsplätze schaffen können. Das zeigt
sich jetzt an einer fantastischen Aussicht auf dem Arbeitsmarkt. Wir leiden mittlerweile unter Fachkräftemangel; das muss man sich überlegen. Die Zahl der Arbeitslosen liegt unter 3 Millionen, weil wir die Grundlage dafür legen, dass die Unternehmen in Deutschland
sichere Investitionsbedingungen haben.
({10})
Das zeigt sich eben auch bei der Erbschaftsteuer.
Wenn Sie jetzt an der Regierung wären, würden Sie sicherlich die Erbschaftsteuer verschärfen. Das Problem
würde sein, dass die Unternehmen in Deutschland nicht
mehr die Voraussetzungen für gutes Wirtschaften haben
würden. Es würden Arbeitsplätze ins Ausland verlagert
und Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut werden. Die
Arbeitslosenzahlen würden eben nicht so sinken, wie es
unter der Regierung der christlich-liberalen Koalition
der Fall ist.
Ich möchte noch weitere Punkte dieses Jahressteuergesetzes hervorheben, die wir für ganz besonders wichtig halten. Wir machen einen deutlichen Schritt hin zur
Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaften. Aber hier sind noch weitere Verfahren in Karlsruhe
anhängig. Wir meinen, dass es auch eine Frage des Respektes vor dem höchsten deutschen Gericht ist, dass wir
die Entscheidung abwarten, um dann gesetzgeberisch
darauf zu reagieren.
Wir haben einen Bereich entbürokratisiert. Das betrifft die Sonderregelung für ehemals gemeinnützige
Wohnungsunternehmen. Das ist ein ganz wichtiger Bereich für eine Entbürokratisierung des Steuerrechts. Es
handelt sich um eine Vereinfachung, bei der wir davon
ausgehen können, dass wir auf dem genannten Gebiet
eine entsprechende Dynamik entwickeln werden.
Einen Punkt möchte ich hervorheben, weil wir diesbezüglich keine gesetzliche Regelung im Jahressteuergesetz vornehmen. Denn es ist uns gelungen, im Zuge der
Beratungen des Jahressteuergesetzes eine wichtige Klarstellung für die Praxis herbeizuführen. Ich nenne das
Stichwort: Organschaft im Rahmen des Körperschaftsteuergesetzes. Es ist uns durch ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums gelungen, die Unsicherheiten, die
gerade in den letzten Monaten in der Praxis auf diesem
Gebiet entstanden sind, zu beseitigen. Deswegen brauchten wir keine gesetzlichen Regelungen, was auch eine
Vereinfachung der Steuergesetzgebung darstellt.
Insgesamt haben wir einen Entwurf zum Jahressteuergesetz vorgelegt, der im Wesentlichen davon geprägt ist,
dass wir einerseits Fehler der Vergangenheit aufarbeiten
müssen, aber andererseits sehr praxisrelevante wie auch
praxisgerechte Regelungen vorgenommen haben. Insofern ist das Jahressteuergesetz ein weiterer Baustein im
Rahmen einer vernünftigen Steuerpolitik der schwarzgelben Koalition.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Barbara Höll von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Endlich - alle haben darauf gewartet - liegt der Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 2010 vor. Er beinhaltet
nicht nur ein paar redaktionelle Änderungen, sondern
auch Kröten, die wir nicht zu schlucken bereit sind. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.
({0})
Mit der bevorstehenden Verabschiedung des Gesetzentwurfs zum Jahressteuergesetz zeigt die Koalition,
dass sie nicht bereit ist, bekannte Steuerschlupflöcher zu
schließen, obwohl ihr dies selbst die Regierung im Gesetzentwurf vorgeschlagen hat. Denn im Rahmen der
Neuregelung der Erbschaftsbesteuerung 2008 unterlief
der Großen Koalition - ich unterstelle - tatsächlich ein
redaktioneller Fehler.
Wenn in der Vermögensmasse des Unternehmens der
Anteil des unproduktiv genutzten Vermögens - hierzu
gehören Kunstgegenstände, Münzen und Wertpapiere am Gesamtvermögen nicht über 10 Prozent liegt, dann
kann dieses Unternehmen unter den bekannten Bedingungen steuerfrei an die nächste Generation übergehen.
Bestehen zum Beispiel Beteiligungen an Personengesellschaften oder Anteile an Kapitalgesellschaften, dann
dürfen diese Gesellschaften bis zu 50 Prozent Verwaltungsvermögen - also das unproduktive Vermögen, das
ich gerade erwähnt habe - an ihrem Gesamtvermögen
besitzen, um steuerfrei zu bleiben. Dies lädt zur Steuerumgehung ein und ist verfassungsrechtlich bedenklich.
Die Folge ist: Viele Unternehmen übertragen ihr Verwaltungsvermögen einfach auf Tochtergesellschaften,
um auch für diesen Teil des Vermögens Steuerfreiheit zu
erlangen. So heißt es selbst im Gesetzentwurf - ich zitiere -:
Eine höhere Grenze für das Verwaltungsvermögen
im Betriebsvermögen von Beteiligungen/Tochtergesellschaften gegenüber dem Verwaltungsvermögen im diese haltenden Betriebsvermögen ist nicht
zu rechtfertigen und führt zu nicht gewollten steuermindernden Gestaltungen.
Eine Abweichung bedarf nach Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes eines besonderen sachlichen Grundes.
Deshalb sollte jetzt die Grenze für unproduktive Vermögensteile einheitlich auf 10 Prozent festgesetzt werden. Genau das kassieren Sie jetzt ein. Sie wollen die
steuermindernden Regelungen beibehalten, statt den
Fehler zu korrigieren, und das gegen die Empfehlung der
Fachleute und der Regierung. So viel Freiheit hätte ich
mir heute früh in der Debatte über das Atomgesetz gewünscht.
({1})
Des Weiteren enthält das Jahressteuergesetz zwei Regelungen, die auf Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes basieren. Bei der ersten Regelung geht es um die
steuerliche Absetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers, die Sie gestrichen hatten. Das hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht um die Ohren gehauen. Jetzt
schustern Sie eine Minimallösung zusammen, die der
Lebenswirklichkeit nicht Rechnung trägt. Denn viele
Menschen richten sich ein Arbeitszimmer ein, obwohl
sie ein Dienstzimmer haben, weil sie vielfach auch zu
Hause arbeiten müssen. Deshalb lehnen wir Ihren Vorschlag dazu ab. Er geht nicht weit genug.
Die zweite Regelung betrifft die Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften gegenüber der Ehe.
Herr Volk, ich empfehle Ihnen, die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zu lesen. Denn es hat eindeutig
klargestellt, dass die Privilegierung der Ehe nicht die
Diskriminierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft
bedeuten darf. Nun heben Sie zwar endlich die Diskriminierung im Bereich der Erbschaftsteuer auf, lassen aber
die Grunderwerbsteuer weg, obwohl es naheliegend
wäre, dies gleich mit zu regeln. Das Einkommensteuerrecht lassen Sie völlig außen vor.
Schon fast zynischen Charakter hat Ihr Vorschlag zur
Zulageberechtigung für die Riester-Förderung von
ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern. Erst sparen
Sie die Zahlungen der Rentenbeiträge für ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger ein, und dann stellen Sie
fest, dass damit die Grundlage für die Fortführung ihrer
Riester-Verträge wegfällt.
Also müssen wir jetzt eine gesetzliche Änderung vornehmen, damit sie weiter einzahlen können. - Sie verschweigen, dass es sich hier um eine doppelte Abzocke
handelt; denn ein Großteil der Menschen, die vielleicht
weiter riestern können, werden in Zeiten von Hartz IV
und Niedriglöhnen im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sein. Sie wissen genauso gut, dass dann die
Riester-Rente gegengerechnet wird. Den Betreffenden
nutzt es also überhaupt nichts, wenn nun monatlich
5 Euro eingezahlt werden.
({2})
Wir fordern Sie deshalb auf: Stellen Sie die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe vollständig gleich!
Belassen Sie die ursprünglich im Jahressteuergesetz
2010 geplante Regelung zum Verwaltungsvermögen!
Kehren Sie bei der Absetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers wieder zur alten Regelung bis 2007 zurück, und schaffen Sie endlich die Abgeltungsteuer ab!
Herr Volk, wenn Sie Achtung vor Karlsruhe haben, sollten Sie die gesetzlichen Grundlagen ändern und für eine
vollständige Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe sorgen. Dann könnte Karlsruhe sagen: Die gesetzliche Grundlage hat sich geändert.
Die Verfahren können wir damit für erledigt erklären.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition sollte angesichts des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs den Mund in Bezug auf verfassungswidrige Gesetzgebung nicht zu voll nehmen.
({0})
Das Gesetz enthält viele gute, aber auch viele schlechte
Passagen; darüber haben wir im Ausschuss im Detail
diskutiert. Ich will mich angesichts der knappen Zeit auf
die zwei Punkte konzentrieren, die wir besonders problematisch finden. Es geht um das Verfassungsrecht. Herr
Volk, ich richte folgende Frage an Sie: Auf jedem
Christopher Street Day sagen die Vertreter der FDP, wie
wichtig die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft auch im Einkommensteuerrecht ist. Aber
Sie haben hier kein Wort zu diesem Thema verloren,
weil es Ihnen - zu Recht - peinlich ist.
({1})
Sie wissen genau, dass unser Vorschlag, auch im
Steuerrecht die Gleichstellung vorzunehmen, wegen des
Votums des Bundesrates nicht umgesetzt werden konnte.
Nun hat sich die Situation aber verändert. Sie wollen offenbar um jeden Preis diskriminieren und noch nicht einmal auf das Bundesverfassungsgericht hören.
({2})
Worum geht es? Das Bundesverfassungsgericht hat aufgegeben, bis zum Ende dieses Jahres die Gleichstellung
im Erbschaftsteuerrecht vorzunehmen, weil die bisherige Regelung nicht verfassungsgemäß ist. Es geht um
die Fälle seit 2001. Obwohl Ihnen das Bundesverfassungsgericht eine Änderung aufgetragen hat, verweigern
Sie eine rückwirkende Regelung. Sie gönnen das den
Betreffenden offensichtlich nicht. Damit hat derjenige,
der einen guten Rechtsanwalt hatte, einen Vorteil und
derjenige, der keinen guten Rechtsanwalt hatte, einen
Nachteil. Das ist einfach schofel.
({3})
Des Weiteren geht es um den Änderungsantrag, über
den wir dann namentlich abstimmen werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt eindeutig - und zwar schon
zum zweiten Mal -, dass aus der Tatsache, dass es in
Eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht automatisch
zur Kindererziehung kommt, keine Diskriminierung im
Steuerrecht abgeleitet werden kann. Ich frage Sie: Wie
stark müssen der Mépris von Lebenspartnerschaften von
Lesben und Schwulen und der Wunsch nach Diskriminierung sein, dass Sie sogar das Bundesverfassungsgericht missachten? Es ist einfach mies, an dieser Stelle
nicht die Gleichstellung herzustellen. Die FDP hat sie
immer gefordert, sich aber nicht durchgesetzt. Die Union
will mit Absicht eine Diskriminierung aufrechterhalten.
Geben Sie sich einen Ruck! So etwas gehört sich nicht.
({4})
In Spanien und Frankreich ist das inzwischen Recht. Sogar im katholischen Irland werden Lebenspartnerschaften steuerlich gleichgestellt. Nur in Deutschland gönnen
Sie das den Betreffenden nicht. Das ist nicht christlich
und nicht liberal, sondern schlecht. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu!
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Peter Aumer von der CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Jahressteuergesetz werden Maßnahmen
umgesetzt, die sich im Laufe eines Jahres aufgrund verschiedener Entwicklungen im Steuerrecht ergeben haPeter Aumer
ben, und einige Akzente der christlich-liberalen Koalition werden gesetzt. Doch gerade weil das deutsche
Steuersystem von vielen Bürgerinnen und Bürgern und
auch von vielen Beteiligten aus der steuerlichen Praxis
als kompliziert und schwer nachvollziehbar angesehen
wird, dürfen wir, sehr geehrter Herr Binding, ein Ziel
nicht aus den Augen verlieren, und zwar die Vereinfachung unseres Steuerrechts. Wo immer es geht, sollten
wir kritisch hinterfragen, ob man nicht einfachere und
insbesondere unbürokratischere Regelungen finden
kann, damit unser Steuerrecht vom Bürger verstanden
und akzeptiert wird.
Die Regierungskoalition setzt mit dem Jahressteuergesetz 2010 konsequent ihren Kurs fort: für Wachstum
und für mehr Beschäftigung.
({0})
Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das Gesetzespaket
wichtige steuerliche Anpassungen vor und realisiert zudem Maßnahmen höherer politischer Bedeutung. Viele
davon wurden bereits angesprochen.
Eine Empfehlung des Bundesrates möchte ich noch
ansprechen, und zwar die vorgeschlagene Einschränkung
der nach § 6 b Einkommensteuergesetz begünstigten
Reinvestitionsmöglichkeiten, die vor allem im Hinblick
auf die Auswirkungen bei land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben problematisch ist. Bei diesem Vorschlag halten
wir es für notwendig, zunächst mit der nötigen Sorgfalt
eine vertiefte Prüfung vorzunehmen. Grundsätzlich ist
das Anliegen des Bundesrates, wonach Übertragungen
von stillen Reserven bei der Veräußerung von Grundstücken und Gebäuden nicht zweckwidrigen Zielen dienen
dürfen, sicherlich berechtigt. Aber man muss dies prüfen
und in ein angemessenes Verhältnis stellen.
Sehr geehrter Herr Binding, Sie haben sehr viel über
Verweigerung gesprochen. Für was war denn die SPD?
Wir haben das vorhin von Herrn Volk gehört: Wir mussten etwas korrigieren, was Sie in Ihrer Regierungszeit
verfassungswidrig ins Gesetz geschrieben haben. Sie haben im Finanzausschuss sogar gegen diese Korrektur gestimmt. Für jemanden, der neu im Bundestag ist, ist das
unverständlich. Dass man dann auch noch so ein Kasperltheater aufführt, lässt mich doch fragen, wie ernsthaft hier Oppositionsarbeit betrieben wird.
({1})
- Korrigiert ist korrigiert. Wenn wir es nicht hätten korrigieren müssen, dann hätten wir es auch nicht falsch
korrigieren können.
Wir müssen bei den Steuern noch einiges tun. Unser
Steuerrecht ist in weiten Teilen leistungsfeindlich, demotivierend und intransparent. Deswegen muss die Vereinfachung und Entlastung gerade beim Einkommensteuerrecht weiter auf der Agenda stehen.
({2})
Dafür sein - Herr Kollege Binding, ich weiß nicht,
wie oft Sie gesagt haben: Wir sind dagegen! -, ist das,
was unsere Zeit heute in allen Bereichen der Gesellschaft braucht. Unser Steuerrecht soll dem Prinzip der
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gehorchen.
Das ist die Grundlage für ein gerechtes Steuersystem, so
wie Sie es angesprochen haben und so wie wir es verstehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb bitte
ich Sie um Zustimmung zum Jahressteuergesetz 2010,
für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung in
Deutschland.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010. Der Finanzausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den
Drucksachen 17/3449 und 17/3549, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/2249 und
17/2823 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/3468? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag auf
Drucksache 17/3469 auf Verlangen der Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist offenkundig der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimmkarte nicht abgegeben haben? - Ich glaube, jetzt haben
alle ihre Stimme abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag des Bündnisses 90/
Die Grünen zur zweiten Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergeset-
zes 2010 bekannt: abgegebene Stimmen 558. Mit Ja ha-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ben gestimmt 242, mit Nein haben gestimmt 316. Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.1)
({0})
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 17/2249 und
17/2823 in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/3470. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD-Fraktion und bei Zustim-
mung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung des Pro-
gressionsvorbehalts für Kurzarbeitergeld. Der Finanz-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung auf den Drucksachen 17/3449 und 17/3549,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 17/255 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung. Wir kommen zum Zusatzpunkt 6. In-
terfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 17/3218 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Ta-
gesordnungspunkte aufrufe, zu denen die Reden zu Pro-
tokoll genommen werden, teile ich Ihnen mit, dass sich
die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungs-
punkt 11 - es handelt sich um die Abstimmung über den
Antrag „Freiheit für Gilad Shalit“ - sowie den heute
Morgen aufgesetzten Zusatzpunkt 7 - hier handelt es
sich um die Abstimmung über den Antrag „60 Jahre Eu-
ropäische Menschenrechtskonvention“ - von der Tages-
ordnung abzusetzen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Jetzt darf ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung ma-
chen, dass unsere sehr geschätzten Geschäftsführer ver-
einbart haben, dass die Reden zu allen weiteren Tages-
ordnungspunkten zu Protokoll genommen werden. Ich
1) Die Namensliste wird in einem Nachtrag abgedruckt.
darf Sie trotzdem noch dazu einladen, den Formalitäten
beizuwohnen, damit wir das alles ordnungsgemäß über
die Bühne bringen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Lambrecht, Sören Bartol, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maklerkosten gerecht verteilen
- Drucksache 17/3212 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({1})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Wie ich schon sagte, sollen die Reden zu Protokoll
genommen werden. Es handelt sich um die Reden der
Kollegen Dr. Jan-Marco Luczak, Christine Lambrecht,
Christian Ahrendt, Jens Petermann und Daniela
Wagner.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3212 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich gehe von Ih-
rem Einverständnis aus. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Freie Wahlen in Birma fordern, die Men-
schenrechtslage verbessern und einen nationa-
len Dialog unterstützen
- Drucksache 17/3213 -
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. -
Ich bekomme gerade die Information, dass kein Wert da-
rauf gelegt wird, dass ich die Namen der betreffenden
Kolleginnen und Kollegen verlese. Sie sind aber im Pro-
tokoll verzeichnet.3)
Daher können wir gleich zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3213
kommen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Endgültiger Verzicht auf transatlantische und
europäische Flugpassagierdaten-Abkommen
- Drucksache 17/2212 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({2})-
Auswärtiger Ausschuss-
2) Anlage 11
3) Anlage 12
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung-
Ausschuss für Tourismus-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2212 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an den Rat
des Anpassungsfonds
- Drucksache 17/3027 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3})
- Drucksache 17/3473 Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen KlimkeDr. Bärbel KoflerHarald LeibrechtHeike HänselThilo Hoppe
Die Reden werden zu Protokoll gegeben.
Heute ist ein guter Tag für die Entwicklungsländer,
speziell für jene, die von den Folgen des Klimawandels
besonders hart betroffen sind. Die Koalition setzt an die-
ser Stelle ein klares Zeichen: Deutschland ist ein ver-
lässlicher Partner in der Entwicklungszusammenarbeit.
Dieses Gesetz verleiht dem Rat des Anpassungsfonds
die Rechtsfähigkeit. Was bedeutet das?
Der Anpassungsfonds wurde auf den Konferenzen der
Vertragsstaaten des Kioto-Protokolls 2001 gegründet
und 2005 bestätigt. Er soll Maßnahmen zur Anpassung
an den Klimawandel in Entwicklungsländern fördern.
Auf der dritten Konferenz der Kioto-Vertragsstaaten in
Bali im Jahr 2007 hatte man sich auf die institutionelle
Struktur des Fonds geeinigt und einen 32-köpfigen Rat
als Leitungsgremium installiert. Die Weltbank agiert
vorläufig als Treuhänder des Fonds.
Eine neue Entwicklung dieser Konferenz ist die Ver-
einbarung der Vertragspartner, nationalen Institutionen
der Entwicklungsländer unmittelbaren Zugang zur För-
derung durch den Anpassungsfonds einzuräumen.
Ministerien der Entwicklungsländer können somit direkt
Projektförderungen beantragen. Bisher war dies nur
über die Umwege der multilateralen Durchführungsor-
ganisationen wie dem United Nations Development Pro-
1) Anlage 13
gramme oder dem United Nations Environment Programme möglich.
Die vierte Konferenz der Vertragsstaaten in Posen im
Jahr 2008 führt uns schließlich zum Kern des heutigen
Gesetzes. Der Rat des Anpassungsfonds benötigt die
Rechtsfähigkeit, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben, der Gewährung direkten Zugangs zur Förderung
durch den Anpassungsfonds, erforderlich ist. Insbesondere ist Rechtsfähigkeit notwendig, um vertragliche Vereinbarungen mit Mittelempfängern eingehen und die
Einhaltung der Projektkriterien und Treuhandstandards
sicherstellen und gegebenenfalls auch durchsetzen zu
können. Der Rat des Anpassungsfonds muss die Einhaltung der Projektkriterien und Treuhandstandards sicherstellen und gegebenenfalls vor Gericht durchsetzen
können.
Die Rechtsfähigkeit des Fonds muss in der nationalen
Rechtsordnung mindestens einer Vertragspartei des
Kioto-Protokolls eingeräumt werden. Deutschland hat
dies nun angeboten.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes erhält der
Rat des Anpassungsfonds nun die notwendige Rechtsfähigkeit in der deutschen Rechtsordnung. Diese ist funktional auf die Erfüllung der Aufgaben des Fonds
beschränkt. Dazu gehört die Fähigkeit, Verträge zu
schließen, Vermögen zu erwerben und zu veräußern und
vor Gericht zu stehen. Der Umfang der eingeräumten
Rechtsfähigkeit entspricht den Regelungen zur Rechtsfähigkeit des Sekretariats der Klimarahmenkonferenz und
den Regelungen zur Rechtsfähigkeit des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen. Weiterhin sind
Rechtsstatus und Immunitäten des Rates des Anpassungsfonds und seiner Mitglieder und Vertreter geregelt,
soweit diese für die Ausübung ihrer Funktionen erforderlich sind.
Neben der Erfüllung dieser rechtlichen Notwendigkeiten stärken wir mit diesem Gesetz auch den VNStandort Bonn. Denn die enge Zusammenarbeit zwischen dem Rat des Anpassungsfonds und den bereits in
Bonn angesiedelten Sekretariaten des Klimarahmenübereinkommens und des Kioto-Protokolls wird unterstützt.
Weiterhin betonen wir als Deutscher Bundestag die
Bedeutung des Themas „Anpassung an den Klimawandel“ für Deutschland.
Am wichtigsten ist jedoch das Signal an die Entwicklungsländer und die Staatengemeinschaft insgesamt.
Das Gesetz hat für Empfängerländer, die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind, eine
große Bedeutung. Diese warten nun seit der Konferenz
von Bali im Jahr 2007 auf Mittelzugang für konkrete
Projekte. Ab 2011 können Vorhaben realisiert werden.
Dies ist ein Fortschritt und ein Meilenstein im Klimaschutz: direkter Zugang für durch die Folgen des Klimawandels verwundbare Staaten.
Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung
ermöglichen nun durch die Einräumung der Rechtsfähigkeit des Rates die Wirksamkeit dieser Entwicklungsmaßnahmen. Dies ist auch ein eindeutiges Signal zur
16. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Cancún vom 29. November bis zum 10. Dezember 2010.
Deutschland geht bei der Entwicklungszusammenarbeit
und beim Klimaschutz weiter voran.
Dem heute debattierten Gesetzentwurf haben alle
Fraktionen des Deutschen Bundestages zugestimmt. Die
SPD-Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf, da er ein entscheidender Schritt zur Umsetzung des UN-Anpassungsfonds, eines wichtigen Instruments zur Finanzierung des
internationalen Klimaschutzes, ist.
Die Einrichtung des UN-Anpassungsfonds ist bereits
im Kioto-Protokoll von 1997 beschlossen worden.
Durch die heutige Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser Fonds endlich rechtlich in die
Lage versetzt, seine Arbeit zu machen. Der UN-Fonds
wurde im Laufe der vergangenen neun Jahre Schritt für
Schritt aufgebaut: Bei der Klimarahmenkonferenz in
Marrakesch im Jahr 2001 ist mit der Einrichtung des
Fonds begonnen worden, und nach der Klimakonferenz
auf Bali im Jahr 2007 konnte das Steuerungsgremium
des Fonds eingesetzt werden und seine Arbeit aufnehmen. Bisher aber fehlte ihm die nötige Rechtsform, um
finanzielle Zusagen an Entwicklungsländer machen zu
dürfen. Da das Steuerungsgremium des UN-Fonds seinen Sitz in Bonn hat, war es nun Aufgabe des deutschen
Gesetzgebers, mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die nötige Rechtsgrundlage für die Arbeit des Gremiums zu schaffen. Mit dem heutigen Tag ist auch dafür
der Weg frei und der Fonds nun endgültig arbeitsfähig.
Ziel des Fonds ist es, diejenigen Entwicklungsländer,
die von den negativen Auswirkungen des Klimawandels
besonders betroffen sind, bei der Finanzierung von konkreten Projekten und Programmen zur Anpassung an
den Klimawandel zu unterstützen. Für viele der armen
Länder der Welt ist die Anpassung an den Klimawandel
vielmehr eine Notwendigkeit als eine Option. Sie erfordert massive finanzielle Aufwendungen, den Aufbau von
Kapazitäten auf verschiedenen Ebenen und eine stetige
Erweiterung des Wissens über den Klimawandel. Da die
Klimaanpassung als Aufgabe neben der Armutsbekämpfung für viele Entwicklungsländer kaum zu meistern ist,
bedarf sie einer zusätzlichen Finanzierung.
Der UN-Anpassungsfonds ist mithin Ausdruck eines
wichtigen Grundgedankens des Kioto-Protokolls: Das
Weltklima ist ein globales Gut, und wer es belastet, muss
sich gegenüber allen - insbesondere den Belasteten verantworten. Diese Übernahme von globaler Verantwortung entspricht sozialdemokratischer Überzeugung.
Der Gedanke der globalen Verantwortung beinhaltet
für uns Sozialdemokraten eine Lastenverteilung unter
Anwendung des Verursacherprinzips, also nach dem
Kriterium der historischen Kohlenstoffschuld der einzelnen Staaten, und dem Solidarprinzip, also gemessen an
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Staaten.
Ein Kioto-Nachfolgeprotokoll muss diesen Grundgedanken auch zukünftig weiterführen und einen entsprechenden Budgetansatz zugrunde legen. Dazu sollte das
2-Grad-Ziel völkerrechtlich festgeschrieben und ein globales, mit der 2-Grad-Leitplanke konformes Budget für
Kohlendioxid, also CO2, aus fossilen Quellen festgelegt
werden. Dieses globale CO2-Budget ist dann auf ProKopf-Basis in nationale Emissionsbudgets für alle Staaten zu unterteilen.
Durch seine innovativen Ansätze im Bereich der Verfahrensregeln und der Verwaltung entspricht der UNAnpassungsfonds diesem Solidargedanken und ist mithin ein zukunftsweisender Mechanismus der internationalen Klimafinanzierungsarchitektur.
Durch den UN-Anpassungsfonds wird den Entwicklungsländern - im Gegensatz zu vielen anderen internationalen Fonds - direkter Zugang zu Finanzmitteln ermöglicht. Dadurch wird die Eigenverantwortung der
Entwicklungsländer gestärkt. Das ist ein Grundsatz, der
sich bereits in der Paris-Agenda findet und der dem sozialdemokratischen Anspruch an Entwicklungspolitik
als globaler Strukturpolitik entspricht. Positiv zu bewerten ist, dass der UN-Fonds Klimaanpassung nicht gegen
Armutsbekämpfung ausspielt; er hilft vielmehr eine armutsorientierte Klimaanpassung für Entwicklungsländer zu finanzieren.
Innovativ ist auch die Finanzierung des Anpassungsfonds, weil er darauf angelegt ist, aus dauerhaften Geldquellen gespeist zu werden wie auch einmalige Direktzahlungen und Spenden zu absorbieren. Der Fonds hat
bisher leider nur eine automatisierte Geldquelle. Er
wird regelmäßig durch die Erlöse aus den Projekten des
Clean-Development-Mechanismus gespeist. Das ist eine
Möglichkeit, den Fonds mit regelmäßigem Geldzufluss
zu versehen. Aber hier gibt es Verbesserungsbedarf. Die
Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass diese
automatisierte Finanzierung weit höher liegt. Zum einen
sollte der prozentuale Anteil am Erlös aus den CDMProjekten deutlich höher sein; bisher werden 2 Prozent
der Erlöse aus CDM-Projekten dem UN-Anpassungsfonds gewidmet. Zum anderen ist es für die Zukunft
wichtig, dass neue dauerhafte Finanzierungsquellen für
den Fonds gefunden werden.
Der UN-Anpassungsfonds eignet sich auch für direkte Einzahlungen von Staaten. Aber leider hat sich die
Bundesregierung trotz ihrer vollmundigen KopenhagenZusagen von 1,26 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz auch bei den Direktzahlungen an den
Fonds bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Im Jahr 2010
hat die Bundesregierung 10 Millionen Euro für den Anpassungsfonds zugesagt. Beispielsweise Spanien hat in
diesem Jahr bereits 45 Millionen Euro in den Fonds eingezahlt. Angesichts der Zusagen von Kopenhagen sollte
die Bundesregierung in den kommenden Jahren auch
den Anpassungsfonds weiter finanzieren. Für den Anpassungsfonds wurden aber über das Jahr 2010 hinaus
keine weiteren Zahlungen in Aussicht gestellt, obwohl es
sinnvoll wäre, über diesen UN-Fonds weitere Gelder für
Klimaanpassung bereitzustellen.
Aber nicht nur an dieser Stelle fehlt es am glaubwürdigen und langfristigen Engagement der Bundesregierung für den internationalen Klimaschutz. Dieses Jahr
hat die Bundesregierung insgesamt 70 Millionen Euro
Zu Protokoll gegebene Reden
der Kopenhagen-Zusage von 1,26 Milliarden Euro in
den Bundeshaushalt eingestellt. Aber bereits ab dem
kommenden Jahr findet man die neuen Klimagelder im
Haushalt nicht mehr. In Kopenhagen wurden den Entwicklungsländern zur Bekämpfung des Klimawandels von
2010 bis 2012 zusätzlich 420 Millionen Euro jährlich versprochen. Im Jahr 2010 sind dafür aber nur 70 Millionen
Euro zusätzlich bereitgestellt worden, davon je 35 Millionen Euro im Umwelthaushalt und im Haushalt für
Entwicklungspolitik; dafür wurde ein neuer Titel eingerichtet. Dieser Titel liegt im Haushaltsentwurf für 2011
in beiden Ressorts bei null und wird folglich auch wieder abgeschafft.
Mit dem Haushaltsentwurf für 2011 verliert sich also
jede Spur dieser 70 Millionen Klimaschutzmittel. Die
noch laufenden Haushaltsverhandlungen lassen auch
nicht die Hoffnung zu, dass die schwarz-gelbe Koalition
daran etwas ändern wird. Vielmehr werden weitere
Haushaltsperren für internationale Klimaschutzmittel
von Schwarz-Gelb gefordert.
Das macht Deutschland international zu einem unglaubwürdigen Partner und ist ein schlechtes Beispiel
für andere Industrieländer.
In der „Times of India“ erschien erst kürzlich ein
mahnender Artikel, der sich im Hinblick auf den Ende
November in Cancún, Mexiko, stattfindenden Klimagipfel mit der Glaubwürdigkeit der Zusagen der Fast-StartInitiative von Kopenhagen auseinandersetzt. In dem in
englischer Sprache erschienenen Artikel heißt es wie
folgt:
The only question that the 180-plus country members of the UN Framework Convention on Climate
Change seek to answer is … whether they will allow
the developing countries to be put to a international
monitoring regime for their actions even as developed countries renege on their promise to provide the finance.
Sinngemäß stellt der Autor des Artikels hier also die
Frage, ob die entwickelten Länder bereit sind, sich einer
internationalen Überwachung auszusetzen, die die Einhaltung der Klimazusagen beobachtet. Und - wörtlich
übersetzt - heißt es im letzten Halbsatz auch: „…obwohl
die Industrieländer ihr Versprechen, Klimafinanzierung
bereitzustellen, verleugnen.“
An diesem Beispiel lässt sich unschwer erkennen, das
die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Entwicklungsländer, genau wahrnehmen, verfolgen und bewerten, wie glaubwürdig internationale Partner und deren Zusagen sind.
Ich fordere daher die Bundesregierung auf, die Zusagen von Kopenhagen umzusetzen und keine Zahlentricks
im Haushalt zu versuchen.
Deutschland muss beim Klimagipfel in Cancún endlich seinen Worten Taten folgen lassen und eine glaubwürdige und langfristige Weltklimapolitik betreiben. Die
Bundesregierung muss sich in Cancún für eine weitere
Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls einsetzten,
und sie muss ein 30-Prozent-Reduktionsziel der EU bis
2020 ohne Vorbedingungen fordern. Aber vor allem
muss die Bundesregierung die bereits in Kopenhagen
zugesagten 1,26 Milliarden Euro für Klimaschutz und
Anpassung in Entwicklungsländern in vollem Umfang
neu und zusätzlich zur Verfügung stellen. Nur so kann
Deutschland seine Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz zurückgewinnen.
Mehr Gelder und eine langfristig verlässliche Unterstützung des UN-Anpassungsfonds wären weitere wichtige
Signale in die richtige Richtung. Denn der internationale
Klimaschutz braucht Mittel, getrennt und unabhängig von
der Armutsbekämpfung. Das Weltklima ist ein globales
Gut, und es ist in unser aller Interesse, es zu schützen.
Kohlendioxidarme Entwicklung und armutsorientierte
Anpassung sind Voraussetzung dafür, dass sich alle
Menschen in Würde entwickeln können und auch unseren Kindern noch die Chance auf eine lebenswerte Zukunft bleibt.
Der Klimawandel ist ohne Frage eine der ganz zentralen Herausforderungen für die globale Entwicklung
des 21. Jahrhunderts, und zwar nicht nur ökologisch,
sondern auch gesellschaftlich, wirtschaftlich und möglicherweise auch sicherheitspolitisch.
Deutschland soll wie alle hoch industrialisierten
Länder an der Spitze jener stehen, die sich für Klimaschonung einsetzen. Dazu gehören unter anderem der
Einsatz regenerativer Energien und Fortschritte bei der
Energieeffizienz. Dazu gehört auch, dass wir mit deutschem Know-how in dieser Sache für uns und für deutsche Unternehmen werben wollen.
Deutschland beweist dadurch, dass es dem unter dem
Kioto-Protokoll eingerichteten Anpassungsfonds Rechtsfähigkeit verleihen möchte, dass es dem Klimaschutz in
der internationalen Zusammenarbeit einen hohen Stellenwert einräumt. Durch die Verleihung der Rechtsfähigkeit an den Rat des Anpassungsfonds kann dieser die
ihm gestellten Aufgaben in angemessener Art und Weise
durchführen. Die Vertragspartner des Kioto-Protokolls
hatten die Notwendigkeit bereits vor einigen Jahren erkannt. Dass Deutschland sich als einer der Vertragspartner des Kioto-Protokolls dazu bereiterklärt hat, dem
Rat die Rechtsfähigkeit zu verleihen, ist vor der internationalen Klimakonferenz von Cancún ein wichtiges Zeichen.
Der Anpassungsfonds wurde im Rahmen des KiotoProtokolls ins Leben gerufen, um Entwicklungsländer
bei der Bewältigung der Probleme und vielfältigen negativen Auswirkungen durch den Klimawandel zu unterstützen. Der Fonds wird dabei helfen, konkrete Maßnahmen in Entwicklungsländern zu finanzieren. Dabei
sollten diverse Maßnahmen zum Klimaschutz eingeleitet
werden, seien es staatliche strukturelle Maßnahmen
oder auch den umweltpolitischen Notwendigkeiten angepasste zielführende Privatisierungsprozesse, durch
die vor allem technologische Innovationen auf den Weg
gebracht werden können.
Zu Protokoll gegebene Reden
Das nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz
trägt dazu bei, dass der Rat durch die ihm verliehene
Rechtsfähigkeit Verträge schließen und somit verbindliche Vereinbarungen mit Mittelempfängern eingehen,
Vermögen erwerben und veräußern und auch vor Gericht stehen kann. Dies ist natürlich von besonderer Bedeutung, da der Rat des Anpassungsfonds die Einhaltung von Standards sicherstellen und unter Umständen
vor Gericht durchsetzen können muss.
Der Fonds kann sich zu einem äußerst wichtigen Instrument entwickeln, um den Entwicklungsländern dabei
zu helfen, ihre eigenen Fähigkeiten zur Anpassung an
die Folgen des Klimawandels aufzubauen. Es ist wichtig, dass die Länder die Anpassung an den Klimawandel
selber vorantreiben und wir unter anderem mit diesem
Gesetz etwas dazu beitragen.
Viele Millionen Menschen in Ländern wie Bangladesch, Pakistan, Bolivien und Papua-Neuguinea leiden
schon jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels.
Diese und andere Länder des Südens haben den Klimawandel nicht selbst verursacht, müssen jedoch den Preis
für den Wohlstand im Norden mit der Zerstörung ihrer
Lebensgrundlagen bezahlen. Die Verursacher des Klimawandels, maßgeblich die Industrienationen, müssen
den Preis für ihren Wohlstand bisher nicht selbst zahlen.
Deswegen begrüße ich zunächst die Entscheidung der
Bundesregierung, sich an der Einrichtung des UN-Anpassungsfonds zur Finanzierung von Klimaschutz und
Anpassung im globalen Süden zu beteiligen.
Viele Umweltschutz- und Entwicklungsorganisationen haben seit Jahren gefordert, dass sich die Bundesregierung für den Anpassungsfonds einsetzt und halten
diesen vorliegenden Gesetzentwurf sogar für einen
Durchbruch. Ausschlaggebend ist, dass es für Entwicklungsländer, die vom Klimawandel betroffen sind, nun
erstmals möglich ist, direkte finanzielle Unterstützung
aus einem internationalen Klimafonds zu erhalten, ohne
den Umweg über die Weltbank oder andere Institutionen
wählen zu müssen. Das Kopenhagen-Versprechen der
Bundeskanzlerin wird aber nur im Ansatz erfüllt und ist
nur oberflächlich gesehen ein Fortschritt. 2010 werden
Haushaltstitel in Höhe von 350 Millionen Euro auf die
Kopenhagen-Zusage angerechnet. Davon sind aber lediglich 70 Millionen „frisches“ Geld; für 2011 und 2012
sollen sogar diese 70 Millionen Euro gestrichen werden.
In seiner gegenwärtigen Konstruktion kann der
Fonds bis 2012 auf maximal 500 Millionen Euro anwachsen. Die Weltbank schätzt den Finanzierungsbedarf bei der Klimaanpassung jedoch auf bis zu 100 Milliarden Euro jährlich. Der Fonds ist also deutlich
unterfinanziert und zu leistungsschwach angesichts der
Herausforderungen von globalen Klimakatastrophen,
Überschwemmungen, Wirbelstürmen und Wüstenbildung.
Die Finanzierung des Fonds erfolgt über den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, den Clean
Development Mechanism, CDM. Die Linke sieht die Finanzierung über den CDM, den wir für ein untaugliches
und durch vielfachen Missbrauch diskreditiertes Instrument halten, skeptisch.
Wie die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam errechnete, ist ein Großteil der 1,26 Milliarden Euro, die
bis 2012 von Deutschland eingezahlt werden sollen,
nicht zusätzlich, weil sie bereits an anderer Stelle und
zum Teil vor Jahren international zugesagt worden waren. Skandalös ist, dass die Bundesregierung mithilfe
von Rechentricks Klimaschutzkredite an Entwicklungsländer in Höhe der vollen Kreditsumme anrechnet und
nicht nur in Höhe des Beitrags, mit dem Deutschland
diese Kredite verbilligt. Das heißt im Klartext, dass die
armen Länder diese Kredite vollständig zurückzahlen
müssen, was mit echten Finanzhilfen im Sinne der vollmundig angekündigten Versprechen der Klima-Kanzlerin nichts zu tun hat. Mit dieser Mogelpackung wird weder das Klima gerettet noch Vertrauen in den von
Klimafolgen besonders betroffenen Ländern geschaffen.
Die Linke fordert eine wirkliche Kehrtwende beim
globalen Klimaschutz, die nicht nur aus Worten besteht.
Die hauptsächlichen Verursacher des Klimawandels
sind die Industriestaaten, die sich ihrer Verantwortung
endlich stellen und den betroffenen Ländern helfen müssen. Wir verlangen eine reale Finanzierungsgrundlage,
wie sie von Weltbank, UN-Gremien und Umwelt- und Entwicklungsverbänden berechnet wurde. Die Industriestaaten müssen demnach bis 2020 jährlich 110 Milliarden
Euro in den Fonds einzahlen, die nicht mit Transferzahlungen in der Entwicklungszusammenarbeit verrechnet
werden dürfen. Die EU soll 35 Milliarden Euro beisteuern; der deutsche Anteil daran beträgt 7 Milliarden
Euro. Wir fordern, dass seitens der EU-Mitgliedstaaten
ein relevanter Teil der Einnahmen aus den Auktionserlösen des europäischen Emissionshandelssystems verwendet wird. Von diesen Summen sind die Lippenbekenntnisse der Bundesregierung weit entfernt.
Um wirklich zum Klimaschutz beizutragen, wäre es
außerdem nötig, die armen Länder beim Schutz der letzten tropischen Regenwälder zu unterstützen. Es ist
schlicht Sabotage, dass Entwicklungshilfeminister
Niebel die Zusage zur Unterstützung der Bundesregierung für das ITT-Projekt zurückgezogen hat. Die ecuadorianische Regierung hat im August dieses Jahres einen Fonds für den Yasuní-Nationalpark eingerichtet mit
dem Ziel, die Regenwälder zu erhalten und das Öl im
Boden zu lassen. Per Parlamentsbeschluss hat Ecuador
ferner festgelegt, dass das Projekt von Nachfolgeregierungen nicht rückgängig gemacht werden kann. In den
letzten Jahren hat die deutsche Bundesregierung zusammen mit anderen Industrieländern, darunter Kanada,
Italien und Norwegen, unter anderem dieses wegweisende Klimaschutzprojekt stets unterstützt. Dass Minister Niebel dem Regenwaldprojekt nun in der entscheidenden Phase den Dolchstoß verpasst, ist ein Schlag ins
Gesicht für Ecuador und die internationalen Bemühungen um Klimaschutz. Minister Niebel, ziehen Sie Ihre
Absage an das ITT-Projekt zurück, und setzen Sie die
Kopenhagen-Versprechen Ihrer Bundesregierung endlich in die Tat um!
Zu Protokoll gegebene Reden
Es ist äußerst selten, dass der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als federführender Ausschuss mit Gesetzen befasst ist. Selten ist
es auch, dass wir im Entwicklungsausschuss einstimmig
abstimmen. Beides trifft auf den Entwurf des Gesetzes
zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an den Rat des Anpassungsfonds zu.
Wir Grünen haben es sehr begrüßt, dass der Anpassungsfonds bei der Klimakonferenz in Poznan der vollen
Operationalisierung näher gebracht wurde. Dort wurde
auch beschlossen, dass dem Rat des Anpassungsfonds
die Rechtsfähigkeit verliehen werden soll, was mit der
Verabschiedung dieses Gesetzes geschehen wird. Ich
freue mich außerordentlich, dass Deutschland angeboten hat, dem Rat diese Rechtsfähigkeit einzuräumen;
denn Deutschland hatte bisher eine Führungsrolle bei
der internationalen Klimapolitik und wurde auch von
den Entwicklungsländern dafür geschätzt. Leider muss
ich sagen „hatte bisher eine Führungsrolle“; denn die
Politik der gegenwärtigen Bundesregierung kann nicht
mehr so beschrieben werden. Aber ich habe die Hoffnung, dass unsere heutige Debatte und die Arbeit des
Anpassungsfonds in Bonn die Bundesregierung daran
erinnern, dass Deutschland ein großes Interesse hat, den
Ruf als Vorreiter in Klimafragen und das Vertrauen der
Entwicklungsländer wiederherzustellen. Dieses Vertrauensverhältnis wiederherzustellen, muss allen ein Anliegen sein, die an einem rechtsverbindlichen Post-KiotoAbkommen interessiert sind.
Vertrauen stellt man aber nicht her, indem man vor
Kopenhagen für drei Jahre jeweils 420 Millionen Euro
zusätzlicher Mittel für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern zusagt und dann im ersten Jahr nur 70 Millionen Euro und
im zweiten Jahr genau null Euro zusätzliche Mittel bereitstellt. Vertrauen gewinnt man nicht, indem die Klimagelder auf die ODA-Quote angerechnet werden. Wir
müssen vielmehr der historischen Verantwortung gerecht werden, die wir als Mitverursacher des Klimawandels gegenüber den Entwicklungsländern tragen, und
die Klimagelder tatsächlich zusätzlich, also ohne sie auf
die ODA-Quote anzurechnen, bereitstellen. Und Vertrauen gewinnt man nicht, wenn man die Gelder, die im
Energie- und Klimafonds für den internationalen Klimaund Umweltschutz eingestellt werden sollen, sperrt, bis
„eine verbindliche, umfassende Nachfolgevereinbarung
des Kioto-Protokolls zum Internationalen Klimaschutz
abgeschlossen wird“. All das tut die Bundesregierung
aber, unterstützt von den Abgeordneten der schwarz-gelben Koalition. Statt als Vorreiter voranzugehen, mit der
Einhaltung von internationalen Finanzzusagen Impulse
für die Klimaverhandlung zu geben und die eigene
Glaubwürdigkeit zu bekräftigen, treten Sie, werte Kollegen und Kolleginnen der Koalition, als Bremser auf und
spielen Mikado: Klimaschutz erst, wenn sich andere bewegen. Dabei läuft die Zeit davon, um das 2-Grad-Ziel
noch zu erreichen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Rat des Anpassungsfonds sagen. Er zeichnet sich durch eine besondere
Governance-Struktur aus. Die Entwicklungsländer haben nämlich die Mehrheit der Sitze in dem Rat, bei dem
die Entwicklungsländer direkt Projektmittel beantragen
können, ohne Umweg über Institutionen wie die Weltbank machen zu müssen. Das ist ein Novum auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung, und ich hoffe, dass
der Rat durch eine gute Arbeit hier einen neuen Standard setzt.
Ein Kriterium für die Bewilligung von Projekten ist,
dass die Belange von besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen Priorität haben. Eine solche Ausrichtung
an den Ärmsten und Verletzlichsten haben wir stets
gefordert. Bei der letzten Sitzung des Rates wurden die
ersten Projekte bewilligt, unter anderem für ein Küstenschutzprojekt im Senegal und ein Wasserprojekt in städtischen Armenvierteln in Honduras. Damit möglichst
bald viele sinnvolle Projekte über den Fonds finanziert
werden können, ist es aber wichtig, dass die notwendigen finanziellen Mittel hierfür bereit gestellt werden. Im
September dieses Jahres erklärte die Managerin des Anpassungsfonds, Marcia Levaggi, dass der Fonds zurzeit
über circa 150 Millionen US-Dollar verfüge. Zugleich
schätzt der UNFCCC, dass bis 2030 bis zu 59 Milliarden
US-Dollar für die Anpassung der Entwicklungsländer
an den Klimawandel benötigt werden. Die Weltbank
rechnet mit Kosten von bis zu 100 Milliarden US-Dollar
pro Jahr. Es wird also nicht ausreichen, den Fonds mit
nur zwei Prozent der Umsätze des Clean Development
Mechanism zu speisen. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich an der finanziellen Ausstattung des
Fonds kräftig zu beteiligen, ohne die bereit gestellten
Mittel auf die ODA-Quote anzurechnen.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. An den Folgen des Klimawandels allerdings sterben schon heute
Menschen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/3473, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/3027 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Elektronischen Personalausweis nicht einführen
- Drucksachen 17/2432, 17/3451 Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer ({2})Frank Hofmann ({3})-
Manuel Höferlin-
Jan Korte-
Wolfgang Wieland
Die Reden werden zu Protokoll genommen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3451, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/2432 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPDFraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge
- Drucksache 17/2764 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 17/3111 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jan-Marco LuczakSonja SteffenStephan ThomaeHalina WawzyniakIngrid Hönlinger
Die Reden werden zu Protokoll genommen.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der Regelungen
über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über lang-
fristige Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge
und Tauschsystemverträge behandeln wir heute unter
einem sehr langen Namen einen Sachverhalt, den die
meisten von uns unter der kurzen Bezeichnung „Time-
sharing“ kennen.
Dieses Gesetz dient der Umsetzung einer EU-Richtli-
nie aus dem Jahr 2009, die den Verbraucherschutz in
diesem Bereich insgesamt stärken soll. Diese Timesha-
ring-Richtlinie ersetzt die bereits vorhandene Richtlinie
aus dem Jahr 1994, nachdem diese nicht mehr den tat-
sächlichen Verhältnissen gerecht wurde und zwischen-
zeitlich erhebliche Lücken im Verbraucherschutz er-
kannt wurden. So wurde der Geltungsbereich der alten
1) Anlage 14
Richtlinie durch die Ausgestaltung der Produkte zum
Teil gezielt unterlaufen.
Die umzusetzende Richtlinie basiert dabei auf dem
Prinzip der Vollharmonisierung; das heißt, der Rahmen
für die Umsetzung ist klar vorgegeben, ohne dass der
Bundesgesetzgeber innerhalb des Anwendungsbereichs
der Richtlinie Spielräume zur Abweichung nach oben
oder nach unten hätte. Der Gesetzentwurf beschäftigt
sich daher nahezu ausschließlich mit den zur Umsetzung
der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen und setzt
diese eins zu eins um. Bis zum Februar 2011 muss das
abgeschlossen sein.
Ich persönlich sehe den Ansatz der Vollharmonisierung zum Teil zwar durchaus kritisch, weil er nicht erlaubt, auf nationale Besonderheiten oder angestammte
Rechtstraditionen Rücksicht zu nehmen. In diesem Fall
allerdings ist er richtig gewählt: Typischerweise handelt
es sich nämlich um grenzüberschreitende Verträge, sodass die Vollharmonisierung es beiden Seiten erlaubt,
ihre jeweiligen Rechte und Pflichten zu kennen und gegebenenfalls durchzusetzen, und gleichzeitig dadurch
die Transaktionskosten für die Unternehmen reduziert
werden.
Inhaltlich werden die Rechte der Verbraucher durch
die Richtlinie und deren Umsetzung in die Regelungen
vor allem des BGB gestärkt, sodass der Gesetzentwurf in
der Fassung des Änderungsantrags der Regierungsfraktionen Unterstützung verdient.
Worum geht es bei der Neuregelung des Timesharing
nun genau? Die bisherige Richtlinie erfasste lediglich
die klassischen Teilzeit-Wohnrechteverträge. Dies bedeutet, dass jemand das Recht erwirbt, für eine vertraglich festgelegte Zeit im Jahr eine bestimmte, voll ausgestattete Wohnung in einer Ferienanlage oder in einem
Hotel zu Erholungs- oder Wohnzwecken nutzen zu dürfen. Dieser Anwendungsbereich greift jedoch in heutiger
Zeit zu kurz und lässt eine Reihe von Urlaubsprodukten
außer Betracht, die sich erst in den letzten Jahren
etabliert haben. Gerade mit Blick auf die erheblichen
finanziellen Konsequenzen für die Verbraucher war und
ist es deshalb erforderlich, den Anwendungsbereich der
Richtlinie auszudehnen. Die neue Richtlinie, die mit dem
vorliegenden Gesetz umgesetzt werden soll, erstreckt
sich deshalb unter anderem auch auf Vermittlungsverträge, die Mitgliedschaft in Tauschsystemen oder auch
Teilzeit-Nutzungsrechte an beweglichen Übernachtungsunterkünften wie Hausbooten oder Wohnimmobilien.
Für diejenigen unter uns, die mit diesen Begrifflichkeiten nicht im Detail vertraut sind, seien die Begriffe
hier kurz vorgestellt: Ein Tauschsystemvertrag ist beispielsweise ein Vertrag, mit dem ein Verbraucher gegen
Entgelt einem Tauschsystem beitritt, das diesem Verbraucher Zugang zu einer Übernachtungsunterkunft
oder anderen Leistungen ermöglicht im Tausch gegen
die Gewährung vorübergehenden Zugangs für andere
Personen zu den Vergünstigungen aus den Rechten, die
sich aus dem Vertrag des Verbrauchers ergeben. Der
Tausch muss dabei nicht notwendig wechselseitig sein.
Die Regelung hierzu findet sich in § 481 b BGB, der daDr. Jan-Marco Luczak
rüber hinaus Regelungen zum Vermittlungsvertrag vorsieht. Sie sehen, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie und damit auch unserer nationalen Regelungen
erheblich ausgeweitet wird.
Ein Novum ist in diesem Zusammenhang auch der sogenannte Vertrag über ein langfristiges Urlaubsprodukt,
der bereits ab einer Vertragslaufzeit von mehr als einem
Jahr greift. Gleiches gilt für den Teilzeit-Wohnrechtevertrag, der nunmehr ebenfalls eine Vertragslaufzeit von
nur noch einem Jahr voraussetzt und damit in seinem
Anwendungsbereich zugunsten des Verbraucherschutzes
erheblich ausgedehnt wird. Bislang galt eine Mindestvertragsdauer von drei Jahren.
Für sämtliche dieser Teilzeit-Wohnrechte sehen die
Timesharing-Richtlinie sowie das vorliegende Gesetz
nun neue Informationspflichten für die Wirtschaft vor.
So wird eine umfassende vorvertragliche und vertragliche Informationspflicht geregelt, die mit bestimmten
Formblättern zu erfüllen und deren Verwendung obligatorisch ist. Auch muss vor Vertragsschluss ein schriftlicher Hinweis unter anderem auf das Widerrufsrecht erfolgen. Auch die Rechtsfolgen von Informations- und
Belehrungsmängeln für die Widerrufsfrist sind klar geregelt. Macht der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, haben wir klargestellt, dass die Kosten
für die Vertragsabwicklung, seiner Durchführung und
auch seiner Rückabwicklung allein beim Unternehmer
liegen.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich
den Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zum
neuen § 485 Abs. 2 Satz 2 BGB, der den Verbraucher
durch seine offene Formulierung im Fall des Widerspruchs von jeglichen Kosten freistellt. Der ursprüngliche Gesetzentwurf beschränkte den Kostenerstattungsanspruch des Verbrauchers auf die notwendigen
Beurkundungskosten und wurde dem Verbraucherschutz
damit nicht vollumfänglich gerecht. Eine Erweiterung
auf die Kosten einer öffentlichen Beglaubigung sowie
der Eintragung im Grundbuch war auch vom Bundesrat
gefordert worden und wird mit dem zitierten Änderungsantrag umgesetzt.
Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Neuerung
im Bereich des Timesharing ist, dass die Übernachtung
nun nicht mehr zu Erholungs- oder Wohnzwecken erfolgen muss. Erfasst werden künftig alle Übernachtungsimmobilien, was zu einer erheblichen Ausweitung führt.
Auch dieses stärkt den Verbraucherschutz und ist deshalb zu begrüßen.
Ebenfalls positiv im Sinne des Verbraucherschutzes
sind die neuen Regelungen, die sich mit Werbe- und Verkaufsveranstaltungen beschäftigen. Hier hat der Unternehmer nunmehr deutlich auf den gewerblichen Charakter der Veranstaltung hinzuweisen. Auch hat er dem
Verbraucher die vorvertraglichen Informationen auf
solchen Veranstaltungen jederzeit zugänglich zu machen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass der Vertrag auch künftig mindestens in Schriftform niederzulegen ist. Im Gegensatz zu vorher reicht
nun jedoch die schriftliche Abfassung des Vertrages auf
einem dauerhaften Datenträger aus, das Verbot der
elektronischen Form ist damit entfallen. Damit wird der
technischen Entwicklung Rechnung getragen und die
Abwicklung von Verträgen kostengünstiger und praxisgerechter ausgestaltet.
Nach alledem bleibt festzuhalten, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine gelungene Umsetzung
der europäischen Timesharing-Richtlinie darstellt. Ich
bitte daher um Ihre Zustimmung.
Ziel des heute diskutierten Gesetzentwurfs ist die Umsetzung der EU-Richtlinie vom 14. Januar 2009. Mit ihr
soll der Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen an die heutigen Verhältnisse
angepasst werden.
Denn es hat sich in mehreren Mitgliedstaaten gezeigt,
dass der bisher geltende Verbraucherschutz unzureichend ist: Einerseits kann er zum Teil von den Anbietern
bewusst und gezielt unterlaufen werden; andererseits
haben sich mittlerweile neue Urlaubsprodukte am europäischen Markt etabliert, die von der alten Richtlinie
noch nicht erfasst wurden.
Durch die neue Richtlinie soll nun künftig europaweit
ein vergleichbares Verbraucherschutzniveau für entsprechende Urlaubsangebote gewährleistet werden. Da
in diesem Bereich vor allem grenzüberschreitende Verträge abgeschlossen werden, folgt die EU an dieser
Stelle dem Prinzip der Vollharmonisierung und fordert
von den Mitgliedstaaten, die Richtlinie bis zum 23. Februar 2011 in nationales Recht umzusetzen. Dieser Aufforderung kommen wir mit der heutigen Verabschiedung
des Gesetzentwurfs nach.
Die Umsetzung in deutsches Recht soll insbesondere
über Änderungen der §§ 481 bis 486 BGB erfolgen. Weitere Änderungen sind im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, in der BGB-InformationspflichtenVerordnung sowie im Unterlassungsklagengesetz erforderlich.
Im Einzelnen:
Der nach dem BGB bereits geltende Verbraucherschutz für Teilzeit-Wohnrechteverträge wird auf langfristige Urlaubsprodukte, Vermittlungsverträge sowie
Tauschsystemverträge ausgeweitet. Bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen wird die notwendige Vertragslaufzeit
für das Einsetzen des Schutzes von drei Jahren auf ein
Jahr verkürzt.
Besonders wichtig erscheinen mir die Einführung eines Widerrufsrechts innerhalb einer 14-tägigen Widerrufsfrist und das Verbot für den Anbieter, innerhalb der
Frist eine Anzahlung zu verlangen. Auch werden die Unternehmer dazu verpflichtet, ihre Kunden vor Vertragsabschluss über ihr Widerrufsrecht und das Anzahlungsverbot in Textform zu informieren.
Zu Protokoll gegebene Reden
Anders als bisher führt die Verletzung der Informationspflichten nicht mehr nur zu einer Verlängerung des
Widerrufrechts. Die Widerrufsfrist beträgt immer 14 Tage,
beginnt aber erst, wenn der Unternehmer seinen Informations- und Belehrungspflichten nachgekommen ist.
Durch die Ausdehnung des Anzahlungsverbotes auf
den gesamten Zeitraum vom Vertragsschluss bis zum
Ablauf der Widerrufsfrist wird sichergestellt, dass dem
Verbraucher während dieser Zeit keine Kosten entstehen. Damit werden die Möglichkeiten der Verbraucher,
von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, deutlich
verbessert und die Gefahr der Entstehung von Kosten,
die im Falle des Widerrufs mühsam und oft ohne Erfolg
zurückgefordert werden müssten, vermieden.
Eine nachträgliche Klarstellung auf Anregung des
Bundesrates garantiert, dass die Verbraucher im Fall
des Widerrufs auch vor Kosten für notarielle Beurkundungen, öffentliche Beglaubigungen oder Grundbucheintragungen geschützt werden.
Insgesamt modernisieren und verbessern die EURichtlinie und der vorliegende Gesetzentwurf damit den
bereits geltenden Verbraucherschutz im Bereich der
Teilzeit-Wohnrechteverträge sowie der unterschiedlichen Urlaubsprodukte. Dies wird von der SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich begrüßt.
Am 14. Januar 2009 ist die Richtlinie 2008/122/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates verabschiedet worden, die die Richtlinie 94/47/EG ablöst und bis
zum 23. Februar 2011 durch den nationalen Gesetzgeber umzusetzen ist. Gegenstand der Richtlinie ist die
Vollharmonisierung des Rechts in der Europäischen
Union „im Hinblick auf bestimmte Aspekte der Vermarktung, des Verkaufs und des Wiederverkaufs von Teilzeitnutzungsrechten und langfristigen Urlaubsprodukten
sowie von Tauschverträgen“. Dahinter verbergen sich
- gemäß den Begriffsbestimmungen der Richtlinie sowie
der Erwägungsgründe - Verträge zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und Gewerbetreibenden, deren Gegenstand ({0})Unterkünfte sind, die zwar
gegen Entgelt, aber dauerhaft über längere Zeiträume
nach verschiedenen Modalitäten zur Verfügung gestellt
werden.
Es geht um sogenannte Timesharing-Verträge, also
spezielles „Ferienwohnrecht“. Die Richtlinie macht unter anderem in den Erwägungsgründen zur Abgrenzung
dazu deutlich, dass Regelungsgegenstand nicht Mehrfachreservierungen der gleichen Unterkunft oder Rabattsysteme von Hotels für treue Kundinnen und Kunden
sind. Timesharing unterscheidet sich davon, wenn auch
in unzähligen Facetten, dass das Recht zur Nutzung als
Anspruch - sei es in Form einer Vereinsmitgliedschaft,
Gesellschaftsanteil, als dingliches Nutzungsrecht etc. zwischen Betreibenden und Nutzenden einer solchen Ferienwohnanlage ausgestaltet ist: zum Beispiel Nutzung
zu einer festgelegten Zeit im Jahr, jedoch ohne dass Nutzerinnen und Nutzer selbst Alleineigentum oder Miteigentum am Objekt erwerben. In der Praxis haben große
Timesharing-Organisationen weltweit eine Vielzahl an
Anlagen, die den jeweiligen Mitgliedern im Tausch gegen ihren eigenen Platz zur Verfügung stehen. Darüber
hinaus bieten diese Organisationen vielfach hotelartige
Serviceleistungen vor Ort an und Serviceleistungen für
die Organisation des Urlaubs, die an Reiseveranstalter
erinnern.
Gegenüber der alten Richtlinie 94/47/EG werden
nunmehr auch derartige Teilzeitwohnverträge erfasst unabhängig davon, ob sie Erholungszwecken dienen und
sich der Anwendungsbereich auf sämtliche „Tausch“Organisationen und „Tausch“-Verträge erstreckt -, die
vergleichbare Leistungen anbieten, die sich erst im
Laufe der Zeit entwickelt haben. So werden nunmehr
zum Beispiel auch Hausboote oder Wohnmobile erfasst.
Die Richtline schreibt Vollharmonisierung vor, um
Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu begegnen
und, da diese Vertragstypen überwiegend grenzüberschreitend relevant sind, allen den gleichen Schutzstandard zu bieten. Geregelt werden sollen vorvertragliche
Informationen, Formerfordernisse beim Abschluss,
Widerrufsrechte, die Beendigung etc. Die Vorgabe der
Vollharmonisierung durch die Richtlinie lässt keinen
politischen Bewertungsspielraum, sondern lediglich
eine Beurteilung im Hinblick auf die handwerklich korrekte Umsetzung zu.
Die Regelungen der §§ 481 ff. BGB, die bereits auf
die alte Richtlinie zurückgehen, werden neugefasst und
angepasst. Wie üblich leidet die Übersichtlichkeit und
Verständlichkeit der Normen an den Vorgaben der Richtlinie und dem Bemühen um eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Soweit ersichtlich, sind die Vorgaben der Richtlinie umgesetzt.
Welche konkreten rechtlichen Probleme allerdings
aus der vorliegenden Umsetzung aufgrund der mannigfaltigen Lebenssachverhalte resultieren, wird leider die
Praxis, mithin die Rechtsprechung, ausfindig machen
müssen. So ist zum Beispiel nur schwer erkennbar, wie
Verstöße gegen Regelungen auf der Rechtsfolgenseite
geahndet werden können. Die Richtlinie verlangt in
Art. 15 wirksame Sanktionsmechanismen bei Verstößen.
So heißt es beispielsweise in § 482 Abs. 3 BGB-E, dass
derartige Verträge nicht als Geldanlage beworben oder
verkauft werden dürfen. Dies mag Unterlassungsansprüche nach dem UWG oder Unterlassungsklagen
auslösen. Wie jedoch in der Praxis damit der laut GEBegründung stärkere Verbraucherschutz entsteht, erschließt sich nicht; Verstöße gegen das UWG oder Unterlassungsklagen lassen den Vertrag unberührt, Verbraucherschutzorganisationen sind ohnehin finanziell
und tatsächlich am Limit mit der Verfolgung. Ob eine
Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB möglich ist oder gar
eine Nichtigkeit nach § 134 BGB folgt, müssen Lehre
und Rechtsprechung wohl entwickeln. Ähnliche Fragen
stellen sich in der Praxis beim Anzahlungsverbot nach
§ 486 BGB-E.
Systematisch und strukturell unglücklich gelöst - vor
dem Hintergrund der Rechtsklarheit und der Normadressaten - sind zum Beispiel auch die Rechtsfolgenfragen im Hinblick auf darlehensfinanzierte Verträge
dieses Typus. So regelt § 485 BGB-E zwar das WiderZu Protokoll gegebene Reden
rufsrecht und einige Rechtsfolgen; dass aber bei darlehensfinanzierten Verträgen § 358 Abs. 1 BGB gilt, findet
man nur in der Begründung. Nur wird eine Verbraucherin bzw. ein Verbraucher das selbst im Gesetz nur
schwer finden, zumal auch die Regelungen zu verbundenen Geschäften in ihrer unglücklichen Systematik auf
Richtlinien zurückgehen.
Normenklarheit und Rechtsklarheit sowie eine nachvollziehbare Systematik müssen auch bei Richtlinienumsetzungen machbar sein. Die Bundestagsfraktion Die
Linke hält daher den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte sowie
Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge für
nicht ausreichend.
Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen bemüht sich zumindest um ein wenig Rechtsklarheit bei der
Vorgabe, dass dem Verbraucher bei Widerruf keinerlei
Kosten entstehen dürfen. Diesem ist daher zuzustimmen.
Wir befassen uns heute mit dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Modernisierung der Regelungen
über Teilzeit-Wohnrechteverträge und andere Urlaubsprodukte. Dabei geht es um das Recht des Kunden, ein
Ferienobjekt oder ein Hotel jedes Jahr für eine gewisse
Zeit zu nutzen.
Der Gesetzentwurf setzt die Richtlinie 2008/122/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick
auf bestimmte Aspekte von Teilzeit-Nutzungsverträgen
und anderen Urlaubsprodukten um. Die Richtlinie basiert auf dem Prinzip der Vollharmonisierung. Abweichende innerstaatliche Regelungen - auch zugunsten
des Verbrauchers - sind damit innerhalb des Regelungsumfanges der Richtlinie grundsätzlich nicht zulässig.
Auf europäischer Ebene fand die Richtlinie ebenfalls
unsere Zustimmung. Damit begrüßen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Um Ihr Verständnis für den
Inhalt der Richtlinie und deren Bedeutung zu wecken,
möchte ich Ihnen einen Einblick in den Regelungsgehalt
der Richtlinie geben.
Für welche Ferienprodukte hat die Richtlinie die Anwendung vorgesehen? Neu erfasst werden Teilzeit-Nutzungsrechte an beweglichen Unterkünften, wie zum Beispiel an Hausbooten oder Wohnmobilen. Ferner werden
erstmals langfristige Urlaubsprodukte erfasst, bei denen
es um Preisnachlässe oder andere Vergünstigungen im
Zusammenhang mit einer Unterkunft geht. Das betrifft
zum Beispiel die Mitgliedschaft in sogenannten Reiserabattklubs. Schließlich werden Vermittlungsverträge
sowie Mitgliedschaften in Tauschsystemen über TeilzeitWohnrechteverträge erfasst.
Um den Schutzbereich der zugrunde gelegten Vorschriften verbraucherfreundlicher zu gestalten, wurde
die Laufzeit auf ein Jahr verkürzt. Zuvor betrug die
Laufzeit drei Jahre. Dieser erweiterte Anwendungsbereich trägt der veränderten und ausgeweiteten Nutzung
der Teilzeit-Wohnrechte Rechnung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Widerrufsrecht
des Verbrauchers. Für uns war es besonders wichtig,
dass der Verbraucher bei allen Verträgen dieser Art
mindestens ein 14-tägiges Widerrufsrecht erhält. Hinzu
kommt, dass während der Widerrufsfrist ein Anzahlungsverbot besteht. Ein weiterer wichtiger Aspekt des
Verbraucherschutzes ist, dass der Verbraucher im Falle
eines Widerrufs keine Kosten tragen und auch keinen
Nutzungsersatz zahlen muss.
Ein anderes zentrales Thema in diesem Kontext ist die
vorvertragliche Informationspflicht des Unternehmers.
Die Richtlinie sieht vor, dass der Unternehmer den Verbraucher vor Vertragsschluss ausführlich über die wesentlichen Aspekte wie über den Leistungsumfang und
den Preis samt Nebenkosten informieren muss. Dafür
müssen europaweit einheitlich vorgegebene Informationsformulare benutzt werden. Dies dient dem Verbraucher. Er kann auf einen Blick unterschiedliche Angebote
miteinander vergleichen.
Eine große Barriere liegt oft in den unterschiedlichen
Sprachen. Wie soll der Deutsche auf Spanisch seine
Rechte verstehen? Oder wie soll der Spanier in Frankreich seine Rechte verstehen? Um diesem Problem
Rechnung zu tragen, sieht die Richtlinie vor, dass die Informationen und der Vertrag grundsätzlich in der Amtssprache des Staates verfasst sein müssen, in welchem
der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
Wir begrüßen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er setzt die Vorgaben der europäischen Richtlinie
konstruktiv um. Die Richtlinie bringt ganz Europa auf
ein höheres Verbraucherschutzniveau, egal ob die Verträge in Deutschland, Spanien oder einem anderen EUMitgliedstaat geschlossen werden. Die Richtlinie ermöglicht einen umfassenden Verbraucherschutz für Teilzeit-Wohnrechte und andere Urlaubsprodukte.
Seit 1994 sind die Teilzeit-Nutzungsrechte an Urlaubsimmobilien - auch als Timesharing bekannt - europaweit geregelt. Seitdem hat sich der Markt weiterentwickelt, und es werden zahlreiche Produkte angeboten, mit
denen ursprünglich niemand gerechnet hat. Gleichzeitig
hat sich der bestehende Verbraucherschutz in etlichen
Mitgliedstaaten der EU als nicht ausreichend herausgestellt. Reisenden wurden beim Urlaub im Ausland unseriöse Produkte für teures Geld aufgeschwatzt. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, wurde am 14. Januar
2009 die EU-Richtlinie 2008/122/EG zum Schutz der
Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von
Teilzeit-Nutzungsverträgen, Verträgen über langfristige
Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen erlassen. Der vorliegende Gesetzentwurf der
Bundesregierung dient dazu, die Vorgaben dieser Richtlinie in das deutsche Recht zu übertragen.
Wichtigste Neuerung ist, dass das Spektrum der Verträge, die in den Anwendungsbereich der verbraucherschützenden Spezialregelungen fallen, erheblich ausgeweitet wird. So reicht bei Teilzeit-Wohnrechten in
Zukunft bereits eine Vertragslaufzeit von mehr als einem
Jahr aus, während bislang nur Verträge mit einer LaufZu Protokoll gegebene Reden
zeit von mindestens drei Jahren erfasst wurden. Erstmals ausdrücklich geregelt werden Teilzeit-Nutzungsrechte an beweglichen Übernachtungsunterkünften wie
Hausbooten oder Wohnmobilen. Außerdem werden die
sogenannten langfristigen Urlaubsprodukte erfasst, bei
denen der Verbraucher gegen Entgelt Preisnachlässe
oder sonstige Vergünstigungen bei der Nutzung einer
Unterkunft für die Dauer von mehr als einem Jahr eingeräumt bekommt. Dies betrifft zum Beispiel die Mitgliedschaft in sogenannten Reiserabattklubs. Auch
Vermittlungsverträge und die Mitgliedschaft in Tauschsystemen, die Teilzeit-Wohnrechteverträge betreffen,
werden nun geregelt.
Bei allen diesen Verträgen wird den Verbrauchern
künftig ein vierzehntägiges Widerrufsrecht eingeräumt.
Macht ein Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, muss er keinen Ersatz für die bis dahin gezogenen Nutzungen zahlen und keine anderen Kosten im Zusammenhang mit dem Widerruf tragen. Auch besteht ein
Anzahlungsverbot während der Widerrufsfrist. Die Verbraucher können also ihre Entscheidung zum Abschluss
des Vertrags ohne Zeitdruck und ohne Angst vor finanziellen Nachteilen überdenken.
Überarbeitet und ausgeweitet sind auch die Informationspflichten. Die Unternehmer müssen vor Vertragsschluss ausführlich über die wesentlichen Aspekte der
angebotenen Produkte informieren und dabei europaweit einheitlich vorgegebene Informationsformulare benutzen. Interessierte Verbraucher können so unterschiedliche Angebote auf einen Blick miteinander
vergleichen. Die Informationen und der Vertrag müssen
innerhalb der EU grundsätzlich in der Amtssprache des
Staates verfasst sein, in welchem der Verbraucher seinen
Wohnsitz hat. In Deutschland lebende Verbraucher, denen während ihres Urlaubs in einem änderen europäischen Staat ein Teilzeit-Wohnrecht angeboten wird,
haben also einen Anspruch auf vorverträgliche Informationen und auf einen Vertrag in deutscher Sprache. Sie
sind damit besser als bisher vor Irreführung oder Missverständnissen geschützt.
Mit diesen Regelungen wird der Verbraucherschutz
erheblich verstärkt und europaweit vereinheitlicht. Beim
Vertragsschluss im europäischen Ausland können sich
deutsche Verbraucher erstmals auf dasselbe hohe
Schutzniveau verlassen wie zu Hause. Gleichzeitig wird
es den Timeshare-Anbietern erleichtert, ihre Produkte in
ganz Europa anzubieten. Die Unternehmen können
mehr Kunden erreichen, die Verbraucher aus mehr Anbietern auswählen. Verbraucherschutz und Wirtschaftsfreundlichkeit stehen hier also in keinem Gegensatz,
sondern sind zwei Seiten einer Medaille.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3111, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/2764 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung
({0}) Nr. 380/2008 vom 18. April 2008 zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 1030/2002
zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige
- Drucksache 17/3354 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({2})Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden werden zu Protokoll genommen.
Mit dem Gesetz zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige setzen wir eine
EU-Verordnung um, wofür die Mitgliedstaaten bis zum
21. Mai 2011 Zeit haben. Wer jetzt also Kritik übt, hier
würden Ausländer diskriminiert und würde eine Sonderbehandlung für Drittstaatenangehörige geschaffen, dem
muss man entgegenhalten, dass er mit dieser Kritik zu
spät kommt. Solche Überlegungen hätten bei den Beratungen auf europäischer Ebene berücksichtigt werden
müssen.
In der Sache geht es darum, dass die Identitätsfeststellung europaweit einheitlich geregelt wird. Das ist
aus Sicherheitsgründen nur zu begrüßen. In der Sache
bedeutet der Gesetzentwurf, dass die bisher als Klebeetiketten ausgestellten Aufenthaltstitel für Drittstaatenangehörige als eigenständige Dokumente in Kartenform
ausgegeben werden. Diese Aufenthaltskarte ist mit einem Chip ausgestattet, auf dem einige Daten des Titelinhabers, aufenthaltsrechtliche Nebenbestimmungen sowie sein Lichtbild und zwei Fingerabdrücke gespeichert
werden. Diese Vorgaben werden in das nationale Recht
umgesetzt. Gleichzeitig wird - ebenso nach den Vorgaben der EU - eine Aufenthaltskarte auch für Familienangehörige von EU-Bürgern eingeführt, die die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates haben.
Die Speicherung von Gesichtsbild und Fingerabdruck im Chip des neuen elektronischen Aufenthaltstitels schafft deshalb mehr Sicherheit, weil durch die
biometrischen Erkennungsmerkmale eine verlässlichere
Verbindung zwischen dem Ausländer und seinem tatsächlichen Aufenthaltstitel geschaffen wird. Dadurch
verhindern wir missbräuchliche Verwendung. Die für
alle Mitgliedstaaten einheitliche Aufenthaltskarte erfüllt
sehr hohe technische Anforderungen, die Fälschungen
ausschließen. Die Sicherheitsbehörden wissen in Zukunft genau Bescheid, wen sie tatsächlich vor sich
haben. So können wir besser illegale Einwanderung verhindern und illegalen Aufenthalt in Deutschland bekämpfen.
Gleichzeitig wird mit dem elektronischen Aufenthaltstitel der Zugang zu neuen Technologien wie elektronischen Behördendiensten und der digitalen Signatur eröffnet. Die Einführung der Aufenthaltskarte hat also für
den ausländischen Mitbürger auch im Alltag Vorteile,
weil er sie - wie Deutsche ihren Personalausweis künftig als elektronischen Identifikationsnachweis nutzen kann.
Es hat jetzt aus dem Kreis der Länder Sorgen gegeben, dass die für die Ausstellung der Aufenthaltskarte zu
entrichtenden und angehobenen Gebühren nicht ausreichen könnten, den erhöhten Verwaltungsaufwand
auszugleichen. Wir werden uns im Rahmen der Ausschussberatungen mit dieser Frage nochmals eingehend
beschäftigen. Allerdings muss grundsätzlich betont werden, dass die Länder als die für die Umsetzung des Aufenthaltsrechts zuständigen Ordnungsbehörden auch
Vorteile durch die leichtere Identifizierung des jeweiligen Ausländers haben. Im Übrigen kann bei der Aufenthaltskarte auch auf die im Aufbau befindlichen Systeme
für den neuen elektronischen Personalausweis zurückgegriffen werden. Die Anschaffung einer neuen Technologie mit neuen technischen Funktionen ist also nicht erforderlich.
Die Einführung des neuen elektronischen Aufenthaltstitels gibt den Ausländerbehörden zwei große
Chancen. Erst einmal kann die Kartei möglicherweise
um solche Ausländer bereinigt werden, die, ohne eine
Mitteilung zu machen, aus Deutschland verzogen sind.
Man bekommt also einen besseren Überblick über die
tatsächliche Zahl der Drittstaatenangehörigen und darüber, welchen Aufenthaltsstatus sie haben. Das gilt EUweit, sodass künftig auch Doppelanmeldungen und damit das doppelte Kassieren von Sozialleistungen schneller aufgedeckt werden können. Wanderungsbewegungen
innerhalb der EU kann man schneller ermitteln. Zweitens - ohne die Behörden jetzt überfordern zu wollen ist das eine gute Gelegenheit, um beim Gespräch in der
Behörde die Ausländer auf mögliche Integrationsangebote aufmerksam zu machen, soweit die Mitarbeiter den
Eindruck haben, dass es entsprechenden Bedarf gibt.
Die von Oppositionspolitikern geäußerte Kritik,
Nicht-EU-Ausländer würden jetzt unter Generalverdacht gestellt oder sogar diskriminiert, ist völlig abwegig. Nochmals: Wir setzen hier EU-Recht um. Gerade
die Grünen und die Linken sind es sonst immer, die peinlich darauf achten, dass EU-Vorschriften, die das
Aufenthaltsrecht für Ausländer betreffen, eins zu eins
umgesetzt werden. Jetzt plötzlich schlagen sie Krach.
Das ist unglaubwürdig. Im Übrigen geben auch deutsche Staatsbürger bei den neuen EU-Reisepässen
Fingerabdrücke ab, ohne dass man sich dadurch diskriminiert fühlen muss. Es ist auch keine zentrale Speicherung im Ausländerzentralregister vorgesehen. Fingerabdrücke und biometrische Fotos werden in Zukunft
Standard in europäischen Ausweispapieren sein. Das ist
aus Gründen der Sicherheit und leichteren Identifizierbarkeit zu begrüßen. Insofern unterstützt die CDU/CSUBundestagsfraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels.
Heute beraten wir in erster Lesung den vorliegenden
Gesetzentwurf der Bundesregierung, der im Kern die
einheitliche Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige zum Kern hat.
Lassen Sie mich aber vorab der Ordnung halber eines
kurz festhalten: Viel eigene Initiative oder viele eigene
Ideen der schwarz-gelben Bundesregierung stecken
nicht gerade in diesem Gesetzentwurf; denn liest man
diesen Entwurf, ist er am Ende doch nichts anderes als
eine Eins-zu-eins-Anpassung des deutschen Rechts an
eine bereits bestehende europäische Verordnung. Allein
hätte Schwarz-Gelb inhaltlich so etwas nicht auf den
Weg gebracht. Von daher bin ich ganz froh, dass die EU
mit ihrer Verordnung EG 380/2008 des Rates an dieser
Stelle inhaltlich etwas vorgegeben hat, was beispielsweise die Bundespolizei seit geraumer Zeit angemahnt
hat, nämlich die Abschaffung der unübersichtlichen
Lage der verschiedenen Aufenthaltstitel in Europa. Mit
der Einführung eines elektronischen Aufenthaltstitels
wird künftig ein eigenständiges Dokument bestehen, das
einheitliche Standards für den elektronischen Datenaustausch im Ausländerwesen sicherstellt, wodurch die
Chance besteht, den Datenaustausch zu beschleunigen.
Aber - das muss man an dieser Stelle auch betonen da wo Schwarz-Gelb etwas einbringen konnte, hat die
Regierung es auch deutlich getan, nämlich beim Punkt
„Kosten des Aufenthaltstitels“. Nach dem vorliegenden
Entwurf wird der einheitliche Aufenthaltstitel mit einer
erheblichen Kostensteigerung verbunden sein und zu einem Mehraufwand bei den Ausländerbehörden führen.
Was die Bundesregierung hier auf den Weg bringt, ist
schlicht eine den Kommunen übergestülpte Kostensteigerung. Hier hat die Bundesregierung wahrlich all ihre
Kreativität eingesetzt, angefangen bei der in meinen Augen explosionsartigen Produktionskostensteigerung von
bislang 0,78 Euro auf 30 Euro für den elektronischen
Aufenthaltstitel. Der Vorschlag der Bundesregierung zur
Kompensation lautet: über die bisherigen Gebührenhöchstsätze. Diese sollen schlicht durchweg angehoben
werden. Laut dem derzeit geltenden Aufenthaltsgesetz
können schon heute für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zu 80 Euro Gebühren erhoben werden; zukünftig - laut diesem Gesetzentwurf - sollen es bis zu
130 Euro sein. Bei der Niederlassungserlaubnis ebenso
wie der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG soll der Gebührenhöchstsatz von derzeit 200 Euro auf künftig
250 Euro angehoben werden. Nicht zuletzt sollen für die
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis die Gebührenhöchstsätze auf bis zu 90 Euro - statt der bisherigen
40 Euro - angehoben werden. Das ist eine wesentliche
Kostensteigerung.
Das ist in meinen Augen nicht angemessen bei einer
Produktionskostensteigerung um 29,22 Euro, was im
Zu Protokoll gegebene Reden
Daniela Kolbe ({0})
Übrigen fast 40-mal so viel ist wie bisher. Schlussendlich bedeutet dies nämlich nichts anderes, als dass der
Antragsteller bzw. bei einem Ausnahmetatbestand die
Kommune die Kosten zu übernehmen hat. An dieser
Stelle würde mich sehr interessieren, wie diese Explosion bei den Produktionskosten konkret zustande kommt.
Von daher bitte ich die Bundesregierung, dies einmal
transparent darzulegen.
Kommen wir aber zurück zum Punkt „Anhebung der
Gebührenhöchstsätze“. Die Bundesregierung sieht also
eine Anhebung um 50 Euro vor, wovon allein 30 Euro,
wenn ich den Gesetzentwurf richtig verstanden habe,
zur vollen Deckung der Kosten der Bundesdruckerei
vorgesehen sind und demgegenüber gerade 20 Euro den
zusätzlichen Verwaltungsaufwand bei den Kommunen
darstellen sollen. Wie 20 Euro für den zusätzlichen kommunalen Aufwand ausreichen sollen, ist mir unklar;
denn wir sprechen hier von einem nicht unerheblichen
personellen und sächlichen Mehraufwand bei den zur
Ausführung des Bundesgesetzes aufgerufenen Kommunen. Daher würde mich eine Aussage von der Bundesregierung interessieren, wie der sächliche Mehraufwand, den im Übrigen auch der Bundesrat bemängelt,
bei den Ausländerbehörden kompensiert werden soll.
Dieser Mehraufwand wird zum Beispiel im Bereich
der Datenerfassung oder beim Informations- und Beratungsaufwand zum Tragen kommen oder durch zusätzliche Vorabsprachen je Antragsteller, durch die Qualitätsprüfung der Chipkarten, um nur einige Punkte zu
nennen. Wird dies auch über diesen neuen Gebührenrahmen kompensiert werden, oder plant die schwarzgelbe Bundesregierung hier das seit einem Jahr praktizierte übliche Spiel des „Wir beschließen in Berlin, und
die Arbeit und Kosten haben die Länder und die Kommunen“? Auch hier interessiert mich eine konkrete
Stellungnahme der Bundesregierung. Die Realität ist
doch schon heute eine andere, wie Erhebungen von
Kommunen deutlich machen. Ich zitiere hier aus dem
Bundesrat: „Bereits derzeit sind die Kommunen bei der
Ausführung des Aufenthaltsgesetzes durch die nicht kostendeckenden Gebühren … finanziell erheblich belastet.
Mit der Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels
wird sich diese Kostenbelastung der Kommunen dramatisch verschärfen.“ Von daher fordere ich die Bundesregierung auf: Legen Sie transparent die Entstehung der
Kosten für den elektronischen Aufenthaltstitel dar! Sagen Sie uns, wie die entstehenden Kosten bei den Kommunen abgefangen werden!
Durch den vorgelegten Gesetzentwurf werden europäische Vorgaben erfüllt. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bis spätestens 21. Mai 2011 den elektronischen
Aufenthaltstitel für Drittstaatenangehörige einzuführen.
Dieser Pflicht wird durch den vorgelegten Gesetzentwurf entsprochen.
Verbindlich ist von europäischer Seite vorgeschrieben, entsprechende Karten mit einem Chip auszustatten.
Darauf werden neben Daten des Titelinhabers wie Name
und Staatsangehörigkeit auch ein Lichtbild und zwei
Fingerabdrücke gespeichert werden. Vor einigen Wochen hat dies zu einem großen Aufschrei bei der Opposition geführt - und das, obwohl das Vorhaben schon
lange bekannt ist. Bereits vor zwei Jahren wurde der entsprechende Beschluss auf europäischer Ebene gefasst.
Aber wie so oft hat die Opposition vorher keinen Ansatzpunkt für Kritik gefunden.
Ich möchte nicht verhehlen, dass die FDP-Bundestagsfraktion seit jeher der Speicherung biometrischer
Daten im Pass, im Personalausweis und an anderen
Stellen kritisch gegenübersteht. Dabei handelt es sich
um sehr sensible Daten. Allerdings ist der Zug an dieser
Stelle abgefahren: Die europäische Vereinbarung steht;
wir müssen sie nun umsetzen. Dies geschieht durch diesen Gesetzentwurf. Die Kritik der Opposition ist daher
unangebracht. Von einer Stigmatisierung der Betroffenen, wie es von der Opposition in der öffentlichen Diskussion dargestellt worden ist, kann nun wirklich nicht
die Rede sein. Auch werden sie nicht, wie behauptet
wurde, unter Generalverdacht gestellt. Bleiben Sie also
bitte auf dem Teppich, und kehren Sie zur sachlichen
Diskussion zurück.
Für die weiteren Beratungen im Parlament ist aus
unserer Sicht entscheidend, wie mit den Gebühren zu
verfahren ist. In der Stellungnahme des Bundesrates
werden bedenkenswerte Aspekte angesprochen: Die
Herstellungskosten für diesen neuen elektronischen Aufenthaltstitel werden sich erhöhen; der Arbeitsaufwand
bei den Ausländerbehörden wird ansteigen. Insgesamt
wird der Belastungsaufwand für die Kommunen steigen.
Ob die im Gesetzentwurf vorgesehenen Gebührenrahmen zur Abdeckung der Kosten ausreichen, werden wir
daher nochmals zu prüfen und zu besprechen haben. Es
ist begrüßenswert, dass auch die Bundesregierung bereits signalisiert hat, den Vorschlag des Bundesrates zu
prüfen. Auch die Bedenken des Deutschen Städtetages
werden in unsere weiteren Überlegungen mit einfließen.
Das Interesse der Länder, die Funktion des elektronischen Identitätsnachweises für zwei Jahre nur ausnahmsweise auf gesonderten Antrag hin freizuschalten,
ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Allerdings ist
zweifelhaft, ob dies wirklich zu einer signifikanten Verringerung des Verwaltungsaufwands führen würde. Im
Ausschuss werden wir noch die Gelegenheit haben, die
angesprochenen Punkte zu diskutieren und zu klären.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung eine geänderte Verordnung der Europäischen Union in deutsches Recht um, die die Einheitlichkeit der in der EU ausgegebenen Aufenthaltstitel
sicherstellen soll. Es stellt sich hier schon grundsätzlich
die Frage, wie sinnvoll das ist; denn nur eine kleine
Gruppe von langfristig Aufenthaltsberechtigten kann
sich innerhalb der EU frei bewegen und gerät so in Situationen, in denen die Aufenthaltsberechtigung nachgewiesen werden muss. Die Einheitlichkeit der Aufenthaltstitel ist also schon von vorneherein überflüssig.
Nun soll aber auch in diesem Bereich eine Tendenz
fortgesetzt werden, die wir politisch falsch finden. Auch
Zu Protokoll gegebene Reden
die in der EU lebenden Drittstaatenangehörigen sollen
nun eine Art elektronischen Pass erhalten. Statt der bislang verwendeten einheitlichen Aufkleber in den Passpapieren sollen diese Menschen nun eine Chipkarte erhalten, auf der alle möglichen Daten gespeichert
werden. Dazu gehören neben den wichtigsten Identitätsmerkmalen wie Name und Geburtsdatum verpflichtend
auch biometrische Daten, zwei Fingerabdrücke und ein
Lichtbild. Außerdem, so die Bundesregierung in ihrem
Gesetzentwurf, sollen neue technische Standards den
Schutz vor Fälschungen und Verfälschungen erhöhen.
Damit soll auch zur Verhinderung und Bekämpfung illegaler Einwanderung beigetragen werden.
Der Schutz vor Fälschungen war schon ein Argument
für die Einführung des elektronischen Personalausweises, den wir ebenfalls heute diskutieren. Wie beim Personalausweis ist auch bei den bisher in den Ausweisdokumenten von Ausländern verwendeten Klebeetiketten
nicht bekannt, dass es hier zu Fälschungen und Verfälschungen in einer aufsehenerregenden Zahl von Fällen
gekommen wäre. Zudem birgt ein elektronischer Aufenthaltstitel genau wie der elektronische Personalausweis
eine ganze Reihe neuer Gefahren: Daten können auch
ohne unmittelbaren Kontakt ausgelesen und für Identitätsdiebstahl verwendet werden. Wieder einmal wird
also ein ungewisser Zugewinn an Sicherheit mit einem
unbestreitbaren Verlust an Sicherheit für den Einzelnen
erkauft - ein höchst zweifelhaftes Geschäft.
Höchst zweifelhaft ist es meiner Ansicht nach auch,
hier wieder einmal die ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland und der EU zum Versuchskaninchen
für zukünftige politische Projekte zu machen. Derzeit ist
die Abgabe der Fingerabdrücke für den neuen Personalausweis ja noch optional, während Nichtdeutsche nun
hierzu gezwungen werden sollen. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass auch hier in wenigen Jahren
eine Wendung vollzogen wird nach dem Motto: Jetzt haben wir für eine Bevölkerungsgruppe schon einmal die
Erfassung der biometrischen Daten eingeführt, jetzt machen wir es einfach für alle. - Und es gehört nicht viel
Fantasie dazu, dass bei der nächsten sich bietenden
Gelegenheit dann auch die zentrale Erfassung dieser
biometrischen Daten gefordert wird. Ich erinnere nur an
den ehemaligen Innenminister Schäuble, der 2007 bei
der Einführung des elektronischen Reisepasses gefordert hatte, die erhobenen Fingerabdrücke mindestens
bei den Meldebehörden zu speichern. Auch die EUKommission hat in der Vergangenheit schon mit Plänen
für Aufsehen gesorgt, zentrale europäische Fingerabdruckdatenbanken einzurichten. Hier gilt der alte Lehrsatz: Wenn einmal Daten erhoben werden, dann werden
auch neue Begehrlichkeiten geweckt.
Lassen Sie mich am Schluss noch auf einen Aspekt
ganz kurz eingehen: die Kosten und der Verwaltungsaufwand für die Kommunen. Zunächst kommen hohe Gebühren auf die Drittstaatenangehörigen zu, wenn sie die
neue Karte beantragen, und bei jeder Gelegenheit, wenn
sich ihr Aufenthaltsstatus ändert; denn dann müssen sie
jedes Mal einen neuen elektronischen Aufenthaltstitel
beantragen. Für eine Aufenthaltserlaubnis werden dann
180 statt bislang 130 Euro fällig, für eine Niederlassungserlaubnis 250 statt 200 Euro. Statt wie bislang einer Vorsprache des Familienvorstands bei der Ausländerbehörde müssen demnächst alle Familienmitglieder
vorsprechen, und das aus technischen Gründen gleich
mehrfach. Die hohen Gebühren decken aus diesen
Gründen nach Ansicht der Kommunen bei weitem nicht
ihre Kosten. Mit dem elektronischen Aufenthaltstitel
sind auch neue Arbeitsabläufe in den kommunalen Ausländerbehörden verbunden; die Ausgabe der neuen Titel
wird zunächst zu einem starken Anstieg der Verwaltungskosten führen. Allein die Stadt Köln rechnet mit einem Mehraufwand von 1,25 Millionen Euro im ersten
Jahr nach Einführung. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es dazu lapidar, diese Aufwendungen
könnten derzeit noch nicht beziffert werden.
Zusammengefasst: Dieses Vorhaben ist nicht nur
komplett überflüssig, was die Verbesserung der Sicherheit und den vermeintlichen Schutz vor illegaler Einwanderung betrifft. Es ist auch ein weiterer Meilenstein
in der fortschreitenden biometrischen Erfassung der Bevölkerung; Ausländer dienen als Versuchskaninchen.
Die Kosten für diesen politischen Irrsinn werden auf die
Betroffenen und die Kommunen abgewälzt.
Ich frage mich, wie die Bundesregierung der europäi-
schen Verordnung zur einheitlichen Gestaltung des Auf-
enthaltstitels für Drittstaatenangehörige zustimmen
konnte, die für Nicht-EU-Ausländer nicht nur biometri-
sche Passbilder, sondern auch Fingerabdrücke bei den
Ausweisen vorschreibt. Allein in Deutschland werden
dadurch über 4 Millionen Ausländerinnen und Auslän-
der künftig ihre Fingerabdrücke von der zuständigen
Ausländerbehörde abnehmen lassen müssen.
Ich dachte, dass die Diskussion über Fingerabdrücke
beim Personalausweis anders ausgegangen war. Aus
gutem Grund sieht der Gesetzentwurf zum elektroni-
schen Personalausweis keine obligatorische Abgabe
von Fingerabdrücken vor. Hier wird das Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung respektiert, und die deut-
schen Staatsangehörigen werden nicht zum gläsernen
Bürger gemacht. Bei der Aufenthaltskarte für Drittstaa-
tenangehörige bleibt dagegen offen, wie die Ausländer-
behörden und die Bundesdruckerei ein hinreichendes
Niveau an Datensicherheit garantieren wollen. Der
Standard, der deutschen Staatsangehörigen garantiert
wird, muss allen hier lebenden Menschen gewährt wer-
den. Wir wollen keinen Zwei-Klassen-Datenschutz.
Es passt zu der aktuellen herabwürdigenden Integra-
tionsdebatte, dass die Bundesregierung gerade jetzt ih-
ren Gesetzentwurf zur Aufenthaltskarte vorlegt und da-
mit noch mehr Stimmung gegen Einwanderinnen und
Einwanderer macht, indem sie unter Generalverdacht
gestellt werden. Es ist erstaunlich, dass die Bundes-
regierung es mit der Einhaltung von europarechtlichen
Fristen für die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht oft
nicht so genau nimmt. Doch ausgerechnet wenn Kinder-
und Menschenrechte von Drittstaatenangehörigen auf
dem Spiel stehen, ist sie übereifrig.
Zu Protokoll gegebene Reden
Besonders traurig, aber auch empörend finde ich,
dass selbst Kinder ab dem sechsten Lebensjahr Finger-
abdrücke abgeben müssen. Können sich Bundesbürger-
innen und -bürger eine solche erkennungsdienstliche
Behandlung ihrer sechsjährigen Kinder oder Enkelkin-
der vorstellen? Es ist schamlos, dass die europäische
Verordnung mehrfach auf die geltenden Menschenrechte
und Kinderrechte hinweist und ein paar Zeilen weiter
sechsjährige Kinder verpflichtet, wie in einem Strafver-
fahren ihre Fingerabdrücke abzugeben. Das ist skanda-
lös.
Unerträglich ist auch, dass die Gebühren für die Auf-
enthaltskarte um 50 Euro steigen sollen. Während der
elektronische Personalausweis für deutsche Staatsange-
hörige in Zukunft für etwa 28 Euro erhältlich sein wird,
sollen Drittstaatenangehörige für die vergleichbare Auf-
enthaltskarte bis zu 250 Euro zahlen. Diese eklatante
Benachteiligung ist mit nichts zu rechtfertigen.
Schließlich ist die Verwendung der Aufenthaltskarte
als elektronischer Identitätsnachweis problematisch.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech-
nik, BSI, empfiehlt den Ausweisinhaberinnen und -inha-
bern, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.
Seitens der Regierung hört man außer wenig hilfreicher
Empfehlungen wie, die Antivirensoftware stets auf dem
aktuellen Stand zu halten, nichts. Was können Betroffene
jedoch tun, wenn die Betreiber der Antivirensoftware
nicht schnell genug Updates anbieten oder die Anwen-
derinnen und Anwender mit der Software nicht klarkom-
men? Darauf hat die Bundesregierung keine Antwort.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die Erfassung
von Fingerabdrücken nicht einzuführen und sich auf
europäischer Ebene für eine Änderung der Verordnung
einzusetzen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/3354 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth
({1}), Burkhard Lischka, René Röspel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Deutschlands Verantwortung für die Gesundheit in Entwicklungsländern - Vernachlässigte
Krankheiten bekämpfen, Kinder- und Müttersterblichkeit verringern und Globalen Fonds
stärken
- Drucksachen 17/2135, 17/3474 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({2})Karin Roth ({3})-
Helga Daub-
Niema Movassat-
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Global Health Governance“ stärken - Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und
Schwellenländern voranbringen
- Drucksache 17/3437 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({4})-
Auswärtiger Ausschuss-
Ausschuss für Gesundheit
Die Reden werden zu Protokoll genommen.1)
Wir kommen zur Abstimmung.
Tagesordnungspunkt 22 a. Der Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3474,
den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2135
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und
Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 17/3437 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Waltraud Wolff ({5}), Dr. Wilhelm
Priesmeier, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Herausforderung Klimawandel - Landwirtschaft 2050
- Drucksache 17/1575 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({6})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS90/DIE GRÜNEN
Klimabilanz im Ackerbau verbessern
- Drucksache 17/2487 -
Überweisungsvorschlag:-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
1) Anlage 15
Verbraucherschutz ({7})Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Reden werden zu Protokoll gegeben.
Zunächst muss ich den Kolleginnen und Kollegen der
Opposition zumindest zugute halten, dass sie mit ihren
Anträgen die Bedeutung der Landwirtschaft im Allgemeinen bei den Themen Ernährungssicherheit, Welternährung und Klimawandel anerkennen. Allerdings
muss man feststellen, dass die inhaltliche Analyse und
Beurteilung bis auf wenige Ausnahmen desaströs ist.
Die Zielrichtung der Anträge ist grundsätzlich vollkommen verfehlt.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn ganz konkret eine
These aufstellen, die ich in meinen weiteren Ausführungen dann erklären möchte: Die Landwirtschaft kann einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn sie
denn effizient und intensiv betrieben wird.
Aber nicht nur in Fragen des Klimaschutzes, sondern
auch in Fragen der Welternährung, des Einsatzes und
der Erzeugung erneuerbarer Energien sowie zum Schutz
der Biodiversität ist eine effiziente Landwirtschaft von
entscheidender Bedeutung. Sie ist in der Lage, eine
wichtige Rolle für die zukünftige positive Entwicklung
vieler Regionen der Welt zu übernehmen.
Die Landwirtschaft ist bzw. wird in der Zukunft ohne
Zweifel Betroffener des Klimawandels sein. Es ist aber
auch nicht zu verneinen, dass die landwirtschaftliche
Produktion Treibhausgase emittiert, wobei man gleich
betonen muss, dass die Land- und Forstwirtschaft die
einzigen Sektoren sind, die in ihrer Produktion schädliche Klimagase binden. Dies ist ein Punkt, den Sie zumindest in Ihren Anträgen anerkennen und nicht auch noch
infrage stellen. Allerdings fehlt in Ihrer anklagenden Betrachtung ein Aspekt, den ich in diesem Zusammenhang
in die Diskussion einfließen lassen möchte: dass beispielsweise bei den weltweiten Methanemissionen mehr
als die Hälfte auf natürliche Quellen - wie Feuchtgebiete, Wälder oder Termiten - zurückzuführen ist. Diese
Fakten werden in Ihrer Argumentation gerne vergessen.
Die Landwirtschaft ist beim Klimawandel aber nicht
nur Betroffener oder Verursacher, sondern auch ein Teil
der Lösung. Ihr kommt bei der Lösung globaler Klimafragen ohne Zweifel eine zentrale Rolle zu. Ich
möchte sogar noch weiter gehen und betonen, dass ihr
grundsätzlich bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen, auf natürlichen Ressourcen basierenden Wirtschaft
eine entscheidende Rolle zukommt. Die Vereinten Nationen, die Weltbank und viele an dem Diskussionsprozess
beteiligte Partner haben eine Reihe gesellschaftlicher
Herausforderungen entdeckt, denen wir dringend begegnen müssen: das gleichzeitige Auftreten von Unterund Mangelernährung bei einem anhaltenden Bevölkerungswachstum, die Zerstörung von landwirtschaftlich
und forstlich nutzbarer Fläche, Wassermangel, die Verlagerung von Anbauzonen durch den globalen Klimawandel sowie der Rückgang biologischer Vielfalt, also
Biodiversität. Der Anstieg der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen - wie zum Beispiel hochwertigen Lebensmitteln und insbesondere tierischen Produkten - wird darüber hinaus durch das dynamische
Wirtschaftswachstum in China, Indien und weiteren
Schwellenländern verstärkt. Zusätzlich ist mit dem weltweiten Bedarf an Energie und Rohstoffen die Notwendigkeit verbunden, Biomasse aufgrund der Endlichkeit
fossiler Ressourcen und aufgrund des Klimaschutzes
stärker für die energetische und stoffliche Verwertung zu
nutzen.
Wir müssen also erkennen, dass nicht nur die landwirtschaftliche Produktionsmenge zunehmen muss.
Vielmehr zeigen darüber hinaus die aktuellen Entwicklungen, dass die verfügbare Anbaufläche für landwirtschaftliche Produkte weltweit pro Erdenbewohner dramatisch abnehmen wird; laut wissenschaftlicher
Prognosen wird sie sich bis zum Jahr 2040 halbieren.
Deshalb ist es unabdingbar, die Leistungsfähigkeit
unserer Kulturpflanzen und damit die Effizienz der
Landwirtschaft entscheidend zu steigern, so zum Beispiel für Pflanzen mit verbessertem Nährstoffgehalt, höherer Energiedichte, größerer Widerstandsfähigkeit
gegen klimatischen Stress oder Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheiten. Damit besteht die
Möglichkeit der Vermeidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten. Auch ökologische Vorteile, wie reduzierter
chemischer Pflanzenschutz und verbesserter Erosionsschutz, sind zu nennen.
Angesichts meiner Argumentation erschreckt es mich
nun schon, dass die Kollegen der Grünen in ihrem Antrag die Weltbank dahin gehend zitieren, dass in Entwicklungsländern von bis zu 21 Prozent weniger landwirtschaftlichen Erträgen bis 2080 ausgegangen wird,
und sie im weiteren Verlauf alle Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Entwicklung negieren. Vielmehr setzen
sie auf ineffiziente Anbaumethoden, glorifizieren den
Ökoanbau und sind nicht wirklich an Lösungen interessiert, die den hungernden und mangelernährten Menschen eine Perspektive bieten.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch die Bundesregierung lobend erwähnen, die den Lösungsansatz hin
zu einer verbesserten Effizienz als sehr bedeutend betrachtet und deshalb besonders den Bereich Forschung
durch diverse Aktivitäten unterstützt. Hier sind besonders das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Ministerium für
Bildung und Forschung zu nennen, durch die bereits
eine Vielzahl verschiedener Forschungsprojekte und Aktivitäten in der Vergangenheit gestartet worden sind. Im
Januar 2008 wurde der Startschuss zu einer verbesserten Forschungsförderung gegeben. Mit 200 Millionen
Euro werden aktuell und in den nächsten Jahren Projekte in der Bioenergie-, Agrar- und Ernährungsforschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Partnern
aus der Wirtschaft gefördert. Das Ziel ist es, eine in der
Grundlagenorientierung und im Anwendungsbezug exzellente Agrar- und Ernährungsforschung aufzubauen
und mit der Ausbildung sowie mit dem Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbinden. Dadurch sollen
anwendungsorientierte Kompetenznetze mit internatioZu Protokoll gegebene Reden
naler Sichtbarkeit und Attraktivität entstehen und Beiträge für die Lösung gesellschaftlicher Probleme liefern.
Auch aus dem Entwicklungshilfeministerium sind
positive Ansätze seit dem Regierungswechsel zu vernehmen. Die Schwerpunkte in der Entwicklungshilfe liegen
jetzt verstärkt bei der Förderung und dem Aufbau von
Agrarstrukturen in den Ländern der dritten Welt. Denn
nur durch eine funktionierende Landwirtschaft kann die
Grundlage wirtschaftlichen Handelns gelegt werden,
können sich Gesellschaften weiterentwickeln und sich so
den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Abschließend komme ich zu dem Urteil, dass die Anträge, besonders unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle
die effiziente Landwirtschaft nicht nur beim Klimaschutz, sondern bei vielen weiteren gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit spielen kann,
eine große Enttäuschung sind. Sie verschließen die Augen vor der Realität und flüchten sich in ideologische
Wunschvorstellungen, anstatt effektive Lösungswege zu
erschließen. Aus diesem Grund wird die CDU/CSUBundestagsfraktion die Anträge ablehnen.
Es ist Zeit, zu handeln. Wir müssen den Anstieg der
globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens 2 Grad
Celsius begrenzen. Dies ist der Anstieg, der in der Wissenschaft als noch beherrschbar gilt. Dieses Ziel erreichen zu wollen, bedeutet: Wir müssen die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent und bis
2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 vermindern.
Für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft wird selbst
dieser Anstieg erhebliche Auswirkungen haben. In einigen Regionen werden Hitze- und Trockenperioden zunehmen, in anderen werden starke Regenfälle und damit
einhergehend Überschwemmungen häufiger werden.
Gerade die Agrarpolitik muss also auf das Erreichen der
Klimaziele drängen. Sie muss gleichzeitig - und das
liegt in ihrem eigenen Interesse - notwendige Maßnahmen zur Reduzierung der durch Nahrungsmittel- und
Biomasseproduktion induzierten Emissionen ergreifen.
Landwirtschaftliche Produktion ist nicht klimaneutral. Die Trockenlegung von Sümpfen und Mooren
zur landwirtschaftlichen Nutzung, die Abholzung von
tropischen, subtropischen und borealen Wäldern, der
Umbruch von Grünland und Brachflächen, der intensive
Ackerbau mit engen Fruchtfolgen und Monokulturen,
der starke Einsatz von synthetischen Düngemitteln und
die intensive Tierhaltung tragen nachweislich zum Klimawandel bei.
Die EU-Kommission betrachtet den Klimawandel als
eine der Herausforderungen, an denen sich die zukünftige Agrarpolitik ausrichten muss. Wir haben mit unserem Antrag eine Strategie vorgelegt, mit dem diese Herausforderung angenommen werden kann. Die Grünen
konzentrieren sich in ihrem Antrag auf den Ackerbau;
auch in diesem Antrag werden wichtige Maßnahmen
aufgezeigt.
Die Anträge enthalten aber vor allem eines: Sie fordern die Bundesregierung zum Handeln auf. So ist es
notwendig, den Stickstoffüberschuss zu verringern. Dies
ist unstrittig; das steht ja auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. In den Indikatorenberichten steht aber auch, dass wir hier keinen Schritt vorwärtskommen. Daher haben beide Anträge - unserer
und der der Grünen - die gemeinsame Forderung, den
Stickstoffüberschuss auf 50 Kilogramm je Hektar zu begrenzen. Dies ist notwendig.
Wir fordern in unserem Antrag „Herausforderung
Klimawandel - Landwirtschaft 2050“, die größten Treibhausgasquellen der Landwirtschaft mit einem Sofortprogramm zu schließen. Es gilt, den Grünlandumbruch zu
unterbinden und die Stickstoffüberschüsse zu begrenzen.
Ich habe es am Anfang schon angeführt: Es liegt im
eigenen Interesse der Landwirtschaft, den Klimawandel
zu begrenzen. Was hören wir aber immer wieder? Die
steigende Nachfrage nach Agrarprodukten wird als Entschuldigung für Untätigkeit im Klimaschutz angeführt.
So hat der Berliner Agrarministergipfel 2010 beschlossen, landwirtschaftliche Produktion führe unvermeidlich
zu Treibhausgasemissionen, zunehmende Agrarproduktion werde also zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen führen, vor allem aus der tierischen Produktion.
Das ist eine Kapitulation. Diese Feststellung leugnet
letztendlich sowohl die Notwendigkeit als auch die
Potenziale zur Reduktion von Treibhausgasemissionen
in der Landwirtschaft. Zwingend ist vielmehr auch für
die Landwirtschaft eine Festlegung konkreter Reduktionsziele und die Einbeziehung der Landwirtschaft in
das Regime zur Minderung von Treibhausgasen.
Wir hatten im Februar im Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine große Anhörung zum Klimaschutz durch die Landwirtschaft. Die
Experten haben uns zum Handeln aufgefordert. Es wird
Zeit, dieser Aufforderung nachzukommen. Wie das gehen kann, zeigen wir mit diesen Anträgen auf. Jetzt fehlt
nur noch eine handelnde Regierung.
Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel gehören zu den wichtigsten umwelt-, gesellschafts- und
wirtschaftspolitischen Herausforderungen der heutigen
Zeit. Immer wieder legen wissenschaftliche Untersuchungen die Vermutung nahe, dass große Imperien - wie
das der Khmer im Mittelalter - aufgrund gravierender
klimatischer Veränderungen untergegangen sind.
Leider wird die Bedeutung der Landwirtschaft für
diese Entwicklung immer noch sehr einseitig als bloßer
Klimakiller dargestellt. Egal, ob die Schlagzeile „Besser
essen für das Klima“, „Klimakiller Kuh“ oder „Fleischeslust mit fatalen Folgen“ lautet, wie jetzt während
der ARD-Themenwoche „Essen ist leben“: Immer wird
die heimische „konventionelle“ Landwirtschaft pauschal mit Negativattributen belegt. Dabei muss die Rolle
der Landwirtschaft viel differenzierter betrachtet werden. Warum? Weil sie zwar - weltweit betrachtet - zu
den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen
zählt, Lebensmittel aber kein Produktionsgut wie jedes
Zu Protokoll gegebene Reden
andere sind, sondern unsere blanke Existenz sichern und
man den CO2-Ausstoß von Kühen eben nicht mit dem
von Autos vergleichen kann, denn die Autoindustrie bindet während ihrer Produktion nun mal kein CO2!
Leider zeugen auch die Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen von einer einseitigen Sicht auf die
Landwirtschaft. Ihre Agrarpolitiker und -politikerinnen
erweisen den heimischen Landwirten damit einen Bärendienst. So fordern beide Fraktionen in ihren Anträgen zum Beispiel eine Verschärfung der Düngeverordnung und eine Steuer für mineralischen Stickstoffdünger.
Damit steigen die Produktionskosten der heimischen
Landwirte weiter, ihre Wettbewerbsfähigkeit sinkt und
Produkte aus Ländern mit fragwürdiger Ökobilanz werden preislich noch attraktiver. Davon hat weder das
Klima noch unser Landwirt etwas!
Auch soll die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft in
konkrete Treibhausgasminderungsziele einbezogen und
die Bodenschutzrichtlinie angewandt werden. Neben
dem enormen Bürokratiemehraufwand stellt sich wieder
einmal die Frage nach dem klimarelevanten Nutzen.
Denn immer noch brauchen wir bessere wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie hoch die Klimagasemissionen aus der Landwirtschaft überhaupt sind. Außerdem
kann in anderen Bereichen und Branchen, so bei der
Wärmedämmung in Privathaushalten oder im Verkehrssektor, mit weniger Aufwand mehr Klimagas eingespart
werden als in der Landwirtschaft.
Daneben wird die moderne, unternehmerisch-konventionelle Landwirtschaft in den Anträgen pauschal als
Klimakiller stigmatisiert. Der Ökolandbau hingegen soll
binnen fünf Jahren auf 20 Prozent der landwirtschaftlich
genutzten Fläche ausgebaut werden - natürlich mit
Steuermitteln. Dabei ist die Klimabelastung vieler
Tiererzeugnisse aus ökologischer Produktion pro Ertragseinheit deutlich höher als die aus konventioneller;
das liegt vor allem an der extensiven Haltungsform und
dem zusätzlichen Flächenverbrauch. Von daher ist die
von beiden Fraktionen geforderte Agrarwende - die Klimabilanz sowie die Ernährungssicherung durch Ökolandwirtschaft zu optimieren - ein etwas wirklichkeitsfremder Ansatz. Woher die zusätzlich nötigen Flächen
kommen sollen und wie der Güllebedarf bei massiv verringertem Tierbestand gedeckt werden soll, bleibt ihr
Geheimnis.
Auch wir von der FDP-Fraktion sind davon überzeugt, dass wir in der Agrarpolitik umdenken müssen,
allerdings in eine ganz andere Richtung, als es SPD und
Grüne wollen. Die globalen Herausforderungen bis
2050 sind enorm: Steigerung der Lebensmittelproduktion um bis zu 70 Prozent, gleichzeitig Reduktion der
Treibhausgasemissionen um mindestens 80 Prozent und
massive Steigerung der Produktion nachwachsender
Rohstoffe. Die Hungerrevolten 2008 haben uns schließlich gezeigt, was passiert, wenn die Nachfrage nicht
mehr gedeckt wird. Wir von der FDP stehen voll dahinter, was UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vor einiger
Zeit formulierte: „Wir müssen die historische Gelegenheit für eine Wiederbelebung der Landwirtschaft nutzen.“ Und zwar nicht nur in Afrika, sondern auch bei
uns! Wir brauchen den Ausstieg aus der Philosophie des
Ausstiegs! Das ist die Kernbotschaft unseres schon in
der letzten Legislatur eingebrachten Antrags „Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft“. Lassen Sie mich
auf drei Punkte eingehen:
Erstens. Nur eine effiziente, innovative und unternehmerische Landwirtschaft, mit der standortangepasst und
nachhaltig die Erträge zu steigern sind, kann die Herausforderungen der Ernährungs- und Versorgungssicherheit sowie des globalen Klimaschutzes meistern.
Das gilt für den heimischen Standort ebenso wie für die
Entwicklungsländer. Zur Steigerung der Produktivität in
der Land- und Ernährungswirtschaft müssen wir Innovationen und technischen Fortschritt nutzen und nicht
verteufeln: Das gilt für moderne Landtechnik genauso
wie für modernste Betriebsmittel, Pflanzenzüchtung und
Bewässerungssysteme. Schon in einigen osteuropäischen Ländern ließe sich mit einfachsten Mitteln die
Produktivitätsrate um das Fünffache steigern. Dabei gilt
es auch, die verantwortbaren Möglichkeiten der Biotechnologie zu nutzen. Entsprechende Aus- und Fortbildung gehören dazu.
Zweitens. Deutlich gesteigert werden müssen die Investitionen in die Agrarforschung - national wie international. Hier ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert. Forschung und Entwicklung sind der
Schlüssel für künftigen Wohlstand und angesichts der
Herausforderungen des Klimawandels von entscheidender Bedeutung.
Drittens. Wir brauchen die Bioenergie - auch die aus
Biomasse. Verbesserte Lebensverhältnisse in Schwellenländern wie China oder Indien ziehen nicht nur eine gesteigerte Nachfrage nach Lebensmitteln nach sich, der
Energiebedarf steigt ebenfalls rasant an. Gleichzeitig
sind unsere fossilen Rohstoffvorkommen begrenzt. Die
Alternative heißt nicht „Teller oder Tank“ - nein, für die
Liberalen gilt: „Teller und Tank“, wobei dem Teller immer Vorrang einzuräumen ist.
Ein Wort noch zu der von uns beschlossenen Absenkung der Agrardieselbesteuerung, die jetzt wieder von
SPD und Grünen so heftig als klimaschädlich kritisiert
wird: Haben Sie einmal ausgerechnet, wie viele Tonnen
Treibhausgase dadurch eingespart worden sind, dass
unter Rot-Grün der Agrardiesel deutlich höher besteuert
wurde? Zumal der Agrardieselanteil am gesamten Dieselkraftstoffverbrauch in Deutschland bei knapp 6 Prozent liegt. Fazit: Solche Maßnahmen helfen dem Klima
wenig, schaden unseren heimischen Landwirten aber
enorm. Die Angleichung der deutschen Agrardieselbesteuerung an EU-Verhältnisse macht die Landwirtschaft
wettbewerbsfähiger und zukunftssicherer. Das ist gut für
die gesamte Gesellschaft.
Unsere Landwirte brauchen vernünftige Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, um auf dem zunehmend globalisierten Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dazu zähle ich vor allem Kostenentlastung und Anreizsysteme auf der Produktionsseite, Bürokratieabbau sowie Hilfe bei der Erschließung neuer Märkte. Hier
liegen die Chancen unserer hochwertigen Qualitätsprodukte. Bei Bündnis 90/Die Grünen und der SPD hat man
Zu Protokoll gegebene Reden
angesichts solcher Anträge eher den Eindruck, statt den
Landwirten Chancen zu eröffnen, wird alles getan, um
ihnen Hindernisse in den Weg zu legen.
Die FDP wird sich auch weiterhin als verlässlicher
Partner der Landwirtschaft zeigen. Das gilt nicht nur für
die Verteidigung der reduzierten Agrardieselbesteuerung, sondern auch hinsichtlich der Vermeidung überflüssiger Betriebskosten und Bürokratie. Wir wollen dem
Klimaschutz mit einer standortangepassten und nachhaltigen Landwirtschaft gerecht werden. Denn nur eine
effiziente Landwirtschaft - den Kulturen, Böden, Witterungsverhältnissen und der Wirtschaftsweise angepasst
- schützt das Klima und die Nahrungssicherheit.
Dr. Kirsten Tackmann ({0})
Der „Spiegel“, Ausgabe 42/2010, hat es in der vergangene Woche entdeckt: die diversen Gase beim Rindvieh. Der Artikel „Das Rülpsen der Rinder“ weist auf
ein Problem hin, das zum Thema Landwirtschaft und
Klimaschutz gehört. Landwirtschaft ist Teil des Problems Klimawandel, aber wachsende Nutzpflanzen sind
auch ein CO2-Speicher, und damit ist die Landwirtschaft
auch Teil der Lösung: Klimaschutz.
In welche Richtung dieses Pendel öfter schwingt und
welche Wege zu mehr Klimaschutz mit landwirtschaftlicher Produktion führen, sind umstritten. In dem Artikel
werden zwei gegensätzliche Lösungswege bezüglich der
Tierhaltung beschrieben. Ein Farmer aus Australien
hält über 100 000 Rinder in extensiver Weidehaltung.
Mehr oder weniger natürlich leben die Tiere dort bis zu
ihrem Tod durch Gewehrschuss. Er macht sich kaum Gedanken über das Rülpsen seiner Tiere. Im fernen Rom
macht sich jemand umso mehr Gedanken darüber: Ein
Wissenschaftler der FAO - das ist die Landwirtschaftsbehörde der Vereinten Nationen - redet der Intensivierung der Nutztierhaltung das Wort. Nur so könnten
schädliche Treibhausgasemissionen pro Steak reduziert
werden. Nur: Ob diese Ökobilanzierung auch unter Einrechnung aller Klimaeffekte des vorgelagerten Bereichs,
zum Beispiel des intensiven Futtermittelanbaus und -transportes, noch so aufgeht? Vielleicht liegt ja, wie so oft im
Leben, die kluge Lösung irgendwo in der Mitte?
So gegensätzlich die Lösungswege auch sein mögen,
eins ist klar: Wenn wir am 2-Grad-Ziel festhalten wollen
- also die globale Klimaerwärmung um maximal 2 Grad
Celsius -, dann müssen alle einen Beitrag dazu leisten.
Das gilt für alle Wirtschaftbranchen wie auch für die
Landwirtschaft. Allerdings muss dabei die Sonderrolle
der Landwirtschaft betrachtet werden: als Produzent lebensnotwendiger Güter, der Lebensmittel. Deshalb ist
sie eben nur bedingt mit Autobauern und Fernsehproduzenten vergleichbar, auch wenn das jüngere Leute als
ich vielleicht anders sehen.
Grundlage für eine Strategie für mehr Klimaschutz in
der Landwirtschaft muss eine wissenschaftlich belastbare Klimabilanz der landwirtschaftlichen Produktion
sein. Dabei ist für mich schon eine wichtige Frage, welche Teilbereiche wir denn in eine solche Rechnung einbeziehen wollen. Aus meiner Sicht sollte diese Rechnung
bei der Gewinnung von Mineraldüngern und Pflanzenschutzmitteln oder bei der Rodung von Tropenwald zur
Landgewinnung für neue Sojaplantagen anfangen. Das
geht weiter über die notwendige fossile Energie für
landwirtschaftliche Maschinen und Transportfahrzeuge
für Lagerung und Kühlung bis zu den Lebensmittelverarbeitern und dem Lebensmittelhandel. Wir brauchen
also eine Bilanz vom Mineralabbau zur Düngerproduktion bis zur Supermarkttheke. Ob dabei in der Summe
dann circa 14 Prozent der Treibhausgase herauskommen, wie der Umweltverband WWF behauptet, oder
5,5 Prozent, wie der Deutsche Bauernverband betont?
Ich denke, zwei Dinge sind in dieser Diskussion wichtig:
Erstens ist die Landwirtschaft aufgrund ihrer Funktion
als Nahrungslieferer nur bedingt mit anderen Bereichen,
zum Beispiel Verkehr, zu vergleichen. Mit Apfel-BirnenVergleichen tut man ihr unrecht. Aber zweitens muss
auch die Landwirtschaft versuchen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
Da Landwirtschaft nicht abstrakt ist, sondern Bäuerinnen und Bauern tagtäglich durch ihre wertvolle Arbeit Äcker, Weiden und Wälder bewirtschaften, muss
eine starke Agrarwissenschaft dazu beitragen, ein großes Arsenal von klimaschonenden Produktionsverfahren
zu erarbeiten. Potenziale gibt es viele. Freilandhaltung
verursacht vergleichsweise geringe Emissionen. Die
Vergärung von Gülle in Biogasanlagen könnte Methanund Lachgasemissionen deutlich verringern. Düngemittel könnten zielgenauer eingesetzt werden. In Deutschland kann nur die Hälfte des eingesetzten Stickstoffs von
den Pflanzen überhaupt genutzt werden.
Für uns als Linke ist der Klimaschutz neben dem Verlust an biologischer Vielfalt ein wichtiges agrarpolitisches Thema, auch bei der Debatte um die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik, GAP, nach 2013.
Die Linke hat dazu Vorschläge veröffentlicht. Wir wollen
die Direktzahlungen aus der ersten Säule der GAP zielgerichteter an konkrete gesellschaftliche Leistungen
binden, also auch an Klimaschutz oder mehr Agrobiodiversität. Zukünftig soll auf die Umnutzung von Grünland
zu Ackerland verzichtet werden. Durch Grünlandumbruch werden klimaschädigende Treibhausgase freigesetzt, der Wasserhaushalt gerät in Bedrängnis, und die
Artenvielfalt geht zurück. Feldgehölze verbessern die
biologische Vielfalt.
Die von den Grünen und der SPD eingereichten Anträge enthalten eine Vielzahl von Vorschlägen, wie der
Herausforderung Klimawandel begegnet werden und
wie die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Reduzierung
ihres Treibhausgasausstoßes leisten kann. Wir sollten
sie im Ausschuss ernsthaft diskutieren.
Selbst die konservative Bundesregierung schätzt den
Gesamtbeitrag der Landwirtschaft an den deutschen
Treibhausgasemissionen auf 11 bis 15 Prozent - ein Anteil, der durchaus relevant ist. Die Agrarlobby jedoch
- und das erleben wir seit Jahren - redet den Beitrag der
Landwirtschaft zum Klimawandel klein, bis hin zu der
Behauptung, die Landwirtschaft leiste einen Beitrag
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Klimaschutz. Damit verkehrt sie die Tatsachen völlig in ihr Gegenteil.
Nichtsdestotrotz fordert die Agrarlobby, die Landwirtschaft von der klimapolitischen Verpflichtung, die
Treibhausgasemissionen zu senken, auszunehmen, und
Agrarministerin Aigner hat diese Forderung, wie für
eine Agrarministerin von der Union üblich, brav übernommen. Aber angesichts der notwendigen Klimagasreduktion um 90 Prozent geht es nicht an, die Landwirtschaft von den klimapolitischen Verpflichtungen
auszunehmen. Denn wenn man die Treibhausgasemissionen um 90 Prozent senken muss, die Emissionen der
Landwirtschaft von über 10 Prozent aber stabil bleiben
sollen, hieße das im Klartext, Industrie, Verkehr und
Haushalte dürften sich gar keine Emissionen mehr leisten. Das ist abwegig. Diese Zahlen zeigen demnach:
Ohne Beitrag der Landwirtschaft sind die Klimaziele
nicht zu erreichen.
Uns ist selbstverständlich klar, dass das keine leichte
Aufgabe ist, wenn man die wachsende Weltbevölkerung
ernähren will. Da wird man an vielen verschiedenen
Stellschrauben drehen müssen. So wird die Landwirtschaft den Agrardieselverbrauch drastisch senken müssen, zum Beispiel durch Umstellung auf Pflanzenöl und
Biodiesel sowie durch effizientere Landmaschinen. Deswegen ist es grundfalsch, den Agrardiesel steuerlich zu
entlasten, wie es die Bundesregierung tut. Das führt
nicht zu CO2-Einsparungen, sondern zu einem höheren
Verbrauch fossiler Ressourcen.
Die Landwirtschaft wird auch den Abbau von Humus
und organischer Substanz durch humuszehrende Bewirtschaftung, durch Grünlandumbruch und landwirtschaftliche Nutzung von Mooren stoppen müssen. Allein die
landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden ist für
30 Prozent der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft verantwortlich - auf nur acht Prozent der Agrarfläche. Durch die Wiedervernässung von Mooren und
die Nutzung als extensives Grünland wäre also ein großer Beitrag zur Senkung der Emissionen zu erreichen.
Die Landwirte werden aber auch die Methan- und
Lachgasemissionen aus Tierhaltung und Düngung senken müssen. Laut Indikatorenbericht zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie liegen die Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft immer noch bei 145 Kilogramm pro Hektar. Das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie für 2010 sind 80 Kilogramm. Die Düngeverordnung
gibt sogar nur 60 Kilogramm pro Hektar vor. Dieser
überschüssige Stickstoff landet zum Teil im Grundwasser und zum Teil als Klimagas in der Atmosphäre. Trotzdem ist die Bundesregierung nicht bereit, zusätzliche
Maßnahmen zur Verminderung der Stickstoffüberschüsse
zu ergreifen. Das wären beispielsweise zusätzliche Sanktionsmechanismen in der Düngeverordnung und eine
Stickstoffüberschussabgabe, die als finanzielles Instrument Anreize zur Vermeidung von Stickstoffüberschüssen setzt. Die Tatsache, dass reine Ackerbaubetriebe und
auch viele tierhaltende Betriebe keine Probleme mit der
Einhaltung der Quasi-Stickstoffgrenzwerte haben, sondern die Probleme ganz klar auf die regionalen Schwerpunkte der Tierhaltung konzentriert sind, zeigt, dass sich
die Betriebe anpassen können und dass dieses Instrument von daher auch wirken würde.
Es ist in diesem Zusammenhang völlig inakzeptabel,
dass die Bundesregierung bei der Frage nach zusätzlichen Maßnahmen zur Erreichung der von der EU vorgeschriebenen maximalen Ammoniakemissionen von
550 Kilotonnen ab 2010 auf Zeit spielt und darauf verweist, man müsse erst einmal die neuesten Schätzungen
abwarten, um zu sehen, ob es zu Überschreitungen
kommt. Dieses Zeitspiel der Bundesregierung zeigt, dass
sie nicht bereit ist, das Notwendige und schon heute
Mögliche zu tun. Im Gegenteil, sie setzt auf eine Expansion der Tierhaltung und nimmt damit sogar eine Verstärkung der Emissionen aus der Tierhaltung in Kauf.
Der SPD-Antrag ist sehr umfassend und geht in die
richtige Richtung. Im Bereich der EU-Agrarpolitik vertreten wir jedoch eine andere Position. Während die
SPD eine nachhaltige, klimaschonende Landwirtschaft
vor allem über die zweite Säule stärken will, wollen wir
diese globale Herausforderung auch in der ersten Säule
verankern. Für klimaschädliche Produktionsweisen darf
es keine Förderung mehr geben. Zu klimaschädlichen
Subventionen wie der Agrardieselbeihilfe äußert sich
die SPD in ihrem Antrag nicht. Das wäre aber nötig gewesen, um ihren Standpunkt angesichts ihres widersprüchlichen Agierens in dieser Frage deutlich zu machen. Schließlich hat die Große Koalition der schwarzgelben den Weg zum Ausbau der Agrardieselsubventionierung geebnet. Konsequente Klimaschutzpolitik für
die Landwirtschaft sieht anders aus.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/1575 und 17/2487 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Ralph Lenkert, Dr. Barbara Höll, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ungefährliche und klimaschonende Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen verwenden
- Drucksache 17/3432 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
VerbraucherschutzAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll genommen.
Der Klimawandel ist die globale Herausforderung
für die Staatengemeinschaft. National wie international
müssen wir heute Entscheidungen treffen, damit künftige
Generationen nicht nur ausreichend mit Energie und
Ressourcen versorgt werden, sondern ihnen ihrerseits
die Spielräume zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gestaltung erhalten bleiben.
Beim Klimaschutz denken viele nur an Kohlendioxid.
Wie wir wissen, ist es das Treibhausgas mit der größten
Menge - aber nicht das einzige und nicht das stärkste.
Teil- und vollfluorierte Kohlenwasserstoffe - sogenannte HFKW und FKW - und Schwefelhexafluorid
schädigen ebenfalls das Klima. Sie kommen als Kältemittel in vielen Kühlanlagen, den Klimaanlagen unserer
Autos, bei der Herstellung von Schaumstoffen, in Schallschutzscheiben sowie als Treibmittel in Spraydosen zum
Einsatz.
Diese Kohlenwasserstoffe schädigen das Klima 1 300bis 24 000-mal stärker als CO2 - Grund genug für die
Europäische Union, mit der EU-Richtlinie 2006/40/EG
zu handeln. Diese sieht vor, dass ab 2011 nur noch Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen zugelassen werden, die
maximal 150-mal so klimaschädlich sind wie Kohlendioxid. Das ist schon eine beachtliche Zahl. Zum Verständnis: Ein Kilogramm des bisherigen in Autoklimaanlagen verwendeten Kältemittels Tetrafluorethan ist
1300-mal so umweltbelastend. Gerät die gesamte Füllung einer Autoklimaanlage etwa durch einen Unfall in
die Atmosphäre, entspricht das etwa 6 000 Kilometern
Autofahrt.
Können wir uns solche Klimakiller aus purem Luxus
leisten? Von Haus aus bin ich Jurist, und die meisten Juristen würden eine solche Frage so beantworten: Es
kommt darauf an. Es kommt darauf an, ob wir unser Bedürfnis nach Luxus beim Reisen auch wesentlich umweltfreundlicher erreichen können. Wenn wir diese
Frage bejahen, dann kann man auch mit gutem Gewissen den Schalter der Klimaanlage betätigen.
Mit Tetrafluorethan, wie wir es derzeit noch benutzen,
könnten wir die Frage nach der „Freude am Fahren“ sicher nicht so leicht beantworten. Da ist ein adäquater
Nachfolger natürlich gefragt, und er schien auch schnell
gefunden: R744 oder einfach Kohlendioxid. So ereignete
sich im September 2007 einer dieser seltenen Momente
in der Geschichte der deutschen Autoindustrie: Sie
wurde von Umweltverbänden gelobt. Selbst notorische
VDA-Gegner wie die Deutsche Umwelt Hilfe applaudierten eifrig, als der Präsident des Verbands der Automobilindustrie, VDA, auf der Internationalen Automobilausstellung verkündete, dass die deutschen Hersteller
künftig Kohlendioxid als Kältemittel für Klimaanlagen
verwenden wollen.
Sicher würde auch die Fraktion Die Linke applaudiert haben, wenn die europäische Herstellervereinigung ACEA es nicht abgelehnt hätte, ihre Mitglieder auf
die gleiche Linie festzulegen. Stattdessen hat sich die
ACEA für Hydrofluoroolefin als künftigen Kältemittelstandard entschieden, nicht ohne gute Gründe. Die
Linke fordert in ihrem Antrag, dass die deutsche Autoindustrie an Kohlendioxid als Kältemittel festhält, während sich die gesamte übrige Welt bereits anders entschieden hat. Würde man aber, wie die Linke es in ihrem
Antrag fordert, auf einen deutschen Alleingang setzen,
so stellt sich mir die berechtigte Frage, was die Folgen
wären.
Kohlendioxid als Kältemittel ist zwar sehr umweltfreundlich, benötigt aber einen zehnfach höheren Druck.
Das erfordert einen weitgehenden Umbau der Klimaanlage und damit auch zusätzliche Entwicklungskosten
bei den Zulieferern. Zulieferfirmen agieren weltweit.
Für viele Hersteller von Kfz-Klimaanlagen würde ein
deutscher Alleingang bedeuten, dass sie ihre Produktionskapazitäten in zwei verschiedene Technologielinien
teilen müssten: einen kleineren Teil für deutsche Fabrikate und einen größeren für ausländische Fahrzeuge.
Zudem würde das zwangsläufig bedeuten, dass die
Kfz-Werkstätten sich kostenintensiv darauf einstellen
müssten, sowohl Befüllungstechnologien für synthetische Kältemittel ausländischer Fahrzeuge als auch
CO2-Füllanlagen für deutsche Fabrikate vorzuhalten.
Sicher werden teurere Klimaanlagen auch zu höheren
Endpreisen bei den ohnehin schon kostenintensiven
deutschen Autos führen. Es mag ja sein, dass der Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, beim Autokauf nicht so
aufs Geld schauen muss, aber ich bezweifle, ob das auch
für die Mehrheit der Klientel seiner Partei zutrifft.
Schlußendlich wird auch die Frage erlaubt sein, was
passiert, wenn die Klimaanlage eines deutschen Fabrikats sagen wir: in China zur Reparatur muss.
Steht dort keine geeignete Anlage zum Befüllen mit
CO2 zur Verfügung, dann hat der Fahrzeugeigentümer
zwei Möglichkeiten: Entweder zukünftig ohne Klimaanlage zu fahren oder sich das nächste Mal für ein nichtdeutsches Fahrzeug zu entscheiden. Angesichts des
Wachstumspotenzials des asiatischen Automobilmarktes
sicher keine Verlockung für die Hersteller in München,
Stuttgart oder Eisenach.
Synthetische Kältemittel wie das von verschiedenen
Umweltverbänden heftig kritisierte Hydrofluoroolefin,
haben dagegen den unbestreitbaren Vorteil, dass sie
auch in herkömmlichen Anlagen funktionieren. Es ist
vergleichbar sicher im Einsatz wie das bisherige, weltweit akzeptiert und kann in bewährten Anlagen verwendet werden. Dazu ist es gegenüber dem bisherigen Kühlmittel deutlich besser und mit einem Global Warming
Potential von 4 um den Faktor 357 klimafreundlicher.
Mit Hydrofluoroolefin als Kältemittel werden die neuen
gesetzlichen Vorgaben nicht nur erfüllt, sondern deutlich unterschritten. Damit wird ein klimafreundlicher
globaler Standard geschaffen.
Eine nationale Insellösung macht keinen Sinn und
würde zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die
deutsche Automobilindustrie gegenüber ihren Wettbewerbern aufgrund fehlender Skaleneffekte bei geringer
Produktionsmenge führen. Die deutsche Automobilindustrie dazu zu verurteilen, sich gegen den weltweiten
Trend zu stellen, ist kurzsichtig, sichert keine Arbeitsplätze und ist für den Industriestandort Deutschland
kontraproduktiv.
Was die Frage der Sicherheit von Hydrofluoroolefin
betrifft, bleibt festzuhalten, dass die im Hinblick auf die
Zu Protokoll gegebene Reden
potenzielle Brennbarkeit des Stoffes und die mögliche
Bildung von Flusssäure als Umwandlungsprodukt diskutierten Sicherheitsprobleme von der Automobilindustrie
sorgfältig geprüft wurden. Aufgrund dieser Prüfungen
kommt die Industrie zu der Einschätzung, dass diese
Problematik beherrschbar, einer Verwendung unter den
zu betrachtenden praktischen Einsatzbedingungen nicht
entgegenstehend und ein Einsatz in Klimaanlagen von
Fahrzeugen unbedenklich ist.
Die ausführlichen Tests im Rahmen des SAE-Programms, Society of Automotive Engineers, haben zudem
gezeigt, dass Hydrofluoroolefin ein höchst energieeffizientes Kühlmittel ist und Fahrzeuge damit weniger
Benzin verbrauchen und weniger Emissionen produzieren als Autos, die alternative Kühlmittel verwenden. Außerdem ergaben die Tests, dass CO2, eine der möglichen
Alternativen, zwar ein Global Warming Potential von 1
hat, aber weniger effizient ist als Hydrofluoroolefin, was
zu höheren indirekten Emissionen führt. Ähnliche Studien wurden auch weltweit von der Automobilindustrie
durchgeführt, die ein hohes Eigeninteresse an der Beherrschung der infrage stehenden Risiken hat, schon aus
Gründen der Produkthaftung. Auch nach diesen Studien
ist ein Einsatz in Klimaanlagen als unbedenklich anzusehen und vergleichbar sicher im Einsatz wie das heutige Kältemittel.
Die Veröffentlichungen aller vom Umweltbundesamt
und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung durchgeführten Untersuchungen stellen sicherlich
einen wichtigen Beitrag zur laufenden Sicherheitsdiskussion über den Einsatz neuer Kältemittel in Automobilklimaanlagen dar. Diese wichtigen Erkenntnisse
werden sowohl von den Automobilherstellern als auch
den Genehmigungsbehörden für Kraftfahrzeuge bei ihren Maßnahmen und Entscheidungen sorgfältig berücksichtigt werden.
Ich habe in meiner letzten Rede vor diesem Haus darauf hingewiesen, dass wir in Europa heute vielleicht
noch das falsche Thema diskutieren, wenn wir Klimaschutzauflagen als Grund für Arbeitsplatzverluste sehen. Aber manchmal gehen Klimaschutzauflagen und
der Erhalt von Arbeitsplätzen Hand in Hand. Voraussetzung ist, dass man nicht durch überzogene Forderungen
ohne zusätzlichen Nutzen Arbeitsplätze gefährdet. Daher ist der Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen.
Nachdem es gerade um Landwirtschaft und Klimaschutz ging, behandeln wir nun einen Antrag zum Thema
Klimaschutz und Verkehr, allerdings nicht zu den Verkehrsthemen, die öfters in der Diskussion sind, wie Tempolimit oder spritsparende Autos. Es geht heute nicht um
das Kohlendioxid, das aus der Verbrennung des Benzins
entsteht, sondern um die Chemikalien, mit denen die Klimaanlagen in den Autos für eine angenehme Temperatur
sorgen.
Klimaanlagen gehören heute zur Standardausrüstung
von fabrikneuen Pkw. Kaum jemand möchte inzwischen
auf gutgekühlte Auto-, Bus- oder Bahnfahrten verzichten. Jedoch entweicht aus den Fahrzeugen permanent
etwas Kältemittel in die Umwelt und schädigt die Atmosphäre. Der Rat der Klimawissenschaftler, IPCC, der
die Vereinten Nationen berät, schätzt, dass weltweit
nicht nur die Anzahl der Fahrzeuge signifikant steigen
wird, sondern vor allem die Anzahl der Fahrzeuge, die
mit einer Klimaanlage ausgestattet sind. Nach Berechnungen des IPCC werden allein im Jahr 2015 schädliche Kältemittel im Umfang von mindestens 270 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten aus Klimaanlangen in die
Atmosphäre gelangen und den Klimawandel verstärken.
Es besteht somit dringender Handlungsbedarf, diese
Thematik anzugehen. Im Zentrum der Debatte stehen die
Chemikalien, die als Kältemittel verwendet werden.
Während Kohlendioxid in der Klimadebatte in aller
Munde ist, ist die Chemikalie R134a nur Experten bekannt. R134a wird bislang in allen gängigen Fahrzeugklimaanlagen als Kältemittel eingesetzt. R134a ist mitverantwortlich für den Klimawandel und zählt zu den im
Kioto-Protokoll aufgeführten fluorierten Treibhausgasen, die den Klimawandel beschleunigen und die Ozonschicht zerstören. Es ist 1 430-mal klimaschädlicher als
CO2. Die EU hat daher für Kältemittel in Fahrzeugklimaanlagen einen Grenzwert festgelegt, um die Verwendung klimaschädlicher Stoffe wie R134a einzudämmen
und langfristig zu verbieten. Ab dem 1. Januar nächsten
Jahres ist die Verwendung des Kältemittels R134a wegen seiner hohen Klimaschädlichkeit in Klimaanlagen
neugenehmigter Pkw-Fahrzeugtypen verboten. Ab dem
1. Januar 2017 gilt dieses Verbot für alle neu in den Verkehr kommenden Pkw.
Fraglich ist nun, durch welche Stoffe R134a ersetzt
werden kann. Die EU hat die Richtlinie technologieoffen
gestaltet. Vorgegeben ist nur, dass zukünftige Kältemittel
eine Treibhausgaswirksamkeit haben dürfen, die nicht
mehr als 150-mal größer ist als diejenige von Kohlendioxid. In der Debatte ist nun, dass CO2 als Kältemittel für
die Klimaanlagen verwendet wird. Für CO2 sprechen einige Aspekte. So ist CO2 weltweit kostengünstig in der
erforderlichen Qualität verfügbar, da es als Abfallprodukt aus industriellen Prozessen gewonnen werden
kann. CO2 brennt nicht und ist für den Menschen ungiftig. Mit CO2 betriebene Klimaanlagen sind zudem energieeffizient und reduzieren so den Kraftstoffmehrverbrauch während der Fahrt. Deswegen gibt es auch
Umweltverbände, die sich für die Verwendung von CO2
als Kältemittel einsetzen.
Eine andere Chemikalie, die der Verband der Autoindustrie ins Gespräch gebracht hat, ist 2,3,3,3-Tetrafluorpropen, das unter dem Namen 1234yf in den Handel
kommen soll. Der Stoff ist von seinem Hersteller chemikalienrechtlich als „hochentzündlich“ eingestuft worden. Deswegen wurde dieses Kältemittel vom Umweltbundesamt und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, untersucht. Bei hohen
Temperaturen oder bei einem Brand kann aus 1234yf
das Umwandlungsprodukt Flusssäure entstehen. Nach
Untersuchungen im Auftrag der Automobilindustrie ist
der Einsatz von 1234yf unbedenklich und vergleichbar
sicher wie der Einsatz heutiger Kältemittel.
Zu Protokoll gegebene Reden
Neben den Aspekten des Klima- und Gesundheitsschutzes sollten auch der Preis und die bisher von verschiedensten Firmen geleistete Forschungs- und Entwicklungsarbeit berücksichtigt werden. Deutsche
Kälteanlagenhersteller erforschen und verbessern seit
Jahren die Technik von Klimaanlagen. Wir müssen darauf hinwirken, dass deutsche Unternehmen mit der von
ihnen entwickelten Technik die technologische Vorreiterrolle in der klimafreundlichen Fahrzeugkühlung
übernehmen.
Diesen Aspekt möchte ich noch einmal allgemeiner
betrachten. In unseren wirtschaftlich schwierigen Zeiten
haben sich die Umwelttechnologien und Umweltinnovationen als Motor für Wachstum und Beschäftigung entwickelt. Das Zusammenspiel von Umwelt, Wirtschaft
und Arbeit hat eine neue Qualität erreicht. Die Branche
modernisiert die deutsche Wirtschaft - und wächst insgesamt sogar noch schneller, als wir erwartet haben.
Umwelttechnologien sind ein hervorragendes Beispiel
dafür, wie wir durch Innovationen einen nachhaltigen
Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur leisten können. Klimaschutz, Luftreinhaltung, Schonung von Rohstoffen, Gewässer- und Bodenschutz, der Erhalt von Biodiversität - in all diesen Bereichen ist bereits heute eine Reihe
leistungsstarker und verlässlicher Technologien im Einsatz. In den vergangenen Jahrzehnten ist mit ihrer Hilfe
viel zum Wohl der Umwelt erreicht worden. Auch in Zukunft
werden neue Technologien und Organisationsformen eine
bedeutende Rolle einnehmen. Nur mit Innovationen lassen
sich Wirtschaftswachstum und Schutz von Klima und Umwelt nachhaltig verknüpfen.
Lassen Sie uns deswegen auch im Bereich der Kältemittel eine Lösung finden, die dem Klimaschutz dient
und die Umwelttechnologien voranbringt.
Kollege Frank Schwabe hat bereits die Problematik
von Chemikalien, die als Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen verwendet werden, ausführlich dargelegt. Mir gibt
dieser Antrag so die Gelegenheit, deutlich zu machen,
welche Rolle der Verkehr, vor allem der Kfz-Verkehr,
beim Klimaschutz spielt. Alle Fraktionen haben bei den
Debatten hier im Parlament zum Klimaschutz immer
wieder betont, wie wichtig die Reduzierung der CO2Emissionen ist und welche Verpflichtungen wir auf europäischer und internationaler Ebene eingegangen sind.
Fakt ist: In der europäischen Union stammt fast ein
Fünftel aller Treibhausgase aus dem Verkehr, woran der
Pkw-Verkehr einen Anteil von 72 Prozent hat - mit steigender Tendenz. Der globale Klimawandel, die lokale
Luftverschmutzung, die Zunahme des Weltenergiebedarfes und begrenzte fossile Brennstoffe machen ein Umdenken bei der Mobilität und eine Minderung der Treibhausgasemissionen erforderlich.
Bis 2020 sollen in Deutschland die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 vermindert werden. Auch die Bundesregierung hat sich auf der UN-Klimakonferenz von
Kopenhagen dazu verpflichtet. Das muss sie in konkreten Maßnahmen umsetzen, um CO2-freie Mobilität zu
organisieren: mit Energieeffizienz, Elektromobilität und
nachhaltigen Verkehrskonzepten.
Aber was macht die Bundesregierung konkret, diese
Verpflichtung einzulösen? Im Januar 2010 hat sie Maßnahmen für die Bereiche Verkehr und Gebäude angekündigt, Maßnahmen, die über das Integrierte Energie- und
Klimaprogramm hinausgehen. Das Verkehrsministerium
hat ein sektorspezifisches Energie- und Klimakonzept
für die Bereiche Verkehr und Gebäude für den Herbst
versprochen.
Jetzt ist Herbst, aber ein Konzept? Fehlanzeige! Die
SPD hat mit der Großen Anfrage „Sicherung der Technologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und
Baubereich“ im März 2010 genau nach den Maßnahmen der Bundesregierung gefragt. Wir mussten lange
auf die Antwort warten, mussten mehrmals nachfragen.
Dann im Oktober wurde sie vorgelegt. Aber was wurde
vorgelegt? Nichtssagende Antworten auf zentrale Fragestellungen wie Weichenstellungen für Elektromobilität.
In der Schule gäbe es für ein derart schlampige Arbeit eine glatte 6. Für uns stellt die Art und Weise, wie
mit unserer Anfrage vonseiten der Bundesregierung umgegangen wird, eine Missachtung des Parlaments dar.
Im Mai 2010 inszenierte die Kanzlerin einen ElektroAuto-Gipfel mit viel Blitzlichtgewitter umrahmt vom
Umwelt-, Verkehrs- und Wirtschaftsminister sowie der
Bildungsministerin. Eine Plattform wurde aus der Taufe
gehoben - dagegen ist nichts einzuwenden -, auf der
alle Kompetenzen gebündelt und verschiedene Themenfelder erarbeitetet werden sollen. Im Anschluss legt sie
alles in die Hände der Automobilindustrie. Die Bundesregierung stiehlt sich aus der Verantwortung und verlässt sich auf die Industrie. Ein Leitmarkt Elektromobilität fällt nicht vom Himmel, Politik muss auch
Rahmenbedingungen setzen.
Es reicht nicht aus, sich auf den Lorbeeren der SPD
auszuruhen. In der rot-grünen Bundesregierung und der
Großen Koalition haben wir, die SPD, die Weichen gestellt. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm, der Schaffung
der Nationalen Plattform für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie NOW, dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität und dem Ziel, bis 2020
1 Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen,
den 500 Millionen Euro an Fördergeldern im Konjunkturprogramm II für die Forschung, Entwicklung und Erprobung von Elektromobilität in acht Modellregionen
bis 2011. Aber wie soll es nun in den Modellregionen
weitergehen? Die Regierung gibt keine Antwort. Die
Projektträger und Projektentwickler brauchen aber
schon jetzt Signale, wie es nach dem Juni 2011 weitergehen soll. Sonst besteht die Gefahr, dass aus guten Projektansätzen Projektruinen entstehen und die Konjunkturmittel verpuffen.
Die Bundesregierung hat Elektromobilität zu einem
Schwerpunkt der Regierungsarbeit erklärt. Bis jetzt liegen keine Vorschläge für eine Strategie für die Einführung der Elektromobilität auf dem Tisch. Sogar HausZu Protokoll gegebene Reden
haltsmittel wurden vergessen, und durch Anträge aus
Reihen der Opposition ist dem Verkehrsministerium der
Fehler bewusst geworden.
Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind, nach wie
vor. 58 Prozent aller Wege und 79 Prozent aller Kilometer werden mit dem Pkw entweder als Fahrer oder
Mitfahrer zurückgelegt. Aber Studien belegen: Die Menschen sind offen für Elektromobilität und für nachhaltige Verkehrskonzepte. 85 Prozent würden beim nächsten Mal ein Elektrofahrzeug kaufen, so eine Studie der
Münchener Unternehmensberatung Barkawi vom Oktober 2009. Bei einer Umfrage des ADAC bei seinen Mitgliedern im September 2009 waren es 75 Prozent.
Neben technischen, fahrzeugbezogenen Maßnahmen
brauchen wir innovative und umweltschonende Mobilitätskonzepte. Ein gut ausgebautes Verkehrssystem ist
Voraussetzung für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Investitionen in Infrastruktur sind Investitionen in die Zukunft.
Auch Elektrofahrzeuge haben dort ihren Platz. Sie
sind Bestandteil eines umfassenden und vernetzten Mobilitätsangebots. Ein Paradigmenwechsel muss her:
vom individuellen Eigentum eines Fahrzeugs hin zum
Konzept einer dienstleistungsbasierten Mobilität. Die
Menschen sind bereit für den Wechsel, auch das zeigen
Modellversuche wie in Ulm mit car2go.
Die Minister Gabriel und Tiefensee haben ein Gesamtkonzept für eine integrierte Umwelt- und Verkehrspolitik angestoßen und entwickelt. Schwarz-Gelb muss
sich gar nicht den Kopf zerbrechen, die Konzepte liegen
vor und müssen nur umgesetzt werden.
Eine Nationale Plattform Elektromobilität der Automobilindustrie alleine macht noch keinen Leitmarkt. Wir
brauchen eine nationale Kraftanstrengung, wir brauchen eine konzertierte Aktion für eine CO2-freie Mobilität und brauchen politische Rahmenbedingungen für
Elektromobilität.
Eigentlich kann man es sich mit der Ablehnung des
vorliegenden Antrags der Fraktion Die Linke einfach
machen; denn das Ansinnen der Linksfraktion, bestimmte Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen im nationalen
Alleingang zu verbieten, ist schlicht europarechtswidrig.
Die einschlägige EU-Richtlinie 2006/40/EG setzt europaweit Standards für Emissionen aus Kfz-Klimaanlagen.
Einseitige nationale Abweichungen von dieser Richtline
verstoßen gegen die Bestimmungen zum freien Warenverkehr und die Bestimmungen zum EU-Binnenmarkt.
Die Forderung, sich bis zum 1. August 2011 für eine Änderung der EU-Richtlinie einzusetzen, ist angesichts der
üblichen Vorlaufzeiten auf europäischer Ebene zudem
völlig unrealistisch. Insofern muss man von einem reinen Schaufensterantrag der Linken sprechen.
Aber auch inhaltlich machen Sie es sich zu einfach. In
Ihrem Antrag postulieren Sie, dass der Einsatz des Kühlmittels R-1234yf ein großes Risiko für Kfz-Nutzer sowie
Rettungskräfte von Polizei und Feuerwehr bei einem etwaigen Verkehrsunfall darstellt. Ihre Aussagen stützen
Sie auf Auszüge aus einem Gutachten der Bundesanstalt
für Materialforschung, das im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt wurde, und auf Auszüge aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage Ihrer
Fraktion.
Aber wenn Sie schon Dritte zitieren, dann doch bitte
vollständig. Denn auch die Bundesanstalt für Materialforschung kommt zu dem Schluss, dass R-1234yf in Klimaanlagen zum Einsatz kommen kann, wenn entsprechende Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden und
eine sorgfältige Risikoanalyse erfolgt. Dem haben die
deutschen Fahrzeughersteller umfassend Rechnung getragen und ihre Anlagen einer Sicherheitsanalyse durch
den TÜV Süd unterzogen und von diesem zertifizieren
lassen.
Internationale Studien, unter anderem durch die renommierte Society of Automotive Engineers, haben zudem ergeben, dass R-1234yf in der Praxis schwer entflammbar ist und es nur durch das kaum anzunehmende
Zusammentreffen mehrerer, bereits einzeln unwahrscheinlicher Faktoren zu einer Kältemittelentzündung
kommen kann. Aber selbst in einem solch unwahrscheinlichen Fall bleiben die ermittelten Expositionswerte für
Fluorwasserstoff unter den allgemein anerkannten
Grenzwerten. Die Bundesregierung kommt deshalb in
ihrer Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion zu dem
Ergebnis, dass „ein Einsatz von R-1234yf in Klimaanlagen als unbedenklich anzusehen und vergleichbar sicher
im Einsatz wie das heutige Kältemittel“ ist.
Ihrem Antrag fehlen für eine Zustimmung daher sowohl die rechtlich-formalen Voraussetzungen als auch
eine überzeugende inhaltliche Begründung. Gerne können wir dieses Thema im Umweltausschuss aber noch
einmal vertiefen. Ich freue mich auf die weitere Debatte.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung betreibt Klientelpolitik für die Wirtschaft. Das ist nicht neu. Nimmt sie
dabei jetzt die Gesundheitsgefährdung von Verbraucherinnen und Verbrauchern billigend in Kauf? Das wäre
nicht hinnehmbar!
Statt unbedenklicher und klimaneutraler Kältemittel
sollen Kraftfahrzeuge in Deutschland künftig mit Kältemitteln gefüllt werden, die leicht in Flammen aufgehen
und giftige Stoffe freisetzen. Durchgesetzt hat das der
ehemalige CDU-Verkehrsminister Matthias Wissmann mittlerweile Chef des Lobbyverbandes der Automobilindustrie, VDA.
Auf sein Betreiben hin werden künftig jährlich rund
2 000 Tonnen der gefährlichen Substanz in Autoklimaanlagen gepumpt, die bei Unfällen Brände auslösen und
derart giftige Verbindungen freisetzen, dass sich Rettungskräfte ohne Chemieschutzanzug dem Fahrzeug
nicht nähern sollten.
In der Antwort der Bundesregierung auf unsere
Kleine Anfrage heißt es zwar, dass das Kältemittel nicht
nur im Brandfall, sondern schon bei Austritt in den heißen Motorraum „eindeutig gesundheitlich bedenklich
ist“ und giftige Flusssäure bildet. Doch dem Einsatz in
Zu Protokoll gegebene Reden
Neufahrzeugen soll trotzdem nichts im Wege stehen. Als
Beleg werden Industriegutachten und der Verband der
Deutschen Automobilindustrie zitiert: Die Sicherheitsprobleme seien von der Automobilindustrie sorgfältig
diskutiert worden.
Aufgrund der Prüfungen kommt der VDA zu der
Einschätzung, dass diese Problematik beherrschbar
sei.
Ich frage: Ist die Bundesregierung Erfüllungsgehilfe
der Automobillobby, oder haben Sie eine gesetzliche
Vorsorgepflicht, um die Gesundheit der Bürgerinnen
und Bürger zu schützen?
1234yf - so heißt die fatale Chemikalie - ist eine tickende Zeitbombe. Werden alle Fahrzeuge mit dem gefährlichen Stoff gefüllt, rollen bald rund 24 000 Tonnen
davon in Autos über unsere Straßen. Das Schlimme ist:
Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben keine andere Wahl. Nach dem Willen der Automobilhersteller
soll das Kältemittel flächendeckend in allen Autos zum
Einsatz kommen. Das ist ein toxisches Monopol. Die
Linke macht da nicht mit.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Die schnelle
Entflammbarkeit und die gesundheitsschädliche Wirkung von 1234yf sind ein großes Risiko für Kfz-Nutzer,
Ersthelfer und Rettungskräfte. Nach Angaben der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM,
sind die sicherheitstechnischen Probleme des Einsatzes
der Chemikalie als Kältemittel in Pkw-Klimaanlagen
bisher nicht gelöst. Verbraucherinnen und Verbraucher
haben bei der Kaufentscheidung keine Wahlmöglichkeit.
Es sei denn, sie tragen die Zusatzkosten einer aufwändigen Einzelumrüstung bei Garantieverlust. Die Bundesregierung sieht einfach weg und stellt damit Profit vor
Gesundheitsschutz.
Die Linke fordert: Die Bundesregierung hat sicherzustellen, dass Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen bei neuen
Fahrzeugtypen ab dem 1. August 2011 keine Stoffe enthalten, die die menschliche Gesundheit gefährden. Das
heißt, sie dürfen nicht brennbar, giftig oder ätzend sein.
Kältemittel zum Einsatz in Autos müssen chemisch reaktionsträge sein und dürfen wie beispielsweise Kohlendioxid keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt
haben. - Einhundert Euro Mehrkosten für andere Klimaanlagentypen dürfen hier nicht über die Sicherheit
entscheiden.
Ich fordere Sie auf: Stellen Sie sich auf die Seite der
Verbraucherinnen und Verbraucher und kommen Sie ihrer gesetzlichen Vorsorgepflicht nach.
Bei dem Problem der Kältemittel in Klimaanlagen
von Pkw erkennen wir einmal mehr, wie sich die Politik
von einer starken industriellen Lobby treiben lässt. Seit
fast fünf Jahren ist die EU-Richtlinie verabschiedet. Ein
Jahr später wird von den Herstellern ein Placebo ange-
kündigt: Autoklimaanlagen sollen auf das umweltver-
trägliche Kältemittel Kohlendioxid umgerüstet werden.
Kurz bevor die Frist abläuft, kündigen die Hersteller
dann aber etwas ganz anderes an. Jetzt sollen neue gif-
tige Produkte der Chemieindustrie das Wundermittel
sein. Offensichtlich hofft man mal wieder bei der Auto-
industrie, dass es zu spät für ein Gegensteuern der Poli-
tik ist.
Damit werden wir künftig eine gesundheitlich be-
denkliche, ätzende und brennbare Flüssigkeit in allen
Autos mit Klimaanlagen haben. Viele sicherheitstechni-
sche Probleme sind nicht gelöst. Keiner weiß wirklich,
was bei Unfällen passiert, wenn sich der Stoff entzündet
und hochgiftige und stark ätzende Flusssäure freigesetzt
wird. Mit diesem Mittel setzen wir die Gesundheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher aufs Spiel.
Umweltverbände, Umweltbundesamt und Bundesamt
für Materialforschung warnen vor dem Einsatz, und
selbst der Hersteller gibt in der Produktbeschreibung
an, dass dieses Mittel hochentzündlich ist. Das hat
nichts in einer Autoklimaanlage zu suchen. Es ist völlig
unverständlich, wie die Bundesregierung diese Warnun-
gen ignorieren kann, und - so seltsam das aus dem
Mund einer Grünen klingen mag - vielleicht muss man
die Koalition daran erinnern, dass dieses Land noch im-
mer ein Land der Autofahrer ist. Millionen von Men-
schen werden dieses gefährliche Mittel täglich mit ihrem
Auto durch die Gegend fahren. Selbst bei bester Qualität
der Fahrzeuge und höchster Sicherheitsausstattung wer-
den auch zukünftig leider Verkehrsunfälle vorkommen.
Auch zukünftig werden Autos altern, Klimaanlagen un-
dicht und Reparaturen verschleppt. Vor allem jedoch
müssen all diese Fahrzeuge mit ihren Klimaanlagen
wieder recycelt werden, und ein hochgiftiger Stoff muss
dann entsorgt werden.
Ich bezweifle, ob diese Aspekte wirklich bis zu Ende
gedacht wurden. Ich befürchte vielmehr, dass wir uns
wieder sehenden Auges ein Problem mehr aufhalsen.
Hier wird leider nur wieder an den kleinen Vorteil heute
und überhaupt nicht nachhaltig gedacht.
Wir werden in der Politik wieder einmal von einer
großen Industrie vor vollendete Tatsachen gestellt. Die
Bundesregierung interessiert das entweder nicht, oder
sie akzeptiert es sogar. Das ist leider völlig unverant-
wortliche Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bür-
gern unseres Landes. Es ist spät; aber ein Umkehren ist
noch möglich. Nutzen Sie diese Möglichkeit!
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3432 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Katja Dörner, Memet Kilic, weiVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundesrechtliche Konsequenzen aus der
Rücknahme des deutschen Vorbehalts gegen
die UN-Kinderrechtskonvention ziehen
- Drucksache 17/2138 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({0})-
Rechtsausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({1})
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Kinderrechte stärken - Erklärung zur UNKinderrechtskonvention zurücknehmen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,
Ulla Jelpke, Jörn Wunderlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
UN-Kinderrechtskonvention umfassend umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner,
Josef Philip Winkler, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
UN-Kinderrechtskonvention unverzüglich
vollständig umsetzen
- Drucksachen 17/57, 17/59, 17/61, 17/2509 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter Tauber Marlene Rupprecht ({2})Miriam Gruß Diana Golze Katja Dörner
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll genommen.
Vor etwas mehr als 20 Jahren, am 20. November
1989, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes
verabschiedet. Alle Kinder auf der ganzen Welt haben
damals verbriefte Rechte bekommen: das Recht auf
Überleben, auf Entwicklung, auf Schutz und auf Beteiligung.
Ich glaube, dass wir auf die vergangenen 20 Jahre
mit Stolz zurückblicken können, weil wir für Kinder
weltweit, aber natürlich ganz besonders hier in
Deutschland in diesen 20 Jahren sehr viel erreicht haben. Sie wissen, dass wir damals in Deutschland mit der
Ratifizierung eine aus fünf Punkten bestehende Vorbehaltserklärung hinterlegt haben. Vier der fünf Punkte
konnten bereits vor einiger Zeit gesetzlich geregelt werden.
Eine im Zuge der Ratifizierung abgegebene Erklärung enthält jedoch Vorbehalte, die sich insbesondere
auf das elterliche Sorgerecht, die anwaltliche Vertretung
und weitere Rechte von Kindern im Strafverfahren sowie
auf die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, auf
die Bedingungen ihres Aufenthalts und auf Unterschiede
zwischen In- und Ausländern beziehen. Diese Erklärung
hielt im Wesentlichen fest, dass die UN-Kinderrechtskonvention nicht dahin gehend ausgelegt werden darf,
dass die widerrechtliche Einreise oder der widerrechtliche Aufenthalt eines minderjährigen Ausländers allein
wegen dessen Minderjährigkeit erlaubt ist. Die Erklärung war seinerzeit auf Wunsch der Länder abgegeben
worden, um „Fehl- oder Überinterpretationen des Vertragswerks“ zu vermeiden.
Am 3. Mai 2010 hat das Bundeskabinett nun beschlossen, diesen Vorbehalt zurückzunehmen. Der Bundesrat und damit die Länder haben der Rücknahme zugestimmt. Es ist ein beachtlicher Erfolg der christlichliberalen Koalition, diesen lange fälligen Schritt zu gehen und das, was vielen Vorgängerregierungen - auch
damals der rot-grünen Bundesregierung - nicht gelungen ist, endlich erfolgreich umzusetzen. Wir haben damit
mehr erreicht als jede andere Regierung seit Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zur Kinderrechtskonvention. Darüber sollten wir uns alle freuen.
Mit der Rücknahme wird deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland Kinderrechte ohne Vorbehalt achtet
und schützt. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass mit
dieser Rücknahme der Erklärungen zur Kinderrechtekonvention der Vereinten Nationen ein Durchbruch erreicht werden konnte, der eine seit vielen Jahren andauernde politische Auseinandersetzung nunmehr beendet.
Es ist ein Erfolg, dass die bei einigen Ländern noch vorhandenen Bedenken zerstreut werden konnten. Wir
dokumentieren damit auch nach außen, dass der Schutz
von Kindern und der besondere Stellenwert, den Kinder
für uns haben, sich auch in vollem Umfang im rechtlichen Bereich abbilden. Nicht zuletzt die Kinderkommission des Bundestages hat ja mehrfach und unter
Zustimmung aller hier vertretenen Fraktionen diese
Rücknahme eingefordert.
Die Schlussfolgerung, es entstehe durch die Rücknahme der Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention rechtlicher Handlungsbedarf im Bereich des
Aufenthalts- und Asylrechts, ist in der Sache jedoch unzutreffend und keine logische Folge, sondern eine politische Bewertung, bei der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schlicht zu einem anderen Ergebnis kommt. Bereits
heute entsprechen Aufenthalts- und Asylrecht der Kinderrechtskonvention und genügen dem darin vorgegebenen Rahmen zweifelsohne.
Die Bundesregierung wird das Kindeswohl nach wie
vor als einen besonders gewichtigen Gesichtspunkt in
der rechtlichen Abwägung betrachten. Es genießt - etwa
bei der Anwendung des Ausländer- und Asylrechts - allerdings keinen absoluten Vorrang. Ein absoluter Vorrang wird von der UN-Kinderrechtskonvention auch gar
nicht gefordert. Eine ausdrückliche gesetzliche Veranke7324
rung der Berücksichtigung des Kindeswohls ist daher
nicht angezeigt.
Auch widerspricht es der Kinderrechtskonvention
nicht, 16- und 17-Jährigen mehr Rechte als Jüngeren zu
gewähren, insbesondere die Möglichkeit zu geben, im eigenen Namen einen Asylantrag zu stellen. Vielmehr gewährt die Kinderrechtskonvention den Vertragsparteien
bei der Frage, bis zu welchem Alter die Rechtsträgerschaft bestehen soll, einen Spielraum. Es ist international üblich, dass dieser auch genutzt wird. Eine Anhebung der Asylverfahrensfähigkeit auf 18 Jahre würde
auch im Widerspruch dazu stehen, dass noch bei der
Schaffung des im Jahr 2007 verabschiedeten Richtlinienumsetzungsgesetzes politische Einigkeit zwischen den
damaligen Koalitionspartnern darüber bestand, die ausländerrechtliche Altersgrenze unangetastet zu lassen.
Die Asylverfahrensfähigkeit ab 16 Jahren steht im Übrigen auch mit der EU-Verfahrensrichtlinie im Einklang.
Besonders wichtig ist außerdem: Bereits heute - und
dies ist sehr wichtig - berücksichtigt die Bundesrepublik
kinderspezifische Verfolgungsgründe wie zum Beispiel
in Form der Anerkennung von Genitalverstümmelung
bedrohter Mädchen und des besonderen Schutzes ehemaliger Kindersoldaten. Gerade bezüglich ehemaliger
Kindersoldaten ist die Praxis des Bundesamtes bereits
mehrfach ausdrücklich auch von NGO-Seite und vom
UNHCR gelobt worden. Die Anhörung unbegleiteter
minderjähriger Asylbewerber erfolgt bereits heute
durch besonders und fortlaufend geschulte Mitarbeiter.
Aber auch in Zukunft werden wir auf Haft, Flughafenverfahren oder Grenzabweisungen nicht gänzlich
verzichten können. Dies ist uns allen bewusst. Dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt dann aber
insbesondere bei der Anordnung von Abschiebungshaft
ganz besondere Bedeutung zu.
Die von Ihnen erwähnte Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen bzw. Gemeinschaftsunterkünften unterliegt der Zuständigkeit der Länder und entzieht sich damit weitgehend dem Einfluss des Bundes. Das wissen Sie
auch. Die Unterbringung entspricht zudem der EU-Aufnahmerichtlinie. Die Versorgung nach den Bestimmungen des Asylbegleitgesetzes ist in keiner Weise diskriminierend. Vielmehr knüpft sie zulässig und keinesfalls
willkürlich daran an, dass es sich bei den Leistungsberechtigten um Ausländer ohne ein dauerhaftes Bleiberecht im Inland handelt.
Die Forderung, dass die Altersangabe eines Kindes
„nur in Ausnahmefällen“ angezweifelt werden dürfe, ist
für die Aufnahme in einen Gesetzestext rechtlich viel zu
unbestimmt. Dass ein Zweifelsfall angenommen wird,
wenn der Pass gefälscht erscheint oder angeblich abhanden gekommen ist, muss auch zukünftig Handlungsgrundlage sein. Ob solche Zweifel auf Ausnahmefälle
beschränkt bleiben oder nicht, können wir nicht gesetzlich festlegen. Dies hängt von dem Verhalten des Minderjährigen ab. Es ist zudem keine Regelung in der Kinderrechtskonvention ersichtlich, die verlangen würde,
dass die Altersangabe eines Kindes nur in Ausnahmefällen angezweifelt werden darf und dass nur bestimmte Altersfeststellungsverfahren angewendet werden dürfen.
Das wissen Sie auch.
Aber auch an vielen anderen Stellen Ihres Antrags
verwechseln Sie politische Forderungen und tatsächliche rechtliche Konsequenzen, die sich aus der Vorbehaltsrücknahme ergeben. Ich denke, wir müssen uns
schon die Mühe geben, genau zu unterscheiden, was
politische Forderung und was konkrete Rechtsfolge ist.
Hier geht im vorliegenden Antrag einiges durcheinander. Es gibt darüber hinaus keinen Zweifel, dass die
Bundesregierung rechtlichen Handlungsbedarf, der sich
ergeben könnte, fest im Blick hat. Und ich denke, dies
trifft auch auf die Bundesländer zu.
Es erscheint mir an dieser Stelle auch noch einmal
sehr wichtig, eindeutig klarzustellen, dass sich bereits
heute das BAMF durch den Einsatz speziell geschulter
Sonderbeauftragter für unbegleitete Minderjährige alle
erdenkliche Mühe gibt, den Bedürfnissen der „Flüchtlingskinder“ im Sinne des Kindeswohls Rechnung zu
tragen und sie, so gut es geht, begleitet und unterstützt.
Das sollte von uns allen anerkannt werden, denn gerade
auch international ist dies keine Selbstverständlichkeit.
Und noch eines sollte an dieser Stelle gesagt sein: Es
gibt nur wenige Länder auf der Welt, die Kindern ein
solch ausdifferenziertes Hilfssystem bieten wie Deutschland. Insgesamt ist Deutschland in diesem Bereich sehr
gut aufgestellt. Wer etwas anderes behauptet, springt
deutlich zu kurz.
Am 3. Mai dieses Jahres kommentierte die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger den Beschluss des Bundeskabinetts, den deutschen Vorbehalt
zur UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen, wie
folgt: „Ein großer Tag für die Kinderrechte“.
Nach 18-jährigem Ringen war es endlich gelungen,
den Vorbehalt im Einvernehmen mit den Ländern zurückzunehmen. Damit wurde ein Vorhaben verwirklicht,
für das sich in der Vergangenheit auch die rot-grüne
Bundestagsmehrheit mehrfach ausgesprochen hatte.
Leider konnte sie sich aber seinerzeit nicht gegen die
Bundesländer durchsetzen. Das ist der jetzigen Bundesregierung gelungen. Insofern geben ich der Bundesjustizministerin recht: Der 3. Mai war ein großer Tag für
die Kinderrechte.
Im Übrigen aber teile ich die Auffassung der Bundesjustizministerin nicht. Zwei Tage nach dem erwähnten
Kabinettsbeschluss kommentierte sie die Rücknahme
des Vorbehalts hier im Plenum des Deutschen Bundestages wie folgt: „Auf Bundesebene haben wir keinen Gesetzgebungsbedarf.“ Das Asyl- und Ausländerrecht sei
nicht anpassungsbedürftig. Allenfalls die Länder, so die
Ministerin, sollten ihre Praxis überprüfen. Auch das
Bundesinnenministerium hat bundesgesetzlichen Handlungsbedarf in Antwort auf schriftliche Fragen meiner
und anderer Fraktionen mehrfach verneint.
Nun frage ich Sie: Warum hat es über beinahe zwei
Dekaden massiven Widerstand gegen die Rücknahme
des Vorbehaltes gegeben, wenn ebendiese Rücknahme
Zu Protokoll gegebene Reden
keinerlei gesetzliche Konsequenzen nach sich ziehen
soll? Das ergibt keinen Sinn. Wenn Sie mich fragen, so
ist das Gegenteil richtig: Es gilt, die bundesgesetzliche
Rechtslage an die Kinderrechtskonvention anzupassen.
Handlungsbedarf gibt es genug. Lassen Sie mich ein
paar Beispiele anführen:
Im deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht gilt man ab
16 als verfahrensfähig. In beinahe jedem anderen
Rechtsgebiet - Ausnahmen gibt es im Sozialrecht - sind
Kinder erst ab 18 verfahrensfähig. Mit gutem Grund:
Wer vor Behörden und Gerichten handelt, kann Fehler
machen. Das bedeutet im Asylrecht: Minderjährige ohne
gesetzlichen Vertreter laufen Gefahr, einen unschlüssigen Vortrag zu liefern, bestehende Rechtsmittel zu übersehen, Rechtsmittelfristen zu versäumen, falsche Beweisanträge zu stellen und vieles mehr. Sie benötigen einen
gesetzlichen Vertreter an ihrer Seite. Die Kinderrechtskonvention sieht jeden unter 18 als Kind an. Und sie verpflichtet die Staaten, Kindern, die ohne Begleitung ihrer
Eltern sind, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe
bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu gewähren. Nach
meiner Auffassung verletzt ein Staat diese Schutzpflicht,
wenn er Minderjährige ohne Vertretung allein einem
Verfahren überlässt, das für sie sprachlich ebenso wie
juristisch kaum zu verstehen ist.
Auch sollten wir erwägen, Kindern regelmäßig einen
Ergänzungspfleger zur Seite zu stellen. Das mag durch
die Kinderrechtskonvention nicht zwingend geboten
sein. Sinnvoll aber ist es allemal. Das Aufenthalts- und
Asylrecht ist so kompliziert, dass es nur für Experten
verständlich ist. In den Jugendämtern, die als Vormund
der unbegleiteten Minderjährigen fungieren, arbeiten
zwar qualifizierte Kräfte. Doch sind sie zeitlich überlastet und meist keine Experten auf dem Gebiet des Aufenthalts- und Asylrechts. Deshalb sollten die Jugendlichen
durch spezialisierte Rechtsanwälte vertreten werden.
Auch müssen Minderjährige - auch die 16- und 17-Jährigen - stets vom Jugendamt in Obhut genommen werden. Doch das geschieht nicht immer. Rechtsanwälte
und Verbände beklagen immer wieder, dass Jugendämter die asylverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit
zum Maßstab nehmen und aus ihr fälschlich folgern,
dass für 16- und 17-jährige Asylsuchende die Pflicht zur
Inobhutnahme nicht gelte. Wer aufenthalts- und asylrechtlich für sich sprechen könne, müsse auch nicht in
Obhut genommen werden, so die ebenso häufige wie
irrige Annahme. Wenn wir nun die Verfahrensfähigkeit
16- und 17-Jähriger streichen würden, so könnte dies
Missverständnis nicht länger entstehen.
Die Verfahrensfähigkeit führt noch zu einem weiteren
Problem. Wenn ein minderjähriger Ausländer von
16 oder 17 Jahren noch vor der jugendhilferechtlichen
Inobhutnahme einen Asylantrag stellt, entsteht die
Pflicht der Ausländerbehörde, den Ausländer einer Aufnahmeeinrichtung zuzuweisen. Andererseits besteht
aber auch die Pflicht des Jugendamtes zur Inobhutnahme. So entsteht eine Kollision zwischen der Pflicht
des Jugendamtes zur Inobhutnahme und der Pflicht der
Ausländerbehörde zur Zuweisung in eine Aufnahmeeinrichtung. Die Rechtswissenschaft bietet hier verschiedene Lösungen an, die Rechtspraxis indes schafft
Fakten: Wenn die Pflicht zur Zuweisung in eine Aufnahmeeinrichtung entsteht, bevor die Inobhutnahme erfolgt
ist, dann finden sich die Jugendlichen in aller Regel in
einer Aufnahmeeinrichtung wieder. Das war es nicht,
was wir 2005 erreichen wollten, als wir die Pflicht zur
Inobhutnahme mit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz, KICK, verstärkt haben.
Neben der Inobhutnahme muss uns auch das Flughafenverfahren beschäftigen. Die Kinderrechtskonvention
verpflichtet uns dazu, Kinder in kindergerechten Einrichtungen unterzubringen und das Kindeswohl zu berücksichtigen. Doch im Flughafenverfahren werden
unbegleitete Minderjährige im Transitbereich untergebracht - eine kindergerechte Unterbringung im Sinne
der Kinderrechtskonvention ist das nicht. Auch steht
hier keine ausreichende Zeit zur Verfügung, um ein für
die Ermittlung des Kindeswohls gebotenes Clearingverfahren durchzuführen.
Ähnliches gilt, wenn Minderjährige beim Versuch der
illegalen Einreise noch an der Grenze zurückgewiesen
werden. Die Zurückweisung schließt ein Clearingverfahren aus. Außerdem kann sie ein Verstoß gegen das
Zurückweisungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention sein. Denn Kinder unter 16 können keinen wirksamen Asylantrag stellen, der dazu führen würde, dass sie
nicht an der Grenze zurückgewiesen werden können. Zudem können sie eventuell wegen Traumatisierungen
oder mangelnder Kenntnis nicht beim ersten Grenzkontakt von Verfolgungsgründen berichten, die vielmehr
erst im Rahmen eines Clearingverfahrens zu ermitteln
sind.
Auch bei der Abschiebungshaft gibt es Verbesserungsbedarf. Die Kinderrechtskonvention verbietet Haft
zwar nicht grundsätzlich. Sie lässt sie aber nur als letztes Mittel und für die kürzest mögliche Dauer zu. Derzeit
wird die Beachtung dieser Grundsätze durch die deutsche Rechtsprechung gewährleistet.
Doch bis Ende Dezember 2010 muss auch die Rückführungsrichtlinie der EU umgesetzt werden. Sie enthält
weitere Garantien, etwa die ausdrückliche Beachtung
des Kindeswohls, die Forderung nach gesonderter, die
Privatsphäre sichernde Unterbringung von Familien mit
Minderjährigen, die Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen und zu altersgerechten Spiel- und Erholungsmöglichkeiten sowie den Zugang zu Bildung und die
Unterbringung unter personell und materiell altersgemäßen Bedingungen. Das ist in unserem nationalen
Recht derzeit nicht vorgesehen, muss aber bis Ende 2010
umgesetzt werden. Ich sage dies auch mit mahnendem
Blick auf ein anstehendes Gesetzesvorhaben. Der Referentenentwurf für ein zweites Richtlinien-Umsetzungsgesetz wird gerade noch mit den Ländern abgestimmt.
Er ist in der letzten mir bekannten Fassung in Bezug auf
die eben erörterte Frage aber noch stark nachbesserungsbedürftig.
Lassen Sie mich auch etwas zur Altersfeststellung sagen. Hier kennen wir unterschiedliche Methoden - von
der Inaugenscheinnahme über das Clearingverfahren
bis hin zu medizinischen und zahnmedizinischen UnterZu Protokoll gegebene Reden
suchungen sowie Röntgenanalysen. Ich möchte hier
nicht ins Detail gehen, da die Praxis in den Ländern
sehr unterschiedlich ist. Sicher ist aber, dass die Altersfeststellung nicht immer methodisch einwandfrei ist.
Deshalb möchte ich auf die Gefahr hinweisen, die damit
verbunden ist: Eine einzige fehlerhafte Verfahrenshandlung kann dazu führen, dass ein eigentlich materiell berechtigter Minderjähriger aus dem gesamten Schutzbereich der Konvention herausdefiniert wird. Das ist
menschenrechtlich bedenklich und muss den Ländern
Anlass geben, ihre Methoden der Altersfeststellung kritisch zu prüfen.
Bevor ich schließe, möchte ich mich noch kurz einem
speziellen Problem widmen, auch wenn formal die Länder zuständig sind. Es geht um die Ergänzungspflegschaft. Die Pflegschaft unbegleiteter Minderjähriger ist
ein Amt, in dem der Staat Rechtsanwälte mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Für die Rechtsanwälte ist es ein Geschäft, das sie ganz überwiegend
mit viel Idealismus und Engagement betreiben. Bereits
jetzt müssen viele von ihnen so viel Zeit in die Pflegschaften investieren, dass es sich wirtschaftlich nur sehr
begrenzt lohnt. Aktuell gibt es in meinem Heimatland
Hessen eine Entwicklung, die diese Situation noch weiter zu verschärfen droht. Bislang wurden Ergänzungspfleger vielfach über das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz oder den Stundensatz für Vormünder und Betreuer
vergütet. Nun urteilte jüngst das OLG Frankfurt am
Main, dass Verfahrenspfleger auf Grundlage von Beratungshilfe bezahlt werden sollen - das sind 99,96 Euro
brutto. Was bedeutet das für die Anwälte?
Nehmen wir einmal ein Asylverfahren. Der Anwalt
organisiert einen Dolmetscher und führt das Mandantengespräch. Er stellt einen schriftlichen Asylantrag, begleitet seinen Mandanten zur Anhörung und verfasst
gegebenenfalls einen schriftlichen Nachtrag zur Anhörung. Hinzu kommen der Verwaltungsaufwand für
Aktenanlage, Vertretungsanzeigen, den Gang zum Gericht zwecks Entgegennahme der Bestallung als Verfahrenspfleger, regelmäßige schriftliche Berichte ans Gericht, die Abrechnung, Absprachen mit dem Jugendamt
per E-Mail, Post und Telefon und den Betreuern in den
jugendhilferechtlichen Einrichtungen. Zuletzt können
noch Komplikationen im Einzelfall aufkommen, wenn
der Fall etwa eine Dublin-II-Problematik beinhaltet.
Auch erfahrene Spezialisten kommen, um all dies zu bewerkstelligen, ohne Weiteres auf acht bis neun Stunden
Arbeitszeit - für nicht einmal 100 Euro brutto. Wer für
knappe 100 Euro einen vollen Arbeitstag investiert, wird
oft nicht einmal seine Kosten decken können. Eine solche Bezahlung ist eine grobe Missachtung anwaltlicher
Arbeit. Sie trägt weder der verantwortungsvollen Aufgabe und Stellung des Ergänzungspflegers noch den
ökonomischen Realitäten auch nur ansatzweise Rechnung.
Doch kommen wir zurück zur Bundesebene. Ich habe
zahlreichen Veränderungsbedarf aufgezeigt, und ich appelliere an die Bundesregierung: Bleiben Sie nicht auf
halbem Wege stehen! Ich erkenne an, dass Sie den Bundesländern abtrotzen konnten, was wir, als wir noch mitregiert haben, ihnen so lange nicht abtrotzen konnten.
Nun aber müssen Sie auch Taten folgen lassen und die
nötigen gesetzgeberischen Schritte einleiten. Wie diese
konkret aussehen können, dazu wird meine Fraktion in
den kommenden Wochen einen Gesetzentwurf vorlegen,
der sich derzeit noch in der Abstimmung befindet.
Die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention war überfällig. Mehrfach hatte der Deutsche
Bundestag die Bundesregierung dazu aufgefordert.
Diese sah sich mit Rücksicht auf die Länder zur Rücknahme lange außerstande. Dafür hat die Bundesrepublik
vom Genfer UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes
und auch von Kinderrechtsverbänden und -organisationen stets Unverständnis und deutliche Kritik geerntet.
Insofern war die Rücknahme der Vorbehalte ein wichtiges Signal, sowohl innenpolitisch als auch international, dass Deutschland für den Schutz und die Rechte von
Kindern eintritt.
Nun müssen den Worten Taten folgen. Konkreter gesetzlicher Änderungen bedarf es bei den minderjährigen
Flüchtlingen.
Die Kinderrechtskonvention definiert in ihrem Art. 1
alle Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, als Kinder. Nach Art. 22 der Konvention
haben Kinder, die den Status eines Flüchtlings begehren,
Anspruch auf besonderen Schutz. Ein zentrales Problem
bei der Behandlung minderjähriger Flüchtlinge in
Deutschland liegt bisher darin, dass Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren, die Kinder im Sinne der Konvention sind, im deutschen Asylrecht als handlungsfähig
gelten und somit die Notwendigkeit der Bestellung eines
gesetzlichen Vertreters entfällt. Dadurch wird ihr
Schutzanspruch aus Art. 22 der Konvention ausgehöhlt.
Zudem erhalten sie in der Praxis oftmals keine Leistungen nach dem Jugendhilferecht, obwohl Flüchtlinge unter 18 Jahren grundsätzlich dieselben Ansprüche nach
dem Kinder- und Jugendhilferecht haben wie ihre inländischen Altersgenossen. Meine Fraktion wird in Kürze
einen Gesetzentwurf mit konkreten Verbesserungen vorlegen.
Leider steht aber zu befürchten, dass die schwarz-gelbe
Regierung es nicht ernst meint mit Verbesserungen für die
betroffenen Kinder. Misstrauisch musste schon die Protokollnotiz der Innenministerkonferenz vom 27./28. Mai
2010 machen, nach der mehrere Länder die Zusicherung
des Bundesministeriums des Innern begrüßen, „dass mit
der Rücknahme der Erklärung keine Änderung des Aufenthalts- und Asylverfahrensrechts verbunden ist“. Als
Kinderbeauftragte meiner Fraktion sage ich: So geht das
nicht. Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention
ratifiziert und sich damit verpflichtet, sie in nationales
Recht umzusetzen. Auch das Asyl- und Flüchtlingsrecht
muss selbstverständlich auf seine Übereinstimmung mit
der Konvention hin überprüft werden.
Dass sich nun die schwarz-gelbe Regierung für die
längst überfällige Rücknahme der Vorbehalte feiern
lässt und von einem „großen Tag für die Kinderrechte“
- Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger
am 3. Mai 2010 - spricht und fast im gleichen Atemzug
Zu Protokoll gegebene Reden
Marlene Rupprecht ({0})
alle Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten,
von sich weist, ist eine Verhöhnung all derjenigen, die
jahrelang für die Rücknahme der Vorbehalte gekämpft
haben - und es ist traurig für die betroffenen Kinder und
Jugendlichen. Ich hoffe sehr, dass die Regierung hier ein
Einsehen hat und mit uns an konkreten Verbesserungen
arbeitet.
Diese Hoffnung hege ich auch für die Stärkung der
Kinderrechte im Grundgesetz. Ich wünsche mir eine
Politik, die das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellt und
allen Kindern gleiche Rechte auf Förderung und Schutz
schafft. Nichts anderes möchte die UN-Kinderrechtskonvention. Lassen Sie sie uns zusammen in nationales
Recht umwandeln, zum Wohl unserer Kinder.
Wir debattieren heute im Bundestag ein weiteres Mal
über das wichtige Thema der Rechte von Kindern, die
als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Die Bundesrepublik hat nach langer Debatte endlich einen Vorbehalt zur
UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen, der ihr
zusichern sollte, dass sie ausländische Kinder schlechter behandeln kann als inländische. Dieser Schritt ist zu
begrüßen, aber er geht ins Leere, wenn daraus keine
Konsequenzen gezogen werden. In den vorliegenden Anträgen der Oppositionsfraktionen ist dargelegt, was
alles zu tun wäre: Heraufsetzung der Verfahrensmündigkeit von minderjährigen Flüchtlingen von 16 auf
18 Jahre, Ausbau und Verbesserung der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge durch die Jugendfürsorge, ihre Herausnahme aus dem Flughafenverfahren, keine Abschiebehaft für Minderjährige, keine
Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Sammelunterkünften für Asylsuchende und Flüchtlinge. Unbegleitete Kinder und Jugendliche, deren Eltern nicht
ausfindig gemacht werden können, sollen genauso behandelt werden wie elternlose deutsche Kinder. Eine
Diskriminierung aufgrund der Herkunft darf es nicht geben, wenn die Konvention richtig umgesetzt werden soll.
Nun erdreistet sich diese Bundesregierung zu behaupten, es gebe nach der Rücknahme des Vorbehalts
keinerlei Änderungsbedarf im Asyl- und Aufenthaltsrecht, das deutsche Recht habe schon immer den Anforderungen der Kinderrechtskonvention in diesem Bereich
entsprochen. Die Staatenberichte des Kinderrechtskomitees der Vereinten Nationen strafen diese Behauptung
immer wieder Lügen. Auch Pro Asyl, der Deutsche Caritasverband, die Nationale Koalition für die Umsetzung
der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, das
Deutsche Rote Kreuz und natürlich der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge haben
sich eindeutig geäußert. Alle fordern unisono die von
mir nur angedeuteten asyl- und aufenthaltsrechtlichen
und weitere Änderungen. Alle zeigen regelmäßig auf,
dass die deutsche Rechtslage in diesem Bereich zentrale
Normen der Konvention verletzt.
lch will noch darauf hinweisen, dass in der gestrigen
Anhörung des Innenausschusses zum Thema Bleiberecht
der Leiter der Stabsstelle des Integrationsbeauftragten
von Baden-Württemberg, eines FDP-geführten Hauses,
als Sachverständiger ausdrücklich darauf hinwies, dass
dem Kindeswohl im Aufenthaltsrecht nicht ausreichend
Rechnung getragen werde und hieraus ein gesetzlicher
Änderungsbedarf erwachse. Er forderte unter anderem
die Abschaffung der asylrechtlichen Verfahrensmündigkeit ab 16 Jahren und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an geduldete unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach 18-monatigem Aufenthalt. Ich bin gespannt,
ob Herr Storr die FDP-Bundesjustizministerin wird
überzeugen können, denn diese erklärte bislang entweder wider besseres Wissen oder aber in Unkenntnis der
Konvention, dass auf Bundesebene diesbezüglich keinerlei Gesetzesänderungsbedarf bestünde. Sie konnte da
auch von ihrer Fraktionskollegin Laurischk nicht überzeugt werden, die hier im vergangenen November ebenfalls klar für Gesetzesänderungen im Sinne der Kinder
Stellung bezogen hat.
Sie sehen also, dass wir hier keine Minderheitsposition vertreten, sondern eine breite gesellschaftliche Zustimmung für die umfassende Verwirklichung der Rechte
aller Kinder und Jugendlichen herrscht. Ich appelliere
vor allem an die Unionsfraktion, ihre verbohrte ideologische Haltung aufzugeben und ihren Beitrag für die
vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zu leisten, indem sie den vorliegenden Anträgen zustimmt.
Der vorliegende Antrag dient dem Zweck, den
Grundsatz aus Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention
vollständig umzusetzen. Darin heißt es, dass „bei allen
Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl und das
Wohlergehen des Kindes vorrangig zu berücksichtigen
sind“. In diesem Sinne „gewährleisten die Vertragsstaaten in größtmöglichem Umfang … die Entwicklung des
Kindes“ ({0}). Dies gilt insbesondere für die
sich aus Art. 22 ergebenden Rechte von Flüchtlingskindern, die gemäß Art. 20 Abs. 1 stets als besonders
schutzbedürftig anzusehen sind.
Vor 18 Jahren hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung bei Hinterlegung der Ratifzierungsurkunde zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über
die Rechte des Kindes - im Folgenden: UN-Kinderrechtskonvention - auch eine primär aufenthalts- und
asylverfahrensrechtliche Aspekte betreffende Vorbehaltserklärung hinterlegt. Am 3. Mai 2010 hat das Bundeskabinett beschlossen, diesen Vorbehalt zurückzunehmen. Dies war ein richtiger, aber auch ein überfälliger
Schritt. Denn seit dem Jahr 2001 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung mehrfach und nachdrücklich zu diesem Schritt aufgefordert.
Nach der Rücknahme des deutschen Vorbehalts müssen nun auch die bundesrechtlichen Konsequenzen
durch Gesetzesanpassungen insbesondere im Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz gezogen werden. Das
will unser Antrag erreichen. Die Rechtsauffassung des
Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, aus der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ergäbe sich, insbesondere mit Blick auf das
Zu Protokoll gegebene Reden
Asyl- und Aufenthaltsrecht, „kein legislativer Handlungsbedarf“, ist insofern nicht nachzuvollziehen, als
dann völlig unverständlich ist, warum die Bundesregierung seit 18 Jahren mit allen Mitteln versucht hat, die
Rücknahme einer angeblich völlig folgenlosen Vorbehaltserklärung zu verhindern.
Denn es trifft nicht zu, dass ausländischen Kindern
schon heute alle sich aus der UN-Kinderrechtskonvention tatsächlich ergebenden Rechte gewährt werden.
Auch wenn einzelne Regelungen der Verwaltungspraxis
Spielräume bieten, ist der Gesetzgeber trotzdem selbst
gefordert. Andernfalls besteht die Gefahr uneinheitlicher Standards innerhalb Deutschlands.
Dies gilt insbesondere für die zentrale Frage der
Handlungsfähigkeit von Minderjährigen. Art. 1 der UNKinderrechtskonvention ist ebenso eindeutig wie § 7
Abs. 1 SGB VIII. Minderjährig ist demnach, wer „das
achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat“ bzw.
wer „noch nicht 18 Jahre alt ist“. Es ist daher sinnvoll,
eine entsprechende Klarstellung sowohl im Aufenthaltsgesetz als auch im Asylverfahrensgesetz zu verankern.
Denn viele Probleme beim Schutz minderjähriger ausländischer Kinder und Jugendlicher in Deutschland
haben ihre Ursache in dem angeblichen Vorrang der
Regelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht über die
Handlungsfähigkeit von Minderjährigen gegenüber den
Schutzvorschriften des SGB VIII - was immer zulasten
der ausländischen Minderjährigen ging.
Insbesondere der Schutzbedürftigkeit unbegleiteter
minderjähriger Flüchtlinge wird nicht ausreichend
Rechnung getragen. Für Letztere bewirken die Vorbehaltserklärung und die jetzige Rechtsauffassung der
Bundesregierung, dass sie mit 16 Jahren in Deutschland
schon wie Erwachsene behandelt werden. Diese Kinder
haben oftmals eine Odyssee mit dramatischen Erlebnissen hinter sich. Sie haben unter Armut gelitten, haben
Kriege erlebt, mussten oftmals sogar als Kindersoldaten
mitwirken oder wurden sexuell ausgebeutet. Es geht um
Kinder und Jugendliche, die traumatisiert sind und eigentlich dringend unsere Hilfe brauchen. Ihnen bleibt
aber der Zugang zu Jugendhilfemaßnahmen verwehrt.
In asyl- und ausländerrechtlichen Fragen werden die
ordnungspolitischen Interessen höher bewertet als das
Wohl der Kinder.
Wir Grünen meinen aber: Das Kindeswohl muss generell Vorrang vor ausländerrechtlichen Aspekten haben. Es bleibt zu hoffen, dass sich im weiteren parlamentarischen Verfahren für diese Auffassung im Sinne des
Kindeswohls eine breite Mehrheit finden wird.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 24 a.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2138 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 24 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/2509. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/57 mit dem Titel „Kinderrechte stärken - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das scheint einstimmig angenommen worden zu sein.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/59 mit dem Titel „UN-Kinderrechtskonvention umfassend umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung
der SPD-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/61 mit dem Titel „UN-Kinderrechtskonvention
unverzüglich vollständig umsetzen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und
Küstenschutz“ auf Ökologisierung und nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren
- Drucksache 17/3222 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismus
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll genommen.
Sie versuchen es ja immer wieder. Jedes Mal unter einem anderen Mäntelchen, in verschiedenen Variationen:
Doch das Thema bleibt doch wieder gleich: Gute Landwirtschaft, schlechte Landwirtschaft. Mit anderen Worten: Ökolandbau gegen konventionelle Landwirtschaft.
Ich kann es nicht mehr hören! Die penetrante Wiederholung durch Ihre Fraktion macht die Aussage nicht wahrer und glaubwürdiger.
Wie sieht denn diesmal das Mäntelchen aus, das Sie
dem Thema umhängen, liebe Kolleginnen und Kollegen
der grünen Fraktion? „Gemeinschaftsaufgabe ,Agrarstruktur und Küstenschutz‘ auf Ökologisierung und
nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren“. So
heißt Ihr Antrag.
Zack! Da kommt sie wieder, die grüne Moralkeule.
Also schauen wir uns doch einfach einmal die Entwicklung der Gemeinschaftsaufgabe an. Ohne die Haushaltsnotwendigkeiten, denen sich die aktuelle Koalition
durch Maßnahmen gegen die internationale Finanz- und
Wirtschaftkrise stellen muss, hat Frau Künast als Landwirtschaftsministerin die Gemeinschaftsaufgabe drastisch auf etwa 600 Millionen Euro gekürzt. Das sind also
den Grünen die Menschen in den ländlichen Regionen
wert. Doch was interessiert mich mein Handeln von gestern. In der Opposition heißt es dann, von der Regierung
fordern, wozu man selbst nicht in der Lage war. Also,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei jedem Antrag, den Sie künftig zur GAK stellen, schreiben
Sie bitte hinein: Als wir an der Macht waren, haben wir
schnellstens die Mittel für den ländlichen Raum gekürzt.
Das wäre mal ehrlich.
Kommen wir nun zu Ihren Forderungen. Man hat bei
Ihnen das Gefühl, wenn auf einer Maßnahme kein Ökosiegel draufklebt, dann ist sie nicht gut. Lassen wir doch
bitte mal die Kirche im Dorf.
Um es vorwegzunehmen: Ihr Antrag ist nicht nur
überflüssig, er ist in seiner einseitigen Ausrichtung eine
Gefahr für den ländlichen Raum! Sie verstehen, dass wir
gar nicht anders können, als ihn abzulehnen.
Die Gemeinschaftsaufgabe hat sich seit Jahren bewährt. Sie ist ein sinnvolles Förderinstrument, und dies
auch, weil sie ständig weiterentwickelt worden ist. Der
breite Ansatz reicht von der einzelbetrieblichen Investitionsförderung über Agrarumweltmaßnahmen bis hin zu
der Breitbandverkabelung des ländlichen Raumes.
Würden wir Ihrem Antrag folgen und die über die
GAK geförderten Maßnahmen einseitig auf ökologisch
umstellen, würden wir den breit angelegten und gerade
deshalb erfolgreichen Pfad der GAK verlassen.
Unser Ziel ist und bleibt eine innovative, leistungsfähige und auf den Weltmärkten erfolgreiche Landwirtschaft. Dadurch werden Arbeitsplätze in den Regionen
geschaffen, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern
auch in den vor- und nachgelagerten Bereichen. Wir unterscheiden dabei nicht zwischen guter und schlechter
Landwirtschaft.
Ich habe das ja bereits mehrfach auch im Plenum gesagt: Wer einmal praktischen Anschauungsunterricht
möchte, wie ein erfolgreiches Cluster funktioniert, den
lade ich gern in meinen Wahlkreis, ins Oldenburger
Münsterland, ein. Hier sieht man die erfolgreiche Verknüpfung von Landwirtschaft und vor- bzw. nachgelagerter Wirtschaft. Hier wurden Arbeitsplätze geschaffen.
Hier herrscht in manchen Gemeinden quasi Vollbeschäftigung. Auch das ist der ländliche Raum.
Aber so sieht es nicht überall aus. Und deswegen ist
die Ausrichtung der GAK auf innovative Weiterentwicklung der Infrastruktur so wichtig. Erst unter Führung
von CDU/CSU hat das BMELV in der GAK Mittel für
den Breitbandausbau in den ländlichen Regionen bereitgestellt. Hier steht noch viel Arbeit vor uns. Aber wir haben den Anschub dafür geleistet.
Die Grünen als Innovationsverhinderungspartei würden wahrscheinlich heute noch darüber diskutieren, genauso, wie Sie gern die Mobiltelefone wegen angeblicher Strahlungen verhindert hätten, die Produktion von
Insulin aus Deutschland vertrieben haben und bis zum
heutigen Tage sich weigern, wissenschaftliche Erkenntnisse zur grünen Gentechnik zu akzeptieren.
Die Gemeinschaftsaufgabe richtet sich nicht einseitig
auf die landwirtschaftliche Produktion. Sie betrachtet
den ländlichen Raum als Ganzes, als Kulturlandschaft.
Dazu gehört natürlich auch deren Pflege und der Schutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
sollten hierzu einmal die Beschlüsse der Agrarminister
zur Erweiterung der Maßnahmen in der GAK 2009 und
2010 aufmerksam studieren.
Das können Sie nicht getan haben, sonst würde Ihr
Antrag nicht den Eindruck erwecken, Umweltmaßnahmen würden in der GAK kaum zum Tragen kommen.
Ich nenne Ihnen einige, die seit 2009 zu den bereits
bestehenden Maßnahmen hinzugekommen sind: Die
Prämien für Agrarumweltmaßnahmen einschließlich
der Sommerweideprämie und des Ökolandbaus wurden
erhöht. Der klimaschonende Anbau der Körnerleguminosen kann gefördert werden, genauso wie das Anlegen
bestimmter Grünlandstreifen. Darüber hinaus wurden
die Fördersätze für das Regionalmanagement erhöht,
wodurch zum Beispiel der Bau von Nahwärme- und Biogasleitungen besser gefördert wird.
Von einer Einseitigkeit oder falschen Ausrichtung der
Gemeinschaftsaufgabe kann also gar keine Rede sein.
Im Gegenteil: Die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ ist auf einem guten Weg. Sie ist
eine Stütze für den ländlichen Raum - in jeglicher Hinsicht. Lassen wir es nicht zu, dass diese Stütze gekappt
wird. Ihr Antrag wird abgelehnt.
Im November wird die EU-Kommission ihre Vorschläge für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013
vorstellen. Die Reform der europäischen Agrarpolitik
wird auch Auswirkungen auf unsere Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ haben. Es geht in der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik darum, diese Politik an die neuen
Herausforderungen anzupassen. Es geht darum, erste
und zweite Säule neu zu justieren.
Wir haben in unserem Positionspapier deutlich gemacht, dass die zukünftige Aufgabe sein wird, einen Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen
an eine nachhaltige Landbewirtschaftung, der Erhaltung lebenswerter Kulturlandschaften, der Entwicklung
ländlicher Räume und der Marktausrichtung landwirtschaftlicher Unternehmen herzustellen. Wir haben auch
deutlich gemacht, dass die zweite Säule als umfassender
Politikansatz zur integrierten ländlichen Entwicklung
weiterentwickelt werden muss.
Es ist richtig, darüber zu diskutieren, ob die Ausgestaltung der GAK noch den aktuellen Anforderungen
entspricht. Ich würde mich freuen, wenn wir den Antrag
Zu Protokoll gegebene Reden
Waltraud Wolff ({0})
der Grünen zu einer konstruktiven Diskussion dazu nutzen können. Wir dürfen diese Diskussion aber nicht losgelöst von der Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik führen. Das, was dort entschieden wird, werden wir
auch in der GAK umsetzen müssen.
Es gibt Handlungsbedarf. Ich will nur einen Punkt
ausführlich darstellen: Die Politik für die ländlichen
Räume ist in Deutschland größtenteils sektorspezifisch
ausgerichtet; sie wird damit der Vielfalt der ländlichen
Räume und der Förderung der Ausarbeitung ortsbezogener Programme nicht gerecht. Dies hat die OECD
2007 in einem Prüfbericht zur Politik für Ländliche
Räume für Deutschland festgestellt. Es fehlt die Beteiligung lokaler und regionaler Einrichtungen.
LEADER und „Regionen Aktiv“ sind erfolgreich; sie
haben jedoch weiterhin Nischencharakter. Inhaltlich
sieht die OECD vor allem problematisch, dass Programme zur Sicherung der Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen immer noch die Ausnahme sind. Die
OECD fordert eine tiefgreifende Änderung der Politikkonzeption, die zu einem bestimmten Zeitpunkt angemessen war, den Herausforderungen aber nicht mehr
gerecht wird.
Wir haben noch unter Rot-Grün mit dem Modellwettbewerb „Regionen Aktiv“ gezeigt, dass gerade ein Ansatz, wie er mit LEADER verfolgt wird, sehr erfolgreich
sein kann. Er trägt der Vielfalt der ländlichen Räume
Rechnung; es gibt nicht den ländlichen Raum und keinen definierten Entwicklungspfad. Für uns bedeutet es
auch, dass die Regionen und die Akteure vor Ort gestärkt werden müssen. Der Modellwettbewerb „Regionen Aktiv“ hat gezeigt, dass dies erfolgreich sein kann.
Die Menschen vor Ort kennen die Stärken ihrer Region,
auf die die ländliche Entwicklung aufbauen kann.
Vitale ländliche Räume sind für die Zukunft entscheidend - für die Landwirtschaft und für die Menschen, die
dort leben. Wir müssen die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
zukunftsfähig ausgestalten. Leider müssen wir diese
Diskussion zu einem Zeitpunkt führen, an dem die Koalition die Gemeinschaftsaufgabe als sparpolitischen
Steinbruch missbraucht. Die Koalition verspielt politischen Gestaltungsspielraum; sie verspielt damit Zukunftschancen für die ländlichen Räume.
Es ist notwendig, die integrierte ländliche Entwicklung innerhalb der GAK zu stärken. Es ist notwendig,
die von der EU-Kommission identifizierten neuen Herausforderungen in der GAK nachzuvollziehen. Darüber
müssen wir diskutieren. Auf diese Diskussion freue ich
mich.
Unter der Überschrift ihres Antrages „Gemeinschaftsaufgabe ,Agrarstruktur und Küstenschutz‘ auf
Ökologisierung und nachhaltige Entwicklung konzentrieren“ fordern Bündnis 90/Die Grünen „mit der Gemeinschaftsaufgabe einen Beitrag zum Strukturaufbau
für eine gesunde, regionale und ökologische Schulverpflegung zu erbringen“.
Damit wird die Gemeinschaftsaufgabe zum Steinbruch für alles, was wünschenswert ist. Die Grünen suggerieren, die Gemeinschaftsaufgabe hätte keine Berechtigung mehr. Das Gegenteil ist der Fall.
Das Grundgesetz fordert in Art. 106 Absatz 3, dass
„die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird“. Angesichts der Verschiedenheit
der ländlichen Räume ist es eine nur schwer zu bewältigende politische Aufgabe, diesem Auftrag des Grundgesetzes zu genügen.
Die in der letzten Legislaturperiode durchgeführte
Anhörung im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz hat ergeben, dass die geladenen
Experten überwiegend die Gemeinschaftsaufgabe als
ein Instrument angesehen haben, mit dem erfolgreich
die Entwicklung in den ländlichen Räumen gestaltet
wird. Auf Grundlage des Art. 91 a Grundgesetz sahen
die Experten hier allerdings den Bedarf einer neuen Akzentuierung.
Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
fordert dagegen eine grundlegende Neuausrichtung dieses Gesetzes einschließlich der Änderung des Grundgesetzes. Die im Forderungsteil aufgelisteten Vorschläge
sind jedoch in ihrer Gesamtheit weder geeignet, die
GAK zu verbessern, noch ist zu erwarten, dass die
Grundgesetzänderung mit diesen Forderungen so begründet wird, dass sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag erhält. Damit wird der Antrag zum Klientelantrag.
Das oben genannte Beispiel, Finanzierung der Struktur der Schulverpflegung aus der GAK, ist dafür ein Beispiel. Genauso könnte man verlangen, dass aus den Mitteln der Förderung des Ökolandbaus Schulbücher für
Biologie gekauft werden. Mit ideologisch motivierten,
realitätsfernen Vorschlägen kommen wir nicht weiter.
Leitbild der Grünen ist der Museumsbauernhof. Die
GAK soll entgegen ihrer bisherigen Zielsetzung dazu
dienen, den bisher erfolgten Strukturwandel hin zu einer
unternehmerischen Landwirtschaft rückgängig zu machen. Bestes Beispiel dafür sind die ewig gestrigen politischen Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen nach
einer Mengensteuerung bei der Milch. Die positive Preisentwicklung der letzten Monate am Milchmarkt von ehemals 20 Cent auf inzwischen über 30 Cent hat eindeutig
belegt, dass der Markt und eben nicht die Planwirtschaft
das Zukunftsmodell für die heimischen Milchbauern ist.
Mit den geforderten Mindest- und Richtpreisen sowie
der Angebotsregulierung verbauen die Grünen den zukunftsorientierten, heimischen Landwirten lukrative internationale Absatzmärkte. Das wiederum führt zu einem deutlichen Verlust an Wertschöpfung und damit an
Arbeitsplätzen im ländlichen Raum in Deutschland. Solche planwirtschaftlichen Instrumente passen nicht in
eine soziale Marktwirtschaft.
Die Gemeinschaftsaufgabe soll die ländlichen Räume
fit machen für die Zukunft, und den demografisch bedingten Änderungsdruck abfedern. Wir stimmen mit der
Analyse überein, dass die Mittel in der Gemeinschaftsaufgabe geringer werden und dass alle Ausgaben auf
Zu Protokoll gegebene Reden
ihre Effizienz und Wirksamkeit überprüft werden müssen. Aktuelle Bedürfnisse und Entwicklungen müssen
sich in der GAK widerspiegeln, die Chancen des ländlichen Raumes hängen nicht nur von der Landwirtschaft
ab. Um den Bevölkerungsschwund und insbesondere die
Abwanderung junger Menschen aufzuhalten, sind attraktive Arbeitsplätze in allen Sektoren notwendig. Tourismus, Dienstleistungsgewerbe und das Handwerk
müssen gerade in strukturschwachen Regionen zusätzlich gefördert werden. Der Breitbandausbau ist ein
wichtiges Beispiel für neue Fördertatbestände, die jetzt
über die GAK gefördert werden.
Die wünschenswerte stärkere Ökologisierung der
Landwirtschaft und die Förderung des Ökolandbaus
sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Ökolandbau
ist keinesfalls immer und an jedem Ort die nachhaltigste
Art der Bewirtschaftung, gleichwohl hat er als Marketinginstrument eine Berechtigung. Studien von Professor
Dr. Taube von der Christian-Albrechts-Universität Kiel
haben gezeigt, dass moderne Anbaumethoden den von
den Anbauverbänden des ökologischen Landbaus empfohlenen Methoden oftmals überlegen sind. Betrachtet
man die Belastung der Natur im Verhältnis zum Ertrag
und nicht zur Fläche, so schneidet konventionelle Landwirtschaft abhängig vom Standort oftmals besser ab als
der Ökolandbau.
Negative ökologische Folgen von Landbewirtschaftung werden insbesondere als Folge der EEG-Förderung deutlich. Wir werden daher folgerichtig das EEG
ändern.
Die uneinsichtige Fokussierung von Bündnis 90/Die
Grünen auf extensive Landwirtschaft zeigt sich auch in
den Forderungen zum Umbau der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik, GAP, nach 2013. Wir Liberalen sind überzeugt, dass nur eine innovative, nachhaltige und unternehmerische Landwirtschaft die
Herausforderungen der Zukunft meistern kann. Europa
ist landwirtschaftlicher Gunststandort und dennoch Nettoimporteur von Biomasse für Ernährung und energetische Nutzung. Klimawandel, weltweites Bevölkerungswachstum und der Verlust von Ackerflächen können nur
durch die Nutzung des Fortschritts und ständige Steigerungen der Effizienz landwirtschaftlicher Produktion
bewältigt werden. Die GAP und auf nationaler Ebene
die Maßnahmen durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes,
ELER, speziell im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
müssen die deutschen Landwirte hierbei unterstützen.
Auch wenn einzelne Punkte im Antrag durchaus akzeptabel sind, ist er in der Gesamtkonzeption nicht geeignet, die Bewältigung der bedeutenden Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft und der ländliche
Raum stehen, zu unterstützen.
Immer mehr Menschen verlassen ihre Dörfer und
kehren dem ländlichen Raum den Rücken. Es fehlt an
vielem: Arbeitsplätze, von denen man leben kann, lebendige Dörfer mit Bäcker, Kneipe, Sparkasse und TanteEmma-Laden, Busse, die nicht nur zwei Mal am Tag verkehren, wie es oftmals der Fall ist - morgens nehmen sie
die Schülerinnen und Schüler mit, abends spucken sie
sie wieder aus, und in den Ferien fahren sie dann gar
nicht. Wer nicht automobil ist, hat kaum Bewegungsspielraum. Die mobil sind, ziehen weg. Vor allem junge
Frauen verlassen das Dorf auf der Suche nach Alternativen, und das sind vorrangig, aber nicht nur, existenzsichernde Arbeitsplätze oder Kinderbetreuung.
Die Abwanderung, sosehr sie als individuelle Lösung
nachvollziehbar ist, setzt eine Spirale in Gang, die die
Probleme verschärft - sowohl am Ort, der verlassen
wird, als auch am Ort der Zuwanderung, weil dann dort
Kitaplätze oder bezahlbarer Wohnraum knapp werden.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Gleichstellung in ländlichen Räumen zeigt,
dass das Problem bekannt ist. Sie hat aber weder Ideen
noch Konzepte für eine Lösung des Problems. Konzeptions- und hilflos schaut sie den fortziehenden Frauen
hinterher.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage mit der Drucksachennummer 17/2799 „Gleichstellung in ländlichen Räumen - Situation von Frauen
und Mädchen in kleinen Städten und Dörfern“ heißt es:
Die Förderungsgrundsätze des GAK-Rahmenplans
enthalten … keine auf den Ausgleich von etwaigen
Defiziten der tatsächlichen Gleichstellung gerichteten differenzierten Fördertatbestände oder Fördervoraussetzungen.
Das bedeutet im Klartext: Obwohl Frauen in ungleichen Lebensverhältnissen leben und benachteiligt werden, werden sie genauso wie die Männer behandelt. Das
ist ein systematischer Fehler; denn es wird Ungleichbehandlung gebraucht, wenn Gleichstellungspolitik wirklich ernst gemeint wird, also eine geschlechtergerechte
Förderung der Landwirtschaft und der ländlichen
Räume. Dazu könnte eine Gleichstellungsbeauftragte in
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verteilung der Gelder aus der Gemeinschaftsaufgabe Agrarpolitik und
Küstenschutz, GAK, beitragen, oder ein bestimmter Anteil der GAK-Mittel könnte für Frauenprojekte reserviert
werden.
Die Grünen haben nun einen Antrag zum ländlichen
Raum vorgelegt. Man könnte meinen, sie würden sich
darin genau diesem Aspekt widmen, doch: Fehlanzeige!
Sie sind hinsichtlich Gleichstellungspolitik im Dorf genauso blind wie die schwarz-gelbe Bundesregierung.
Richtig ist, dass die GAK das zentrale Instrument für die
gezielte Unterstützung der ländlichen Räume und gegen
die Abwanderung ist. Neben den Fördermitteln aus
Brüssel sind die Gelder der GAK wichtige Quelle für die
strukturschwachen Regionen. Die Debatte zur EUAgrarpolitik für die Förderperiode 2014 bis 2020 muss
deshalb auch Anlass für einen Geschlechtergerechtigkeitscheck sein. Hierbei gehört die GAK, mit der die
Brüssel-Gelder kofinanziert und die Brüssel-Vorgaben
umgesetzt werden, ebenso auf den Prüfstand.
Die Grundidee der Grünen, die GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe für die ländliche Entwicklung und
den Küstenschutz umzubauen, ist grundsätzlich richtig.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die landwirtschaftlichen Betriebe, Gärtnereien oder
Forsteinrichtungen sind wichtige Säulen der ländlichen
Wirtschaft. Sie gilt es weiter zu stärken. Aber sie sind
nur eine Säule. Ländliche Räume sind mehr als Landwirtschaft, ländliche Wirtschaft mehr als Ackerbau,
Viehzucht oder Gartenarbeit. Gerade für junge Frauen
können in Klein- und Kleinstbetrieben mögliche Einkommensalternativen geboten werden. Voraussetzung ist
aber zum Beispiel der Anschluss des Dorfes ans schnelle
Internet. Hier gibt es Fortschritte; aber es bleibt noch
genug zu tun.
Doch der Antrag der Grünen ist nicht nur auf dem
gleichstellungspolitischen Auge blind. Auch umweltpolitisch befinden sich die Grünen auf dem Holzweg. Sie
machen eine einfache Rechnung auf: Kleinbauer gut,
Biobauer gut - alle anderen nicht gut.
Das stimmt so nicht! Diese Polarisierung schadet sogar diesen Betrieben, weil sie spaltet, wo gemeinsames
Agieren sinnvoll ist. Die Grünen behaupten, nur diese
Landwirtschaftsbetriebe seien den neuen Herausforderungen Klimaschutz, Biodiversität, erneuerbare Energien und Wassermanagement gewachsen. Diese These
ist absurd. Wir als Linke wissen, dass alle Betriebe, egal
ob groß oder klein, bio- oder konventionell bewirtschaftet, ihren Beitrag leisten müssen und können, und viele
wollen es auch. Für das Klima verzichten sie auf Grünlandumnutzung in Ackerflächen, oder sie bauen ihr Tierfutter selbst an. Für die biologische Vielfalt legen sie
Feldgehölze, Lerchenfenster oder Blühstreifen an, und
sie nutzen seltene Tierrassen. Zur Unterstützung solcher
Maßnahmen haben wir als Linke ein Konzept der EUDirektzahlungen vorgeschlagen, mit dem konkrete gesellschaftliche Leistungen in den Bereichen Biodiversität und Klimaschutz zielgerichteter honoriert werden.
Ich möchte auch kurz erwähnen, was mir am GrünenAntrag gut gefällt. Die Forderung nach mehr Transparenz und politischer Mitbestimmung bei der Erstellung
des GAK-Rahmenplans ist richtig. Die GAK-Fehler der
vergangenen Jahre sind darauf zurückzuführen, dass die
Pläne nicht öffentlich, sondern in Hinterzimmern politisch ausgehandelt wurden. Wenn die GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe für die ländlichen Räume werden
soll, muss dies mit den relevanten Akteurs- und Interessensgruppen vor Ort abgestimmt werden. Nur wenn
diese einbezogen sind, gibt es die Chance, die Situation
in den Dörfern zu verbessern. Denn dann werden Projekte umgesetzt, weil sie vor Ort passen und benötigt
werden, und nicht nur, weil dafür eben Geld zur Verfügung steht.
Die ländliche Entwicklung ist die wohlfeile Melkkuh
der schwarz-gelben Agrarpolitik. Sie wird von Union
und FDP zur Ader gelassen, um über den Agrardiesel
die Gier der Agrarkonzerne nach Steuersubventionen zu
stillen. Schön, dass sich diese unverblümte Klientelpolitik in so eifrigem Wählerzuspruch niederschlägt. Wenn
das Geld aber weniger wird, zeigt sich politische Klugheit vor allem daran, ob es gelingt, die verbleibenden
Mittel so einzusetzen, dass damit optimale Ergebnisse
erzielt werden. Das gilt auch für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, GAK. Auf entsprechende Vorschläge aus
dem schwarz-gelben Lager bin ich gespannt.
Eine kritische Prüfung des aktuellen Förderkatalogs
zeigt, dass über die GAK immer noch eine Reihe von
Maßnahmen gefördert wird, die für die ländliche Entwicklung entweder bedeutungslos sind oder sogar einen
negativen Effekt haben. Als Beispiel möchte ich hier
Großteile der Agrarinvestitionsförderung nennen. Das
dem Bundesagrarministerium nachgeordnete JohannHeinrich-von-Thünen-Institut hat der Investitionsförderung bereits im Jahr 2008 bescheinigt, dass sie kaum zur
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe
beiträgt. Hier werden eher Mitnahmeeffekte erzeugt und
im Gegensatz zu einer verantwortlichen Investitionspolitik Arbeitsplätze vernichtet. So die Schlussfolgerungen des bundeseigenen Instituts. 100 Millionen Euro ist
diese Fördermaßnahme gegen jede volkswirtschaftliche
Vernunft Ministerin Aigner jedes Jahr wert.
Dieser Politik ohne Gestaltungswillen setzen wir
Bündnisgrünen klare Vorschläge für eine Neustrukturierung der Gemeinschaftsaufgabe mit den Schwerpunkten
ökologische Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltige ländliche Entwicklung und Küstenschutz entgegen. Dafür wollen wir den ökologischen Landbau und die bäuerliche,
strukturangepasste und umweltschonende Landwirtschaft stärken. Kein anderer Bereich in der Landwirtschaft kann Zuwachsraten wie der Ökolandbau vorweisen. Kein anderes Landnutzungssystem leistet Vergleichbares für Natur-, Umwelt- und Klimaschutz. Kein anderer Zweig der Landwirtschaft engagiert sich stärker für
die Erhöhung der Wertschöpfung im ländlichen Raum.
Eine Konzentration der Fördermittel in diesem Bereich
ist deshalb wirtschaftlich vernünftig sowie umwelt- und
klimapolitisch verantwortungsvoll. Gleichzeitig ist es
notwendig, die Agrar-Umwelt-Maßnahmen in Bezug auf
die neuen Herausforderungen Klimaschutz, Erhalt der
Biodiversität, verbessertes Wassermanagement sowie
Ausbau der erneuerbaren Energien und artgerechte
Tierhaltung weiterzuentwickeln.
Förderpolitik soll zielorientiert und transparent sein.
Deshalb müssen künftig integrierte Entwicklungskonzepte zur Grundlage der gesamten Wirtschafts- und Regionalförderung werden. Auf dieser Basis ist es dann
auch sinnvoll, die Förderung der Marktstrukturverbesserung, der Diversifizierung und der Unternehmensgründung auf Kleinst- und Kleinunternehmen der ländlichen Wirtschaft zu begrenzen und dabei insbesondere
den Aufbau von Wertschöpfungsketten, Regionalvermarktung und Unternehmenskooperationen zu unterstützen.
Dorferneuerung und -entwicklung wollen wir zu einer qualifizierten Fördermaßnahme mit einer dauerhaften Struktur- und Beschäftigungswirksamkeit weiterentwickeln und die zusätzliche Aktivierung privater
Investitionen als Bewilligungsvoraussetzung stärker gewichten. Dazu muss die eigenverantwortliche Arbeit der
Leader-Aktionsgruppen deutlich gestärkt und die EinZu Protokoll gegebene Reden
führung von Regionalbudgets und revolvierenden Regionalfonds als Regelförderung vorangetrieben werden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3222 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. Oktober 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.