Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Plenarsitzung.
Es gibt einige interfraktionelle Vereinbarungen zur
Erweiterung unserer Tagesordnung. Ich verweise auf
die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte, bei denen von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit
erforderlich, abgewichen werden soll:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
zur Situation nach dem Auslaufen des
Finanzhilfeprogramms für Griechenland
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:
Rolle des Bundes beim Tarifkonflikt bei der
Deutschen Post AG
({0})
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren
({1})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksache 18/981
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({2})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft
effektiv gesetzlich sichern
Drucksache 18/5382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3})
Ausschuss Digitale Agenda ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes
Fundament stellen
Drucksache 18/5383
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({6})
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({7}) gemäß § 93a Absatz 3
der Geschäftsordnung
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 861/2007
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung ({9}) Nr. 1896/
2006 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
KOM({10}) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13
hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Ab-
satz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem Bundes-
tag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385,
18/3427, 18/5355, 18/5411
Präsident Dr. Norbert Lammert
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 210 zu Petitionen
Drucksache 18/5389
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 211 zu Petitionen
Drucksache 18/5390
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 212 zu Petitionen
Drucksache 18/5391
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 213 zu Petitionen
Drucksache 18/5392
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 214 zu Petitionen
Drucksache 18/5393
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 215 zu Petitionen
Drucksache 18/5394
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 216 zu Petitionen
Drucksache 18/5395
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 217 zu Petitionen
Drucksache 18/5396
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 218 zu Petitionen
Drucksache 18/5397
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 219 zu Petitionen
Drucksache 18/5398
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Die Sicherheitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes
und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse
der Parlamentarischen Staatssekretäre
Drucksache 18/4630
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({21})
Drucksache 18/5419
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen
Bildung umsetzen
Drucksache 18/5105
Die Tagesordnungspunkte 6 - hier geht es um die Beratung von Vorlagen zum Thema „Altersarmut Ost“
- und 30 - hier geht es um Vorlagen zum Thema „Fracking in Deutschland“ - sollen abgesetzt werden.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 17. Juni 2015 ({22}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss ({23}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland ({24})
Drucksache 18/5170
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({25})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen ein-
verstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
haben wir das so beschlossen.
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler,
Dr. Harald Terpe und weiteren Abgeordneten
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung
der Selbsttötung
Drucksache 18/5373
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({26})
Innenausschuss
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter
Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl
Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten
Lebensbeendigung ({27})
Drucksache 18/5374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({28})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring,
Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung
Drucksache 18/5375
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({29})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter
Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung
Drucksache 18/5376
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({30})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Tages-
ordnungspunkt setzen wir die Arbeit an einem der si-
cherlich anspruchsvollsten und zugleich schwierigsten
Gesetzgebungsprojekte dieser Legislaturperiode fort. Im
November vergangenen Jahres haben wir uns in einer
vierstündigen Orientierungsdebatte mit der Frage ausei-
nandergesetzt, wie der Staat seine unaufgebbare Ver-
pflichtung zum Schutz des Lebens und zum Schutz der
Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem ster-
benden Menschen wahrnehmen kann. Daraus sind die
vier Gesetzentwürfe entstanden, in deren Beratung wir
heute eintreten.
Die Antworten auf diese Frage kann nur jeder Abge-
ordnete für sich selber finden. Die Fraktionen haben
daher wie die Bundesregierung von vornherein darauf
verzichtet, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen, und es
stattdessen jedem einzelnen, jeder einzelnen Abgeordne-
ten überlassen, fraktionsübergreifend seine eigene Posi-
tion zu formulieren und dafür jeweils Unterstützung zu
gewinnen.
Ich trage das insbesondere auch für unsere Besuche-
rinnen und Besucher und die Zuhörer bei den elektroni-
schen Medien vor, weil sich daraus ein etwas unüblicher
Debattenablauf ergibt. Die Aufteilung der nach der inter-
fraktionellen Vereinbarung vorgesehenen Debattenzeit
von 120 Minuten soll sich im Wesentlichen nach dem
Stärkeverhältnis der Anzahl der Unterzeichner der je-
weiligen vier Gesetzentwürfe richten. Das ist, wie Sie
alle wissen, eine Abweichung von unserem sonstigen
Verfahren, die aber diesem Thema und der geschilderten
Entstehung dieser Gesetzentwürfe Rechnung trägt.
Die vier von mir zu Beginn genannten Gesetzent-
würfe haben genügend Unterstützung gefunden, um
nach unserer Geschäftsordnung heute in erster Lesung
beraten werden zu können. An diese heutige Debatte
wird sich eine intensive Befassung in den Ausschüssen
anschließen, bevor wir dann im Herbst dieses Jahres
werden entscheiden müssen, ob und gegebenenfalls wel-
che Ergänzungen oder Korrekturen der geltenden
Rechtslage erfolgen sollen.
Ich will ergänzend darauf hinweisen, dass es die Ver-
einbarung gibt, dass die Reden der Kolleginnen und Kol-
legen, deren Redewunsch im Rahmen dieser zwei Stun-
den nicht berücksichtigt werden kann, in einem einer
Redezeit von fünf Minuten entsprechenden Umfang zu
Protokoll gegeben werden können. Ich vermute, dass Sie
auch mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. - Das
ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so.1)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als
erstem Redner dem Kollegen Michael Brand.
({31})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in der Orientierungsdebatte im November des
letzten Jahres und danach eine würdige Debatte um Sterbebegleitung, um die Würde des Lebens auch an seinem
Ende geführt. Die gesellschaftliche Erörterung des Themas Sterben haben wir dadurch ein gutes Stück aus der
Tabuzone holen können. Auch was die Debatte unter uns
Abgeordneten angeht, bin ich sehr froh und möchte
heute dafür danken, dass wir gerade auch bei unterschiedlichen Haltungen den Respekt voreinander gepflegt haben.
({0})
1) Anlage 2
Schon weit vor der Debatte vom letzten November
haben wir in einer Gruppe von Abgeordneten aus allen
Fraktionen immer wieder die Frage erörtert: Wie können
wir erreichen, dass starker Schutz und die gute Begleitung am Ende des Lebens auch miteinander harmonieren? Wir suchten dabei von Anfang an die richtige Mischung aus menschlichen und medizinischen Antworten,
nämlich bestehend aus einer deutlichen Stärkung der
Palliativ- und Hospizversorgung, guter Pflege und Ausbildung sowie vor allem menschlicher Zuwendung für
die Menschen in Not, für die Sterbenden.
Unser Leitsatz war und ist: Sterbende sollten an der
Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen sterben.
({1})
Es ist ein tiefer Respekt vor der Einzigartigkeit und der
Würde eines jeden Menschen, der zu dem Gesetzentwurf
geführt hat, den wir Ihnen heute vorschlagen. Dabei ist
wichtig: Angehörige und nahestehende Personen behalten den Status wie bisher; wir wollen hier keine Verschärfung. Das gilt auch für Ärzte. Wir schützen mit unserem Gesetz das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt
und Patient auch in der finalen Phase; denn wir wissen:
Das Strafrecht kann auch gar nicht jeden Einzelfall lösen.
({2})
Wir wollen lediglich die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe
von Vereinen oder Einzelpersonen - die auf Wiederholung angelegt ist - verbieten, nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Unser Ansatz ist ein Weg der Mitte: Wir wollen
weder weitreichende neue Strafbarkeiten wie ein Totalverbot noch die Öffnung hin zum ärztlich assistierten
Suizid oder gar mehr. Die inzwischen über 210 Abgeordneten, die unseren Ansatz unterstützen, wollen auch
einen Weg der Mitte: maßvoll, sensibel, ohne auf der einen oder auf der anderen Seite zu weit zu gehen.
Wir wollen die Risiken vermeiden, die wir in Nachbarländern entdeckt haben. Die enorme, steigende Zahl
der Todesursache Suizidbeihilfe oder gar Töten auf Verlangen in einigen Nachbarländern gibt Anlass zur Sorge
auch mit Blick auf die Ausweitung von Suizidbeihilfe in
Deutschland.
Nach eingehender Analyse haben wir uns auf nur
zwei Dinge konzentriert:
Erstens soll das geschäftsmäßige Angebot von Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt und damit eine Regelungslücke geschlossen werden, die inzwischen offen
ausgenutzt wird. Als die Regelung von Suizid im Jahre
1871 eingeführt wurde, konnte von geschäftsmäßig arbeitenden Sterbehilfevereinen oder Einzelpersonen niemand etwas wissen.
Das Zweite, auf das wir geachtet haben: Wir wollen
keine Öffnung zum ärztlich assistierten Suizid, sondern
stattdessen einen Ausbau der Hilfen, und zwar flächendeckend. Wir wissen um die großartigen Möglichkeiten
moderner palliativer Medizin, und wir wissen um die segensreiche Wirkung der Hospizbewegung. Hier sind sich
alle Gruppen im Deutschen Bundestag einig: Wir wollen
diese Hilfen verstärken, und wir zollen allen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren allergrößten Respekt.
({3})
Für uns sind es zwei Seiten ein und derselben Medaille:
Wir wollen helfen, und wir wollen schützen.
Dabei ist darauf zu achten, dass es keine falschen
Kompromisse gibt. Wir wollen - wie die große Mehrheit
der Ärzteschaft - auf keinen Fall, dass Beihilfe zum Suizid zu einer regulären Option ärztlichen Handelns wird.
Das aber droht, wenn wir diese Tür öffnen. Wird diese
Tür einen Spalt breit geöffnet, ist der Fuß erst einmal
drin, dann wird die Tür immer weiter geöffnet; das zeigt
die traurige Entwicklung in Nachbarländern, die auch
mit engen Kriterien begonnen haben. Die Kriterien - sie
halten einfach nicht, sie werden aufgeweicht. Wir wissen
inzwischen: Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage. Viele Tausend sterben so inzwischen jedes Jahr in
Belgien, in den Niederlanden und auch in der Schweiz.
Jüngstes Beispiel - und wohl nicht das Ende der Entwicklung - ist ein Fall aus Belgien, bei dem einer ansonsten völlig gesunden 24-Jährigen wegen ihres Suizidwunsches von Ärzten aktive Hilfe beim Suizid
angeboten wurde. Laut dem dort auch so genannten
Euthanasiegesetz ist das in Belgien erlaubt, wenn sich
ein Mensch - ich will das zitieren - „in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und auf ein anhaltendes, unerträgliches körperliches oder psychisches Leid
zurückblickt“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist
das mit den sogenannten „engen Kriterien“, die weit
dehnbare Begriffe wie „unerträglich“ beinhalten: Auch
vermeintlich enge Kriterien halten nicht, sie werden immer weiter gedehnt.
({4})
Wir wollen solch eine Entwicklung nicht. Wir wollen
vielmehr die Selbstbestimmung von Menschen in Not
schützen und eben keine Entwicklung, die Menschen mit
ihrer Not und ihrer Last alleine lässt; das kann niemand
wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sterbende
begleitet: Ich bin mit einem durch ein jahrzehntelanges
Krebsleiden schwer gezeichneten Vater aufgewachsen.
Wir haben es uns mit diesem Gesetzentwurf nicht einfach gemacht - weil es hier keine einfachen Antworten
gibt. Aber eines haben wir getan: Wir wollen die schleichende Ausweitung eines geschäftsmäßigen Umgangs
mit dem Sterben eindämmen. Verzweifelten Menschen
sollte man die Verzweiflung nehmen, nicht das Leben.
Wir wollen die Würde bewahren, wir wollen schützen
und helfen. Helfen Sie uns dabei!
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir über ein Leben in Würde und ein
Sterben in Würde sprechen, dann muss uns klar sein,
dass wir zuallererst Hilfe für die Menschen brauchen,
die von Leid, Schmerzen und Einsamkeit betroffen sind.
Wir brauchen bessere Informationen und eine Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten und auch über das
Recht auf Abbruch von Therapien. Daneben brauchen
wir Wissen über die besonders wichtige Bedeutung von
Patientenverfügungen und einen Ausbau der Hospizarbeit und der Palliativmedizin. Es ist sehr gut, dass wir
uns hierüber alle einig sind.
Heute sprechen wir darüber, was rechtlich geändert
werden muss. Mit unserem Gruppen-Gesetzentwurf
wollen wir die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Ich stimme meinem Kollegen
Michael Brand zu: Wir schlagen einen Weg der Mitte
vor. Das garantiert unser Gesetzentwurf. Er sagt ein klares Nein zu Vereinen und Einzelpersonen, die wiederholt
und als Geschäft Sterbehilfe betreiben. Gleichzeitig sichert unser Gesetzentwurf, dass die bestehenden ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten erhalten bleiben, und
das ist uns sehr wichtig.
({0})
Die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospizund PalliativVerband, die Deutsche Stiftung Patientenschutz und viele Menschen, die in Hospizen und in der
ambulanten und stationären Palliativversorgung arbeiten, haben uns bei diesem Gesetzentwurf beraten und
unterstützt. Herzlichen Dank dafür.
({1})
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig ändern wollen.
Wir wollen deshalb nur so wenig wie möglich ändern,
weil wir in Deutschland gute gesetzliche Grundlagen haben. Unser Gesetzentwurf garantiert, dass es so bleibt.
Der Suizid und damit auch die Beihilfe zum Suizid bleiben straffrei. Das zu ändern, wie es im Gesetzentwurf
Sensburg vorgeschlagen wird, wäre falsch.
({2})
Auf der anderen Seite ist es richtig, dass die Tötung auf
Verlangen, also die aktive Sterbehilfe, wie bisher strafbar bleibt.
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Der ärztliche
Freiraum, den es heute gibt und der sicher ist, soll erhalten bleiben; denn die Ärztinnen und Ärzte müssen in
schwierigen ethischen Situation individuell helfen und
entscheiden können, und das geht auch heute schon.
({3})
Auch heute sind die passive Sterbehilfe, die indirekte
Sterbehilfe und auch die palliative Sedierung schon erlaubt, weil es die Absicht der Ärztinnen und Ärzte ist,
Schmerzen zu lindern. Unser Gesetzentwurf schafft kein
Sonderrecht für Ärzte. Sie werden weder kriminalisiert,
({4})
noch sollen sie besondere Rechte erhalten.
({5})
Wir formulieren ausdrücklich, dass die Absicht der
Förderung der Selbsttötung, also das Ziel des Todes, vorliegen muss, damit eine Handlung strafbar ist. Ich sage
es noch einmal ganz konkret: Der Onkologe auf der
Krebsstation, die Ärztin auf der Palliativstation und die
ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter in der Hospizarbeit machen sich nach diesem Gesetzentwurf nicht strafbar. Ihre Absicht ist die Linderung von Leid und
Schmerzen, auch wenn es, wie bei der palliativen Sedierung, sein kann, dass das Leben in manchen Fällen verkürzt wird. Aber der Tod ist eben nicht das Ziel und die
Absicht, und damit bleibt dies nicht strafbar.
({6})
Was meinen wir damit, dass wir nur so viel wie nötig
ändern? Unser Gesetzentwurf bewirkt, dass die Tätigkeit
sogenannter Sterbehilfevereine oder von Einzelpersonen, die geschäftsmäßig, also wiederholt und als Hauptzweck ihrer Tätigkeit, die Selbsttötung von Menschen
fördern und vermitteln, unter Strafe gestellt wird. Ganz
klar ist: Wir wollen kein Geschäft mit dem Tod, wir wollen keine Normalisierung des assistierten Suizids, der
quasi als Dienstleistung unter bestimmten Bedingungen
abrufbar ist.
({7})
Wir haben die Sorge, dass dann, wenn das Normalität
wäre, der Druck auf Menschen in verzweifelten Situationen steigen würde und dass aus der Angst, jemandem
zur Last zu fallen, zu schnell der Wunsch nach dem Tod
entstünde, obwohl doch eigentlich Hilfe möglich wäre.
Die Entwicklung in anderen Ländern Europas zeigt, dass
das passiert. Wir wollen keine Hilfe zum Sterben, sondern wir wollen Hilfe beim Sterben.
({8})
In Deutschland betreibt ein sogenannter Sterbehilfeverein den assistierten Suizid. Er bietet ihn nicht nur
schwerkranken Menschen, sondern auch lebensmüden
und psychisch kranken Menschen an, was ich für besonders verwerflich halte. Man bekommt bei „Sterbehilfe
Deutschland“ die Suizidbegleitung, wie es in der Satzung heißt, besonders zügig, wenn man 7 000 Euro bezahlt. Für 2 000 Euro muss man ein Jahr warten und für
200 Euro jährlich mindestens drei Jahre. Dieses Geschäft mit dem Tod halte ich für ethisch nicht tragbar.
({9})
Die Tätigkeit solcher Vereine muss unterbunden werden übrigens auch dann, wenn sie kein Geld damit verdienen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf ein
würdiges und selbstbestimmtes Ende des Lebens ist allen Menschen wichtig. Die Achtung vor dem Leben
- auch vor dem leidenden, dem schwerkranken und dem
behinderten Leben - gehört zur Selbstbestimmung dazu.
Ich möchte in einer sorgenden und solidarischen Gesellschaft leben und alt werden, in der die Antwort auf Einsamkeit, Leid und Not nicht der assistierte Suizid im
Angebot, sondern Hilfe, Betreuung und eine sehr gute
Palliativversorgung ist. Zu einer humanen Gesellschaft
gehört das Sterben in Würde und nicht die Dienstleistung „Suizid auf Abruf“ nach bestimmten Bedingungen.
({10})
Wenn man, wie das in einem anderen Gesetzentwurf
gefordert wird, im BGB Bedingungen festschreibt, nach
denen der Arzt Hilfe zum Suizid leisten soll, würde damit keine Rechtssicherheit geschaffen; das will ich ausdrücklich sagen. Erstens. Ärzte haben schon heute viele
Möglichkeiten, beim Suizid zu helfen. Es ist noch nie
ein Arzt für das, was er in diesem Zusammenhang getan
hat, belangt worden. Außerdem bleibt es eine Gewissensentscheidung des Arztes, und zwar im Dialog mit
dem Patienten und nur mit seinem Einverständnis. Zweitens. Die Auflistung von Bedingungen im BGB, nach
denen der Arzt Beihilfe zum Suizid leisten soll, würde
eine ethische Normverschiebung bedeuten, die wir nicht
wollen.
Frau Kollegin.
Wir stellen uns mit unserem Gesetzentwurf einer gesellschaftlichen Normalisierung und einer Ausweitung
des assistierten Suizids entgegen und bitten dafür um
Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Seit 150 Jahren, seit dem deutschen
Kaiserreich, ist die Hilfe zum Suizid straflos. Dieser
Grundsatz muss auch in einem demokratischen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts weiter gelten.
({0})
Nicht Staatsanwälte gehören ans Krankenbett, sondern
liebende Angehörige und vertrauensvoll zugewandte
Ärzte. Das Recht des leidenden Menschen, zu entscheiden, ob er die Qual seines Todeskampfes noch ertragen
kann, muss unser Maßstab sein.
Mir erzählte gestern ein Kameramann spontan von einem Bekannten, dessen Gesicht von einem Tumor zerfressen war. Im Rahmen der Palliativmedizin war nichts
mehr zu machen. In seiner Verzweiflung sprang dieser
Mensch aus dem Krankenhausfenster. Er starb durch den
Aufprall. - Wir wollen nicht, dass sich ein verzweifelter
Todkranker aus dem Fenster stürzen muss, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Die große Mehrheit der Bevölkerung und die große
Mehrheit der Strafrechtswissenschaft lehnen eine Strafverschärfung ab. Der Bundestag sollte der Anwalt der
Menschen, der Anwalt der Bürger sein.
({2})
Ein Wort zum Mitte-Gesetzentwurf - so nennt er sich
selbst - der Kollegen Brand und Griese. Darin heißt es,
es gehe lediglich um ein Verbot der geschäftsmäßigen
Suizidhilfe. Was aber ist „geschäftsmäßige Suizidhilfe“?
Geschäftsmäßige Suizidhilfe ist wiederholte Suizidhilfe.
({3})
Das heißt, ein Arzt, der einmal bei einem Suizid geholfen hat und gefragt wird, ob er das vielleicht noch einmal
tun würde, macht sich schon strafbar.
({4})
Wenn er es zweimal macht, macht er sich schon strafbar.
({5})
Wer das nicht glaubt, der schaue bitte in den Gesetzentwurf der Kollegen Brand und Griese auf Seite 21. Das
steht dort in der Begründung; das haben Sie selber netterweise dort geschrieben.
Der Begriff „geschäftsmäßig“ ist im deutschen Recht
klar definiert. Er bedeutet „wiederholte Tätigkeit“.
({6})
Wer könnte wiederholt tätig werden? Die Menschen, die
Sterbende begleiten, also Palliativmediziner, die sich um
die Linderung von Schmerzen bemühen, Onkologen, die
sich um die Heilung einer Krebserkrankung kümmern.
Wollen wir sie vor die Wahl stellen, ob sie, wenn sie einmal in ihrem Leben einem Menschen geholfen haben, zu
sterben, dies noch ein zweites Mal tun würden, oder sollen sie unter die Strafandrohung im Brand/Griese-Gesetzentwurf fallen, der es ihnen verbieten würde? Das
wollen wir nicht.
({7})
Das zerstört das Arzt-Patienten-Verhältnis. Unsere
Ärzte stehen den Patienten bei. Sie versuchen, sie zu heilen. Sie versuchen, Schmerzen zu lindern. Sie machen
alles in ihrer Macht Stehende, um Menschen ein Leben
und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Die Ärzte
verdienen unser Vertrauen und keine neuen Strafvorschriften, die sie verunsichern, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({8})
Die Bevölkerung hat es nicht verdient, dass man sie
mit Angstparolen
({9})
von einem großen gesellschaftlichen Druck, der dadurch
entstehen würde, und einer Tendenz, die die Menschen
dazu treiben würde, verschreckt. Nein, die Menschen
wollen selbstbestimmt leben; das ist der Kern der Menschenwürde. Sie wollen auch in der schlimmsten Phase
ihres Lebens, im Sterbeprozess, entscheiden, ob sie dieses Sterben ertragen oder ob sie den Arzt bitten können,
ihnen zu helfen, friedlich zu entschlafen, was jeder
Mensch will. Die Selbstbestimmung ist der Kern der
Menschenwürde. Sie gilt gerade auch am Ende des Lebens.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns geht es um die
Situationen, in denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt. Sie sind selten, aber es gibt sie, und dann sind
sie besonders bedrängend. Es geht in diesen Fällen nicht
um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie des Sterbens: qualvoll oder friedlich? Dabei gilt für mich: Leiden ist immer sinnlos. Leiden müssen wir abwenden.
({11})
Unsere Regelung sieht vor, dass todkranke und
schwer leidende Menschen ihren Arzt des Vertrauens um
eine freiwillige Hilfe zum friedlichen Entschlafen bitten
dürfen, wenn sie umfassend über alle palliativen Möglichkeiten beraten worden sind und ein anderer Arzt
diese Diagnose bestätigt hat. Damit wollen wir Ärzten
für ihre Gewissensentscheidung eine sichere Grundlage
geben, und durch diese Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch wollen wir sicherstellen, dass sie keine standesrechtlichen Sanktionen erdulden müssen. In manchen
Ländern in Deutschland müssen sie das schon heute
nicht, zum Beispiel im liberalen Bayern, was sehr erfreulich ist. Das, was in Bayern gilt, soll in ganz Deutschland
gelten, nämlich dass der Arzt das Recht auf diese Gewissensentscheidung hat.
({12})
Zwei zentrale Gebote tragen unsere Werteordnung:
das Gebot der Menschenwürde und das Gebot der
Nächstenliebe. Diese Gebote nehmen uns in die Pflicht,
todkranken Menschen beizustehen und vorm Leiden zu
bewahren.
Die Alternative heute ist klar: Bevormundung durch
Strafandrohung oder Selbstbestimmung als Kern der
Menschenwürde auch am Lebensende. Unser Gesetzentwurf steht für den Schutz der Gewissensentscheidung
von Ärzten, die todkranken Patienten dabei helfen wollen, friedlich zu entschlafen. Ich bitte Sie sehr um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf.
({13})
Renate Künast ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, auch die,
die zuschauen oder oben sitzen! Ich glaube, es geht um
ein Thema, das sehr viele Menschen bewegt. Ich denke,
viele von uns haben es persönlich in vielen Gesprächen
in der letzten Zeit - auch wegen unserer Debatte - erlebt,
dass einen Menschen ansprechen und Veranstaltungen
zu dem Thema übervoll sind. Alle fragen sich: Was ist
ein würdiges Ende für mich selbst? Alle fragen sich oder
erleben bei Freundinnen, Freunden, Ehepartnern und Familienangehörigen, wie ein würdiges Ende aussehen
kann. Auch bei Krebskranken zum Beispiel ist die Frage
immer wieder präsent.
Mir haben sehr viele Leute gesagt, dass es nicht ausreicht und ihnen nicht hilft, zu wissen, dass es eine gute
Palliativmedizin gibt, weil auch die irgendwann an ihre
Grenzen kommt, abgesehen davon, dass die Palliativversorgung in Deutschland noch lange nicht überall gleichermaßen gut ist.
Mir ist aber auch aufgefallen, wie viele Leute einen
ansprechen und sagen: Das entscheiden wir selber und
nicht ihr als Deutscher Bundestag.
({0})
Viele Leute sagen: Das sollt nicht ihr regeln; wir machen
das selbstverantwortlich. Wir leben selbstverantwortlich,
und wir entscheiden selbst und im Gespräch mit unseren
Angehörigen über die letzten Tage, Wochen und Monate
unseres Lebens.
({1})
Deshalb fragen sich viele, was wir hier eigentlich für
Debatten führen. Ich glaube, dass wir als Deutscher Bundestag uns in dieser Debatte nicht nur über Gefahren Gedanken machen müssen - das müssen wir immer -, sondern auch darüber, was uns selbst als Motiv in der
Debatte treibt. Ich habe es an dieser Stelle schon einmal
gesagt: Wir sollen nicht das im Strafgesetzbuch regeln,
was wir selbst für richtig oder falsch halten, für uns selber und unsere Entscheidung, sondern wir sollen das regeln, was ein Gesetzgeber unserer Meinung nach tun
darf.
Wenn wir zu viel regeln und zu viel einschränken,
nehmen wir den Menschen die Möglichkeit der Ausübung ihrer Selbstbestimmung am Lebensende, weil wir
ihr Umfeld kriminalisieren.
({2})
Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende
der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat für sich
selber eine Entscheidung getroffen. Er meint: Suizid
geht nicht. Und er würde auch keinen anderen fragen.
Aber die Erkrankung seiner Frau hat, fand ich, eine
spannende Differenzierung gebracht, indem er gesagt
hat: Mir steht es nicht zu, und ich habe deshalb wider
meine eigene moralische Kategorie meiner Frau gesagt:
Ich fahre dich dort hin oder helfe dir, wenn du das ernst11042
haft von mir erbittest. - Ich finde, diese Haltung müssen
wir als Bundestag ebenfalls einnehmen. Wir dürfen die
Türen nicht dort schließen, wo sie bereits heutzutage offen sind und wo es Chancen gibt. Herr Brand, Sie haben
gesagt: Keine Tür aufmachen. - Falsch, Herr Brand! Die
Tür ist bereits offen. Aber wir als Deutscher Bundestag
dürfen die Tür nicht dort zuschlagen, wo Menschen eine
Beratung und ein Gespräch wollen.
({3})
Mich hat beeindruckt, wie viele Menschen - dazu gehört
auch Hans Küng, ein gläubiger Mensch und überzeugter
Christ - das ebenfalls sagen. Es gibt aber auch Phasen
am Ende eines Lebens, in denen man sich anders entscheiden könnte.
Was ist unsere Aufgabe? Ich glaube, unsere Aufgabe
ist, nicht das Strafgesetzbuch zu ändern, sondern Beratung und Hilfe anzubieten und Suizidprävention zu betreiben. Aber warum tun wir das dann nicht, Frau
Griese? Warum stellen wir in den Kern unserer Bemühungen nicht Suizidprävention, eine andere Palliativmedizin und Hilfe für Menschen in bestimmten Lebenssituationen und schauen dann in ein paar Jahren, ob es
überhaupt eine Notwendigkeit gibt, das, was seit 1871
im deutschen Strafgesetzbuch gilt, zu ändern? Ich verstehe den in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Ablauf
nicht.
Ich glaube, Menschen brauchen keine Regeln, die in
Paragrafen gegossen sind und ihrem Umfeld Probleme
bereiten, selbst dem behandelnden Arzt. Ein Onkologe
beispielsweise, der in diesem Zusammenhang auf Wiederholung angelegte Handlungen begeht, muss gemäß
den anderen Gesetzentwürfen mit Nein antworten, weil
er sich sonst dem Vorwurf der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aussetzt. Schauen Sie sich Ihre
Definition von „geschäftsmäßiger Förderung“ an. Man
kann sogar ein Geschäft machen, ohne dass Geld fließt.
„Geschäftsmäßig“ bedeutet nach Ihrem Gesetzentwurf,
dass sich ein Arzt strafbar macht, wenn er es dreimal gemacht hat; da hat der Kollege Hintze recht.
Was die Menschen brauchen, sind Offenheit und Beratung. In meinem ersten Leben war ich Sozialarbeiterin.
Spätestens seit dieser Zeit weiß ich: Eine gute Beratung
setzt Offenheit voraus. Ein Arzt darf deshalb nicht als
Erstes sagen müssen: Nein, das mache ich nicht. - Vielmehr muss er sagen dürfen: Schauen wir einmal, ob wir
dorthin kommen; ich schließe es nicht aus. - Oder der
Arzt könnte antworten: Versuchen wir es mit bestimmten
Mitteln; reden wir später erneut darüber. - Nach meiner
Meinung ließe sich mit einer solchen Offenheit viel
mehr Suizidprävention betreiben. Lassen wir die betreffenden Menschen doch nicht allein, auch wenn wir in religiöser Hinsicht anderer Auffassung sind.
({4})
Ich glaube, dass Sie auch den Ärzten an dieser Stelle
keinen Gefallen tun. Nach meiner Auffassung enthält
das geltende Strafgesetzbuch eine gute Regelung, weil
sie - anders als im Gesetzwurf Hintze - keine Engführung bei Definition und Prognose vornimmt. Auch Menschen, die unter einer schweren Krankheit leiden, die
laut Prognose in den nächsten Wochen und Monaten
nicht zwingend zum Tod führen wird, müssen die Möglichkeit einer ordentlichen Beratung haben. Wir müssen
uns selbst bei Menschen, die Suizid begehen wollen, mit
der Frage auseinandersetzen, wie sie das in Würde tun
können. Auch das liegt nach meiner Auffassung in unserer Verantwortung. Mich erschrecken die Bilder von
Menschen, die sich - das haben auch schon Prominente
getan - vor den Zug werfen. Ich halte das für unwürdig.
Mich trifft emotional ebenfalls, wenn ich sehe, wie viele
Lokomotivführer nach einem solchen Vorfall psychisch
völlig fertig sind und aus dem Berufsleben ausscheiden
müssen. Wir haben auch Verantwortung für diejenigen,
die erwachsen sind und entschlossen sind, Suizid zu begehen. Das sollten die Betreffenden in Würde tun können, ohne andere zu belasten.
({5})
Ich meine, dass es keine Strafbarkeitslücke gibt. Das
Strafrecht, dessen Regelungen seit rund 140 Jahren bestehen, muss Ultima Ratio sein. Wir dürfen das nicht für
andere bindend regeln. Wir dürfen nicht unsere eigene
Überzeugung zur Grundlage unserer Entscheidungen
machen; denn das Grundgesetz sieht nicht vor, dass unser aller Entscheidung umgesetzt wird, sondern, dass das
Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen respektiert wird, sowohl im Leben als auch im Sterben.
Nach all diesen Überlegungen sage ich Ihnen: Unser
Gesetzentwurf ist der Entwurf von Maß und Mitte. Unser Gesetzentwurf orientiert sich am stärksten an der geltenden Rechtslage. Die Selbsttötung soll weiterhin straflos bleiben, genauso wie die Hilfe dazu.
({6})
Wir setzen nicht auf Regeln, die beschränken. Wir
schreiben nicht vor, dass es eine Prognose geben muss,
wonach man in wenigen Wochen nach schwerem Leiden
und unter großen Schmerzen stirbt. Unser Kriterium
bringt das zum Ausdruck, was im Grundgesetz verankert
ist, nämlich dass Hilfe bei freiverantwortlicher Selbsttötung zulässig ist. Was ist Freiverantwortlichkeit? Juristen
verstehen das so: Es heißt Volljährigkeit, und es heißt,
dass man nicht psychisch erkrankt ist, also seinen Willen
wirklich frei äußern kann. Das sind die Kriterien. Wenn
diese erfüllt sind, ist eine Beihilfe straffrei.
Wir nehmen in unserem Gesetzentwurf auch eine
Sorge auf, die manche äußern, nämlich die Sorge, dass
Menschen mit Beratung und Beihilfe Geld verdienen
wollen, was ein neues Motiv in die Angelegenheit einführen würde. Deshalb haben wir nach langen Überlegungen gesagt, dass gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung bestraft werden soll. Gewerbsmäßig heißt nach
juristischer Definition: Wer in der Absicht, sich selber
oder einem Dritten eine fortlaufende Einnahmequelle
von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen
will, der handelt gewerbsmäßig. Wer in dieser Absicht
handelt und Beihilfe leistet, der macht sich strafbar. Ich
glaube, dass wir genug getan haben, um diese Sorge auszudrücken und eine kleine Mauer zu bauen. Damit das
finanzielle Interesse nicht als Eigeninteresse in die Beratung hineinspielt, wollen wir da eine Sperre setzen.
Ansonsten fordern wir in unserem Entwurf - damit ist
er, wie ich glaube, am nächsten an der Realität -, dass es
detaillierte Pflichten zur Beratung und Dokumentation
gibt. Es geht uns um transparente Beratung. Diejenigen,
die schon heute eine gute Beratung anbieten, arbeiten
bereits transparent. So sollen zum Beispiel zwischen den
beiden Beratungen 14 Tage liegen, damit man wirklich
sieht, ob jemand freiverantwortlich und aus freier Entscheidung handelt oder ob er oder sie aus einem Augenblick der Trauer heraus gehandelt hat, der ihn oder sie zu
der Entscheidung bewegt hat.
Ich glaube, mit diesen beiden Regeln, nämlich einer
klaren Dokumentationspflicht und den Beratungskriterien sowie dem Verhindern, dass jemand Geld damit verdient, haben wir an dem, was 140 Jahre im Strafgesetzbuch gegolten hat, genug geändert. Auf der anderen
Seite sind wir der im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmung gerecht geworden.
({7})
Menschen in großer Not ist nicht geholfen, wenn wir
mit lauter Paragrafen die Möglichkeiten, ihnen zu helfen, eingrenzen, sondern denen ist damit geholfen, wenn
wir ihnen eine Hand reichen. Sie brauchen mehr Fürsorge und nicht mehr Strafrechtsparagrafen. Sie brauchen die Verlässlichkeit, dass sie Fürsorge, Unterstützung und Kontakte erhalten. Sie müssen sich darauf
verlassen können, dass sie dann, wenn sie es nicht mehr
aushalten, Hilfe bekommen und nicht in die Schweiz
fahren müssen. Von Belgien und Holland wollen wir gar
nicht reden; darüber diskutiert hier keiner. Ich finde, dass
ein Mensch das Recht hat, am Ende, wenn er oder sie
meint, es nicht mehr aushalten zu können, professionelle
Hilfe zu bekommen. Dessen muss er sich gewiss sein.
Frau Kollegin.
Ich glaube, dass wir ethisch verpflichtet sind, den
Menschen diese Tür nicht vor der Nase zuzuschlagen.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Sensburg.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute darüber, ob ein Dritter
einem Selbstmordwilligen bei seiner Tat Hilfe leisten
soll, Hilfe leisten darf. Ich glaube, alle Gruppen haben es
sich nicht leicht gemacht und haben nach bestem Gewissen bei der Formulierung ihrer Gesetzentwürfe gehandelt.
Unsere Gruppe hat einen Entwurf zur heutigen Debatte gestellt, mit dem die Suizidassistenz verboten werden soll. Ich glaube, es ist ein kluger Entwurf. Gerade ist
gesagt worden, dass sich der Bundestag zum Anwalt der
Menschen machen muss. Ich glaube, lieber Peter Hintze,
dass er sich insbesondere zum Anwalt der Schwachen
machen muss.
Wir sind mit dieser Regelung nicht alleine, wenn der
Gesetzentwurf angenommen würde. In vielen anderen
europäischen Ländern ist die Suizidassistenz verboten;
in Österreich, in Italien, in Finnland, in Spanien, in
Polen und in England haben wir vergleichbare Regelungen. Es ist also keine Sonderregelung. Wir haben uns bei
unserem Vorschlag sehr an der österreichischen Regelung orientiert.
Wir sind auch gar nicht weit von dem, was die Menschen denken, entfernt. Eine Umfrage von Infratest
dimap hat ergeben, dass 93 Prozent der Bürgerinnen und
Bürger der Auffassung sind, dass es verboten sei, jemandem zu helfen, einen Selbstmord zu begehen. Unser Gesetzentwurf spiegelt also das wider, was die Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger denkt. Warum denkt sie
das? Weil sie in dieser Handlung einen eigenen Unwertgehalt sieht. Denn es ist keine, wie oft gesagt wird, humanitäre Tat, einem Menschen dabei zu helfen, sich umzubringen. Es ist eine humanitäre Tat, ihm in einer
schweren Lebenslage zur Seite zu stehen. Es ist nicht,
wie es gerade gesagt worden ist, humanitär, dabei zu helfen, den im Kopf vorhandenen Selbstmordwunsch umzusetzen; humanitär ist vielmehr, einem Menschen in
Gesprächen zu helfen und ihn dazu zu bewegen, sich
nicht umzubringen. Wenn jemand in der letzten Lebensphase ist - mit Leid, auch mit Schmerz -, dann ist es
eine humanitäre Tat, ihm beizustehen, vielleicht wochen-, monatelang am Bett zu bleiben und diese Phase
gemeinsam zu durchleiden. Eine Alternative dazu ist es
nicht, den schnellen Tod durch ein Sterbemittel zu ermöglichen, indem man es zur Verfügung stellt. Das ist
der Ansatz des Gesetzentwurfs unserer Gruppe.
Wir wissen, dass die Stärkung der Palliativmedizin
der richtige Ansatz ist, dass die Ermöglichung von
Schmerzmitteln eine Hilfe bietet, auch dann, wenn sie
Leben verkürzt. All das soll auch nach dem Gesetzentwurf unserer Gruppe weiter möglich sein. Denn in der
letzten Lebensphase - mit Leid und Schmerz - wollen
diejenigen, die sagen: „Ich will so nicht mehr leben“, in
der Regel einen schnellen und einen schmerzfreien Tod.
Deswegen werden sie im Zweifel nach dem Arzt fragen.
Wir haben es gerade bei den Ausführungen vom Kollegen Michael Brand gehört: Sobald wir als Gesetzgeber
eine Öffnung regeln, sobald wir Fallkonstellationen zu
berücksichtigen versuchen, sobald wir versuchen,
Krankheiten oder bestimmte Lebenssituationen im Gesetz abzubilden, öffnen wir eine Tür, die den Einzelfällen nicht gerecht wird.
({0})
Wir glauben, dass wir nur mit einem Verbot grundsätzlich Klarheit schaffen können. Ansonsten werden wir erleben, wie es in dieser Debatte schon der Fall war, dass
wir darüber streiten, was der einzelne Gesetzentwurf eigentlich meint. Es ging ja damit los, dass sich gegenseitig vorgeworfen wurde: Ihr meint dieses; ihr habt diese
Fälle im Kopf. Ihr meint jenes. - Das wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht.
Ich glaube, dass wir mit unserem Gesetzentwurf eine
klare Wertentscheidung treffen - das wird vom Gesetzgeber verlangt: eine klare Wertentscheidung -, indem
wir in besonderen Ausnahmefällen, wo schweres Leiden
besteht, wo keine Heilungsmöglichkeit mehr vorliegt
und wo auch Schmerztherapien nicht helfen - wir reden
von sehr wenigen Fällen in Deutschland, wo wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern dieser Welt eine exzellente Medizin haben -, wo tatsächlich Suizidassistenz in
der Verantwortung der beteiligten Personen geleistet
wird, nicht zu einer Strafbarkeit kommen, weil hier
- wenn diese Fälle vorliegen, aber auch bitte nur dann ein Schuldausschließungsgrund vorliegt. Ich wünsche
mir, dass wir in diesen wenigen Ausnahmefällen, denen
wir alle, glaube ich, sehr nahe sind, kein Verbot, keine
Strafbarkeit vorsehen sollten. Wir sollten hieraus aber
keine allgemeine Regelung ableiten, weil wir sonst dahin kommen, dass auch Personen, die kerngesund sind,
dafür infrage kommen, Suizidassistenz zu erhalten. Das
möchte ich nicht, und darum bitte ich, sich mit unserem
Gesetzentwurf näher zu beschäftigen.
Danke schön.
({1})
Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir, alle bisherigen Rednerinnen und
Redner, die die verschiedenen Gesetzentwürfe vorgestellt haben, sind uns in einem einig: Wir alle wollen
nicht, dass mit dem Sterbewunsch von Menschen ein
Geschäft gemacht wird. Das ist bisher in allen Reden
zum Ausdruck gebracht worden. Worin wir uns aber
nicht mehr einig sind, ist, wie dies am besten geregelt
werden kann.
Man kann es sich in der Frage, wie man mit Menschen umgehen soll, die sich das Leben nehmen wollen,
natürlich einfach machen, indem man sagt: Ich glaube,
dass das Leben von Gott kommt und der Mensch kein
Recht hat, es selbst zu beenden. Deshalb darf auch niemand dabei helfen. - Ich teile diese Vorstellung ausdrücklich nicht. In einer pluralen Gesellschaft wie unserer kann das meines Erachtens auch nicht Grundlage der
Gesetzgebung sein. Gerade weil ich nicht an ein Leben
nach dem Tod glaube, bin ich der Auffassung, dass jeder
Mensch in seiner Einmaligkeit einen besonderen und
universellen Wert hat. Jeder Mensch ist sein Leben wert,
ganz gleich, ob jung oder alt, arm oder reich, stark oder
gebrechlich, mit oder ohne Handicap. Die Aufgabe einer
humanistischen Politik muss daher sein, diesen Wert des
Menschen auch gegen die Zumutungen einer Leistungsund Nützlichkeitsgesellschaft wie der unseren zu verteidigen.
({0})
Die selbsternannten Sterbehelfer, die einzeln oder im
Verein gezielt Menschen anbieten, ihnen bei der Selbsttötung zu helfen, sind meines Erachtens Ausdruck einer
Ideologie, die nur allzu gut in unsere kapitalistische Gesellschaft passt. Sie wollen den Tod optimieren, indem
sie ihn effizient und technisch perfekt zu einer jederzeit
verfügbaren Dienstleistung machen. Dafür werben sie.
Ich halte dies für unmenschlich und zynisch, für ein böses Spiel mit den ganz realen Nöten und Ängsten von
Menschen.
({1})
Unser Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung von Suizid ist geeignet, dieses zynische Geschäftsmodell zu unterbinden, ohne dabei den
Suizid selbst oder die Beteiligung daran grundsätzlich
oder für bestimmte Personen unter Strafe zu stellen. Um
es noch einmal klar zu sagen: Niemandem wird verboten, Menschen beim Suizid zu unterstützen - außer denjenigen, die dies systematisch und wiederholt, eben geschäftsmäßig, tun. Der Gesetzentwurf unterscheidet
hierbei auch nicht zwischen Ärztinnen und Ärzten einerseits und anderen Personen andererseits. Das bedeutet:
Auch eine Ärztin könnte in einem Einzelfall einem
schwer leidenden Patienten, dem sie anders nicht zu helfen weiß, die Mittel zu seiner Selbsttötung verschaffen,
unter Umständen, sofern sie es nicht von vornherein darauf angelegt hat, auch ein zweites Mal. Allerdings
dürfte sie diesen Akt nicht zu einem regelmäßigen Bestandteil ihrer Tätigkeit machen. Einen Facharzt für Lebensbeendigung wird es mit diesem Gesetzentwurf nicht
geben, und das finde ich auch richtig.
({2})
Es wird auch nicht in jedem Behandlungszimmer ein
Staatsanwalt aufmarschieren und die Gespräche belauschen, die Menschen in existenzieller Not mit ihren Ärztinnen und Ärzten, mit Pflegekräften, Angehörigen,
Freundinnen und Freunden führen. Die Vereine könnten
selbstverständlich weiter beraten, informieren und aufklären. Auch Nikolaus Schneider könnte nach seinem
Gewissen und dem Wunsch seiner Frau weiter handeln.
Unser Gesetzentwurf ist also geeignet, die SelbstbestimKathrin Vogler
mung der Menschen und das Recht auf Leben gleichermaßen zu schützen.
({3})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche
Bemerkung machen. Ich verstehe gut, wenn sich Menschen vor dem Verlust der Selbstständigkeit fürchten.
Ich kann das nachvollziehen. Als ich vor 18 Jahren
meine MS-Diagnose bekam, konnte ich nicht ahnen,
dass ich heute hier vor Ihnen stehen kann, dass ich noch
laufen kann, dass ich noch sehen kann, dass ich mich anziehen kann und dass ich mein Butterbrot selbst schmieren kann. Ich habe Glück gehabt. Doch es könnte ebenso
gut anders sein, und in der Situation würde ich nicht
wollen, dass mir die Gesellschaft einerseits ganz einfachen Zugang zum Suizid anbietet, während sie für mich
andererseits riesige Hürden errichtet, wenn es darum
geht, das Leben mit Leben zu füllen. Das fängt an bei
den niedrigen Erwerbsminderungsrenten, geht weiter bei
den unzureichenden Leistungen der Pflegekasse und endet noch lange nicht an den Treppenstufen vor meiner
Stammkneipe. In der ganzen Debatte habe ich immer
wieder gehört, dass ein Leben mit Krankheit, Behinderung oder mit Bedarf an persönlicher Assistenz als unwürdig empfunden wird.
({4})
Verzeihung, aber das kann ich so nicht stehen lassen.
Würde hängt doch nicht davon ab, ob man noch allein
auf die Toilette gehen kann.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal welchen Gesetzentwurf Sie bevorzugen - ich möchte Sie einfach darum bitten, diesen Gedanken mitzunehmen und in der
weiteren Debatte zu berücksichtigen.
Vielen Dank.
({6})
Carola Reimann ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der
Orientierungsdebatte im November sind einige Monate
vergangen, Monate, in denen wir Gelegenheit zu Veranstaltungen und vielen Gesprächen hatten. Diese Gespräche haben für mich bestätigt, was Umfragen schon lange
und immer wieder zeigen: Die Menschen wollen nicht,
dass der Staat mit neuen Verboten in den sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod eingreift. Wer ein Leben
lang für sich selbst entscheidet, möchte auch in der wohl
schwersten Phase, am Lebensende, selbst entscheiden.
Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen,
wie viel Leid und wie viel Kontrollverlust sie ertragen
müssen. Sie wollen, dass wir ihre Bedürfnisse und die
ihrer Angehörigen in den Mittelpunkt dieser Debatte
stellen. Diesem Wunsch entsprechen wir mit unserem
Gesetzentwurf.
Wir verzichten als einzige Gesetzesinitiative auf eine
Verschärfung des Strafrechts. Wir lehnen jeden Eingriff
in das Strafrecht kategorisch ab. Wir sehen aber schon
gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf. Denn obwohl
die Suizidbeihilfe bislang in Deutschland straflos ist, untersagt das ärztliche Standesrecht in 10 der 17 Landesärztekammern die Beihilfe zum Suizid. Dieser Flickenteppich an widersprüchlichen Regelungen führt dazu,
dass zum Beispiel in Essen etwas anderes gilt als in
Bochum. Es braucht keine große Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein solches Regelungschaos bei
Ärzten, aber erst recht bei Patientinnen und Patienten
Unsicherheit auslöst. Deshalb, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sehen wir eine zivilrechtliche Regelung vor,
die Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte schaffen
wird. Mit der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte beenden wir das Regelungschaos der Berufsordnung und
geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen:
({0})
Niemand muss ins Ausland fahren. Niemand muss sich
an medizinische Laien oder selbsternannte Sterbehelfer
wenden. - Wir ermöglichen, dass sich Menschen in großer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Patienten gut kennt und fachlich am besten informieren
kann. Damit schaden wir Sterbehilfevereinen mehr als
mit Strafrechtsparagrafen.
({1})
Wir entziehen diesen Vereinen die Existenzgrundlage,
indem wir professionelle Hilfe und Beratung durch ihren
Arzt rechtssicher machen.
Wir haben ganz bewusst das Arzt-Patienten-Verhältnis ins Zentrum unseres Gesetzentwurfs gestellt und
nicht die Aktivitäten einer überschaubaren Zahl von
selbsternannten Sterbehelfern. Dafür gibt es gute
Gründe. Seit Jahren gibt es immer wieder Anläufe und
neue Versuche, mit strafrechtlichen Verboten gegen Sterbehilfevereine vorzugehen. Sie sind auch deshalb alle
gescheitert, weil die unerwünschten Nebenwirkungen
solcher Verbote gravierend sind. Die kritischen Fragen
von damals müssen wir uns auch heute stellen: Rechtfertigen die Aktivitäten weniger Sterbehelfer einen Eingriff
ins Strafrecht, der Auswirkungen auf die Arbeit einer
viel größeren Zahl von Ärzten hat? Geben wir, um Sterbehilfevereine zu unterbinden, den seit 150 Jahren bewährten Grundsatz auf, dass der Suizid und auch die
Beihilfe zum Suizid straflos sind? Und nehmen wir billi11046
gend in Kauf, dass wegen Kusch und Co. künftig allen
Ärzten, die Hilfe zum Suizid leisten, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen drohen? - Ich finde, Kolleginnen und
Kollegen, hier schaden die Nebenwirkungen mehr, als
die Hauptwirkung nutzt.
({2})
Die Folge ist immer ein Risiko für Ärzte, die regelmäßig
in einem solchen Grenzbereich arbeiten.
Gesetzliche Regelungen im Strafrecht lösen keine
Probleme, sie schaffen zusätzliche. Sie gefährden das
vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und führen
dazu, dass Sterbenskranke in ihrer Not ins Ausland gehen.
({3})
Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen das
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken,
damit Menschen in existenzieller Not fachlich fundierte
Hilfe und Information bekommen. Dazu gehören auch
die Möglichkeiten der Palliativmedizin.
Kolleginnen und Kollegen, nicht selten führt die Gewissheit, sich in einer aussichtslosen Situation an seinen
Arzt wenden zu können, dazu, dass Menschen von einem Suizidwunsch letztlich Abstand nehmen. Ich bin
der festen Überzeugung: Suizidprävention gelingt nicht
mit dem Strafrecht. Suizidprävention gelingt nur in einem rechtssicheren Raum, in dem das vertrauensvolle
Gespräch zwischen Arzt und Patient möglich ist.
({4})
Diesen rechtssicheren Raum wollen wir mit unserem
Gesetzentwurf schaffen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Sitte.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kann
es, wenn es um Leben, Sterben und Tod geht, Gewissheiten geben? Diese Frage stellt sich insbesondere in einer
pluralen Gesellschaft wie der unseren. Welcher ethischen Vorstellung, welchen Sinnwelten wir auch nachhängen: Immer wollen wir darauf vertrauen, diese auch
leben zu können, sei es, dass wir Leben, Sterben und Tod
als von welchem Gott auch immer gegeben oder genommen ansehen, sei es, dass wir selbstbestimmte, konfessionell ungebundene Entscheidungen auch in solch existenziellen Fragen anstreben.
Für unsere Diskussion bedeutet dies konkret: Wer
Hilfe zur Selbsttötung ohnehin ablehnt, bedarf eines Verbotes durch den Gesetzgeber nicht.
({0})
Wer aber Suizidassistenz nicht ausschließt, dem soll sie
nicht genommen werden.
({1})
Dabei ist Suizidassistenz zunächst nur eine Möglichkeit,
die noch lange nicht den Vollzug einschließt. Der
Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sich vor dem
Endstadium seines Hirntumors erschoss, hat geschrieben:
… ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt,
und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von
Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. … es am Ende auch zu tun, ist noch eine
ganz andere Frage. … Ich muss wissen, dass ich
Herr im eigenen Haus bin. Weiter nichts.
({2})
Wenn eine Gesellschaft wie unsere nicht müde wird,
individuelle Verantwortung in der Lebensgestaltung und
in der Lebensführung zu betonen, wieso soll diese beim
Sterben aufhören? Über sein Sterben, über seinen Tod
frei entscheiden zu können, ist doch Ergebnis eines emotional schweren, schmerzhaften Abwägungsprozesses.
In diesem spielen lange Zeit die Alternativen die weitaus
größere Rolle, weil man sich eben das Nichtsein gar
nicht vorstellen kann.
Mit wem spricht man über diese Alternativen? Mit
der Ärztin, den Angehörigen, Freunden, gegebenenfalls
auch mit dem Pfarrer, auf jeden Fall aber mit Menschen,
zu denen man eine enge Bindung und Vertrauen hat bzw.
haben kann. Aber gerade diese Menschen - ich habe das
immer wieder in Gesprächen erlebt - fühlen sich von
den Ratsuchenden bisweilen heillos überfordert. Sie sind
von Mitgefühl überwältigt oder eben auch ganz konkret
durch die Organisation des Pflegealltags völlig überlastet. Bis auf Hospiz- und Palliativmediziner hat die Mehrzahl der Ärzte, auch nach ihrer eigenen Auskunft, gar
keine hinreichende Erfahrung im Umgang mit Wünschen nach Sterbehilfe. Umgekehrt möchten Ratsuchende ihre Angehörigen, Freunde oder eben auch ihren
Arzt nicht mit ihren Gefühlen und Problemen belasten.
Manche ertragen das dabei mitschwingende Mitleid
auch gar nicht. Deshalb brauchen wir eine kompetente
dritte Seite für die Beratung aller Beteiligten und Betroffenen. Deshalb soll Beihilfe zum Freitod nicht nur Einzelpersonen, sondern weiterhin auch Vereinen gestattet
werden, solange sie uneigennützig und ergebnisoffen beraten.
({3})
Denn es ist völlig klar: Wer auf einen Eigennutz, gar auf
einen finanziellen Profit bei der Suizidassistenz aus ist,
wird kaum unabhängig und ergebnisoffen beraten. Zumindest darüber dürfte es hier in diesem Haus größte Einigkeit geben.
Auf der Basis der Regeln und Anforderungen für
Sterbehilfeorganisationen, die wir in unserem Gesetzentwurf vorschlagen, sollte es doch möglich sein, organisierter Beratung zu vertrauen. Renate Künast hat die Kriterien vorhin bereits erläutert.
„Ich verlange Ehrfurcht gegenüber Sterbewilligen“,
hat Wolfgang Herrndorf uns aufgegeben. Diese Ehrfurcht umfasst den Respekt vor dem ganz persönlichen
Begriff von Würde sowie vor Freiheit und Selbstbestimmung am Lebensende. Sie bedeutet auch, den Sterbewunsch der Menschen ernst zu nehmen. Nur wenn das
getan wird, lassen sich mit diesen Menschen Alternativen zur Vermeidung der Selbsttötung glaubhaft bereden.
Danke schön.
({4})
Thomas Dörflinger ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eine
Vorbemerkung machen, weil ein Thema von vielen Rednerinnen und Rednern heute Morgen angeklungen ist
und diese Debatte sicher auch noch durchzieht und ein
Kernstück der Diskussion sein muss. Es ist ein Punkt, an
dem sich viele von uns - wahrscheinlich die allermeisten einig sind, dass das, was der Deutsche Bundestag in der
letzten Sitzungswoche debattiert hat, nämlich Rahmenbedingungen für Palliativmedizin und Hospizbewegungen zu schaffen, von vielen als ein erster Schritt begriffen wurde, dem weitere folgen müssen. Das bildet die
Rahmenbedingungen für das ab, was wir heute unter
dem Thema Suizidbeihilfe diskutieren.
Diese Debatte ist deswegen spannend, weil sie für
viele von uns nicht nur durch eigene Erfahrungen geprägt ist, sondern auch durch die hohe Verantwortung,
die jeder und jede von uns spürt, wenn es darum geht, in
der Gesetzgebung unterschiedliche Rechtsgüter gegeneinander abwägen zu müssen. Heute sind es zwei, die gleichermaßen Verfassungsrang haben: auf der einen Seite
das Recht auf die freie Selbstbestimmung des Einzelnen,
auf der anderen Seite das Leben. Für mich ist das Leben
das höchste Gut, das die Verfassung zu schützen hat,
weil es die Voraussetzung ist, damit sich alle anderen
Güter entfalten können. Es ist zwar theoretisch vorstellbar, dass es ein Leben ohne freie Selbstbestimmung gibt.
Wünschenswert - darin sind wir uns wohl einig - ist dies
nicht, auch wenn es theoretisch vorstellbar ist. Die freie
Willensbestimmung ohne Leben - darin sind wir uns
ebenso einig - ist definitiv ausgeschlossen. Deswegen,
glaube ich, ist das höchste Parlament in Deutschland
auch in der Verpflichtung, bei Abwägung von Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, dem Leben gegenüber
anderen Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, Priorität einzuräumen und dementsprechend zu handeln.
({0})
Es ist das Bild bemüht worden, dass der Gesetzentwurf, den Patrick Sensburg, Hubert Hüppe, Peter Beyer
und ich und andere vorgelegt haben, sozusagen den
Staatsanwalt an das Krankenbett bzw. an das Pflegebett
bemühe. Das ist zugegebenermaßen ein plastisches Bild,
aber wohl ein virtuelles. Wenn diese Gefahr ernsthaft bestünde, dann müssten wir derlei in praxi aus Österreich,
aus Italien, aus Spanien, aus Großbritannien, wo die
Rechtslage heute so ist, wie wir sie fordern, eigentlich
kennen. Mir sind derlei Beispiele nicht bekannt. Deswegen halte ich diese Diskussion für weitgehend virtuell.
({1})
Ich will einen Punkt aufgreifen, den Michael Brand
zu Beginn dieser Debatte eingeführt hat, weil mich dieser Punkt nachdenklich gemacht hat und weil wir, Herr
Kollege Brand, uns in diesem Punkt sehr einig sind. Ich
habe schon aus geografischen Gründen vor vielen Jahren
den Beginn einer Diskussion zu einem Thema in der
Schweiz verfolgt, das wir heute auf der Tagesordnung
haben. Ich habe es insbesondere auch vor dem Aspekt
verfolgt: Wie reagieren diejenigen, die sich unseren Parteifamilien zugehörig oder verwandt fühlen, in dieser
Frage? Wie agieren sie politisch? Mich hat seinerzeit die
Sorge umgetrieben, dass das, was dort in wohlmeinender
Absicht diskutiert worden ist und letztlich auf den Weg
gebracht worden ist, denjenigen, die das auf den Weg gebracht haben, möglicherweise wieder auf die Füße fallen
könnte. Wenn ich heute Bilanz ziehe, dann ist genau das
eingetreten. Die Niederlande und Belgien haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich will vermeiden helfen,
dass wir ähnliche Erfahrung in Deutschland machen.
Deswegen werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle eine möglichst eindeutige Regelung trifft, damit die Tür zu bleibt.
Und ich sage aus unserer Sicht, aus der Sicht von
Patrick Sensburg und mir: Damit die Tür zu bleibt, ist
eine Regelung im Strafgesetzbuch mit einem neuen
§ 217 notwendig, der freilich - das gebe ich zu, und das
räume ich ein; es ist uns auch wichtig - die Möglichkeiten, die das Strafgesetzbuch heute schon bietet, etwa
dass man Sterbende straffrei in den Tod begleiten kann,
unberührt lässt. Daran soll sich nichts ändern. Es ist uns
sehr wichtig, dass da kein Widerspruch entsteht, meine
Damen und Herren.
({2})
Ich will mit einer persönlichen Bemerkung schließen,
die vielleicht viele von uns in dieser oder in ähnlicher
Weise schon gemacht haben. Wenn Sie Menschen begegnen, die sich in einer krankheitsbedingt schwierigen
Phase befinden, durch die sie gelegentlich auch mit dem
eigenen Tod konfrontiert werden, dann haben Sie sicherlich beispielsweise bei Besuchen genauso wie ich schon
die Einschätzung gehört: Ja, wenn es denn bald zu Ende
wäre! - Das ist die temporäre Einschätzung, eine momentane Stimmung. Sie haben vielleicht auch die Erfah11048
rung gemacht, dass, wenn der Besuch dann zu Ende war,
diese Einschätzung, es möge bald zu Ende gehen, vom
Tisch war und man sich gefreut hat, den einen oder die
andere wiederzusehen und daraus ein bisschen neuen
Lebensmut zu schöpfen. Deswegen sage ich zum
Schluss: Wenn bei einem krankheitsbedingt mit dem Tod
Konfrontierten diese Einschätzung eintritt: „Ach, möge
es bald zu Ende sein!“, dann ist insbesondere der Gesetzgeber in der Verpflichtung, nicht das Fläschchen zu reichen, sondern Hilfe anzubieten.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Harald Terpe.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Vielen von uns
ist spätestens in den Diskussionen der vergangenen Monate bewusst geworden, dass in Erwartung des Lebensendes, des Sterbens gar, Krankheit und Schmerz, Einsamkeit und das Gefühl, zur Last zu fallen, oder auch nur
die Furcht davor von jedem von uns Besitz ergreifen
können. Derartige existenzielle Krisen machen die Betroffenen unsicher und anfällig, umso mehr, wenn es um
Leben und Tod geht. Viel spricht deshalb dafür, dass sich
der Freiheitsgrad von Entscheidungen verschiebt, der
Wille sehr volatil und die Selbstbestimmung bedroht ist.
Vor diesem Hintergrund haben wir die Notwendigkeit
gesehen, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung strafrechtlich zu unterbinden und somit Fremdbestimmung vorzubeugen.
({0})
Unsere Mitmenschen sollen sich gerade nicht genötigt
fühlen, eine derartige geschäftsmäßig organisierte Beihilfe zur Selbsttötung quasi im Gewand einer normalen
Dienstleistung als vermeintlich einfache Lösung aller
Probleme in Anspruch zu nehmen.
Ich betone: Die Dualität von Freiheit und Verantwortung in unserer Gesellschaft gebietet mir, organisierte
Suizidbeihilfe nicht als soziale Normalität billigend in
Kauf zu nehmen, sodass der Suizid zu einer Handlungsoption wird, die gleichberechtigt neben anderen steht.
({1})
Das gilt auch und besonders für den ärztlich assistierten Suizid. Wir machen in unserem Gesetzentwurf keinen Unterschied zwischen Ärzten und Nichtärzten. Wir
wollen kein Sonderrecht für die Ärzte beim Suizid, weder besondere Verbote noch besondere Vorrechte. Der
assistierte Suizid ist für mich keine ärztliche Aufgabe
und sollte es meiner Ansicht nach auch nicht werden,
und das gerade wegen der besonderen Vertrauensstellung, die Ärzte genießen.
({2})
Ich bin der Meinung, das verhindert eine Auseinandersetzung, ein Gespräch über den Suizid. Ärzte sollten daher rechtlich genauso behandelt werden wie alle anderen
Staatsbürger - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Um in diesem Zusammenhang noch ein Missverständnis aufzuklären: Es wird immer unterstellt, unser
Gesetzentwurf greife in die Arbeit von Ärztinnen und
Ärzten auf onkologischen und Palliativstationen ein
- ich kann mich an Redebeiträge erinnern, in denen das
besonders schrill vorgetragen worden ist -, aber das ist
falsch. Gerade diese ärztliche Berufsgruppe hat ein anderes Selbstverständnis und auch ein anderes Behandlungsziel, nämlich Sterbenden zu helfen, Schmerzen und
Angst zu lindern, Menschen das Sterben zu erleichtern.
Hilfe beim Suizid ist nicht Ziel oder regelmäßiger Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Sie bleiben deshalb auch nach
unserem Gesetzentwurf straflos.
({3})
Ich bitte auch darum, in den öffentlichen Diskussionen
nicht immer wieder zu behaupten, dass anschließend der
Staatsanwalt in die Palliativstationen und in die Hospize
Einzug hält, weil wir im Gesetz irgendeine Lücke lassen.
({4})
Eine wichtige Frage ist: Bleibt nun die Selbstbestimmung auf der Strecke? Mitnichten. Auch wenn es oft anders suggeriert wird: Unser Gesetzentwurf ändert nichts
an der Tatsache, dass der Suizid in Deutschland straflos
ist; das soll so bleiben. Und er ändert nichts daran, dass
Menschen, die einem anderen in einer existenziellen
Krise - hier geht es um individuelles Erleben, individuelles Vertrauen und individuelle Verantwortungsübernahme - beim Suizid helfen, in der Regel straflos bleiben.
({5})
Unser Gesetzentwurf schränkt die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht ein - im Gegensatz beispielsweise zum Gesetzentwurf des Kollegen Hintze und
anderer, die bezüglich des ärztlich assistierten Suizids
genau festlegen wollen, wann ein Mensch ihn in
Anspruch nehmen darf und wann nicht, an der ungeregelten Wirkung von Sterbehilfevereinen offenbar aber
keinen Anstoß nehmen. Ich sage voraus: Hier werden
sich Allianzen bilden; denn es gibt offensichtlich viele
Kolleginnen und Kollegen, die an der ungeregelten Wirkung von Sterbehilfevereinen nichts ändern wollen.
Bei der anstehenden parlamentarischen Auseinandersetzung sollten wir daher genau hinschauen: Wir sollten
Menschen, die leiden, Hilfe anbieten - durch Stärkung
der Palliativmedizin, der Hospizbewegung und der
Pflege. Wir haben bereits entsprechende Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht.
Herr Kollege.
Wir sollten Menschen am Ende ihres Lebens das Sterben erleichtern, das Sterben seinen Lauf nehmen lassen.
Aber wir sollten nicht einer vermeintlich einfachen Lösung das Wort reden.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Beihilfe zum Suizid ist seit 1871 straffrei, und wenn der
Suizid straflos ist, dann muss auch die Beihilfe zum Suizid straflos sein, so die rechtssystematische Logik seit
der damaligen Zeit bis heute. Diese Regelung hat sich
als lebensklug und als menschlich bewährt.
Unsere Rechtsordnung geht von der Selbstbestimmung des Menschen aus. Welches Maß an Leid ein
Mensch erdulden kann, das kann nur er selbst bestimmen. Patienten können Therapien ablehnen. Patienten
können sich lebensnotwendigen Operationen entziehen.
Niemand kann zur Medikamenteneinnahme gezwungen
werden. Aber wenn es um die letzten Stunden und Tage
geht, also darum, wie lange ein Mensch noch Leid zu ertragen imstande ist und was er für sich selbst als würdevoll empfindet, da soll der Staat mit dem schärfsten
Schwert, das er hat, dem Strafrecht, zuschlagen? Ich
finde das grundlegend falsch. Das wäre quasi eine
Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen.
Auch der Versuch, zwischen gewerbsmäßiger und
ärztlicher Suizidbeihilfe zu unterscheiden, führt in die
Irre. Sehr geschätzter Kollege Terpe und auch andere
Vorredner der Gruppe, da unterscheiden wir uns tatsächlich. Wie Sie haben auch wir mit Ärzten, mit Strafrechtslehrern, mit Verfassungsrechtlern gesprochen, und nicht
wir, sondern diese weisen uns auf den Umstand hin, dass
einem Staatsanwalt gar nichts anderes übrig bliebe als zu
ermitteln, zum Beispiel in onkologischen Praxen, wo naturgemäß mehr Patienten sind, die den Kampf zwischen
Leben und Tod in ihrer letzten Phase führen, als in Praxen anderer Fachrichtungen.
Mit der Patientenverfügung haben wir das Selbstbestimmungsrecht der Patienten gestärkt. Wir haben das
Selbstbestimmungsrecht gestärkt, weil dies ein elementarer Wunsch der Menschen ist. Die Segnungen der modernen Medizin haben dazu geführt, dass früher unheilbare Krankheiten heute heilbar sind. Sie haben dazu
geführt, dass Leid und Schmerzen viel besser zu ertragen
sind und dass Patienten dank hervorragender Palliativmedizin bis in ihre letzten Stunden gut begleitet sind.
Aber es gibt Fälle, da kann weder die Palliativmedizin
noch irgendeine andere Fachrichtung mehr etwas ausrichten. Es gibt Fälle, wo der Patient nicht mehr kann,
wo er auch nicht mehr will, wo er sich auch selbst nicht
mehr ertragen kann, wo er selbst seinen Zustand als unwürdig empfindet. Frau Kollegin Vogler, das ist absolut
individuell, und das wird keiner von uns für einen anderen bestimmen können.
({0})
Welcher Zeitpunkt das ist, kann nur er für sich entscheiden, und hier hat der Staat Abstand zu wahren. Wo es um
die innersten Bereiche des Menschen geht, da hat das
Strafrecht zu schweigen. Ich fürchte, dass wir ungewollt
mit diesen Anträgen diese Schwelle überschreiten. Hier
setzt unser Antrag an.
({1})
Von den 17 Landesärztekammern in Deutschland
verbieten 10 standesrechtlich die ärztliche Beihilfe zum
Suizid. Das Berufsrecht verbietet also etwas, wozu das
Strafrecht explizit schweigt. Das verunsichert Ärzte, das
verunsichert Patienten, und das führt dazu, dass in dieser
wichtigen Frage - wie will ich sterben? - weniger Raum
da ist und sich Patienten in ihrer Not an obskure Sterbevereine wenden - für viel Geld - oder den Weg des einsamen Freitods gehen.
Wir wollen das ändern. Wir wollen, dass jeder Arzt,
egal wo er praktiziert, in Berlin, in Bochum oder in
München, dasselbe Standesrecht hat. Wir wollen ihm die
Möglichkeit geben, mit seinem Patienten eine verantwortungsvolle Gewissensentscheidung zu treffen. Wie
der Arzt sich entscheidet, kann wiederum nur er allein
bestimmen. Auch hier soll der Grundsatz der Freiwilligkeit gelten. Trifft ein Arzt diese Gewissensentscheidung,
dann wollen wir ihn vor möglichen berufsrechtlichen
Sanktionen bewahren. Wir wollen, dass das, was unser
Strafrecht gestattet, auch in der ärztlichen Berufsausübung gestattet ist. Ich möchte, dass sich ein Patient, der
einen langen Leidensweg hat, an seinen Arzt und eben
nicht an diese Vereine wendet und nicht in die Schweiz
reisen muss. Ich bin überzeugt, wenn wir das Arzt-Patienten-Verhältnis auch in solchen extremen Phasen an
der Schwelle von Leben und Tod stärken, dann entziehen wir den Sterbevereinen die Grundlage ihres Wirkens. Ärzte und Patienten wünschen sich, dass wir ihnen
vertrauen. Ich finde, sie haben dieses Vertrauen verdient.
({2})
Kai Gehring erhält nun das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Sterben gehört zum
Leben dazu. Gleichwohl ist der Tod eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft. Viele sind im Umgang mit
Sterbenden und mit Trauernden extrem unsicher. Enttabuisierung und eine neue Kultur der Sorge und Zuwendung halte ich für elementar. Eine humane Gesellschaft
braucht Empathie; denn nichts ist schrecklicher, als einen geliebten Menschen zu verlieren.
Ich war 19, als mein Vater durch einen Verkehrsrowdy ums Leben kam. Im April hätten wir seinen
65. Geburtstag gefeiert. Ich war 13 und 21, als meine
Großeltern nach schwerer Krankheit auf der Intensivsta11050
tion starben. Ich war 32, als die engste Freundin unserer
kleinen Familie im Hospiz nach vielen Monaten ihrem
Krebsleiden erlag. Ich sage das, um Bewusstsein zu
schärfen: Lebens-, Pflege- und Sterbeerfahrung sind
keine Frage des Alters. Aus diesen Erfahrungen heraus
rate ich allen, die Angst vor absoluter Fremdbestimmung
im Sterben haben, zu einer Patientenverfügung, am besten kombiniert mit einer Vorsorgevollmacht, und dazu,
mit Ihren Nahestehendsten intensiv darüber zu sprechen.
({0})
Warum habe ich diesen Gesetzentwurf mit Renate
Künast und Petra Sitte erarbeitet? Für mich ist der einzelne Mensch Souverän des eigenen Lebens. Jeder hat
seine ganz persönliche Definition von Würde und Autonomie, die von uns Gesetzgebern unbedingt zu respektieren ist. In der existenziellsten aller Fragen sollte sich
der Staat zurückhalten. Daraus folgt für mich, das Spektrum der letzten Hilfe beim frei verantwortlichen Suizid
weitestgehend so zu erhalten, wie es ist.
({1})
Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehelfern
soll also Beihilfe erlaubt sein.
Die Betroffenen selbst sollen entscheiden dürfen,
wem sie sich anvertrauen, wen sie notfalls um letzte
Hilfe bitten. Die Sterbewilligen gehören in den Mittelpunkt der Debatte. Sie benötigen Fürsorge, einen Strauß
helfender Hände und ergebnisoffene Beratung. Daraus
kann auch eine Entscheidung zum Weiterleben erwachsen. Verbote oder Kriminalisierung der Helfer helfen
Menschen in allergrößter Not nicht, sondern verschärfen
ihre Lebenskrise und das Risiko brutaler Affekt- und
Verzweiflungssuizide. Daher lassen Sie uns das Spektrum letzter Hilfe erhalten.
({2})
Ärzte brauchen Rechtssicherheit. Sie sollen assistieren dürfen, nicht müssen. Es gibt schreckliche Situationen, da kann die humanste Hilfe, die noch zur Verfügung
steht, die Hilfe zum Sterben sein. Für Ärzte sind Sanktionen dann unzumutbar. Für Sterbewillige ist unzumutbar,
dass ihr Wohnort darüber entscheidet, ob ihrem vertrauten Arzt Beihilfe zum Suizid durch eine regionale Ärztekammer untersagt ist oder nicht. Das Arzt-PatientenVerhältnis basiert in besonderem Maße auf Vertrauen.
Dem sollten wir Rechnung tragen. Dammbruchthesen
glaube ich hier nicht.
Für Sterbehilfevereine setzt unser Gesetzentwurf
klare Regeln. Gewerbsmäßigkeit, also Gewinnstreben,
schließen wir aus. Mit Hilfe zur Selbsttötung darf kein
Profit gemacht werden. Wir sagen Ja zu Vereinen, aber
nicht als Einnahmequelle und nur mit klaren Transparenzregeln und Dokumentationspflichten.
Warum? Letzte Hilfe auf Familienmitglieder oder nahestehende Einzelpersonen zu begrenzen, ist zu restriktiv und zu eng gedacht. Heutige Sozialstrukturen sind
wesentlich vielfältiger: Es gibt immer mehr Menschen in
unserem Land, die gar keine Angehörigen haben. Nicht
alle Familien haben das notwendige Vertrauensverhältnis. Manche Sterbewillige wollen engste Verwandte
nicht belasten, sondern bewusst mit einem Arzt oder
Sterbehelfer über ihren Assistenzwunsch sprechen. Ihnen das zu verwehren, halte ich für inhuman.
({3})
Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte
Hilfe bitten möchte, darf nicht allein gelassen werden.
Die Möglichkeit letzter Hilfe muss für alle bestehen.
Niemandem helfen eine Romantisierung von Familien
und eine Verteufelung von Sterbehelfern - beides halte
ich für falsch. Denn die Realität ist komplexer, unsere
Gesellschaft ohnehin.
({4})
Eigene Erfahrungen, die eigene Religion oder Weltanschauung sollten wir als Gesetzgeber für diese so vielfältige, weltanschaulich pluralistische, multireligiöse
und auch zunehmend atheistische Gesellschaft bei dieser
schwerwiegenden ethischen Frage nicht absolut stellen.
Ich sage auch: Als alternde Gesellschaft brauchen wir
eine Vision, wie wir als Hochbetagte zusammen leben
wollen. Es braucht echte Pflege- und Gesundheitsreformen, mehr Hospize, Palliativversorgung, Suizidprävention und eine Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung.
Unser Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit
der Hilfe zur Selbsttötung sichert Sterbewilligen ein
Höchstmaß an Selbstbestimmung und Rechtssicherheit.
Er liegt am nächsten an der bisher bestehenden Rechtslage und an der gesellschaftlichen Mehrheit. Er gilt als
liberalster Entwurf, liberalisiert aber nichts, sondern regelt realitätsnah. Unser gemeinsamer Anspruch sollte
sein, die Selbstbestimmung, also Menschenwürde des
Einzelnen, auch beim frei verantworteten Suizid zu
schützen. Dafür werbe ich um Ihre Unterstützung.
({5})
Hubert Hüppe erhält nun das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unterstütze den Gesetzentwurf der Kollegen Sensburg und
Dörflinger, weil ich die Beihilfe zur Patientenselbsttötung nicht als Therapieoption akzeptieren will. Ich
möchte nicht, dass ein Patient, der auf die Solidarität der
Gesellschaft angewiesen ist, erklären muss, warum er
sich nicht für die einfache, alle entlastende Selbsttötung
entscheidet. Deswegen sehe ich in der Beihilfe zur
Selbsttötung keinen Akt der Nächstenliebe. Vielmehr
muss es darum gehen, den Menschen beim Sterben zu
helfen, ihnen Trost zuzusprechen und Hilfe zu leisten.
Wenn wir die Ärzte in dieses Geschehen hineinholen,
dann wird es gefährlich. Bisher stand der Arzt für die
Solidarität der Gesellschaft. Der Patient wusste, dass der
Arzt ihn nicht töten darf und dieser noch nicht einmal
auf die Tötung oder die Selbsttötung des Patienten spekulieren darf. Das, meine Damen und Herren, soll aus
meiner Sicht auch so bleiben.
Unser Gesetzentwurf ist ja häufig, auch heute schon,
kritisiert worden. Aber lassen Sie mich auch ein paar
Dinge über den Gesetzentwurf der Kollegen Reimann,
Hintze und Lauterbach sagen. Dieser Gesetzentwurf will
nichts verbieten. Er will keine Sterbehilfevereine verbieten. Er will auch nicht verbieten, dass man dafür Geld
nimmt. Er will noch nicht einmal verbieten, dass psychisch Kranken bei ihrer Selbsttötung geholfen wird. Im
Grunde will er alles erlauben, und er will darüber hinaus
noch mehr. Er will nämlich das ärztliche Standesrecht
knacken, und das, obwohl die Ärzte 2011 mit großer
Mehrheit, mit Dreiviertelmehrheit, beschlossen haben,
dass die Beihilfe zur Tötung von Patienten nicht zum
ärztlichen Handwerk gehören darf, und das mit Recht.
Dieser Gesetzentwurf - das macht mich nachdenklich spricht in der Begründung immer wieder von Ekel. Dreimal wird dort von Ekel gesprochen, auch heute wieder,
und es werden extreme Fälle aufgezählt: Ekel vor sich
selbst, vor Entstellungen, vor üblen Gerüchen. Meine
Damen und Herren, wie sollen Menschen, die aufgrund
einer Lähmung zum Beispiel inkontinent sind, solche
Entscheidungen über „lebenswert“ oder „lebensunwert“
verstehen? Ich sehe das als gefährlich an.
Auf Seite 2 dieses Gesetzentwurfs steht ein für mich
erschreckender Satz - ich zitiere -:
Das körperliche und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für das medizinische Personal
eine äußerst belastende Situation dar.
Das ist keine unschuldige Feststellung einer reinen Tatsache. Das wird von vielen als Begründung verstanden
werden, die ärztliche Suizidbeihilfe müsse auch deshalb
legalisiert werden, um das medizinische Personal zu entlasten. Das kann ich so nicht akzeptieren.
({0})
Meine Damen und Herren, laut diesem Gesetzentwurf
muss der Patient nicht, wie es hier immer behauptet
wird, in der Sterbephase sein, sondern er muss nur eine
Diagnose bekommen, die nicht sicher - auch das steht da
nicht drin -, sondern wahrscheinlich zum Tod führt. Es
kann aber noch Jahre dauern, bis der Tod eintritt. Stellen
Sie sich vor, Sie bekommen eine tödliche Prognose, obwohl Sie noch gar keine Anzeichen haben. Stellen Sie
sich vor, Sie wissen plötzlich, dass Sie Chorea Huntington bekommen, weil festgestellt wurde, dass dieses Gen
bei Ihnen mutiert ist. Gerade in einer solchen Situation
sind Sie äußerst gefährdet. Wenn dann die Selbsttötung
als Angebot gemacht und gesellschaftlich akzeptiert
wird, dann wird es schwierig. Das wollen wir verhindern.
({1})
- Ich habe Sie ja gar nicht gemeint, Frau Künast; Ihr Gesetzentwurf geht ja gar nicht so weit wie der der Kollegen Hintze und Reimann. Lassen Sie mich also aussprechen. Ich habe Sie auch aussprechen lassen.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist eben nicht so, dass
der langjährige Arzt diese Tat dann vornehmen kann;
denn die meisten Ärzte lehnen es ab. Das heißt, es müssen andere Ärzte sein. Es wird auch nicht gefordert, dass
ein Psychiater prüft, ob eine Depression vorliegt, sondern man geht davon aus, dass der Sterbearzt, der Arzt,
der beim Sterben helfen wird, gleichzeitig auch die psychische Diagnose stellen kann. Das halte ich für in vielen Fällen unmöglich.
Meine Damen und Herren, zum Schluss ein Zitat von
Christoph Wilhelm Hufeland, der Anfang des 19. Jahrhunderts Erster Arzt in der Charité war. Er sagte:
Der Arzt … darf nichts anderes tun als Leben erhalten, ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert
habe oder nicht, dies geht ihn nichts an. Und maßt
er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft
mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar,
und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im
Staate.
Dem wollen wir vorbeugen, und deswegen möchten wir,
dass wir die Hilfe vor die Tötung des Patienten setzen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Frieser.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben es in dieser Debatte bisher geschafft, nicht nur mit dem notwendigen sittlichen Ernst,
der dem Thema angemessen ist, sondern auch mit dem
richtigen Tonfall miteinander zu reden. Wir sollten versuchen, diese Schwelle nicht zu überschreiten, und trotzdem unterschiedliche Argumente austauschen.
({0})
Wir sind uns in diesem Hause meistens einig, dass die
drohende gesellschaftliche Veränderung - die es durch
das aggressive Auftreten von Sterbehilfevereinen, aber
auch von Einzelpersonen gibt - unser Tätigwerden erfordert. Zusehen ist keine Option mehr; denn am Ende würden wir in einer Gesellschaft landen, in der dann ältere
und kranke Menschen, die ihr Leiden als Last empfinden, das Gefühl hätten, es gäbe eine gesellschaftliche
Akzeptanz bzw. eine gesellschaftliche Norm, zu sagen:
Ja, auch der Tod auf Bestellung steht mir zur Verfügung;
dann lasse ich mich davon überzeugen. - Das wäre eine
Gesellschaft, in der ich, der Kollege Brand, die Kollegin
Griese und sehr viele andere aus allen Fraktionen dieses
Hauses nicht leben wollen.
({1})
Dazu bedarf es aber einigen Tätigwerdens. Dabei geht
es darum, dass wir sagen: Ja, die Beihilfe zur Selbsttötung soll vor allem deshalb straffrei bleiben, weil die
Selbsttötung in diesem Land straffrei ist. - Dann wird
der Jurist zu dem Ergebnis kommen, dass auch die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei bleiben muss.
({2})
Das sollte sich unter keinen Umständen ändern.
Deshalb bitte ich auch, mit dieser Legendenbildung
aufzuhören. Wir wollen nur die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung verhindern. Dabei geht es darum,
dass das auf einige Dauer, auf Wiederholung angelegt
ist. Aber nicht um die Wiederholung allein geht es, sondern um das Organisiertsein, um die Tatsache, dass jemand willentlich seine Absicht darauf richtet, zu sagen:
Ich will Menschen dahin schaffen.
({3})
Das bedeutet, dass wir auch immer wieder deutlich
machen müssen: Es geht ohne Gewinnerzielung, und es
geht mit Gewinnerzielung. Es hat in diesem Land nichts
mit Geld zu tun, dass der Tod auf Bestellung keine
Selbstverständlichkeit werden soll.
({4})
Ich will mit einem weiteren Gerücht aufräumen. Wir
wollen keine Lex Ärzte. Warum? Die Ärzte bitten uns
inständig: Legt uns das Problem, dass wir die Meister
des Todes sein sollen, nicht vor die Schwelle. Bitte legt
uns das Problem dieser Gesellschaft nicht vor die Tür.
Wir wollen nicht die Einzigen sein, die darüber befinden
sollen und müssen.
Ein weiterer Punkt ist ganz wichtig: Der Palliativmediziner handelt nicht mit dem Tod, er handelt mit dem
Ende des Lebens. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied.
({5})
Deshalb stellt sich die Frage der Rechtssicherheit nicht.
Wir haben in diesem Haus leider auch Anträge auf
dem Tisch liegen, die aktiver Sterbehilfe das Wort reden.
Das ist der fundamentale Unterschied. Deshalb sind die
Entscheidungen bzw. die Anträge tatsächlich nicht vergleichbar und nicht vereinbar, sondern sie schließen sich
aus. Man muss deutlich sagen: Wer einem Arzt einen
Katalog an die Hand gibt, anhand dessen er abhaken
muss, wann er aktiv Sterbehilfe leisten darf und wann
nicht, der befindet sich tatsächlich in Kollision mit unserer Verfassung. Denn der Mediziner muss dann etwas
entscheiden, was er nicht entscheiden soll. Er muss dann
nämlich über die Frage entscheiden: Was ist lebenswertes und was ist lebensunwertes Leben? - Davor sollten
wir auf jeden Fall Achtung haben.
({6})
Deshalb gibt es diese Unvereinbarkeit. Deshalb müssen
wir uns als Kollegen tatsächlich entscheiden.
Ich erlaube mir einen Hinweis auf den Kollegen
Hintze bzw. auf etwas, was natürlich auch nicht geht:
Der Entwurf, der hier auf dem Tisch liegt, geht schon
sehr weit, viel weiter als alles andere, was wir hier diskutieren. In diesem Entwurf wird nicht einmal die Frage
der Gewerbsmäßigkeit der Selbsttötungshilfe in diesem
Land zum Thema gemacht. Das öffnet keine Tür, sondern ein Scheunentor. Deshalb, glaube ich, wäre eine gesellschaftliche Veränderung durchaus zu befürchten.
Es geht am Ende auch juristisch um die Frage: Mit
welcher Einstellung nähert sich der Arzt dem Patienten,
nähert sich der Nahestehende seinem sterbenden Mitmenschen? Es geht immer darum: Will ich in der Absicht, das Leiden zu lindern, handeln, oder will ich in der
Absicht handeln, das Leben zu beenden? Das ist die Demarkationslinie, das ist die Grenzlinie, die wir in dieser
Diskussion nicht überschreiten dürfen. Deshalb bitten
wir - der Kollege Brand, die Kollegin Griese und alle
anderen aus den Fraktionen - darum, unseren Vorschlag
zu unterstützen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Lauterbach.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst einmal daran erinnern, was
überhaupt das Hauptproblem ist, was wir mit dieser Debatte lösen wollen: Das Hauptproblem ist, dass viele
Menschen Angst haben vor dem Sterben. Sie haben
nicht Angst vor dem Tod, sondern sie haben Angst vor
dem Sterben.
Das ist ein ganz anderes Problem als beispielsweise
der Ausbau der Palliativmedizin oder der Hospizversorgung. Es gibt Menschen, denen mit den Mitteln der Palliativmedizin leider nicht geholfen werden kann - das
sind wenige; aber es gibt sie -, und es gibt zum Zweiten
Menschen, die die Angebote der Hospizmedizin und der
Palliativmedizin ganz klar verstehen, die sich gut informiert haben und die trotzdem selbst ihren Tod, der bevorsteht, in dieser Form nicht erleben wollen, weil sie
ihn nicht als würdevoll empfinden. Sie empfinden ihn
nicht als würdevoll - nicht andere -, sie wollen so, wie
es auf sie zukommt, nicht sterben; diese Menschen gibt
es. Das Problem, das wir lösen wollen, ist: Was bieten
wir diesen Menschen an? Nichts? Bieten wir etwas an,
was wir bisher nicht angeboten haben, oder belassen wir
es bei dem, was angeboten wird? Darum geht es. Es geht
nicht um Sterbehilfevereine allein.
Ich komme sehr viel zusammen mit Menschen, die
sich mit dem eigenen Tod beschäftigen; zum Beispiel im
Wahlkreis, aber auch anderswo wenden sich Leute an
mich, Krebskranke und dergleichen. Ich werde oft darauf angesprochen: Was macht ihr bei der Sterbehilfe?
Was wird dort passieren? Welche Möglichkeiten habe
ich? Welche Möglichkeiten hat meine Mutter? - Ich bin
noch nie darauf angesprochen worden: Was passiert mit
Herrn Arnold oder mit Herrn Kusch? Das wissen diese
Menschen gar nicht, das interessiert niemanden. Hier
sind viele im Raum, die machen ein Gesetz gegen Herrn
Arnold und Herrn Kusch. Das ist aber nicht richtig. Wir
müssen ein Gesetz für viele Menschen machen und nicht
gegen ganz wenige.
({0})
Ich möchte klar darauf hinweisen: Es ist nicht so, wie
hier gesagt wird, dass der Gesetzentwurf Brand/Griese
ein „Gesetzentwurf der Mitte“ ist. Er ist es nicht. Sie
mögen es darstellen, wie Sie wollen - er ist es schlicht
nicht. Oft ist es so: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.
({1})
Dieser Gesetzentwurf wird darauf hinauslaufen, dass
Ärzte Sterbehilfe nicht mehr leisten. Ich fange mit mir
selbst an: Ich bin Mitglied in einer Kammer, die für den
Fall, dass ich das machen würde, mit dem Entzug der
Approbation droht. Das ist die Ärztekammer Nordrhein;
da bin ich registriert. Da würde ich vielleicht noch sagen: Okay, das riskiere ich, ich brauche die Approbation
nicht unbedingt, und es ist auch noch so: Es wird nicht
durchgezogen. Vielleicht komme ich damit durch. Aber wenn mir möglicherweise drei Jahre Haft drohen?
Wenn mir unterstellt wird, das wäre auf Wiederholung
angelegt?
({2})
Dann warte ich doch nicht auf den Freispruch nach einer
langen Ermittlung, sondern ziehe die Konsequenz: Das
mache ich schlicht nicht. - Ich kenne keinen ärztlichen
Kollegen, wirklich nicht - und ich kenne viele, die sich
mit dem Thema beschäftigen -, der noch bereit wäre,
Sterbehilfe zu leisten, wenn der „Gesetzentwurf der
Mitte“ Griese/Högl/Brand durchkäme. Das wird - machen wir uns doch nichts vor! - einfach niemand machen.
({3})
Bitte stellen Sie sich doch nicht dumm! Es ist doch jetzt
schon, wo lediglich die Approbation entzogen werden
könnte, so: Es macht niemand. Die Ärzte tun es doch
jetzt schon nicht. Wenn neben dem Entzug der Approbation dann auch noch strafrechtliche Verfolgung droht,
macht das niemand.
Herr Kollege Lauterbach, lassen Sie eine Frage der
Kollegin Wawzyniak zu?
Sehr gerne.
Herr Kollege Lauterbach, Sie haben gerade gesagt,
Sie würden als Arzt, wenn drei Jahre Haft drohen, keine
Suizidbeihilfe mehr leisten. Würden Sie zur Kenntnis
nehmen wollen, dass in dem sogenannten Gesetzentwurf
der Mitte steht, dass eine Strafbarkeit nur besteht, wenn
man in der Absicht handelt, geschäftsmäßig ein auf
Dauer angelegtes Angebot zur Suizidbeihilfe zu machen? Ich gehe davon aus, dass Sie nicht mit der Absicht
handeln würden, eine auf Dauer angelegte Suizidbeihilfe
zu leisten.
({0})
Vielen Dank für die Frage. - Ich will aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren und unterstelle, dass Sie diesen Gesetzentwurf unterstützen - ich lese vor -:
Grundsätzlich reicht hierfür ein erst- und einmaliges Angebot nicht. Anders verhält es sich aber,
wenn das erstmalige Angebot den Beginn einer auf
Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt …
({0})
Nachdem die erstmalige Tätigkeit von mir erfolgt
wäre, würden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
beginnen, ob ich beabsichtige, diese Tätigkeit fortzusetzen. Diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beginnen dann übrigens völlig zu Recht; dagegen habe ich
nichts einzuwenden. Ich lege es aber doch nicht darauf
an,
({1})
dass ich erst freigesprochen werde, nachdem festgestellt
worden ist, dass ich es nicht wiederholt machen will.
Spätestens beim zweiten Fall würde ich es doch nicht
mehr machen. Hätte ich einen Freischuss und würde es
dann nie mehr machen?
({2})
Würde ich mir von meinen Patienten einen aussuchen,
bei dem ich den Freischuss verwenden würde? Spätestens beim dritten Mal würde doch ermittelt werden. Das
will doch niemand.
({3})
- Ich spreche hier wirklich aus der Praxis. Das macht in
der Praxis niemand. - Auch jetzt wird der Entzug der
Approbation ja nur angedroht. Er wird ja nicht vollzogen, und trotzdem macht es niemand.
({4})
Ich sage, worauf dieser Gesetzentwurf hinausläuft.
Dieser Gesetzentwurf läuft darauf hinaus, dass die Menschen zur Sterbehilfe in die Länder ziehen müssen, die
Sie, Herr Brand, hier angeklagt haben, nämlich in die
Niederlande, nach Belgien und in die Schweiz. Darauf
läuft der Gesetzentwurf hinaus.
({5})
Aus meiner Sicht müssen wir ein Angebot schaffen.
Es ist auch nicht richtig, dass wir zwischen unwertem
und wertem Leben unterscheiden, wie es Kollege Hüppe
dargestellt hat; das ist abwegig. Es geht darum, dass wir
die Approbation der Ärzte und deren Rechtssicherheit in
Bezug auf das Strafrecht sicherstellen wollen, wenn es
um schwerkranke Menschen geht, deren Krankheit zum
Tod führt. Wenn es um Menschen geht, die nicht vom
Tod bedroht werden, die also nicht sterbenskrank sind,
dann können aus unserer Sicht die Kammern frei bestimmen, ob demjenigen, der lebenssatt, aber nicht vom Tod
bedroht ist, ein Arzt helfen kann oder nicht.
Es bleibt aber immer erlaubt, Herr Frieser. Sie haben
gesagt, es würde von uns geregelt, wer dürfe und wer
nicht. Nach dem Strafrecht bleibt es immer erlaubt. Ich
hatte den Eindruck, dass Sie den Gesetzentwurf nicht
komplett gelesen haben.
({6})
Das Strafrecht kommt nie zum Tragen. Es bleibt immer
erlaubt. Wir wollen aber eine zusätzliche Rechtssicherheit im Sinne einer berufsrechtlichen Rechtssicherheit,
wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht
sind.
Ich komme zum Schluss. Das hat auch nichts mit der
Palliativmedizin zu tun, Herr Brand. Die Länder, bei denen Sie die problematischen Umstände zu Recht beklagen - die Niederlande, Belgien und die Schweiz -, konnten das Problem, dass es dort immer stärker verlangt
wurde, nicht durch die Palliativmedizin lösen. Sie alle
haben eine stärker ausgebaute Palliativmedizin als wir.
Das können wir nur leisten, indem wir bereit sind, die
Einstellung zum Alter und zum Tod zu verändern.
({7})
Von daher bitte ich, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen. Sonst überreagieren wir auf einen kleinen Klub
von fragwürdigen Menschen, gegenüber denen ich selbst
auch keine Sympathie empfinde. Wir müssen hier aber
für die Menschen, die verzweifelt sind, ein Angebot
schaffen.
Vielen Dank.
({8})
Detlef Müller ist der nächste Redner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine Gewissensentscheidung zu treffen, ist schon schwer genug. Noch
schwerer aber ist es, eine Gewissensentscheidung zu
treffen, ohne zu Lebzeiten herausfinden zu können, ob
sie richtig war.
Leben, Würde und Gesundheit sind des Menschen
höchste Güter. Das Grundgesetz misst ihnen deshalb entsprechende Bedeutung bei. Aber ich unterstütze den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit
der Hilfe zur Selbsttötung, weil dem Recht auf Leben
auch ein Recht auf menschenwürdiges Sterben entspricht.
({0})
Wenn sich ein Mensch tatsächlich dazu entschieden
hat, freiwillig aus dem Leben zu gehen, dann tut er das
nicht leichtfertig, sondern er hat damit die schwerste
Entscheidung getroffen, die ein Mensch überhaupt treffen kann. Wenn aber ein Mensch selbstbestimmt und in
freier Entscheidung beschlossen hat, seinem Leben ein
Ende zu setzen, wenn wir alles getan haben, um ihm
Heilungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wenn wir ihn beraten und wenn wir versucht haben, in ihm doch noch Lebensmut zu wecken, dürfen wir uns danach einfach von
ihm abwenden und ihn bei seinem Vorhaben alleine lassen? Ich glaube, nein.
Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er die
Selbsttötung im moralischen, religiösen oder weltanschaulichen Sinne als erlaubt oder verwerflich betrachtet. Solange aber der Staat dem Menschen die Verfügung
über sein eigenes Leben überlässt, halte ich es aus einer
humanistischen und mitmenschlichen Sichtweise für geboten, einen verzweifelten und am Leben verzweifelnden Menschen im Sterben nicht alleine zu lassen.
Es geht nicht darum, einem Menschen die Entscheidung darüber zu erleichtern, ob er sich das Leben nehmen soll. Es geht darum, ihm zu erlauben, sich auf dem
schwersten seiner Wege begleiten oder eben auch helfen
zu lassen.
({1})
Es geht darum, ihm in seiner letzten Stunde menschliche
Zuwendung zu zeigen. Das heißt aber nicht, dass die
Rechtsordnung dabei den Schutz des Lebens außer Acht
lassen darf. Ganz im Gegenteil: Wenn eine solche Hilfe
möglich sein soll, dann darf sie nur unter strenger Aufsicht des Staates möglich sein, indem Beratungspflichten
und Kontrollmöglichkeiten eingeführt werden.
Detlef Müller ({2})
So wie es unsere Pflicht ist, kranken Menschen den
Weg zur Heilung zu zeigen, so ist es auch unsere Pflicht,
zu versuchen, einem zum Äußersten entschlossenen
Menschen wieder den Weg zu Optimismus und Lebensmut zu weisen. Zugleich muss aber selbstverständlich
ausgeschlossen werden, dass Menschen mit der Beihilfe
zum Suizid Geld verdienen. Für Familienangehörige, nahestehende Personen und Ärzte, aber auch entsprechende Vereine entsteht dadurch ein sicherer, aber auch
ein streng einschränkender Rechtsrahmen.
Um es in dieser emotional geführten Debatte noch
einmal deutlich zu sagen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll Sterbehilfe nicht erleichtert werden. Ganz
im Gegenteil: Die bestehende Rechtslage im Strafrecht
soll beibehalten werden, nach der Beihilfe zum Suizid
straflos bleibt. Darüber hinaus aber schaffen wir einen
gesicherten Rechtsrahmen, damit Missbrauch vorgebeugt wird und nicht diejenigen bestraft werden, die Leidenden ehrlich, aufrichtig und uneigennützig helfen wollen.
({3})
Deshalb schlagen wir den Entwurf eines Gesetzes
über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung vor. Aufgrund strenger Regeln wird damit der Wunsch nach einem menschenwürdigen Sterben respektiert, aber werden auch enge Grenzen gezogen. Hilfe zur Selbsttötung
darf nur dann geleistet werden, wenn der sterbewillige
Mensch den Wunsch zur Selbsttötung frei verantwortlich gefasst und geäußert hat. Gewerbsmäßige Hilfe zur
Selbsttötung und gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung sind danach verboten und strafbar. Ärzten und sogenannten Sterbehilfevereinen wird bei ihrer Tätigkeit
ein klarer Rechtsrahmen gegeben. Es werden Beratungsund Dokumentationspflichten eingeführt. Pflichtverletzungen werden selbstverständlich strafrechtlich geahndet.
Das Strafrecht hat seit über 140 Jahren die Hilfe zur
Selbsttötung nicht verboten. Dabei ist es nicht zu gravierenden Fehlentwicklungen gekommen. Wir wollen, dass
diese Rechtslage erhalten bleibt. Zugleich aber stärken
wir die Rechtssicherheit für die, die Hilfe leisten, und
sanktionieren diejenigen, die aus dem Leid anderer Kapital schlagen wollen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber eines deutlich
betonen, obwohl es hoffentlich nicht betont werden
muss: In diesem Hohen Hause macht sich bei diesem
ethisch so schwierigen Thema keine Abgeordnete und
kein Abgeordneter die Entscheidung leicht. Ich achte
und respektiere die Meinungen meiner Kolleginnen und
Kollegen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen oder
Wertvorstellungen zu anderen Lösungswegen kommen.
Wir alle wissen, dass uns menschliches Leben und Menschenwürde die höchsten Güter sind. Durch unterschiedliche Sichtweisen und Vorstellungen nähern wir uns dem
Problem aber von verschiedenen Seiten, manchmal auch
emotional und leidenschaftlich. Lassen Sie uns dabei
aber das gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen,
nicht vergessen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
({4})
Johannes Singhammer ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tod ist der
größte Feind der Menschheit, und kein Gesetz kann ihn
besiegen. Das Sterben allerdings kann der Mensch beeinflussen oder gar gestalten und die Würde der letzten
Lebensphase gesetzlich schützen.
900 000 Menschen werden in diesem Jahr - so sagt
die Statistik - in Deutschland sterben, und keiner von
uns weiß, wann ihm die letzte Stunde schlägt. Aber eines
wissen wir: Die Menschen sind angesichts des nahenden
Todes in einer Phase der größten Schwäche und brauchen deshalb besonderen Schutz und liebevolle Begleitung.
Der Deutsche Bundestag führt eine anspruchsvolle
Debatte, mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen,
aber mit einer großen Ernsthaftigkeit. Ich möchte für den
Gesetzesvorschlag werben, welcher die geschäftsmäßige
Förderung der Selbsttötung verbietet. Leben bedeutet
Selbstbestimmung und Autonomie. Der Tod ist das Ende
jeglicher Selbstbestimmung und Autonomie. Die Phase
vor dem Tod heißt abnehmende Autonomie bzw. Autonomieverlust.
Wie wir bei schwindender Selbstbestimmung die
Würde bewahren, das ist der Kern der heutigen Debatte.
Ich sage: Sterben ist höchstpersönlich und eignet sich
keinesfalls zum Alltagsgeschäft. Die Möglichkeit des
Sterbens, auf Bestellung gar, unter welchen wie auch immer engen Voraussetzungen ist wenig geeignet, die
schwindende Selbstbestimmung zu verwirklichen; sie
birgt vielmehr eine Gefahr: die Gefahr, einen Erwartungsdruck wachsen zu lassen, auch wenn er überhaupt
nicht gewollt ist. Nützlichkeitserwägungen für eine
Rechtfertigung des Lebens darf es aber zu keinem Zeitpunkt geben.
({0})
Eine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Lösung. Wir alle kennen die älteste Formel eines Standesrechts: Das ist der immer wieder beschworene hippokratische Eid der Ärzte, vor fast 3 000 Jahren erstmals
gesprochen. Er ist eindeutig, klar und unmissverständlich und lautet: Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen. Das ist die Grundlage jedes ärztlichen Standesrechts in
Deutschland.
Ärzten mit einer gesetzlichen Norm die Beihilfe zur
Selbsttötung zu eröffnen, wäre, denke ich, sehr problematisch.
({1})
Denn allen eng gefassten Voraussetzungen und Beratungspflichten zum Trotz würde eine solche Norm das
Verhältnis Arzt/Patient grundsätzlich ändern, und zwar
im Kernbereich des Vertrauensverhältnisses.
({2})
Ärzte wollen aber Leben erhalten, die Gesundheit
schützen und möglichst wiederherstellen, Leiden lindern
sowie Sterbenden Beistand leisten. Deshalb sollen Ärzte
nicht Hilfe zu einem gesteuerten Sterben leisten, sondern
Menschen im Sterben begleiten.
Wir wollen, dass sich für Angehörige an der gegenwärtigen Rechtslage nichts ändert. Wir schlagen einen
neuen § 217 Absatz 2 des Strafgesetzbuches vor, nach
dem straffrei bleiben soll, wer Angehöriger ist. Das bedeutet aber unter keinen Umständen, dass es eine Art Ermächtigung für Angehörige wäre, bei einer Selbsttötung
mitzuwirken. Nein, es soll auch keine Grauzone geschaffen werden. Vielmehr wird ein Verantwortungsbereich
beschrieben, der sich mit seinen unterschiedlichsten,
nicht vorhersehbaren Lebenssachverhalten einer kasuistischen Paragrafenregelung entzieht. Gesetze zu schmieden, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, in der
Praxis umgesetzt zu werden, macht wenig Sinn.
Das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid
und der umfassende Aufbau einer Palliativ- und Hospizversorgung gehören untrennbar zusammen; darüber sind
wir uns einig. Der Schutz des menschlichen Lebens vom
Anfang bis zum Ende muss Vorrang vor jeder Art Nützlichkeits- oder Geschäftsdenken haben. Keiner von uns
weiß, wie er sterben wird. Wir alle hoffen, das Lebensende geborgen, aufgefangen und schmerzfrei zu erleben.
Das wollen wir mit unserem Gesetz unterstützen. Als
Christ sage ich für mich persönlich: Ich bete für ein gnädiges Ende.
({3})
Arnold Vaatz erhält nun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Johannes, ich möchte deinen Gedanken aufgreifen. Wir
befassen uns heute mit einer Regelung, deren Qualität
sich nicht danach bemisst, ob sie in philosophischen Salons oder in juristischen Seminaren Bestand hat. Vielmehr muss sie sich am Kranken- bzw. Totenbett bewähren; das ist der Auftrag.
({0})
Wie wollen wir beurteilen, wie sich eine solche Regelung in den letzten Momenten des Lebens eines Menschen auswirkt? Wir können hier nicht allgemeine Maßstäbe anlegen. Ich fordere daher jeden und jede hier auf,
sich vorzustellen, dass er oder sie nach langem Siechtum
oder nach der Prognose, dass nur noch wenige Tage bis
zum Tod verbleiben, im Bett liegt, hilflos ist und nach
langem Überlegen entscheidet: Ich möchte nicht qualvoll ersticken. Ich möchte mir nicht nachts die Schläuche aus den Adern herausreißen, in der Hoffnung, dass
die Nachtschwester das nicht bemerkt. Vielmehr möchte
ich einen leichten, absehbaren Tod, wenn es möglich ist. In einer solchen Situation befinden sich die Betreffenden. Nicht ein Dritter hat sie dazu überredet, sich den
Suizid zu wünschen. Vielmehr ist das ihre eigene Entscheidung.
Heute geht es darum, ob wir eine gesetzliche Lage
schaffen, die ausschließlich dazu dient, Menschen, die
die letzten Tage ihres Lebens vor sich haben, vor der Erfüllung ihres letzten Willens zu schützen, ihnen ihren
letzten Willen zu verwehren. Ich bin der entschiedenen
Ansicht, dass ich, wenn ich in eine solche Situation
käme, niemals akzeptieren würde, dass ein Arzt zu mir
sagt: Ich sehe zwar ein, dass du nicht mehr lange zu leben hast und eine qualvolle Zeit vor dir liegt, und kann
auch nachempfinden, dass du dir einen schnellen und
leichten Tod wünschst. Aber ich kann dir das nicht gewähren, weil ich nicht hundertprozentig sicher bin, ob
ich am Ende nicht belangt werde. Außerdem habe ich
Familie. Deinetwegen kann ich nicht meine gesamte
berufliche Karriere riskieren. - Wir haben hier Ärzte
gehört. Der eine sagte, dass die Situation gemäß dem
Gesetzentwurf Brand rechtssicher ist. Der Kollege
Lauterbach hat genau das bestritten. Ganz offensichtlich
ist man unterschiedlicher Meinung. Demzufolge kann
ich als Nichtjurist nicht sagen, wie die Ärzteschaft darauf allgemein reagiert. Aber ich bin entschieden dagegen, dass mir aus Karrieregründen die Erfüllung meines
allerletzten Wunsches verwehrt wird.
({1})
Ich betrachte es als ein zentrales Recht des mündigen
Menschen, dass er auch in einem solchen Moment selbst
entscheiden kann, wie es mit ihm in einer solchen klar
umrissenen Situation weitergeht.
Gleichzeitig rede ich aber nicht denen das Wort, die
sagen, dass wir prinzipiell niemals Menschen vor sich
selbst schützen müssen. Das müssen wir in manchen
Fällen tun. Wir halten Kinder zurück, damit sie nicht
über die Straße rennen und überfahren werden. Wir müssen etwas dafür tun, dass momentane Kränkungen, psychische Belastungen oder heilbare psychische Krankheiten nicht zum Selbstmord führen. Dafür sollten wir alles
tun. Aber ich halte es für eine Grenzüberschreitung,
wenn der Gesetzgeber für so aussichtslose Situationen
wie die eben beschriebenen ein Gesetz schafft, das ausschließlich dazu dient, Menschen in ihren letzten Sekunden die Erfüllung ihres letzten, wohlüberlegten Willens
zu verweigern. Demzufolge bitte ich um Zustimmung zu
dem Antrag Hintze.
({2})
Ulla Schmidt ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die heutige Debatte aufmerksam verfolgt. Ich hatte nicht den
Eindruck, dass ein Einziger dabei war, der nicht bereit
wäre, Menschen auch in den letzten, schwersten Stunden, Tagen und Wochen zur Seite zu stehen. Ich hatte
vielmehr den Eindruck, dass jenseits aller Differenzen
hier doch Einigkeit darüber besteht, dass es am Ende des
Lebens um die Würde des Einzelnen geht und dass diese
Würde nicht nur aufgrund von Artikel 1 unseres Grundgesetzes, sondern auch deswegen, weil sie Kernbestandteil einer humanen Gesellschaft ist, nicht verhandelbar
ist.
({0})
Deswegen glaube ich, dass neben der Wahrung der Autonomie und der Selbstbestimmung für uns alle gelten
muss, dass am Lebensende die Vermutungsregel „Pro
Leben“ steht.
({1})
Gerade deswegen müssen die Angebote ausgebaut werden.
Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, ich gehöre zu
denen, die unendlich viele Palliativstationen besucht haben und in vielen Hospizen waren. Ich bin selbst in der
Hospizbewegung aktiv und habe mit vielen Palliativmedizinern und -medizinerinnen gesprochen. Vielleicht
sollte man manchmal zur Kenntnis nehmen, was heute
schon alles in Deutschland möglich ist und was an Hilfe
geleistet wird,
({2})
und zwar von Ärztinnen und Ärzten, die nicht im Karrieredenken verhaftet sind, sondern die alles dafür tun, um
in Zusammenarbeit mit dafür ausgebildeten Pflegekräften und Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen den
Menschen zu helfen. Ich verweise auf die Angebote, die
wir geschaffen haben, wobei ich aber auch weiß, dass sie
noch nicht flächendeckend vorhanden sind. Aber da, wo
diese Angebote bestehen, werden sie von den betroffenen Menschen und ihren Angehörigen als enorme Hilfe
in den letzten schweren Stunden empfunden. Daran
muss weiter gearbeitet werden.
({3})
Es gibt drei Gründe, warum ich für den Entwurf
Griese/Brand bin.
Der erste Grund ist: Mir ist bewusst, dass es so etwas
wie Rechtssicherheit in diesen Fragen nicht geben kann.
Ich bin davon überzeugt: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wird kein Gesetzgeber bis zur letzten
Gewissheit rechtssicher regeln können.
({4})
Aber was wir brauchen, ist Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte, wenn sie sich für den Patienten entscheiden. Solidarität mit den Patienten, Kollege Hüppe,
bedeutet doch nicht nur, dass ich alles tue, um ihn am
Leben zu erhalten, sondern sie bedeutet auch die Begleitung im schweren Sterbeprozess. Das geht bis zu dem
Punkt, dass man zum Beispiel die autonome Entscheidung von ALS-Kranken, das Beatmungsgerät abzustellen - wobei die Patienten wissen, dass damit der
Sterbeprozess eingeleitet wird -, akzeptiert. Ebenso
muss akzeptiert werden, dass der Patient oder die Patientin selbst entscheiden kann, wie er oder sie den Sterbeprozess gestalten will, schlafend oder aktiv bis zum letzten Atemzug.
({5})
Deshalb glaube ich, dass der Gesetzentwurf, der all das
zulässt, was heute möglich ist, und in diesem Bereich
nichts regelt, der richtige ist.
({6})
Der zweite Grund ist: Eine so verstandene Sterbebegleitung ist für mich immer eine Frage eines karitativen
Aktes, und deshalb kann es keine gewerbsmäßige, auf
Wiederholung angelegte Arbeit von Sterbevereinen und
organisierten Sterbehelfern geben. Der Unterschied besteht in dem, was ich eben beschrieben habe: Was Ärzte
für die Patienten heute tun, ist, die Behandlung auf die
Linderung von Schmerzen unter Inkaufnahme des Todes
auszurichten. Dabei soll allerdings der Tod nicht explizit
herbeigeführt werden.
({7})
Für uns geht es darum, wirklich zu beraten und darüber
aufzuklären, was möglich ist. Diejenigen, die schnelle
Hilfe versprechen, stellen hingegen lediglich ein Suizidmittel bereit.
Der dritte und letzte Grund ist - Herr Präsident, wenn
Sie gestatten -: Wir in Deutschland können diese Diskussionen nicht führen, ohne unsere Vergangenheit im
Auge zu behalten. Ich will nicht alles in einen Topf werfen. Das eine war eine organisierte kollektive Euthanasie, die staatlich verordnet war. Wir hingegen reden hier
Ulla Schmidt ({8})
über Patientenautonomie und Selbstbestimmung bis zum
letzten Atemzug.
({9})
Aber wir müssen bei diesen Fragen immer auch mitbedenken, dass Menschen mit Behinderung schon in Sorge
sind, wenn Kriterien dafür beschrieben werden, wann
vielleicht gestattet ist, ein Leben zu Ende zu führen oder
nicht. Wir müssen da sehr sensibel und sehr vorsichtig
sein.
({10})
Ich glaube, dass wir uns bei der in unserem Land immer wieder geführten Debatte darüber, welches Leben
lebenswert ist oder nicht, stets bewusst sein müssen, dass
diese Debatte häufig von Menschen bestimmt wird, die
gar nicht in entsprechenden Situationen sind, während
Menschen in solchen Situationen ihr Leben als lebenswert empfinden. Deshalb: So wenig Regeln wie möglich. Wir sollten das Ganze in dem gesellschaftlichen
Klima belassen, das wir kennen. Aber wir sollten verbieten, dass aus Sterbehilfe eine Dienstleistung wird. Eine
Dienstleistung zum Töten darf es in unserem Land nicht
geben.
Danke schön.
({11})
Burkhard Lischka ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
heutigen Debatte ist sehr viel über Würde gesprochen
worden. Das ist auch gut so. „Die Würde des Menschen
ist unantastbar“ - das ist der erste und der allerwichtigste
Satz unseres Grundgesetzes. Ein Leben in Würde, aber
auch ein Sterben in Würde: Würde bleibt Würde, bis
zum letzten Atemzug.
Nur, wie sieht eigentlich ein würdiges Sterben aus?
Dazu gibt es - übrigens nicht nur hier im Haus - ganz
unterschiedliche und, wie ich finde, auch sehr persönliche Antworten. Für die einen besteht ein würdiges Sterben darin, dass der Körper selbst und nicht der Mensch
den Todeszeitpunkt vorgibt. Für die anderen gehört zu
ihrer Würde, dass sie als Todkranke selbst entscheiden
können, ob und wann sie ihr Leben beenden, wenn sie
ihr Leid als unerträglich empfinden. Das ist ein unauflösbarer Konflikt, der da sichtbar wird. Ich finde, dass in
einer freien Gesellschaft beide Ansichten ihren Platz haben müssen.
Wie ein würdiges Lebensende auszusehen hat, das
sollte Politik nicht allen Menschen vorschreiben.
({0})
Das ist und bleibt eine höchstpersönliche Entscheidung,
manchmal auch ein sehr schmerzhaftes Ringen zwischen
Patienten, Familienangehörigen und Ärzten darüber, was
Menschlichkeit gebietet. Der Gesetzgeber sollte das den
Betroffenen nicht abnehmen und es, wie ich finde, erst
recht nicht mit der Drohung des Strafrechts vorgeben.
({1})
Das ist eine der Kernbotschaften des Gesetzentwurfs,
den ich mit den Kollegen Hintze, Reimann, Lauterbach
und anderen hier heute einbringe. Das Strafrecht ist das
untauglichste Mittel, Todkranken vorzuschreiben, wie
sie zu sterben haben.
({2})
Deshalb verzichten wir auch bewusst auf jede strafrechtliche Regelung. Der Staatsanwalt hat am Sterbebett
nichts zu suchen.
Eine zweite Kernbotschaft senden wir mit unserem
Gesetzentwurf heute aus: Schützt eine mitfühlende ärztliche Gewissensentscheidung, wenn Menschen dem Tod
ins Auge blicken, wenn sie ihr Leid - trotz aller Bemühungen - nicht mehr ertragen können, wenn Palliativmedizin Schmerzen zwar lindern, aber nicht aus der Welt
schaffen kann?
Ich fühle mich übrigens all denjenigen durchaus verbunden, die zumindest kommerziellen Sterbehilfevereinen einen Riegel vorschieben wollen, weil Missbrauch,
finanzielle Abzocke und schlechte Beratung an der
Schwelle zum Tod nichts zu suchen haben. Nur, ich habe
eine Befürchtung: dass manche hier auf die Sterbehilfevereine zielen, aber dabei auch die Ärzte treffen.
({3})
Wer nämlich den ärztlich assistierten Suizid auf die Fälle
beschränken will, bei denen ein Wiederholungsfall ausgeschlossen ist, der schickt Staatsanwälte an das Sterbebett, ob er das will oder nicht;
({4})
denn in jedem Fall eines ärztlich assistierten Suizids
({5})
muss der Staatsanwalt doch als Erstes feststellen: Ist das
eigentlich der erste Fall? Dann muss er feststellen: Ist eigentlich eine Wiederholung ausgeschlossen, oder hat der
Arzt das auf Wiederholung angelegt? Deswegen muss er
den Arzt vernehmen und muss auch die Hinterbliebenen
vernehmen zu der Frage, was der Arzt ihnen möglicherweise gesagt hat. Im Hinblick auf den Absatz 2 dieser
Regelung muss er möglicherweise durch eine Sichtung
der Patienten- und Behandlungsakten noch feststellen,
wie nahe sich eigentlich Arzt und Patient gestanden haben.
({6})
Kein Arzt in Deutschland wird sich der Gefahr solcher
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzen, meine
Damen und Herren!
({7})
Deshalb ist meine große Befürchtung: Wenn sich kein
Arzt mehr finden wird, dann treiben wir die Menschen in
einer existenziellen Notlage genau dahin, wo wir sie
nicht haben wollen, nämlich in die Illegalität oder in das
Ausland. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
finde, eine humane Gesellschaft muss in Situationen, in
denen Atemnot, Angst, Schmerzen und Qualen nicht
mehr beherrschbar sind,
({8})
auch die Kraft aufbringen, sterben zu lassen. Und diese
Kraft wünsche ich mir für das weitere Gesetzgebungsverfahren.
Recht herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen in der Debatte, hier im Parlament und in der
Gesellschaft, über den assistierten Freitod. Wir reden dabei über Freiheit, über Selbstbestimmung, über Eigenverantwortung, über Würde am Lebensende. Das tun wir
alle. Wir reden über das Ende des Lebens, wissend, dass
es kommen wird - unvermeidlich. Wir reden über den
Tod und meinen doch eigentlich das Sterben. Wir führen
diese Debatte vor allem, weil Menschen in Deutschland
Angst vor dem Sterben haben. Sie haben Angst vor
Schmerzen, Angst vor dem Verlust von Selbstbestimmung und Autonomie, Angst vor dem Verlust der Fähigkeit, ihr Leben in Würde zu leben. Und das verstehe ich
zutiefst.
Wir reden über den Tod, aber wir meinen eigentlich
das Leben. Wir meinen ein Leben, das von Krankheit
und Leid gekennzeichnet ist, von dem wir wissen, dass
es bald zu Ende gehen wird, ein Leben, das bei manchem
betroffenen Menschen Zweifel aufkommen lässt, ob es
denn noch lebenswert sei, ob es denn noch als lebenswert betrachtet wird. Aber gibt es das, ein Leben, das
nicht mehr lebenswert ist? Krankheit, Behinderung, Leid
können die Würde des Lebens nicht relativieren. Das Leben verliert seine Würde nicht, und auch der sterbende
Mensch verliert seine Würde nicht.
({0})
Dennoch gibt es das, was wir „lebensmüde“ nennen.
Die Gründe sind vielfältig - wir kennen sie aus vielen
Umfragen -: die Angst vor Einsamkeit und Isolation, die
Sorge, ins Heim zu müssen, die Sorge, auf Hilfe angewiesen zu sein und sich dafür zu schämen. All das kennen wir, auch wenn diese Sorgen, wie die Umfragen belegen, vor allem Menschen im gesunden Alter zwischen
40 und 60 Jahren umtreiben.
Viele von uns, vielleicht alle, diskutieren hier mit sehr
persönlichem Hintergrund, mit eigenen Fragen, mit eigenen Erlebnissen. Ich finde, es tut uns im Parlament gut
bei all den Auseinandersetzungen, die wir sonst führen,
Leben und Erleben auch der anderen in den Blick zu
nehmen. Meine Mutter ist bei einem Unfall umgekommen, als ich 17 war. Ich hätte sie gerne länger gehabt
und sie gepflegt. Stattdessen musste ich damals entscheiden, dass die Geräte abgeschaltet werden. Dieses Persönliche verstellt uns aber zugleich womöglich auch den
Blick auf das Ganze. Wir entscheiden eben nicht für uns
alleine, die wir reflektiert, informiert, orientiert sind; jedenfalls hoffen wir das. Wir sind hier Gesetzgeber und
müssen daher diejenigen ganz besonders in den Blick
nehmen, die auf Schutz und auf Hilfe angewiesen sind,
die Schwächsten nämlich.
({1})
Deshalb und nicht mit Blick auf einen einzigen Kollegen oder eine einzige Kollegin hier im Saal frage ich:
Welche Einschränkungen ist diese Gesellschaft eigentlich bereit zu akzeptieren und welche nicht? Wo ziehen
wir die Linie? Ich sorge mich um eine Gesellschaft, die
irgendwann akzeptiert, vielleicht sogar erwartet, dass
alte, kranke oder pflegebedürftige Menschen ihrem Leben ein Ende setzen. Ich sorge mich um eine Gesellschaft mit unlauteren Sterbeerwartungen. Denn Menschen, die mit einer solchen Erwartung konfrontiert
werden, direkt oder indirekt, mit Worten, mit Blicken,
mit Beispielen von anderen, handeln nicht mehr selbstbestimmt. Sie sind fremdbestimmt.
({2})
Kritiker führen ja an, dass für solche Entwicklungen
bereits heute Hinweise zu finden sein müssten. Es ist jedoch ein Unterschied, ob einzelne Menschen in einer individuellen tragischen Ausnahmesituation handeln oder
ob der assistierte Suizid einen Anschein gesellschaftlicher Normalität, einen Anschein von Dienstleistung in
sich trägt. Ich jedenfalls kann keinem Vorhaben zustimmen, das in der Konsequenz den Respekt vor dem Leben
in allen Facetten, Unvollkommenheiten, in Versehrtheit
und Verzweiflung auch nur schwächt. Der assistierte
Suizid darf deshalb kein organisiertes und schon gar kein
gewerbsmäßiges Angebot werden.
Wir schulden den Menschen Würde, Selbstbestimmung, Hilfe und Unterstützung, auch im Tod. Wir schulden es den Menschen, dass sie auch in der letzten Phase
des Lebens Zuwendung erfahren, und dürfen zugleich
nicht von ihnen verlangen, einen qualvollen Weg in Widerwillen zu beschreiten. Der Gesetzgeber sollte deswegen unterstützende Handlungen beim Freitod nicht kriminalisieren. Deswegen trägt auch das Argument, dass
die Ärzte es nicht dürften, nicht. Er darf sie aber eben
auch in keiner Weise wie eine Dienstleistung legitimieren. Deswegen geht der Gesetzentwurf der Mitte, den
Kerstin Griese, Herr Brand und andere erarbeitet haben,
genau in diese Richtung: nicht kriminalisieren, aber auch
nicht als Dienstleistung legitimieren.
({3})
In unserer Debatte über den assistierten Suizid müssen wir bedenken, dass es weitergeht. Wir leben in einer
Gesellschaft, die immer mehr verlernt, über Leben,
Krankheit und Tod zu sprechen. Stattdessen wird schon
16-Jährigen suggeriert, sie könnten ihren Körper operativ optimieren. Und von 60-Jährigen wird fortwährende
vollständige Leistungsfähigkeit erwartet. Schönheit und
Makellosigkeit werden zu Götzen einer Welt, in der immer alles möglich, regelbar, erreichbar, selbstbestimmt
sein soll. Der Tod, das Sterben, die Grenzen, die das Leben hat, werden verdrängt ins Unsichtbare und Uneigentliche.
Man kann Grenzen, Leid und Tod aber weder ungeschehen noch ungesehen machen. Ohne Bewusstsein für
den Tod kann es keinen Respekt für das Leben geben.
Einer solchen Entwicklung sollten und wollen - ich
glaube, da sind wir uns einig - wir keinen Vorschub leisten. Unsere Aufgabe ist es, Hilfe im Sterben zu ermöglichen und zu verbessern. Die Angebote der Palliativmedizin müssen ausgebaut werden und die Hospizarbeit,
auch die ehrenamtliche, gestärkt werden. Zudem brauchen wir die Suizidprävention. Sie muss weiter gestärkt
werden. Es gibt jedes Jahr mehr als 10 000 Suizide. Über
90 Prozent werden von psychisch Kranken vorgenommen. Wir als Fraktion haben dazu einen Antrag vorgelegt. Wir müssen aber auch die Pflege in den Heimen
weiter verbessern.
Zum Schluss. Meine Bitte bleibt: Lassen Sie uns genau das nicht immer nur pflichtschuldig sagen nach dem
Motto „Ja, ja, wir müssen“. Auch wir sind nämlich vermutlich eines Tages selbst diejenigen, die ihre Selbstbestimmung und Würde bewahren wollen, auch wenn wir
viel an Autonomie verloren haben.
Vielen Dank.
({4})
Die Kollegin Dr. Katarina Barley spricht als Nächste.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin ausgesprochen froh über diese
Debatte - auch darüber, wie sie abläuft -, weil sie, wie
ich glaube, zeigt, dass das Thema wirklich reflektiert
wird und wir alle uns unsere tiefen moralischen und ethischen Gedanken über diese Frage machen. Sie führt
auch dazu, dass Sterben und Tod wieder ein bisschen
mehr in den Mittelpunkt rücken; denn wir neigen dazu,
die damit zusammenhängenden Fragen eher auszublenden.
Auch wir werden sterben - alle von uns -, und niemand von uns weiß, wie ihn dieses Schicksal ereilen
wird. Wir alle wollen in Würde sterben. Aber was
Würde bedeutet, das definiert eben jeder für sich selbst.
Das ist auch gut und richtig so. Daher ist es wichtig, zu
betonen: Niemand hat das Recht, das Leben eines anderen, in welcher Form auch immer es sich gestaltet, als
nicht würdig, als nicht lebenswert zu bezeichnen. Zugleich steht es, wie ich finde, auch niemandem an, einem
anderen Menschen, der sein Leben, das er lebt, als nicht
mehr lebenswert und unwürdig empfindet, zu sagen: Das
ist es nicht. Wir übernehmen diese Wertung für dich. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung weiter vorantreiben. Ich bin
sehr froh, dass wir in diesem Hause derzeit dafür sorgen.
Aber wir müssen uns auch Gedanken über diejenigen
machen, denen das nicht hilft, entweder weil die Palliativversorgung an ihre Grenzen gerät oder weil Schmerz
einfach nicht das tatsächliche und grundlegende existenzielle Problem ist, das der eine oder andere Mensch hat.
Menschen haben in diesem Land das Recht, ihr Leben
zu beenden, so sehr wir bedauern, dass sie das tun. Diejenigen, die ihnen dabei helfen, bleiben straffrei. Auch
das ist gut und richtig so. Aber wie ist die aktuelle Lage?
Am Ende eines Lebens, wenn ich sterbenskrank bin,
dann kann ich meinen Partner, meinen Nachbarn oder
meine Freunde bitten, mir dabei zu helfen, mein Leben
zu beenden; aber einen kann ich nicht bitten: meinen
Arzt. Ich halte diese Situation für fast absurd. Das verbietet nicht das Strafrecht, aber das ärztliche Standesrecht verbietet das. Nun kann man sagen: Na ja, es wird
ja nicht umgesetzt. - Ich habe vor kurzem mit dem Bischof von Trier, wo ich lebe, über Sterbehilfe diskutiert
und habe das dabei scherzhaft die „katholische Lösung“
genannt. Wir haben also Regelungen, aber gehen davon
aus, dass sie keiner anwendet. Ich glaube, dass das für
einen Gesetzgeber keine sehr befriedigende Lösung sein
kann. Ich bin froh, dass wir als Gesetzgeber uns dieser
Frage jetzt stellen; denn wir brauchen Rechtssicherheit
für die Ärztinnen und Ärzte. Wir können nicht zulassen,
dass über ihnen das Damoklesschwert von Sanktionen
bis hin zum Entzug der Approbation schwebt.
Wenn Hilfe zum Suizid in Anspruch genommen wird,
dann sollten es meiner Meinung nach gerade die Ärzte
sein, zu denen die Menschen gehen können.
({0})
Warum? Sie kennen in der Regel die Patientinnen und
Patienten gut und lange, kennen ihre Leidensgeschichte
und können mit ihnen darüber sprechen, was auf sie zukommt. Sie können sie auch beraten, welche Alternativen es gibt,
({1})
zum Beispiel Hospiz, Palliativmedizin; all das ist schon
zur Sprache gekommen. Ich glaube - auch das muss man
einfach einmal beim Namen nennen -, wenn es denn tatsächlich zur Hilfe beim Suizid kommt, dann sind diese
auch die Menschen, die das am ehesten leisten können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen
Satz hervorheben, den das Nationale Suizidpräventionsprogramm enthält. Darin wird hervorgehoben, dass insbesondere ältere Menschen allein aufgrund der Vorstellung, im Falle zu großen Leidens mit ärztlicher Hilfe
Suizid begehen zu können, stabilisiert werden und nicht
nach diesem Ausweg greifen. Allein das Wissen darum,
dass ich zu meinem Arzt gehen und Hilfe bekommen
kann, hilft also schon vielen.
Ich wage einmal einen Vergleich, der natürlich extrem
hinkt: Die Art, wie diese Debatte geführt wird, erinnert
aber mich manchmal an die Debatte zum Schwangerschaftsabbruch.
({2})
Wir wollen das nicht. Wir wollen den Effekt nicht. Wir
wollen nicht, dass Menschen das tun. Aber trotz aller
Beratung und trotz aller Unterstützung wird es Menschen geben, die das tun. Und diesen Menschen müssen
wir Unterstützung gewähren. Wir dürfen sie nicht alleinlassen, sonst werden die Tragödien umso größer.
({3})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld. Ich habe gerade von der Veranstaltung mit
dem Trierer Bischof gesprochen. Wenige Tage später erreichte mich der Anruf einer guten Bekannten. Sie sagte,
ihre Schwester, die Krebs im Endstadium hat, bereits
zwei Suizidversuche hinter sich hatte und nun in der geschlossenen Psychiatrie war, hat sich an genau diesem
Tag, als die Veranstaltung war, eine Plastiktüte über den
Kopf gezogen. Als sie gefunden wurde, hatte sie irreparable Hirnschäden. Ich habe mich gefragt: Was wäre passiert, wenn die Frau die Möglichkeit gehabt hätte, ihren
Arzt um Unterstützung zu bitten?
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia LückingMichel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ein gutes Ergebnis hat dieses Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall schon gebracht: Wir reden über Tod und Sterben. Dieses schwierige Thema war in den letzten Wochen und Monaten
Gegenstand zahlreicher Erörterungen, politischer Veranstaltungen und privater Gespräche. Immer wieder wurden dabei Stimmen laut, die fordern, dass die Entscheidung über den eigenen Tod zur Selbstbestimmung und
Autonomie jedes Menschen gehören müsse und der Gesetzgeber bzw. die Politik sich da bitte herauszuhalten
habe. Es wird dann etwa so formuliert: Letztlich sterben
wir alle alleine, also sollten wir auch selbst entscheiden
können, wie wir sterben. Wie antworte ich darauf? Autonomie über alles?
Natürlich gilt: Niemals darf ein Mensch zum bloßen
Objekt fremder Interessen herabgewürdigt und durch sie
fremdbestimmt werden. Freie Selbstbestimmung ist ein
hohes Gut und unmittelbarer Ausfluss der Würde des
Menschen. Dies ist für mich ein wesentlicher Bestandteil
auch und gerade des christlichen Menschenbildes. Aber
gleichzeitig hat unsere Selbstbestimmung Grenzen, und
der Anspruch darauf unterliegt in mancher Hinsicht auch
einer Selbsttäuschung. Denn niemand ist eine Insel. Keiner lebt für sich allein. Jeder von uns ist von Anfang bis
Ende, von der Geburt bis zum Tod auf andere angewiesen und wird - Autonomie hin oder her - durch sein soziales Umfeld bestimmt.
Wo spricht man dann wirklich autonom? Wo entscheidet unser Selbst? Und umgekehrt: Jede selbstbestimmte Entscheidung eines Menschen hat Auswirkungen auf seine Mitmenschen und beeinflusst unweigerlich
deren Lebensführung und deren Lebensschicksal. Jede
Entscheidung muss deshalb auch in ihrer Wirkung auf
andere nach bestem Wissen und Gewissen verantwortet
werden. Menschliche Autonomie wäre missverstanden,
wenn man sie mit Beliebigkeit oder gar Bindungslosigkeit gleichsetzte.
Meine Damen und Herren, was heißt das für unser
Thema heute Morgen? Nicht nur sterbenskranke und leidende Menschen, auch manche, denen es noch durchaus
gut geht, die aber Angst vor einem späteren Kontrollverlust haben, äußern immer häufiger einen Sterbewunsch.
Dabei fordern sie für sich ein Maß an Selbstbestimmung,
das es auch zu anderen Zeiten im Leben so nicht gibt.
Am Lebensende kommt es erst recht vor, dass man Kontrolle abgeben muss.
Schmerz, Leid, Ekel bekommt die Palliativmedizin
dabei heute schon viel besser in den Griff, als viele von
uns es erwarten. Mir macht Hoffnung, wenn Palliativmediziner berichten, dass sie die allermeisten Todeskandidaten von der Chance des Weiterlebens überzeugen
konnten. Trotzdem wäre es sicher vermessen, zu behaupten, dass alles Leid aus dem Leben und seinem
Ende verbannt werden kann. Vieles bekommen wir mit
Medikamenten in den Griff, doch die Konfrontation mit
unserem Ende kann uns niemand abnehmen.
Meine Damen und Herren, sterben muss jeder von
uns alleine. Das stimmt. Aber als Gesellschaft, als Gesetzgeber sind wir mit dafür verantwortlich, unter welchen Bedingungen Menschen sterben: alleine oder liebevoll versorgt, schwer leidend oder palliativmedizinisch
behandelt; vor allem aber in der Gewissheit, dass wir als
Gesellschaft keine Kosten und Mühen für sie scheuen
und sie nicht unter Druck gesetzt werden, sich für eine
Selbsttötung zu entscheiden.
Das eine ist die Freiheit, sich selbst für die Selbsttötung zu entscheiden. Die kann und will ich niemandem
nehmen, und das wollen wir auch mit unserem Gesetzentwurf nicht ändern. Das andere ist die Erwartung, dass
es in unserer Gesellschaft legalisierte Beihilfeangebote
hinsichtlich der Erfüllung dieses Wunsches geben sollte.
Wenn Beihilfe zum Suizid bei uns erst mal zum Standardrepertoire gehört, muss ich mich entscheiden; dann
bin ich nicht mehr frei, mich nicht zu dieser Option zu
verhalten. Wenn rechts und links von mir Menschen regelmäßig auf so ein Angebot zugreifen, muss ich mich
selbst ganz anders rechtfertigen, wenn ich es für mich
ausschließe. So eine Situation möchte ich für unser Land
und unsere Gesellschaft verhindern.
({0})
Aus diesem Grund habe ich mich an der Erarbeitung
des Gesetzentwurfes beteiligt, der organisierte, genauer:
geschäftsmäßige Formen von Suizidbeihilfe unter Strafe
stellt. Wir wollen nicht, dass Menschen sich selbst als
Last empfinden und sich unter Druck gesetzt fühlen, sich
aus dem Weg zu räumen. Wir haben uns vielmehr von
der Aussage leiten lassen: Eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht muss Menschen in Not einen menschlichen Ausweg anbieten, keinen technischen. Ich bitte
deshalb um Ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf
Brand und Griese.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege René Röspel spricht als Nächster.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es herrscht große Einigkeit im Hause
und in der Gesellschaft, dass Sterben und Sterbende einen würdigen Platz in unserer Gesellschaft haben müssen. Deswegen ist es gut, dass sich in den letzten Jahren
viele für eine Verbesserung der Palliativmedizin und
Hospizarbeit eingesetzt haben. Denn Hospize sind ein
solcher Platz zum Sterben. In Hospizen werden Menschen beim Sterben, in den Tod hinein, würdig begleitet.
Aber in Hospizen ist es nicht Aufgabe und auch nicht
Zielsetzung oder Absicht, den Tod herbeizuführen.
({0})
Insofern, lieber Kollege Burkhard Lischka, wird der
Staatsanwalt nach unserem Entwurf nicht am Sterbebett
stehen.
({1})
Uneinigkeit besteht sicherlich in zwei Punkten, zum
einen bei der Frage: Wie geht die Gesellschaft, wie gehen wir mit den Personen und Vereinen um, die es sich
zur Aufgabe gemacht haben, deren Ziel und Absicht es
ist, durch Deutschland zu reisen, um Menschen dabei zu
helfen, sich selbst zu töten? Ich finde, dass solche Vereine diese Gesellschaft nicht besser machen, und ich
finde auch nicht, dass sie Probleme der einzelnen Menschen lösen, sondern ich finde, dass sie es schlimmer
machen.
({2})
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf Brand und Griese
genau das verbieten.
Ein zweiter Punkt der Uneinigkeit ist die Rolle der
Ärztin oder des Arztes bei der Beihilfe zum Suizid. Nun
hat eine Gruppe um den Kollegen Hintze herum den
Vorschlag gemacht, einen Kriterienkatalog in das Bürgerliche Gesetzbuch einzubauen. Wer demnach an einer
unheilbaren Erkrankung leidet, die unumkehrbar zum
Tod führt, kann Beihilfe zum Suizid durch den Arzt bekommen.
Überall da - das ist zumindest meine Erfahrung -, wo
man einen Katalog schafft und Ansprüche formuliert,
wird es mehr Menschen geben, die sagen: Genau diese
Ansprüche, diese Kriterien erfülle ich, und da ich unheilbar erkrankt bin und meine Krankheit - wie übrigens das
Leben auch - unumkehrbar zum Tod führt, erwarte ich
von dir, Arzt oder Ärztin, dass du mir jetzt auch zum
Tode verhilfst. - Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg. Er würde dazu führen, dass die Kriterien weiter geöffnet werden, weil andere berechtigterweise fragen werden: Aber ist meine Erkrankung denn nicht
unheilbar? Warum werde ich denn nicht in die Lage versetzt, von meinem Arzt verlangen zu dürfen, auch umgebracht zu werden? - Ich finde, das hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun.
({3})
Rechtssystematisch wird es noch spannender, lieber
Karl; denn dieser Abschnitt soll in § 1921 a Bürgerliches
Gesetzbuch eingefügt werden. Wenn man im Bürgerlichen Gesetzbuch einige Seiten vorblättert, dann findet
man § 1901 a, in dem die Patientenverfügung geregelt
wird. Derselbe, der jetzt als Einwilligungsfähiger nur die
Hilfe von seinem Arzt in Anspruch nehmen darf, wenn
er unheilbar erkrankt ist, findet aber, wenn er eine Patientenverfügung für den Fall ausfüllt, dass er selbst
nicht mehr entscheiden kann, die Möglichkeit, sein Leben unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung
beenden zu lassen. Ich finde, man muss erst einmal erklären, wie das zusammengebracht werden soll. Das ist
für mich das Zeichen dafür, dass ein solcher Vorschlag
auch im Bürgerlichen Gesetzbuch keinen Bestand haben
wird.
({4})
Ich sehe das Bemühen, das hinter dem Gesetzentwurf
steht, und die Hoffnung, dass dadurch die Arbeit von
Sterbehilfevereinen vielleicht eingedämmt oder sogar
überflüssig wird. Aber meine Einschätzung ist: Das Gegenteil wird erreicht; denn so wird doch erst eine Marktlücke geschaffen für Vereine, die Menschen zu beraten,
wie sie den Kriterienkatalog des neuen § 1921 a Bürgerliches Gesetzbuch erfüllen können.
({5})
Die Sterbehilfevereine werden Konjunktur haben.
Der Gesetzentwurf Brand/Griese, den ich unterstütze,
geht einen anderen Weg, eigentlich den heute üblichen
Weg. Wir sagen: Wenn es um die Beihilfe eines Arztes
oder einer Ärztin zur Selbsttötung geht - in einer
schwierigen Situation, in einer Grenzsituation zwischen
Leben und Tod, zwischen Recht, Selbstbestimmung und
Barmherzigkeit -, dann gibt es keine bessere Instanz als
das Gewissen des einzelnen Arztes. Da geht es nicht um
das Strafgesetzbuch oder um das BGB, sondern um das,
was ein Mensch an Fachwissen, an Erfahrung, an Barmherzigkeit, an Mitgefühl angesammelt hat, um einschätzen zu können, was der richtige Weg ist. Ärzte sind täglich mit solchen Situationen konfrontiert. Sie müssen
über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.
Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Da geht es
nicht um das Strafgesetzbuch. Unser Vorschlag ist freier,
offener und selbstbestimmter als die anderen Vorschläge.
Wer unsere Haltung unterstützen will, der muss den Gesetzentwurf von Brand und Griese unterstützen. Um
diese Unterstützung bitte ich.
Vielen Dank.
({6})
Abschließender Redner in dieser ersten Lesung ist der
Kollege Rudolf Henke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anschließend an
das, was Herr Röspel gerade gesagt hat, nur einen der
existierenden Sterbehilfevereine in Erinnerung bringen.
Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch
hat eine Übersicht über seine Tätigkeiten gegeben. Der
Verein berichtet, dass im Jahr 2011 26 Personen Sterbehilfe, besser gesagt: Suizidassistenz, in Anspruch genommen haben. Sechs dieser Suizidenten waren körperlich gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt
an einer tödlichen Krankheit, bei neun Personen ist der
Suizid ohne jede Diskussion über Alternativen vollzogen
worden. - Das alles geht aus den Dokumentationen des
Vereins hervor. Ich meine, dass man solchen Geschäften,
ob sie nun kommerziell oder im Gewand eines Vereins,
der Mitgliedsbeiträge nimmt, betrieben werden, und solchen Usancen ein Ende bereiten muss.
({0})
Ich möchte zweitens ein paar Worte dazu sagen, was
heute alles möglich ist. Ich habe 1980 nach meinem
Staatsexamen begonnen, als Arzt zu arbeiten. Viele der
Fragen, die man sich damals gestellt hat, sind heute geklärt. Die Patientenverfügung ist rechtlich verankert. Es
gibt heute Richtlinien der Bundesärztekammer über die
Möglichkeit eines Zielwechsels in der Therapie. Wenn
eine kurative Behandlung nicht mehr möglich ist, dann
ist es möglich, auf eine palliative Therapie umzustellen.
Es ist möglich, auf Therapiemaßnahmen, die keinen
Sinn machen, zu verzichten. Das alles war damals, als
ich in den Beruf gekommen bin, noch nicht so. Deswegen kann man den Menschen heute sagen: Niemand
muss eine Therapie erdulden - Strahlentherapie, Operation, Chemotherapie; was auch immer -, die er selber ablehnt.
({1})
Eine Behandlung durch Ärzte, die nicht vom Einverständnis einer informierten Patientin bzw. eines informierten Patienten getragen ist, ist Körperverletzung und
nicht zulässig. Damit haben wir ein starkes Mittel in der
Hand, damit Leute nicht zum Objekt werden.
({2})
Sterben lassen ist möglich, und Therapien am Lebensende sind möglich. Selbstverständlich kann der Arzt,
wenn er sich um Schmerzstillung und Beseitigung von
Angst kümmert oder etwas gegen die Luftnot tut, im
Einklang mit dem Betreffenden Nebenwirkungen in
Kauf nehmen, wie das bei jeder anderen Behandlung der
Fall ist. Auch bei Operationen oder Chemotherapien
kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das ist gar kein
rechtliches Problem. Das wird auch bei Umsetzung des
Gesetzentwurfs Brand/Griese kein rechtliches Problem
werden.
({3})
Im Dezember 2014 hat der Deutsche Ethikrat eine
Ad-hoc-Empfehlung vorgelegt. Er macht darin deutlich:
Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in
tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art
Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren
Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der
Dienstleistung eines Vereins, wäre geeignet, den
gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu
schwächen.
Das ist doch der Punkt. Es ist viel von der Verunsicherung der Ärzte die Rede gewesen. Ich sehe den Grund
dafür nicht; aber ich sehe in manchem, was diskutiert
wird, den Grund für eine Verunsicherung der Alten, der
Schwachen, der Kranken. Denn sie fragen sich, ob sie
unter uns noch willkommen, geachtet, geliebt sind, ob
wir uns ihnen überhaupt zuwenden wollen.
({4})
Deswegen meine ich: Man kann argumentieren, dass
man die Vereine weiterhin erlauben möchte, weil die
Ärzte verunsichert würden, und man kann den Gesetzentwurf von Brand und Griese deshalb ablehnen. Aber
ich finde, man kann - darum geht es in einem Entwurf,
über den hier auch diskutiert wird - ärztlich begleitete
Lebensbeendigung nicht als ein Standardangebot ins
Bürgerliche Gesetzbuch einführen, lieber Peter Hintze.
Lieber Herr Lauterbach, als Mitglied der Ärztekammer Nordrhein wissen Sie doch genau, was aus einem
solchen Standardangebot resultieren wird: Sie werden
eine Zweitmeinung brauchen, Sie werden Qualitätssicherung brauchen, Sie werden eine Gebührenordnung
brauchen, Sie werden ein Fortbildungsangebot und Fortbildungspunkte brauchen, Sie werden Forschungsprojekte brauchen. Das alles wird Gegenstand des Medizinbetriebs, wie wir ihn überall kennen; und das möchte ich
nicht.
({5})
Damit würde eine Grenze überschritten. Ich zitiere
aus dem Formulierungsvorschlag für eine Änderung des
BGB in diesem Gesetzentwurf:
Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und
den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Patient.
- Autonomie! Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung.
Was heißt das denn? Der Arzt bleibt dabei. Was heißt
das denn, wenn das Mittel nicht wirkt? Was heißt das
denn, wenn der Betreffende erbricht? Was heißt das
denn, wenn er Krämpfe bekommt? Was heißt das denn,
wenn er den Erfolg des Suizids nicht erreicht? Dann
wird doch der Arzt unter dieser Bedingung - „Der Vollzug … durch den Patienten erfolgt unter medizinischer
Begleitung“ - zu einem notwendigen Erfolgsgaranten
der Suizidabsicht.
({6})
Damit wird hier die Grenze zur Tötung auf Verlangen
überschritten. Das macht die Tür auf für die Tötung auf
Verlangen;
({7})
denn das verlangen die Menschen dann mit Recht von
den Ärzten, die das einleiten. Da kann man nicht ein
Fläschchen hinstellen und sagen: Okay, dieses Fläschchen steht jetzt da, und im Weiteren kümmere ich mich
nicht mehr darum. - Das ist nicht das, was die Menschen
in einer solchen Situation erwarten. Deswegen sollten
wir das, glaube ich, nicht so regeln, wie das in diesem
Gesetzentwurf vorgeschlagen wird.
Meine Schlussbemerkung: Ich glaube, die Qualität
der Versorgung und die Qualität der Hilfe hängen nicht
davon ab, ob genügend Giftbecher gereicht werden, sondern davon, ob es genügend Menschen gibt, die es als
Freunde, als Ehrenamtler bei Sterbenden aushalten.
({8})
Sie hängt davon ab, ob wir es Angehörigen ermöglichen,
eine aktive Rolle in dem Teil des Lebens ihrer Lieben zu
spielen, den wir das Sterben nennen. Sie hängt auch davon ab, ob wir genügend qualifizierte und motivierte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern, in den Arztpraxen und in den Pflegeheimen haben.
Lassen Sie uns in der Debatte über das Pflegestärkungsgesetz, über die Palliativversorgung und über Hospize daran arbeiten. Dann kommen wir im Deutschen
Bundestag, glaube ich, mit dem Verbot der Sterbehilfevereine, mit dem Verzicht auf weitere gesetzliche Regelungen, mit dem Verzicht auf eine Bestimmung, die ein
Regelangebot schafft, und mit einer Stärkung der Hospizbewegung und der Palliativversorgung zu einer guten
Lösung.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 18/5373, 18/5374, 18/5375
und 18/5376 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu sehe ich keine ande-
ren Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Vizepräsident Johannes Singhammer
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der
Krankenhausversorgung ({0})
Drucksache 18/5372
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({2}),
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen
in den Krankenhäusern verbessern - Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich
regeln
Drucksache 18/5369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gute Versorgung, gute Arbeit - Krankenhäuser zukunftsfest machen
Drucksache 18/5381
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Einen Widerspruch höre ich nicht. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Bundesminister Hermann Gröhe das Wort.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die rund 2 000 Krankenhäuser in unserem Land mit ihren gut 1,2 Millionen Beschäftigten leisten mit über
18 Millionen Behandlungen im Jahr einen herausragenden Beitrag für die Gesundheitsversorgung. Mit der Reform, die wir heute auf den Weg bringen, werden wir einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dies angesichts
eines sich immer mehr beschleunigenden medizinischen
und medizinisch-technischen Fortschritts und angesichts
der demografischen Entwicklung für die Zukunft sicherzustellen. Diese Sicherstellung ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder. Deswegen haben wir
diese Reform bis hinein in den Gesetzentwurf gemeinsam in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv erarbeitet. Ich möchte auch an dieser Stelle den beteiligten
Bundesländern für die überaus vertrauensvolle Zusammenarbeit ausdrücklich danken.
({0})
So wie wir dieses Gesetzgebungsverfahren partnerschaftlich eingeleitet haben, so wollen wir es auch abschließen. Deswegen erwähne ich auch hier, dass wir
seitens der Koalition gegenüber den Ländern zugesagt
haben, vor der zweiten und dritten Lesung noch einmal
über die Fassung, die dann hier zur Schlussabstimmung
kommt, intensiv miteinander zu sprechen.
Mit unserer Krankenhausreform machen wir unsere
Krankenhäuser fit für die Zukunft. Wir verbessern die
finanzielle Ausstattung und sichern eine gut erreichbare
Krankenhausmedizin gerade in der Grund- und Regelversorgung. Wir stärken die Qualitätsorientierung in der
Krankenhausplanung und Vergütung. Wir stärken die
Pflege im Krankenhaus, gerade die Stationspflege. Denn
gute Pflege ist unverzichtbar für den Behandlungserfolg.
({1})
Wir unterstützen die Länder bei einer Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft mit Planungsinstrumenten und einem Strukturfonds. Wir verbessern die finanzielle Ausstattung und sichern gut erreichbare
Krankenhausmedizin. Wenn es nach einem Unfall oder
bei einem Schlaganfall schnell gehen muss, ist gute Erreichbarkeit ein Kriterium für gute Qualität. Wir stärken
deswegen die Grund- und Regelversorgung beispielsweise durch eine verbesserte Notfallvergütung, durch
eine bessere Berücksichtigung der Kostenentwicklung
bei der Fallpauschalenkalkulation und durch Verbesserungen bei der Mengensteuerung. Wir verbessern
schließlich den Sicherstellungszuschlag, wenn es darum
geht, die Existenz eines Krankenhauses, das für die Versorgung einer Region notwendig ist, abzusichern.
Ich weiß, dass die Regelungen zu den zukünftigen Finanzierungsmechanismen manche Sorge ausgelöst haben: die Sorge der Krankenkassen, dass zu viel Geld
fließt, die Sorge der Krankenhäuser, dass zu wenig Geld
fließt. Ich denke, wir werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Gelegenheit haben, in intensiven Gesprächen manche - auch manch übertriebene - Sorge
auszuräumen und gegebenenfalls auch Veränderungen
vorzunehmen, wenn sie unserem Ziel einer angemessenen Finanzierung, aber auch des Setzens von Anreizen
für eine zukunftsfähige Strukturweiterentwicklung dienen. Wir stärken die Qualitätsorientierung. Besonders
hohe Qualität soll zusätzlich vergütet werden, durch Zuschläge oder im Rahmen von Qualitätsverträgen. Das
heißt aber auch, unzureichende Qualität muss Abschläge
oder auch krankenhausplanerische Konsequenzen zur
Folge haben.
Mit der Einführung des Ziels der patientengerechten
sowie qualitativ hochwertigen Versorgung in der Krankenhausplanung stärken wir die Möglichkeit der Länder,
eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft vorzunehmen. Ich setze darauf, dass
diese neuen Instrumente mutig genutzt werden.
Dabei geht es vor allen Dingen um eine kluge Arbeitsteilung zwischen gut erreichbarer Grund- und Regelversorgung und einer Spezialisierung für hochkomplexe Behandlungsabläufe bei seltenen Erkrankungen,
eine Arbeit, die nicht zuletzt die Spitzenmedizin in unseren Universitätskliniken leistet. Dafür werden wir in Zukunft den Zentren die Mehrleistung bzw. die besondere
Leistung angemessen vergüten. Ich erwähne in diesem
Zusammenhang, dass wir bereits im Versorgungsstärkungsgesetz durch die Neuregelung bei den Hochschulambulanzen diese besondere Bedeutung der Spitzenmedizin unserer Hochschulkliniken ausdrücklich gewürdigt
haben.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen
und stärken die Pflege, vor allem die Stationspflege. Unsere Pflegekräfte leisten eine für den Behandlungserfolg
unverzichtbare Arbeit; dafür danke ich ihnen. Sie leisten
eine Arbeit, die oftmals unter schwierigen Bedingungen
stattfindet. Wir ergreifen Schritte, diese Situation zu verbessern. Bereits von 2009 bis 2011 gab es ein Pflegestellenförderprogramm. Nun wird ein weiteres derartiges
Programm einen nächsten Schritt gehen.
Mir liegt aber auch daran, deutlich zu machen, dass
wir ebenfalls verabredet haben, eine Expertenkommission einzuberufen, in der Expertinnen und Experten aus
Praxis, Wissenschaft und Selbstverwaltung diskutieren
und Vorschläge machen werden, ob durch das Fallpauschalensystem oder durch ausdifferenzierte Zusatzentgelte der erhöhte Pflegebedarf, beispielsweise von demenziell erkrankten, pflegebedürftigen oder behinderten
Patientinnen und Patienten, aber auch der allgemeine
Pflegebedarf in Krankenhäusern sachgerecht abgebildet
werden kann. Ich beabsichtige, die Mitglieder dieser
Kommission alsbald zu berufen, damit diese Kommission unmittelbar nach der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen kann.
Notwendig für zukunftssichere und gute Krankenhausmedizin sind ausreichende Investitionen in unsere
Krankenhäuser. Dazu haben sich die Bundesländer in
den Eckpunkten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausdrücklich bekannt. Ich erwarte, dass diesem Bekenntnis
Taten folgen. Denn wenn über Behandlungsentgelte Investitionsmittel erwirtschaftet werden müssen, weil
diese nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden, dann geht das nicht zuletzt zulasten der
Pflege. Dies darf nicht sein.
({3})
Meine Damen und Herren, wir unterstützen zugleich
die Länder bei der Aufgabe, durch Investitionen sicherzustellen, dass sich unsere Versorgungslandschaft klug
weiterentwickelt. So werden wir den Ländern mit einem
Strukturfonds zum Zweck der Verbesserung der Versorgungsstruktur, durch den Abbau von Überkapazitäten,
aber auch durch die Umwandlung von Krankenhäusern
in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen
bei dieser Arbeit unter die Arme greifen.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang ausdrücklich
auch das kommunale Förderprogramm mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Euro, das als ersten Förderzweck Investitionen in Krankenhäuser vorsieht. Das
heißt, wir erwarten entsprechende Aktivitäten der Länder. Wir unterstützen sie dabei. Wir zeigen: Wir stehen
gemeinsam in der Verantwortung für eine gute Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft in Deutschland.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Harald Weinberg.
({0})
Vielen Dank! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt
draußen vor der Tür gerade in diesen Minuten eine Demonstration im Rahmen des Streiks für eine höhere Personalbemessung an der Charité unter dem Motto „Mehr
von uns ist gut für alle“. Ich glaube, das ist das Motto,
das wir insgesamt für die Krankenhäuser brauchen.
({0})
Dieser Protest richtet sich auch dagegen, dass die Politik
das Problem des Personalnotstands in den deutschen
Krankenhäusern seit Jahren ignoriert und auch mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf eher aussitzt als angeht.
Der Gesetzentwurf selbst stößt ohnehin bei nahezu allen Beteiligten unisono auf große Ablehnung. Das
betrifft die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Landeskrankenhausgesellschaften, den Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands, den Verband der
leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, die Pflegeverbände, die Gewerkschaften Verdi und Marburger
Bund, die Sozial- und Patientenverbände, den Deutschen
Städtetag, die Bundesärztekammer, die Deutsche Stiftung Patientenschutz usw. usf. Einzig die Kassen zeigen
sich erfreut, weil sie sich mehr Einfluss auf die Krankenhausplanung und die Krankenhauskosten erhoffen. Alle
anderen lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Der Hauptgrund: Er löst die Probleme nicht, sondern er verschärft
sie.
({1})
Man kann den Eindruck bekommen, es gebe hier zwei
Realitäten der Situation in den Krankenhäusern. Die eine
betrifft die Welt der Zahlen, der Dokumentationen, der
Case-Mix-Punkte, der Grenzverweildauern, der Mengenentwicklung, der Evaluationen und der Umsatzrenditen. Hier knüpft der Gesetzentwurf offenbar an. Das
Gesetz wird den Datenkranz demnächst um Qualitätsindikatoren und andere Kennzahlen erweitern.
Die andere Wirklichkeit betrifft die realen Zustände
auf den Stationen. Dabei geht es um die Relation von
Pflegekräften - das ist in der Nachtschicht meist nur eine
Pflegekraft - zu Patienten. Ich nenne die Stichwörter
Minutenpflege, Arbeitshetze, permanente Überforderung, steigendes Risiko von und Angst vor Fehlern, Auslassen von eigentlich notwendigen Pflegemaßnahmen
- zum Beispiel von Umlagern -, Einspringen aus der
Freizeit, zeitraubende Dokumentationspflichten, Übernahme von pflegefernen, teilweise ärztlichen Tätigkeiten, ständige Arbeitsverdichtung, Burnout usw. usf. Daraus resultierend gibt es Überlastanzeigen ohne Ende,
eine Flucht aus dem Beruf oder doch zumindest in die
Teilzeit, um den Druck zu kompensieren.
Was die Ursachen anbelangt, nenne ich nackte Zahlen: Von 1991 bis 2013 stieg die Zahl der Behandlungsfälle in den Krankenhäusern um 29 Prozent - also um
fast ein Drittel - auf fast 19 Millionen im Jahr. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Vollzeitpflegekräfte um
3 Prozent. Jeder neue Fall bedeutet für eine Pflegekraft:
Aufnahme in das Krankenhaus, Vorbereitung auf den
Eingriff, Pflege nach der OP und Entlassungsprozedur.
Bei einer durchschnittlich auf rund sieben Tage gesunkenen Verweildauer sagt die Bettenauslastung so gut wie
nichts mehr aus.
({2})
Der Durchlauf hat sich enorm beschleunigt und bei weniger Pflegepersonal die Arbeit enorm verdichtet.
Ich komme zu den Hintergründen. Durch die Streichung des Versorgungszuschlags und die Ablösung des
Mehrleistungsabschlags durch den Fixkostendegressionsabschlag streichen Sie Mittel und verschärfen den
Kostendruck weiter. Die Krankenhäuser selber rechnen
mit wenigstens 500 Millionen Euro pro Jahr, die ihnen
dadurch entzogen werden.
Sie legen außerdem fest, dass die Bundesländer in den
nächsten Jahren ihre Zuschüsse für die Krankenhausinvestitionen auf dem niedrigsten Niveau der letzten
40 Jahre festschreiben, die Krankenhäuser also dauerhaft
so wenig Investitionsmittel erhalten wie noch nie. Krankenhäuser müssen aber investieren, damit sie in dem
politisch gewollten Wettbewerb untereinander überleben
können. Dazu nehmen sie in der Regel das Geld, das für
den Betrieb bzw. das Personal gedacht ist, und finanzieren davon neue Großgeräte oder bauen um. Unter den
Bedingungen der Fallpauschalen entsteht dabei nicht nur
der Zwang, am Personal zu sparen, sondern auch möglichst lukrative Prozeduren an möglichst jüngeren und
gesünderen Patienten vorzunehmen.
Dazu kommt jetzt neuerdings die Qualitätsvergütung
ins Spiel. Nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität soll in Zukunft bestimmen, wieviel Umsatz ein Krankenhaus macht. Aus unserer Sicht wollen Sie damit de
facto noch einmal den Wettbewerbsturbo einlegen. Die
Qualitätsdiskussion selbst ist da nur ein Vorwand. Sie
wollen nicht die Qualität in den Krankenhäusern verbessern, sondern Sie wollen - das sagen Sie auch mehr oder
minder unverblümt - Krankenhäuser mit schlechter
Qualität, denen die Mittel gekürzt werden, aus dem
Markt herausbringen.
Ich habe noch nie gehört, dass man mit Mittelkürzungen die Qualität verbessern kann.
({3})
Man kann damit aber erreichen, dass Krankenhäuser geschlossen werden und eine Ausdünnung der Krankenhauslandschaft vorgenommen wird. Dazu passt auch die
Abwrackprämie für Krankenhäuser, beschönigend „Strukturfonds“ genannt. Insgesamt 1 Milliarde Euro sollen für
die Schließung von Krankenhäusern und die Umwandlung in Pflegeheime und anderes bereitstehen, im Übrigen auch noch mittels einer sachfremden Finanzierung:
indem Sie 0,5 Milliarden Euro aus den Versichertenbeiträgen des Gesundheitsfonds nehmen.
Schlecht ist Ihr Gesetz sogar dort, wo Sie vorgeben,
etwas Gutes zu tun: beim Pflegestellenförderprogramm.
Die Gewerkschaft Verdi geht bei ihrem Personalcheck
davon aus, dass in den deutschen Krankenhäusern
70 000 Pflegekräfte fehlen. Sie wollen 6 000 bis 6 500
Stellen fördern, und das auch erst ab 2018. Das ist ein
Faktor 10 weniger, als man bräuchte, um die Not der
Krankenhäuser abzuwenden. Umgerechnet entspricht
das drei Stellen pro Krankenhaus. Sie merken, durch ein
solches Programm wird keine Stärkung der Pflege erreicht.
Das sage übrigens nicht nur ich, das sagt zum Beispiel
auch der Patientenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, der Landtagsabgeordnete Imhof von der CSU,
({4})
politisch unverdächtig, ein Linker zu sein. Ich zitiere:
Ein Gesetz, das jedem Krankenhaus in Deutschland
Mittel für höchstens drei zusätzliche Pflegekräfte
bereitstellt, ist ungeeignet, die wachsende Belastung des Pflegepersonals in den Krankenhäusern
langfristig zu verringern.
({5})
Das ist im Jahr 2018 ein Tropfen auf den heißen
Stein und in den nächsten 2 Jahren wird überhaupt
keine Personalmehrung für den Patienten feststellbar sein. Die Fördersumme muss drastisch erhöht
werden, um tatsächlich mehr Pflegekräfte ans Bett
des Patienten zu bekommen.
({6})
Außerdem führte er aus - Zitat -:
Den Krankenhäusern werden ab … 2017 bundesweit 500 Mio. Euro gestrichen. Und ab 2018 können sie 330 Mio. Euro Fördermittel erhalten. Das
heißt, die Krankenhäuser finanzieren ihr Förderprogramm selbst! Das ist absurd und dient nicht dem
Wohl des Patienten!
({7})
Recht hat er, mit Sicherheit. Die CSU-Abgeordneten in
diesem Haus sollten sich das Urteil ihres Parteikollegen
sehr zu Herzen nehmen.
Es ist ein Irrweg, in der Krankenhauspolitik mit immer mehr Markt die Probleme zu beseitigen, die durch
die Einführung des Marktes erst entstanden sind.
({8})
Wir von der Linken fordern einen Neustart in der
Krankenhauspolitik:
({9})
Erstens müssen die Länder mehr investieren und sich
das auch leisten können. Dafür muss man die Steuerpolitik ändern. Mit diesem Geld wollen wir die Krankenhausplanung wiederbeleben, die momentan aus Geldmangel fast nicht mehr stattfindet, und wir wollen sie
dann auch so ausrichten, dass sie übersektoral stattfindet.
({10})
Zweitens müssen wir weg vom Fallpauschalensystem, weil es falsche Anreize setzt.
Drittens brauchen wir mehr Personal. Das geht am
besten über eine gesetzliche Personalbemessung.
({11})
Deshalb bringen wir heute parallel einen Antrag ein zur
Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung, die
sich am Bedarf ausrichtet. Damit würde sich wirklich die
Versorgungsqualität verbessern.
Kurz: Bei uns steht nicht die weitere Kommerzialisierung der Krankenhäuser, sondern die gute Versorgung
der Patientinnen und Patienten sowie gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Mittelpunkt.
({12})
Deshalb unterstützen wir auch den Streik an der
Charité.
({13})
Die Kolleginnen und Kollegen streiken nicht für mehr
Geld, sondern für ausreichend viele Pflegekräfte auf den
Stationen. Nach elf Tagen Streik ist jetzt eine Rahmenvereinbarung geschaffen worden, die ganz offensichtlich
in diese Richtung geht. Das ist dringend notwendig;
denn damit würden die Behandlungsqualität verbessert,
die Behandlungsergebnisse verbessert und die Sterblichkeit verringert. Ich hoffe und bin überzeugt, dass sich
auch die Beschäftigten anderer Krankenhäuser einen solchen Arbeitskampf als Beispiel nehmen und für mehr
Personal kämpfen.
({14})
Abschließend: Wir teilen die breite Kritik an diesem
Gesetzentwurf. Ich hoffe, es wird noch Änderungen zum
Guten geben; denn schlechter geht es kaum.
({15})
Alles in allem kann ich mir aber nicht vorstellen, dass
sich die Grundrichtung noch ändern wird - so wirksam
ist das Struck’sche Gesetz leider doch nicht.
Vielen Dank.
({16})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Karl
Lauterbach.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne, zunächst
einmal kurz die üblichen, fast schon dazugehörenden
Korrekturen an den Äußerungen des Kollegen von der
Linkspartei. Ich wünschte, wir könnten uns das ersparen
und sofort zum Thema kommen; aber es ist offenbar
nicht anders möglich.
({0})
Zum einen ist es, anders als gesagt wurde, nicht so, dass
wir die Investitionsmittel der Länder, die zu knapp sind
- da sind wir uns ja alle einig -, festschreiben. So ist es
einfach nicht. Wir sagen, dass mindestens so viel bezahlt
werden muss, damit man die Mittel aus dem Strukturfonds - die 500 Millionen Euro - nutzen kann.
({1})
Somit - ich übersetze es jetzt für jeden, der es nicht verstanden hat - ist es sozusagen eine Mindestauflage, die
man erfüllen muss. Dadurch verhindern wir, dass durch
die Mittel des Strukturfonds die ohnehin zu geringen Investitionsmittel der Länder noch reduziert werden. Darum geht es. Das war die erste wichtige Korrektur.
Die zweite Korrektur ist, dass es nicht sofort Abschläge geben wird. Die Krankenhäuser, die am Anfang
nachweislich Qualitätsprobleme haben und damit die Patienten gefährden - die Patienten kamen in Ihrem Vortrag so gut wie nicht vor -,
({2})
müssen im ersten Jahr noch keine Abschläge hinnehmen, sondern erst im Jahr danach. Sie erhalten erst einmal die Möglichkeit, ihre Qualität zu verbessern. Zuschläge gibt es aber sofort. Das ist ein sehr wichtiger
Unterschied. Bei guter Qualität gibt es also sofort Zuschläge, Abschläge gibt es nur, wenn sich auch nach
dem ersten Jahr nichts verändert.
Die dritte Korrektur. Wir haben hier von Ihrer Unterstützung des Streiks gehört. Sie hätten aber noch erwähnen müssen, dass die Einigung, die in der letzten Nacht
erfolgt ist - es wurde eine Rahmenvereinbarung geschlossen -, eine gute Einigung in unserem gemeinsaDr. Karl Lauterbach
men Sinne gewesen ist und dass nicht nur Sie, sondern
auch wir diesen Streik unterstützt haben.
({3})
- Das macht es schon besser. - Das ist ein gutes Ergebnis noch bevor die Verbesserungen durch das Gesetz erfolgen. Von daher war Ihre Rede aus meiner Sicht am
Thema vorbei.
({4})
- Es ist aber wichtig, das hier richtigzustellen.
Unser Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen, hat im
Prinzip zwei Schwerpunkte:
Zum einen geht es um mehr Pflege, also um das Pflegeförderprogramm. Über die Höhe kann man streiten;
das ist ganz klar. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass
ich mir hier eine weitere Aufstockung gut vorstellen
könnte. Wir sind ja auch noch in den Verhandlungen.
Würdigen Sie aber doch erst einmal 660 Millionen Euro
an zusätzlichen Ausgaben. Das muss man doch anerkennen. Das ist in der heutigen Zeit doch nicht leicht.
({5})
Zum anderen geht es um mehr Qualität. Die Qualität
wird bei der Vergütung einzelner Krankenhäuser und bei
der Landeskrankenhausplanung berücksichtigt. Bei der
Landeskrankenhausplanung durfte sie bisher nicht berücksichtigt werden, obwohl dies hochsinnvoll gewesen
wäre. Dort konnte alles berücksichtigt werden, nur nicht
die Qualität. Dieser Fehler wird jetzt endlich beseitigt.
Das neue Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen schafft dafür Daten, womit
die Leistungen verglichen werden können.
Es ist doch sinnvoll, dass wir Krankenhausinfektionen vermeiden. Wie soll ich das denn machen, wenn ich
die Qualität der Häuser nicht vergleiche und die Honorierung nicht danach ausrichte?
Bei bestimmten Leistungen, die zu selten erbracht
werden, kann es zu schweren Komplikationen kommen.
Dann steigt das Risiko des Patienten, daran zu sterben,
deutlich an. Ein Beispiel ist der Eingriff beim Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das ist eine sehr komplizierte Operation mit einer hohen Sterblichkeit, wenn sie nicht so
oft erfolgt. Sie erwähnen mit keinem Wort, dass wir hier
eine rechtssichere Mindestmengenregelung vorsehen,
wodurch der Patient vor diesen Komplikationen geschützt wird.
({6})
Das ist doch eine sinnvolle Schlagrichtung unseres Gesetzentwurfes. Mehr Pflege, bessere Qualität: Die Honorierung soll in diese Richtung ausgerichtet werden. Hier
machen wir eine Menge.
({7})
Beim Betrachten der Krankenhausstruktur richten Sie
den Blick schwerpunktmäßig auf das Tonnageprinzip,
nach dem Motto: Jedes aufgestellte Bett und jedes zusätzliche Krankenhaus ist erst einmal gut, weil das ein
Arbeitsplatz ist. Das ist aber doch nicht die richtige
Denkweise für unser Gesundheitssystem. Das kann doch
nicht richtig sein. Bereits jetzt stehen zwischen 30 und
40 Prozent der Krankenhausbetten leer. Wir können
doch kein Interesse an teuren, leeren Krankenhausbetten
haben.
({8})
Dieses System macht doch keinen Sinn. Machen wir uns
doch nichts vor.
Im europäischen Vergleich haben wir zum Beispiel zu
wenige Einrichtungen, die teilstationär palliativ arbeiten,
in denen man also zeitweise behandelt werden kann ambulant und stationär. Die Struktur ist nicht flexibel genug. Sie sagen aber: Jedes Krankenhaus muss am Netz
bleiben. Wir wollen das Tonnageprinzip durchsetzen.
Ein Krankenhaus, das da ist, ist gut, egal wie gut die
Qualität ist. Ob es gebraucht wird oder nicht und ob dort
Menschen leben oder nicht, ist egal. Ein Bett, das dort
steht, ist gut. Ob es voll ist oder leer, ist egal.
({9})
Das ist nicht die richtige Denkweise. Die Planung
muss sich am medizinischen Bedarf orientieren, und es
darf keine ideologische Betten- und Häuserkapazitätsplanung geben. Das ist nicht mehr zeitgemäß und passt
nicht zu dem, was wir brauchen.
({10})
Ich komme zum Abschluss. Für gleiche Fälle wurden
bislang von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche
Zahlungen geleistet. Wir haben die Konvergenz dieser
Bezahlung beschleunigt, sodass dort mehr Gerechtigkeit
aufkommt. Es kann nämlich nicht angehen, dass die
Leistungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich bezahlt werden. Das bringen wir zusammen. Wir
stärken die Palliativmedizin deutlich, was in der Diskussion zur Sterbehilfe vorhin als wichtiges Problem erkannt worden ist.
Wir reduzieren auch nicht die Zuschläge für Krankenhäuser, wenn Gelder zum Aufbau der Palliativmedizin
genutzt werden. Das Gleiche gilt auch für neue Leistungen. Wenn eine neue medizinische Leistung in den Bedarfsplan aufgenommen wird, dann gibt es dafür keine
Abschläge bei den Zuschlägen. Das sind alles kleine,
aber sinnvolle Schritte in die richtige Richtung. Von daher stimmt es schon: Es gibt nichts, was man nicht noch
verbessern könnte. Aber ich glaube, dass wir insgesamt
gemeinsam einen wichtigen Schritt in Richtung einer
besseren Qualität und einer besseren Pflegeversorgung
in unseren Krankenhäusern gehen.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege Dr. Harald Terpe spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, uns eint die Einschätzung, dass Krankenhäuser
ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil der
Daseinsvorsorge in unserem Gesundheitswesen sind;
denn von kleinen Eingriffen bis hin zu aufwendigen
Transplantationen, von der Geburtshilfe bis hin zur palliativen Begleitung Sterbender leisten die Beschäftigten
dort jeden Tag Dienst am Menschen, und das sehr verantwortungsvoll.
({0})
Der Einschätzung, dass wir das im weltweiten Vergleich
auf einem sehr hohen Qualitätsniveau tun, kann man
sich nicht verschließen.
Dennoch ist sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Beschäftigten im Krankenhaus spürbar, dass es erheblichen Reformbedarf gibt. Die Arbeitsbelastung, insbesondere die der Pflegekräfte, steigt.
Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sehen
sich aufgrund von Arbeitsverdichtung und Zeitdruck oftmals nicht mehr in der Lage, so auf die Patienten einzugehen, wie sie es gerne tun würden. Notwendige Investitionen werden von den Ländern auf die lange Bank
geschoben. Kliniken finanzieren das momentan gezwungenermaßen aus den Mitteln für die laufenden Betriebskosten; Geld, das dann woanders fehlt, insbesondere im
Zusammenhang mit der beschriebenen Arbeitsbelastung
und Arbeitsverdichtung.
Zudem gibt es weiterhin Brüche zwischen ambulanter
und stationärer Versorgung, weil die Krankenhausplanung der Länder nicht gemeinsam mit der Bedarfsplanung im niedergelassenen Bereich gemacht wird. Überhaupt ist das mit der Bedarfsplanung so eine Sache: Der
Kollege Karl Lauterbach, den ich sehr schätze, hat eben
gesagt: Wir brauchen an sich in der Versorgung eine verstärkte Orientierung am Bedarf.
({1})
Das führt mich zu der Tatsache, dass es regional teilweise erhebliche Überkapazitäten gibt und dass dies zu
der prekären Lage aller Krankenhäuser beiträgt. Man
muss es einfach einmal so sagen: Wenn in einer Region
ein Krankenhaus mehr vorhanden ist und es dadurch zu
Überkapazitäten kommt, dann geht es allen Krankenhäusern schlecht, egal ob sich dadurch der Wettbewerb erhöht. Da kann man machen, was man will. Hier müssten
die Akzente anders gesetzt werden, um eine solche Situation zu beseitigen.
({2})
Wenn die Bundesregierung nun eine Krankenhausreform in Angriff nimmt, dann sollte sie, so könnte man
meinen, diese großen Baustellen angehen. Doch weit gefehlt! Im Gesetzentwurf finden sich weder Vorschläge
zur Investitionsfinanzierung noch Ansätze bzw. nur geringe Ansätze zu einer besseren sektorenübergreifenden
Planung. Das muss in Zukunft stärker forciert werden.
({3})
Ich muss auch sagen: Die Ansätze zur Verbesserung
der Situation in der Pflege bleiben so zahm, dass sie
kaum etwas verändern werden. Mit anderen Worten: Mit
dem Pflegestellenprogramm wird der Pflegenotstand
nicht einmal annähernd beseitigt.
({4})
Das spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung wider:
Der Kollege Lauterbach hat erkannt bzw. kann sich gut
vorstellen, dass eine Aufstockung der Mittel für das
Pflegestellenprogramm sinnvoll ist.
Kürzlich konnten wir in der FAZ lesen, dass die CSU
von diesen Plänen nichts hält, aber im Gegenzug eine
Finanzspritze für die Notfallambulanzen fordert. Meiner
Meinung nach muss man beides machen. Es steht - dazu
finden sich in dem Gesetzentwurf wenig Anstöße ({5})
eine Reform der Notfallversorgung an. Diese Reform
muss in Angriff genommen werden. Wir brauchen für
beides Geld.
({6})
Also: Wir fordern Sie auf, die Investitionsfinanzierung endlich grundsätzlich anzugehen. Ich verweise in
diesem Zusammenhang auf unseren Antrag, den wir
2007 vorgelegt haben. Er könnte die Grundlage dafür
sein, aber wir verschließen uns auch nicht anderen möglichen Regelungsmechanismen. Denn es geht um erheblich viel Geld für die Krankenhäuser.
Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren
noch ein deutliches Stück weiterkommen, um dem von
Ihnen vorgeschlagenen Krankenhausreformpaket, das einige Ansätze enthält, die man weiterführen könnte, einen
erheblichen Schub zu verleihen. Ich stelle sehr gern
meine Erfahrung in den Dienst eines solchen Schubes.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein,
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der
Kollege Terpe hat recht, wenn er sagt, dass uns alle das
Ringen um eine flächendeckende stationäre und zunehmend auch im ambulanten Bereich wichtige Krankenhausversorgung eint. Diese Versorgung muss natürlich
wirtschaftlich und insbesondere auch finanzierbar sein.
Das heißt aber nicht, Herr Kollege Weinberg, dass man
es sich so leicht machen kann wie Sie mit der Aussage,
wir würden Personal nur als Kostenfaktor sehen. Wir
alle sehen ganz deutlich, was die Pflegerinnen und Pfleger und die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern
unter der Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung jeden
Tag und jede Stunde leisten.
({0})
Es stimmt aber auch, dass die Personalkosten zwei
Drittel der Kosten ausmachen. In dem Gesetzentwurf
geht es auch darum, wie man genau diese zwei Drittel
der Kosten finanziert. Die GKV hat bei den Krankenhäusern einen Kostenblock von 68 Milliarden Euro. Das
ist der größte Ausgabenblock, der ein Drittel der Gesamtausgaben ausmacht. Dieser Ausgabenblock ist in
den letzten sieben Jahren um 15 Milliarden Euro, das
heißt um fast 30 Prozent, gestiegen.
({1})
Das zeigt, wie notwendig es ist, sich darüber Gedanken
zu machen, wie man auf der einen Seite die Versorgung
verbessert, auf der anderen Seite aber auch sicherstellt,
dass die gute Versorgung finanzierbar bleibt.
Wir haben dazu mit den Ländern verhandelt - und
zwar gut verhandelt; darin hat der Minister sicher recht -,
in einer sehr kooperativen Art und Weise. Der Bundesgesundheitsminister hat - das möchte ich unterstreichen die Verhandlungsergebnisse präzise und gut in einen Gesetzentwurf umgesetzt. Auch das muss man deutlich sagen.
({2})
Deshalb ärgert es mich, dass der eine oder andere aus
den Reihen der Länder, der an den Verhandlungen teilgenommen hat, sich nicht mehr präzise erinnern kann, wofür er am Schluss gestimmt hat.
Ich verstehe, dass wir darüber diskutieren wollen, und
es ist auch Fakt, dass wir tatsächlich im parlamentarischen Verfahren in der Koalition gemeinsam das eine
oder andere verbessern und verändern wollen.
({3})
Aber man muss auch deutlich sagen, dass man hinter
dem steht, was jetzt auf dem Tisch liegt.
Wir wollen die Qualität verbessern. Die Qualitätszuschläge und -abschläge in der Praxis umzusetzen, ist ein
Riesenanspruch. Dabei darf eines nicht passieren, nämlich dass das Ganze letztlich zu mehr Bürokratieaufwand
und Dokumentationspflichten führt. Das ist ganz entscheidend. Darauf kommt es an.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem
Zusammenhang auch die Rolle des MDK ansprechen.
Mittlerweile gibt es seitens der Krankenhäuser gegenüber dem MDK eine sehr emotionale Haltung, manchmal nicht ganz unbegründet aufgrund der Erfahrungen,
die man damit gemacht hat.
Wir sollten uns im parlamentarischen Verfahren ganz
präzise überlegen, ob wir angesichts der Emotionalität,
die im Raum steht, Gefahr laufen möchten, das, was wir
umsetzen wollen, nämlich mehr Qualität im Krankenhausbereich, zu gefährden. Wir müssen an dieser Stelle
darüber nachdenken, ob das die richtige Institution für
die Prüfung der Qualität ist.
({4})
Wir wollen die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen. Das ist ein Kernanliegen. Deshalb sehen wir
Sicherstellungszuschläge vor, die erstmals diesen Namen verdienen. Sie kommen nicht nur auf den Inseln
zum Tragen, wie das bisher der Fall war. Vielmehr sollen
damit Leistungen, die sonst nicht wohnortnah anzubieten sind, wie der Name schon sagt, sichergestellt werden. Auch das bitte ich entsprechend zu würdigen.
Wir stärken die finanziellen Grundlagen. Der Bundesrat fordert, die doppelte Degression auch bei den Zusatzentgelten komplett abzuschaffen. Darüber kann man
natürlich diskutieren. Ich tue mich aber schwer, diese
Forderung zu befürworten, wenn gleichzeitig der Versorgungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro, der seinerzeit eingeführt wurde, um die Auswirkungen der doppelten Degression abzumildern, beibehalten werden soll.
({5})
Das ist inkonsequent und nur schwer vermittelbar. Das
sage ich insbesondere an die Adresse der Bayerischen
Staatsregierung, die das fordert.
Wir werden in den Beratungen sicherlich an der einen
oder anderen Stelle nachjustieren. Die ambulante Notfallversorgung wurde bereits angesprochen. Hier geht es
nicht nur um mehr Geld, sondern auch um die Frage, wie
sichergestellt werden kann, dass das Geld dort ankommt,
wo die Leistungen erbracht werden, und dass keine zusätzlichen Anreize für eine noch stärkere Verschiebung
durch die Ärzteschaft in Richtung ambulante Dienste der
Krankenhäuser gesetzt werden. Wir müssen darüber
nachdenken, wie sich das miteinander vereinbaren lässt.
Das sollte uns aber gelingen.
Wir steuern die Mengenentwicklung; das ist kompliziert genug. Wenn Mengenverlagerungen strukturbedingt stattfinden, zum Beispiel dadurch, dass Krankenhäuser geschlossen werden, dann darf das nach
Auffassung einiger nicht zu Fixkostendegressionsabschlägen führen. Auch darüber lässt sich sicherlich diskutieren. Aber Fakt ist, dass auch solche Mengenverlagerungen in der betriebswirtschaftlichen Realität zu
einer Fixkostendegression führen. In den weiteren Beratungen müssen wir gründlich prüfen, ob die Instrumente
zur Mengensteuerung, die wir verändert haben, in der
kumulativen Wirkung zu starke finanzielle Begrenzungen auslösen. Mich irritiert, dass uns einerseits vorgehalten wird, wir kürzten die Budgets um 1 Milliarde Euro
- das ist der Ansatz auf der Krankenhausseite -, und
dass uns andererseits die Krankenkassen sagen, wir würden für Mehrausgaben in Höhe von 5 Milliarden Euro
sorgen. Was denn nun? Aus meiner Sicht passt das nicht
zusammen. Das kann so nicht richtig sein.
Das Pflegestellenförderprogramm ist ein wichtiger
und entscheidender Bestandteil des Gesetzes. Herr Kollege Lauterbach, natürlich kann man darüber diskutieren, wie sich dieses Programm ausweiten lässt.
({6})
Aber die Realität sieht folgendermaßen aus: Laut BA
gibt es 7 400 offene Stellen im Pflegebereich, denen gerade einmal 5 800 Arbeitsuchende mit geeigneter Qualifikation gegenüberstehen. Ein frei werdender Arbeitsplatz in diesem Bereich bleibt im Schnitt mehr als vier
Monate unbesetzt.
({7})
Nur das Programm auszuweiten, ohne dass man weiß, ob
es genügend Bewerber gibt, ist zu wenig. Das muss ich
in aller Klarheit sagen, bei aller Sympathie, die ich an
dieser Stelle habe.
({8})
Abschließend möchte ich noch etwas zum Strukturfonds sagen. Wir wollen Überkapazitäten abbauen, aber
unter finanzieller Beteiligung der Länder; denn die Länder sind bei den Investitionskosten in der Pflicht und
müssen das auch bleiben.
({9})
Sehr geschätzter Herr Kollege Nüßlein, denken Sie an
die Redezeit.
Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. - Daher können die Länder nicht lamentieren, dass wir festgelegt haben, dass in Zukunft die Länder ihre durchschnittlichen Haushaltsansätze der letzten drei Jahre
fortschreiben müssen. Natürlich müssen die Länder das
tun. Nun sind einige Länder, die in Wahlkampfzeiten
ihre Investitionen hoch- und danach heruntergefahren
haben, der Meinung, dass sie bei diesem Fonds zu kurz
kommen. Dazu kann ich nur sagen: Man sollte sich in
Zukunft gut überlegen, wie man sich in Wahlkämpfen zu
verhalten hat.
In diesem Sinne: Auf gute Beratungen. Vielen herzlichen Dank.
({0})
Als Nächste spricht die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Ihr Krankenhausstrukturgesetz hat einen beeindruckenden Umfang. Ich denke, es
geht ein bisschen nach dem Motto: Viel hilft viel. Aber
auf die wesentlichen Fragen geben Sie uns trotzdem
keine Antworten. Darüber täuschen auch Hunderte von
Seiten nicht hinweg.
({0})
Ich meine hier ganz besonders den Personalmangel in
den Krankenhäusern. Seit Jahren spitzt sich doch die
Lage immer weiter zu. Jetzt zeigen die Pflegekräfte die
Zähne. Am Mittwoch letzter Woche haben Beschäftigte
von Kliniken bundesweit im Rahmen der Verdi-Aktion
„162 000 für 162 000“ auf die unhaltbaren Zustände hingewiesen. Die Zahl 162 000 steht für die fehlenden Pflegekräfte in unserem Land.
Hier in Berlin hat das Personal der Charité gestreikt.
Jetzt hat man sich geeinigt - das wurde eben gesagt -,
aber damit ist die Kuh doch nicht vom Eis. Das ist doch
ein ganz deutliches Alarmzeichen dafür, dass in deutschen Kliniken ganz gewaltig etwas schiefläuft.
({1})
Ich will noch eine Zahl nennen, um das zu verdeutlichen. Zwischen 1996 und 2012 wurden rund 11 Prozent
der Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut.
11 Prozent, meine Damen und Herren! Niemand hier
wird doch ernsthaft behaupten wollen, dass es bis zum
Jahr 1996 11 Prozent zu viele Pflegekräfte in den deutschen Kliniken gab. Es hat ein massiver Personalabbau
stattgefunden, und von diesem Personalabbau haben sich
die Kliniken bis heute nicht erholt.
({2})
Seit der Aussetzung der sogenannten Pflege-Personalregelung, PPR, gibt es keinen Mechanismus mehr,
der Kosteneinsparungen zulasten der Pflege wirksam
verhindert. Es gibt keinen Mechanismus mehr, der auch
nur irgendwie ermittelt, wie viele Pflegekräfte eigentlich
gebraucht werden. Auch die Fallpauschalen, die DRGs,
leisten das nicht. In der aktuellen Form haben die DRGs
dazu geführt, dass die Krankenhäuser die wirtschaftlich
attraktiven ärztlichen Leistungen mehr im Fokus haben.
Das geht zulasten anderer Bereiche, insbesondere zulasten der Pflege.
Dennoch habe ich bei Ihrem Gesetzentwurf das Gefühl, dass Sie diese beunruhigende Entwicklung überhaupt nicht realisieren. Ja, Sie legen ein Pflegestellenförderprogramm auf, und, ja, das musste von den Ländern
sehr mühsam in dieses Gesetz hineinverhandelt werden.
({3})
Das Pflegestellenförderprogramm ist gut und richtig, um
etwas Zeit zu gewinnen und damit das Thema Personalnot nicht in Vergessenheit gerät. Aber auf Dauer ist das
viel zu wenig. Bei diesem Programm reden wir von 1 bis
1,5 Stellen pro Haus. Das ist ein Tropfen auf den heißen
Stein. Der ist sofort verdampft.
({4})
Sie wollen außerdem eine Expertenkommission einberufen. Diese Expertenkommission soll bis Ende 2017
prüfen, ob der Pflegebedarf in den DRGs sachgerecht
abgebildet wird. Wenn nötig, soll die Kommission Vorschläge machen. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wollen Sie denn noch prüfen? Wir haben doch kein Wissensdefizit. Was uns fehlt, ist die Umsetzung. Sie schieben die notwendigen Reformen einfach nur weiter vor
sich her.
({5})
Wir brauchen jetzt die Entwicklung von verbindlichen Instrumenten zur Personalbemessung, und wir
brauchen das schnell. Der Personalbedarf muss sich dabei aus dem tatsächlichen Pflegebedarf ableiten. Als
Sofortmaßnahme sollten Sie ein Pflegepersonalstellenprogramm auflegen, das sich mindestens an der Größenordnung der früheren Pflege-Personalregelung orientiert.
Für die mittel- bis langfristige Perspektive könnten wir
uns die Entwicklung einer Pflegepauschale gut vorstellen.
Dann gibt es auch noch die psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen. Auch hier haben wir
eine ganz große Baustelle. Die Psychiatrie-Personalverordnung fällt ab 2019 weg. Was danach kommt, ist total
unsicher. Sie müssen da jetzt endlich verlässliche Grundlagen schaffen. Da ist leider Fehlanzeige in Ihrem Gesetz.
({6})
Lieber Herr Gröhe, liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine hochwertige und zugewandte Versorgung hängt vor
allem von ausreichendem und gut ausgebildetem Personal ab. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich brauchen jetzt ein starkes Signal, das Signal nämlich, dass Sie die notwendigen Reformen wirklich
angehen. Warme Worte, Ankündigungen und Kommissionen reichen nicht aus.
Vielen Dank.
({7})
Die Kollegin Marina Kermer spricht jetzt für die
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns allen
ist klar, dass bei einer Veränderung von Strukturen zahlreiche widerstrebende Interessen auszugleichen sind.
Der Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes liegt jetzt
auf dem Tisch, ein Entwurf basierend auf den Ergebnissen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und den Beratungen von Experten. Allen Beteiligten möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön sagen.
({0})
Kaum ein anderes Thema betrifft so viele Menschen
so elementar wie die Gesundheitsversorgung. Die Patientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf beste
Versorgung und höchste Qualität der Behandlung. Sie
brauchen Vertrauen in die Fähigkeit der Ärztinnen und
Ärzte und die Fürsorge der Pflegerinnen und Pfleger.
Und: Gesundheit muss bezahlbar bleiben. Denn: Es sind
vor allem Beitragsmittel, die das Gesundheitssystem tragen, Beitragsgelder, die mit Augenmaß und Sachverstand zu verwalten sind, Beitragsgelder, um die von vielen Beteiligten gerungen wird, in erster Linie von
Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärztevertretungen.
Aber die Planungshoheit haben unsere Länder. Sie tragen die Verantwortung und entscheiden, welches Krankenhaus wo im Land mit welchem medizinischen
Schwerpunkt sein soll.
Viele Länder haben in den vergangenen Jahren die Investitionen deutlich zurückgefahren. Die Klagen der
Krankenhäuser sind berechtigt. Deshalb hätte auch ich
mir von den Ländern konkretere Zusagen über ihre zukünftigen Investitionen gewünscht. Aber wir wissen,
dass die finanzielle Lage in den Ländern schwierig ist.
Uns bleibt nicht die Zeit. Wir müssen jetzt vorausschauend handeln. Deshalb wollen wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz neue, vielfältige, zeitgemäße Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.
Ja, es ist ein lauter Wettkampf um die Interessen.
Zwei Gruppen stehen überwiegend eher leise im Abseits: Das sind die Patientinnen und die Patienten und
die Pflegerinnen und Pfleger. Das dürfen wir nicht zulassen.
({1})
Deshalb erheben wir die Stimme und treten ihnen als
Politiker mit diesem Gesetzentwurf an die Seite. Wir
wollen die Patientenrechte durch mehr Transparenz und
Qualität stärken, und wir wollen endlich die Situation
der Pflegekräfte verbessern. Mit 660 Millionen Euro
können Kliniken mehr Personal einstellen, und zwar
speziell für die Pflege am Bett; denn genau da brauchen
wir Pflegepersonal.
({2})
Wenn wir über Geld reden, das investiert werden soll,
sollten wir nicht aus den Augen verlieren: Die GKV verzeichnete im Jahr 2014 insgesamt circa 194 Milliarden
Euro Ausgaben für Leistungen der Gesundheitsversorger, davon 33 Prozent für Krankenhausbehandlungen. Es
fließt viel Geld. Trotzdem sind die Krankenhäuser von
Zahlungsunfähigkeit bedroht. Es ist eine Unwucht im
System.
Der vorliegende Entwurf ist ein Meilenstein auf dem
Weg zu zukunftsfähigen Strukturen, ein Paradigmenwechsel hin zu einer qualitätsorientierten Planung; und
das ist nötig. Die Menschen in unserem Land werden
immer älter - ein gutes Zeichen. Denn: Ein langes Leben
bei guter Gesundheit, wer wünscht sich das nicht? Der
Blick auf morgen zeigt: Es steigen die Gesundheitskosten für die Menschen im Alter. Seit Jahrzehnten haben
wir einen Geburtenrückgang. Junge Menschen ziehen
mehr und mehr in Ballungszentren. Unsere ländlichen
Regionen dünnen aus. Die Gesundheitskosten steigen
bei immer weniger Beitragszahlern. Ist es da nicht illusorisch, zu glauben, wir könnten langfristig die gleiche
Dichte an medizinischer Versorgung wie heute sicherstellen? Dazu fehlt uns auf Dauer nicht nur das Geld; uns
fehlen vor allem die Menschen, die dort arbeiten. Deshalb werden wir langfristig vor allem Kapazitäten bündeln und neue Strukturen schaffen müssen. Qualität soll
einheitlich definiert, gemessen und gesichert sein. Erfolg
soll honoriert werden, weniger gute Leistungen gerade
nicht.
Ich verstehe auch so manche Aufregung nicht. Qualitätsmanagement ist nicht neu. Es wird bereits in den
Krankenhäusern gelebt, leider nicht überall und nicht
vergleichbar. Aber ohne Qualitätsmanagement wird es in
Zukunft nicht gehen. Damit wollen wir das Patientenrecht stärken, entscheiden zu können, welcher Klinik
man vertraut. Krankenhäuser mit dauerhaft schlechter
Qualität werden nicht bestehen können. Sie bekommen
die Chance, ihre Mängel wirksam abzustellen.
Bereits heute gibt es Mindestmengenvorgaben bei
planbaren Eingriffen. Oder wollen wir beispielsweise ein
wertvolles Spenderorgan und damit ein noch wertvolleres Menschenleben riskieren, weil Ärztinnen und Ärzte
keine ausreichende Praxis haben können? Da tun wir uns
und den Ärzten keinen Gefallen. Deshalb wollen wir die
Einhaltung der Mindestmengen sanktionieren.
Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen Qualität
und Anzahl der Pflegekräfte. Heute haben wir ein Verhältnis von zwei Pflegekräften zu einem Mediziner. Die
Pflegekräfte stehen am Rand ihrer Leistungsfähigkeit.
Ich habe mit vielen Personalvertretungen gesprochen.
Ich weiß, dass Pflegerinnen und Pfleger zum Teil ganz
aus dem Beruf ausscheiden, weil sie die Belastung nicht
mehr aushalten oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht möglich ist. Meine Damen und Herren, diese
ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erscheinen nicht in einer Statistik der Bundesagentur, weil sie in
andere Branchen wechseln. Aus diesem Grund wollen
wir als SPD-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen
erreichen und erkämpfen, das Pflegestellenförderprogramm zu erweitern, die Mittel zu verdoppeln, also auf
1,3 Milliarden Euro aufzustocken.
Wir wollen nicht nur kurzfristig Personalknappheit
beseitigen; Herr Bundesminister Gröhe sagte es bereits.
Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die
tragfähige Lösungen finden soll, als Anschlusssicherung
nach diesen drei Jahren. Deshalb mein Appell: Langfristig müssen wir Personalstandards festlegen, um zum
Beispiel für sensible Stationen eine Mindestzahl von
Pflegekräften pro Patienten zu sichern.
Ich komme zum Schluss. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz kann es gelingen, die Qualität durch mehr Pflegepersonal zu erhöhen, die Arbeitssituation und damit
das Image für die Pflegekräfte auf Dauer zu verbessern
und gute Pflege am Bett und damit Patientenzufriedenheit zu sichern. Wir alle tragen Verantwortung, unser
Gesundheitssystem zukunftssicher zu gestalten: für uns,
unsere Kinder und Enkelkinder. Das wird ohne finanzierbare und effiziente Strukturen nicht funktionieren.
Ich lade Sie alle ein, uns auf diesem Weg zu begleiten,
mit konstruktiven Diskussionen und Argumenten; aber,
meine Damen und Herren, stehen bleiben werden wir
nicht.
Danke.
({3})
Der Kollege Jens Spahn spricht jetzt für die CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Krankenhäuser in Deutschland - der Kollege Terpe hat
gerade schon darauf hingewiesen - sind das Rückgrat
der medizinischen Versorgung. Sie sind die einzige Institution, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche,
365 Tage im Jahr für die medizinische Versorgung der
Bevölkerung zur Verfügung steht, im Notfall, aber auch
für die Regelversorgung. Ich glaube, niemand geht wirklich gern ins Krankenhaus, aber jeder ist froh, dass eines
in der Nähe erreichbar ist, wenn er eines braucht.
Zugleich sind Krankenhäuser in vielen kleineren, mittelgroßen, aber zum Teil auch sehr großen Städten oftmals der größte Arbeitgeber. Es geht um viele Hundert
Beschäftigte vor Ort. Es geht im Übrigen auch um große
Gebäude und Liegenschaften. Deswegen ist die Diskussion der Frage: „Was passiert in Zukunft mit dem Krankenhaus vor Ort?“, eine, die natürlich mit vielen Emotionen besetzt ist. Krankenhauspolitik, Versorgung mit
Krankenhäusern, das ist eines der Kernthemen der Gesundheitspolitik in Deutschland, und deswegen ist es
gut, dass wir uns in den nächsten Monaten Zeit nehmen,
intensiv genau darüber zu sprechen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({0})
Dazu möchte ich drei grundsätzlichere Bemerkungen
machen:
Zum einen: Wie ist es mit der finanziellen Situation?
Jeder dritte Euro, den wir im Gesundheitswesen ausgeben, geht in die Krankenhausversorgung. Das ist also der
Bereich, in dem mit Abstand am meisten Geld eingesetzt
wird. In den Jahren von 2008 bis 2014 sind die AusgaJens Spahn
ben der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankenhäuser um 30 Prozent gestiegen. In gut sechs Jahren sind
die Ausgaben um 30 Prozent gestiegen. Ohne dass wir
ein Gesetz ändern, steigen die Ausgaben für die deutschen Krankenhäuser in etwa um 2,5 Milliarden Euro
pro Jahr. Durch das Gesetz, das wir jetzt diskutieren,
werden sie in den nächsten fünf Jahren noch einmal um
gut 5 Milliarden Euro steigen. Da von Kürzungen zu reden und davon, dass zu wenig Geld da ist, lieber Herr
Weinberg, das ist, ehrlich gesagt, ein Verkennen der Realität.
Diese Zahlen machen im Übrigen eines deutlich: In
dieser Debatte geht es im Kern nicht nur um immer mehr
Geld; es geht um die Bereitschaft, Strukturen zu verändern, und genau darüber müssen wir mehr als bisher reden, wenn es um die Krankenhäuser in Deutschland
geht.
({1})
Das bringt mich zu einem zweiten Punkt. Manchmal
hat man ja den Eindruck, es bestehe die Gefahr einer
schlechten Versorgung und Erreichbarkeit. 50 Prozent
der Deutschen erreichen innerhalb von 20 Minuten mindestens drei grundversorgende Krankenhäuser. Innerhalb
von 30 Minuten erreichen 50 Prozent der Deutschen acht
grundversorgende Krankenhäuser in ihrer Nähe. Über
96 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von
25 Minuten mindestens ein Krankenhaus. Das Hauptproblem - das macht ein Blick auf die Zahlen deutlich - haben insbesondere die kleinen Häuser, wenn es um die
Fragen geht: Wie hoch ist die Belegung? Wie viele Patienten kommen im Jahr? Anders, als man denken
könnte, besteht das Hauptproblem nicht bei Häusern auf
dem Land. Tatsächlich sind es zu 75 Prozent kleine Häuser ohne Spezialisierung in den Ballungsräumen, die es
finanziell am schwersten haben und um Patienten kämpfen müssen, weil eigentlich zu wenige kommen. Wir
müssen uns in dieser Debatte endlich ehrlich machen:
Wir haben in den Ballungsräumen zu viele kleine Häuser, die alles machen wollen und immer mehr Patienten
brauchen. Da liegt ein Teil des Problems. So ehrlich
muss man diese Debatte endlich führen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Genau da wollen wir mit dem Strukturfonds ansetzen.
Eine Frage ist ja, was mit diesen Häusern passiert. Ich
habe bereits gesagt: Da geht es um Gebäude und um Arbeitsplätze. Dieser Strukturfonds soll den Übergang ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass seine Mittel
insbesondere in diesen Bereichen eingesetzt werden, um
Häuser aus der Akutversorgung herauszunehmen, sodass
sie etwas völlig anderes in der medizinischen Versorgung entwickeln können. Hier sollte beim Strukturfonds
ein Schwerpunkt gesetzt werden. Er ist tatsächlich etwas
völlig Neues, weil wir erstmalig seit vielen Jahrzehnten
Krankenkassengelder einsetzen, um indirekt Krankenhausplanung zu befördern. Insofern ist das ein wichtiger
Schritt nach vorne.
Einen weiteren Aspekt will ich ansprechen, nämlich
den der Qualität. Wir legen im Moment einen sehr starken Fokus auf die Ergebnisqualität, also auf die Fragen:
Wie gut ist am Ende die Hüfte, das Knie, der Rücken
operiert worden? Wie geht es dem Patienten nach einem
Monat, nach sechs Monaten? Was ist tatsächlich passiert? Es ist auch richtig, hierauf einen Schwerpunkt zu
setzen. Aber wir müssen noch stärker als bisher erst einmal auf die Indikationsqualität schauen. Was nützt es
mir, wenn ich qualitativ super operiert worden bin, aber
unnötig? Es ist im Interesse der Patienten, dass wir auch
hier auf die Qualität achten und schauen, wo wir unnötige Operationen vermeiden können, die zum Teil gemacht werden, weil sie Geld bringen, die zum Teil aber
auch gemacht werden, weil man die Behandlungsalternativen nicht genug in den Blick nimmt. Es gibt Beispiele, wonach 80 Prozent der Rückenoperationen, die
geplant waren, vermieden werden konnten, weil durch
eine konventionelle Behandlung, durch entsprechende
Physiotherapie und anderes mehr, der Patient schmerzfrei und im Grunde behandlungsfrei wurde. Wir müssen
den Fokus stärker auf die Fragen legen: Warum wird eigentlich wie viel in Deutschland operiert? Warum wird
regional unterschiedlich operiert? Genau darüber wollen
wir in den nächsten Wochen und Monaten reden.
({3})
Bezüglich der Qualität gibt es ein zweites Thema; dabei geht es um die Versorgung in der Fläche und die
Frage, wer was macht. Schauen Sie sich einmal die Zahlen der Patienten an, die mit einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt in die Notfallaufnahme kommen. Es
gibt Krankenhäuser in Deutschland, in die im Schnitt
nicht einmal ein Patient pro Woche mit einem Schlaganfall eingeliefert wird. Dort sind entsprechende Experten
nicht vorhanden. Wenn Sie in die Statistik schauen, dann
stellen Sie fest, dass in diesen Häusern die Sterblichkeitsrate viel höher ist. Als Schlaganfallpatient ist das
Risiko, in einem Krankenhaus, das pro Woche weniger
als einen Schlaganfallpatienten hat, an diesem Schlaganfall zu sterben, deutlich höher. Auch diese Debatte müssen wir endlich ehrlich und transparent führen. Wir müssen darüber reden, dass es manchmal Sinn macht, die
Dinge zusammenzuführen; dafür muss man vielleicht etwas weitere Wege in Kauf nehmen, erhält dafür aber
eine deutlich höhere Qualität in der Versorgung der Patienten. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen und
nicht so demagogisch, wie Sie es hier gerade gemacht
haben, über Qualität reden würden, dann würde sehr klar
werden, dass das In-den-Mittelpunkt-Stellen von Qualität, wie wir es jetzt vorhaben, vor allem den Patienten
dienen soll, gerade auch im ländlichen Raum.
({4})
Das heißt im Kern - darüber ist dann auch zu reden -:
Wir haben zu viele kleine Häuser vor allem in den Ballungsräumen, zu viele Häuser, die versuchen, alles zu
machen. Auch das ist ein Problem: Jeder will sich spezialisieren. Jeder will Darmzentrum sein oder eine
Onkologie haben. Gleichzeitig gibt es den Drang, jedenfalls in bestimmten Regionen, schneller zu operieren, als
es vielleicht nötig ist. Gleichzeitig gibt es aufgrund des
Drucks - da kommen wir zur Frage der Pflege - einen
Abbau von Personal. Und wir haben die Situation, dass
die Länder, die für die Investitionen zuständig sind,
diese nicht leisten, und die Häuser, weil sie natürlich in
eine gute Versorgung, in einen neuen OP-Saal, in neue
Möglichkeiten investieren müssen, gezwungen sind, das
Geld, das eigentlich für die Ärzte und für die Pfleger
vorgesehen ist, für Investitionen einzusetzen.
Es geht nicht nur um mehr Geld - das muss in dieser
Debatte endlich deutlich werden -, sondern auch darum,
die strukturellen Probleme in den Mittelpunkt zu rücken
und zu lösen. Das ist am Ende auch das entscheidende
Element, um das Pflegeproblem zu lösen. Einfach nur
mehr Stellen, einfach nur mehr Geld lösen das Kernproblem nicht. Deswegen wollen wir im Zusammenhang
mit diesem Gesetz über strukturelle Veränderungen in all
diesen Fragen reden.
({5})
Abschließend, Herr Präsident, möchte ich sagen: Ich
freue mich, dass mit diesem Gesetzentwurf ein gutes Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt, auf dessen Basis wir über Strukturveränderungen reden können.
Ich wünsche mir dazu intensive Debatten, auch in den
Ausschüssen im Deutschen Bundestag. Sie wissen: Ich
werde an diesen Debatten wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten nicht mehr so intensiv teilnehmen. Das ist meine letzte gesundheitspolitische Rede
- vorerst jedenfalls - nach zwölfeinhalb Jahren, in denen
ich mich mit Gesundheitspolitik beschäftigen durfte. Es
waren spannende Jahre. Es waren Jahre, in denen es vor
allem um Dinge ging, die die Menschen sehr interessieren. Aber mindestens so sehr freue ich mich auf meine
neuen Aufgaben.
Ihnen danke ich für die Zusammenarbeit.
({6})
Herr Kollege Spahn, ich darf Ihnen von dieser Stelle
herzlich danken. Sie haben in der Gesundheitspolitik
tiefe Fußspuren hinterlassen. Vielen Dank dafür. - Jetzt
spricht der Kollege Edgar Franke für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht nur hier in Berlin, sondern auch in jeder Lokalzeitung können wir verfolgen, wie in Menschenketten für
mehr Klinikpersonal, für eine bessere Finanzierung der
Krankenhäuser vor Ort gekämpft wird. Aber so einfach
- Herr Spahn hat es eben angedeutet -, wie es sich einige
machen, ist es nicht. Krankenhäuser werden von zwei
Ebenen, also dual, finanziert. Für die Sicherstellung der
Versorgung, das heißt für die Finanzierung von Investitionen, sind die Länder zuständig, die Betriebsausgaben
werden dagegen durch Fallpauschalen bzw. Pflegesätze
gedeckt und letztlich von den Krankenkassen gezahlt.
Die Länderfinanzierung ist unzureichend; das wissen wir
alle. 2 Milliarden Euro an Investitionen müssen jedes
Jahr aus den Betriebsausgaben finanziert werden. Das ist
- Herr Spahn, das ist richtig - nicht einfach für die Krankenhäuser.
Dieses Spannungsverhältnis werden wir nicht grundlegend auflösen, aber wir werden mit diesem Gesetz die
strukturellen Probleme angehen. In dem Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben sich die Länder verpflichtet, die Investitionsmittel in notwendigem
Umfang bereitzustellen. Frau Scharfenberg, auch eine
Vertreterin der Grünen, nämlich Barbara Steffens, war
Mitglied dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe; das nur
noch einmal zur Erinnerung.
({0})
Wir geben den Ländern starke Instrumente an die
Hand, um die Krankenhauslandschaft neu zu strukturieren. Denn das Problem ist nicht nur allein die Ökonomisierung durch die Fallpauschalen, sondern das Problem
ist, dass in vielen Ländern und auch in vielen Kommunen - ich war ja lange Kommunalpolitiker - oftmals die
politische Kraft fehlt, stationäre Überkapazitäten umzustrukturieren. Auch das muss man einmal sagen dürfen.
Die Qualität spielt jetzt bei der Krankenhausplanung
eine ganz andere Rolle als bisher. Es ist gut, dass der
G-BA dafür klare bundeseinheitliche Maßstäbe entwirft.
Gute Krankenhäuser sollen Zuschläge erhalten. Das ist
vernünftig; das ist gut. Ich sage allerdings auch, Herr
Minister: Ob Abschläge bei schlechter Qualität justiziabel sind, wird sich noch zeigen müssen. Da bin ich eher
skeptisch.
Bessere Qualität - auch das ist schon angesprochen
worden - wird durch das Pflegestellenförderprogramm
erreicht. Wir wissen alle um die Arbeitsverdichtung bei
den Pflegekräften. Mit dem Pflegestellenförderprogramm - Ulla Schmidt hatte ja einmal ein Programm in
gleicher Höhe aufgelegt - werden 660 Millionen Euro
für neue Stellen im Bereich der Pflege zur Verfügung
stehen. Das Programm ist vor allen Dingen zielgenau,
weil mit dem Geld nicht das undichte Krankenhausdach
repariert werden kann, sondern das Geld für eine bessere
Pflege am Bett eingesetzt werden soll.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem wollen
wir, dass gute Pflege in den Fallpauschalen abgebildet
wird, damit gute Pflege besser bezahlt wird. Ich glaube,
das ist ein wichtiger Punkt.
({2})
Wir werden aber auch strukturelle Probleme lösen, indem wir die Krankenhäuser, die für die flächendeckende
Versorgung auf dem Land dringend notwendig sind, finanziell stärken. Viele Ärzte verlassen die kleinen Krankenhäuser und gehen in die Ballungszentren. Das ist ein
wichtiges Instrument dieses Gesetzes, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Auch mit dem Strukturfonds können wir vieles machen. Wir können vor allen Dingen Anreize schaffen,
Überkapazitäten abzubauen. Wir können des Weiteren
versuchen, ein Krankenhaus im Ballungszentrum mit einer schlechten Qualität in ein Gesundheits- und Pflegezentrum oder ein Hospiz umzuwidmen; denn die brauchen wir dringend. Insofern wird der Strukturfonds dazu
führen, dass wir die Versorgung verbessern. Es ist gut
angelegtes Geld, weil es nachhaltig investiert wird, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
Es wird immer behauptet, Krankenhäuser würden weniger Geld als zuvor erhalten. Herr Weinberg, das
stimmt einfach nicht. Ganz im Gegenteil: Es wird mehr
Geld in die Hand genommen, um die Krankenhäuser zu
unterstützen. Im Jahr 2016 sind es 600 Millionen Euro,
über 1 Milliarde Euro im Jahr 2017 und 1,4 Milliarden
Euro im Jahr 2018, dabei ist das Geld aus dem Versorgungsstärkungsgesetz noch nicht einmal hinzugerechnet.
Also: Es gibt nicht weniger Geld, sondern mehr Geld für
die Krankenhäuser.
({3})
Da wir das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen,
sondern uns am Maßstab der Qualität orientieren, ist das
kein pauschales Geldausgeben. Herr Spahn hat vorhin
gesagt: Wir haben in letzter Zeit 30 Prozent mehr ausgegeben. Das sind von 2008 bis 2014 in absoluten Zahlen
15 Milliarden Euro, die wir in dieser Zeit mehr ausgegeben haben. Deswegen muss man wirklich sagen: Es
stimmt einfach nicht - man kann es nicht oft genug wiederholen -, dass wir weniger Geld ausgeben. Auf der
Grundlage dieses Gesetzes geben wir den Krankenhäusern mehr Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mit diesem Gesetz schaffen wir bessere Rahmenbedingungen für Qualität. Wir Sozialdemokraten werden
ganz besonders darauf achten, dass das auch wirklich gelingt. Wenn wir dafür noch an der einen oder anderen gesetzlichen Stellschraube - wenn wir in diesem Bild bleiben wollen - drehen müssen, dann werden wir das auch
machen, vielleicht müssen wir dazu bei einem Finanzstaatssekretär nachfragen; denn Krankenhäuser zu finanzieren, ist auf jeden Fall eine wichtige gesellschaftliche
Aufgabe der Daseinsvorsorge. Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten werden immer zu den Krankenhäusern stehen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie es bei abschließenden Rednern oft der Fall ist: Zu
diesem Gesetzentwurf ist schon vieles gesagt worden.
Deswegen möchte ich nur einige wenige Punkte vertiefen und vielleicht das eine oder andere korrigieren, was
in den Raum gestellt wurde.
Es ist durchaus richtig, dass der Budgetanteil des
Pflegepersonals - noch vor zehn Jahren war er der
größte Budgetanteil im Krankenhaus - heute nicht mehr
der größte Anteil ist. Es gibt Gründe dafür, warum der
ärztliche Bereich heute vor dem Pflegedienst steht. Aber
das heißt nicht, dass das, was wir jetzt mit dem Pflegeprogramm machen, nicht zu Verbesserungen führt. Es
wird die Probleme nicht lösen, wie es gesagt wurde - das
stimmt -, aber es wird sie lindern.
Frau Scharfenberg, die Zahl von 1,5 Stellen pro Krankenhaus, die Sie genannt haben, ist so nicht richtig.
Wenn Sie die Summe, die mit diesem Gesetz zur Verfügung gestellt wird, durch die Zahl der Krankenhäuser dividieren - unterstellt 60 000 Euro je Pflegekraft -, dann
kommen sie auf 5 500 Stellen. Dabei dürfen wir die
psychiatrischen Krankenhäuser nicht mitrechnen; denn
es geht ausschließlich um die somatischen Krankenhäuser. Dann kommen Sie auf 3,5 bis 4 Stellen pro Krankenhaus. Das ist mehr als das Doppelte der Zahl, die Sie genannt haben. Ich sage aber noch einmal: Die Probleme
werden nicht gelöst, aber sie werden angegangen. Es
wird vor allem darauf ankommen, diese 3,5 Stellen bei
einem 200-, 300-Betten-Haus vernünftig einzusetzen. Es
geht darum, die Attraktivität des Pflegeberufs zu stärken.
Das kann man mit diesem Geld machen.
Bei der Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs
geht es insbesondere darum, mehr Stellen für Auszubildende, Krankenpflegeschülerinnen und -schüler und diejenigen zu schaffen, die die Praxisausbildung und -anleitung am Bett durchführen. Es ist einfach notwendig und
muss möglich sein, dass die Praxisanleiter die Zeit haben, sich ihren Schülerinnen und Schülern zu widmen,
damit diese auf der einen Seite etwas lernen und auf der
anderen Seite sehen, dass es sinnvoll ist, was sie da machen, dass sie einen guten und richtigen Beruf gewählt
haben und man sie nicht auf die Station schickt, ohne
dass sie die nötigen Anleitungen dafür erhalten haben.
Ich würde sehr dafür werben, das Geld genau für diese
Stellen einzusetzen und es nicht mit der Gießkanne in einem Großkrankenhaus zu verteilen.
({0})
Dann käme natürlich nicht allzu viel dabei herum.
Als zweiten Punkt möchte ich das Thema der doppelten Degression ansprechen. Wir alle haben über Jahre
hinweg an Podiumsdiskussionen teilgenommen und haben mit den Krankenhausgesellschaften auf Landesebene und Bundesebene über dieses Thema diskutiert
- es war das Thema Nummer eins -: Abschaffung der
doppelten Degression bei den Krankenhäusern, die keine
Mehrmengen erbracht haben. Diese Krankenhäuser
mussten bisher akzeptieren, dass der Landesbasisfallwert gesenkt wird, sie in Mithaftung für die Mehrmengen anderer Krankenhäuser genommen werden. Genau
dies schaffen wir mit diesem Gesetz ab. Natürlich ist
jetzt die Folge, dass diejenigen Krankenhäuser, die
Mehrmengen erbringen, alleine dafür geradestehen müs11078
sen; das ist richtig. An dieser Stelle muss man sagen:
Wenn dort berechtigterweise notwendige Mehrmengen
erbracht werden, dann müssen diese Mehrmengen natürlich den Krankenhäusern vergütet werden. Es kann ja
nicht sein, dass man in Zukunft Mehrmengen, die notwendig sind, nicht mehr auskömmlich finanziert. Es
muss bei den Mehrmengen um die Istfälle gehen und
nicht um die hypothetischen Fälle. Da müssen wir in diesem Gesetzgebungsverfahren sicherlich ein Stück weit
nacharbeiten.
Einige Sätze zum Thema Strukturen. Jens Spahn hat
eindrucksvoll dargelegt, wie die Situation in Deutschland aussieht. Kollege Harald Terpe hat mir gerade am
Platz gesagt: Jetzt sei mal mutig und sage auch hier an
dieser Stelle, was du sonst in den Podiumsdiskussionen
sagst! - Ich will das gerne machen. Wir müssen akzeptieren, dass die Länder nur noch 50 Prozent der Investitionskosten erbringen. Wir müssen hinnehmen - es ist
nun mal so -, dass die verbleibenden 50 Prozent aus den
laufenden Entgelten entnommen werden. Daran wird
sich vermutlich nichts ändern. Wo sollen die Länder das
Geld hernehmen? Ich sehe keinen anderen Weg und
weiß nicht, woher die Mittel kommen sollen.
({1})
Also nehmen wir die Situation einfach so, wie sie ist,
und machen uns darüber Gedanken
({2})
- nicht bei diesem Gesetz, aber vielleicht bei einem Folgegesetz -, wie wir den Status quo legalisieren können.
In einem Punkt unterscheiden wir uns vielleicht doch:
Wenn wir dies tun, dann kann es natürlich nur um die bedarfsnotwendigen Krankenhäuser gehen - sonst hätte
das ja zur Folge, dass wir auch wieder mit der Gießkanne Mittel verteilen und Strukturen zementieren, die
wir so nicht haben wollen -, dafür werbe ich.
({3})
Das wird auch dazu führen, dass die Strukturen in unserem Land verbessert werden. Im Übrigen ist unser Vergütungssystem darauf ausgerichtet, dass wir wirtschaftliche
Krankenhäuser haben, nicht Grund- und Regelversorger,
die in 100-Betten-Häusern vor sich hin arbeiten; das gibt
das Vergütungssystem überhaupt nicht her. Schon deswegen ist es notwendig, dass wir an dieser Stelle einen
deutlichen Schritt weiterkommen.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/5372, 18/5369 und 18/5381 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich
davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Dann sind
diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Medizinische Versorgung für Asylsuchende
und Geduldete diskriminierungsfrei sichern
Drucksache 18/5370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Widerspruch gibt es dagegen keinen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Harald Weinberg für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Menschen fliehen zu uns, weil weite Teile ihres Landes
durch Krieg zerstört wurden wie in Syrien oder ihr Leben durch Bürgerkriege und Stammesfehden bedroht ist
wie in Westafrika. Sie entkommen politischer Verfolgung in repressiven Regimen wie in Eritrea. Meistens
haben sie eine gefährliche Reise hinter sich. Das sind
Frauen, Männer, Familien, Kinder und Jugendliche Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr leben können.
Oft sind sie schwerst traumatisiert nach Folterungen,
Massenvergewaltigungen, Gewalt und Hunger. Sie haben ein Anrecht auf eine menschenwürdige Behandlung.
({0})
Daher haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht,
wonach Flüchtlingen die gleiche gesundheitliche Versorgung zustehen soll wie gesetzlich Krankenversicherten.
Bisher erhalten Flüchtlinge nur Leistungen bei akuten
Krankheiten, Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft, und auch das nur, nachdem sie auf dem Sozialamt
vorgesprochen, den dortigen Mitarbeiter von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugt und einen Behandlungsschein erhalten haben. Wir wollen das ändern.
({1})
Denn die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nach § 12 Sozialgesetzbuch V gesetzlich
auf das Notwendige beschränkt. Weniger als das Notwendige verletzt das Recht auf Gesundheitsversorgung.
Daher wollen wir, dass jeder Flüchtling eine Gesundheitskarte erhalten und sämtliche notwendigen Leistungen bekommen soll, ohne zuvor zum Sozialamt zu
müssen. Für uns ist das eine klare Sache; denn die notwendige gesundheitliche Versorgung betrifft die
menschliche Existenz und ist damit ein ganz wesentliches soziales Menschenrecht und eine internationale
Verpflichtung der Bundesrepublik.
({2})
Ich hoffe, dass die Argumente, die in der Vergangenheit gegen diesen Vorschlag geäußert wurden, dieses
Mal nicht wieder Anwendung finden. Bei diesen Argumenten ging es meist um Abschreckung; ich erinnere an
das Wort von der „Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“. Nach unserer Ansicht sind das alles Argumente,
die nicht greifen dürfen, weil die Praxis der Notfallversorgung einen zigtausendfachen systematischen Verstoß
gegen soziale Menschenrechte in Deutschland darstellt.
Das muss aufhören. Menschenrechte haben immer Vorrang vor falschen migrationspolitischen Erwägungen.
({3})
Die Einschränkung der Gesundheitsversorgung auf
Akutleistungen ist auch sachlich nicht haltbar, weil sie
weite Interpretationsspielräume eröffnet und damit
Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten verursacht. Zum
Beispiel sind chronische Krankheiten grundsätzlich ausgeschlossen. Dennoch muss ein Diabetiker natürlich Insulin erhalten. Es wäre unverantwortlich, den Leistungsausschluss für chronische Krankheiten ernst zu nehmen
und zu warten, bis ein diabetischer Schock eingetreten
ist, um dann die akute Krankheit zu therapieren. Vergleichbare Probleme gibt es auch mit anderen chronischen Krankheiten.
Nach den bisherigen Erfahrungen in Bremen und
Hamburg würde der einfache Zugang zu Gesundheitsleistungen wenig kosten und spart auch noch Geld. In
Bremen gibt es einen Vertrag mit der AOK, wonach
heute schon dort lebende Asylsuchende eine Gesundheitskarte bekommen. Dennoch kostet diese Lösung das
Land Bremen nicht mehr Geld als zuvor. Das liegt größtenteils daran, dass die Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit einer Genehmigung der Anträge auf
Gesundheitsleistungen beim Sozialamt entstehen, ersatzlos entfallen können. Für die Gesundheitskarte zahlt die
Stadt einen pauschalen Beitrag an die Krankenkasse.
Hinzu kommt, dass Flüchtlinge aufgrund der bisher hohen Schwellen nicht zum Arzt gehen und Krankheiten
verschleppen. Das macht die Behandlungen schlussendlich teurer. Da ist es günstiger, ihnen die Gesundheitskarte zur Verfügung zu stellen. Auch die Bekämpfung
von Infektionskrankheiten, beispielsweise durch Impfungen, findet derzeit zu wenig statt, obwohl darauf auch
nach heutiger Gesetzeslage schon ein Rechtsanspruch
besteht.
Das alles sind gute Gründe, die für eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge sprechen.
({4})
Aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die Koalition unserem Antrag voraussichtlich nicht zustimmen
wird. Nach dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt
habe ich aber die Hoffnung, dass die Bundesregierung
den Ländern die Durchführung des Bremer Modells immerhin leichter machen will und dass sich damit nach
Jahren der Stagnation etwas bewegt.
({5})
Das wäre zwar eine Verbesserung, aber das reicht nicht
aus.
Ich bitte Sie, bundesweit verpflichtend eine Gesundheitskarte für alle in allen Bundesländern einzuführen
({6})
und den Leistungsanspruch auf das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung anzugleichen. Ganz wichtig
wäre es auch, eine Lösung für die Hunderttausende illegal in Deutschland lebenden Menschen ohne Meldeadresse zu finden; denn diese Menschen haben zwar qua
Gesetz einen Leistungsanspruch, aber die Arztpraxen
und Krankenhäuser bleiben regelmäßig auf den Kosten
sitzen.
Wenn Sie das alles regeln, liebe Koalition, dann hat
unser Antrag trotz Ablehnung etwas Gutes bewirkt, und
das wäre ja schön.
Vielen Dank.
({7})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In der Regel muss sich ein Asylbewerber heute für einen Arzttermin beim örtlichen Sozialamt einen Berechtigungsschein holen. Das ist, zugegeben, mit einem bürokratischen Aufwand verbunden, und
auch ich werde in meinem Wahlkreis darauf angesprochen.
Der Antrag der Linken scheint daher zunächst nachvollziehbar zu sein. Sie fordern, dass stattdessen alle
Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte
({0})
und nach drei Monaten den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem erhalten sollen.
Gerne will ich Ihnen erklären, warum ich sowohl die
Gesundheitskarte für Asylbewerber als auch die Gleichstellung nach drei Monaten ablehne. Dazu hole ich ein
bisschen aus.
({1})
Wir stehen heute vor gewaltigen migrationspolitischen
Herausforderungen. Die Vereinten Nationen meldeten
kürzlich die unvorstellbare Zahl von weltweit 60 Millionen Flüchtlingen. Das ist die größte Flüchtlingskrise aller Zeiten. Die langfristigen Folgen dieser globalen Katastrophe sind kaum absehbar. Dieses Thema wird uns
daher noch über Jahre beschäftigen. Deswegen müssen
wir unser Asylsystem und unsere Leistungen so gestalten, dass nur die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge
schnell integriert werden. Abgelehnte Asylbewerber hingegen müssen zügig und konsequent zurückgeführt werden; denn viele deutsche Kommunen haben heute schon
die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht.
Die Bundesregierung tut viel, um die Kommunen zu
entlasten: Die Soforthilfen des Bundes wurden in diesem
Jahr auf 1 Milliarde Euro verdoppelt. Ab 2016 wird sich
der Bund dauerhaft an den Asylkosten der Länder beteiligen. Um die Verfahren zu beschleunigen, wurden beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1 400 neue
Stellen geschaffen; weitere 1 000 Stellen sind für 2016
eingeplant. Mit dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht und
zur Aufenthaltsbeendigung, den wir heute hier verabschieden wollen, sorgen wir dafür, dass die Ausreisepflicht künftig schneller durchgesetzt werden kann.
Jetzt sind aber auch die Länder gefordert. Wir brauchen mehr Erstaufnahmeeinrichtungen, damit aussichtslose Asylbewerber gar nicht erst auf die Kommunen
verteilt werden. Außerdem müssen die Länder ihre Ausländerbehörden und ihre Gerichte besser ausstatten, damit dort in den Asylverfahren nicht der nächste Flaschenhals entsteht.
({2})
Deutschland hilft den Flüchtlingen wie kaum ein anderes Land in der EU. Jeder dritte Asylantrag wird heute
in Deutschland gestellt. Der Grund dafür ist ganz einfach, er ist relativ simpel: Gemeinsam mit Schweden
sind wir das attraktivste Zielland innerhalb Europas.
({3})
Wir haben erst im letzten Jahr die Residenzpflicht und
die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete gelockert und den Arbeitsmarktzugang schon nach drei
Monaten ermöglicht.
({4})
Seit Jahren steigt die Zahl der Asylanträge in Deutschland extrem an. Im Jahr 2008 wurden 28 000 Anträge registriert.
({5})
In diesem Jahr erwarten wir 450 000 Anträge. Damit hat
sich die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren um
fast 1 600 Prozent erhöht. Sie erreicht damit ein neues
Rekordhoch.
({6})
Im Schnitt werden bei zwei von drei Asylanträgen
keine Schutzgründe festgestellt. Die Hälfte der Asylbewerber kommt aus den Westbalkan-Staaten. Ihre Anträge werden quasi alle abgelehnt; denn diese Menschen
suchen bei uns Arbeit. Das ist verständlich - sie kommen zu uns, weil Deutschland Sicherheit, Wohlstand und
Zukunft verspricht -, aber das rechtfertigt bei uns keinen
Flüchtlingsschutz.
({7})
Asyl dient ausschließlich dem Schutz vor Verfolgung
und nicht der Anwerbung von Fachkräften oder als Mittel gegen Armut.
({8})
Um unsere Kommunen zu entlasten, müssen wir die
große Zahl der aussichtslosen Asylanträge reduzieren.
Wir brauchen daher ein klares Asylrecht, das Fehlanreize vermeidet und in ärmeren Weltregionen keine falschen Hoffnungen weckt.
Wenn man Ihrem Antrag folgen würde und bundesweit eine Gesundheitskarte einführen und jedem Asylbewerber den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem schon nach drei Monaten ermöglichen würde,
dann würden die sowieso schon extrem hohen Asylzahlen weiter ansteigen, und zwar in erheblichem Umfang.
({9})
Die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte
wäre eine Einladung für jeden, sich in Deutschland umsonst behandeln zu lassen.
({10})
Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Warum Deutschland?“ belegt, dass bereits heute die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Deutschland zu den
wesentlichen Anreizen gehört, um hier Asyl zu beantragen. Sie können es gerne nachlesen.
({11})
Asylbewerber werden heute schon umfassend medizinisch versorgt.
({12})
Unmittelbar nach der Ankunft erhalten sie eine Kurzuntersuchung. Die ausführliche Untersuchung gemäß § 62
Asylverfahrensgesetz muss spätestens nach drei Tagen
erfolgen. In Bayern zum Beispiel wird in den Erstaufnahmeeinrichtungen die medizinische Versorgung aller
Asylbewerber auf niedrigschwelliger Basis sichergestellt.
({13})
Sie werden mit dem Nötigsten versorgt. Im akuten Notfall steht auch das System der Notfallversorgung zur
Verfügung.
Heute schon erhalten Asylbewerber spätestens nach
15 Monaten Aufenthalt eine medizinische Hilfe ähnlich
der von Sozialhilfeempfängern. Ab diesem Zeitpunkt erhalten sie auch eine elektronische Gesundheitskarte.
Diese Frist von 15 Monaten hat einen guten Grund.
Grundsätzlich soll es nämlich eine umfassende gesundheitliche Versorgung nur für anerkannte Flüchtlinge geben oder für diejenigen, die sich seit 15 Monaten in
Deutschland aufhalten und diese Dauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst verursacht haben. Ein Blick in das Gesetz, in diesem Falle das Asylbewerberleistungsgesetz,
erleichtert, wie ich so oft sage, die Rechtsfindung. Da
steht das nämlich drin.
Der bayerische Finanzminister erwartet, dass für die
Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in
Bayern bis Ende 2016 rund 3 Milliarden Euro fällig werden. Das ist mehr als der Landesetat von Wirtschaft, Gesundheit und Umwelt zusammen. Eine Gesundheitskarte
mit dem Leistungsumfang, wie Sie ihn im Prinzip von
Beginn an fordern, würde diese Kosten natürlich weiter
in die Höhe treiben. Und: Sie riskieren mit Ihrem Vorschlag auch die öffentliche Zustimmung zu unserem
Asylsystem. Angesichts von 450 000 - 450 000! - Anträgen in diesem Jahr, eines stetig steigenden Migrationsdrucks und auch der aktuellen Situation im deutschen Gesundheitssystem lässt sich eine solche massive
Leistungsausweitung unserer Bevölkerung nicht vermitteln.
Bund und Länder haben sich beim Flüchtlingsgipfel
am 18. Juni darauf geeinigt, dass die Länder selbst entscheiden, ob sie die Abrechnung der Arztkosten für
Asylsuchende im bisherigen eingeschränkten Leistungsumfang auf die gesetzlichen Krankenkassen übertragen
wollen. Bayern hat sich aus gutem Grund dagegen ausgesprochen. Derzeit gibt es dieses Modell nur in Bremen
und in Hamburg. Die Signalwirkung der Stadtstaaten ist
vergleichsweise überschaubar. Wenn aber auch ein großes Land wie Nordrhein-Westfalen die Gesundheitskarte, wie von Ihnen gefordert oder auch nur wie jetzt
möglich, einführt, dann würde das ganz falsche Anreize
schaffen, die sich auf das gesamte Bundesgebiet auswirken.
({14})
Ich warne ausdrücklich davor. Auch wenn das jetzige
System bürokratischer ist: Es hat seinen Zweck. Wir
können die Kommunen nur dauerhaft entlasten, wenn
wir den Fokus der Flüchtlingspolitik auf die Herkunftsund die Transitländer richten und dort die Fluchtursachen bekämpfen. Ständig neue Forderungen an den
Bund nach noch mehr Hilfen für Asylbewerber sind unverantwortlich.
({15})
Letztendlich erhöhen auch solche Anreize wie die Gesundheitskarte nur den Migrationsdruck. Wir müssen bei
unseren Leistungen ganz klar zwischen Asylbewerbern
und anerkannten Flüchtlingen unterscheiden. Unser
Asylrecht soll nur die Schutzbedürftigen schützen. Ihr
Antrag geht in die falsche Richtung.
({16})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss sagen: Die Vorrednerin hat eigentlich mehr als deutlich gemacht, woran bisher eine menschenwürdige gesundheitliche Versorgung in Deutschland gescheitert ist.
({0})
Als jemand, der aus einer Gegend kommt, die sehr
christlich geprägt ist, muss ich auch sagen, dass es mir
ein bisschen die Sprache verschlagen hat, hier eine solche Positionierung zu hören, bei der der Mensch, der
Flüchtling an und für sich nicht vorkommt. Dass jemand
in solch einer menschenverachtenden Art und Weise
über die gesundheitliche Versorgung spricht, habe ich
selten gehört. Das muss man einmal vorwegsagen.
({1})
Es ist auch bezeichnend, dass die Union als ersten Redner nicht einen gesundheitspolitischen Sprecher oder
eine gesundheitspolitische Sprecherin gesandt, sondern
lieber ihre grundsätzlich restriktive Flüchtlingspolitik
deutlich gemacht hat.
({2})
Worüber reden wir? Wir reden darüber, dass auch
Deutschland grundsätzlich menschenrechtliche Verpflichtungen eingegangen ist. Zu diesen Menschenrechten gehört nach dem Schutz zuallererst die Gewährung
von gesundheitlicher Versorgung, wenn der Bedarf da
ist.
({3})
Diese Form der Verpflichtung haben Sie in keiner Weise
auch nur angesprochen.
Wer muss Ihnen eigentlich noch ins Gebetbuch
schreiben, was alles fehlt? Der Ärztetag hat in diesem
Jahr erneut deutlich gemacht, dass die restriktiven Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes zu Mangelversorgung, Chronifizierung und einer insgesamt
schlechten gesundheitlichen Versorgung führen, die uns
oft sogar noch teurer kommt, weil die Flüchtlinge und
betroffenen Erkrankten am Ende stationär versorgt werden müssen;
({4})
das ist ein Zustand, den man nicht hinnehmen kann.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins
Stammbuch geschrieben: Das Menschenrecht ist aus migrationspolitischen Erwägungen nicht zu relativieren. Das muss hier gelten.
({5})
Kommen wir einmal zu den einzelnen Fragen, die
hier eine Rolle spielen. Wo haben wir denn überall eine
Unterversorgung? Wir haben sie im Bereich der Reha,
der Prävention, der Kuren, bei notwendigen Anschlussbehandlungen, beispielsweise nach einer Krebsbehandlung, aber auch dort, wo es um ganz schlichte Fragen
geht, zum Beispiel bei der Kariesversorgung von Kindern. Nur die Behandlung einer festgestellten Karies
wird heute bezahlt, aber nicht das Anrecht auf Prävention. Meine Damen und Herren, dass es so etwas heute
noch gibt, kann doch nicht wahr sein.
({6})
Von daher ist die Forderung der Linken ganz richtig; wir
haben sie auch schon in vielen anderen Anträgen bekräftigt.
Wir führen eine Diskussion, an der sich deutlich zeigt,
dass die Bevölkerung, die Bundesländer und die Kommunen in ganz vielen Regionen weiter sind als Sie. Sie
alle fordern die Einführung der Gesundheitskarte, und
zwar auch deshalb, um den Ablauf der Versorgung vernünftiger zu gestalten, nämlich so, dass man eben nicht
erst zum Sozialamt rennen muss, um einen Antrag auf
eine notwendige Behandlung zu stellen.
({7})
Dadurch würden alle gewinnen. Wir würden eine unter
menschenrechtlichen Gesichtspunkten ordentliche Versorgung gewährleisten, wir würden dafür sorgen, dass
die Kommunen entlastet werden, und wir würden gleichzeitig zum Bürokratieabbau beitragen. Dieses Geld
könnten wir sehr, sehr gut in eine bessere Versorgung investieren.
({8})
Wir haben es mit einem Versagen des Gesundheitsministeriums auf ganzer Linie zu tun, weil es längst, seit
November letzten Jahres, die Verpflichtung gibt, eine
Regelung zu schaffen, die es den Ländern ermöglicht,
die Gesundheitskarte, wenn sie es denn wollen - das ist
ja bisher an der CSU gescheitert -,
({9})
einzuführen. Eine solche Regelung liegt über sechs Monate später immer noch nicht vor. Im Gegenteil: Sie wird
beim zweiten Flüchtlingsgipfel wieder einmal zum Verhandlungspfund gemacht. Ich finde das schäbig.
({10})
Ein weiteres Trauerspiel: Wie sieht es mit der Finanzierung der Traumazentren, der Zentren für Menschen,
die Folter erlebt haben und traumatisiert sind, aus? Auch
da ist ein Scheitern auf ganzer Linie festzustellen. Von
den 21 Zentren, die auf Mittel der EU angewiesen sind
und Anträge auf Weiterfinanzierung gestellt haben, haben bisher nur 12 überhaupt Aussicht auf Erfolg. Die
psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen mit
schwersten Traumata ist nicht gesichert; sie findet auf
Spendenbasis statt. Auch da müssen wir eine Lösung
finden.
Wir müssen auch eine Lösung für all diejenigen finden, die mehr als 15 Monate hier sind und Anspruch auf
eine Regelversorgung haben; denn sie ist auf die besonderen Bedarfe der Flüchtlinge gar nicht ausgerichtet.
Auch da muss das Gesundheitsministerium endlich tätig
werden und dafür sorgen, dass das Regelsystem auf
diese neue Aufgabe ausgerichtet wird. Das muss passieren.
({11})
Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht bis Herbst
ordentlich Dampf machen können. Die Bevölkerung,
meine Damen und Herren, ist sehr viel weiter hinsichtlich Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur. Sie kann
all diese Dinge nicht verstehen.
({12})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
das ist in der Tat eine schlimme und schwierige Entwicklung: Immer mehr Menschen suchen in unserem Land
Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Sie nehmen
enorme Strapazen auf sich, um für sich und ihre Kinder
bzw. ihre Familien eine sichere Zukunft zu ermöglichen
- auch wir würden das tun -, ja, um überhaupt eine Zukunft zu haben.
Allein im Monat Mai wurden fast 26 000 Asylanträge
in Deutschland gestellt. Wir meinen, es ist unsere humanitäre Pflicht, Schutzbedürftige aufzunehmen und gut zu
versorgen.
({0})
Daher ist das, was die Kollegin Lindholz formuliert hat,
nicht die Grundmusik unseres Ansatzes.
({1})
Vielmehr sind die Unterstützung und in der Tat auch die
gute Versorgung unser Anliegen. Viele Flüchtlinge benötigen eine gute gesundheitliche Versorgung. Sie haben
grausame Erfahrungen in ihren Herkunftsländern und
während ihrer Flucht gemacht. Das wirkt sich auf Seele
und Körper aus. Es besteht dringende Notwendigkeit,
schnell und niedrigschwellig zu helfen.
({2})
Wer mit Flüchtlingen - wie es vielleicht viele von uns
tun - in direktem Kontakt steht, der sieht und weiß das.
Und er weiß um die Notwendigkeit, dass da wirklich
dringend etwas in die Wege geleitet werden muss. Ich
glaube, es ist unser aller Ansatz, mit den Ländern und
den Kommunen zusammen dafür zu sorgen, dass sich
bei der Erstaufnahme sowie in den Folgeunterkünften
die Situation wirklich verbessert.
({3})
Denn eines ist auch klar: Das, was Flüchtlinge, Asylsuchende erlebt haben, sollte dazu führen, dass sie bestmögliche Unterstützung und Begleitung bzw. ärztliche
Versorgung bekommen. Deshalb distanziere ich mich
ausdrücklich von der Begleitmusik der Kollegin
Lindholz. Darum darf es uns hier nicht gehen.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Klein-Schmeink?
Ja, gerne.
Frau Mattheis, stimmen Sie mit mir überein, dass es
durchaus helfen würde und besser wäre, wenn wir die
Einschränkungen aus den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes - danach ist nur eine Mindestgesundheitsversorgung vorgesehen - abschaffen - das wäre
doch genau in Ihrem Sinne - und eine Überführung in
die Leistungsgewährungen nach den GKV-Finanzierungsgesetzen vornehmen würden, die ja auch nur die
notwendige, wirtschaftliche und zweckmäßige Behandlung vorsehen?
Ja, wir sind da - das wissen Sie, werte Kollegin
Klein-Schmeink - mit dem Inkrafttreten der Novelle des
Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1. März schon auf
einem guten Weg gewesen. Dabei ging es um die Verkürzung des Zeitraums für den Bezug von Grundleistungen bei den Gesundheitsleistungen von 48 auf 15 Monate.
Ich komme zum zweiten Punkt, der ja - das unterschreibe ich sofort - auch Ihre zentrale Forderung ist,
nämlich zur Einführung der Gesundheitskarte. Dabei
geht es darum, dass de facto diese beschränkten Zugänge
abgeschafft werden. Von daher, Frau Klein-Schmeink,
würde ich mich sehr freuen, wenn wir hier im Parlament
alle miteinander das Ziel verfolgen würden, genau da
Unterstützung zu leisten, wo Menschen in verzweifelten
Situationen zu uns kommen und hoffen, dass es ihnen
bei uns besser geht. Es sollte möglich sein, dass diese
hochtraumatisierten Kinder, Frauen und Männer Zugang
zu guter Versorgung haben.
Deshalb bin ich überzeugt, dass wir nicht nur mit der
Entlastung jetzt - damit wäre, glaube ich, die Frage beantwortet -, nicht nur mit dem Vorziehen der Leistungen
auf 2015 zur Entlastung der Kommunen, sondern auch
mit einer strukturell dauerhaften Förderung ab 2016 die
Länder und die Kommunen in die Lage versetzen, nicht
nur für die Unterkünfte besser zu sorgen, sondern auch
für die gesundheitliche Versorgung.
({0})
Es geht dabei nicht nur um die ärztliche Versorgung,
sondern insbesondere auch um die psychotherapeutische
Versorgung.
Frau Klein-Schmeink, Sie haben das Problem der Finanzierung der Behandlungszentren für Folteropfer angesprochen. Ja, auch das sind Barrieren, die wir überwinden müssen. Auch in meiner Stadt, in Ulm, gibt es
ein Behandlungszentrum für Folteropfer. Ich weiß, um
welche Schicksale es da geht und wie schwierig die Versorgung ist. Ich glaube auch, dass wir da zusammen mit
den Ländern und den Kommunen - es müssen allerdings
auch die Krankenversicherungen mitspielen - einen guten Weg finden; denn es handelt sich um Einzelschicksale, die uns nicht nur sehr berühren, sondern bei denen
wir alle wissen, dass so etwas ein Leben lang prägt.
Von daher lassen Sie mich einfach festhalten: Wir
sind nicht nur, was die finanzielle Unterstützung anbelangt, auf einem guten Weg; wir werden im Herbst auch
Richtlinien zur Einführung der Gesundheitskarte nach
dem Bremer Modell bekommen. Bei der Übertragbarkeit
des Modells - es gibt ja schon Vertragsverhandlungen,
sowohl in Baden-Württemberg als auch in NordrheinWestfalen - von Ländern wie Bremen und Hamburg, die
damit seit vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht haben, geht es nicht darum, Leistungen in irgendeiner
Weise zu kontrollieren, sondern um verwaltungstechnische Vereinfachungen. Das ist wichtig, um die Zugänge
niedrigschwellig zu gestalten. Städte wie Münster - das
müssten Sie ja wissen - haben eine Vereinbarung hinbekommen,
({1})
nach meiner Kenntnis auch andere Städte. Dort gibt es
schon genau dieses Bremer Modell.
({2})
Wir brauchen jetzt schlicht und ergreifend eine Richtlinie, damit dies auch in Flächenländern möglich wird.
({3})
Dafür zu werben, ist unser Anliegen; dafür treten wir
ein.
({4})
Ich bin der Überzeugung, dass wir, was die psychotherapeutische Versorgung anbelangt, auch wichtige
Bausteine setzen können; denn klar ist - da greife ich
einfach noch einmal die scharfen Töne in der Debatte
auf -: Wir sind eines der wirtschaftlich stärksten Länder.
Wir haben heute einen gesundheitspolitischen Vormittag
erlebt, wo es immer darum ging, Solidarität mit den
Schwächsten in unserer Gesellschaft zu üben. Da waren
wir uns - egal ob es um Palliativmedizin oder Hospize
geht - in allen Bereichen einig. Ich wünsche mir sehr,
dass wir diese Einigkeit auch bei diesem Thema nicht
verlieren.
Vielen Dank.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Heiko Schmelzle, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde die Familie meines Vaters auf grausame Weise aus dem Sudetenland vertrieben. Auch die
Familie meiner Mutter flüchtete aus der Heimat, um in
Frieden und Freiheit noch einmal ganz von vorne anzufangen. Das Trauma der Flucht und der Verlust der Heimat sind bis heute eine nicht verheilte Narbe auf unserer
Familienseele, auch wenn meine Familie zum Glück
eine neue Heimat in Ostfriesland gefunden hat.
Jeder Flüchtling hat eine eigene Leidensgeschichte
und sein ganz persönliches Schicksal. Insofern möchte
ich von diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag aus
allen Flüchtlingen, die in Deutschland Zuflucht vor Terror, religiöser und politischer Verfolgung suchen, mein
tief empfundenes Mitgefühl ausdrücken: Seien Sie uns
in Deutschland herzlich willkommen!
({0})
Derzeit befinden sich weltweit ungefähr 60 Millionen
Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl an
Flüchtlingen, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen jemals verzeichnet hat. Gestiegene Flüchtlingszahlen sind auch in Deutschland zu erkennen. Gab
es 2008 22 085 Erstanträge auf Asyl, waren es 2014
202 834. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind
rund 110 000 Asylanträge gestellt worden, sodass die
Asylbewerberzahl für 2015 auf über 350 000 steigen
könnte. Das stellt unser Land und unsere Sozialversicherungssysteme vor ganz neue Herausforderungen.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, zeichnet jedoch ein verzerrtes Bild der
Realitäten in unserem Land.
({1})
Ihre Behauptung, Asylbewerbern werde die Möglichkeit
auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Mitte versagt, weise ich entschieden zurück. Die Realität sieht anders aus. Syrischen Flüchtlingen zum Beispiel wird in
Deutschland im Rahmen des Möglichen zügig Asyl
gewährt. Selbst der Familiennachzug wird großzügig gehandhabt. Wir wollen das Leben der Betroffenen erleichtern und ihnen Schutz bieten. Seit Beginn des Terrors
durch den „Islamischen Staat“ haben wir mehr als
120 000 syrische Flüchtlinge bei uns aufgenommen mehr als jedes andere EU-Land.
Von den in den ersten vier Monaten dieses Jahres in
Deutschland angekommenen rund 110 000 Asylbewerbern stammten allerdings über die Hälfte vom Balkan.
Über 57 000 stammten aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, dem Kosovo und Albanien. Während
die überwiegende Zahl der syrischen Flüchtlinge anerkannt wird, tendieren die Anerkennungszahlen insbesondere bei den Bewerbern aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien fast gegen null. Die Menschen aus
diesen Ländern mögen sich aus nachvollziehbaren Gründen auf den Weg nach Deutschland aufgemacht haben;
diese stellen aber regelmäßig keinen Asylgrund dar.
Das deutsche Asylrecht hat durch Artikel 16 a Grundgesetz Verfassungsrang. Es ist das einzige Grundrecht,
welches nur Ausländern zusteht, und zwar dann, wenn
sie politisch verfolgt werden. Asyl gewähren wir aus unserer Grundüberzeugung. Das Asylrecht darf aber kein
Schlupfloch für illegale Einwanderung oder die illegale
Ausnutzung unserer Sozialsysteme sein.
({2})
Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, die Behauptung aufstellt, die derzeitigen
Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz würden regelmäßig zu - ich zitiere - „Verzögerungen der Behandlung führen und dazu, dass selbst unaufschiebbare Behandlungen unter Gefahr für Leib und Leben verschleppt
werden“,
({3})
der setzt sich nicht sachlich mit Art und Umfang einer
angemessenen medizinischen Versorgung für Asylbewerber auseinander.
({4})
Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz können in Deutschland nach 15 Monaten die
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vollumfänglich in Anspruch nehmen. Bis dahin besteht ein
Anspruch auf medizinische Versorgung regelhaft nur bei
akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei
Schwangerschaft und Mutterschaft. Im Falle einer
akuten Notfallbehandlung im Krankenhaus oder bei
Zahnärzten können Ärzte und Krankenhausträger unter
den im Gesetz genannten Voraussetzungen ihren Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen
Leistungsträger - sprich: der GKV - geltend machen.
Die Erfüllung Ihrer Forderung, allen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten den Zugang zu
sämtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren und ihnen damit die Mitgliedschaft
in der GKV zu geben, würde unseren Anstrengungen,
die Zuwanderung aus sicheren Drittstaaten zu reduzieren, entgegenwirken. Vor allem aber würde das die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen wahrlich überfordern.
({5})
Die Große Koalition hat sich für einen Weg der Vernunft entschieden.
({6})
Wir haben im März dieses Jahres die Bezugsdauer von
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von
bislang 48 Monaten auf 15 Monate unter Berücksichtigung des tatsächlichen Aufenthalts im Bundesgebiet reduziert. Damit können die Leistungsberechtigten nach
15 Monaten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vollumfänglich nutzen. Ich finde, da sind
wir einen gewaltigen Schritt gegangen.
({7})
Um die dafür erforderliche schnellere Bescheidung der
Asylanträge erreichen zu können und somit für die Antragsteller schneller Rechtssicherheit zu schaffen, haben
wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit
1 400 zusätzlichen Stellen ausgestattet und werden wir
2016 weitere 1 000 Stellen schaffen.
Wer hingegen wie Sie den nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten von Anfang an den Zugang
zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnen möchte,
schafft eine Situation, in der es künftig attraktiv sein
würde, in Deutschland trotz offenkundiger Aussichtslosigkeit Asyl zu beantragen, um Versorgungsleistungen
im Rahmen der GKV in Anspruch zu nehmen.
Ein weiterer nicht nachvollziehbarer Punkt in Ihrem
Antrag ist die Behauptung, die von Ihnen geforderte sofortige reguläre Pflichtmitgliedschaft - ich zitiere „würde bedeuten, dass sie Vorversicherungszeiten für
eine spätere freiwillige Mitgliedschaft in der GKV erwerben können“. Dabei handelt es sich doch um ein völlig konstruiertes Beispiel. Ihr Beispiel setzt nämlich voraus, dass der anerkannte Asylbewerber unmittelbar
nach seiner Anerkennung ein Unternehmen oder ein
Gewerbe gründet und sich dann für eine freiwillige
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung
entscheidet.
({8})
Nur für diesen einen denkbaren Fall bräuchte er die Vorversicherungszeiten. Ich denke, wir alle wissen, dass
dies ein konstruierter Fall ist.
Meine Damen und Herren, viele Menschen in
Deutschland versuchen im Ehrenamt, aber auch in den
zuständigen Ministerien, Ämtern und Behörden alles,
um das Flüchtlingsleid zu lindern.
({9})
All diesen Menschen gilt heute mein aufrichtiger Dank.
({10})
Wer hätte noch vor wenigen Jahren eine Asylbewerberzahl von 350 000 oder sogar darüber vorhersehen
können? Neue Herausforderungen bedürfen auch zeitge11086
mäßer Lösungen. Durch die rasant gestiegene Asylbewerberzahl müssen die Erkenntnisse von gestern an die
Realität angepasst werden. Eine Öffnung sämtlicher
Leistungen der GKV für jeden, der nach Deutschland
kommt, ist aus meiner Sicht durch die Sozialgemeinschaft nicht tragbar. Aber ich sage auch: Jeder, der hierherkommt und eine sofortige Behandlung braucht, weil
er in Not ist, wird diese Hilfe in jedem Krankenhaus und
bei jedem Arzt bekommen. Es wird dann auch ein Weg
gefunden werden, diese Leistung zu vergüten.
({11})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ulla Jelpke,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin
Lindholz und Herr Schmelzle, ich muss schon sagen:
Die Szenarien, die Sie hier aufbauen, sind an Zynismus
kaum noch zu übertreffen.
({0})
Es gibt nicht den falschen und den richtigen Flüchtling,
den illegalen und den legalen.
({1})
Jeder Mensch hat nach der Genfer Flüchtlingskonvention und nach internationalem Recht das Recht, hier
Anträge auf Asyl zu stellen. Diese müssen fair geprüft
werden. Das ist ganz klar.
({2})
Sie haben recht: Es kommen viele Flüchtlinge zu uns.
Aber ich sage noch einmal: Kein Mensch flieht ohne
Not, ohne Grund. Die Gründe der Flucht müssen auch
weiterhin geprüft werden.
({3})
Frau Lindholz, ich frage mich wirklich, ob die Würde
des Menschen, die im Grundgesetz verankert ist, bei Ihnen für alle Menschen gilt oder nur für die Deutschen.
Diese Frage muss man wirklich einmal stellen.
Hier und heute geht es um ein ganz ernstes Problem.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der EUAufnahmerichtlinie sind Flüchtlinge, insbesondere die
besonders schutzbedürftigen, angemessen medizinisch
zu versorgen.
({4})
Ich möchte das Problem gerne an einer Gruppe deutlich
machen, nämlich an den Frauen. Sie tun immer so, als ob
hier alles in Ordnung wäre.
({5})
- Nein, das ist keineswegs so. - Die Aufnahmerichtlinie
sichert gerade Frauen, schwangeren Frauen, Minderjährigen und anderen
({6})
ganz besonderen Schutz zu, den sie in den Flüchtlingsunterkünften und -lagern häufig nicht finden.
({7})
Für diese Frauen ist es - das sage ich ganz deutlich eine außerordentlich große psychische und körperliche
Belastung, überhaupt auf die Flucht zu gehen.
({8})
Sie benötigen neben einer adäquaten Unterbringung
auch eine angemessene medizinische Versorgung.
({9})
Ich will zwei Beispiele anführen, von denen der Berliner Flüchtlingsrat berichtet hat. In Hannover wurde eine
Asylbewerberin mit einem vier Wochen alten Frühgeborenen mit Atembeschwerden an der Pforte eines Krankenhauses abgewiesen.
({10})
Der Grund: Die Mutter hatte keinen Krankenschein für
das Kind.
({11})
Eine Stunde später starb das Kind. - Ich könnte Ihnen
reihenweise solche Fälle nennen. Wenn Sie die Gesundheitskarte einführen würden, könnten diese Menschen
sofort ins Krankenhaus gehen.
({12})
Frau Lindholz, Sie sind nicht einmal in der Lage, zuzuhören.
({13})
Vorhin ist nämlich berichtet worden, dass die Verwaltungskosten sogar sinken würden. Aber das wollen Sie
gar nicht, weil es Ihnen mehr um Abschreckungspolitik
geht als um eine menschenwürdige Behandlung.
({14})
Ein zweites Beispiel aus der Stellungnahme des
Flüchtlingsrats: Einer geflüchteten Frau wurde keine
Psychotherapie zugestanden. Der Grund: Sie war schon
sechs Jahre hier, als sie erstmalig über ihre Vergewaltigung im Herkunftsland und die Gewalt, die sie erlitten
hatte, sprach. Wir alle wissen, dass Frauen häufig erst
sehr spät darüber sprechen können, wenn sie Leid und
Traumatisierung hinter sich haben. Gerade deswegen
muss hier nachgearbeitet werden. Eine medizinische
Versorgung darf nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erfolgen, das wir sowieso immer abschaffen wollten. Es ist unerträglich, die Versorgung nur als Nothilfe
durchzuführen.
({15})
Selbst Ansprüche der Asylsuchenden und Geduldeten, die ihnen nach dem Gesetz unstrittig zustehen, können oft nicht ohne fremde Hilfe durchgesetzt werden.
Unzureichende Sprachkenntnisse zum Beispiel hindern
sie daran, sich selbstständig zu informieren oder sich bei
den Behörden oder Ärzten zu verständigen.
Frau Kollegin, ein kurzer Blick auf die Uhr.
({0})
Ja, ich komme gleich zum Schluss.
Da müssten Sie eigentlich schon sein.
Diese Angst und, vor allen Dingen bei Frauen, die
Scham, zu einer Beratung zu gehen, bitte ich zu berücksichtigen.
Zum Schluss möchte ich noch eines deutlich sagen:
Die Gesundheitskarte von Anbeginn - das ist Menschenwürde. Das fordern wir, und dafür werden wir weiter
kämpfen;
({0})
denn es geht nicht an, dass man so unmenschlich ist und
Menschen erst nach 15 Monaten Aufenthalt hier eine gesundheitliche Versorgung in vollem Umfang zukommen
lassen will.
({1})
Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention des
Abgeordneten Henke.
Ich bedanke mich zunächst für die Möglichkeit einer
Kurzintervention.
Ich will nicht die Frage aufwerfen, ob es zweckmäßig
ist, auf der Ebene der Kommunen anzustreben, dass die
Krankenkassen Gesundheitskarten ausgeben, die dann
von den Kommunen zu refinanzieren sind, und zwar sowohl was die Leistungsfinanzierung angeht als auch den
damit verbundenen Overhead. Aber wir haben hier zwei
unterschiedliche Versorgungswege. Beide Versorgungswege dienen dazu, Menschen mit gesundheitlichen Problemen medizinisch zu versorgen. Das eine ist der Weg
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das andere ist
der Weg über das System der gesetzlichen Krankenkassen. Dass man jetzt mit Begriffen wie Unmenschlichkeit,
Zynismus und Menschenfeindlichkeit die Stimmung
aufheizt, obwohl es zwei unterschiedliche Versorgungswege gibt, finde ich nicht in Ordnung. Ich möchte Frau
Jelpke fragen, ob sie glaubt, durch diese Wortwahl einer
konstruktiven Lösung in diesem Punkt zu dienen?
({0})
Mögen Sie darauf antworten, Frau Jelpke? - Bitte
schön.
Herr Kollege, nicht ich, sondern Ihre Fraktion hat den
scharfen Ton in der heutigen Debatte angeschlagen.
({0})
Ich weiß natürlich auch, dass ein Krankenhaus rechtswidrig handelt, wenn es ein leidendes, krankes Kind abweist. Aber ich finde, dass Sie durch die Stimmung, die
Sie machen, indem Sie ständig Angst vor Flüchtlingen
schüren, und das Horrorszenario, das Sie hier entwerfen,
Wasser auf die Mühlen von Strömungen wie Pegida gießen, die inzwischen Flüchtlinge in diesem Land sogar
angreifen. Setzen Sie sich mit dem Thema solidarisch
auseinander, wenn es notwendig ist, und hören Sie mit
dieser Hetze gegen Flüchtlinge auf! Dann haben wir eine
andere Debatte.
({1})
Den Ausdruck „Hetze gegen Flüchtlinge“ weise ich
zurück. Das hat hier niemand gemacht.
Nun fahren wir in der Debatte fort. Mechthild Rawert
hat als Nächste das Wort.
({0})
Nach dem Verlauf der bisherigen Diskussion ändere
ich den vorgesehenen Beginn meiner Rede und möchte
die Gesundheitspolitiker und -politikerinnen an den Bericht der Bundesregierung über die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen erinnern. Wir haben diesen
Bericht am 29. Juni dieses Jahres erhalten; das ist also
noch nicht so lange her. Mündlich vorgetragen wurde er
schon am 10. Juni. Dieser Bericht informiert uns über
die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen nach
der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Er
spricht die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und
Folteropfer, die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie
im Hinblick auf die medizinische und psychologische
Versorgung Schutzbedürftiger und einen Konsens an, auf
den ich in meiner Rede noch zu sprechen kommen
werde. Ich kann nur sagen: Die Gesundheitspolitik ist
deutlich weiter, als es die heutige Einführung in das
Thema vermuten lässt.
({0})
Die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung ist eine Verpflichtung für Gesellschaft und Staat.
Der Zugang dazu ist ein Menschenrecht. Wir stehen hier
als Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht. Es ist
schon gesagt worden: Deutschland zeigt hohe Bereitschaft, Menschen nach einer Flucht vor Terror, Krieg
und Verfolgung aufzunehmen und sie hier willkommen
zu heißen. Dafür bin ich dankbar. Diese Willkommenskultur wird von den Flüchtlingen auch anerkannt. Das
weiß jeder, der in seinem Wahlkreis Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern von Aufnahme- und Übergangswohnheimen pflegt. Die Bürgerinnen und Bürger,
die wir für eine aktive Kooperation und ein aktives Engagement im Kontext der Willkommenskultur zu gewinnen versuchen, würden es nicht verstehen, wenn wir unsere Diskussion so beenden würden, als gäbe es ein
Gesundheitswesen für Menschen erster Klasse und ein
Gesundheitswesen für Menschen zweiter Klasse, also
ein total ungleiches Gesundheitswesen.
({1})
Das wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Sie wollen einen barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung. Ihr Maßstab sind dabei die weitestgehend gleichen
Gesundheitsleistungen wie bei gesetzlich Krankenversicherten.
({2})
Denjenigen, die sich damit noch nicht befasst haben,
sage ich: Stellen Sie sich vor, dass Sie krank sind, dass
Sie akute Schmerzen haben und sich schlapp fühlen. Sie
können aber nicht einfach zu einem Arzt gehen; denn Sie
müssen als Erstes eine Behörde aufsuchen. Abgesehen
davon, dass Sie in einem Wartesaal zusammen mit vielen
anderen erkrankten Menschen sitzen müssen, und zwar
in der Regel ziemlich lange, entscheidet dann ein Verwaltungsmensch, ob Sie einen Behandlungsschein bekommen oder nicht. Der Erhalt eines Behandlungsscheins ist die Voraussetzung dafür, dass Sie überhaupt
zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen dürfen.
Ich bleibe immer noch im Bild: Wenn Sie Glück haben, sitzen Sie dann mit Ihren akuten Schmerzen in einer
Praxis und warten. Von zusätzlichen Problemen wie
Sprachbarrieren, die bei einer Behörde und den Ärzten
eine Rolle spielen, möchte ich jetzt gar nicht reden. Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Deswegen ist das, was im Kontext der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes gemacht worden ist, ein erster, aber auch guter Schritt. Davon wollen wir
keineswegs wieder abgehen.
Des Weiteren werden wir die rechtlichen Voraussetzungen für die Gesundheitskarte schaffen. Ich möchte
aus einem Blatt zitieren. Die Überschrift lautet:
Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder
am 18. Juni 2015.
({3})
Hier wird unter 2.9 Folgendes gesagt:
Bund und Länder sehen in der Übertragung der Abrechnung der ärztlichen Behandlung für Asylsuchende auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger als Dienstleister eine Möglichkeit, die
gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern zu
erleichtern und die Kommunen hinsichtlich des
Verwaltungsaufwandes zu entlasten.
Dann geht es weiter. Der Auftrag ist, dass bis zum
Herbst - ({4})
- Es gibt sogar noch einen Satz dazwischen. Maria, ich
bin jetzt dran. Du kannst gleich reden.
({5})
Die Aufgaben für die Bundes-, Kommunal- und Länderebene bestehen jetzt darin, hieraus ein Konzept zu erarbeiten; denn das ist Konsens zwischen Bund und Ländern.
({6})
Sagen Sie mir, ob Ihre Partei daran beteiligt ist. Darauf
wäre ich sehr neugierig.
({7})
Dieses Paket wird dazu dienen - das ist vorhin zu Recht
gesagt worden -, Verwaltungskosten einzusparen. Wir
haben dadurch aber auch mehr Möglichkeiten, im Gesundheitsbereich zu agieren.
Ich will noch eines sagen: Ich möchte hier gerne eine
bundeseinheitliche Linie haben. So froh ich bin, dass wir
diese Gesundheitskarte in Bremen und in Hamburg
schon haben - für Thüringen ist sie geplant -, so möchte
ich doch nicht, dass die Bundesländer einem Flickenteppich gleichen.
({8})
Es soll vielmehr eine bundeseinheitliche Regelung gelten. So verstehe ich auch die Herausforderung, vor die
uns unsere gemeinsame Bundeskanzlerin gestellt hat.
Über die verschiedensten Hilfen, die seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen schon geleistet worden sind, ist schon etwas gesagt worden.
Ich schließe schlicht und ergreifend damit: Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Solidarität, um zu helfen. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht, wenn
der „Umweg“ krankmacht, anstatt zur Gesundung beizutragen. Es heißt schließlich Gesundheitssystem und nicht
Krankheitssystem.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich zunächst auf den Beginn der Debatte und die
Rede von Frau Lindholz von der DU/SU-Fraktion zurückkommen. Das C haben Sie sich mit Ihrer Rede heute
selber aberkannt.
({0})
Ihnen ist sicher die Geschichte vom barmherzigen Samariter bekannt, in der geschildert wird, wie jemand krank
auf der Straße liegt. Ihre Rede symbolisierte den Priester,
der an dem Patienten vorbeigegangen ist, und nicht den
barmherzigen Samariter. Ich halte es für einen Skandal,
was Sie hier erzählt haben.
({1})
Man kann doch nicht die gesundheitliche Versorgung
von Flüchtlingen instrumentalisieren, um Flüchtlinge
von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken.
({2})
Das ist perfide.
({3})
Ich weiß, dass Sie in der CDU/CSU-Fraktion aus Prinzip
keine Bundesverfassungsgerichtsurteile lesen. Aber
diese Logik hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht bei
der Entscheidung zum Existenzminimum beim Asylbewerberleistungsgesetz bereits um die Ohren geschlagen.
Damals ging es nicht um die Gesundheitsversorgung das war nicht Gegenstand des Verfahrens -; aber Karlsruhe hat Ihnen klipp und klar gesagt: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar.
({4})
Das können Sie im Urteil nachlesen. Das lässt sich präziser nicht formulieren. Was, bitte schön, gehört zu einer
menschenwürdigen Versorgung, wenn man krank ist?
Dass man die gesundheitliche Versorgung bekommt, die
in unserem Land üblich und möglich ist - nicht weniger.
({5})
Insofern haben Sie sich auch selber ein bisschen in
die Tasche gelogen, Frau Rawert - ich weiß ja, Sie meinen es eigentlich gut -; denn die Vereinbarung der Ministerpräsidentenkonferenz besagt eben, das Leistungsspektrum solle auf die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beschränkt werden. Damit
gelten die in § 4 und § 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes verankerten Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungen für die ersten 15 Monate Aufenthalt in
Deutschland einfach weiter. Das halte ich für inakzeptabel.
({6})
Das ist ein Rückfall hinter die Vereinbarung vom November letzten Jahres im Bundesrat. Da hieß es noch:
Dabei prüft der Bund gemeinsam mit den Ländern,
wie es den interessierten Flächenländern ermöglicht
wird, die Gesundheitskarte für Asylbewerber einzuführen, mit dem Ziel, dem Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf zuzuleiten.
Wo ist denn dieser Gesetzentwurf?
({7})
- Ja, Sie waren mit dem Innenministerium beschäftigt;
ich weiß. Sie waren mit Themen wie Ausreisegewahrsam, neuen Fluchtgründen, Wiedereinreisesperren und
dergleichen beschäftigt, und vor lauter Abschotterei sind
Sie zu Ihren Hausaufgaben nicht gekommen.
({8})
Es geht aber nicht nur darum, dass Sie da den Bundesrat beschissen haben. Es geht auch darum, dass Sie europäisches Recht nicht umsetzen. Es gibt eine Richtlinie
des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen
Schutz beantragen. Danach muss der Mitgliedstaat - Artikel 19 Absatz 2 - „Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe“ - in Klammern: auch
Psychotherapien bei traumatisierten Personen - „ein11090
Volker Beck ({9})
schließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung“ gewährleisten.
Herr Kollege Beck.
Lassen Sie mich das noch kurz ausführen; dann bin
ich am Ende meiner Rede.
Sagen wir einmal so: Ihre Redezeit im Plenum ist
schon länger zu Ende. Aber wenn Sie versprechen, den
Satz kurz zu machen, dann erlaube ich es.
Manchmal erleichtert ja auch ein Blick in die Richtlinie die Rechtsfindung:
({0})
Das betrifft Minderjährige, unbegleitete Minderjährige,
Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen.
Nichts davon ist umgesetzt. Die Umsetzungsfrist endet im Juli dieses Jahres. Es gibt keinen Referentenentwurf. Es gibt keinen Gesetzentwurf. Die humanitären
Aufgaben lassen Sie einfach liegen. Gleichzeitig schwadronieren Sie lieber davon, dass eine schlechte gesundheitliche Versorgung bei der Abschottung hilfreich ist.
Ich finde, diese Logik ist perfide und einer christlichen
Partei auf jeden Fall nicht angemessen.
({1})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Roy Kühne, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Sie sehen mich ein bisschen erschüttert angesichts dessen, wie dieses Thema hier behandelt wird, ein
Thema, das in meinen Augen nicht mit dieser Dramaturgie und in dieser kleinkarierten Art und Weise diskutiert
werden sollte.
({0})
Sie vergessen nach meiner Meinung völlig den Respekt
vor der Sachlage. Es geht Ihnen anscheinend mehr um
die Aufmerksamkeit der Presse.
({1})
Ich sage ganz offen: Ich bin völlig enttäuscht. Frau
Jelpke, Sie haben hier in typischer Art zitiert. Es werden
kleine Fakten dargestellt, aber nicht bis zum Ende. Es
wird nicht der gesamte Umstand berichtet, was in der
Klinik „Auf der Bult“ passiert ist. Damit zeichnen Sie
ein Bild, das verwirrt. Ich glaube, Sie wissen gar nicht,
dass es so zu Missverständnissen kommt. - Die Klinik
hatte das Kind nicht abgelehnt. Es kam ein Notfall dazwischen. Man hat die Mutter gebeten, kurz zu warten.
Sie sprach kein Deutsch. Sie sprach radebrechend Englisch; eine Afrikanerin. Sie hat die Klinik verlassen. Es
gab ein Missverständnis. Danach zu sagen: „Dieses Gesetz greift nicht, und diese Klinik hat das Kind abgelehnt“, ist in meinen Augen ein ganz schwerer Vorwurf,
den Sie den fleißigen Mitarbeitern dieser Kinderklinik
weiß Gott nicht machen sollten. Das gehört sich nicht.
({2})
Ich will auch gleich die Kanzlerin zitieren, weil immer gesagt wird: der Einstieg der CDU. - Völliger
Quatsch! Es ist ganz klar gesagt worden - ich zitiere -:
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und
Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass
die steigende Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen
Bund, Länder und Kommunen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Sie betonen, dass es einer gesamtstaatlichen Anstrengung bedarf, um eine angemessene,
menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der
Asylsuchenden und Flüchtlinge zu gewährleisten,
({3})
schnelle Asylverfahren zu ermöglichen und die Integration von Flüchtlingen mit einer Bleibeperspektive zu
verbessern. - Meine Damen und Herren, das ist doch ein
Fakt.
({4})
Wie geht es weiter? Es gibt Initiativen von wirklich
sehr respektablen CDU-Mitgliedern, CSU-Mitgliedern
in den Gemeinden. Da führe ich auch meine Gemeinde
Dassel, meine Gemeinde Kreiensen an, wo es hervorragende Initiativen gibt. Das können Sie doch nicht einfach in den Sand treten - dagegen wehre ich mich auch
persönlich - und sagen: Es passiert nichts bei der CDU. Nein, wir tun was.
({5})
- Ich bin gleich bei Ihnen; keine Sorge.
Ich glaube, darüber sind wir uns einig: Deutschland
steht dazu, Zuwanderungsland zu sein. Deutschland
steht dazu, den Menschen, die aus ihren Heimatländern
fliehen, die vertrieben wurden, solidarisch Schutz zu gewähren, sogar mehr zu tun, als ihnen nur Schutz zu gewähren, sie nämlich auch zu unterstützen, was ihre
weitere Entwicklung, was ihre Gesundheit angeht, eine
Versorgung zu gewährleisten, die sie in dieser Art und
Weise in den Heimatländern teilweise nie bekommen
hätten - Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.
({6})
- Ich bin noch nicht fertig.
Die aktuellen Flüchtlingsströme aus den Krisenregionen steigen. Das bringt Herausforderungen für unsere
Gesellschaft. Die sind nicht einfach zu bewältigen. Wir
müssen uns natürlich damit befassen. Wir müssen die
Rahmenbedingungen schaffen und können nicht einfach
nur sagen: So, jetzt mal alle los!
Herr Kollege, die Kollegin Frau Klein-Schmeink
möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen, oder wollen Sie weitersprechen?
Frau Klein-Schmeink, kommen Sie.
({0})
Bitte schön.
Herr Kühne, Sie haben noch einmal betont, wie weitreichend auch in Ihrer Heimatstadt und in Ihrem Wahlkreis die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die
Unterstützungsbereitschaft sind. Ist es da nicht auch notwendig, dass wir diesen Menschen zeigen, dass wir bei
der gesundheitlichen Versorgung, die ein ganz grundlegendes Recht ist - da ist auch unsere Fürsorgepflicht gefragt -, nicht mit zweierlei Maß messen? Müsste man
nicht dafür Sorge tragen, dass die gesundheitliche Versorgung nicht auf ein Mindestmaß reduziert wird, wie es
das Asylbewerberleistungsgesetz bisher leider vorsieht,
und die Gesundheitskarte so einführen, dass das Leistungsspektrum der GKV abgedeckt wird? Es ist ja gesetzlich fest vorgegeben - das wiederhole ich -, dass die
GKV an gesundheitlicher Versorgung nur das zur Verfügung stellt, was notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Wo, bitte schön, machen wir sonst den Schnitt?
Was ist denn dann das, was den Asylbewerbern nicht zusteht? Wie wollen Sie das so definieren, dass man nicht
nur im Akutfall eine Behandlung bekommt?
({0})
Wäre das nicht ein weitreichendes Zeichen auch in Ihre
Mitgliedschaft hinein?
Ich jedenfalls kann für Münster feststellen, dass wir
uns im Rat der Stadt über alle Fraktionen hinweg dafür
ausgesprochen haben, dass die Gesundheitskarte eingeführt werden soll. Ist das nicht genau das richtige Zeichen, das wir eigentlich brauchten, und müssten Sie da
nicht umdenken?
Vielen Dank für die Frage. - Da muss ich Ihnen leider
widersprechen, ganz einfach unter dem Aspekt: Die
Menschen vor Ort - das erlebe ich in den Gesprächen,
auch in den Krankenhäusern - respektieren es, wenn
notwendige Maßnahmen bezahlt werden. Wenn wir
schon bei § 4 Asylbewerberleistungsgesetz sind, dann
zitiere ich daraus einfach einmal:
Zur Behandlung akuter Erkrankungen und
Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche
und zahnärztliche Behandlung einschließlich der
Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln
({0})
sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder
zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine
Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies
im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.
({1})
Ich denke, der Steuerzahler, alle Menschen haben ein
Anrecht darauf, dass wir verantwortungsvoll mit dem
Geld umgehen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es
diverse Beispiele dafür gibt, dass der eine oder andere
Fakt ausgenutzt wird. Ich möchte nicht ein Pauschaltor
öffnen, weil wir dann - dazu sind wir im Gesundheitsausschuss alle verpflichtet - logischerweise über Zusatzbeiträge reden müssten. Das Türchen ist weiß Gott nicht
so offen. Im Moment konsolidieren wir das Ganze. Wir
haben ein gutes Gesundheitssystem. Aber es darf nicht
ausgenutzt werden. Es muss belastbar sein. Es soll etwas
für die Menschen, für alle, die unter Not leiden, sein,
aber es darf nicht missbraucht werden.
({2})
Ich hatte bereits gesagt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz die Kriterien festlegt. Die Kriterien sind eindeutig. Damit kann man eigentlich arbeiten. Damit können die Kommunen arbeiten. Das sorgt für Sicherheit.
Das Asylbewerberleistungsgesetz soll ja einen Zeitraum
überbrücken. Es soll bis zur Feststellung des Status quo
klar angesagt werden, was möglich ist und was nicht.
Dieser eingeschränkte Zugang stellt weiß Gott nicht, wie
es im Antrag der Linken formuliert ist, eine Gefahr für
Leben und Leib - es fehlt nur noch die Seele - dar. Bei
der Gefährdung von Leib und Seele sind Schmerzen ein
ganz hoher Indikator. Wenn tatsächlich Leib und Seele
bedroht sind, dann ist jede Art von medizinischer Leistung angebracht. Wir als Große Koalition stehen dahinter, dass jeder Mensch, dessen Gesundheit bedroht ist
- es wird ja sogar weiter formuliert -, die notwendige
medizinische Leistung bekommt. Die vorhin genannten
Attribute - Mütter, werdende Mütter, Wöchnerinnen sind absoluter Unsinn; denn in § 4 Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist geregelt:
Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.
Da gibt es für mich kein Missverständnis, nicht einmal
ein Deutungsproblem. Von daher kann ich Ihre Kritik
nur zurückweisen.
({3})
Es wurde bereits mehrmals gesagt - und wir haben
Beispiele aus der Geschichte -, dass ein übermäßiges
Angebot oftmals einen übermäßigen Anreiz darstellt. Es
ist statistisch nachweisbar, dass zunehmend Asylanträge
genau aus diesen Gründen auflanden. Hier müssen wir
gucken, dass der deutsche Steuerzahler, die Kommunen
und auch die Mitarbeiter in den Kommunen nicht mehr
belastet werden als nötig. Meiner Meinung nach haben
die Kommunen momentan sehr viel zu tun. Sie sind in
einem fleißigen Prozess, müssen diese ganze Aufgabe
bewältigen. Wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen
vor Ort sprechen, dann stellen Sie fest, dass die am Limit
sind. Sie geben ihr Bestes. Insofern sollten wir da nicht
noch unnötig reinhauen, indem wir einen übermäßigen
Anreiz schaffen, sodass die Einwanderungsflut unnötig
aufwächst.
({4})
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema Entbürokratisierung sagen. Die Gesundheitskarte in Bremen
- hier gebe ich Ihnen recht, Frau Rawert - ist eine Möglichkeit, das Ganze zu entbürokratisieren. Es ist ein
Werkzeug, das momentan genutzt werden kann. Es ist
freiwillig. Ich denke, dass wir diesbezüglich einen guten
Schritt getan haben, um die Kommunen zu entlasten, um
auch ein direktes Abrechnungssystem zu schaffen. Letztendlich geht es doch um die Menschen, die wir willkommen heißen. Es geht überhaupt nicht um Dramaturgie,
sondern wir möchten den Menschen helfen, die bei uns
berechtigterweise zu Hause sein wollen, die krank sind,
die ein gesundheitliches Problem haben. Denen wollen
wir helfen, bis sie wieder gesund sind.
Herzlichen Dank.
({5})
Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das
Wort der Abgeordneten Bettina Müller, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unterkunft und Betreuung von Flüchtlingen und deren gesundheitliche Versorgung stellt die Kreise und Kommunen vor große Herausforderungen - das ist schon
angeklungen -, sowohl organisatorisch als auch verwaltungstechnisch und vor allem natürlich auch finanziell.
Nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz obliegt die Sicherstellung der Versorgung im Krankheitsfall sowie der
Versorgungsleistungen und Impfungen den zuständigen
Behörden, also den Ländern bzw. den mit der Unterbringung betrauten Kreisen und Kommunen.
Alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause wissen
aus eigener Anschauung in ihren Wahlkreisen, was das
konkret bedeutet, nämlich völlig überlastete Sozial- und
Gesundheitsämter, die Behandlungsbescheinigungen
ausstellen und Anträge bearbeiten müssen, einfache Verwaltungsmitarbeiter, die zwischen notwendigen und aufschiebbaren Behandlungen sowie chronifizierten und
akuten gesundheitlichen Beschwerden zu unterscheiden
haben. Das ist eine belastende und unwürdige Situation,
sowohl für die Flüchtlinge, die sowieso nur notfallmäßig
behandelt werden, als auch für die kommunale Verwaltung und ihre Mitarbeiter, die hier unter Zeitdruck und
Überlastung medizinische Entscheidungen mit zum Teil
erheblichen Auswirkungen auf das Leben der ohnehin
schon traumatisierten Menschen zu treffen haben.
Hier werden die geplante und hoffentlich bald umgesetzte Einführung einer speziellen Gesundheitskarte,
über deren Leistungsspektrum noch zu diskutieren sein
wird, und in der Folge die Abrechnung der Gesundheitskosten über die gesetzlichen Krankenversicherungsträger dann zu einer deutlichen Entlastung führen,
({0})
und zwar nicht nur in Bezug auf die Verwaltungskosten
der Kommunen, sondern auch für die Mitarbeiter der
Kommunalverwaltungen. Mit der Karte liefe das Verfahren künftig über die Krankenversicherungsträger und die
Ärzte, die für solche Entscheidungen ja prädestiniert
sind, weil sie für sie ja tägliche Praxis sind. Denn die eigentliche Diskriminierung besteht ja darin, dass Asylsuchende die Behandlung bei einem Sozialamt beantragen
müssen und diese Bewilligung ein Verwaltungsakt ist.
Das medizinisch Notwendige, Akutbehandlungen, unaufschiebbare Operationen werden vorgenommen, aber
diskriminierend ist vor allem das Verfahren. Deshalb
würde die Gesundheitskarte, wie gesagt, eine deutliche
Verwaltungsvereinfachung und damit auch - das ist mir
als Kommunalpolitikerin wichtig - eine deutliche finanzielle Entlastung für die Kommunen bringen. Zusammen
mit den bereits erfolgten Entlastungen - ich nenne hier
nur die 1 Milliarde Euro Soforthilfe des Bundes für
2015, die Übernahme der Impfkosten für Kinder und Jugendliche, die Entlastungen bei den Kosten der Unterkunft nach SGB II - ergibt das eine substanzielle Unterstützung der Kreise und Kommunen.
Weitere Hilfen für 2016 werden im Herbst - das ist
schon angeklungen - zwischen Bund und Ländern vereinbart werden. Ich sage an dieser Stelle aber auch deutBettina Müller
lich: Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass
das Geld des Bundes dann tatsächlich auch eins zu eins
da ankommt, wo es gebraucht wird.
({1})
Wenn einzelne Länder bei der Weiterleitung der Mittel
an die Kommunen - bei mir in Hessen geht es da immerhin um 37 Millionen Euro - die Hand aufhalten, dann
geht auch das letztlich zulasten der Asylsuchenden und
ihrer medizinischen Versorgung. Auch das ist Diskriminierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Zu dieser Versorgung - auch darauf möchte ich noch
kurz eingehen, weil im Antrag der Linken nicht viel
dazu steht - gehört auch die psychotherapeutische Behandlung, gerade für Flüchtlinge mit ihren oft traumatischen Erlebnissen.
({3})
Diese Behandlung ist wegen der sprachlichen Hürden,
den notwendigen Dolmetschern und den ohnehin komplizierten Versorgungsstrukturen im psychotherapeutischen Bereich besonders schwer zu organisieren,
({4})
vor allem in Regionen außerhalb von Ballungszentren.
({5})
Hier müssen wir gemeinsam nach tragfähigen und sinnvollen Lösungen suchen, wie wir den Betroffenen in Zukunft besser helfen können.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der beste Weg,
Flüchtlingen und Asylbewerbern eine vollumfängliche
gesundheitliche Versorgung zu ermöglichen, liegt eindeutig auch in der Erleichterung der Arbeitsaufnahme.
Für mich bedeutet Solidarität mit Flüchtlingen, sie so
schnell wie möglich in die Solidargemeinschaft der Versicherten zu holen. Flüchtlinge erhalten dann nicht nur
den vollen Leistungsumfang der GKV für sich und ihre
mitversicherten Angehörigen, sondern sie zahlen dafür
auch wie andere Arbeitnehmer aus ihrem Arbeitsentgelt in
die Sozialversicherung ein. Gesellschaftliche Teilhabe, Integration in den Arbeitsmarkt und Integration in die Sozialversicherungssysteme müssen doch das Ziel einer gelungenen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sein.
({7})
Das war an sich ein gutes Schlusswort, zumal die Redezeit schon überschritten ist.
Okay. - Wir haben hier mit der Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Vorrangprüfung usw. ja
schon einiges geleistet. Die Asylbewerber und Geduldeten müssen sich seitdem bei der Arbeitsuche nicht mehr
hinter den deutschen Arbeitnehmern und anderen EUBürgern anstellen. In dieser Woche wurden erneut Rekordzahlen für den Arbeitsmarkt vermeldet.
Vor diesem erfreulichen Hintergrund, Kolleginnen
und Kollegen, sollten wir wirklich noch einmal darüber
nachdenken, inwieweit wir hier zusätzliche Erleichterungen für die Arbeitsaufnahme und damit auch eine
Aufnahme der Flüchtlinge in die Solidargemeinschaft,
wie eben dargestellt, schaffen können. Auch bei der
Beschleunigung der Asylverfahren müssen wir besser
werden. Hier liegt der Schlüssel, um anerkannte Asylbewerber über die Arbeitsaufnahme in die reguläre
Gesundheitsversorgung zu bekommen. Das muss unser
gemeinsames Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5370 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:
36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen
Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt
Drucksache 18/5219
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum
Übereinkommen vom 10. März 1988 zur
Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt
und zu dem Protokoll vom 14. Oktober
2005 zum Protokoll vom 10. März 1988
zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden
Drucksache 18/5268
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Vizepräsident Peter Hintze
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die internationale Zusammenarbeit zur
Durchführung von Sanktionsrecht der
Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie
zur Änderung seerechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/5269
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens
zwischen den Vereinigten Staaten von
Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
Drucksache 18/5271
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Binnenschiff-
fahrtsaufgabengesetzes
Drucksache 18/5273
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie über alternative
Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten
Drucksache 18/5295
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Verpflichtungen nach dem
Nagoya-Protokoll und zur Durchführung
der Verordnung ({5}) Nr. 511/2014 sowie
zur Änderung des Patentgesetzes
Drucksache 18/5321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Die Wahl von Betriebsräten erleichtern
und die betriebliche Interessenvertretung
sicherstellen
Drucksache 18/5327
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksache 18/981
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({8})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern
Drucksache 18/5382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9})
Ausschuss Digitale Agenda ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula SchulzAsche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes Fundament stellen
Drucksache 18/5383
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen: Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie
Vizepräsident Peter Hintze
Zusatzpunkte 3 a und 3 c. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist. Das ist der Zusatzpunkt 3 b. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5382
mit dem Titel „Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv
gesetzlich sichern“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der
CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss Digitale Agenda.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die
die Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda
wünscht. Wer stimmt dem Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, die
Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie wünschen. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen worden gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 37 a bis
37 i und den Zusatzpunkten 4 a bis 4 k. Es handelt sich
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 37 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/5172
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12})
Drucksache 18/5403
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5403, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5172 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 i.
Tagesordnungspunkt 37 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 202 zu Petitionen
Drucksache 18/5231
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 202 einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 203 zu Petitionen
Drucksache 18/5232
Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die
Sammelübersicht 203 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 204 zu Petitionen
Drucksache 18/5233
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
die Sammelübersicht 204 angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 205 zu Petitionen
Drucksache 18/5234
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 205 einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 206 zu Petitionen
Drucksache 18/5235
Vizepräsident Peter Hintze
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 207 zu Petitionen
Drucksache 18/5236
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 208 zu Petitionen
Drucksache 18/5237
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Angenommen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU
und der SPD-Fraktion.
Tagesordnungspunkt 37 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 209 zu Petitionen
Drucksache 18/5238
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({21}) gemäß § 93a Absatz 3
der Geschäftsordnung
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Verordnung ({22}) Nr. 861/2007
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung ({23}) Nr. 1896/
2006 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
KOM({24}) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13
hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8
Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647,
18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5411, eine Entschließung anzunehmen und das Einvernehmen gemäß § 8 Absatz 4 EUZBBG nicht herzustellen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer enthält sich? - Wer stimmt
dagegen? - Keiner. Dann ist die Beschlussempfehlung
einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, angenommen.
Wir kommen wieder zu Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses, Zusatzpunkte 4 b bis 4 k.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 210 zu Petitionen
Drucksache 18/5389
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das einstimmig so angenommen.
Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 211 zu Petitionen
Drucksache 18/5390
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist auch die Sammelübersicht 211 einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 212 zu Petitionen
Drucksache 18/5391
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Zustimmung von CDU/CSU-Fraktion und
SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 213 zu Petitionen
Drucksache 18/5392
Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelübersicht kommen, erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin
Kassner als Berichterstatterin des Petitionsausschusses.
- Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Namens des Petitionsausschusses möchte
ich Sie über einen besonderen Umstand informieren. Zur
Beschlussempfehlung 1 der Sammelübersicht 213 gibt
es ein besonderes Votum: Es kommt nicht so oft vor - es
ist in diesem Jahr erst das zweite Mal -, dass der Petitionsausschuss über alle Fraktionen hinweg, also einstimmig, das Votum „zur Erwägung“ abgibt. Ich möchte Sie
kurz informieren, was sich hinter dieser Petition verbirgt, und Sie dafür gewinnen, uns zu unterstützen, damit wir mit unserem Votum tatsächlich Erfolg haben.
Es geht um die Beschädigtenversorgung nach dem
Soldatenversorgungsgesetz. Es geht darum - Sie haben
es vielleicht noch in Erinnerung -, dass 1999 gesundheitliche Schädigungen vieler ehemaliger Soldaten der
Bundeswehr und der NVA durch Radarstrahlung vermeldet wurden. Daraufhin wurde eine Expertenkommission
eingesetzt. Diese hat bewertet, welche gesundheitlichen
Schädigungen als Folgen der Radarstrahlung anerkannt
werden sollten. Es handelt sich dabei um so schwere Erkrankungen wie Krebs, chronische lymphatische Leukämie und Katarakt, eine Trübung der Augenlinse.
Nun bittet der Petent, der uns geschrieben hat, darum,
dass andere Krankheiten ebenfalls anerkannt werden.
Sie wissen, bei verschiedenen Menschen können sehr
unterschiedliche Gesundheitsschädigungen auftreten,
und es ist in der Tat so, dass es weitere strahlenbedingte
Erkrankungen gegeben hat; es sind auch bereits viele
nachgewiesen. Aber bis jetzt muss jeder Erkrankte tatsächlich für den Einzelfall nachweisen, dass auch die andere Erkrankung durch die Strahlen verursacht wurde.
Wir erinnern uns: Das Ganze ging bis 1975. Es geht
hier um Menschen, die schon älter sind und deren Familien schon über Jahre belastet wurden. Da ist ein solcher
Nachweis dann doch sehr schwierig. Deshalb haben wir
uns im Petitionsausschuss übereinstimmend dafür entschieden, dass wir das Bundesministerium der Verteidigung bitten, sich dieses Sachverhalts anzunehmen und
im Interesse der Betroffenen eine bessere und schnellere
Versorgung zu ermöglichen.
({0})
Das möchten wir dem Ministerium mit auf den Weg geben; ich weiß nicht, ob jemand vom Ministerium anwesend ist.
Auch Sie alle hier haben die Möglichkeit, nachzufragen. So können Sie mithelfen, das Anliegen bekannt zu
machen. Wir möchten gerne, dass den Betroffenen die
entsprechende Behandlung möglichst schnell, unkompliziert und unbürokratisch zuteilwird.
Ich danke Ihnen.
({1})
Herzlichen Dank. Ich denke, die Nachricht wird das
zuständige Ministerium erreichen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Sammelübersicht 213, zu der eben gesprochen wurde, auf Drucksache 18/5392. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 213 ist mit
den Stimmen aller Fraktionen des Hauses angenommen.
Zusatzpunkt 4 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 214 zu Petitionen
Drucksache 18/5393
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 214 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der
übrigen Fraktionen des Hauses, CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, angenommen.
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 215 zu Petitionen
Drucksache 18/5394
Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung gemäß § 31
der Geschäftsordnung vor.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 215 ist mit den
Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Zusatzpunkt 4 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 216 zu Petitionen
Drucksache 18/5395
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 216 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 217 zu Petitionen
Drucksache 18/5396
Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 217 ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen
Vizepräsident Peter Hintze
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 218 zu Petitionen
Drucksache 18/5397
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 218 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 4 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 219 zu Petitionen
Drucksache 18/5398
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 219 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“
Drucksachen 18/5364, 18/5365
Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31
der Geschäftsordnung vor.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien hat bereits die Wahlvorschläge der Bundesregierung, des Bundes der Vertriebenen, der evangelischen
Kirche, der katholischen Kirche und des Zentralrats der
Juden in Deutschland übermittelt. Dazu liegt Ihnen eine
Unterrichtung auf Drucksache 18/5365 vor.
Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitglieder
des Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst die
vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder
und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat benennen. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5364 vor. Wer
stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit sind die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den
Stiftungsrat bestimmt.
Somit können wir nun über den Gesamtvorschlag
über die Mitglieder des Stiftungsrates auf Drucksache
18/5365 einschließlich des soeben angenommenen
Wahlvorschlags des Deutschen Bundestages abstimmen.
Der Gesamtvorschlag kann nur als Ganzes angenommen
oder abgelehnt werden. Wer stimmt für den Gesamtvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesamtvorschlag ist angenommen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Mitglieder und Stellvertreter des
Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sind damit gewählt.
Frau Abgeordnete Hupach möchte eine mündliche
Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich stimme beiden vorliegenden Vorschlägen
für die Wahl der Mitglieder und Stellvertreterinnen und
Stellvertreter des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“ nach eingehender Prüfung
nicht zu.
Die Gründe dafür sind formaler Art und beziehen sich
auf zwei Aspekte:
Zum einen halte ich ein Wahlverfahren für undemokratisch, das mir nur die Entscheidung über einen Gesamtwahlvorschlag lässt, um ein so wichtiges Gremium
wie den Stiftungsrat der „Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung“ zu besetzen. Meines Wissens gibt es bei
keinem anderen Gremium, über dessen Besetzung hier
im Bundestag abgestimmt wird, ein vergleichbares
Wahlverfahren. Bei einem Gesamtvorschlag wie bei der
Unterrichtung mit der Drucksachennummer 18/5365
kommt der Wille des Parlaments nur ungenügend und
verfälscht zum Ausdruck. So bin ich gezwungen, entweder mit Ja der Übermacht des Bundes der Vertriebenen
im Stiftungsrat zuzustimmen oder mit einem Nein zugleich die von der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche oder dem Zentralrat der Juden benannten
Vertreterinnen und Vertreter abzulehnen.
Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass an einem
erinnerungspolitisch so wichtigen Gremium wie diesem
Stiftungsrat alle im Bundestag vertretenen Fraktionen
beteiligt werden sollten.
({0})
Gerade hier verbietet es sich, die Oppositionsfraktionen
auszuschließen. Daher lehne ich auch den Wahlvorschlag mit der Drucksachennummer 18/5364 ab. Die
Stiftung braucht eine breite gesellschaftliche Basis, um
ihrem Stiftungszweck gerecht zu werden.
Aus den eben genannten Gründen stimme ich diesen
Wahlvorschlägen nicht zu. 62 weitere Mitglieder meiner
Fraktion schließen sich dieser Erklärung an.
Danke.
({1})
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Die Sicherheitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe als ersten Redner für die Bundesregierung
Herrn Bundesminister Dr. Thomas de Maizière auf.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
letzte Freitag war ein bitterer Tag. Innerhalb von wenigen Stunden wurden wir Zeugen von drei terroristischen
Anschlägen.
In Kuwait gab es einen Selbstmordanschlag auf eine
schiitische Moschee mit 26 Toten und über 200 Verletzten, die nichts weiter getan hatten, als zu beten. Die Terrorgruppe IS hat sich zu dieser Tat bekannt.
In Frankreich, in einem kleinen Ort bei Lyon, hat ein
Täter seinen Kollegen getötet, enthauptet, und den Kopf
öffentlich ausgestellt. Anschließend hat er versucht, eine
Explosion auf einem Fabrikgelände für Gaserzeugnisse
herbeizuführen. Die genauen Hintergründe sind noch unklar.
Im tunesischen Sousse hat ein Terrorist mit einem
Sturmgewehr, das man üblicherweise Kalaschnikow
nennt, und mit selbst gebastelten Handgranaten das Feuer
auf wehrlose Touristen am Strand eröffnet. Bei seinem
Gang ins Hotel hat er weitere Menschen umgebracht. Später wurde er durch Sicherheitskräfte erschossen. In Tunesien haben wir 38 Tote zu beklagen, mindestens
30 Verletzte, darunter zwei tote deutsche Staatsbürger
und eine Schwerverletzte. Vor allem Bürgerinnen und
Bürger von Großbritannien sind schwer betroffen.
Am Montag haben wir gemeinsam an diesem Strand
gestanden: der tunesische Innenminister, die britische Innenministerin, der französische Innenminister und ich.
Wir sind den Weg des Attentäters, wenn Sie so wollen,
gegangen. Anschließend haben wir gemeinsam der tunesischen Öffentlichkeit gesagt - ich wiederhole es hier -:
Wir sind dort gewesen, um mit den Angehörigen zu trauern, gleich welcher Nation auch immer sie angehören.
Wir sind dort gewesen, um unsere Solidarität mit dieser
jungen Demokratie zu bekunden, die so verletzlich ist,
wie wir gesehen haben. Wir sind dort gemeinsam gewesen, um unsere Solidarität zu bekunden, um zu sagen:
Wir sind gemeinsam bedroht, wir stehen gemeinsam für
unsere Werte, und wir sind der Überzeugung, dass die
Freiheit auf Dauer stärker ist als jeder Terrorismus.
({0})
Ich möchte all denen in Tunesien und auch hier danken, die geholfen haben. Die deutschen Touristen, die
dort geblieben sind, haben mir gesagt, dass sie deswegen
dort geblieben sind, weil die tunesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Hotel ihnen so großartig geholfen haben. Sie wollten sie nicht im Stich lassen. Auch
die Mitarbeiter des Reiseveranstalters TUI haben vorzüglich gearbeitet. Es ist, glaube ich, einen Dank wert,
wenn man sieht, wie Menschen nach einem solchen
schrecklichen Anschlag bereit und imstande sind, anderen zu helfen. Das hat mich jedenfalls sehr beeindruckt.
({1})
Die Ermittlungen dauern an. Die Tunesier haben zugestanden, erlaubt, dass wir dort ein Ermittlungsteam
des BKA haben, das sehr eng in die Ermittlungsarbeit
einbezogen ist. Es gibt noch keine Klarheit über die Hintergründe der Tat. Wir wissen auch nicht, ob das, was an
diesem Freitag stattgefunden hat, eine Serie war. Wir haben jedenfalls in allen Fällen ein Bekennerverhalten des
sogenannten „Islamischen Staates“.
Eines zeigen die drei Terroranschläge jedenfalls deutlich: Der internationale Terrorismus ist eine globale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben, für junge
Demokratien ebenso wie für uns in Europa, für Muslime,
für Christen und für Juden gleichermaßen. 2014 wurden
über 33 000 Menschen Opfer des internationalen Terrorismus. Dafür sind alleine vier Einrichtungen verantwortlich: IS, Boko Haram, Taliban und al-Qaida. Wir
haben unterschiedliche Tatbegehungen: Einzeltäter, koordinierte Gruppen, Kleinstgruppen. Wir haben unterschiedliche Ziele: politische Ziele, Menschen, die Urlaub machen, die beten, die arbeiten. Es gibt viele
Erklärungen. Ich habe mich natürlich, wie Sie alle auch,
viel mit diesen Fragen beschäftigt. Aber letztlich bleibt
mir unverständlich, woher dieser Hass kommt, durch
den man imstande ist, Menschen zu töten, die unschuldig
sind, die arbeiten, die sich erholen und die beten.
Auch Deutschland ist im Zielgebiet des internationalen Terrorismus. Wir haben - so nennen wir es - eine
ernstzunehmende Bedrohungsgefahr auch in Deutschland. Das wissen wir. Wir arbeiten daran, dass es nicht
zu Anschlägen kommt. Wir haben oft Glück gehabt. Unsere Sicherheitskräfte haben oft gut gehandelt. Wir waren oft auf Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, gerade auch der amerikanischen
Nachrichtendienste.
Wir haben viel gemacht. Wir haben entsprechende
Gesetze erlassen oder auf den Weg gebracht. Weniges
von dem, was noch zu tun ist, ist umstritten. Wir haben
die Ausstattung der Polizisten verbessert. Wir haben das
Personal erhöht und sind dabei, es weiter zu erhöhen. All
das ist auf gutem Weg. Wir haben so viele Ermittlungsverfahren wie noch nie zuvor. Polizei und Staatsanwaltschaften arbeiten gut zusammen.
Zugleich aber ist die Zahl der Gefährder, also der
Menschen, von denen wir nicht ausschließen können
oder annehmen müssen, dass sie gegebenenfalls einen
terroristischen Anschlag begehen, ebenfalls so hoch wie
noch nie zuvor: über 300. Die Zahl der sogenannten
Ausreiser, also der Menschen, die aus Deutschland stammen oder aus Deutschland kommen und sich dort an
Kämpfen beteiligen, ist ebenfalls so hoch wie noch nie
zuvor: etwa 700. Es tröstet mich nicht, dass diese Zahl in
anderen Staaten noch höher ist. Aus Tunesien sind es
vielleicht 3 000, 4 000 oder 5 000. Aus kleinen Ländern
wie Belgien oder den Niederlanden liegt diese Zahl bezogen auf die Bevölkerung auch deutlich höher. Es ist so
- so bitter diese Aussage ist -: Wir hatten Sorge, dass
Terrorismus nach Deutschland importiert wird. Im Moment exportieren wir den Terrorismus aus einer freiheitlichen Demokratie wie Deutschland.
Wir haben viel gemacht, und wir werden weiter viel
tun. Wir sind erfolgreich. Aber nicht sehr erfolgreich
sind wir bei dem Durchbrechen der Prozesse der Radikalisierung mitten unter uns. Ich rede über Menschen, die
in unsere Schulen gegangen sind, in unsere Vereine, in
unsere Moscheen, die aus unseren Elternhäusern kommen und in unseren Bekanntenkreisen sind. Sie lassen
sich für einen unbeschreiblichen Hass radikalisieren. Es
gibt dafür viele Erklärungen. Ich habe diese Woche mit
den tollen Frauen und Männern gesprochen, die in diesem Zusammenhang Beratungsarbeit machen. Man kann
den Hut nicht tief genug vor dieser Arbeit ziehen.
Vor allen Dingen befriedigt mich nicht die Antwort
auf die Frage, warum wir nicht so erfolgreich sind, diesen Kreislauf der Radikalisierung zu durchbrechen. Das
ist - weil gleich darüber diskutiert wird - auch eine
Geldfrage, aber nicht nur eine Geldfrage. Wir sind auch
nicht achtsam genug im Umgang miteinander, weil wir
es zulassen, es nicht erkennen, es zu spät erkennen oder
uns schämen, es zu sagen, dass Menschen sich verändern
und radikalisieren. Wir müssen in unserer Gesellschaft,
auch aus vielerlei anderen Gründen, achtsamer im Umgang miteinander werden, also bei dem, was mitten unter
uns passiert.
({2})
Meine Damen und Herren, wie gerne würde ich als
Innenminister hier stehen und Ihnen und der Öffentlichkeit sagen: Wir sind gut aufgestellt. Wir haben die Gesetze gemacht, auch wenn manches umstritten ist. Die
Polizei arbeitet gut. Es wird keinen Terroranschlag in
Deutschland geben. - Das kann ich nicht, und das werde
ich nicht tun; das wäre unverantwortlich. Auch wir können betroffen sein; auch wir können getroffen werden.
Aber was ich für alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sagen kann, ist: Wir sind gut
aufgestellt. Wir sind wachsam. Wir sind wehrhaft. Wir
tun das uns Mögliche, damit ein Terroranschlag in
Deutschland unterbleibt.
Dafür brauchen wir natürlich politischen Streit. Wir
brauchen aber auch ein großes Maß an Konsens in diesem Land, dass dies eine Herausforderung ist, der wir
möglichst gemeinsam begegnen sollten. Wir brauchen
auch einen Konsens darüber - und den gibt es hoffentlich -, dass eines nicht geschehen darf - das Wort „Terror“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Furcht“
und „Schrecken“ -: dass alleine durch Drohungen oder
auch nach Taten die Furcht in Deutschland siegt. Das
darf nicht sein.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, natürlich können wir nicht ausschließen, dass
es auch in Deutschland zu Anschlägen kommt, wobei
zum Glück zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen.
({0})
Doch Sie haben eben erwähnt, was vor allen Dingen in
den letzten Wochen und Tagen geschehen ist. In Frankreich zum Beispiel massakrierte ein Islamist seinen Chef
und posierte hinterher mit dessen abgeschlagenem Kopf
für ein Foto. In Tunesien erschoss ein Attentäter 38 Urlauber am Strand. In Kuwait starben Dutzende Betende
bei einem Anschlag vor einer schiitischen Moschee. Im
Jemen wurden zahlreiche Schiiten von einer Autobombe
getötet. In der kurdischen Stadt Kobane massakrierten
aus der Türkei eingedrungene Schlächter des sogenannten „Islamischen Staates“ über 200 Zivilisten. Erst gestern starben in Ägypten wieder über 100 Menschen bei
Feuergefechten zwischen IS-Kämpfern und der Polizei.
Diese Aufzählung macht vor allem eines deutlich:
Die meisten Opfer des sogenannten islamischen Terrors
sind selbst Muslime. Es sind die Menschen im Nahen
Osten, die heute den größten Blutzoll zahlen müssen.
Deswegen kann es keine Frage sein: Wachsamkeit ist geboten, auch in Europa. Aber, Herr Minister, ich glaube,
man muss versuchen, auch die Ursachen des Hasses zu
thematisieren.
Meine Damen und Herren, diese Woche jährt sich die
Ausrufung des IS-Kalifats im Irak und in Syrien. Doch
das Terrorkalifat ist nicht vom Himmel gefallen. Der Boden dafür wurde durch den völkerrechtswidrigen Krieg
gegen den Irak bereitet.
Mit jüngst bekannt gewordenen Geheimpapieren des
Pentagons wird bewiesen: Schon 2012 rechneten die
USA mit der Gründung eines solchen Kalifats im Norden Syriens. Ein solcher Dschihadisten-Staat sei jedoch
im Interesse der eigenen Verbündeten, um die syrische
Regierung zu schwächen - so heißt es in diesem Papier.
Im Klartext bedeutet das: Der Aufstieg des IS wurde sehenden Auges von den USA und ihren Verbündeten
nicht nur hingenommen, er wurde sogar maßgeblich von
diesen befördert.
Der wichtigste Geburtshelfer des IS-Terrorkalifats ist
ohne Zweifel die Türkei. Die AKP-Regierung hielt ihre
Grenze nach Syrien für Zehntausende von Dschihadisten
aus aller Welt offen. Sie stellte ihnen Trainingscamps
und Krankenhäuser zur Verfügung, wo sie zusammengeflickt wurden. Sie lieferte ihnen tonnenweise Waffen und
Material. Türkische Medien haben diese Tatsachen vielfach nachweisen können, und trotzdem will die BundesUlla Jelpke
regierung das einfach nicht wahrhaben. Sie rühmt sich
der Sicherheitszusammenarbeit mit der Türkei.
Herr Minister, ich fordere Sie auf: Reden Sie endlich
Klartext mit Erdogan, damit die Türkei ihre Grenzen für
die Dschihadisten dichtmacht und sie stattdessen für den
Wiederaufbau von Kobane öffnet. Das wäre eine nachhaltige Terrorbekämpfung.
({1})
Meine Damen und Herren, die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, gehören zu den Hauptsponsoren des
religiös motivierten Terrors gegen vermeintlich Ungläubige. Doch die Bundesregierung versucht, uns diesen Paten des Terrors als Partner in der Terrorbekämpfung zu
verkaufen. Das ist doch absurd. Diese Kuschelei mit den
saudischen Henkern muss endlich ein Ende haben.
({2})
Meine Damen und Herren, von Afghanistan bis
Syrien gilt: Die westliche Politik selbst hat diese terroristischen Monster gefüttert, die jetzt drohen, ihre Kinder
als Schläferzellen nach Europa zu schicken. Das bedeutet: Alle Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus in Deutschland werden ins Leere laufen, solange
Gelder fließen und die Hintermänner im Nahen Osten
weiter freie Hand erhalten.
Diese Kriege in der Region werden noch immer mit
Waffenlieferungen angeheizt. Egal, wer die Empfänger
sind: Am Ende landen diese Waffen immer wieder bei
den entschlossensten und brutalsten Gruppierungen wie
dem sogenannten „Islamischer Staat“ und al-Qaida. Das
hat die Geschichte oft genug gezeigt. Um nicht weiter Öl
ins Feuer zu gießen, müssen alle Löcher gestopft werden, durch die Rüstungsgüter in diese Region fließen,
egal von welchem Land aus.
Die Konsequenz kann unseres Erachtens nur lauten:
Schluss mit allen Waffenlieferungen in den Nahen Osten! Setzen Sie endlich das Rüstungsexportverbot durch!
Denn ich denke, wenn man die Löcher stopft, hat man
auch eine Chance. So wird weiter aufgerüstet und weiter
gekämpft.
Danke schön.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Rolf Mützenich, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es war ein Tag des Schreckens, der Verzweiflung und letztlich auch der Verunsicherung nicht nur in
den betroffenen Ländern, sondern auch hier. Deswegen
möchte ich auch ganz bewusst im Anschluss an Ihre
Rede, liebe Frau Kollegin, davor warnen, in der Öffentlichkeit einfache Antworten zu präsentieren. Es gibt
nicht die einfachen Antworten auf die Herausforderungen. Ich finde, wir tun gut daran, auch zu überlegen, warum aus Deutschland - das wird nicht durch Saudi-Arabien und viele andere gefördert - letztlich so viele
Menschen zum IS und zu al-Qaida gehen, um dort zu
kämpfen. Deswegen wäre es, glaube ich, gut, wenn von
diesem Pult aus nicht nach einfachen Antworten gesucht
wird oder sie sozusagen ausgesprochen werden.
({0})
Deswegen sage ich: Es sind feige Morde. Wir trauern
mit den Hinterbliebenen, deren Familien und Freunden.
In der Tat - es ist gut, dass der Innenminister hier
auch darauf hingewiesen hat -, wir können keine absolute Sicherheit in Deutschland erklären; aber wir tun
letztlich alles dafür. Deswegen muss natürlich auch die
Außenpolitik darauf reagieren. Ich würde gerne einige
Argumente auch dafür finden.
Sie haben, Herr Innenminister, zu Recht darauf hingewiesen: Der Attentäter in Tunesien hat nicht nur auf die
Touristen geschossen, sondern er hat ganz bewusst - mir
fallen leider keine anderen Worte ein - auf das Herz der
tunesischen Wirtschaft geschossen, indem er genau auf
das gezielt hat, worauf 30 Prozent der Berufstätigen in
Tunesien letztlich angewiesen sind: auf den Tourismus.
Umso beeindruckender war, was wir in den letzten Stunden und Tagen gehört haben: dass am Attentatsort offensichtlich insbesondere Zivilisten, Tunesierinnen und Tunesier, versucht haben, den Attentäter zu stoppen. Das
zeigt, wie verzweifelt auch die tunesische Gesellschaft
auf diese terroristischen Herausforderungen reagiert.
Umso mehr müssen wir versuchen, uns in die Lage
Tunesiens zu versetzen: Tunesien liegt in unmittelbarer
Nachbarschaft zu Libyen, einem aktuellen Bürgerkriegsherd, und zu Algerien, einem Land, in dem jahrelang ein
Bürgerkrieg gewütet hat. Trotzdem hat sich Tunesien in
der Vergangenheit bereit erklärt, Flüchtlinge aus Libyen
aufzunehmen. Sie sind immer noch da, und die Menschen tragen die Last: eine hohe Arbeitslosigkeit von
insgesamt 16 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit
zwischen 30 und 50 Prozent. Es wurde gesagt:
3 000 junge Menschen aus Tunesien sind offensichtlich
zum IS gegangen, um dort zu kämpfen.
Trotzdem versucht dieses Land, eine Demokratie zu
bauen und damit letztlich Vorbild und Vorreiter in der
arabischen Welt zu sein. Dies zeigt, dass trotz aller Verheerungen Länder aus der arabischen Welt in der Lage
sein können, eine Gesellschaft zu bauen, die zu Besserem in der Lage ist. Ich finde, es gehört an diesen Ort, in
den Deutschen Bundestag, dass wir uns bei dieser Gesellschaft, bei den Menschen Tunesiens ganz herzlich
bedanken mit Respekt und Empathie.
({1})
Wenn ich sage: „Wir müssen natürlich über die außenpolitischen Herausforderungen sprechen“, will ich
auf der anderen Seite auch durchaus sagen: Eben weil
dort versucht wird, eine Demokratie, eine Zivilgesellschaft zu bauen, ist es ein deutlicher Hinweis, dass auch
eine Partei, die sich muslimisch nennt, bereit gewesen
ist, auf die politische Macht in Tunis zu verzichten nach
der Wahlniederlage, die sie erlitten hat. Ich glaube, dass
das stilbildend sein kann und Vorbild sein sollte für andere arabische Länder oder Länder, in denen der politische Islam zurzeit in der Regierung ist.
Deswegen sage ich noch einmal: Ja, Herr Innenminister, es ist richtig, dass die Bundesregierung die tunesischen Sicherheitskräfte unterstützt. Es kommt letztlich
darauf an, dass die Demokratie gesichert wird. Aber Sicherheit heißt mehr: Sicherheit heißt Rechtsstaatlichkeit,
heißt Unabhängigkeit der Justiz und heißt Gewissenhaftigkeit von Polizei und Militär. Wir wissen, dass die Umbrüche in der arabischen Welt von Tunesien ausgegangen sind. Da war der junge Tunesier, der sich verbrannt
hat; er wollte ein deutliches Zeichen gegen die Korruption bei der Polizei setzen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Sicherheitskräfte nicht nur gestärkt werden,
sondern sie sich in der Praxis auch anders verhalten.
Aus diesem Grunde haben wir Projekte in Tunesien
unterstützt, auch viele Entwicklungshilfeprojekte.
Frank-Walter Steinmeier ist für die Bundesregierung oft
in dem Land gewesen. Es war gut, dass die Europäische
Union in der EU-Nachbarschaftspolitik bei Tunesien einen Schwerpunkt gesetzt hat. Darin müssen wir Frau
Mogherini stärken. Es wäre gut, wenn dieses Land eine
ständige Aufmerksamkeit bekäme und eine europäische
Außenpolitik sich gerade auch in Tunesien wiederfände.
Deswegen treten wir dafür ein, über eine präventive,
über eine politische Aussagekraft in diesem Zusammenhang die EU-Komponente Tunesiens stärker deutlich zu
machen. Es war ein richtiges Partnerland. Deswegen
glaube ich, die Menschen haben es allemal verdient, dass
wir nicht nur heute über sie sprechen, sondern in Zukunft auch.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! In der letzten Woche sind in Tunesien 38 Menschen
gestorben, darunter, soweit wir wissen, zwei Deutsche.
Wir denken an die Angehörigen der Opfer. Wir denken
auch - Herr Mützenich, ich bin Ihnen dankbar für Ihre
Ausführungen - an das Land, das so sehr von den Einnahmen aus dem Tourismus abhängig ist. Wir denken
auch daran, dass dort Stabilität und die Überwindung des
Terrors und der Angst ganz zentral sind.
Heute reden wir über den Anschlag von Sousse, der
bewusst den Tourismus und damit das Land Tunesien an
einer empfindlichen Stelle treffen sollte. Gestern traf es
70 Menschen auf dem Sinai und letzte Woche das afghanische Parlament. In der vorletzten Woche tötete ein
Bonner Islamist im Irak elf Menschen. Es vergeht keine
Woche mehr ohne Terrormeldungen. Das ist furchtbar
und bedrohlich, und, ja, das macht Angst. Ich teile die
Auffassung all derjenigen, die hier gesagt haben, dass es
darauf keine einfachen Antworten gibt. Es gibt darüber
bestimmt parlamentarischen Streit, aber ich finde, es
sollte hier keine billige parteipolitische Münze geben.
Herr Strobl, deswegen will ich Sie ansprechen; Sie reden in der Debatte heute ja nicht. Der Innenminister hat
deutlich gemacht, dass die Freiheit stärker als jeder Terrorismus sein muss. Wir alle haben nach dem Anschlag
auf Charlie Hebdo zusammengestanden und hier über
die wichtigen und richtigen Wege zur Bekämpfung des
Terrorismus gestritten.
Ausgerechnet den Grünen vorzuwerfen, dass wir den
Terrorismus und die Bedrohung, die daraus entsteht,
nicht ernst nehmen würden, kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen, Herr Strobl. Das ist völlig absurd, gerade
in dieser Debatte.
({0})
- Sie haben das in der letzten Woche gemacht.
({1})
Ich will Ihnen das ausdrücklich sagen, nicht nur, weil
wir diese Debatte im Innenausschuss angemeldet und
auf die Tagesordnung gesetzt haben, sondern weil wir
das sehr bewusst und - dieses Gefühl habe ich manchmal - an manchen Stellen vielleicht auch noch differenzierter als Sie betrachten.
({2})
Selbstverständlich ist ein Anschlag jederzeit möglich,
und selbstverständlich war viel Glück dabei, dass es bei
islamistischen Anschlägen in Deutschland bisher nur
zwei Tote gab.
({3})
Ich glaube, wir brauchen mehr Antworten, als in der Vergangenheit gegeben wurden.
({4})
Ich rede erstens darüber, dass es nichts hilft, wenn wir
mit immer mehr Überwachung von immer mehr Menschen weitermachen.
({5})
Ich glaube auch nicht, dass es hilft, wenn wir mit schärferen Gesetzen weitermachen.
({6})
Das ist der Automatismus nach jedem Anschlag: Zuerst
kommt die Vorratsdatenspeicherung, Sie erweitern den
gigantischen Heuhaufen und versuchen, eine Nadel zu
finden, die immer weniger zu sehen ist, und am Schluss
- das ist der inhaltliche Punkt - fehlen das Personal und
die Mittel für die Überwachung islamistischer Zellen in
Deutschland. Durch diese besteht aber eine wirkliche
Gefahr. Wir haben das in Dinslaken und an anderen Stellen auch erlebt. Ich glaube, dass sich die Verschärfungslogik längst abgenutzt hat.
Schauen wir einmal nach Baden-Württemberg. Was
ist da nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo passiert?
({7})
- Nein, das ist kein linkes Muster, Herr Strobl.
({8})
- Nein, das ist kein linkes Muster.
({9})
Ich bin fest davon überzeugt - hierin bin ich mir mit dem
Herrn Innenminister vollkommen einig -, dass es um die
Freiheit geht
({10})
und dass wir uns von terroristischen Anschlägen nicht
die Freiheit nehmen lassen dürfen, sondern genau dahin
gucken müssen, wo wir Anlass haben hinzuschauen,
nämlich in Richtung der Bedrohung.
({11})
Wir dürfen nicht versuchen, ein ganzes Volk unter Verdacht zu stellen. Das ist der Punkt, Herr Strobl. An dieser Stelle versagen Sie, und zwar Sie ganz besonders.
({12})
Deswegen sage ich: Schauen wir einmal genau hin,
was in Ihrem Heimatland nach dem Anschlag auf
Charlie Hebdo gemacht worden ist, Herr Strobl - Sie
können ja einmal kurz zuhören; wenn Sie die ganze Zeit
sprechen, dann können Sie gar nichts hören -:
Als Erstes gab es mehr Personalstellen bei der Polizei.
Das gibt Sicherheit und war richtig.
Zweitens. Die Zahl der Staatsschutzermittler wurde
ausgebaut.
({13})
Das bietet Sicherheit, und Sie werden nicht bestreiten,
dass das richtig war, um genau zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt.
({14})
Dann gab es noch etwas Drittes. Wenn Sie das alles
für linke Lyrik halten, dann können wir gerne darüber
diskutieren. Das Dritte war nämlich, dass Geld in Prävention investiert worden ist, dass es mehr islamischen
Religionsunterricht geben soll, um religiösen Analphabetismus zu verhindern. Das ist doch ganz wichtig; denn
dort, wo wir den Terrorismus an der Wurzel packen können, dort, wo wir die jungen Menschen für die Demokratie gewinnen können, dort müssen wir ansetzen. Deswegen glaube ich, dass wir bei der Frage der Prävention
noch sehr viel Handlungsbedarf haben: in den Haftanstalten, in den Schulen. Es geht um die Integration.
({15})
- Ich habe Ihnen gerade gesagt, Herr Strobl: Machen Sie
es sich nicht so einfach, und machen Sie es nicht so billig. Ich habe Ihnen gerade erzählt, dass es um Polizei
und um Staatsschutz geht, und dann, dass es auch um
Prävention geht,
({16})
dass es um Schulen geht, dass es um Haftanstalten geht.
({17})
Schließlich geht es darum, dass wir es schaffen, in
dieser Gesellschaft gemeinsam zu leben, damit junge
Menschen hier ihre Perspektive sehen und die Demokratie wollen und sie auch verteidigen. Das geschieht nur,
wenn wir sie nicht vorverurteilen,
({18})
sondern wenn wir sie auf den Weg der Demokratie mitnehmen.
Vielen Dank.
({19})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Wolfgang
Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sowohl der Bundesinnenminister als auch der Kollege
Mützenich haben sehr kluge, sehr ernste Reden gehalten,
die dem Tagesordnungspunkt gerecht werden. Ich bedauere es sehr, dass es Frau Göring-Eckardt und der Kollegin Jelpke nicht gelungen ist, daran anzuknüpfen.
({0})
Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gerade
wörtlich gesagt, billige parteipolitische Münze sollten
wir nicht wählen. Anschließend haben Sie ein ganzes
Münzkabinett ausgepackt und über dem Kollegen
Thomas Strobl ausgeschüttet.
({1})
Es gehört sich einfach nicht, dass Sie ohne die Nennung
des Zitats, auf das Sie sich beziehen - das haben wir übrigens auch mit dem Kollegen Dr. von Notz im Innenausschuss erlebt -, den Kollegen Strobl in aller Öffentlichkeit und in der Sache zu Unrecht so angreifen, wie
Sie das getan haben. Das gehört sich nicht.
({2})
Frau Kollegin Jelpke, es kam, was kommen musste:
Wer ist schuld am islamistisch motivierten Terrorismus?
({3})
Die Amerikaner und die Deutschen. Als Geburtsstunde
des internationalen Terrorismus gilt der 20. November
1979. Damals haben 500 radikale Islamisten in Mekka
Geiseln genommen. Die Geiselnahme endete mit
300 Todesopfern. Mit dem Satz, dass die Mehrzahl der
Opfer des internationalen, islamistisch motivierten Terrors Muslime sind, haben Sie recht. Aber dass die Geiselnahme in Mekka von 1979 die Folge des Irakkrieges
ist, der 2003 begonnen hat, ist grober Unfug. Dieser gehört nicht in eine solche Debatte.
({4})
Die Taliban haben von 1996 bis 2001 in Afghanistan
ein fürchterliches Terrorregime etabliert. Das kann überhaupt nichts mit dem von Ihnen erwähnten Irakkrieg zu
tun haben. Das war lange davor.
({5})
Sie hassen uns nicht für das, was wir tun. Sie hassen
uns für das, was wir sind. Sie hassen uns für das, wofür
wir stehen: für Toleranz, für Glaubensfreiheit und dafür,
dass wir den Menschen nicht vorschreiben wollen, welche religiöse Überzeugung sie haben sollen.
({6})
- Frau Jelpke, hätten Sie bloß Ihrer eigenen Rede vernünftig zugehört. Dann hätten Sie selber verstanden,
dass das, was Sie sagen, nicht stimmen kann.
({7})
Es wird doch mit diesen Zwischenrufen nicht besser. Sie
müssten doch eigentlich merken, dass es im Kern der
Auseinandersetzung nicht um eine Auseinandersetzung
zwischen dem Abendland und dem Morgenland oder
den Muslimen und den Christen geht, sondern es im
Kern um eine radikale religiöse Ideologie geht, deren
Anhänger frei von jeder Toleranz gegenüber Andersgläubigen sind und uns, der freien Welt, ihren Willen mit
Waffengewalt aufzwingen wollen. Das ist eine Herausforderung, vor der wir alle stehen. Es wäre wirklich
schön, wenn es darüber keinen parteipolitischen Streit
geben müsste.
({8})
Wir haben - der Bundesinnenminister hat vorhin zu
Recht darauf hingewiesen - bei den notwendigen Anstrengungen im Antiterrorkampf immer Maß und Mitte
gehalten. Das gilt für Rot-Grün nach 2001, und das gilt
auch für die Große Koalition, die jetzt seit fast zwei Jahren im Amt ist.
({9})
Wir wollen aber nicht Freiheit und Sicherheit gegeneinander ausspielen. Freiheit und Sicherheit sind zwei
Seiten ein und derselben Medaille. Wenn der demokratische Rechtsstaat für sich das Gewaltmonopol reklamiert,
dann übernehmen wir damit auch die Verpflichtung, unser Land, die Bürgerinnen und Bürger so gut, wie wir
dies können, vor Angriffen aller Art und insbesondere
vor dem Terror zu schützen. Es ist selbstverständlich,
dass wir diese Aufgabe haben, und wir werden sie wahrnehmen, ohne dass wir Freiheit und Demokratie in unserem Land opfern oder auch nur zur Disposition stellen.
({10})
Wir haben im eigenen Land mit dem Terror bittere Erfahrungen gemacht: mit der Roten Armee Fraktion in
den 70er- und 80er-Jahren. Auch damals haben wir nicht
die Demokratie aufs Spiel gesetzt.
({11})
Ich blicke jetzt einmal nach links.
({12})
Am meisten lachen musste ich bei dem Satz „Wir sind
auf dem Weg in den Überwachungsstaat“. Wir haben
doch vor 25 Jahren einen Überwachungsstaat abgeschafft. Wir kämen gar nicht auf die Idee, heute einen
neuen zu etablieren.
({13})
Wir haben auch in den 70er- und 80er-Jahren beim
Kampf gegen den Terrorismus der RAF Maß und Mitte
gehalten. Und, Frau Göring-Eckardt, das tun wir auch in
diesen Tagen
({14})
in der Auseinandersetzung zum Thema Vorratsdatenspeicherung und Mindestspeicherfristen.
({15})
Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Patentrezept im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Kein vernunftbegabter Mensch kommt auf die Idee, zu sagen:
Wenn wir Mindestspeicherfristen haben, kann es keine
terroristischen Anschläge mehr geben. Das sagt doch
niemand.
({16})
Es ist ein Ermittlungsinstrument zur Aufklärung terroristischer Netzwerke.
({17})
Wir haben es heute mit Selbstmordattentaten zu tun.
Wenn ein fürchterlicher Anschlag verübt wurde und der
Attentäter dabei selbst ums Leben gekommen ist, dann
ist der Fall doch nicht aufgeklärt, dann beginnt erst die
Ermittlungsarbeit, dann wollen wir wissen, mit wem er
kommuniziert hat, woher er die Waffen und Sprengmittel hatte und ob er ein Einzeltäter oder Teil einer Gruppe
ist. Der internationale Terror ist hochkonspirativ und
hochkommunikativ, und die retrograde Auswertung der
Telekommunikationsverbindungsdaten kann uns helfen,
Strukturen von Tätergruppen aufzuklären und damit
auch zukünftige Anschläge zu verhindern, nicht mehr
und nicht weniger.
Dass wir darüber streiten, liegt in der Natur der Sache.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich bin sofort fertig. - Darüber, dass das ein grundrechtssensibler Eingriff ist, gibt es keine Debatte. Aber
ich hoffe, dass wir die Debatte mit dem notwendigen
Ernst führen und uns vor allen Dingen in wichtigen Fragen, in denen wir uns alle einig sein müssten, nicht zerlegen. Das Publikum erwartet von uns, dass wir, wenn es
um die Existenz des Landes geht, zusammenhalten und
keinen parteipolitischen Streit austragen.
({0})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Thomas
Lutze von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Präsidentin! Herr Bosbach, ich versuche, bei den letzten
beiden Sätzen Ihrer Rede anzuschließen. Der feige Anschlag in der tunesischen Ferienanlage hat dieses Land
hart getroffen. Heute gedenken wir vor allen Dingen der
zahlreichen Opfer.
Für Tunesien ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, vielleicht sogar der wichtigste. Es war
kein Zufall, dass sich die Verbrecher des sogenannten IS
gerade dieses Ziel ausgesucht haben. Sie wollten an einer ganz entscheidenden Stelle diejenigen treffen, die
Tunesien in den letzten Jahren in eine positive Richtung
geführt haben. Sie wollten eine Regierung treffen, die
demokratisch gewählt wurde. Sie wollten eine Gesellschaft treffen, in der Demokratie, Menschlichkeit und
Weltoffenheit keine Fremdworte sind. Auch die fortschrittliche Verfassung in Tunesien ist diesen Leuten ein
Dorn im Auge. Die entstandene Situation ist sehr
schwierig, und - das ist richtig - es gibt dafür keine einfachen Lösungen. Entscheidend ist aber, dass die Verbrecher des sogenannten IS mit ihrem Terror nicht durchkommen.
({0})
Tunesien ist zu einem großen Teil vom Tourismus abhängig, der seitdem wieder stark rückläufig ist. Sicher
war auch vor dem letzten Anschlag der Tourismus in Tunesien noch nicht wieder dort, wo er einige Jahre zuvor
bereits war. Aber die Richtung stimmte, und es gab Anlass zur Hoffnung. Der aktuelle Anschlag wird die Krise
des Tourismussektors in Tunesien erneut verschärfen.
Die Islamisten haben in vielen arabischen Ländern
auch deshalb Zulauf, weil sie gezielt für ihre menschenverachtende Ideologie werben und werben können. In
Syrien zum Beispiel verteilen Islamisten Lebensmittel
an die Bevölkerung, die sich vom Westen im Stich gelassen fühlt. Wo Menschen hingegen versuchen, die Islamisten loszuwerden, zerstören diese Verbrecher die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen. Rund eine halbe
Million Tunesier lebt direkt vom Tourismus. Aktuelle
Schätzungen der tunesischen Regierung besagen, dass
der Anschlag im laufenden Jahr wirtschaftliche Einbußen in Höhe von rund 450 Millionen Euro nach sich ziehen wird - allein in diesem Jahr!
Das alles geht auch uns etwas an. Wir müssen den Urlauberinnen und Urlaubern erklären, ob sie in Tunesien
Urlaub machen können oder nicht. Wenn uns bei dieser
Frage nicht schnell eine Lösung einfällt, dann hätten die
IS-Verbrecher ihr menschenverachtendes Ziel erreicht.
Aus diesem Grund bin ich den Koalitionsfraktionen
dankbar, dass wir heute eine Aktuelle Stunde dazu auf
der Tagesordnung haben.
Allerdings hätte ich mir als Mitglied des Tourismusausschusses sehr gewünscht, dass dieser Ausschuss am
gestrigen Mittwoch den Bericht der Bundesregierung zur
Lage in Tunesien nicht einfach ohne Debatte zur Kenntnis genommen hätte. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
diese Form der Sprachlosigkeit war keine Sternstunde
unseres Parlaments.
({1})
Deutsche Tourismusunternehmen wie TUI, die auch
Anteilseignerin der betroffenen spanischen Hotelkette
RIU ist, haben auf vorbildliche Art und Weise unbürokratisch geholfen: Vorzeitige Rückflüge wurden organisiert, Urlauber konnten ihre gebuchte Reise kostenlos
umbuchen oder stornieren, Reisende und Hotelmitarbeiter wurden durch extra eingeflogene Therapeuten betreut. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand nicht,
weil keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorlag
und auch nicht vorliegt. Dafür sind wir der TUI und auch
den anderen Reiseveranstaltern, die in Tunesien aktiv
sind, sehr dankbar.
Wir sollten bei der aktuell anstehenden Reform der
Pauschalreiserichtlinie deshalb noch einmal ganz genau
darauf schauen, ob wir tatsächlich alle Optionen bedacht
haben. Reiseverkehrsrechtsregelungen und vor allen
Dingen die Neufassung des Reisevertragsgesetzes müssen in Abwägung der Interessen der Urlauberinnen und
Urlauber sowie der Reiseveranstalter sehr sorgfältig ausgearbeitet werden. Kulanz ist gut, lässt sich aber nur
schwer in einen Rechtsrahmen fassen. Die Sicherheit der
Reisenden steht an oberster Stelle. Abstriche daran sind
nicht hinnehmbar.
({2})
Eine den Sicherheitsstandards entsprechende Urlaubsplanung kann aber nur dann gewährleistet werden,
wenn nicht durch Wettbewerbsverzerrungen eine Qualitätsabwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Die Krise in Tunesien offenbart die großen Qualitätsunterschiede in der
Kundenbetreuung und dem Krisenmanagement zwischen professionellen Reiseveranstaltern und sogenannten Vermittlern. Reisevermittler oder Onlinebörsen haben keine Gästebetreuung vor Ort und auch kein
Krisenmanagement im Ernstfall. Sie entsenden weder
Betreuungsteams, noch bieten sie vergleichbare Kulanz
bei Umbuchungen. Sie sparen beim Verbraucherschutz
und werden seit 2012 in Deutschland auch noch steuerlich bevorzugt. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Dem Terrorismus muss - darin sind wir uns, glaube
ich, im Haus einig - der Nährboden entzogen werden.
Dazu gehört, dass auch die Menschen in Tunesien eine
Perspektive jenseits von Hungerlöhnen und Jugendarbeitslosigkeit haben müssen. Die politischen Freiheiten
sind die eine Seite der Medaille; das ist sehr begrüßenswert. Soziale Sicherheit und Wohlstand sind die andere
Seite. Das ist letztendlich auch eine sicherheitspolitische
Frage. Darüber hinaus müssen wir Tunesien noch intensiver dabei helfen, dass die real vorhandenen Sicherheitsdefizite vor Ort schnell abgebaut werden.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Matthias
Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lutze, Sie haben dadurch, dass Sie den Schwerpunkt wieder auf Tunesien und den Tourismus gelegt haben, die Emotionen
ein bisschen heruntergekühlt. Dafür gebührt Ihnen Dank.
Ich glaube, es ist dem Thema angemessen, wenn wir darüber wieder ein bisschen sachlicher reden.
({0})
Herr Kollege Lutze, ich möchte insofern an Sie anknüpfen, als dass ich Tunesien zum Gegenstand meiner Rede
mache. Aber, Herr Minister, ich möchte eher darlegen,
was wir auf bilateraler Ebene für Tunesien tun können;
darauf komme ich gleich zu sprechen.
Lassen Sie mich zunächst einmal bitte den Angehörigen der Opfer mein Mitgefühl ausdrücken. Zugleich
möchte ich den mitunter Schwerverletzten gute und vollständige Genesung wünschen. Ich denke, so viel Zeit
sollte sein.
({1})
Es gibt eine weitere Bemerkung, die ich vorausschicken möchte. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundesregierung sehr herzlich bedanken, namentlich bei denen im Auswärtigen Amt und
im BMI, bei dem Ermittlerteam des BKA und beim Krisenstab; denn diese haben hervorragende Arbeit geleistet. Es ging sehr schwer los. Sie konnten dabei nicht auf
die Uhr schauen, private Termine mussten sie erst einmal hintanstellen. Sie hatten eine schwierige Aufgabe zu
lösen, und sie haben dabei Hervorragendes geleistet.
Herr Minister, bitte tragen Sie diesen Dank weiter an die
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Der Westen war das Anschlagsziel. Das haben auch
die Redner vor mir schon festgestellt. Es gibt auch ein
Matthias Schmidt ({3})
Bekennerschreiben. Ob es seriös ist, wissen wir nicht,
aber der Tathergang macht ja deutlich, dass der Westen
das Ziel ist.
Die Lage in Tunesien ist von meinen Vorrednern auch
schon beschrieben worden. Wir haben fünf nordafrikanische Mittelmeeranrainer. Von Westen nach Osten sind
das Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.
Diese fünf Länder verbinden wir mit dem Arabischen
Frühling. Seit 2011 hat sich aber nur Tunesien verstärkt
auf den Weg zu einer Demokratie gemacht und hat es geschafft, eine neue Verfassung zu verabschieden. Tunesien hat gewählte Repräsentanten, eine Gewaltenteilung
und in der Verfassung sogar das Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau. Aus unserer Sicht ist das vorbildlich für die arabische Welt.
Ich will die Probleme in Tunesien nicht kleinreden;
ich will aber zumindest deutlich machen, dass es sehr
unterstützenswert ist, was sich dort abspielt. Die Frage,
die ich mir stelle, ist: Was können wir jetzt innenpolitisch tun, um die Lage dort zu verbessern, zu stabilisieren? Dafür sollten wir zunächst einmal eine Bestandsaufnahme dessen machen, was wir schon in Tunesien
machen. Das ist nämlich einiges. Es gibt eine deutsch-tunesische Transformationspartnerschaft. Bundespolizei,
BKA, Verfassungsschutz und auch die Fachhochschule
des Bundes, die heute natürlich Hochschule des Bundes
heißt, sind da mit einbezogen. Alle diese Institutionen
entsenden Experten, die vor Ort tätig sind und dort den
demokratischen Prozess stärken. Es gibt Polizeiunterstützung auf allen Ebenen, auf der EU-Ebene, auf der
Bundesebene und auch auf der Ebene der Länder. Ein
neues Abkommen - Herr Minister, wir haben im Innenausschuss darüber gesprochen - steht unmittelbar bevor.
Ich finde, in dieser neuen Situation müssen wir das alles jetzt rasch auf den Prüfstand stellen, aber nicht in
dem Sinne, dass wir die Maßnahmen an sich infrage stellen oder Kürzungen vornehmen wollen, sondern in dem
Sinne, dass wir uns fragen, in welcher Form wir diese
Maßnahmen sinnvollerweise ergänzen können; denn bisher besteht das, was wir bilateral tun, aus eher harten
Maßnahmen. Es geht um die Grenzsicherung - es gibt
eine lange Meergrenze und eine Landgrenze zu Libyen -,
es geht um Erkennungsdienst, es geht um Dokumentenprüfer, Zolleinsätze, und nun bekommen wir den zusätzlichen Schwerpunkt der Terrorismusbekämpfung.
Aber wir sollten, wie ich finde, diesen harten Maßnahmen mit zusätzlichen weichen Maßnahmen mehr Kraft
verleihen.
Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, die Demokratisierung in Tunesien zu stärken - beim Aufbau des
Rechtsstaats, bei der Berufsbildung, bei Wahlen und bei
der Bekämpfung von Korruption. Die Hochschule des
Bundes wurde bereits als Player genannt. Dann bietet
sich doch auch an, dass die Universitäten in Deutschland
überlegen, welche Art der Partnerschaft sie vor Ort zur
Stärkung eingehen könnten.
({4})
Die Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie
die Landeszentralen könnten darüber nachdenken, zu
unterstützen, ebenso die Handwerkskammern. Auf diesem Weg werden wir Sie, Herr Minister, immer sehr
gerne unterstützen.
Lassen Sie mich als Letztes sagen: Ich danke Ihnen
ausdrücklich für Ihre Reise nach Sousse am vergangenen
Montag. Sie haben damit nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit Tunesien gesetzt, sondern Sie haben auch ein
entschlossenes Zeichen gegen den Terror gesetzt.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Thorsten
Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Morgen beginnt die Sommerpause. Viele von
uns fahren in dieser Zeit mit ihren Familien in den Urlaub. Sie vielleicht auch? Jeder dritte Jahresurlaub der
Deutschen führt ans Mittelmeer. Die Freiheit, zu reisen,
sich zu erholen, neue Kulturen kennenzulernen, ist für
uns normal.
Der vergangene Freitag hat jedoch gezeigt: Freiheit
ist nie selbstverständlich. Sie muss immer wieder aufs
Neue verteidigt werden. Am vergangenen Freitag hat ein
Attentäter in Tunesien 39 Menschen brutal ermordet.
Weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt:
Menschen, die voller Freude auf Erholung und Freizeit
nach Tunesien gereist waren, aber auch Menschen, die
im Hotel arbeiteten oder ganz zufällig Opfer wurden Urlauber und Einheimische, Christen und Muslime, deren Leben jäh zerstört wurde. Hier wird deutlich: Terror
kennt keine Nationalität oder Religion. Dies zeigt auch
ein weiterer Terrorakt am 26. Juni: In Kuwait verübten
Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Moschee.
26 Menschen sind tot, 227 verletzt. Sie waren zusammengekommen, um gemeinsam zu beten. Alle waren
Muslime.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es nach dem
Anschlag vom März wieder Tunesien getroffen hat, hat
einen Grund: In diesem Land begann der Arabische
Frühling. Kein arabisches Land hat sich seitdem stärker
in Richtung Freiheit bewegt. Der Tourismus ist dabei die
Achillesferse, die die Verbrecher treffen wollten. Wir
werden es nicht zulassen, dass der Terror dieses Land in
die Knie zwingt.
({0})
Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass unser Innenminister diese Woche Tunesien besucht hat. Lieber
Herr Minister, hiermit haben Sie ein wichtiges Zeichen
gesetzt: Wir stehen geschlossen an der Seite der Menschen in Tunesien.
Thorsten Hoffmann ({1})
Die Anschläge der letzten Wochen zeigen, wie zerbrechlich Frieden und Freiheit sind, auch in Deutschland. Am Montag hat das Innenministerium den Verfassungsschutzbericht 2014 veröffentlicht. Bis Januar 2015
sind mehr als 600 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist, und die Zahlen steigen
weiter: Heute sind es bereits rund 700 Kämpfer. Sie haben in Ausbildungslagern das Töten trainiert. Viele sind
bereits zu Mördern geworden. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen ist inzwischen, zumindest zeitweise,
wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Menschen haben ein gefestigtes radikales Weltbild. Wir müssen von einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft ausgehen. Sie stellen ein enormes Sicherheitsrisiko für unser
Land dar, und mit jedem Rückkehrer steigt die Anschlagsgefahr. Wie real diese Gefahr ist, hat sich leider
bereits in Paris gezeigt. Der Anschlag auf „Charlie
Hebdo“ war die Tat eines Rückkehrers. Auch wir in
Deutschland müssen jederzeit mit einem Terroranschlag
rechnen.
Dazu kommen die, die sich hierzulande radikalisieren. Der Verfassungsschutzbericht nennt mehr als 7 500
Salafisten in Deutschland, und die Tendenz ist steigend.
Gerade junge Menschen werden über soziale Medien
zielgerichtet angesprochen. Hier müssen wir die Prävention erheblich verstärken. Anmerken möchte ich auch:
Es sind auch immer häufiger Frauen, die angesprochen
werden. Es ist unsere Aufgabe, jungen Menschen unsere
Werte überzeugend zu vermitteln. Daran sollten wir alle
arbeiten.
Unter dem Deckmantel einer kostenlosen Koranverteilung sind die Islamisten immer öfter in unseren Innenstädten präsent. Gemeinsam mit meinem Essener Kollegen Matthias Hauer habe ich beschlossen, dies nicht
mehr hinzunehmen. Wo immer die Salafisten in meiner
Heimatstadt Dortmund auftauchen, bin ich präsent und
verteile unser Grundgesetz.
({2})
Unsere Werte verdienen Mut. Wir dürfen selbstbewusst
zu ihnen stehen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen auffordern, es uns gleichzutun.
Anders als die Menschen in Tunesien leben wir in einem gefestigten Staatswesen. Wir dürfen unseren Sicherheitsbehörden dankbar sein; sie arbeiten intensiv
daran, Anschläge abzuwehren und zu verhindern. Planungen zur Aus- und Rückreise von Islamisten können
oft frühzeitig erkannt und sogar verhindert werden. Damit sie diese Arbeit optimal leisten können, bedarf es jedoch eines ausreichenden Werkzeugkastens und einer
Vielzahl von Ermittlungsmöglichkeiten.
({3})
Nur so können unsere Sicherheitsbehörden die schwere
Bedrohung abwehren, die der internationale Terrorismus
mit sich bringt. Ein ganz wichtiges Werkzeug ist dabei
die Vorratsdatenspeicherung. Ich freue mich besonders
darüber, dass sich die SPD auf ihrem Parteikonvent auch
dafür ausgesprochen hat. Herzlichen Dank!
({4})
Jetzt komme ich zum Schluss: Denken wir daran: Die
Freiheit ist zerbrechlich. Sie muss geschützt werden.
Stellen wir uns dem Extremismus als selbstbewusste Demokraten entgegen!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Da dies die erste Rede des Kollegen
Hoffmann war: Herzlichen Glückwunsch zur ersten
Rede!
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Irene Mihalic
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wir alle sind immer noch schockiert
über die jüngsten Terroranschläge in Frankreich, in Tunesien, aber auch in Kuwait, im Jemen und jetzt auch in
Ägypten. Wir fühlen und trauern mit den Angehörigen
der vielen Todesopfer und Verletzten. Wir müssen
selbstverständlich alles in unserer Macht Stehende tun,
um der konstant hohen Terrorgefahr auch hierzulande
mit rechtsstaatlichen Mitteln wirksam zu begegnen.
In diesem Zusammenhang ist es meiner Ansicht nach
allerdings wenig hilfreich, wenn Bundeskanzlerin
Merkel unmittelbar nach den Anschlägen vom Freitag
quasi aus der Hüfte den Versuch macht, die Ereignisse
auf ihre Weise zu analysieren. Wie kann man mit so wenig Faktenwissen die Anschläge mit einem - so wörtlich „Einsickern von IS-Terroristen“ begründen? Wie kann
man überhaupt, ohne Details zu haben, davon sprechen,
dass der Anschlag von Menschen verübt wurde, die
nicht schon längst dort lebten, in Frankreich und in Tunesien? Wie kann man dann bitte zu der Schlussfolgerung kommen, zu der Frau Merkel kam? Ich zitiere eine
Reuters-Meldung vom Tag der Anschläge:
Wir wissen, dass wir gerade mit Blick auf die Migrationspolitik aufpassen müssen, dass nicht islamistische Kämpfer eindringen in die EU.
({0})
Diese Vermischung der Terrorgefahr mit der Flüchtlingspolitik - das will ich Ihnen einmal sagen - ist nicht
nur fachlich völlig falsch, sondern auch brandgefährlich,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wir alle müssen sehr aufpassen, dass wir mit unserer
Wortwahl nicht denen eine scheinbare Legitimation verschaffen, die Flüchtlinge bedrohen und Asylunterkünfte
anzünden.
({2})
Genau deshalb - das sage ich Ihnen, Herr Strobl, da Sie
sich bei Gelegenheit auch mal an innenpolitischen Debatten beteiligen ({3})
war das Attentat vom 26. Juni der absolut falsche Anlass, eine parteipolitische Debatte anzuzetteln.
Da Sie, Herr Strobl, ja vorhin darum gebeten haben,
dass wir sagen, auf welches Zitat wir uns beziehen, helfe
ich Ihnen jetzt einmal auf die Sprünge.
({4})
Das Zitat war:
Es ist bezeichnend, dass zu den schrecklichen Anschlägen in Sousse und Lyon kein Wort von den
Grünen und den Linken zu hören ist.
({5})
Sie haben, was die Sicherheit der Menschen in
Deutschland angeht, offenbar nichts zu sagen.
({6})
Herr Strobl, allein der Respekt vor den Opfern und ihren Familien verbietet es,
({7})
diese Debatte für durchsichtige parteipolitische Manöver
zu nutzen, wie Sie es getan haben. Das gehört sich einfach nicht.
({8})
- Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf, Herr Strobl! Ihr
kleines Manöver war durchsichtig. Es ist aufgeflogen.
({9})
Leben Sie damit! Tragen Sie es mit Fassung!
Im Gegensatz zu Ihnen reden wir erst, wenn wir tatsächlich etwas zu sagen haben, nämlich dann, wenn die
Fakten auf dem Tisch liegen.
({10})
Wir sind jetzt einen Schritt weiter, nachdem wir die Debatte im Innenausschuss haben aufsetzen lassen. So können wir - Stand heute - sagen, dass es ganz anders war,
als die Kanzlerin es am Freitag mal eben auf die
Schnelle analysiert hat. Nicht reisende IS-Kämpfer waren das Problem, sondern zumindest in Frankreich und
Tunesien waren es Menschen aus der Mitte der Gesellschaft,
({11})
Menschen, die dort schon länger lebten, die dort zur
Schule gegangen sind, die soziale Kontakte hatten.
Dieser Analyse müssen wir uns auch hier in Deutschland stellen. Die Terrorgefahr entspringt hier aus unserer
Gesellschaft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
({12})
Doch genau das ignorieren Sie, meine Damen und Herren auch von der Bundesregierung, konsequent.
({13})
Sie kümmern sich ausschließlich um reisende Täter, und
das auch noch mit unbrauchbaren Maßnahmen wie dem
Personalausweis für Terroristen.
({14})
Da muss man doch nur einmal das Muster der Anschläge
zu dieser Maßnahme ins Verhältnis setzen. Wenn man
das täte, würde man feststellen: Da ist nichts, was irgendwie geholfen hätte, diese Anschläge zu verhindern.
Das, was wirklich etwas bringen würde - das verkünden Sie hier in Reden; das packen Sie aber nicht an -,
das wäre Prävention. Das wäre ein Thema - also von
wegen: Ich habe nicht zugehört. Ich habe sehr gut zugehört.
({15})
Aber leider folgt daraus keine Maßnahme.
Schon heute gibt es viele Ansätze, das Problem der
Radikalisierung von Menschen an der Wurzel zu packen: in Familien, in den Schulen, in den Religionsgemeinschaften. Herr de Maizière, Sie haben selbst gesagt,
dass man vor dieser wichtigen Arbeit den Hut ziehen
muss. Das teile ich ausdrücklich. Doch diese Arbeit
bleibt ein Flickenteppich, wenn keine vernünftige Vernetzung, wenn keine Koordinierung stattfindet. Wir
brauchen endlich eine nationale Präventionsstrategie,
um diese wichtigen Ansätze und diese wertvolle Arbeit
zu bündeln und auch finanziell verlässlich zu gestalten.
Das wäre Ihre Aufgabe.
({16})
Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie sich bis
heute nicht darum kümmern.
({17})
Denn da tun Sie nicht alles, um den Terror zu verhindern. Vielleicht ist es Ihnen zu kompliziert.
({18})
Vielleicht ist Ihnen auch der mediale Ertrag zu gering.
Über die Gründe kann ich offen gestanden nur spekulieren. Leider vergessen Sie dabei eines: Die Bürgerinnen
und Bürger erwarten zu Recht, dass Sie die Terrorgefahr
nicht nur in Worten, sondern eben auch in Taten ernst
nehmen.
Nehmen Sie den Auftrag endlich an, hören Sie auf mit
Symbolpolitik, und lassen Sie bitte diese parteipolitische
Spiegelfechterei auf dem Rücken von Anschlagsopfern!
Ganz herzlichen Dank.
({19})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Roderich
Kiesewetter von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sinn einer
Aktuellen Stunde ist es doch, aufzuzeigen, dass der
Deutsche Bundestag übergreifend bestimmte Themen
behandelt und damit deutlich macht, dass es nicht alleine
innenpolitische, außenpolitische, entwicklungspolitische oder verteidigungspolitische Handlungsmöglichkeiten gibt. Ich bin deshalb dem Innenminister und auch
dem Kollegen Mützenich, aber auch Herrn Hoffmann
sehr dankbar für die sehr sachliche und ruhige Art, wie
sie dieses Thema angehen. Das steht uns als Bundestag
auch gut an. Ich bin heute im Gegensatz zu sonstigen
Debatten - das mag ich sagen - wirklich enttäuscht von
der polarisierenden Art und Weise, mit der die Grünen
versuchen, Kapital aus diesem ernsten Thema zu schlagen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war im
Januar mit Außenminister Steinmeier im Bardo-Museum
und begeistert von der Ausstellung mit Werken von
Macke, Kandinsky und anderen, und ich war im April
nach den Anschlägen vom 18. März zum stillen Gedenken in diesem Museum. Wir alle wissen, dass die Radikalisierung, die auch in Europa stattfindet, die Grenzen
zwischen Innen- und Außenpolitik aufhebt. Das Signal
dieser Aktuellen Stunde ist auch, dass wir enger kooperieren müssen. Etliche Vorrednerinnen und Vorredner
haben das auch sehr deutlich gesagt.
Was macht mir Sorgen? Junge Menschen lassen sich
aufgrund von Perspektivlosigkeit radikalisieren, reisen
beispielsweise nach Syrien, kommen traumatisiert zurück, umgeben sich mit einem Heldennimbus und versuchen, weitere junge Menschen zu rekrutieren und in den
Terror zu ziehen. Allein hieran zeigt sich, wie wichtig es
ist, dass Innen- und Außenpolitik kooperieren.
Drei Trends machen mir Sorge:
Erstens. Ursprünglich eigentlich lokale Rivalitäten
bedienen sich zunehmend der Ideologie des internationalen Islamismus, Beispiel Libyen.
Zweitens. Zerfallende Staaten, auch Staaten, die bereits in gewisser Weise ihre Souveränität verloren haben,
bieten keine Perspektiven für ihre Jugend und müssen
mit viel Aufwand wieder stabilisiert werden. Ich blicke
hier auch auf den Kosovo, wo wir mit sehr viel Aufwand
versuchen, die Radikalisierung zu verhindern.
Der dritte Trend rückt Europa in den Fokus. Der französische Islamwissenschaftler Kepel hat bereits vor
15 Jahren davor gewarnt, was sich möglicherweise in
Europa auswirken kann, weil, wie es vorhin sehr richtig
gesagt wurde, unsere Lebensweise im Fokus ist. Unsere
Lebensweise wird nicht akzeptiert: Toleranz, Meinungsfreiheit, gute Regierungsführung, Bekämpfung organisierter Kriminalität.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
aber auch Lösungen aufzeigen. Mit Blick auf die Perspektivlosigkeit möchte ich sehr deutlich machen, dass
wir die fragilen Staaten besser unterstützen müssen. Hier
möchte ich das Beispiel Tunesien anführen. Deutschland
hat seine Entwicklungshilfe für Tunesien vervierfacht,
und zwar von 37 Millionen Euro auf 150 Millionen
Euro. Aber wir geben nicht nur Geld. Auch 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GIZ, der Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit, wirken mit. Der Internationale Währungsfonds bietet 1,8 Milliarden Euro Strukturhilfen in Zusammenarbeit mit der OSZE, den Vereinten Nationen und der Europäischen Investitionsbank.
Hier zeigt sich, wie wichtig ein vernetzter, ein verzahnter Einsatz ist, und wie wichtig es ist, dass wir bewusst
die Länder, die in den Fokus des Terrorismus geraten, zu
stabilisieren versuchen.
Der gegenwärtige Aufwuchs an Terrorismus, glaube
ich, zeigt: Wir müssen uns besser informieren über loRoderich Kiesewetter
kale Gefährdungen, über Eigenheiten bestimmter Regionen, um unsere Ertüchtigungsinitiativen noch besser und
glaubwürdiger unterstützen zu können.
Wir Europäer haben einen sehr toleranten Islam auf
dem Balkan, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat
und der unter dem Balkankrieg vor knapp 25 Jahren gelitten hat. Heute wird aufgrund der schwierigen Staatlichkeit in dieser Region versucht, Anhänger für den
Wahhabismus und Salafismus zu werben. Wir sollten alles tun, um diesen toleranten europäischen Islam zu stützen, ihn zu unserem Islam zu machen, der die Werte
Europas von Toleranz, Völkerverständigung und Aussöhnung teilt. Dazu gehört, dass wir wirtschaftliche Perspektiven bieten. Die militärische Ausstattungshilfe, die
wir in manchen Bereichen leisten, dient der Sicherheit.
Aber ihr muss die Entwicklungshilfe folgen. Deshalb
brauchen wir Entwicklungszusammenarbeit, Aufbauhilfe, Strukturhilfen, Ausbildungshilfen und gezielt Visaerleichterungen für Berufsgruppen, die eine Perspektive in unserer Gesellschaft haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe,
dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen zu einem
moderaten Ton zurückfinden. Wir sind hier nicht im
Landtagswahlkampf,
({1})
sondern wir sind ganz ernsthaft dabei, Lösungen zu finden.
({2})
Ich bin unserem Innenpolitiker Thomas Strobl außergewöhnlich dankbar,
({3})
dass es ihm gelungen ist, den Blick unserer Innenpolitiker für die Notwendigkeit außen- und entwicklungspolitischer Maßnahmen zu schärfen, nicht zuletzt in unserer
gestrigen fraktionsoffenen Sitzung zur Flüchtlingsfrage.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Gabriela
Heinrich von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Diese Aktuelle Stunde hat eine schreckliche Aktualität: letzte Woche Anschläge in Frankreich, Kuwait und Tunesien, am
Montag und gestern in Ägypten. Wir sprechen hier von
insgesamt 156 Menschen, die innerhalb der letzten Woche in diesen Ländern ermordet wurden. Als Vorsitzende
der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten liegt mir Tunesien besonders am Herzen, was natürlich die Relevanz
der anderen furchtbaren Anschläge nicht mindern soll.
Noch im Februar hat die Parlamentariergruppe Tunesien
besucht. Wir waren unter anderem in Sousse und auch
im Bardo-Museum. Vor den Anschlägen waren beide
Orte friedlich und lebendig. Jetzt ist ihr Name mit Terror
und Angst verbunden.
Wie die meisten von Ihnen empfinde ich Trauer und
Wut; denn wir haben dort Menschen getroffen, die voller
Hoffnung an einer besseren, demokratisch geprägten Zukunft Tunesiens mitarbeiten wollen. Das Land ist voll
von Engagement für diese Zukunft. Die Tunesier und
Tunesierinnen setzen auf Vernunft und Kompromissbereitschaft. Diese Bemühungen sind es, die Terrorismus
und Fanatismus zunichtemachen wollen.
Die Frage, warum meist junge Menschen zu Terroristen werden, warum sie in den Kampf ziehen - die Debatte hat es gezeigt -, beschäftigt uns alle. Die Ursachen
sind vielfältig. Sie sind nicht nur in der Perspektivlosigkeit, sondern auch in der Gewaltfaszination und dem Gefühl, sich für eine vermeintlich gerechte Sache zu opfern, zu suchen. Und es gibt als neues Phänomen die
Unauffälligen, die äußerlich modern und liberal auftreten. Sie fallen nicht durch Hassreden auf, und ihr Umfeld
reagiert völlig verstört, wenn sie zu Mördern geworden
sind. Zu Ihnen gehörte der Attentäter von Sousse.
In den deutschen Nachrichten wird bereits spekuliert,
ob Tunesien jetzt nicht wieder zu einem Staat werden
wird, der die Freiheitsrechte erheblich einschränkt. Es
werden Stimmen gesucht, die angeblich den starken
Mann fordern und die Demokratie ablehnen. Manchmal
scheint es mir so, als ob das kleine Land in Nordafrika
mit seiner modernen, demokratischen Verfassung inmitten einer Region, in der schwere Konflikte und Gewalt
zum Alltag gehören, doch gar nicht erfolgreich sein
kann.
Ich habe mich gestern mit dem tunesischen Botschafter getroffen. Er erzählte mir, dass selbstverständlich Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Im Rahmen eines
Sicherheitskonzepts werden Hotels, Strände, archäologische Stätten und andere Touristenziele geschützt. Und es
wurden 80 Moscheen geschlossen, die erkennbar zu radikalen Netzwerken zählen.
Alle jetzt ergriffenen Maßnahmen - und das ist das
Besondere an Tunesien - werden öffentlich debattiert
und von der Opposition und der Zivilgesellschaft mitgetragen. Und das funktioniert auch nur deshalb, weil es
dort eine starke Zivilgesellschaft gibt. Tunesien setzt auf
die Unterstützung Europas - auf die der Innenminister -,
aber auch auf die Unterstützung, die mit der Transformationspartnerschaft verbunden ist. Meine Damen und
Herren, gerade die starke Zivilgesellschaft ist es, die uns
so viele Hebel bietet, das Land zu unterstützen.
({0})
Wir beraten Tunesien beim Aufbau des Rechtsstaats,
bei guter Regierungsführung, Dezentralisierung und
Medienfreiheit. Wir unterstützen das Land bereits im
Bereich der beruflichen Bildung. Die Sonderinitiative
„Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“
versucht unter anderem, die politische Partizipation zu
steigern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
Das alles darf nicht weniger werden, sondern wir müssen diese Partnerschaft noch weiter ausbauen, auch im
Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Während meiner Reisen habe ich mich vom unbedingten Willen der Tunesierinnen und Tunesier überzeugt, Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft voranzubringen. Sie brauchen jetzt unsere Solidarität, wie sie
auch von denen bereits gezeigt wurde, die nach dem Anschlag an verschiedenen Stränden gegen den Terror demonstrierten - darunter viele Touristen.
Ausdrücklich bedanken möchte ich mich beim Innenminister für den schnellen Besuch und die Hilfsangebote
und ebenso bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier
für seine Bemühungen, die Libyer an einen Tisch zu
bringen; denn die Konflikte und die Waffen in Libyen
stellen auch für Tunesien eine ständige Bedrohung dar.
Wir können nur hoffen, dass auch dieses Land bereit ist,
die Konflikte zu beenden und eine nationale Einheitsregierung zu bilden, so wie es die Tunesier vorgemacht haben. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel bei der Stabilisierung der gesamten Region.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Jürgen
Klimke von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass
die jüngsten Anschläge in Tunesien, in Kuwait, in
Frankreich und auch gestern in Ägypten uns nicht nur
betroffen machen müssen, sondern dass sie uns auch vor
ganz große Herausforderungen stellen, die nicht nur innenpolitischer, sondern auch außenpolitischer Art sind.
Die Anschläge stehen in Verbindung mit dem sogenannten „Islamischen Staat“, dessen Protagonisten - anders als bei al-Qaida - nicht nur morden, sondern brutal
für einen Staat in ihrem Sinne kämpfen. Der IS speist
sich neben Einzeltätern aus Instabilität und Konflikten.
Es sind Failed States, in denen der IS Entwurzelte an
sich binden und Kämpfer für seine ideologischen Ziele
begeistern kann. Deshalb ist es für unser außenpolitisches Handeln entscheidend, Instabilität zu vermeiden
und Stabilität wiederherzustellen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir als Europäische
Union immer die richtigen Konzepte haben und ob wir
uns ausreichend engagieren. Das muss man einmal
selbstkritisch sagen. So müssen wir zum Beispiel darüber nachdenken, ob wir es wirklich dauerhaft hinnehmen können, dass der IS im libyischen Machtvakuum
immer mächtiger wird. Denn die Instabilität Libyens erweist sich als Fanal für die gesamte Region. Das gilt im
Übrigen auch für die Flüchtlingsfrage.
Instabilität droht auch andernorts, zum Beispiel in
vielen Staaten Afrikas, auch in einigen Balkanstaaten
- Kollege Kiesewetter hat es angesprochen -, bei denen
wir eigentlich angenommen hatten, dass ihr friedlicher
Weg in die europäische Integration vorgezeichnet ist. Es
liegen jedoch neue Erkenntnisse vor, dass der IS den
Balkan als Einfallstor in die EU nutzt.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch erkennen, dass eine mögliche Instabilität Griechenlands
- wenn auch wegen anderer Fragen, nämlich in der
Folge eines potenziellen Ausscheidens aus dem Euro
oder auch aus der EU - gravierende Folgen für Südosteuropa haben und dort Instabilität verursachen könnte.
Andererseits wäre die stabilisierende Rolle der Türkei,
die Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat
und dem IS militärisch Einhalt gebieten kann, gefährdet,
wenn es zu keiner Regierungsbildung käme und wieder
Neuwahlen notwendig wären. Damit könnte auch dort
Instabilität entstehen.
Meine Damen und Herren, wir Europäer können uns
angesichts der Bedrohung durch den IS - wie bei der
Grundsatzfrage hinsichtlich der Flüchtlinge - nicht in
eine Zuschauerrolle begeben. Wir müssen bereit sein,
einzugreifen und das zu tun, was erforderlich ist. Wir
dürfen uns dabei nicht auf die Vereinigten Staaten verlassen. Wir müssen vielmehr eigene Strategien zur Gewährleistung von Stabilität entwickeln, mit denen wir
Krisen vor unserer Haustür verhindern, fragile Staaten
stabilisieren und Bürgerkriege bekämpfen können.
Deutschland könnte sich hier bei der Erarbeitung einer
Roadmap für die Region, aber auch bei der Etablierung
multilateraler Sicherheitsstrukturen im arabischen Umfeld der EU einbringen.
Lassen Sie mich einige Sätze zu Tunesien sagen; denn
das Land - es wurde mehrfach unterstrichen - ist ein
Hoffnungsträger nach dem Arabischen Frühling. Ziel der
Anschläge war es, das Land zu schwächen und auch dadurch zu destabilisieren, dass die Reisenden ausbleiben.
Deshalb ist es wichtig, Tunesien den Rücken zu stärken.
Es war genau die richtige Antwort, dass die Innenminister der betroffenen Staaten an den Strand von Sousse gekommen sind, Arm in Arm beieinanderstanden - trauernd, aber auch den Morden trotzend - und zusammen
Stärke gezeigt haben.
Es war auch richtig, dass Bundeskanzlerin Merkel vor
wenigen Wochen den tunesischen Präsidenten als Gast
zum G-7-Gipfel eingeladen hat. Der erfolgreiche Weg
Tunesiens in die Demokratie ist eine Angelegenheit von
uns allen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Tunesien
scheitert. Das war auch die Botschaft dieser Einladung.
Insofern war es völlig richtig, sie auszusprechen.
Natürlich muss man mit den betroffenen Staaten in
Sicherheitsfragen kooperieren. Deutschland unterstützt
ja die Weiterbildung der Sicherheitskräfte in Tunesien.
Wir sollten aber auch im zivilgesellschaftlichen Bereich
zusammenarbeiten, Austausch und Partnerschaften fördern, um das gegenseitige Verständnis zu stärken. Das
gilt nicht nur für Tunesien.
Meine Damen und Herren, der Terrorismus zielt darauf, Ziele psychologisch zu erreichen, die man im direkten Kampf nicht erreichen kann. Ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Terrorismus besteht darin,
diesen Kreislauf zu durchbrechen, rational zu sein und
manchmal vielleicht auch etwas stur zu sein, nach dem
Motto: Jetzt erst recht! - Lassen Sie uns jetzt erst recht
für offene, demokratische Gesellschaften überall auf der
Welt kämpfen!
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Als letzter Redner in der Aktuellen
Stunde hat Marian Wendt von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren Kollegen! „Das nächste große Schlachtfeld ist
Europa“ - so titelte Die Welt vor drei Tagen. Von
Schlachtfeldern haben wir in Europa meiner Meinung
nach mehr als genug. Doch leider ist die Befürchtung,
dass Europa zum Schlachtfeld religiös motivierter Terroristen werden könnte, überhaupt nicht irrational. Die
letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass Menschen,
denen unsere Freiheit nicht gefällt, aktiv sind und ihre
Schandtaten hier ausüben.
Streng genommen ist Europa schon lange mittendrin.
Auch wenn es in Deutschland Gott sei Dank noch keinen
großen Anschlag gab, so ist auch hier der islamistische
Terrorismus präsent. Die Attentäter des 11. September
lebten unter uns in Hamburg, und nur dank der guten polizeilichen und nachrichtendienstlichen Arbeit konnten
terroristische Gruppen in Deutschland rechtzeitig ermittelt werden. Die Bilder des Bonner Rollkoffers und von
der Sauerland-Gruppe sind uns noch allen im Gedächtnis.
Religiöser Extremismus ist für uns in Deutschland ein
relativ neues Phänomen, das unsere pluralistische und
freiheitliche Gesellschaft vor große Herausforderungen
stellt. Das besonders hohe Gewaltpotenzial des islamistischen Extremismus zeigt, wie akut die Bedrohungslage
ist.
In dieser Woche wurde der Verfassungsschutzbericht
2014 veröffentlicht. Danach leben allein in Deutschland
43 000 Personen, die zur islamistischen Szene gezählt
werden. Das sind doppelt so viele Personen wie in der
links- und rechtsextremistischen Szene zusammen. Wir
sehen also: Es gibt ein großes Problem, das wir entschieden bekämpfen müssen.
Aber ich muss auch feststellen: Die Muslime in
Deutschland und auch weltweit leben grundsätzlich
friedlich. In Bezug auf Wertvorstellungen und Lebensart
überwiegen bei Christen und Muslimen die Gemeinsamkeiten. Kürzlich, zu Beginn des Ramadan, gab es unzählige Veranstaltungen zum gemeinsamen Fastenbrechen,
an denen viele Kolleginnen und Kollegen teilnahmen.
Aber auch gemeinsame Weihnachtsfeiern sind in unserem Land üblich geworden.
Jedoch gibt es die wenigen, deren extreme, radikale
und fundamentalistische Lesart des Koran Gewalt und
Menschenrechtsverletzungen verherrlicht und schließlich den Terror hervorbringt. Der Islam wird von Fanatikern instrumentalisiert. Er wird missbraucht, um christliches Leben in Nahost zu vernichten. Die Verfolgung von
Christen im Irak und in Syrien ist ein trauriges Beispiel
dafür. Der Islam wird missbraucht, um Menschen zu
schlachten und um aus Hass zu morden. Hier hört religiöse Toleranz auf. Hier hört die Toleranz unseres
Rechtsstaates auf.
Aus meiner Sicht sind die Vertreter des moderaten
Islam als unsere Partner und Mitmenschen besonders gefordert. Sie finden bei den Islamisten eher Gehör, und sie
haben die kulturelle Kompetenz, ihr Gegenüber besser
zu verstehen. Daher sind sie der beste Partner für die so
wichtige Präventionsarbeit gegen Radikalisierung; darüber haben wir bereits mehrfach gesprochen.
Ich fordere hier und jetzt die Vertreter des moderaten,
freiheitlichen Islam auf, ein klares Bekenntnis zu unserer
freiheitlich demokratischen Grundordnung abzulegen.
Es ist nicht zu viel verlangt, dass diejenigen Muslime,
die fest auf dem Boden der Verfassung stehen, dies als
deutliches Signal nach innen senden:
({0})
in die Umma, in die islamische Ökumene und in die
Moscheegemeinden hinein; denn ihr Signal hat dort, wo
es darauf ankommt, Gewicht.
Die innerislamische Debatte kann sich insbesondere
durch Vorbilder entwickeln, die sich für Humanität ohne
Vorbehalte, für Friedfertigkeit und Toleranz starkmachen. Diese Werte teilen wir. Ohne Muslime, die Fanatikern die Stirn bieten, werden wir dem islamistischen
Terror in unserem Land nicht Herr werden.
Allen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Maßnahmen, die ich für wichtig und richtig halte, zum Trotz:
Es geht nicht um ein „Wir und die“, das Christen und
Muslime trennt, sondern es geht um ein Bündnis von
freiheitsliebenden Menschen, das den Feinden der Freiheit gemeinsam gegenübersteht. Dies sage ich aus wichtigen Abwägungsgründen; denn wir können an der
Schraube polizeilicher und nachrichtendienstlicher Maßnahmen nur bis zu einem gewissen Grad drehen. Wenn
Freiheit und Sicherheit aus dem Gleichgewicht geraten,
dann haben wir ein Problem. Daher brauchen wir einen
Mix aus mehr Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Aber
wenn dies nicht mehr hilft und wir in den Bereich der
polizeilichen Gefahrenabwehr kommen, dann brauchen
wir alle rechtsstaatlichen Polizeimaßnahmen, natürlich
auch die Verkehrsdatenspeicherung, weitere nachrichtendienstliche Maßnahmen und die Wohnraumüberwachung, um der islamistischen Bedrohung Herr zu werden.
Zum Schluss der Debatte möchte ich zusammenfassen: Die aktuelle Lage in Bezug auf den islamistischen
Terror stellt uns vor neue Herausforderungen. Aber ich
denke - und das haben alle Kolleginnen und Kollegen
heute deutlich gemacht -: Gemeinsam stehen wir auch
überparteilich zusammen, um den Terror, der unsere
Freiheit bedroht, zu bekämpfen. Vor diesem Gebäude hat
ein bedeutender Mann, Ernst Reuter, gesagt: Wir wählen
die Freiheit. - Darum muss es uns auch weiterhin gehen.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aktuelle
Stunde.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur
Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes
({0})
Drucksache 18/4897 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Drucksache 18/5324
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5328
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Als erste Rednerin hat für die Bundesregierung die
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks das Wort.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sechs Jahre lang ist das Wohngeld nicht verändert worden. In dieser Zeit - das erleben wir alle - sind die Mieten in vielen Regionen deutlich gestiegen. Ich finde, es
ist höchste Zeit, das Wohngeld zu verbessern. Damit
greifen wir den Menschen, deren Einkommen nicht so
hoch ist, ein Stück weit unter die Arme. Wir sorgen dafür, dass auch für sie das Wohnen bezahlbar bleibt. Dafür
haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen eingesetzt. Ich bin sehr froh, wenn uns dies nun gelingt.
Das Wohngeld ist ein Bauteil unserer Politik, die darauf abzielt, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu
halten. Für diese Politik setzen wir viele Hebel an. Wir
wollen auch, dass in Deutschland wieder mehr gebaut
wird, vor allem auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus.
({0})
Wir wollen, dass wieder mehr Menschen Wohngeld
bekommen und dass die Wohngeldhaushalte mehr
Wohngeld erhalten. Seit der letzten Wohngeldreform im
Jahr 2009 sind die Bruttokaltmieten und die warmen
Nebenkosten deutlich gestiegen, also die Bruttowarmmieten insgesamt angestiegen. Wir wollen die Tabellenwerte an die Einkommens- und Mietenentwicklung anpassen und erhöhen sie um durchschnittlich 39 Prozent.
Davon profitieren alle Wohngeldhaushalte, unabhängig
von ihrem Wohnort und dem Mietenniveau.
Sie alle wissen: In einigen Regionen sind die Mieten
deutlich gestiegen und in anderen nicht. Deshalb passen
wir die Miethöchstbeträge an die regional unterschiedlichen Mietentwicklungen an. Rund 870 000 einkommensschwache Haushalte werden von der Wohngeldreform profitieren. Rund 324 000 Haushalte werden
erstmals oder erneut einen Anspruch auf Wohngeld haben. Darunter werden etwa 90 000 Haushalte sein, die
von der Grundsicherung ins Wohngeld wechseln können.
({1})
Hinter diesen Zahlen stehen Hunderttausende Menschen, die lange auf die Wohngelderhöhung gewartet
haben. Wir haben diese Erhöhung versprochen, und wir
halten gemeinsam Wort.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden viele
weitere Punkte erörtert. Dazu zählen die Klimakomponente, die Heizkostenkomponente und eine Dynamisierung. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen:
Wir wollen, dass sich möglichst viele Haushalte energetisch sanierte Wohnungen leisten können. Einige
haben kritisiert, dass keine eigenständige Heizkostenkomponente enthalten ist. Es ist allerdings so: Ob die
Heizkosten, wie 2009, durch eine Heizkostenkomponente oder, wie im vorliegenden Gesetzentwurf, bei den
Tabellenwerten berücksichtigt werden, hat auf die Höhe
des Wohngeldes in den meisten Fällen keinen Einfluss.
Lassen Sie mich schließlich noch etwas zur Dynamisierung sagen - ich habe mich dazu schon in der Regierungsbefragung im März geäußert -: Eine Dynamisierung des Wohngeldes ist unter sozialen Gesichtspunkten
natürlich wünschenswert. Selbstverständlich kenne ich
aber auch die Position des Bundesfinanzministers.
Das Wohngeld ist ein sozialpolitisches Instrument.
Wir stärken die Position von Menschen mit niedrigem
Einkommen auf dem Wohnungsmarkt. In diesem Zusammenhang ist der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD für mich sehr gut nachvollziehbar und auch wirklich gut. Er sieht vor, das
Wohngeld alle zwei Jahre zu überprüfen, erstmals zum
30. Juni 2017, und damit früher als noch im Gesetzentwurf vorgesehen eine Evaluierung vorzunehmen.
Mein Ziel ist es - ich denke, das werden wir gemeinsam schaffen -, dass die Wohngeldverbesserung am
1. Januar des nächsten Jahres in Kraft tritt. Wir alle wissen, dass viele Menschen dringend darauf angewiesen
sind. Wir sollten sie nicht länger warten lassen, sondern
dieses gute Gesetz gemeinsam verabschieden. Ich bitte
um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Heidrun
Bluhm von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Zahl der Sozialwohnungen in
Deutschland geht immer weiter zurück. Wir haben aus
verschiedenen Studien bereits zur Kenntnis genommen,
dass insgesamt 4 Millionen Sozialwohnungen in
Deutschland fehlen. In Wachstumsregionen und in
Hochschulstädten ist Wohnen für viele Menschen mittlerweile unbezahlbar geworden. Das Lohnniveau kann
mit der Steigerung der Mietpreise nicht mithalten. Das
ist der Alltag vieler Mieterinnen und Mieter bei uns im
Land. Aber das ist auch die Ausgangslage für uns im
Parlament, an der wir die vorgelegte Wohngeldnovelle
messen müssen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns vorgelegt wurde, ist ein dicker Roman. Wir haben ein aufwendiges Verfahren von Referentenentwurf, Regierungsentwurf, erster Lesung im Parlament, Expertenanhörung
und Beratung in den Ausschüssen bis zur zweiten und
dritten Lesung heute hier hinter uns gebracht. Man
könnte vermuten, dass jetzt alles gut wird, vor allem
auch vor dem Hintergrund dessen, was die Ministerin
hier eben vorgetragen hat. Man könnte glauben, das ist
ein großer Wurf. Aber weit gefehlt.
Die Bundesregierung nimmt lediglich zur Kenntnis,
dass eine Wohngeldreform im Allgemeinen begrüßt wird
und diese auch dringend gebraucht wird. In der Anhörung zum Beispiel war schnell klar, dass die Sachverständigen nicht als Claqueure zu uns gekommen sind.
Vielmehr hatten sie ernsthafte Kritik und viele kluge Änderungsvorschläge im Gepäck. Nichts davon, aber auch
gar nichts davon hat die Bundesregierung zur Kenntnis
genommen; wahrscheinlich konnte sie es wegen Herrn
Schäuble nicht in den Gesetzentwurf einarbeiten.
Der vorgelegte Entschließungsantrag der Koalition
zeigt noch einmal die Ignoranz und die Lebensferne, die
an den Tag gelegt werden. Dabei sollte man an dieser
Stelle für die Bürgerinnen und Bürger, die davon betroffen sind, tatsächlich ernsthaft etwas zum Positiven ändern. Dem Anspruch, dass mit dieser Wohngeldreform
die Durchmischung von Wohnquartieren erhalten bleibt
und der Ghettobildung vorgebeugt wird, wird diese Novelle jedenfalls nicht gerecht. Auch den Anspruch der
vollen Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Wohnung
kann diese Novelle aus meiner Sicht in keiner Weise umsetzen.
Frau Hendricks sagte eben: Wir wollen, dass die
Haushalte wieder mehr Wohngeld erhalten. Ja, sie bekommen, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, sicherlich mehr Geld, aber es wird ja nur aufgeholt, was
schon seit sieben Jahren wegen dieser Diskrepanzen
zwischen Lohnentwicklung und Mietentwicklung abgespart worden ist. Das ist aus meiner Sicht Augenwischerei. Diese Augenwischerei wird die Linke ablehnen.
({0})
Der Entschließungsantrag der Grünen geht aus unserer Sicht deutlich über den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen hinaus. In vielen Punkten könnten
wir dem zustimmen. Aber leider, Herr Kühn, bleiben
auch Sie mit Ihrem Entschließungsantrag im bestehenden Denkschema der bisherigen Wohngeldpolitik hängen. Deshalb werden wir uns enthalten.
Das ganze System der Wohngeldleistung hat einen
grundlegenden Konstruktionsfehler: Es schaut nicht
nach vorn, es schaut nicht in die Zukunft, sondern es repariert nachträglich und notdürftig die schlimmsten
Schäden der vergangenen sieben Jahre. Die Überprüfung
des Wohngeldes in bedarfsgerechten Abständen - was
auch immer das sein soll - sichert eben nicht, dass dessen Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, sondern bestenfalls - so wie mit der aktuellen Reform vorgeschlagen -,
dass die bereits eingetretenen Wirkungsverluste lediglich für kurze Zeit wieder ausgeglichen werden.
Das gegenwärtige Wohngeldsystem ist nicht geeignet,
der ständig größer werdenden Lücke zwischen steigenden Wohnkosten und dem niedrigen Einkommen der
wohngeldberechtigten Menschen wirkungsvoll, dauerhaft und vor allem vorbeugend entgegenzuwirken. Wir
brauchen aber ein Wohngeld, das die klaffende Lücke
zwischen realem Einkommen und Mietsteigerungen
wirklich schließt. Genau das schlagen wir mit unserem
Entschließungsantrag vor.
({1})
Die Ausgangsprämissen unserer Vorschläge sind:
Erstens. Menschen mit Anspruch auf Wohngeld sollen unter Berücksichtigung angemessener Wohnungsgröße und -ausstattung nicht mehr als 30 Prozent ihres
Haushaltsnettoeinkommens für Wohnkosten ausgeben
müssen. Das wäre eine wirkliche Dynamisierung.
({2})
Die Linke will, dass Haushalte nach Abzug der Miete
am Anfang des Monats auch noch Geld haben, um mit
den Kindern in den Zoo oder ins Kino gehen oder auch
einmal mit der Oma einen Kaffee trinken zu können.
Zweitens. Der Wohngeldanspruch muss sich aus der
tatsächlich zu zahlenden Bruttowarmmiete ableiten. Die
Linke will, dass alles, was im Zusammenhang mit dem
Wohnen bezahlt werden muss, auch Grundlage der
Wohngeldberechnung wird. Denn steigende Kosten für
Energie und öffentliche Abgaben führen auch zu spürbaren Mehrkosten für Mieterinnen und Mieter, und das
Jahr für Jahr.
Drittens. Der Höchstbetrag des Wohngeldes muss
sich aus der ortsüblichen Vergleichsmiete bzw. dem
Mietspiegel der jeweiligen Gemeinde ableiten. Die
Linke will, dass alle Mieterinnen und Mieter wirkliche
Wahlfreiheit bekommen, wo sie wohnen, in allen Stadtteilen und bei allen Anbietern von Wohnraum. Nur so
verhindern wir wirklich Segregation und Ghettoisierung.
({3})
Viertens. Die Einkommensgrenze für den Wohngeldanspruch und die zu berücksichtigende Wohnungsgröße
sollen sich an den Bemessungsgrenzen für Wohngeldberechtigungsscheine nach dem Wohnraumförderungsgesetz orientieren. Die Linke will, dass die regionalen Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt in der gesamten
Republik tatsächlich berücksichtigt werden. Nur so kann
sichergestellt werden, dass jederzeit die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um das Wohngeld künftig bedarfsgerecht, dauerhaft und auskömmlich auszustatten.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Die Linke will also eine
wirkliche Reform des Wohngeldes, eine Reform für alle
Bürgerinnen und Bürger, um das Grundrecht auf angemessene Wohnung überall zu gewährleisten. Um das zu
untersetzen,
Nein.
- werden wir demnächst mit Ihnen über das Thema
Gemeinnützigkeit diskutieren.
Danke schön.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Zeit
ein bisschen im Auge zu behalten. Wir haben noch eine
sehr, sehr lange Tagesordnung und viele namentliche
Abstimmungen. Deshalb bitte ich Sie wirklich, die Zeit
im Auge zu behalten.
({0})
Als nächste Rednerin hat Yvonne Magwas von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte schließen
wir die Novelle zum Wohngeldgesetz erfolgreich ab. Damit setzen wir ein weiteres Vorhaben des Koalitionsvertrages um. Das Leistungsniveau des Wohngeldes wird
angehoben. Einkommensschwache Haushalte werden
damit auch angesichts der zunehmenden regionalen Engpässe auf dem Wohnungsmarkt sowie der steigenden
Mieten und Heizkosten schnell, wirkungsvoll und treffsicher entlastet.
({0})
Insbesondere Bürger mit niedrigem Einkommen und
niedrigen Renten sowie kurzfristig Arbeitslose profitieren von unserer Reform. Damit schaffen wir auch eine
schnelle Verbesserung für diejenigen, die fortan wieder
Wohngeld beziehen können oder einen höheren Wohngeldanspruch haben.
Ich denke, es ist uns gelungen, den ordentlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung in den parlamentarischen Beratungen der letzten Wochen abzurunden. Sowohl die Anregungen des Bundesrates als auch die
Erkenntnisse aus der Anhörung der Experten konnten
aufgegriffen werden. Zusätzlich haben wir die Baustellen für die Zukunft in unserem Entschließungsantrag
festgehalten. Damit nehmen wir auch die weitere Entwicklung im Wohngeldbereich in unser Blickfeld. Unsere wohnungspolitische Perspektive ist aber insgesamt
weiter zu fassen.
Mit dem vor einem Jahr gegründeten Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen soll ein ganzes Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Lage auf dem Wohnungsmarkt erarbeitet werden. Nach nun zwölf Monaten
warten wir mit Spannung auf den angekündigten Zwischenbericht. Sie kennen mein Credo: Bauen, bauen,
bauen! Der Blick auf die Zahlen bestätigt es nämlich täglich: Wir sind noch weit weg von den Wohnungsbauzahlen, die für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt erforderlich sind. Die konkreten Vorschläge des Bündnisses
müssen geeignet sein, genau diese Lücke zu schließen.
Wer eine neue Wohnung braucht, sollte sie auch in einer
vertretbaren Zeit finden können.
({1})
Ein kleiner Vorgeschmack auf das Maßnahmenpaket
ist hoffentlich das neue Förderprogramm für nachhaltiges Wohnen für Studierende und Auszubildende. Architektonische, bauliche und technische Innovationen
sollen helfen, die Lage auf diesem Segment des Wohnungsmarktes zu verbessern. Gerade auch mit Blick auf
den Zuzug von Studierenden und Auszubildenden ist
dies dringend geboten. Mit insgesamt 120 Millionen
Euro können viele Modellvorhaben gefördert werden,
und das Problem kann mittelfristig gelöst werden.
Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst:
Wir brauchen insgesamt mehr Investitionen in den Wohnungsmarkt. Auch wollen wir uns nichts vormachen:
Die öffentliche Hand oder die öffentlichen Unternehmen
allein sind damit hoffnungslos überfordert. Wir brauchen
also auch wirksame Anreize für zusätzliche private Investitionen in den Wohnungsmarkt.
({2})
Vor diesem Hintergrund warne ich vor der gegenwärtig vielerorts aufkommenden Stimmungsmache gegen
private Vermieter oder die Wohnungswirtschaft im Allgemeinen. Sicher, es gibt vereinzelt schwarze Schafe,
({3})
aber diese kritikwürdigen Einzelfälle rechtfertigen noch
lange keine Verallgemeinerung und schon gar keinen gesetzgeberischen Aktionismus.
({4})
Nun zurück zum Wohngeld. Das Wohngeld ist eines
der wichtigsten Werkzeuge der sozialen Wohnungspolitik in Deutschland. Es hat sich bewährt und wird von den
Bürgern als echte Hilfe geschätzt. Neben der Mietpreisbremse und dem angesprochenen Bündnis ist die Erhöhung des Wohngeldes ein weiterer wichtiger Schritt der
Koalition, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu machen.
Bereits heute beziehen knapp 700 000 Haushalte einen Wohngeldzuschuss. Der Zuschuss entlastet sie bei
der Miete oder den Aufwendungen für Wohneigentum.
Das Wohngeld sorgt dafür, dass die bezugsberechtigten
Haushalte trotz eines geringen Einkommens ihre Kostenbelastung durch die Miete deutlich senken können. Es
hilft, steigende Mieten auszugleichen, ohne die gewohnte Umgebung durch Wegzug in günstigere Quartiere verlassen zu müssen. Damit schützen wir auch die
Quartiere vor Gentrifizierung.
({5})
Das Wohngeld ist effizient und treffsicher. Es ist auf
den individuellen Bedarf eines Haushaltes ausgerichtet.
Auch regionale Faktoren wie das unterschiedliche Mietniveau werden berücksichtigt. Wegen der steigenden
Mieten und Einkommen muss das Wohngeld in Abständen nachjustiert werden. Seit der Einführung des Gesetzes wurde es aus diesem Grund in der Vergangenheit
mehrfach novelliert, zuletzt im Jahr 2009. Mit der diesjährigen Erhöhung werden künftig rund 870 000 Haushalte zusätzlich Wohngeldleistungen erhalten können.
90 000 Haushalte werden durch die Wohngeldreform
künftig, statt Leistungen aus der Grundsicherung zu beziehen, wieder in den Wohngeldbezug wechseln.
Mit der Reform werden auch die Kommunen entlastet. Für sie macht es nämlich einen großen Unterschied,
ob jemand Wohngeld oder Grundsicherung bezieht. Die
Grundsicherung muss die Kommune stemmen, während
das Wohngeld aus den Mitteln von Bund und Ländern
finanziert wird. Wenn 90 000 Haushalte wieder Wohngeld statt Grundsicherung beantragen können, dann entlasten wir damit auch die Haushalte der Kommunen.
({6})
Das Wohngeld hat eine bessere strukturelle Anreizwirkung als die Grundsicherung. Höheres Einkommen
bei Wohngeldbezug führt automatisch zu einem höheren
Nettoeinkommen für den Haushalt. Wer ein zusätzliches
Einkommen von 10 Euro bezieht, der verliert im Gegenzug nur circa 3 Euro Wohngeld. Damit setzt das Wohngeld bessere Anreize zur Einkommenssteigerung als das
Grundsicherungssystem. Das, meine Damen und Herren,
ist ein weiterer Grund, warum die uns heute vorliegende
Novelle so wichtig ist.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit hat eine Anhörung von Sachverständigen zum Gesetzentwurf durchgeführt. Dort haben alle
Sachverständigen unisono die Reform des Wohngeldgesetzes begrüßt. Natürlich haben wir mit den Experten
auch darüber beraten, wie wir das Wohngeld auch in Zukunft leistungsfähig halten können. Wir werden gesetzlich verankern, dass das Wohngeld alle zwei Jahre überprüft wird.
({7})
Das bleibt kein interner Prozess, meine Damen und Herren; vielmehr muss die Bundesregierung die Prüfergebnisse dem Deutschen Bundestag und damit der Öffentlichkeit vorlegen.
({8})
Die Prüfung betrifft die Höchstbeträge für Mieten, die
Mietenstufen und die Höhe des Wohngeldes. Dabei ist
der bundesdurchschnittlichen und der regionalen Entwicklung der Wohnkosten sowie der Veränderung der
Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten
Rechnung zu tragen. Diese aufgezählten Bedarfsfaktoren verändern sich ständig und sind regional unterschiedlich. Wir wollen das Wohngeld in seiner Leistungsfähigkeit und Effizienz erhalten und einer jährlich
abnehmenden Leistungswirkung sinnvoll begegnen.
Ohne Anpassung würden wie bislang zahlreiche Haushalte durch Einkommenssteigerungen aus dem Wohngeldbezug herauswachsen. Andere Haushalte wechseln
in die Grundsicherung oder Hartz IV. Der damit verbundene bürokratische Aufwand - sowohl für die Kommunen als auch für die Betroffenen - ist sinnlos und hilft
niemandem.
({9})
Meine Damen und Herren, wir möchten eine präzise
Überprüfung und eine möglichst umfassende Information über die Lage am Wohnungsmarkt. Die Berechnung
des Wohngeldes bezieht, wie gesagt, viele unterschiedliche Einflüsse mit ein, zum Beispiel die Mietenhöhe, die
Einkommensentwicklung und die regionalen Faktoren.
Das sich daraus ergebende Bild fällt für Deutschland
sehr heterogen aus. Für die Berechnung brauchen wir
daher dringend einen fundierten Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung. Dafür wollen wir auch die
Bundesländer mehr in die Verantwortung nehmen. Das
macht Sinn; denn die Länder sind seit 2007 für Wohnungsbaumaßnahmen wie den sozialen Wohnungsbau
oder, ganz neu, für die Ausweisung von Gebieten, in denen die Mietpreisbremse gilt, zuständig. Zentraler Bestandteil wird dabei sicherlich der freiwillige Bericht der
Länder gegenüber dem Bund sein. In diesem Bericht
wollen die Länder den Bund regelmäßig über die Wohnraumförderung und den Einsatz der Entflechtungsmittel
zur Finanzierung von Maßnahmen des Wohnungsbaus
informieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe unseren
Entschließungsantrag bereits erwähnt. Wir wollen ergebnisoffen prüfen, ob es einen cleveren, einen intelligenten
Mechanismus gibt, der das leidliche immer wiederkehrende Herauswachsen bzw. Herausfallen aus dem Wohngeldbezug und Hineinfallen in die Grundsicherung
stoppt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir den Drehtüreffekt gut in den Griff bekommen können.
({10})
Abschließend möchte ich allen Beteiligten herzlich
für die wirklich sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Wochen danken.
({11})
Sowohl die Führungs- und Fachebene des BMUB als
auch die Länderministerien als auch die Mitglieder der
Koalitionsfraktionen haben gute Arbeit geleistet. Dem
Gesetzentwurf kann damit mit gutem Gewissen zugestimmt werden.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Christian
Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland ist nicht alles gut, Frau Magwas: Die Mieten explodieren weiterhin, Häuser werden luxussaniert, bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Städten knapp und längst zur
Ware und zum Spekulationsobjekt geworden.
({0})
Durch Gentrifizierung werden ganze Bevölkerungsschichten an den Rand der Städte gedrückt. Ich finde, damit muss endlich Schluss sein in Deutschland!
({1})
Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, und jeder hat ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum. Hier
wurde bereits eine Gesamtstrategie der Bundesregierung
vorgestellt. Zu so einer Gesamtstrategie, die Frau
Hendricks erwähnt hat, gehört aus meiner Sicht ein sozial-ökologisches Mietrecht. Ich finde, davon sind wir
noch weit entfernt. Wir warten auf die Modernisierungsumlage, die Sie ja auch reformieren wollen.
Einen gemeinwohlorientierten sozialen Wohnungsbau, der sich wirklich an gemeinnützigen Kriterien
orientiert, kann ich in Deutschland in vielen Bereichen
nicht erkennen, eher einen hochpreisigen Eigentumswohnungsbau. Ich kann auch nicht erkennen, dass Sie
mit dieser Reform das Wohngeld wirklich nach vorne
bringen. Ich finde, mit dieser Wohngeldreform, die Sie
uns heute hier vorlegen, haben Sie eine große Chance
vertan.
({2})
Sie hätten hier zeigen können, wie Sie Klimaschutz
und Wohnen und wie Sie soziale Gerechtigkeit und
Wohnen zusammenbringen wollen. Diese Novelle trägt
aber leider nicht die Handschrift derjenigen, die heute
hier gesprochen haben. Frau Hendricks hat das ja auch
freimütig zugegeben. Sie trägt halt die Handschrift von
Wolfgang Schäuble und den Haushältern der Großen
Koalition mit ihren Rotstiften, die zum wiederholten
Male - wie auch bei der Liegenschaftspolitik - beim
Wohngeld eine vernünftige und gute Wohnungspolitik
verhindert haben.
Es gab ja die gemeinsame Anhörung der Sachverständigen. Frau Magwas, alle Sachverständigen haben natürlich gesagt, es sei gut, dass jetzt endlich einmal etwas
passiert.
({3})
Sie haben aber auch gesagt, dass der Gesetzentwurf zum
Wohngeld, den Sie vorlegen, sehr große Fehler hat. Das
haben sowohl der Deutsche Städtetag, der Deutsche
Caritasverband, der Deutsche Mieterbund, die Wohnungswirtschaft als auch das Institut der deutschen Wirtschaft gesagt. Es gibt nämlich drei grundlegende Elemente, die in Ihrer Wohngeldreform fehlen:
Erstens, die Dynamisierung. Sie stellen den Drehtüreffekt nicht ab. Sie haben selbst noch einmal beschrieben, welche Probleme sich daraus aus sozialpolitischer
Perspektive für die Kommunen ergeben, haben es aber
nicht geschafft, in dieser Novelle eine Antwort darauf zu
geben. Das ist eine vertane Chance.
({4})
Frau Magwas, Sie haben nun gesagt, diese Anregungen seien aufgenommen worden und es solle in bedarfsgerechten Abständen überprüft werden. Ich sage Ihnen:
Nach der Überprüfung in zwei Jahren wird man erst einmal sagen, dass alles in Ordnung ist, weil das Wohngeld
Christian Kühn ({5})
gestiegen ist. In vier Jahren wird man wieder überprüfen
und feststellen, dass das Wohngeld sinkt und dass man
ein Problem mit dem Drehtüreffekt hat. 2021 wird es
dann die nächste Novelle zum Wohngeld geben. Das ist
viel zu spät. Bis 2021 können die Menschen in unseren
Städten, die auf Wohngeld angewiesen sind, eben nicht
warten.
({6})
Zweitens, die Heizkostenkomponente. In Ihrer Begründung zum Gesetzentwurf schreiben Sie, dass die
Preise für Strom, Gas und Brennstoffe von 2009 bis
2014 um 17 Prozent gestiegen sind, und sie werden auch
in den nächsten Jahren steigen. Durch Ihre Novelle werden aber auch diese Heizkosten nicht dynamisiert. Dadurch werden viele Menschen kein Wohngeld mehr
erhalten. Sie tun also auch nichts für den Heizkostenzuschuss, den man auch einmal ohne eine Wohngeldnovelle anpassen könnte. Es ist ein Fehler, dass der
Heizkostenzuschuss in dieser Wohngeldnovelle nicht
enthalten ist.
({7})
Drittens. Ich finde, der größte Fehler, den Sie machen,
ist die fehlende Klimakomponente. Hier liegt ein Instrument dafür vor, den Klimaschutz und das Wohnen miteinander zu verbinden. Mit diesem Instrument könnte man
es sozial schwachen Mieterinnen und Mietern in
Deutschland ermöglichen, in gut sanierten Wohnungen
zu leben. Ich finde, es ist eine Farce, dass Sie dieses Instrument nicht nutzen, in Ihren Entschließungsantrag
jetzt aber wieder schreiben, dass Sie das überprüfen wollen.
Sie haben in den NAPE hineingeschrieben, dass Sie
es überprüfen wollen, Sie schreiben jetzt hier hinein,
dass Sie es überprüfen wollen, und Sie werden irgendwann bestimmt noch einmal beschließen, dass Sie es
überprüfen wollen. Ich will aber nicht, dass Sie es überprüfen, sondern dass Sie es einführen. Ich finde, hier
vertun Sie eine große Chance für den Klimaschutz.
({8})
Ihr Entschließungsantrag enthält drei Prüfaufträge.
Ich finde, das ist an symbolischer Symbolpolitik fast
nicht mehr zu überbieten. Die Menschen in Deutschland
erwarten von Ihnen, dass Sie eine zukunftsfeste Wohngeldreform durchführen. Das tun Sie hiermit nicht. Ich
finde, Sie haben eine Chance vertan. Das ist nicht nur für
die Mieterinnen und Mieter in Deutschland, sondern
auch für all jene schade, die darauf hoffen, dass wir auf
den Wohnungsmärkten eine Wende hinbekommen. Das
tun Sie mit dieser Politik, die Sie uns hier gerade vorgelegt und vorgestellt haben, leider nicht.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat SteffenClaudio Lemme von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Debatte über die Wohngeldreform sprechen wir viel über Zahlen. 870 000 ist beispielsweise die
Anzahl der Haushalte, die von der längst überfälligen
Anpassung des Wohngeldes an die Mieten- und Einkommensentwicklung profitieren werden. 27 000 davon sind
Haushalte von Alleinerziehenden, 320 000 von ihnen erhalten wieder oder zum ersten Mal Wohngeld, und
90 000 werden nicht mehr länger auf die Sozialhilfe angewiesen sein. Als Haushaltspolitiker füge ich noch
zwei letzte Zahlen an: 730 Millionen Euro stellt der
Bund im kommenden Jahr für das Wohngeld bereit, ein
Plus von 100 Millionen Euro gegenüber dem Finanzplan.
({0})
Jetzt möchte ich keine Zahlen mehr nennen; denn eigentlich müsste die Debatte unter der Überschrift „Arm
trotz Arbeit“ stehen. Schließlich reden wir vor allem
über berufstätige Bürgerinnen und Bürger, die trotz Arbeit zu wenig verdienen, um sich eine vernünftige Wohnung leisten zu können, oder die aus ihrem gewohnten
Umfeld in Randgebiete verdrängt werden. Wir reden
über ältere Menschen, die ein langes, hartes Arbeitsleben
hinter sich gebracht haben und mit einer Rente auskommen müssen, die ihnen nach Abzug der Miete kaum
noch etwas zum Leben übrig lässt. Und wir reden über
Familien, deren Einkommen nicht ausreicht, um ihr bescheidenes Eigenheim weiter zu finanzieren. Bei der
Wohngeldreform, die wir Sozialdemokraten jetzt nach
sieben Jahren Durststrecke auf den Weg bringen, geht es
um Unterstützung für ein menschenwürdiges Leben.
({1})
Diese Wohngeldreform kann nur ein erster Schritt
sein. Selbstverständlich dürfen wir bis zur nächsten Reform keine weiteren sieben Jahre vergehen lassen; ein
viel zu langer Zeitraum, in dem zahlreiche Menschen die
Unterstützung wieder verlieren. Deshalb sollen die Mietenstufen und die Wohngeldhöhe künftig nicht mehr alle
vier, sondern alle zwei Jahre überprüft werden. Außerdem haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht,
mit dem Bund und Länder zur Prüfung einer Klimakomponente im Wohngeld aufgefordert werden.
({2})
Das Leben in energetisch saniertem Wohnraum darf
aufgrund der höheren Kaltmieten nicht nur Besserverdienenden vorbehalten sein.
({3})
Mit der Berücksichtigung einer Klimakomponente beim
Wohngeld könnten wir Investitionen in die Energieeffi11120
zienz befördern, unseren nationalen CO2-Minderungszielen näherkommen und die soziale Durchmischung in
den Wohnquartieren stärken.
({4})
Wir müssen dem Effekt entgegentreten, dass zahlreiche
Geringverdiener schon nach kürzester Zeit aus dem Bezug von Wohngeld in die Grundsicherung zurückfallen.
Deshalb wollen wir, dass Modelle für eine automatische
Anpassung des Wohngeldes untersucht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung des
Wohngeldes ist wie der gesetzliche Mindestlohn oder die
Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende notwendig, um Armut trotz
Arbeit zu bekämpfen. Ich hoffe, die Bürgerinnen und
Bürger wissen, welche Fraktion den Vorschlag zur Entlastung in den Deutschen Bundestag eingebracht hat.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Anja
Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist erneut ein guter Tag für Mieterinnen
und Mieter in Deutschland. Wir beschließen heute wichtige Leistungsverbesserungen beim Wohngeld. Etwa
870 000 Haushalte werden davon profitieren.
Die Koalition ist sich der Herausforderung durch die
ansteigenden Mieten, vor allen Dingen in den Ballungsgebieten, durchaus bewusst. Deswegen haben wir im
Koalitionsvertrag den wohnungspolitischen Dreiklang
beschlossen: Investitionstätigkeit stärken - das ist ganz
wichtig -, sozialen Wohnungsbau wiederbeleben und
dies durch Änderungen im Mietrecht politisch flankieren.
({0})
Die Wohngeldreform leistet einen wichtigen Beitrag
dazu, dass Wohnen bezahlbar bleibt. Das Wohngeld
wirkt zielsicher und orientiert sich am individuellen Bedarf der Haushalte sowie den regional unterschiedlichen
Mietmärkten. Das Wohngeld ist eine vorverlagerte Sozialleistung und ein wichtiger Baustein, damit sich einkommensschwache Familien bezahlbares Wohnen leisten können und in ihren angestammten Wohnvierteln
wohnen bleiben können.
Aber das Wohngeld ist wie die Mietpreisbremse nur
ein Bestandteil einer Gesamtstrategie. Entscheidend ist,
dass es ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt. Daran
fehlt es teilweise in einigen Ländern Deutschlands.
({1})
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder
die Frage der sozialen Wohnraumförderung aufgeworfen. Diese liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die
Länder werden der Verantwortung aber höchst unterschiedlich gerecht. Bayern zum Beispiel nutzt die Kompensationsmittel vollumfänglich für soziale Wohnraumförderung. In anderen Ländern sieht es jedoch anders
aus.
Unser Wunsch ist, dass alle Länder ihrer Verantwortung gerecht werden.
({2})
Wir werden in die regelmäßige Evaluation des Wohngeldes durch den Wohn- und Mietenbericht auch die Berichte der Länder stärker einbeziehen, gerade weil wir
regional sehr unterschiedliche Wohnungsmärkte haben.
Dafür sind die Berichte über die Wohnraumförderung
und auch die Daten über die Gebiete, in denen die Länder im Zuge der Mietpreisbremse einen angespannten
Wohnungsmarkt ausgewiesen haben, sehr wichtig. Wir
brauchen diese Daten und Berichte der Länder auch, um
bewerten zu können, ob die Gelder des Bundes tatsächlich für die Wohnraumförderung eingesetzt werden. Das
werden wir einfordern.
({3})
Zudem werden wir das Wohngeld künftig alle zwei
Jahre überprüfen, um zeitnah auch auf Veränderungen
reagieren zu können. Auch dafür werden wir die Daten,
die in ganz Deutschland evaluiert werden, heranziehen.
Neben dem Gesetzentwurf gibt es einen Entschließungsantrag, der auch zur Weiterentwicklung des Wohngeldes beitragen soll. Ein Thema, das mich als Klimapolitikerin dabei besonders interessiert, ist sehr wichtig.
Zurzeit richtet sich die Berechnung des Wohngeldes
nach der Bruttokaltmiete. Dabei gibt es die Problematik,
dass die Kaltmiete nach der energetischen Sanierung oft
sehr hoch ist, sodass einkommensschwache Haushalte,
die Wohngeld beziehen, bei der Anmietung von energetisch sanierten Wohnungen benachteiligt sind. Deswegen
müssen wir darauf reagieren.
Ja, Herr Kühn, es ist im Klimaaktionsprogramm 2020
enthalten, dass wir das Wohngeld um die Klimakomponente erweitern, und wir wollen dies auch. Aber wir wollen es richtig machen. Dafür brauchen wir den richtigen
Weg.
Wir müssen Experten und auch die Länder miteinbeziehen und das Ganze mit allen Beteiligten ausverhandeln. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung
finden. Denn sie ist wichtig, um auch einen Beitrag zur
Energieeffizienz leisten zu können. Wir müssen die Einsparpotenziale im Gebäudebereich nutzen, um unsere
Klimaziele zu erreichen.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag haben wir
unserer Meinung nach ein gutes Paket geschnürt. Die gesamte Koalition - sprich: Union und SPD zusammen hat dieses Paket auf den Weg gebracht.
({5})
Ich glaube, dass wir damit alle gemeinsam für unsere
Haushalte gute Leistungsverbesserungen in dem Bereich, in dem sie notwendig sind, hinbekommen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
es schon gehört: Sie sind eine großzügige Präsidentin,
was die Redezeit angeht. Ich werde mich aber beeilen,
damit wir rechtzeitig fertig werden.
Frau Weisgerber, wir bzw. NRW und Bayern werden
noch richtig gute Freunde. Wir geben beide die Fördermittel für die soziale Wohnraumförderung zweckgebunden aus.
Wir haben ein großes Ziel: Wir brauchen mehr sozialen Wohnraum und mehr soziale Wohnraumförderung.
Deswegen müssen wir mit Blick auf die wachsenden
Anforderungen in den Regionen dafür sorgen, dass wir
noch mehr Geld, aber zweckgebunden, in die soziale
Wohnraumförderung einspeisen.
({0})
Ich hoffe, dass Sie uns dabei unterstützen werden und
wir einen gemeinsamen Weg gehen.
({1})
Frau Bluhm, ich bin von Ihren Reden sonst immer begeistert. Aber heute haben Sie gesagt, wir hätten das,
was in finanzieller Hinsicht bisher nicht erfolgt ist, nicht
einmal aufgeholt; die Menschen seien aus dem Wohngeld herausgefallen; es sei kein großer Wurf. Ich bin
froh, dass so viele Menschen - fast 900 000 - wieder davon profitieren. 300 000 sind neu hinzugekommen. Das
ist ein großer Gewinn für uns und vor allen Dingen für
die Menschen.
Wir kennen die Zahlen genau. Wie der Kollege
Steffen-Claudio Lemme gerade geschildert hat, gehen
9 Prozent der Menschen in Hartz-IV-Haushalten arbeiten. Diese können zwar ihren Lebensunterhalt finanzieren, nicht aber das Wohnen. Das müssen wir ändern; da
haben Sie recht. Deswegen haben wir einen sehr intelligenten Entschließungsantrag auf den Weg gebracht. Ich
bin sehr froh, dass unser Haushälter gesprochen hat. Wir
sind sehr sicher, dass wir in zwei Jahren - wir haben einen entsprechenden Prüfauftrag auf den Weg gebracht eine Dynamisierung vornehmen und ein Klimawohngeld
einführen können. Ich bin sicher, dass wir auf einem sehr
guten Weg sind, insbesondere mit der Ministerin und
dem Bündnis für das Wohnen.
({2})
Herr Kühn, viele Dinge brauchen vielleicht eine längere Beratungszeit. Wir haben das Bündnis nicht begründet, weil wir schon alles wussten. Vielmehr wollen
wir alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt und insbesondere die Fachleute einbinden und punktgenaue und bedarfsgerechte Lösungen finden. Ich bin der Ministerin
sehr dankbar, dass sie für September die ersten Ergebnisse angekündigt hat. Ich hoffe, dass wir daraus gute
Entscheidungen ableiten werden.
({3})
Ich bin der Ministerin auch sehr dankbar, dass sie das
Wohngeld in seiner sozialen Funktion stärkt. Wir stärken
das Wohngeld als vorgelagertes Sicherungssystem. Vor
uns liegen aber noch viele Aufgaben. Das Wohngeld allein kann nicht die sozialpolitischen Probleme lösen, wie
zu geringe Einkommen und zu geringe Renten, aber es
kann ein Instrument unter vielen sein.
Ich will noch zwei Sachverhalte ansprechen, die vielleicht in den nächsten Monaten wichtig werden. Wir
müssen die Modernisierungsumlage reformieren. Ich
hoffe, dass Heiko Maas im Dezember einen guten Gesetzentwurf vorlegen wird. Ein weiteres großes Thema
ist - dann höre ich auf, damit ich einigermaßen in der
Zeit bin - die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.
Wir sind als Bund in der Vorbildfunktion. Ich hoffe, dass
wir Lösungen finden werden, insbesondere in den Ballungsregionen.
Herzlichen Dank. Glück auf!
({4})
Vielen Dank, auch dafür, dass wir noch gut in der Zeit
liegen. - Damit kein Missverständnis bei den Kollegen
entsteht: Die Präsidentin ist großzügig, wenn wir keinen
gedrängten Zeitplan haben. Heute haben wir aber einen
gedrängten Zeitplan. Deshalb kann und werde ich heute
nicht so großzügig sein. Ich bitte die Kollegen, selber die
Zeit im Auge zu behalten; denn unsere Tagesordnung ist
sehr lang.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des
Wohnraumförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5324,
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4897 ({0}) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stim-
men der Koalition bei Enthaltung der Opposition ange-
nommen worden.
Ich komme zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Niemand.
Wer enthält sich? - Die Opposition. Damit ist der Ge-
setzentwurf in der dritten Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Zuerst stimmen wir über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/5400 ab. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden. Es gab keine Enthaltung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5401.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser
Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei
Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt
worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5402. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition bei Zustimmung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt worden.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Ta-
gesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg
({2}), Christina Schwarzer, Ursula
Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Aufarbeitung von sexuellem Kindesmiss-
brauch sicherstellen
Drucksachen 18/3833, 18/4988
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller ({3}), Sigrid Hupach, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs
umfassend sicherstellen
Drucksache 18/5106
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erster Rednerin Frau Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion das
Wort.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste, ganz besonders lieber Herr
Rörig! Liebe Gäste vom Betroffenenrat! Liebes Team
von Herrn Rörig!
({0})
Heute ist es endlich so weit. Wir beschließen die Einrichtung der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Wir alle waren entsetzt,
als vor fünf Jahren die Fälle endlich öffentlich wahrgenommen wurden. In Schulen, in Heimen, in Kirchen und
leider in viel mehr Einrichtungen wurden Kinder und Jugendliche über viele Jahre hinweg Opfer sexueller Gewalt. Sie wurden damit alleine gelassen, keiner hat ihnen
zugehört, und keiner hat geholfen. Der Brief, in dem sich
der Leiter einer dieser Einrichtungen bei den Betroffenen entschuldigte, löste einen Sturm der Entrüstung aus.
Dieser Sturm wäre viel früher nötig gewesen.
({1})
Es meldeten sich immer mehr Betroffene. Sie alle hätten viel früher ernst genommen werden müssen. Ihnen
hätte viel früher geholfen werden müssen.
({2})
Heute arbeitet der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Herr Rörig. Er und sein
Team machen einen bewundernswerten Job. Danke dafür.
({3})
Dass diese Arbeit gemacht werden kann, ist auch ein
Bekenntnis der Bundesregierung und unseres Hauses.
Wir stellen uns dem Thema. Wir wollen es wissen. Wir
wollen, dass es nie wieder möglich ist, dass Kindern und
Jugendlichen solcher Schaden angetan wird. Wir wollen
und werden die Ergebnisse des Runden Tisches umsetzen. So haben wir im letzten Jahr, wie vom Runden
Tisch gefordert, das Strafrecht geändert und verschärft.
Vor einigen Monaten hat sich der Betroffenenrat konstituiert und seine Arbeit aufgenommen.
Jetzt fehlt noch die Aufarbeitungskommission. Betroffene werden dort berichten, was geschah, ihr Leid
wird anerkannt und gesehen. Wir werden wissen, wie es
dazu kommen konnte, welche Strukturen und welche
Bedingungen es möglich gemacht haben, dass Kindern
und Jugendlichen jahrelang keine Hilfe geleistet wurde.
Dann wird es auch besser gelingen, die Kinder zu schützen, die jetzt, heute und morgen bei uns leben.
({4})
Eines ist mir auch noch wichtig: Die Empörung richtete sich auf einige Schulen und einige Institutionen.
Sexuelle Gewalt an Kindern findet aber an sehr vielen
Stellen statt. So wird die Kommission alle Bereiche in
den Blick nehmen, auch sexuelle Gewalt, die Kindern in
Einrichtungen der Behindertenhilfe angetan wird, auch
sexuelle Gewalt im privaten Bereich.
Wenn wir den Beschluss heute so fällen, ist aber unsere Arbeit bei weitem noch nicht getan. Die Bundesregierung, so besagt es der Antrag, soll unterstützen. Das
muss aber auch der Bundestag tun. Was heißt das
konkret? Zum einen braucht es zügig Klarheit über die
Finanzen und Ressourcen, die zur Verfügung stehen
werden. Wir reden von 3 Millionen Euro im Jahr. Es
braucht das klare Bekenntnis, spätestens im Herbst, dass
das Geld zur Verfügung steht. Danach kann die Kommission gefunden, benannt und eingesetzt werden.
In Ihrem Antrag, liebe Grüne, liebe Linke, sprechen
Sie davon, dass das Geld, das dafür nötig ist, nicht nur
aus dem Etat des Familienministeriums kommen soll. In
dem Antragstext fordern Sie die Aufstockung des Etats
des Familienministeriums um Mittel in ebendieser Höhe.
Das ist etwas verwirrend formuliert. Ich denke, ich weiß,
wie Sie das meinen. Meine Forderung wäre trotzdem
eine andere: dass die Haushalte aller Ministerien, die mit
diesem Thema in Berührung stehen, mitbezahlen und die
entsprechenden Haushaltstitel in der nötigen Höhe veranschlagen.
({5})
Denn damit bekennen auch sie sich zu ihrem Teil der
Aufarbeitung und sind dabei, wenn es um das Mitmachen und das Umsetzen geht. Das Ganze ist nämlich
weiter eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Folglich
sollten alle Ministerien an ihrer Erfüllung mit Geld, mit
Ressourcen, mit Know-how, mit inhaltlicher Expertise
und natürlich durch volle Kooperation mitwirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit muss
schnell losgehen können; denn sie ist bis 2019 begrenzt,
dem Ende der Amtszeit des jetzigen Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs.
({6})
Der Antrag der Linken und der Grünen fordert, dass
die Laufzeit der Kommission zur Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern nicht befristet
wird. Auch da verstehe ich das Ansinnen; aber diese
Forderung überzeugt mich nicht. Ich erwarte von dieser
Kommission eine konzentrierte Arbeit, in der es Zwischenberichte und 2019 einen Abschlussbericht gibt.
Diese Ergebnisse dürfen dann natürlich nicht einfach nur
zur Kenntnis genommen werden. Damit muss dann etwas passieren. Dazu braucht es jemanden, der die Umsetzung begleitet, einfordert und dabei berät. Das wird,
so hoffe und erwarte ich es, der Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs sein.
Ihn, sein Team und den Betroffenenrat brauchen wir auf
Dauer und unbefristet.
({7})
Ich wünsche der Aufarbeitungskommission jetzt gutes Gelingen. Ich erwarte deren Ergebnisse gespannt. Ich
und alle, die in unserer Fraktion und, wie ich denke, hier
im ganzen Haus gebraucht werden, um zu diesem Gelingen beizutragen, stehen bereit - versprochen!
({8})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Norbert
Müller von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf
den Tribünen! Die Koalition hat sich seit der ersten Lesung des Antrages auf Sicherstellung der Aufarbeitung
von sexuellem Kindesmissbrauch leider nicht bewegt.
Die berechtigten Forderungen und Kritiken aus den Verbänden, vom Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und die Hinweise der
gemeinsam agierenden Opposition aus Grünen und Linken wurden von Ihnen schlicht ignoriert. Mit dem hier
vorliegenden Antrag schaffen Sie einen zahnlosen Tiger.
Das Traurige ist: Das wissen Sie auch. Es wurde Ihnen
oft genug gesagt.
Sie bleiben weit unter Ihren Möglichkeiten. Da Sie
sich guten Argumenten verweigern, lässt das den
Schluss zu, dass Sie keine vollumfassende Aufklärung
wollen, jedenfalls keine, die besonders auffällt, und das
müssen Sie am Ende auch verantworten.
({0})
Norbert Müller ({1})
Ich erkläre Ihnen gern noch einmal, warum Sie mit
diesem Antrag einen Fehler begehen und warum Linke
und Grüne einen eigenen gemeinsamen Antrag einbringen mussten. Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs
erfordert Überparteilichkeit und Unabhängigkeit, und
hierfür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.
({2})
Organisationen, in denen sich Täterinnen und Täter
- es waren überwiegend Täter - manchmal über Jahrzehnte ungehindert bewegen konnten, stoßen bei der
Aufklärung von innen heraus selbst bei bestem Willen
- auch das haben wir erlebt - schnell an ihre Grenzen.
Sie neigen zu Verzögerungen und zu Vertuschungen.
Das haben wir bei den Kirchen gesehen, die mehrere
Anläufe gebraucht haben - nicht nur in Deutschland -,
oder bei der Odenwaldschule. Aufklärung muss ab einem bestimmten Härtegrad unabhängig geschehen, und
das geht eben nur von außen.
Die Koalition hat die Kooperationsangebote von Linken und Grünen ausgeschlagen - wir haben sie im Februar nochmals unterbreitet - und damit die Chance vertan, eine parteiübergreifende Position zusammen mit
dem Unabhängigen Beauftragten zu suchen und zu finden. Wir bedauern das. Wir wollen den Aufklärern der
Kommission echte Ermittlungsinstrumente an die Hand
geben: Akteneinsicht und das Recht zur Vorladung von
Zeugen. Wir sehen, dass Täter in betroffenen Organisationen sich der internen Anhörung in der Vergangenheit
verweigert haben. Wenn die Aufarbeitungskommission
klare Ermittlungskompetenzen bekäme - das geht nur
mit einer gesetzlichen Grundlage -, könnten sich Zeugen
nicht mehr so leicht entziehen.
Der CDU/CSU und der SPD geht es um eine billige
Variante der Aufklärung - billig im doppelten Wortsinn:
Es soll möglichst wenig kosten - das merken wir jetzt
bei dem Verschiebebahnhof in der Frage, von welchem
Ministerium wie viel Geld kommt; stattdessen sollten
Sie nach einem halben Jahr der Diskussion darüber, wie
die finanziellen Grundlagen sichergestellt werden sollen,
endlich einen konkreten Vorschlag auf den Tisch legen -,
und die Ergebnisse sollen auch bitte nicht zu unbequem
werden. Eine Aufarbeitungskommission muss aber unbequem sein, auch wenn uns das in Einzelfällen möglicherweise nicht gefällt.
({3})
Dafür darf auf keinen Fall Zeit- und Legitimationsdruck aufgebaut werden, gerade dann, wenn der Politik
nahestehende Institutionen betroffen sind. Deshalb ist es
erforderlich, die Aufarbeitungskommission auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und sie unbefristet arbeiten zu lassen. Ich begrüße den Vorschlag, auch die Amtszeit des Unabhängigen Beauftragten nicht irgendwann
zu beenden, nach einem Bericht, sondern die Institution
unbefristet arbeiten zu lassen. Das ist, finde ich, eine
gute Idee. Aber warum sollte man ausgerechnet die Aufarbeitungskommission, Kollegin Rüthrich, befristen?
Dafür gibt es überhaupt keinen sachlichen Grund.
Aufklärung geht nur umfassend. Hierfür ist eine zusätzliche, langfristige und angemessene Finanzierung
vonnöten. Klar ist auch: Das Thema darf bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen nicht der schwarzen
Null untergeordnet werden. Hier darf es kein Geschacher
um die eine oder andere Million geben.
Den Umgang der Koalition mit uns Linken, aber auch
mit den Grünen und dem Unabhängigen Beauftragten
halte ich für einen unfreundlichen und unkollegialen
Akt. Uns wurde an einem Mittwochabend im Januar ein
substanzloser Antrag vorgelegt, der schon kurz darauf
im Plenum verhandelt wurde. Das mag im parlamentarischen Verfahren völlig üblich sein - das machen alle
Fraktionen im Parlament; das ist nicht ungewöhnlich -,
aber bei dem gemeinsam formulierten Willen, sexuellen
Missbrauch aufzuklären und Missbrauchsstrukturen in
der Gesellschaft aufzudecken - dieser Wille ist im Januar von allen Rednern formuliert worden -, ist es völlig
unangemessen, so ein eigenbrötlerisches Vorgehen
durchzuziehen.
({4})
Ich halte das insbesondere gegenüber den Opfern für einen Affront.
Eigentlich wäre es angemessen, diesen dünnen Antrag aus den genannten Gründen abzulehnen. Aber das
werden wir aus Respekt vor den Opfern und aus Respekt
vor der herausragenden Arbeit von Herrn Rörig und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - ich finde es übrigens sehr gut, dass sie auch heute wieder hier sind nicht machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass die heutige Debatte von einer
breiten interessierten Öffentlichkeit aus engagierten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Pädagoginnen und Pädagogen und vor allen Dingen von Opfern sexuellen Missbrauchs verfolgt wird. Sie sollten sich bewusst machen, dass diese Menschen zur Kenntnis
nehmen, dass der hier von der Koalition vorgelegte Antrag, dieser Beschluss, einen bitteren Beigeschmack verursacht.
Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der
erklärte Wille zur Aufklärung - ich habe es auszuführen
versucht - nicht so umfassend ernst gemeint ist, wie wir
uns das gewünscht hätten. Also überzeugen Sie uns vom
Gegenteil! Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, damit
der Schleier des Verschweigens und Vergessens von sexuellem Kindesmissbrauch sich nicht wieder ausbreitet.
Vielleicht versuchen Sie es in Zukunft wieder, wie in der
Vergangenheit bereits geübt, fraktionsübergreifend im
Deutschen Bundestag.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Christina
Schwarzer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Müller, ich
glaube, das Einzige, was hier unangemessen war, war
Ihre Rede heute.
({0})
Uns zu unterstellen, wir wollten keine Aufarbeitung,
oder die Idee zu formulieren, uns könnten eventuelle Ergebnisse nicht gefallen, das grenzt beinahe schon an
Frechheit.
({1})
Als wir das heutige Thema am 30. Januar dieses Jahres, nämlich dem fünften Jahrestag der Aufdeckung der
Vorfälle am Canisius-Kolleg - die Kollegin Rüthrich hat
das schon erwähnt -, in erster Lesung beraten haben,
habe ich meinen Beitrag mit der dringenden Bitte beendet, dass die Debatte um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nicht verstummen darf, damit der Mut
der Opfer von sexuellem Missbrauch nicht umsonst war.
Dazu können wir und müssen wir alle beitragen.
Mit der heutigen Verabschiedung des Antrags wird
die Aufarbeitung, auch der Frage nach dem Warum, weiter fortgesetzt. Wir alle tragen nämlich dazu bei, dass unsere Gesellschaft über das Thema „Sexueller Missbrauch“ spricht. Immer nur dann, wenn wir laut sagen
und deutlich machen, dass derartige Abscheulichkeiten
in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, schaffen wir
ein Klima, in dem Täter sehen müssen, dass die Menschen in unserem Land ihre Taten weder verstehen noch
akzeptieren. Vor allem aber - das ist noch viel wichtiger schaffen wir ein Klima, in dem sich Opfer trauen können, zu sprechen.
({2})
Unsere Gesellschaft muss den Opfern gegenüber sicherstellen, dass sie sich öffnen können, ohne Angst vor
Bagatellisierung, Ausgrenzung oder Unglaube. Wir
müssen zuhören und vor allen Dingen verstehen. Auch
deswegen ist die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur systematischen und umfassenden Aufarbeitung so wichtig. Wir als Gesellschaft setzen damit ein
wichtiges Signal: Ja, wir wollen zuhören. Wir wollen
verstehen. Wir müssen helfen und vor allen Dingen aufarbeiten.
Die Kommission soll eine besondere Aufmerksamkeit auf die Anhörung von Betroffenen legen und Ursachen identifizieren, die Missbrauch in der Vergangenheit
möglich gemacht haben. Ziel ist es, eine breite politische
und gesellschaftliche Debatte anzustoßen, Fehler der
Vergangenheit zu benennen und damit zum verbesserten
Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt beizutragen.
Nicht vergessen dürfen wir, dass die Aufarbeitungskommission auch in den Institutionen helfen kann, in denen junge Menschen Opfer schlimmster Verbrechen
wurden.
Ich weiß um die Kritik an einigen Institutionen, die
mit Beschönigung oder Vertuschung auf Vorfälle in ihren Einrichtungen reagiert haben. Beispielhaft möchte
ich heute die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen in der
DDR benennen. Es ist mittlerweile unbestritten, dass
beispielsweise im geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau körperliche Züchtigungen, Einzelzellenarrest, aber
auch sexuelle Kindesmisshandlungen zum Alltag gehörten. Viele davon haben zu Selbstmordversuchen geführt
und natürlich auch seelische Schäden hinterlassen.
Sexueller Kindesmissbrauch war Teil eines erniedrigenden, demütigenden und menschenverachtenden Erziehungsregimes in den Heimen der DDR. Auch wenn wir
Schmerz und Leiden nicht ungeschehen machen können,
ist es trotzdem wichtig, heute noch darüber zu sprechen.
Es ist wichtig, dies hier heute auch ausgesprochen zu haben, um deutlich zu machen, dass wir uns daran erinnern
und eine schonungslose Aufarbeitung anstreben.
({3})
Das Ziel lautet entsprechend: Es darf in Institutionen
kein Netz von Mitwissern und Wegschauern mehr geben, die diese schrecklichen Verbrechen in ihrem Ausmaß stützen und möglicherweise sogar noch ermöglichen. Damit müssen wir sensibel umgehen; denn gerade
bei Menschen, die diese Verbrechen vermuten oder einen Verdacht haben, besteht viel Unsicherheit.
Aber es gibt unter den betroffenen Institutionen auch
positive Beispiele, Institutionen, die eine Aufarbeitung
bereits begonnen haben. Das müssen wir sehen und positiv herausstellen. Diese Einrichtungen sehen, was manch
andere vielleicht noch erkennen müssen: dass die Kommission viel Positives für sie leistet. Sie kann ihnen eine
Hilfe sein, Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten
und so möglicherweise künftiges Leid zu verhindern.
Dieses Ziel müssen sich die Institutionen aber auch
selbst setzen. Die Aufarbeitungskommission kann und
wird den Weg dorthin natürlich unterstützen.
({4})
Bei aller Euphorie über die Einsetzung der Aufarbeitungskommission dürfen wir eines nicht vergessen: Sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird
es vermutlich immer geben, auch jetzt, in diesem Moment. Das seelische Leid und möglicherweise auch körperliche Schäden bei einem Missbrauch begleiten sie das
ganze Leben lang.
Die Aufarbeitungskommission ist jedoch nur ein Baustein von ganz vielen Bausteinen. Um nur einige zu nennen: der Betroffenenrat - er wurde heute schon genannt -,
Opferinitiativen, Präventionsnetzwerke wie beispielsweise „Kein Täter werden“ hier an der Berliner Charité.
Aber auch die vor einigen Monaten in diesem Hause beschlossene Verschärfung des Strafrechtes gehört ohne jeden Zweifel in diese Liste, in diesem Zusammenhang
vor allem die Verlängerung der Verjährungsfristen; wir
sprachen in diesem Hause sehr oft darüber. Oft dauert es
Jahre oder Jahrzehnte, bis die Opfer über das Erlebte
sprechen können. Dieser Mut darf dann nicht ins juristische Nirvana führen. Ebenso wichtig zu nennen ist der
Fonds Sexueller Missbrauch. Das ist übrigens ein gutes
Stichwort. Nicht ganz so viele Bundesländer haben bisher in den Topf eingezahlt. Ich finde, alle Kollegen in
diesem Hause sind verpflichtet, in ihren Bundesländern
klarzumachen, dass da noch die eine oder andere Million
fehlt.
({5})
- Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben in der
Tat schon eingezahlt.
({6})
Man kann sich natürlich immer ein bisschen mehr
wünschen: ein bisschen mehr Beteiligung, ein bisschen
mehr Geld, aber eben auch ein bisschen mehr Zeit. Das
wird ja auch in Ihrem Antrag deutlich. Ich schlage Ihnen
Folgendes vor: Lassen Sie uns heute gemeinsam den Beschluss zur Einsetzung der Kommission fassen. Es wäre
ein großartiges Signal, auch an die Verbände. Gemeinsam sollten wir dann die Arbeit der Kommission wie
auch die gesellschaftliche Debatte weiter begleiten. Die
Arbeit der Kommission sollte zwar an die Amtszeit von
Herrn Rörig gekoppelt werden, aber ich bin mir sicher,
dass seine Arbeit 2019 nicht beendet sein wird. Sie wird
fortbestehen, weil eben die Aufgaben der Aufarbeitungskommission vermutlich und leider nie beendet sein werden.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Katja Dörner,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Und natürlich auch: Lieber Herr Rörig und Team auf der Tribüne! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass wir die
Aufarbeitungskommission heute, so kurz vor der Sommerpause, doch noch auf den Weg bringen, wenn auch
auf den letzten Drücker. Ich will auch daran erinnern,
dass wir ursprünglich sehr wohl einen ambitionierteren
Zeitplan für die Einsetzung der Kommission hatten. Der
Antrag der Koalitionsfraktionen stammt vom 27. Januar
2015. Er ist also ein gutes halbes Jahr alt. Wir müssen
festhalten, dass es bis heute zu viele Verzögerungen gegeben hat, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die
Regierungsfraktionen ja an keiner Stelle bewegt haben
und auch nicht mit uns als Opposition ins Gespräch gekommen sind. Ich möchte noch einmal sagen, dass ich
das sehr bedauere.
({0})
Jetzt ist es ohne Frage an uns, dem Unabhängigen Beauftragten vollen Rückenwind für die Einrichtung der
Kommission zu geben. Ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir werden dem Antrag der Koalitionsfraktionen
zustimmen, obwohl dieser Antrag die Zustimmung eigentlich nicht verdient hat. Warum machen wir das trotzdem? Wir finden es sehr wichtig, dass es ein klares und
auch interfraktionelles Signal gibt, mit dem wir als Deutscher Bundestag zum Ausdruck bringen: Ja, wir wollen
diese Aufarbeitungskommission, und wir stehen hinter
der Arbeit, die diese Kommission leistet. - Ich finde,
dieses Signal sollte von der heutigen Debatte ausgehen.
({1})
Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; das kann man nicht oft
genug sagen. Ich finde, das drückt sich auch in der Einrichtung der Aufarbeitungskommission als einem ganz
wichtigen Baustein aus. Wir haben aber gemeinsam mit
den Linken einen Antrag eingebracht, den wir heute
auch zur direkten Abstimmung stellen, weil wir für eine
Aufarbeitungskommission plädieren, die stärkere Rechte
hat.
Zum einen - das ist schon gesagt worden - wollen wir
keine zeitliche Befristung der Kommission. Wenn wir
davon ausgehen, dass die Kommission tatsächlich erst
2016 ihre Arbeit aufnimmt und die Laufzeit der Kommission an das Amt des Unabhängigen Beauftragten gekoppelt ist, dann sehen wir: Das sind gerade einmal
knappe drei Jahre. Wir können uns eigentlich nur sehr
schwer vorstellen, wie eine so umfassende und notwendige Arbeit seitens der Kommission in einer so kurzen
Zeitspanne erledigt werden soll.
({2})
Zum anderen sprechen wir uns für eine gesetzliche
Grundlage für die Arbeit der Kommission aus. Ich will
meinen Blick einmal nach Irland schweifen lassen. Die
Erfahrungen mit der irischen Aufarbeitungskommission
zeigen, wie wichtig eine gesetzliche Grundlage ist. Die
irische Aufarbeitungskommission hatte nämlich genau
das, was wir in unserem Antrag einfordern: Sie hatte die
Befugnisse eines Gerichts. Sie konnte Zeugen vorladen,
Akteneinsicht beantragen und damit die Strukturen und
Mechanismen identifizieren, die sexuellen Missbrauch
ermöglicht haben und ermöglichen. Wir befürchten, dass
die notwendige Aufarbeitung durch unsere Kommission
nicht vollumfänglich stattfinden kann, weil sie mit zu
schwachen Rechten ausgestattet ist.
Ich möchte noch sagen: Alle hier haben zu Recht über
den Mut der Opfer gesprochen, über das erlittene Leid
zu sprechen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Regierungsfraktionen den Mut aufbringen, hier eine AufarbeiKatja Dörner
tungskommission mit wirklich starken Rechten einzusetzen.
({3})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir fordern in unserem Antrag auch, eine langfristige Finanzierungsgrundlage für die Kommission zu schaffen, und insbesondere, hierfür den Etat des Bundesfamilienministeriums
aufzustocken. Frau Rüthrich, ich fand es eine gewisse
Spitzfindigkeit, zu sagen: Alle Ministerien sollen bezahlen. - Das wäre natürlich eine Variante, die auch wir unterstützen würden. Uns geht es darum: Es kann nicht
sein, dass - überspitzt gesagt - die heutigen Kinder und
Jugendlichen dafür bezahlen sollen, dass die Aufarbeitung vergangenen Missbrauchs geleistet werden kann. Das ist der Punkt, den wir machen wollen. Das ist bei allen anderen Initiativen dieser Art in den letzten Jahren
gelungen. Wir hoffen sehr, dass in den Haushaltsverhandlungen deutlich gemacht werden kann, dass der
Bundestag weiter zu einem solchen Prinzip steht. Ich
finde es auch sehr ärgerlich, dass wir zum heutigen Zeitpunkt immer noch keine Klarheit über die Finanzierung
haben. Das finde ich sehr schade. Es wäre angemessen,
darüber heute Klarheit zu erhalten.
({4})
Ich möchte aber auch noch etwas Positives hervorheben, und zwar, dass weiterhin 35 Millionen Euro zur Erforschung der Thematik des sexuellen Missbrauchs zur
Verfügung stehen. Auch das war sehr lange nicht klar.
Vorletzte Woche hat zur Frage der Forschung ein Hearing beim Unabhängigen Beauftragten stattgefunden. In
diesem Hearing ist deutlich geworden, dass es trotz der
Anstrengungen, die nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppen des Runden Tisches unternommen wurden,
noch erheblichen Forschungsbedarf gibt und dass wir
insbesondere eine bessere Vernetzung von Praxis und
Forschung brauchen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir bringen heute
die Einrichtung der Kommission auf den Weg. Das ist
ein sehr guter Schritt. Es darf uns aber keineswegs aus
der Verantwortung entlassen, in der nächsten Zeit weitere konkrete Schritte zur Bekämpfung des sexuellen
Missbrauchs von Kindern zu tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Dr. Silke Launert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das
Canisius-Kolleg, die Odenwaldschule, Kloster Ettal immer wieder muss die Öffentlichkeit mit Entsetzen
feststellen, dass sexueller Kindesmissbrauch keine
Randerscheinung in unserer Gesellschaft ist. Tatsächlich
geschieht er mitten unter uns: in Schulen, in Kindergärten, in Sportvereinen, in Kinderheimen, ja, und sogar innerhalb der Familie.
Als ehemalige Staatsanwältin kann ich Ihnen erzählen, dass ich während meiner Tätigkeit mit Schrecken
feststellen musste, wie viele Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs es in einem überschaubaren geografischen
Raum gibt. Dabei ist es so, dass die meisten Taten gar
nicht Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht bekannt
werden.
Seit ich im Bundestag bin und für dieses Thema zuständig bin, haben mir ganz viele Menschen aus meiner
Umgebung, aus meinem Bekanntenkreis von ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch erzählt - von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen von Angehörigen.
Seitdem weiß ich: Das ist ja fast ein Massenphänomen.
Es ist uns lange Zeit nicht so bewusst gewesen. Überall
kann es passieren, jederzeit, in allen gesellschaftlichen
Schichten - viel häufiger, als wir denken, häufig über
Jahrzehnte. Weil keiner das Schweigen bricht, wird es
fortgesetzt und das Grauen nimmt kein Ende. Wenn Sie
sich die Täter anschauen, die diese sexuellen Neigungen
haben und die sie auch ausleben, so stellen Sie fest: Die
machen es nicht nur einmal im Leben und nicht nur bei
einem Kind; denn wenn das Kind älter ist, kommt das
nächste dran.
Nach Bekanntwerden der Fälle in den letzten Jahren
hat sich einiges getan. Zahlreiche Einzelmaßnahmen
wurden ergriffen, und Initiativen wurden gestartet zur
Stärkung der Rechte der Opfer, zur Verbesserung der
Prävention, zur Erforschung dessen, wie es überhaupt zu
sexuellem Missbrauch kommen kann. Doch all das ist
noch nicht genug. Wir wissen: Die Täter, die diese Neigung haben, wollen diese häufig wieder ausleben. Es ist
völlig klar, dass es weiter dazu kommen kann. Was können wir tun? Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten das machen, was er leisten kann. Niemand darf wegschauen, niemand darf vertuschen, und niemand sollte
verdrängen. Das gilt für Organisationen, Institutionen
und sonstige Einrichtungen.
Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang einen Fall, der mich erst vor einigen Wochen erschüttert
hat. In der Presse war zu lesen, dass UN-Blauhelmsoldaten sexuellen Kindesmissbrauch verübt haben: in der
Zentralafrikanischen Republik und in Haiti. Offenbar
wurden Informationen nicht richtig weitergegeben. Offenbar wurde darauf nicht angemessen reagiert, selbst
da. Deshalb ist es wichtig, dass man in diesem Bereich
klare Kante zeigt und dass die Null-Toleranz-Politik
nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass man sie umsetzt, sich Maßnahmen vornimmt und diese ernsthaft
und aktiv umsetzt.
Es ist auch wichtig, dass diese Fälle immer wieder in
die Öffentlichkeit kommen. Hier sind die Journalisten,
die Eltern und auch die Schulleiter gefragt. Sie müssen
den Mut haben, das anzusprechen, selbst wenn die eigene Schule betroffen ist.
Ferner ist natürlich die Politik gefordert. Der Gesetzgeber muss überall da tätig werden, wo es für ihn einen
Weg gibt.
Ich spreche zunächst das Strafrecht an. Die Straftatbestände müssen so formuliert sein, dass sich keine Strafbarkeitslücken auftun, es keine Grauzonen gibt, die
Strafe angemessen ist und den Strafverfolgungsbehörden
geeignete Ermittlungsmethoden zur Verfügung stehen.
Wir haben die Bekämpfung der Kinderpornografie
schon angesprochen. Nur ein Punkt: Die Höchststrafe
von drei Jahren - bei Diebstahl liegt sie bei fünf Jahren halte ich immer noch für zu niedrig. In der Praxis werden Kinderpornografieverfahren sehr häufig gegen
Geldauflage eingestellt. Ich sage nur: Edathy lässt grüßen. Jeder wird verstehen, dass dieses Vorgehen - vielleicht abgesehen vom Fall Edathy, weil inzwischen jeder
diese Person kennt - nicht wirklich geeignet ist, um des
Problems Herr zu werden. Eigentlich müsste es da eine
kurze Mindestfreiheitsstrafe geben, eine kurze Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der Auflage einer Therapie nicht weil ich glaube, dass man die sexuelle Neigung
wegtherapieren kann, sondern weil ein Druck bestehen
muss, den Umgang mit dieser Neigung zu lernen.
Cybergrooming ist das nächste Thema, bei dem wir
versuchen, nachzuarbeiten. Wenn sich ein Polizist im Internet als Kind ausgibt und da ein Täter ist, der sexuelle
Handlungen vornehmen will und zu diesem Zwecke
Kontakt zu dem vermeintlichen Kind aufnimmt, dann ist
das nicht strafbar. Also, ganz ehrlich: Das finde ich absolut unverständlich. Ich freue mich, dass wir auch darüber
in der Koalition weiter reden.
Natürlich muss das Opfer den Mut haben, über das
ihm angetane Leid zu sprechen; das haben wir jetzt
schon ganz oft gehört. Genau da setzt die Aufarbeitungskommission an: Ihm wird ein Raum gegeben, in dem es
sich aussprechen kann. Man möchte von diesen Erfahrungen lernen. Ich möchte mich - wie all meine Vorredner - bei den Opfern bedanken, die den Mut und die
Kraft haben, das zu offenbaren und zum Beispiel ein langes Strafverfahren durchzuhalten.
({0})
Die Bedeutung der Aufarbeitung darf nie unterschätzt
werden.
Lassen Sie mich - ich sehe, meine Redezeit läuft
langsam ab - noch eines sagen: Es geht nicht nur darum,
Geld in Institutionen zu stecken, sondern auch darum,
dort Geld zu investieren, wo es Hilfe vor Ort gibt. Das
ist ganz wichtig. Wir haben in Hof eine Einrichtung, die
gerade um ihre Finanzierung kämpft: die Schutzhöhle.
Wir müssen nicht nur die Institutionen unterstützen, sondern auch diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten. Ihre
Hilfe ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die Opfer
mit dem erfahrenen Leid leben und es irgendwie verarbeiten können. Ein Opfer hat mir einmal gesagt: Sexueller Missbrauch ist ein Sterben auf Raten.
Lassen Sie uns gemeinsam die richtigen Schritte tun.
Die Aufarbeitungskommission ist der erste Schritt, aber
es folgen hoffentlich noch viele weitere.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin ist
Kerstin Tack, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
dass wir dieses Thema immer wieder in den Fokus nehmen, gerade und insbesondere, wenn es um Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geht, um Kinder, die
zum Schutz vor Gewalt im Elternhaus in die Obhut staatlich kontrollierter Einrichtungen gegeben wurden und in
diesen Einrichtungen unendliches Leid, seelischen Tod
und seelische Grausamkeit erfahren.
Es ist gut und richtig, dass der Deutsche Bundestag
schon vor mehreren Jahren dazu hinreichend wichtige
Beschlüsse getroffen hat: die Einrichtung des Runden
Tisches, verschiedene Maßnahmen, die Einrichtung der
Fonds zur - man kann nicht von „Entschädigung“ sprechen, aber ein bisschen ist es das auch - Anerkennung
des Leides dieser Kinder. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Runde Tisch und auch die Fonds,
die eingerichtet wurden - gespeist vom Bund, von den
Ländern und den Kirchen -, haben leider die Kinder, die
in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder
aber in stationären psychiatrischen Einrichtungen Missbrauch erlebt haben, nicht in den Blick genommen. Auch
in diesen Einrichtungen sind unendliches Leid, Gewalt
und Missbrauch geschehen - genauso wie in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Der Deutsche
Bundestag hat deshalb schon im Jahre 2011 interfraktionell beschlossen, dass auch diese Zielgruppe in die Aufarbeitung, in die Aktivitäten miteinbezogen werden soll.
Leider ist es bis heute nicht gelungen, auch für die
Opfer von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen der
Behindertenhilfe und in stationären psychiatrischen Einrichtungen einen Fonds einzurichten, der die Anerkennung des Leidens dieser Kinder, die heute erwachsene
Menschen sind, zum Ziel hat. Das, meine sehr geehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
beschämend.
Der Deutsche Bundestag hat in den diesjährigen
Haushalt Mittel für den Fonds eingestellt. Die Kirchen
haben sich bereit erklärt, der Drittelung entsprechend ihren Beitrag zu leisten. Allerdings haben sich die Länder
bisher nicht durchringen können, gemeinschaftlich in
diesen Fonds einzuzahlen.
({0})
Ich möchte hervorheben, dass Bayern - sehr vorbildlich schon sehr früh seine Bereitschaft erklärt hat, in den
Fonds einzuzahlen.
({1})
Dafür gilt Bayern unser aller Dank.
({2})
Mittlerweile haben viele Länder erkannt, dass man sich
der Verantwortung, die sich daraus ergibt, dass man die
Aufsicht über diese Einrichtungen hatte, nicht entziehen
kann. Trotzdem wir haben heute immer noch keinen
Fonds für diese Zielgruppe.
Ich bin mir sicher, dass wir uns heute, wie schon
2011, über die Grenzen aller Fraktionen hinweg einig
sind, dass es nicht nur wichtig ist, dass die Aufarbeitungskommission diese Zielgruppe in den Blick nimmt,
sondern dass es genauso wichtig ist, dass auch für diesen
Personenkreis ein Entschädigungsfonds auf den Weg gebracht wird. Wir sollten in einem gemeinsamen Appell
in Richtung der Länder unsere Erwartungshaltung hinsichtlich einer Beteiligung am Fonds und der Übernahme von Verantwortung für diesen Personenkreis formulieren; denn auch diese Opfer haben es verdient.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Maik Beermann, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder brauchen Wurzeln und Flügel - so hat es einmal Johann
Wolfgang von Goethe formuliert. In poetischer Art und
Weise hat er darauf verwiesen, dass Kinder Geborgenheit und Zuwendung brauchen, um sich zu verwurzeln,
aber auch Förderung und Unterstützung, um langsam,
aber sicher in ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu entfliegen, in dem sie sich schließlich in ihre
Gesellschaft integrieren und am Alltag teilhaben. Missbrauchten Kindern wurde all dies genommen: Geborgenheit, das Gefühl von Schutz, vor allem aber auch Vertrauen, Vertrauen in die Menschen, die ihnen den Weg in
die Zukunft bereiten sollten, ob es nun Eltern sind oder
Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen.
Bis heute ist sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland nicht eingedämmt. Im Jahr 2014
wurden in Deutschland 14 191 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Diese Zahl hat mich persönlich sehr geschockt; von der Dunkelziffer, die wahrscheinlich noch
viel höher liegt, möchte ich gar nicht reden. Das zeigt,
dass die Debatte über das Thema Missbrauch von Kindern endlich gelebter Teil unseres Alltags werden muss.
Wir brauchen in Deutschland dringend eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Kindesmissbrauch in
Schulen, in Kirchengemeinden und in Vereinen. Diese
Orte müssen sichere Orte sein, und Gott sei Dank sind
sie dies zum überwiegenden Teil auch.
Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns für die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission einsetzen und an dieser wichtigen Stelle Lernerfahrung in
politisches Handeln umsetzen werden. Was die Finanzierung betrifft, liebe Frau Kollegin Rüthrich, bin ich allerdings der Meinung, dass das Haus, das bei diesem
Thema die Federführung hat, auch die Zeche zahlen
muss,
({0})
und das ist nun einmal das Haus von Frau Schwesig, der
Familienministerin.
({1})
Eine zentrale Forderung aus den Jahren 2010 und
2011, die von Betroffenen angesprochen wurde, wird damit aufgegriffen. Ich hoffe, dass die künftige unabhängige Aufarbeitungskommission zu einer viel breiteren
politischen und gesellschaftlichen Debatte beitragen
wird. Obwohl die Kommission zunächst nur zeitlich befristet arbeitet - bis Anfang 2019 -, wird sie viel erreichen. Sie wird Strukturen identifizieren, die Missbrauch
ermöglichen und begünstigen. Sie wird Fehler der Vergangenheit benennen und das Leid der Missbrauchsopfer
sichtbar machen. Sie wird vorhandene Aufarbeitungsberichte auswerten, auch die aus den Kirchen, und
Forschungsaufträge vergeben, um bestehende Erkenntnislücken zu schließen. Auch die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR stellt eine wichtige
Dimension unseres Koalitionsantrags dar; meine Kollegin Christina Schwarzer hat darauf hingewiesen. Für
mich ist ein wichtiger und entscheidender Punkt, dass
von sexueller Gewalt in der Kindheit Betroffene angehört werden sollen. Ich hoffe, dass diese Anhörung zur
Anerkennung des erlittenen Unrechts beitragen wird.
Solange es nicht gelingt, sexuelle Gewalt einzudämmen und unsere Kinder bestmöglich zu schützen, ist
Missbrauch eine Schande und ein Skandal in und für unsere Gesellschaft.
({2})
Als junger Vater möchte ich, dass nicht nur für meine
kleine Tochter, sondern für alle Kinder zum Beispiel die
Schule oder der Verein sichere Orte sind, an denen sich
unsere Kinder außerhalb der Familie geborgen fühlen.
Ich möchte, dass Kinder nicht ihrer Flügel und Wurzeln
beraubt werden, indem sie sich dem Risiko eines Missbrauchs aussetzen, ob im privaten oder im öffentlichen
Bereich. Ich möchte, dass Schulen, dass alle Einrichtungen und Organisationen, denen Kinder anvertraut sind,
verstärkt in Prävention investieren, in institutionelle,
aber auch in pädagogische Prävention. Dazu müssen
auch unsere Länder und die Kommunen einen Beitrag
leisten.
Es gibt längst neue Formen sexueller Gewalt, die zum
Beispiel durch digitale Medien in die Kinderzimmer
drängen. Immer noch bieten wir Kindern nicht den möglichen Schutz und die mögliche Hilfe, auch nicht dort,
wo Handlungsmöglichkeiten bestehen und bekannt sind.
Auf neue Entwicklungen wird oft viel zu spät reagiert.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen,
den Bundespräsident Gauck aus meiner Sicht eindringlich und sehr stark formuliert hat:
Genauso wie wir heute alles daransetzen müssen,
Missbrauch keinen Raum zu geben, genauso entschlossen müssen wir die Untaten der Vergangenheit
- und Fehler zum Thema unserer Gegenwart machen.
In diesem Sinne wünsche ich dem Unabhängigen Beauftragten, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig, und seinem
Team für seine wichtige und engagierte Arbeit alles erdenklich Gute.
({3})
Ich bitte um Zustimmung zu dem Koalitionsantrag. Frau
Kollegin Dörner, ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Zustimmung zu diesem Antrag nicht bereuen werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Damit schließen wir die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
mit dem Titel „Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4988, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 18/3833 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
18/5106 mit dem Titel „Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSUund SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Suizidprävention verbessern und Menschen
in Krisen unterstützen
Drucksache 18/5104
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Maria KleinSchmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen zweieinhalb Stunden
eine Debatte über die Sterbehilfe geführt und auch darüber, wie wir und ob wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen wollen. Ich glaube, es war heute Morgen eine
durchaus sehr gute Debatte, eine sehr differenzierte Debatte, die auch deutlich gemacht hat: Es gibt Gemeinsamkeiten über alle Fraktionen hinweg, und es gibt ethische Grundhaltungen, die nicht einfach nach Lagern
verteilt sind, sondern die sich tatsächlich nach ethischen
Vorstellungen sortieren.
({0})
Ich glaube, das ist nicht nur etwas, das von außen als
Sternstunde des Parlaments wahrgenommen wird; vielmehr zeigt das auch, dass es Themen gibt, die wir grundsätzlicher angehen müssen und bei denen wir vor allen
Dingen unsere gemeinsame Verantwortung in den Blick
nehmen und nicht die Unterschiede. Ich hoffe, dass wir
mit dem Thema der Suizidprävention in ähnlicher Weise
umgehen können, dass wir also sehr genau schauen: Was
sind die Vorschläge, und wie können wir sie in unserer
parlamentarischen Arbeit aufnehmen? Das vorweg zur
heutigen Debatte.
Schauen wir uns die Zahlen an. Wir haben im Jahr
10 000 Suizide, die statistisch erfasst werden; wir haben
weitere 100 000 versuchte Suizide. Das sind enorme
Größenordnungen. 10 000 Tote durch Suizid - das sind
mehr als doppelt so viele wie beispielsweise durch Verkehrsunfälle. Wir müssen uns klarmachen, dass sich täglich zwei Jugendliche das Leben nehmen und 20 es täglich versuchen, dass von den 10 000 Menschen ungefähr
ein Drittel über 65 Jahre alt ist. Sie geben als Grund an das ist der Bezug zu heute Morgen -: Angst vor Einsamkeit, Angst vor chronischen schwerwiegenden Erkrankungen, Angst vor Hilfsbedürftigkeit und Angst vor
Pflegebedürftigkeit. Ich meine, all das muss Appell dafür sein, dass wir alles tun, was wir können, um präventiv die Hilfeleistung, die Unterstützung zu geben, die uns
als Gesellschaft möglich ist. Dazu wollen wir mit diesem
Antrag beitragen.
({1})
Wir beanspruchen an dieser Stelle nicht, ein vollständiges Werk vorzulegen; vielmehr haben wir uns die
Mühe gemacht, aus den verschiedensten Bereichen Anregungen aufzunehmen, insbesondere auch des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, das
zahlreiche Anregungen gegeben hat und dies auch schon
seit 2002 tut. Aber man muss auch sagen: Obwohl bundesweit 90 Institutionen, auch die Bundesregierung, daran teilhaben, diskutieren wir die Ergebnisse hier im
Bundestag so gut wie nie. Ich meine, das sollte sich auch
im Kontext der verschiedenen ethischen Debatten, die
wir gerade führen, ändern.
({2})
Wenn es darum geht, was wir tun, dann müssen wir
zuallererst in den Blick nehmen, dass circa 65 bis
90 Prozent - wir wissen es nicht genau - aller Versuche
im Kontext einer psychischen Erkrankung oder zumindest einer psychischen Krisenlage zu verorten sind. Das
ist ein klarer Hinweis darauf, dass man durch geeignete
frühzeitige Hilfestellung erreichen könnte, dass zumindest ein Teil dieser Suizide vermieden wird, vor allen
Dingen dort, wo eine ausweglose Situation vorliegt, eine
psychische Gemengelage, eine Zuspitzung, vielleicht
auch eine Einengung des denkbar Möglichen für den Betreffenden selber. Dies könnte durch eine frühzeitige
Hilfestellung verändert werden.
({3})
Von daher ist es sehr wichtig, dass wir neben dem, was
wir im Gesundheitssystem vorzuhalten haben, niedrigschwellige Hilfen - etwa die Angebote der Telefonseelsorge, etlicher ehrenamtlicher Krisenhilfen und anderer, eher psychologischer, manchmal auch anonymer
Hilfsdienste - ausbauen. Das darf nicht der Zufälligkeit
von durch Spenden organisierten Initiativen überlassen
bleiben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass gerade
diese niedrigschwelligen Angebote überall vor Ort zugänglich sind.
({4})
Außerdem müssen wir die Angebote der psychologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Krisenhilfe so zugänglich machen, dass diese Menschen sie
auch wahrnehmen, dass sie sich nicht aus Furcht vor einer Psychiatrisierung, einer Zwangseinweisung und all
dem, was in diesem Kontext im Raume steht, anders entscheiden, sondern diese Hilfen selbstverständlich annehmen, und das frühzeitig. Es ist ganz klar: Die langen
Wartezeiten, die wir in diesen Bereichen bisher haben,
sind alles andere als das richtige Angebot.
({5})
Natürlich haben wir mit dem Versorgungsstärkungsgesetz Änderungen vorgenommen. Aber sie werden
nicht ausreichen, weil insbesondere die ambulanten Krisenangebote fehlen. Da werden wir nachlegen müssen.
Ich wäre sehr froh, wenn wir im Herbst dieses Jahres
eine entsprechende Debatte führen würden, um an genau
dieser Stelle nachzusteuern.
({6})
Kommen wir zur Unterstützung von Angehörigen.
Auch sie sind nicht nur auf psychologische Unterstützung, sondern in großem Umfang auch auf alltagsnahe
Hilfen, auf Ansprechpartner, auf Menschen, die in ähnlichen Situationen waren, angewiesen. Es geht also um
das gesamte Geflecht, das wir gerade im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit häufig vorfinden und das auch für
sie sehr leicht und niedrigschwellig zur Verfügung stehen sollte.
({7})
Als Letztes zum Bereich der Prävention. Auch hier
muss gelten, das in Angriff zu nehmen, was wir tun können, um zum Beispiel spontane Suizidentschlüsse
schwieriger zu machen. Wir wissen aus der Forschung,
dass leicht zugängliche Waffen, leicht zugängliche
Medikamente, leicht zugängliche Brücken, auch Eisenbahnbrücken, dazu herausfordern, in einer Kurzschlusshandlung aufgesucht und genutzt zu werden. Gleichzeitig weiß man: Wenn es diese Möglichkeiten eines
spontanen Suizids nicht gäbe, würde dieser Suizid wahrscheinlich nicht ausgeführt werden, insbesondere dann
nicht, wenn geeignete Anlaufstellen oder Gesprächsmöglichkeiten da wären.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass über die vielen
Vorschläge, die wir an dieser Stelle gemacht haben, eine
konstruktive Debatte geführt wird, wir im Herbst dieses
Jahres eine Anhörung durchführen und dann in die entsprechenden Verfahren eintreten.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Reiner Meier,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jeder Suizid ist eine große Tragödie, eine, die jedes Jahr
rund 10 000 Menschen in unserem Land betrifft. Wie
viel Leid für Partner, Familie, Freunde aus einer Selbsttötung unmittelbar folgt, können wir nur erahnen. Die
Motive sind höchst individuell; sie lassen sich nicht pau11132
schal einordnen. Unerkannte Depressionen und Kurzschlusshandlungen oder jahrzehntelange Traumata können im Nachhinein oft nur vermutet werden. Es ist
deshalb außerordentlich wichtig, dass wir versuchen,
wenigstens jene Menschen zu erreichen, die von einer
Selbsttötung noch abgebracht werden können.
Im Versorgungsstärkungsgesetz haben wir verankert,
dass Patienten schneller einen Termin beim Psychotherapeuten bekommen. Dadurch erhalten die Betroffenen
prompt die Hilfe, die sie brauchen. Ebenso verbessern
wir durch den Auftrag zur Bedarfsplanung und die erweiterten Verordnungsmöglichkeiten für Psychotherapeuten die flächendeckende Versorgung ganz erheblich.
Aber auch die würdige Versorgung von Kranken am
Lebensende hat für uns höchste Priorität. Deshalb schaffen wir mit dem Hospiz- und Palliativgesetz für unheilbar Kranke bessere Perspektiven für ein lebenswertes
Leben. An dieser Stelle darf ich den Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen für die konstruktiven Gespräche zu diesem Thema danken.
({0})
Zu dieser Debatte gehört aber auch, dass wir uns die
Grenzen der Suizidprävention bewusst machen. Wir wissen, dass eine Selbsttötung oft auf einem ganzen Bündel
von Faktoren beruht. Dem heute vorliegenden Antrag
liegt aber die Auffassung zugrunde, wir könnten spontane Suizide durch punktuelle Maßnahmen zum Beispiel
im Bau- oder Waffenrecht verhindern. Meine Damen
und Herren, das glaube ich nicht. Wenn der Entschluss
zur Selbsttötung erst einmal gereift ist, ist es reine Illusion, zu glauben, wir könnten alle potenziellen Mittel
und Wege beseitigen.
In manchen Fällen, wie etwa beim Zugang zu Beruhigungs- und Schmerzmitteln, sind pauschale Verbote sogar außerordentlich problematisch. Vor drei Jahren hat
die Bundesregierung die Apothekenbetriebsordnung und
das Betäubungsmittelrecht novelliert. Damit können
Ärzte schwerstkranken Patienten ihre Medikamente unbürokratisch überlassen. Für diese Patienten ist das eine
wesentliche Entlastung und eine deutliche Verbesserung
der Lebensqualität. An dieser Stelle wieder einen Schritt
zurück zu mehr Bürokratie zu gehen, halte ich ausdrücklich für falsch.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten
die heutige Debatte nicht führen, ohne an die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungseinrichtungen für Suizidprävention zu denken. Sie leisten täglich nicht nur eine höchst verantwortungsvolle,
sondern auch eine persönlich schwierige und belastende
Arbeit für ihre Mitmenschen. Dafür gebührt ihnen,
glaube ich, der höchste Respekt dieses Hauses.
({2})
Der vorliegende Antrag beleuchtet in der Tat ein
schwieriges Thema. Erst heute früh haben wir uns eingehend mit den Fragen der Sterbehilfe auseinandergesetzt.
Dabei wurde eines klar: Wir alle tun uns schwer, die
Grenze zwischen Suizid und selbstbestimmtem Tod zu
definieren. Für uns als Union ist das Leben der höchste
Wert, und deshalb sollte auch stets ein lebenswertes Leben angestrebt werden. Dazu müssen wir den Menschen
gute Perspektiven anbieten, wohl wissend, dass unsere
Möglichkeiten, Suizide zu verhindern, leider immer begrenzt sein werden.
Der Antrag enthält einige gute Ansätze, etwa bei der
psychotherapeutischen Versorgung oder bei der Sterbebegleitung. Vieles davon haben wir schon umgesetzt, anderes setzen wir gerade um. In seiner Summe wird der
Antrag diesem komplexen Thema jedoch nicht gerecht.
Sicherlich werden sich einige Zuschauer von der heutigen Debatte besonders angesprochen fühlen. Ihnen
möchte ich zurufen: Es gibt Hilfe! Bundesweit stehen
Ihnen zahlreiche Beratungsstellen zur Verfügung. Sie erreichen die Telefonseelsorge sogar rund um die Uhr. Die
Nummer lautet: 0800/1110111. Bitte nutzen Sie dieses
Angebot!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Birgit Wöllert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! „Suizidprävention verbessern
und Menschen in Krisen unterstützen“, so lautet der Titel
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich
bin zunächst über den Begriff „Suizidprävention“ gestolpert und habe ihn erst einmal für mich aufgelöst, weil
hier ein so emotionales Thema hinter einem so sperrigen, bürokratischen Wort versteckt ist. Eigentlich ist
doch die Frage - wenn ich das für mich übersetze -: Wie
verhindern wir, dass in Deutschland jährlich rund 10 000
Menschen die Freude am oder den Mut zum Leben verlieren? Das ist der zentrale Punkt, mit dem, hoffe ich,
wir alle uns in der Beratung auseinandersetzen wollen.
Ich glaube, wir sind es den Menschen, den Angehörigen,
den Freunden und dem Umfeld, schuldig, dass wir uns
damit auseinandersetzen.
({0})
Selbsttötung bzw. Suizid ist ein weltweites Thema; es
ist kein Thema, das nur uns in Deutschland beschäftigt.
In diesem Jahr jährt sich der Welttag der Suizidprävention, den die Weltgesundheitsorganisation ins Leben rief,
zum zwölften Mal. Im vorigen Jahr gab es den ersten
Bericht dazu. Danach sind es jährlich 800 000 Menschen, die durch Selbsttötung sterben. Die WHO ruft uns
alle auf, das Thema nicht länger zu tabuisieren. Ich
denke, schon das ist ein wichtiger Beitrag, den wir leisten.
Wenn dieses Thema in die Öffentlichkeit kommt,
dann immer anhand prominenter und eher elitärer Beispiele;
({1})
betroffen sind aber viel mehr Menschen, die in anderen,
schlechteren Lebensverhältnissen leben. Ich gehe nur
einmal von den Gefahren durch Depressionen aus. Wenn
aus Daten der AOK hervorgeht, dass bei den Langzeitarbeitslosen die Anzahl der Menschen mit psychischen
Erkrankungen jährlich ansteigt - sie lag im Jahr 2011 bei
über 40 Prozent -, dann ist auch die Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit ein Mittel der Prävention in den
Lebenswelten zur Bekämpfung von Selbsttötung. Auch
das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.
({2})
Ich habe mir im Zusammenhang mit der heutigen
Diskussion einige Aussagen von Wissenschaftlern angeschaut und bin bei den Recherchen auf sehr interessante
Berichte, Dokumentationen, Vorlesungen usw. gestoßen,
unter anderem auf Material von Professor Dr. Manfred
Wolfersdorf. Da fand ich eine sehr interessante Definition, was man unter Suizidalität versteht. Er beschreibt
das als ein zutiefst menschliches Geschehen und Erleben, das in seiner Komplexität nie vollständig verstehbar
sein wird. Alle Erklärungsmodelle psychopathologischer, psychodynamischer, biologischer und/oder sozialer oder spiritueller Art seien von begrenzter Art mit dem
Respekt vor dem nicht aufdeckbaren Geheimnis des
Suizides. Das bedeutet aber nicht: Man kann sowieso
nichts tun. - Im Gegenteil, es erfordert die bestmögliche,
ernsthafte Annäherung an Verstehen und Verhüten suizidalen Verhaltens. So habe ich auch den Antrag verstanden. Vielleicht sollten wir das als gemeinsame Aufgabe
annehmen.
Ich bin der festen Überzeugung - da weiß ich auch
meine Fraktion hinter mir -, dass mit dem Verhüten von
Selbsttötungen auch die Einsicht einhergehen muss, dass
es sich hier um eine komplexe Aufgabe der ganzen Gesellschaft handelt: Gesundheitswesen, Schulen, Justiz,
Wirtschaft und vor allem auch die Medien tragen eine
große Verantwortung. Hier müssen wir koordiniert und
gemeinsam unser Handeln absprechen.
({3})
Selbsttötungen haben viel mit den persönlichen
Lebensbedingungen zu tun; ich hatte schon ein Beispiel
genannt. Die WHO weist nach, dass die Suizidrate der
unter 65-Jährigen mit jedem Prozentpunkt mehr an
Arbeitslosigkeit um 0,8 Prozentpunkte steigt. Auch hier
haben wir insgesamt etwas zu leisten. Das ist auch eine
Aufgabe der Wirtschaft.
Wir brauchen natürlich mehr Beratungsangebote,
mehr Weiterbildung, mehr Psychotherapie und mehr
Forschung; das alles ist richtig. Was wir aber auch dringend brauchen, ist eine gesellschaftliche Wirklichkeit,
die die Menschen nicht nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit einsortiert, sondern so akzeptiert, wie sie
sind, mit all ihren Schwächen und Stärken. Wir brauchen
eine Kultur der Anerkennung jedes Menschen, der in unserem Land lebt.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir brauchen dringend - das haben wir in den letzten Gesetzen nämlich
nicht geleistet - auch eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit seinen sozialpsychiatrischen Beratungsstellen. Ich weiß aus meiner Region, dass dort nicht
immer genügend Psychiater und Fachärztinnen und
Fachärzte zur Verfügung stehen, um die Arbeit im erforderlichen Umfang aufrechtzuerhalten.
Frau Kollegin Wöllert, Sie müssen jetzt wirklich zum
Schluss kommen.
Entschuldigung. Ich danke Ihnen. - Ich hoffe, dass
Sie den Antrag heute mit überweisen, sodass wir zu diesem Thema gemeinsam - auch mit den Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD - in der Diskussion bleiben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Helga KühnMengel, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Herr Meier,
nur um das zu erklären: Wir haben vorhin ein bisschen
gelächelt, aber nicht über Ihren Beitrag, sondern weil wir
gedacht haben, dass Sie dann notfalls alleine abstimmen
müssen.
Es ist ein wichtiges Thema, ein tabuisiertes und in jedem Fall trauriges Thema, mit dem wir uns heute befassen. Wie hoffnungslos muss sich jemand fühlen, dass er
wirklich keinen anderen Weg sieht, als sich das Leben zu
nehmen. Es gibt kaum etwas Belastenderes für die Familie, die Freunde und die Partner. Die WHO sagt, dass
mindestens sechs weitere Menschen von einem Suizid
betroffen sind.
Ich will den Zahlen, die genannt wurden, nur noch
wenige hinzufügen. Der Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei den Jugendlichen; die Zahl der Suizidversuche ist bei den jungen Frauen und Männern am höchsten. Die Suizide im Alter, die ganz vielfältige Ursachen
haben, sind schon erwähnt worden. Mindestens 100 000
Suizidversuche pro Jahr werden von Menschen begangen, die das Versorgungssystem genutzt haben. Deshalb
fragt man sich natürlich, welche Symptome, Hinweise
und Hilferufe nicht gesehen, wahrgenommen oder richtig eingeordnet worden sind.
Ihr Antrag behandelt ein wichtiges Thema, hat aber
auch einige Schwächen. Die in dem Antrag enthaltenen
Forderungen an den Bund sind zum Beispiel größtenteils
falsch adressiert. Über Einzelforderungen muss man sicherlich diskutieren. Die Bezugnahme auf das Flugzeugunglück ist hier, wie ich glaube, zweifelhaft, und viele
Punkte sind einfach Ländersache. Ich will Beispiele dafür nennen: Die Aufklärung an den Schulen und der
öffentliche Gesundheitsdienst, den wir so dringend brauchen, sind Ländersache. Das gilt ebenso für die kultursensible Beratung von Migranten und Migrantinnen, die
Sie nennen. Das alles liegt in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Wir alle müssen uns vor Ort in der
Region für mehr Beratung starkmachen.
Es gibt auch wirklich gute Ansätze dafür. Ich nenne ein
Beispiel aus Freiburg, nämlich [U 25] Freiburg. Bei diesem Arbeitskreis erfolgt die Beratung über den E-MailVerkehr; darüber werden viele wirklich gut erreicht. Des
Weiteren hat das Land Nordrhein-Westfalen zusammen
mit der Stadt Köln eine Anlaufstelle für lesbische Mädchen zwischen 15 und 23 Jahren eingerichtet, um zu verhindern, dass sich Mädchen in dieser Altersgruppe auf
der Suche nach Gespräch und Identität das Leben nehmen.
Der Verweis auf das Flugzeugunglück ist, wie ich
finde, an dieser Stelle fachlich nicht gerechtfertigt und
stellt eher eine Diskriminierung depressiver Menschen
dar.
({0})
So ist es auch in den Medien dargestellt worden. Ich
glaube, dass es sich eher um eine Amoktat handelt und
dass das wenig bis gar nichts mit den 10 000 Suiziden
pro Jahr zu tun hat.
Richtig ist - da stimmen wir Ihnen zu -, dass Berufsverbote oder Einschränkungen der Schweigepflicht
überhaupt nicht helfen, sondern nur geeignete Hilfen etwas bringen. Nicht schweigen, sondern reden - das hilft,
um Lösungsmöglichkeiten zu finden; denn ganz überwiegend ist der Suizid Ausdruck einer psychischen Krise
- das haben Sie gesagt, Frau Klein-Schmeink - oder einer psychischen Erkrankung. Er ist nur zu einem kleinen
Teil Ergebnis einer souveränen Entscheidung.
Sie fordern 1 Million Euro für Aufklärungskampagnen. Hier muss man kritisch fragen: Wie ist die Wirkung
einer solchen Maßnahme? Ich nenne hier nur das Stichwort „Nachahmungseffekt“. Unerwähnt bleibt auch,
dass der Bund viele Jahre lang effektiv Maßnahmen zur
Suizidprävention gefördert hat. Die Frau Präsidentin hat
in ihrer Zeit als Ministerin gemeinsam mit Frau
Bulmahn in der Forschung jahrelang einen Schwerpunkt
auf das Thema Suizidprävention gelegt und Kompetenzzentren zum Thema Depression gefördert. Da ist viel
passiert. Manche dieser Maßnahmen werden auch heute
noch gefördert, etwa das Nationale Suizidpräventionsprogramm. Auch die APK, die vor kurzem eine Tagung
zu diesem Thema abgehalten hat, wird noch gefördert.
Was Sie gar nicht erwähnen, sind die letzten Gesetze,
die wir zu diesem Thema gemacht haben: das Versorgungsstrukturgesetz - dazu wird der Kollege Heidenblut
noch etwas sagen -, die Einrichtung der Akutsprechstunde, die Disease-Management-Programme, ein
schnellerer Zugang zu Ärzten; all das ist ganz wichtig.
Im Rahmen des Präventionsgesetzes gibt es jetzt die
Möglichkeit, Langzeitarbeitslosen entsprechende Angebote zu machen. Es gibt mehr Geld für Prävention in den
Lebenswelten. Es gibt auch mehr Geld für Projekte gerade für junge Leute. Aber auch für ältere Menschen gibt
es verstärkt Präventionsempfehlungen der Ärzte und
mehr Selbsthilfeförderung. Insgesamt gibt es mehr Möglichkeiten für Interventionen und auch mehr Möglichkeiten, zu erkennen, zu handeln und zu vernetzen.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Tino Sorge, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Maler
Vincent van Gogh, der ehemalige Fußballnationaltorwart Robert Enke, der Gentleman-Playboy und spätere
Kunstsammler Gunter Sachs, der Schauspieler Robin
Williams, der Sänger der Band Nirwana, Kurt Cobain diese Menschen hatten vermutlich nicht viele Gemeinsamkeiten; aber eines verbindet sie, nämlich dass sie ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. In ihrer Verzweiflung war der Tod offenbar der einzige Ausweg, die
einzige Erlösung, um ihrem Leid zu entgehen.
Genauso vielfältig wie die persönlichen Gründe, warum sich Menschen das Leben nehmen, ist die Art und
Weise, wie dieser Entschluss letztendlich umgesetzt
wird. Deshalb, Frau Klein-Schmeink, finde ich es ein
bisschen enttäuschend, dass Sie in Ihrem Antrag den
Eindruck erwecken, als gäbe es punktuelle Maßnahmen,
um Suizide generell zu vermeiden.
({0})
- Ich habe ihn sehr genau gelesen. Sie haben im Grunde
gemacht, was Sie häufig in Ihren Anträgen machen: Es
gibt ein buntes Potpourri von Forderungen aus allen
möglichen Bereichen. Das reicht von Menschen mit Migrationshintergrund über Mitarbeiter im Strafvollzug bis
hin zu bauordnungsrechtlichen Vorgaben; es ist alles
drin. Immer soll es mehr geben; aber es werden keine
konkreten Lösungsvorschläge genannt.
Wir sind uns alle einig, dass wir Menschen in Krisen,
die suizidale Gedanken haben und sich umbringen
möchten, weil sie - aus welchen Gründen auch immer ihr Leben nicht mehr lebenswert finden, helfen und ihTino Sorge
nen Angebote machen müssen, um zu verhindern, dass
es dazu kommt. Dazu gehört auch, dass wir die Thematik in der Öffentlichkeit konkret behandeln und das
Thema enttabuisieren - denn leider ist es ein Tabuthema -,
indem wir darüber sprechen. Insofern ist es gut, dass wir
heute eine Debatte zu diesem Thema führen. Aber ich
finde es schade, dass Sie suggerieren, die Bundesregierung und wir als Politiker würden überhaupt nichts machen.
Es ist die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Gesundheitsförderung und Prävention
auf Bundesebene zusammen mit allen Trägern, den Ländern, den Kommunen, den Sozialversicherungsträgern
und den freien Trägern, zu organisieren. Das gibt es bereits. Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Wöllert, dass Prävention und Gesundheitsförderung viel stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken müssen. Darin sind
wir uns alle einig. Hier gehen wir in dieselbe Richtung.
Ich hatte selbst vor einiger Zeit in meinem Wahlkreis die
Möglichkeit, einen Einblick in die gute Arbeit der Bundeszentrale zu bekommen. Ich habe damals mit Marlene
Mortler die Jugendfilmtage eröffnet. In diesem Rahmen
ging es um Drogen-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch.
Das zeigt, dass wir in der Politik auf einem guten Weg
sind.
Das Nationale Suizidpräventionsprogramm, mit dem
die Suizidprävention unterstützt wird, ist bereits angesprochen worden. Das Bundesgesundheitsministerium
ist, wie Sie wissen, seit der Einführung 2002 fachlich
und finanziell eng damit vernetzt.
Die Wichtigkeit des Themas zeigt sich auch an den
vielen Projekten, die in diesem Bereich durchgeführt
werden und die - das muss auch einmal gesagt werden zu einer deutlichen Reduzierung der Suizidzahlen geführt haben. Aber das alles verschweigen Sie in Ihrem
Antrag. Darin findet sich kein einziges Wort dazu.
Konkret an die Fraktion der Grünen gerichtet möchte
ich noch eines sagen: Ich finde es ein bisschen zynisch,
wenn Sie in Ihrem Antrag alle möglichen Punkte aufführen, aber kein einziges Wort darüber verlieren, dass Sie
tagtäglich der Legalisierung von Drogen, nämlich von
Cannabis, das Wort reden.
({1})
Dazu habe ich in Ihrem Antrag nichts gefunden. Aber
bevor Sie jetzt wieder sagen, dass es keinen Zusammenhang, keine Korrelation mit unserem Thema gibt, sollten
Sie sich mit den wissenschaftlichen Studien befassen. Es
gibt eine tolle Studie - „toll“ in Anführungszeichen -,
die ESPAD-Studie. Für das European School Survey
Project on Alcohol and Other Drugs wurden 45 000 Jugendliche befragt. Die Studie hat gezeigt, dass es durch
den Konsum von Cannabis eine signifikante Erhöhung
des Suizidrisikos gegeben hat.
({2})
Weil Sie jetzt vielleicht sagen, dass das nichts miteinander zu tun hat, habe ich noch eine Studie herausgesucht. Ein neuseeländisches und australisches Forschungsteam hat über 30 Jahre 1 265 Menschen, die im
neuseeländischen Christchurch geboren wurden, wiederholt untersucht und mit ihnen geredet. Dabei ging es ausschließlich um den Konsum von Cannabis. Ich will nicht
weiter darauf eingehen; aber als Fazit ist festgestellt
worden, dass häufiger Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit von Suizidgedanken und auch das Suizidrisiko
erhöht. Auch das sollten Sie in Ihre Anträge mit aufnehmen.
({3})
Herr Kollege Sorge, da Sie gerade eine Redepause
machen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Scharfenberg?
Ja, natürlich. Sehr gerne.
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, danke, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen. - Ich bin, ehrlich gesagt, fast ein
bisschen bestürzt über Ihre Ausführungen; denn es geht
um belegte Zahlen. Wir sprechen nicht über fiktive Zahlen. Es gibt hier 100 000 Suizidversuche und 10 000 vollendete Suizide pro Jahr. Wir machen in unserem Antrag
Vorschläge, wie man dem vorgreifen und Menschen unterstützen kann, damit es gar nicht erst zu den Versuchen
kommt. Ich finde es fast ein bisschen armselig, dass Sie
uns aufzählen, was es alles gibt. Das, was es gibt, verhindert derzeit nicht 100 000 Versuche und 10 000 vollendete
Suizide.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, mit dem Verein AGUS
- Angehörige um Suizid - Kontakt aufzunehmen.
({0})
Besuchen Sie einmal die Jahrestagung, und hören Sie
sich das Leid der Angehörigen und die Lebensgeschichten an, die dahinterstecken. Danach sollten Sie noch einmal über ein solches Programm nachdenken oder darüber, was Sie hier von sich gegeben haben. Ich finde
das, wie gesagt, ein bisschen armselig und bitte Sie,
doch etwas konstruktiver an das Thema heranzugehen.
({1})
Liebe Frau Kollegen Scharfenberg, wenn Sie mir genau zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich das gar
nicht in Abrede gestellt habe. Ich habe vielmehr gesagt,
dass die Zahlen stimmen. Darüber sind wir nicht uneins;
da gibt es gar keinen Dissens. Ich habe lediglich gesagt,
dass Sie in Ihren Anträgen die Thematik gegebenenfalls
ein bisschen ganzheitlicher betrachten sollten.
({0})
Ich kann Ihnen konkrete Beispiele nennen. Beispielsweise fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregierung
auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Schwerpunkt auf eine Gesundheitsförderung in den Alltagswelten legt. Wir haben doch über das Präventionsgesetz diskutiert. Im Grunde haben wir genau das gemacht, was
Sie fordern. Das Präventionsgesetz unterstützt Präventionsarbeit in den Lebenswelten. Sie haben konstruktiv
mitdiskutiert. Nun stellen Sie sich aber hierhin und tun
so, als wäre in diesem Bereich nichts passiert. Wie Sie
wissen, geben wir in diesem Bereich 500 Millionen Euro
mehr aus. 500 Millionen Euro! Das ist kein Pappenstiel.
Da Sie sagen, Eigenlob stinkt, habe ich ein Zitat der
Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Frau Professor Barbara Schneider, herausgesucht. Sie hat in einem Schreiben an Bundesminister
Gröhe das Präventionsgesetz ausdrücklich gelobt. Ich zitiere:
Das Präventionsgesetz für Deutschland stimmt
ganz besonders mit seinem fundamentalen Anspruch, die Prävention in der Breite der Gesellschaft zu etablieren, mit dem Anliegen und den
jahrzehntelangen Bestrebungen der Suizidprävention durch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention überein.
({1})
Herr Kollege Sorge, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?
Selbstverständlich.
({0})
Er macht sie alle sehr aufgeregt.
Ich bin überhaupt nicht aufgeregt. - Da Sie gerade das
Präventionsgesetz, das das Haus vor zwei Wochen verabschiedet hat, erwähnt haben, möchte ich Sie fragen, ob
es nicht ein berechtigtes Anliegen ist, wenn ein neues
Gesetz verabschiedet werden soll, in einem Antrag darauf zu drängen, dass beachtet wird, dass die Suizidprävention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, und
dieser Aspekt besonders berücksichtigt wird. Es ist kein
Beispiel für das Versagen eines Antrags, sondern ein
Zeichen dafür, wie ganzheitlich unser Antrag ist, wenn
gefordert wird, auch solche Aspekte aufzugreifen und in
neuen Gesetzen positiv zu berücksichtigen. Deswegen
lautet meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es notwendig ist, das Präventionsgesetz gesamtgesellschaftlich mit
Inhalt zu füllen, und zwar auch im Bereich der Suizidprävention?
Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es schon ein
Erfolg ist, dass wir das Präventionsgesetz verabschiedet
haben. Ich finde es aber schade, dass Sie damals die
Chance nicht genutzt haben, dem Gesetz, das wir erst
vor kurzem beschlossen haben, zuzustimmen. Gerade
bei Ihrem Ansatz hätte ich mir gewünscht, dass Sie gesagt hätten: Es ist super, dass wir ein Präventionsgesetz
machen; das unterstützen wir als Grüne. - Aber Sie sagen einfach: Nein, das gefällt uns nicht. Der eine Punkt
ist nicht richtig. An anderer Stelle könnte mehr getan
werden. Also stimmen wir gar nicht zu. - Das finde ich
nicht gut. Wenn selbst Experten wie Frau Schneider, die
ich eben zitiert habe, sagen, dass in diesem Bereich viel
passiert ist, dann können Sie doch nicht so tun, als wäre
überhaupt nichts geschehen. Es gehört zur Fairness dazu,
dass Sie zugeben, dass wir durchaus etwas getan haben.
({0})
Ich fahre mit meinen Ausführungen zu Ihrem Antrag
fort. Ich habe ihn mir genau durchgelesen. Es ist interessant, zu sehen, wie Sie bestimmte Sachverhalte auf sehr
unterschiedliche Weise begründen. So sagen Sie zum
Beispiel, im Bereich der Heil- und Gesundheitsberufe
müsse mehr getan werden, wohl wissend, dass wir uns
mitten in der Diskussion darüber befinden und eine Reform des Medizinstudiums vornehmen wollen. Die
Bund-Länder-Verhandlungen laufen.
({1})
- Ja, genau das ist der Punkt. Aber es ist schade, dass Sie
laufende Verhandlungen ignorieren und parlamentarische Verfahren offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen.
Sie haben die Palliativversorgung angesprochen. Das
ständige Wiederholen der Aussage, dass bereits laufende
Maßnahmen umgesetzt werden müssten, bringt uns nicht
weiter, sondern hält uns nur auf.
Ganz besonders interessant finde ich Ihre Forderung
nach Änderung der baurechtlichen Vorgaben. Sie fordern
die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die
Bundesländer ihre baurechtlichen Vorgaben dahin gehend überprüfen, inwieweit baurechtliche Regelungen
zur Suizidprävention berücksichtigt werden können. Als
Jurist finde ich das sehr interessant. Da das Baurecht in
die Kompetenz der Länder fällt, habe ich mir das Bauordnungsrecht der jeweiligen Bundesländer angeschaut,
insbesondere der Bundesländer, in denen Sie als Grüne
mitregieren, zum Beispiel das Baurecht von BadenWürttemberg, wo Sie als Grüne den Ministerpräsidenten
stellen. Trotz intensiver Suche habe ich keine entsprechende Regelung gefunden. Das gilt auch für NRW, NieTino Sorge
dersachsen, Rheinland-Pfalz und Bremen. Ich habe
nichts gefunden. Wenn Sie so etwas wollen, dann können Sie das in den Bundesländern, in denen Sie regieren,
schnell umsetzen. Aber dort machen Sie nichts. Stattdessen stellen Sie sich hier hin und werfen uns vor, nichts zu
machen, und fordern uns auf, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.
({2})
Lassen Sie uns konstruktiv darüber sprechen. Wir haben Ihren Antrag zur Kenntnis genommen. Wir werden
darüber diskutieren. Aber seien Sie auch konstruktiv,
und loben Sie uns einmal, wenn wir etwas umsetzen.
Das tut nicht weh.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Herzlichen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte erst
einmal - und das ganz ehrlich - Danke für den Antrag
sagen. Danke auch dafür, dass wir gerade heute darüber
sprechen können; denn im Grunde genommen greifen
Sie sozusagen den dritten Aspekt eines Themenfeldes
auf. Wir haben mit diesem Themenfeld nicht heute begonnen; denn das Hospiz- und Palliativgesetz, wenn ich
das einmal als ersten Aspekt bezeichnen darf - das will
ich aber gar nicht werten -, haben wir schon vorher in
die Diskussion eingebracht. Heute Morgen ist ganz häufig angesprochen worden, dass wir gerade bei der Frage
der Suizidprävention noch einmal hinschauen müssen.
({0})
Insofern danke ich durchaus dafür. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen sicher sagen: Wir werden das konstruktiv diskutieren.
Etwas anders als der Kollege Sorge bin ich auch
dankbar, dass Sie die Vorhaben der Bundesregierung
- ich bleibe bei dem Bereich der Psychiatrie; sehen Sie
mir das bitte nach - aufgegriffen haben und Sie mir insofern die Gelegenheit geben, das, was im Zusammenhang
mit dem Versorgungsstärkungsgesetz schon passiert ist
und was sich fast wortgleich zumindest in Teilen in Ihrer
Begründung wiederfindet, aufzugreifen. Es ist nämlich
genau das, was wir machen wollen und tatsächlich tun
und was im Hinblick auf Suizidprävention wirken wird.
Ich gebe Ihnen völlig recht - das haben wir sogar
schon im Koalitionsvertrag festgestellt -: Lange Wartezeiten im Bereich der Psychotherapie von drei, vier oder
mehr Monaten - damit ist nicht nur derjenige, der Suizidgedanken hat, gemeint, sondern es geht schon um den
Erstaufschlag von Patienten in entsprechenden Einrichtungen - können natürlich nicht sein. Aber wir haben mit
dem Versorgungsstärkungsgesetz die Bedarfsplanung,
wie Sie sie in der Begründung vorsehen, zur Überarbeitung in Auftrag gegeben, und zwar kleinräumig, sodass
genau in den Regionen, in denen wir Probleme haben
- wir haben nicht in allen Regionen Probleme, es gibt
auch anders aufgestellte Regionen -, der Zugang besser
möglich wird, weil wir dort über mehr Angebote der
Psychotherapie verfügen.
({1})
Ich bin froh, dass unsere Anträge schon zum 10. Juni
vorlagen, als Ihr Antrag gestellt wurde. Wir haben auch
die Sprechstunde schon vorgesehen, die Sie in Ihrem
Antrag ansprechen; denn auch das ist bereits Teil der
Vorgaben, die wir zur Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie machen, weil eine Akutsprechstunde, eine
Sprechstunde, in die man sofort gehen kann, natürlich
ganz wichtig ist. Ich bin mir ganz sicher, dass das alles
Maßnahmen sind, die im Bereich der Suizidprävention
wirken werden.
({2})
An denen müssen wir weiterarbeiten, wenn die Ergebnisse vorliegen. Aber das muss jetzt erarbeitet werden.
Ich will aber nicht verhehlen, dass in Ihrem Antrag
eine Reihe von Punkten ist - auch da bleibe ich bei der
Psychiatrie -, die ich als eine sehr interessante Ergänzung empfinde. Ich will als einen Aspekt den Bereich
der aufsuchenden Psychotherapie ansprechen, den Sie
gerade für die Seniorinnen und Senioren vorsehen. Das
halte ich durchaus für eine Frage, über die man ganz sicher diskutieren muss.
({3})
Dass wir bei der Frage der Vernetzung ganz sicher
- da sind wir wieder an dem Punkt, an dem wir uns fragen, um wen es sich eigentlich handelt - noch dringenden Nachholbedarf haben - Stichwort Gemeindepsychiatrie -, haben wir schon bei der Diskussion über PEPP
angesprochen.
({4})
Wir haben auch schon den Punkt Depression aufgegriffen. Ich verweise auf das strukturierte Behandlungsprogramm. Ich glaube, das gab es noch nie, dass sich so
etwas in einem Koalitionsvertrag wiedergefunden hat
und dann auch gleich in ein Gesetz gegossen worden ist.
Wir haben uns also auch mit dem Bereich Depression
befasst, und das ist ganz sicher ein Bereich, auf den wir
noch einmal genauer schauen müssen.
Wir werden darüber diskutieren, wir werden auch
über das, was Sie angesprochen haben, diskutieren. Wir
werden uns mit der Sache ausführlich beschäftigen. Bei
aller Diskussion, die wir hier hatten: Die Verhinderung
von Suizidversuchen und damit letztendlich die Verhinderung von Suiziden, das Schaffen von Möglichkeiten,
damit sich Menschen bei uns, wenn sie solche Gedanken
haben, schnell und unproblematisch Hilfe beschaffen
können, ist ein ganz zentraler Punkt. Ich glaube, wir sollten da weiter am Ball bleiben. Ich freue mich auf die
weiteren Diskussionen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt Rudolf Henke, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sieht an der Diskussion, wie unterschiedlich der gleiche Text ausgelegt
und interpretiert werden kann. Aber nachdem wir heute
Morgen zu dieser Thematik, wenn auch mit unterschiedlichen Positionierungen, vier fraktionsübergreifende Initiativen diskutiert haben, fragt man sich natürlich ein
ganz klein bisschen - ich finde, das ist nicht total illegitim -: Woran liegt es, dass sich eine Fraktion am Nachmittag, statt eine fraktionsübergreifende Initiative zu entwickeln, auf die Fahnen schreiben will: „Wir sind
diejenigen, die die Suizidprävention verbessern und
Menschen in Krisen unterstützen wollen, und die anderen fertigen wir damit ab - jedenfalls wenn sie uns ein
bisschen kritisch begegnen -, sie hätten daran kein Interesse“?
({0})
- Doch, verehrte Frau Klein-Schmeink. - Diese Frage
muss auch zu Zeiten eines Münsteraner Oberbürgermeisterwahlkampfes gestattet sein. Ich bitte sehr um
Verständnis dafür, dass das in meiner Wahrnehmung
nicht komplett zum heutigen Vormittag passt.
Aber sei es, wie es sei. Ich finde, eine zweite Bemerkung ist viel wichtiger. Wir fangen nicht beim Punkt null
an. Ich will daran erinnern, dass wir Anfang der 1980erJahre fast 19 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in
Deutschland hatten. Wir hatten Anfang der 1990er-Jahre
round about 14 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in
Deutschland. Wir hatten Anfang des neuen Jahrtausends,
also Anfang der 2000er-Jahre, rund 11 000 Suizide im
Jahr in Deutschland, und in diesem Jahrzehnt pendelt
diese Zahl um die 10 000. Es ist also nicht so, als wäre
da nichts geschehen, als wäre niemand da gewesen, der
versucht hätte, die Hand zu reichen und die Selbsttötung
einzudämmen. Es ist auch ein Erfolg, dass das Durchschnittsalter, in dem Selbsttötungen eintreten, von 53,2
Jahren 1998 inzwischen auf 56,9 Jahre gestiegen ist. Ich
finde, das muss man auch deswegen sagen, weil sonst
der Eindruck vermittelt wird, als würden all die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren, praktisch fruchtlos und erfolglos arbeiten, und das ist nicht der Fall.
({1})
Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch ist einer zu viel,
und insbesondere ist jeder erfolgreiche Suizid einer zu
viel. Wenn man dem begegnen will, muss man sich ein
bisschen mit der Frage auseinandersetzen: Wo ist das
Ganze denn insbesondere eine Herausforderung? Wenn
man die Daten analysiert, zeigt sich, dass insbesondere
der Suizid im hohen Alter in einer Einsamkeitssituation
und in einer Situation psychischer Krankheit der Suizid
ist, der besonders häufig Ansatzpunkte für Hilfe aufweist. Es ist so, dass der häufigste Ort des Suizids nicht
die Brücke ist, nicht das Gleis ist, sondern die häusliche
Umgebung. Die häufigste Art und Weise des Suizids ist,
sich zu erhängen. Das gilt insbesondere für die alten
Männer.
Insofern muss man an diesem Punkt die Frage stellen,
ob die Art, wie wir über Alter reden - das schlägt auch
die Brücke zur Debatte heute Morgen -, wie wir mit der
Bedeutung eines Menschen, der in die Jahre kommt, umgehen, nicht mit einer gesellschaftlichen Aufgabe einhergeht, die Rollen ganz anders zu interpretieren. Ich
glaube, dass wir an dieser Stelle individuell erreichen
müssen, dass die Not, die einer hat, erkannt wird und
dass Entlastung geschaffen wird; das ist Ziel und Aufgabe von Suizidprävention. Es ist aber auch Aufgabe
von Suizidprävention, über das hohe Lebensalter anders
zu sprechen und Menschen das Gefühl zu nehmen, sie
seien nutzlos, nicht gebraucht und von niemandem mehr
angesehen.
Ich glaube, an dieser Stelle gibt es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir in den gesamten Debatten über den demografischen Wandel auch thematisieren;
({2})
aber wir sind noch nicht so weit vorgedrungen, wie wir
es tun müssen.
({3})
So wie wir über junge Menschen wissen, dass ihre
psychische Gesundheit durch Resilienz stabiler wird und
dass wir eine Resilienzförderung als einen Teil der Gesundheitsförderung betreiben müssen, so gilt, glaube ich,
auch, den älteren Menschen widerstandsfähiger gegen
die Krisen zu machen, die ihn im Leben treffen. Machen
wir uns nichts vor: Das Leben ist kein Ort, keine Situation, in der die Politik den Menschen versprechen kann:
Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. Freunde sterben. Ehepartner sterben. Lebensentwürfe gehen zu
Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Menschen verlieren ihre Gesundheit. Menschen verlieren
ihre Wohnung. Menschen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen. Auf den Mitmenschen in einer solRudolf Henke
chen Situation zuzugehen, das ist eine Aufgabe, die wir
nicht hier im Bundestag werden lösen können; die werden wir nur dadurch lösen können, dass wir davon sprechen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu begegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man
formulieren muss.
Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesystemen tätig sind, dadurch zu stärken, dass man besser
untersucht, besser erforscht, welche Formen von Suizidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am
besten verhütet werden können, dann hat man auch der
Prävention, glaube ich, sehr aufgeholfen. Das sollten wir
möglichst gemeinsam entwickeln. Dazu bedarf es eigentlich keiner profilierenden Anträge. Aber der Antrag
ist jetzt da. Gut, dass er da ist. Nehmen wir ihn zum Anlass, ihn dann im Ausschuss zu diskutieren! Dann werden wir sehen, ob wir zu einer gemeinsamen Beschlussfassung gelangen oder nicht.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
({4})
Vielen Dank. - Wir sind damit am Schluss der Debatte angelangt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5104 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die
umweltverträgliche Entsorgung von Elektround Elektronikgeräten
Drucksache 18/4901
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/5412
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ressourcenschutz und ein sparsamer Umgang mit Ressourcen sind in einer Welt mit über 7 Milliarden Menschen, mit wachsendem Konsum und wachsendem
Wohlstand unerlässlich. Wir müssen die Ressourcen verantwortungsvoll nutzen, und das gelingt am besten, indem sie nicht einfach verbraucht und entsorgt, sondern
indem sie zurückgewonnen und wieder genutzt werden.
Die gewaltigen Mengen von Elektro- und Elektronikaltgeräten sollen deshalb nicht unsere Müllberge vergrößern, sondern gerade unter Ressourcenschutzaspekten
genutzt werden.
Es geht dabei vor allem um die Rückgewinnung von
umweltrelevanten Metallen aus diesen Geräten. Deshalb
haben wir eine Novelle des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, die Effizienz der bestehenden Erfassungs- und Entsorgungsstrukturen weiter zu steigern, um einen größeren Anteil
wertvoller Metalle aus den Altgeräten zurückzugewinnen, den illegalen Export von Altgeräten ins Ausland zu
unterbinden oder mindestens zu minimieren und um so
dann die schädlichen Auswirkungen der Entsorgung von
Elektro- und Elektronikaltgeräten insgesamt weiter zu
verringern.
({0})
Wir haben in Deutschland bei der Rücknahme und
Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten eine
geteilte Produktverantwortung. Diese geteilte Verantwortung ist ein Erfolgsmodell und soll mit dem Gesetz
weiterentwickelt werden, um den Vorgaben der EU mit
Blick auf die Sammlung und das Recycling zu entsprechen und um die Ressourceneffizienz unserer Wirtschaft
insgesamt zu verbessern.
Wir wollen erreichen, dass weniger Altgeräte im
Restmüll landen. Dabei sind vor allem die Bürgerinnen
und Bürger gefragt. Es ist allerdings unsere Aufgabe, für
Rahmenbedingungen zu sorgen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine einfache und unkomplizierte
Rückgabe von Altgeräten ermöglichen. Dafür wird ein
dichtes Netz an Sammelstellen gebraucht. Das bringt
den Handel mit seiner räumlichen Nähe zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Blickfeld.
Der Gesetzentwurf sieht daher eine Rücknahmepflicht für Elektro- und Elektronikaltgeräte durch große
Handelsgeschäfte und durch Internetvertreiber unter bestimmten Bedingungen vor. Wenn es uns gelingt, durch
ein einfacheres Rücknahmesystem größere Mengen an
Elektro- und Elektronikaltgeräten in die ordnungsgemäße Entsorgung zu bekommen, dann ist das auch ein
entscheidender Beitrag, um die illegale Verbringung von
Altgeräten ins Ausland, insbesondere auf den afrikanischen Kontinent, einzudämmen. Dieses Ziel wird
entsprechend den europäischen Vorgaben auch dadurch
umgesetzt, dass wir Mindestanforderungen an die Verbringung festlegen und die Beweislast umkehren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in den vergangenen Wochen
möchte ich gerne noch auf zwei Punkte eingehen.
Der Gesetzentwurf fällt mit Blick auf die Vorbereitung zur Wiederverwendung nicht hinter den Status quo
zurück. Es wird zukünftig möglich sein, Elektro- und
Elektronikaltgeräte bereits vor dem Transport auf die
Möglichkeit zur Vorbereitung der Wiederverwendung zu
prüfen und damit möglichen weiteren Beschädigungen
vorzubeugen. Die Möglichkeit der Wiederverwendung
steht auch hinter den Regelungen zur Entnahme von Batterien und Akkumulatoren, die nicht vom Altgerät umschlossen sind.
Bei allem Verständnis für weitergehende Forderungen
zur Entnehmbarkeit von Batterien und Akkumulatoren:
Solche weitergehenden Anforderungen können aus binnenmarktrechtlichen Gründen nicht getroffen werden.
Diese sind auf EU-Ebene in der Ökodesign-Richtlinie
festzulegen. Das sieht auch die WEEE-Richtlinie ausdrücklich vor. Hier sollten wir alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um entsprechende Diskussionen
auf der EU-Ebene noch mehr als bisher anzustoßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Materie ist natürlich vielschichtig. In einzelnen Bereichen bestehen
auch hier Zielkonflikte. Das hat nicht zuletzt die öffentliche Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 17. Juni ergeben. Die Bundesregierung hat
in ihrem Entwurf die vielen Vorschläge abgewogen und,
wie ich meine, einen ausgewogenen Kompromiss vorgelegt.
Durch die Maßgabebeschlüsse des Umweltausschusses wird zudem sichergestellt, dass weitere wichtige
Punkte im Gesetz adressiert werden können. Das gilt
zum Beispiel für die Berücksichtigung gefahrgutrechtlicher Anforderungen oder auch für Anforderungen an
den Schutz personenbezogener Daten bei der Vorbereitung zur Wiederverwendung von Altgeräten. Gerade
auch hinsichtlich dieser Ergänzungen möchte ich mich
für die konstruktive Befassung in den Ausschüssen bedanken. Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf.
({1})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke hat Herr
Kollege Ralph Lenkert das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Koalitionäre, echt Wahnsinn, fast zwei
Jahre haben Sie am neuen Gesetz für Elektroaltgeräte
herumgemurkst.
({0})
Das ist, wie treffend, Schrott.
({1})
Sie schwadronieren über die Produktverantwortung der
Hersteller und benachteiligen eiskalt die Kommunen.
Nun müssen die Kommunen auf Wertstoffhöfen Altgeräte annehmen und in getrennten Behältern sortieren, einen für Fernseher und Radios, einen für Waschmaschinen und Geschirrspüler, einen für Kühlschränke, einen
für Handys und Wasserkocher, einen für Photovoltaikmodule. Und das alles sollen die kommunalen Abfallbetriebe für die privaten Entsorger erledigen - kostenlos.
Warum lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger über die
Müllgebühren diese Kosten tragen und nicht die Produktverantwortlichen, die Privaten?
({2})
Mit alten Elektrogeräten wird bei den derzeitigen
Rohstoffpreisen viel Geld verdient. Die Linke will, dass
dieses Geld dann auch den öffentlichen Abfallbetrieben
zufällt; denn damit könnten Müllgebühren sinken.
({3})
Ich wundere mich sehr, dass Sie von SPD und Union gegen niedrigere Müllgebühren sind und die Gewinne lieber privaten Konzernen zuschanzen. Obwohl: eigentlich
typisch für Sie!
({4})
Schauen wir doch einmal, ob diese Gesetzesänderung
wenigstens der Umwelt hilft. Klares Nein! Nichts findet
sich zur längeren garantierten Nutzungszeit von Geräten,
wie es die Linken und die Grünen fordern, beispielsweise für Waschmaschinen, die mindestens fünf Jahre
halten, für Drucker, die auch nach 10 000 Blatt noch drucken. Das wäre toll für die Umwelt, gut für unser aller
Geldbeutel, aber eben schlecht für die Umsätze der Konzerne. Deshalb hat die Koalition diese garantierten Nutzungszeiten verhindert. Das ist wiederum typisch für
Sie.
({5})
Sie von Union und SPD setzen noch einen drauf. Ich
zitiere aus dem Gesetz den Abschnitt zu den Erfassungsquoten:
… soll jährlich eine Mindesterfassungsquote von
45 Prozent gemessen an dem Gesamtgewicht der
erfassten Altgeräte im Verhältnis zum Durchschnittsgewicht der Elektro- und Elektronikgeräte,
die in den drei Vorjahren in den Verkehr gebracht
wurden, erreicht werden.
Haben Sie es verstanden? Beispielhaft bedeutet dies
für meine Heimatstadt Jena: Wenn im Jahr 2015 2 200
Waschmaschinen verkauft werden, im Jahr 2016 dann
2 400 und 2017 wieder 2 200, dann müssten nach diesem Gesetz in Jena im Jahr 2018 insgesamt 2 970
Waschmaschinen entsorgt werden. Laufen die Waschmaschinen jedoch länger als zwei Jahre, gibt es für die
Stadt und auch für die Hersteller keine Chance, das Gesetz einzuhalten. Die armen Hersteller müssen also Geräte bauen, die schnell entsorgt werden, sonst verfehlen
sie die Quote. Diese Quotenregelung ist gut für die Umsätze, schlecht für die Umwelt, einfach Schwachsinn.
({6})
Vor allem aber darf es keine Doppel- und Mehrfachstrukturen bei der Entsorgung von Elektroaltgeräten geben. Diese wären bürokratische, ineffiziente Monster
wie die dualen Systeme bei den Verpackungen. Die duaRalph Lenkert
len Systeme brauchen rund 500 Millionen Euro pro Jahr
allein für ihre Bürokratie, aber sie setzen nur rund
400 Millionen Euro pro Jahr für das Sammeln und Verwerten der Verpackungen ein. Und dann schafft die
Koalition mit diesem Gesetz ein neues duales Systemmonster im Elektrogerätebereich! Das ist knallharte
Lobbyarbeit für Konzerne, und da machen wir Linken
nicht mit.
({7})
Entgegen Ihren häufigen Vermutungen hat die Linke
Lösungen für ein Elektroaltgerätegesetz, die ich hiermit
anbiete: Erstens. Die Verantwortung für Erfassung und
Verwertung von Elektroaltgeräten muss den öffentlichrechtlichen Entsorgern übertragen werden. Zweitens.
Die Hersteller müssen längere Nutzungszeiten für ihre
Geräte garantieren. Drittens. Die Inverkehrbringer von
Geräten müssen für das Sammeln und Entsorgen der Altgeräte eine Entsorgungsabgabe zahlen. Viertens. Statt
starrer Quoten führen wir eine Pfandpflicht für alle Elektrogeräte ein. Fünftens. Die Gewinne aus Wiederverwendung und Recycling werden zur Senkung der Müllgebühren verwendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union,
fragen Sie doch einmal Ihre Bürgermeisterinnen und
Landräte, ob sie gern die Müllgebühren senken würden.
Ich sage Ihnen voraus: Mit diesem Gesetz und den dadurch hervorgerufenen Müllgebührensteigerungen werden Sie wenig Verständnis bei Ihren Kolleginnen und
Kollegen im Lande erreichen. Das können Sie jetzt noch
ändern. Schließen Sie sich einfach unseren Vorschlägen
und dem Entschließungsantrag der Grünen an! Verabschieden wir gemeinsam ein besseres Elektroaltgerätegesetz!
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Thomas
Gebhart, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Große Mengen von Elektro- und Elektronikgeräten werden jedes Jahr in unserem Land verkauft - wir
reden hier über eine Größenordnung von rund 1,6 Millionen Tonnen -, und es stellt sich die Frage: Was geschieht mit diesen alten Geräten, die nicht mehr gebraucht werden, die kaputt sind, nicht mehr repariert
werden? Diese werden heute zu einem guten Teil gesammelt und recycelt. Aber zur Wahrheit gehört eben auch:
Da ist noch viel Luft nach oben. Ein großer Teil dieser
Geräte landet nach wie vor in der Restmülltonne, und ein
Teil des Elektroschrotts verschwindet im Ausland. Dies
wollen wir ändern, und wir werden es ändern mit diesem
Gesetz, das heute zur Abstimmung vorliegt.
({0})
Was sind die Ziele unseres Gesetzes? Wir wollen,
dass möglichst viele alte Elektrogeräte zurückgegeben
werden. Wir wollen, dass möglichst viele davon recycelt
werden. Wir wollen, dass die Schadstoffe nicht in die
Umwelt gelangen. Wir wollen, dass wertvolle Rohstoffe
zurückgewonnen werden. Kupfer, Aluminium und
Kunststoffe - um nur ein paar Beispiele zu nennen müssen in den Kreislauf zurück. Das macht umweltpolitisch Sinn. Das macht wirtschaftspolitisch Sinn, und
zwar gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland.
Technologisch ist bereits heute eine ganze Menge
möglich. Die deutschen Unternehmen haben moderne
Recyclingtechnologien entwickelt. Ich selbst habe mir
vor kurzem eine solche Anlage angesehen. Es ist absolut
faszinierend, wenn man einmal sieht, wie alte Fernsehgeräte, Toaster und vieles andere in Einzelteile zerlegt
werden und die Rohstoffe herausgeholt werden. Ich bin
mir sicher: Dieses Gesetz wird einen Schub geben zu
noch mehr technologischer Innovation. Wir werden die
deutsche Vorreiterrolle in diesem Bereich stärken.
({1})
Unser Ziel ist es also, die Kreisläufe auch im Bereich
der Elektrogeräte besser zu schließen. Wir wollen dieses
Ziel in einer Art und Weise erreichen, die es dem Bürger
möglichst einfach macht. Wir wollen das Gesetz verbraucherfreundlich machen. Es ist in dieser Legislaturperiode eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben
im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Wir setzen europäische Vorgaben um, und wir setzen unseren Koalitionsvertrag um.
Was sieht dieses Gesetz ganz konkret vor? Ich will
drei aus unserer Sicht besonders wichtige Punkte nennen:
Erster Kernpunkt, Rücknahmepflicht des Handels.
Wir wissen: Bereits heute nehmen viele Geschäfte
- kleine wie große - kundenfreundlich freiwillig alte
Geräte zurück. Künftig wird es eine Rücknahmepflicht
in großen Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr
als 400 Quadratmetern geben. Kauft also jemand ein
neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes Gerät zurückgeben. Kleine Altgeräte mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge müssen auch dann zurückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Diese
Rücknahmepflicht gilt auch für Händler, die über das Internet verkaufen. Dadurch vermeiden wir, dass Wettbewerbsnachteile für den stationären Handel entstehen.
Ausgenommen von dieser Rücknahmepflicht sind kleine
und mittelständische Geschäfte mit weniger als
400 Quadratmetern Verkaufsfläche. Diese wollen wir
nicht überfordern. Selbstverständlich können sie auch
weiterhin freiwillig zurücknehmen.
Ungeachtet der Rücknahmepflichten des Handels
bleiben die bewährten Erfassungs- und Entsorgungsstrukturen bei den kommunalen Einrichtungen erhalten.
Sie werden verbessert. Der Bürger erhält also eine zusätzliche Möglichkeit, seine Geräte zurückzugeben.
Zweiter Kernpunkt. Die Vorgaben, wie viel Prozent
der anfallenden Altgeräte erfasst werden müssen, werden erhöht: zunächst auf 45 Prozent, später dann auf
65 Prozent. Neben dieser Erfassungsquote werden auch
die Recyclingquoten erhöht, das heißt, mehr Geräte werden recycelt.
Dritter Kernpunkt. Wir dämmen illegale Exporte von
Elektroschrott ein. Bisher mussten die Behörden nachweisen, dass es sich um Elektroschrott handelt. Jetzt gibt
es eine Beweislastumkehr: Will jemand Elektrogeräte
ausführen, muss er künftig nachweisen, dass die Geräte
noch funktionieren, dass es sich also nicht um Abfälle
handelt.
Das, meine Damen und Herren, ist uns wichtig, weil
es nicht hinnehmbar ist, dass unsere ausgedienten Fernseher, Mikrowellengeräte und Teile von Kühlschränken
in großen Mengen auf den Müllhalden in Ghana oder in
anderen Ländern Afrikas landen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Abfälle dort erhebliche Probleme verursachen, und zwar für Mensch und Umwelt. Das dürfen
wir nicht zulassen.
({2})
Das sind drei Kernpunkte, die uns wichtig sind. Die
Grünen haben in einem Änderungsantrag gefordert, dass
Geräte so zu gestalten sind, dass Batterien ausgetauscht
werden können. Ich will ausdrücklich sagen: Diese Zielrichtung ist nicht falsch. Das Problem ist aber, dass wir
eine solche Regelung nur europäisch erlassen können.
Wir können es rein national nicht. Darüber gehen Sie in
Ihrem grünen Antrag einfach hinweg.
Die europäische Vorgabe, die wir umsetzen müssen,
sieht unter anderem vor, dass die Kategorien für Elektrogeräte ab dem Jahr 2018 neu eingeteilt werden. Meine
Damen und Herren, das verursacht erheblichen bürokratischen Aufwand ohne erkennbaren Nutzen. Ich kann
keinen Mehrwert dieser Regelung erkennen; das muss in
diesem Zusammenhang kritisch angesprochen werden.
Ich halte diese EU-Regelung für mehr als fragwürdig.
Wir haben dies kritisiert, und wir werden dies weiter thematisieren.
Wir haben im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sehr gründlich über die verschiedenen Punkte debattiert. Wir haben eine Sachverständigenanhörung
durchgeführt. Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner wichtige Punkte durchgesetzt. Ich will nur
vier kurz ansprechen:
Erster Punkt. Die Anforderungen an die Erstbehandlung von Altgeräten - das ist mit Blick auf die Qualität
des Recyclings wichtig - werden nun festgeschrieben.
Zweiter Punkt. Die Kommunen werden bei den Mitteilungspflichten deutlich entlastet. Dies war Teil unseres Änderungsantrages und liegt damit heute ebenfalls
zur Abstimmung vor.
Dritter Punkt. Es wurde auch in der Anhörung mehrfach zu Recht darauf hingewiesen, dass Geräte mit bestimmten Batterien von anderen Geräten getrennt werden müssen, die keine Batterien haben, und zwar wegen
der Brandrisiken. Daher ist nun vorgesehen, dass es für
diese Geräte eigene Behältnisse gibt.
Vierter Punkt, Stichwort: Mobiltelefone. Inzwischen
liegen in Deutschland mehr als 100 Millionen alte Handys in den Schubladen. Die Frage ist: Warum geben die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land die alten Geräte
nicht zurück? Ich vermute, dass das wesentlich damit zusammenhängt, dass es schlicht und ergreifend die Sorge
gibt, dass die Daten auf den Handys in falsche Hände geraten könnten. Also ist für uns die Konsequenz: Wenn
diese Geräte wiederverwendet werden können oder sollen, dann ist der Schutz personenbezogener Daten von
allergrößter Relevanz. Deshalb haben wir jetzt Anforderungen an den Datenschutz verankert. Wir legen großen
Wert darauf, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten.
({3})
Meine Damen und Herren, kurzum: Dieses Gesetz
bringt uns im Hinblick auf unser Ziel, die Kreisläufe
besser zu schließen, Ressourcen zu schonen und Abfälle
verstärkt als Rohstoffquelle zu nutzen, effektiv weiter.
Deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als Nächster hat der Kollege Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über etwas, was
jeder von uns ständig mit sich herumschleppt: Elektroschrott, Handys, Fernseher, Kühlschränke, Laptops.
({0})
- Na gut, Kühlschränke schleppen wir nicht mit uns herum, aber wir haben sie auch.
({1})
Warum reden wir heute darüber? Es gibt immer mehr
Elektronik um uns herum, immer mehr Müll. Wir haben
die Mengen gehört: 600 000 Tonnen allein in Deutschland, weltweit schätzungsweise 40 Millionen Tonnen.
Kollege Gebhart hat es gerade angesprochen: Laut
BITKOM liegen 100 Millionen Althandys in unseren
Schubladen. Das heißt, wir haben es mit einem Problem
von ausreichender Relevanz zu tun.
Warum ist Recycling dabei so ein wichtiger Aspekt?
In Handys und all den anderen Geräten finden sich wertvolle Metalle wie Gold oder Silber. In einer Tonne Elektroschrott findet sich beispielsweise sehr viel mehr Gold,
als man in einer entsprechenden Menge Erz finden
würde. Insofern ist es durchaus ein interessantes Thema.
Die Rohstoffe werden in der Regel nicht bei uns abgebaut und gewonnen, sondern in China, Südamerika
und Afrika, zum Teil mit verheerenden Umweltauswirkungen. Die Minenarbeiter leiden darunter, die sozialen
Kosten sind viel zu hoch. Es gibt Menschen, die sagen:
Mit den ersten Bäumen, die gefällt werden, beginnt die
Kultur. Mit den letzten Bäumen, die gefällt werden, endet sie. - Wenn man in manche Minengebiete fährt, dann
könnte man glauben, die Kultur wäre da schon zum Erliegen gekommen.
Insofern sollten wir - das besagt ja auch der Gesetzentwurf - sparsam mit den Rohstoffen umgehen und die
Geräte möglichst lange nutzen.
({2})
Es ist ja richtig, dass die Inhaltsstoffe zurückgewonnen
werden sollen, wenn die Geräte kaputt sind und nicht
mehr repariert werden können. Doch in dem Gesetzentwurf gehen Sie nicht weit genug. Es muss doch auch darum gehen: Wie können wir die Geräte vernünftig designen?
({3})
Wir Grüne sind überzeugt, dass wir nicht erst beim
Schrott anfangen sollten, sondern mit Ökodesign und
Produktverantwortung, also viel früher. Der vorliegende
Gesetzentwurf regelt hier zu wenig.
({4})
Batterien und Akkus austauschen zu können, ist wichtig,
auch wenn es manchmal nicht einfach ist, das rechtlich
umzusetzen. In der Anhörung wurde immer wieder ein
zentraler Punkt betont: Die Ressourcen sind knapp, und
es kommt darauf an, dass wir die Produkte länger nutzen
können, als manche Akkus halten.
Warum gehen Sie die Herausforderung nicht an? Immer nur darüber zu schimpfen, dass Geräte zu schnell
kaputtgehen - eine Statistik des Umweltbundesamtes hat
bestätigt, dass die Elektrogeräte immer kürzer genutzt
werden -, das bringt nichts. Es hilft nicht, wenn man das
nur deklamiert.
({5})
Vielmehr müssen wir Ansprüche an die Hersteller formulieren.
Qualität fällt nicht einfach vom Himmel, Produktdesign entsteht nicht einfach so, und geplante Obsoleszenz
können wir nicht länger negieren.
({6})
Geräte, in denen Sollbruchstellen eingebaut werden, damit sie schneller kaputtgehen - das nervt nicht nur die
Nutzer, die unnötige Kosten und Ärger damit haben,
sondern das führt auch zu einer Wegwerfgesellschaft, die
wir Grüne so nicht wollen.
({7})
- Ja, schön. Genau deshalb, Frau Nissen, haben wir im
Umweltausschuss konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt. Wir haben die Erkenntnisse aus den Anhörungen
aufgenommen, um den Gesetzentwurf zu verbessern, damit wir vielleicht doch noch zustimmen können.
Lassen Sie mich einige Aspekte nennen. Erstens. Batterien sollen auswechselbar sein. Zweitens. Geräte, die
noch funktionieren, sollen aussortiert werden können,
sodass sie weiter genutzt werden können, und das nicht
nur beim Einsammeln, sondern das muss an allen Stellen
des Prozesses funktionieren. Respektieren Sie endlich
die EU-Abfallhierarchie, die genau das vorschreibt:
Weiterverwendung und weitere Nutzung gehen vor Recycling.
({8})
Der dritte Aspekt - Kollege Gebhart hat es angesprochen -:
Onlinehandel und Discounter sollen einbezogen werden.
Das ist im vorliegenden Gesetzentwurf mitnichten der
Fall. Wer weist denn einem Onlinehändler nach, dass er
400 Quadratmeter Verkaufsfläche hat? Warum bietet
man den großen Discountern, die viel Elektroschrott auf
den Markt bringen, der nicht darauf ausgelegt ist, möglichst lange zu halten, immer wieder Schlupflöcher, um
die Regelungen des Gesetzes zu umgehen? Das muss
nicht sein.
({9})
Im Ausschuss haben Sie alle unsere Vorschläge abgelehnt. Das ist für uns ein Skandal. Das führt dazu, dass
wir Ihrem Gesetzentwurf so nicht zustimmen können.
Denn er führt zu einem Weiter-so. Er führt zu Verschwendung und dazu, dass Geräte viel zu schnell und in
immer kürzerer Zeit kaputtgehen. Das ist das Gegenteil
von nachhaltig. Das fördert weiterhin die Ausbeutung
der planetaren Ressourcen. Wir leben längst über unsere
Verhältnisse. Das geht zulasten der Ärmsten und nachfolgender Generationen.
Die Regierung verpasst wieder einmal eine Chance,
etwas gegen Verschwendung und für besseren Umweltschutz zu tun. Warum haben Sie nicht den Mut, durch
ein Handypfand einen echten wirtschaftlichen Anreiz zu
schaffen, ausgesonderte Geräte einzusammeln?
({10})
Das ist ein einfaches Prinzip. Wir wissen aus anderen
Bereichen, dass es funktioniert. Warum tun Sie es nicht?
Unsere Vorschläge finden sich in unserem vorliegenden Entschließungsantrag wieder. Geben Sie sich einen
Ruck, und stimmen Sie dieser Entschließung zu - Kollege Lenkert hat es auch schon empfohlen -; denn umweltpolitisch sind diese Maßnahmen unverzichtbar.
({11})
Eine Bemerkung noch zum Schluss. Dafür, dass Sie
diesen Gesetzentwurf mit anderthalb Jahren Verspätung
vorlegen, ist er erschreckend dünn. Er setzt letztlich nur
das um, was die EU vor anderthalb Jahren sowieso
schon vorgeschrieben hat. Da können wir in Deutsch11144
land angesichts unserer technologischen Möglichkeiten
und der politischen Maßnahmen, die wir ergreifen könnten, deutlich mehr.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Michael Thews.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der letzten Woche führte ich ein Gespräch mit einer jungen Studentin, die sich für das Thema Abfall interessierte. In dem Gespräch habe ich sie irgendwann
gefragt, wohin sie denn ihre alten Elektrogeräte, zum
Beispiel ihren Föhn oder ihren Wasserkocher, bringt,
wenn sie kaputtgehen. Sie ahnte schon, dass das eine
Fangfrage ist, und zögerte etwas. Irgendwann sagte sie:
Die gebe ich dem „Klüngelskerl“, der bei uns den Elektroschrott einsammelt. Der fährt bei uns durch die Siedlung und nimmt so ziemlich alles. - Diese kurze Unterhaltung hat mir zweierlei deutlich vor Augen geführt:
Zum einen ist es wichtig und richtig, dass wir die Entsorgung der Elektroaltgeräte verbraucherfreundlicher und
vor allen Dingen auch ortsnäher organisieren, und zum
anderen: Wir müssen noch einiges an Aufklärungsarbeit
leisten.
Diese Studentin ist sicherlich nicht die einzige, die
keine Lust hat, wegen einer elektrischen Zahnbürste
oder wegen eines alten Handys zum Wertstoffhof zu fahren, oder auch gar nicht weiß, dass die Geräte dort hingehören.
({0})
Viele werfen ihre alten Elektrogeräte einfach in die
graue Tonne, geben sie bei einem freundlichen Sammler
ab oder lassen sie gleich zu Hause.
Auf Basis dieses Gesetzes können die Bürgerinnen
und Bürger ihre Elektrogeräte dort zur Entsorgung zurückgeben, wo sie sie gekauft haben, nämlich im
Handel; auch der Onlinehandel wird in die Pflicht genommen. Natürlich ist es auch weiterhin möglich, beim
Wertstoffhof seine Geräte zurückzugeben. Ich meine,
das ist ein guter Schritt.
({1})
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir parallel
dazu dringend Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die
Bürgerinnen und Bürger brauchen einfach mehr Informationen über die Abfalltrennung im Allgemeinen und
über die Entsorgung von Elektroschrott im Besonderen.
Viele wissen schlicht nicht, wohin sie ihr altes Handy,
ihre Sparlampe oder ihren Toaster bringen sollen. Viele
wissen auch nicht, wie der Weg ihres alten Fernsehers
aussieht, wenn sie ihn einem freundlichen Händler - die
finden Sie teilweise vor den Wertstoffhöfen - in die
Hand drücken. Dieser Weg hat Folgen. Die sollten wir
uns einmal ansehen.
In Deutschland haben wir hervorragende Recyclinganlagen mit einem sehr hohen technischen Standard und
strenge Emissionswerte. Das ist aber nicht überall auf
der Welt so. Als Entwicklungsminister Gerd Müller im
Frühjahr dieses Jahres bei einem Besuch in Afrika den
Export des giftigen Elektroschrotts anprangerte, kam
eine der größten Elektromülldeponien der Welt am
Rande von Accra, in Ghana, wieder einmal in den Fokus. Hier versuchen hauptsächlich Kinder und Jugendliche, die im Elektroschrott enthaltenen wertvollen Rohstoffe zu gewinnen, indem sie die Plastikummantelung
von Kupferkabeln oder die Plastikgehäuse der Geräte
durch offenes Feuer zum Schmelzen oder zum Brennen
bringen. Dadurch können Dioxine entstehen, und es gelangen andere Umweltgifte wie Arsen und Quecksilber
in den Boden und in das Wasser - mit verheerenden Folgen für die Menschen vor Ort. Viele der dort unsachgemäß deponierten oder recycelten Geräte sind illegale
Exporte aus Europa, auch aus Deutschland. Defekte Geräte werden als noch funktionstüchtig deklariert und
nach Asien oder Afrika verschifft. Dies wird nach dieser
Novelle, mit der die Umkehr der Beweislast verbunden
ist, schwieriger. Ich meine, das ist ein wichtiger Schritt.
({2})
Im parlamentarischen Verfahren haben wir auch eine
Veränderung zugunsten des Datenschutzes aufgenommen; sie wurde hier schon kurz angesprochen. In einer
Verordnung zur Regelung der Anforderungen an die
Vorbereitung zur Wiederverwendung - die Wiederverwendung ist ein wichtiger Schritt zur Abfallvermeidung soll der Schutz der personenbezogenen Daten berücksichtigt werden. Jetzt fragen Sie vielleicht: Warum ist
das überhaupt nötig? Mittlerweile gibt es immer mehr
Geräte, die unsere Daten speichern. Das kann die Uhr
sein, das kann das Handy sein, das kann aber auch die
Festplatte sein. Vielleicht zögert der eine oder andere,
seine Geräte zur Entsorgung zu geben, weil er nicht sicher sein kann, dass diese Daten vor einer Wiederverwendung vollständig gelöscht werden. Ich finde, auch
dies ist ein richtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf unternehmen.
({3})
Natürlich nehme ich die Kritik der Opposition zur
Kenntnis. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass wir
mit diesem Gesetz einen vernünftigen Schritt hin zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft unternehmen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei den Mitarbeitern
des Ministeriums und bei den Kolleginnen und Kollegen
von der CDU recht herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, gerade in der letzten
Sitzungswoche vor der Sommerpause kann man das hier
ruhig einmal sagen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Schätzungen zufolge - wir haben es von
vielen Rednern schon gehört - landen jedes Jahr 150 000
Tonnen Elektrokleingeräte, zum Beispiel Handys oder
Bügeleisen, im Restmüll und schließlich in der Müllverbrennung. Betrachtet man alle Elektrogeräte, sind es sogar 500 000 Tonnen.
Deshalb ist es gut, dass die Europäische Union den
Anstoß gegeben hat. Die EU-Richtlinie über Elektround Elektronikaltgeräte wurde überarbeitet. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir diese Richtlinie
um und entwickeln das bestehende sogenannte Elektrogesetz weiter.
Ich kann mich an die Diskussionen über die Richtlinie
während meiner Zeit als Europaabgeordnete erinnern. Es
war immer unser Ziel, die Sammelquote zu erhöhen. Es
ist nicht nur wichtig, dass wir die wertvollen Rohstoffe
zurückgewinnen, sondern auch, dass wir verhindern,
dass Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Deswegen ist
es richtig, dass auch der Handel seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele leistet. Aber ich begrüße ebenfalls, dass
kleine Strukturen und eben auch die Belange der mittelständischen Unternehmen dabei berücksichtigt werden
und ihren Umständen Rechnung getragen wird. Nicht jeder Dorfladen um die Ecke hat die Fläche für die Rücknahme von großen Geräten wie zum Beispiel Waschmaschinen oder Spülmaschinen. Geschäfte mit einer
Verkaufsfläche von über 400 Quadratmetern müssen die
Altgeräte beim Kauf vergleichbarer Neugeräte zurücknehmen. Bei Kleingeräten mit einer Kantenlänge bis zu
25 Zentimeter gibt es eine Rücknahmeverpflichtung
ohne den Neukauf. Bislang erfolgt diese Rücknahme
eher auf freiwilliger Basis. Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass dies jetzt auch gesetzlich geregelt ist.
Ich halte es gerade in der heutigen Zeit für richtig,
dass der Onlinehandel einbezogen wird. Die Rücknahmestellen müssen auch beim Onlinehandel in zumutbarer Entfernung eingerichtet werden. Da kann man zum
Beispiel auf die Paketdienste zurückgreifen.
Daneben ist ebenfalls gut, dass der Elektroschrott wie
bislang bei den kommunalen Sammelstellen abgegeben
werden kann. Der Verbraucher hat damit eine Reihe von
Möglichkeiten, aus denen er wählen kann. Das vereinfacht letztendlich die Handhabung für den Verbraucher
und trägt vielleicht dazu bei, dass die Recyclingquoten
noch weiter steigen und mehr Geräte in die Wiederverwertung kommen.
Einige Kommunen haben bereits praxistaugliche Lösungen mit Beispielcharakter. Zum Beispiel gibt es in
meinem Heimatland Bayern in München und auch in
Augsburg flächendeckend einbruchsichere Container.
Durch diese wird verhindert, dass Geräte illegal entwendet werden. Hier spielt natürlich der Datenschutz eine
Rolle; er wurde bereits angesprochen. Auf Elektrogeräten sind oft auch persönliche Daten enthalten, die vielleicht in falsche Hände geraten können. Der Aspekt des
Datenschutzes ist ganz wichtig.
Ich finde es gut - es gab einen entsprechenden Antrag
Bayerns im Bundesrat -, dass wir das im Gesetzgebungsverfahren aufgenommen haben und dass jetzt
verhindert wird, dass diese Geräte in unberechtigte
Hände gelangen. Um zu verhindern, dass Unberechtigte
Zugriff auf diese Daten haben, sieht das Gesetz vor, dass
diejenigen, die Elektroschrott behandeln, ein Zertifikat
erwerben müssen. Damit wird nachgewiesen, dass der
Behandler Vorkehrungen getroffen hat, um die Bestimmungen des Datenschutzes einzuhalten. Das ist in meinen Augen wirklich sehr gut umgesetzt worden.
Rohstoffe und Sekundärrohstoffe sind etwas sehr
Wertvolles, gerade auch für Deutschland, weil wir wenige eigene Rohstoffe haben. Deswegen ist es richtig,
dass wir die Beweislastumkehr für die Exporteure eingeführt haben. Der Exporteur muss belegen, dass Geräte
nicht gebrauchsfähig sind. Damit verhindern wir das
illegale Verbringen von Rohstoffen und das Ausschlachten dieser Geräte.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf die Produktverantwortung eingehen. Bei all den Diskussionen dürfen
wir nicht vergessen, dass Deutschland schon jetzt die
EU-Zielvorgaben sehr gut erfüllt. Auch bei der Produktverantwortung sind wir weltweit führend.
({0})
Es ist nämlich so, dass die Hersteller schon jetzt eine
Stiftung, die Stiftung Elektro-Altgeräte Register, gegründet haben. Hersteller holen schon heute Altgeräte analog
zum Marktanteil bei den Sammelstellen ab. Damit sorgen sie schon jetzt für eine umweltgerechte Entsorgung
und auch für eine Verwertung der Rohstoffe.
Von diesem Gedanken haben wir uns inspirieren lassen und haben die Produktverantwortung, die wir inhaltlich sehr gut finden, in das Eckpunktepapier zum Wertstoffgesetz aufgenommen. Durch diese Ausweitung der
Produktverantwortung setzen wir den Anreiz für den
Hersteller, gut rezyklierbare Produkte zu verwenden.
Schon beim Herstellungsprozess wird diese Produktverantwortung dann wahrgenommen, bzw. es wird der
Anreiz dafür gesetzt. Ich denke, damit fördern wir die
stoffliche Verwertung noch weiter, auch gegenüber der
thermischen Verwertung, weil die stoffliche Verwertung
uns da wirklich sehr voranbringt.
Abschließend möchte ich sagen: Das Elektrogesetz ist
ein wichtiger Baustein zum Schließen von Stoffkreisläufen und zur Verbesserung der stofflichen Verwertung,
und es sorgt dafür, dass wertvolle Rohstoffe in der Wertschöpfungskette verbleiben.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen.
Wir stimmen ab über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung
des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme
und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektround Elektronikgeräten. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5412,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5422. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen
Drucksache 18/5227
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt ihre
Plätze einzunehmen und die zu führenden Gespräche außerhalb des Sitzungssaals zu führen.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Katrin
Werner, Fraktion Die Linke.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Koalitionsvertrag steht:
Wir wollen die Integration von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt begleiten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig
verbessern.
Man könnte denken: Wo ein Wille, da auch ein Weg.
Leider weit gefehlt: Von einem offenen, inklusiven und
für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkt, wie ihn die UN-Behindertenrechtskonvention im
Artikel 27 fordert, sind wir meilenweit entfernt.
({0})
Die Fakten sind aus unserer Sicht alarmierend: Im Januar 2015 waren 187 000 schwerbehinderte Menschen
als arbeitslos gemeldet. Ihre Arbeitslosenquote ist mit
14 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine.
Die Arbeitslosenzahlen von Menschen mit Behinderung
nehmen seit Jahren zu, und der Umfang der Beschäftigung in Sonderwelten wie Werkstätten steigt an. Sie
können vom angeblichen Aufschwung des Arbeitsmarktes nicht profitieren. Sie bleiben einfach Bittsteller vor
vernagelten Türen. Etwa 300 000 Menschen befinden
sich derzeit in einer Werkstatt. Ihr durchschnittlicher
Lohn liegt bei 180 Euro, und das oft bei einem Achtstundentag. Das ist diskriminierend und viel zu wenig fürs
Leben.
({1})
Alle Menschen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Sie haben das Recht, durch tarifliche
Entlohnung ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren.
Es reicht nicht aus, nur das System zu öffnen. Wir müssen auch bereit sein, Sonderstrukturen abzubauen.
({2})
Die schrittweise Umstrukturierung und damit die Abschaffung der Werkstätten, wie sie auch der UN-Fachausschuss zur Überprüfung der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland empfiehlt, ist ein
wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.
Wir brauchen eine Gesellschaft, in der jeder Mensch
das Recht hat, seine Arbeit frei zu wählen. Wir brauchen
sofort ausreichend akzeptable Alternativen für Menschen, die nicht in einer Werkstatt arbeiten wollen. Und
wir brauchen eine unabhängige Beratung von Betroffenen genauso wie ein Budget für Arbeit als gesetzlichen
Leistungsanspruch.
({3})
Der UN-Fachausschuss empfiehlt, speziell die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen mit Behinderungen in
Deutschland auszubauen.
Was die vielen Vorurteile gegenüber Menschen mit
Behinderung betrifft: Auch hier brauchen wir einen
Bewusstseinswandel aller Akteure. Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zahlen lieber noch die gesetzliche
Ausgleichsabgabe von monatlich bis zu 290 Euro, als
Menschen mit Behinderung einzustellen. Umgekehrt
sind jeder vierten Arbeitgeberin bzw. jedem vierten Arbeitgeber die finanziellen Fördermöglichkeiten unbekannt. Das ist nicht mehr hinzunehmen und muss dringend geändert werden.
({4})
Weit über die Hälfte aller Unternehmen erfüllt nicht die
festgeschriebene Beschäftigungsquote für Menschen mit
Behinderung.
Meine Damen und Herren, die derzeitige gesetzlich
vorgeschriebene Quote von 5 Prozent Menschen mit Behinderung unter den Beschäftigten ist viel zu gering. Wir
finden, die Quote muss endlich auf 6 Prozent - besser
sogar noch mehr - angehoben werden.
({5})
Warum drücken sich immer noch so viele Arbeitgeber
und Arbeitgeberinnen davor, Menschen mit Behinderung einzustellen? Weil Sie die Ausgleichsabgabe
einfach aus ihrer Portokasse bezahlen können. Die Ausgleichsabgabe ist so deutlich anzuheben, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen die Beschäftigungspflicht
nicht mehr umgehen. Im Gegenzug müssen Unternehmen, die die Beschäftigungspflicht mehr als erfüllen,
steuerlich begünstigt werden.
({6})
Menschen mit Behinderung sind für den Arbeitsmarkt
oft eine große Bereicherung. Das zeigen uns die inklusiv
arbeitenden Unternehmen. Mehr als Dreiviertel der Unternehmerinnen und Unternehmer sehen gar keinen Leistungsunterschied zwischen Berufstätigen mit und ohne
Behinderungen. Nicht selten ist ihre Fachkompetenz und
Qualifikation höher als die der Kollegen.
Finden Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz, so stellen sich ihnen weitere Hürden in den Weg.
Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze von Beschäftigten mit
Behinderungen ist nicht barrierefrei. Das darf einfach
nicht mehr sein.
({7})
Arbeitsplätze müssen generell barrierefrei sein. Barrierefreiheit darf nicht erst hergestellt werden, wenn ein
Mensch mit Behinderung beschäftigt wird. Barrierefreie
Arbeitsplätze sind für uns alle gut. Braucht ein Mensch
für seine Arbeit persönliche Assistenz, so muss er sie natürlich erhalten.
Um die Selbstvertretung der Beschäftigten in den
Werkstätten zu stärken, sind Mitbestimmungsrechte für
Werkstatträte als Sofortmaßnahme einzuführen. Die
Schwerbehindertenvertretung mahnt schon seit einigen
Jahren die Ausweitung und Verbesserung ihrer Mitbestimmungsrechte an.
Menschen, egal ob mit Behinderungen oder ohne, haben nach Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte ein Recht auf Arbeit und nicht nur ein
Recht auf eine arbeitsähnliche Beschäftigung.
({8})
Wir alle haben ein Recht auf eine freie Berufswahl, gerechte und gute Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf
gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dieses Menschenrecht
muss endlich für alle Menschen umgesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich
bin ganz sicher, dass ich den meisten von Ihnen aus dem
Herzen gesprochen habe. Deshalb dürfte es für Sie ein
Leichtes sein, unserem Antrag zuzustimmen. Tun Sie es
einfach!
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Uwe Schummer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!
Auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten heute 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte Menschen. 260 000 wesentlich behinderte Menschen arbeiten in den sogenannten betreuten Werkstätten. Das heißt, die größte Zahl
schwerbehinderter Menschen arbeitet auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg
hat 2014 in einem Arbeitsmarktbericht festgestellt: Die
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem
ersten Arbeitsmarkt steigt seit Jahren kontinuierlich. Das ist die gute Nachricht. Sie hat aber auch festgestellt,
dass aufgrund der Demografie, also deswegen, weil wir
alle älter werden und damit natürlich auch Mobilitätsbeeinträchtigungen oder andere Beeinträchtigungen
bekommen, auch die Zahl der schwerbehinderten
Menschen stetig steigt. Deshalb nimmt eben die Arbeitslosigkeit nicht in entsprechendem Maße ab. Von daher
ist das ein Thema, das wir miteinander bearbeiten müssen.
Die Idee der Linken ist aber wieder einmal: Abgaben
erheben, Bußgelder verhängen, sozusagen mit der Peitsche kommen und zu etwas zwingen. Das ist klassisch:
Sie wollen zwingen, Sie wollen nicht überzeugen.
({0})
Sie betonen die Defizite, Sie wollen nicht die Potenziale
und die Chancen der Menschen, die wir vertreten, in den
Mittelpunkt stellen. Die UN-Behindertenrechtskonvention schaut dagegen auf die Potenziale der Menschen.
Damit können wir jedes Unternehmen überzeugen, dass
es wertvoll ist, behinderte Menschen einzustellen. Wer
dies überzeugend vertritt, der muss nicht zwingen. Mit
Handschellen kann man keinen überzeugen, nur mit Argumenten. Das sind die Themen, die wir nach vorne
bringen wollen.
({1})
Unternehmen, die das Potenzial der Menschen, die wir
hier miteinander vertreten, nicht nutzen, behindern ihren
eigenen Erfolg; das muss die Botschaft sein, die wir gemeinsam in die Arbeitswelt, in die Wirtschaft tragen.
Es gibt ein Gutachten von Dr. Hans-Günther Ritz - es
ist kein Unionsgutachten, Ritz ist vielmehr Sozialdemokrat - im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem
Juni 2015. In diesem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung wird uns ins Stammbuch geschrieben: Bußgeldoffensiven oder die Erhöhung der Ausgleichsabgabe sind
nicht zielführend. Die Erfahrung seit Absenkung der Beschäftigungspflicht von 6 auf 5 Prozent in 2001 - damals
Rot-Grün - zeigt, dass die Arbeitgeber offener für
Beschäftigte mit Behinderungen geworden sind. Zielführender seien bessere Arbeitsbedingungen, Humanisierung der Arbeitswelt und eine Aufwertung der
Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben und
Verwaltungen. - Das sind die Wege, die uns empfohlen
werden, und daran arbeiten wir auch laut Koalitionsvertrag.
Ich war mit meinem geschätzten Kollegen Uwe
Lagosky in Salzgitter bei VW. Dieses VW-Werk hat eine
Produktionslinie für einen Lkw-Motor aufgebaut, in der
ein Drittel der in dieser Produktionslinie Beschäftigten anerkannt schwerbehindert sind, ein Drittel über 50 Jahre
sind, also ältere Arbeitnehmer sind, und ein Drittel unter
50 Jahre sind. Man hat den jeweiligen Arbeitsplatz so
gestaltet, dass er sich über einen Mikrochip - der Hebekran, die Werkzeuge - den Menschen individuell anpasst, was Entlastung für den Einzelnen bringt, sodass
auch ältere und schwerbehinderte Menschen weiter in
der Produktion beschäftigt werden können.
Die Konsequenz einer solchen kreativen Umgestaltung der Arbeitswelt ist, dass letztendlich die Zahl der
Frühverrentungen zurückgeht, dass weniger Fehlzeiten
durch Krankheiten entstehen und eine längere Beschäftigungsdauer bei einer höheren Produktivität möglich
wird. Das heißt: Mit Schwerbehindertenvertretungen,
wie in diesem Fall bei VW, individuell eine Humanisierung der Arbeitswelt zu betreiben, rechnet sich auch
ökonomisch. Soziale Kompetenz entfaltet somit eine
produktive Kraft in den Unternehmen.
({2})
Es ist also möglich, mit den Schwerbehindertenvertretungen eine Kampagne, eine Aktion zu entwickeln,
durch die die Entwicklung eingedämmt wird, dass den
stärksten Zugang in den betreuten Werkstätten psychisch
erkrankte Arbeitnehmer bilden, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen. Es gibt unterschiedliche Ursachen, die
dazu geführt haben, dass sie psychisch erkrankt sind.
Von daher brauchen wir in den Unternehmen und Verwaltungen Frühwarnsysteme. Die betriebliche Gesundheitsprävention muss ausgebaut werden. Wichtig ist
auch ein Eingliederungsmanagement nach langen bzw.
chronischen Erkrankungen.
({3})
Diese soziale Kompetenz in den Unternehmen müssen
wir stärken. Diese haben in der Tat die Schwerbehindertenvertretungen. Das entlastet dann auch die Unternehmen und die Sozialkassen.
Voraussetzung ist aber, dass wir auch dem Wunsch
der Schwerbehindertenvertretungen folgen, die uns sagen: Wenn ihr uns stärken wollt, dann müsst ihr uns Zeit
geben. Das ist entscheidend für uns. Wir brauchen mehr
Zeit, damit die individuelle Beratung der einzelnen Mitbeschäftigten nach Maßgabe der Sozialgesetzbücher
auch erfolgen kann. Gebt uns mehr Zeit, sorgt für mehr
Freistellungen und leistet auch mehr Unterstützung im
Bereich der Verwaltungsbürokratie, damit wir all das
leisten können, was in den Unternehmen aufgrund der
Demografie weiter auf uns zukommt.
Wir werden auch weiterhin Werkstätten benötigen.
Das Schlimmste, was wir den Menschen, die jetzt in den
Werkstätten sind, antun könnten, wäre, die Werkstätten
dichtzumachen, alle rauszuschicken und zu gucken, was
passiert. Wir müssen stattdessen Prozesse anschieben,
damit sich auch hinsichtlich der Werkstätten Wahlfreiheit entwickeln kann. Keiner wird in eine Werkstatt gezwungen, aber auch keiner wird aus einer Werkstatt hinausgetrieben, vielmehr müssen die Werkstätten Optionen
schaffen. Wir brauchen in den Werkstätten eine Durchlässigkeit, und wir müssen darauf drängen - das schreibt
das Sozialgesetzbuch ja auch vor -, dass von den Werkstätten stärker die Vermittlung in den und die Begleitung
auf dem ersten Arbeitsmarkt wahrgenommen wird.
Wir brauchen auch virtuelle Werkstätten, die mit den
Unternehmen vor Ort direkt zusammenarbeiten, und wir
brauchen jenes Budget für Arbeit, über das wir ja im
Rahmen der Verhandlungen über das Teilhabegesetz
miteinander sprechen.
Entscheidende Elemente beinhaltet für mich auch das,
was heute durch die Koalition hier eingebracht werden
wird.
Integrationsfirmen sollen als Lotsenboote fungieren.
Bundesweit sind 800 Integrationsunternehmen auf dem
ersten Arbeitsmarkt. Sie zeigen, wie mit innovativen
Konzepten in Bezug auf den Arbeitsablauf und die Arbeitszeit das Potenzial von Menschen mit Behinderung
auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werden kann.
Wir haben ein Sonderprogramm im Umfang von
150 Millionen Euro gestartet, mit dem mehr Integrationsunternehmen unterstützt und durch eine verstärkte
Gesundheits- und Weiterbildungsförderung zu Inklusionsunternehmen qualitativ weiterentwickelt werden
sollen. Zugleich wollen wir die Zahl der Integrationsunternehmen in den nächsten Jahren verdoppeln. Auch das
wird mit dem Finanzierungsansatz des Sonderprogramms möglich sein. Einige Bundesländer - beispielsweise Nordrhein-Westfalen; wir hatten da ein Gespräch
mit der Lebenshilfe NRW - haben mir heute schon zugesichert, dass das Bundesprogramm durch Landesmittel
weiter aufgestockt wird. Das kann in jedem Bundesland
passieren, sodass es insgesamt zu einer Hebelwirkung
bei den Integrationsunternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt kommt.
Wir wollen die Integrationsunternehmen auch zu einem Ausbildungsort für Förderschüler entwickeln, damit
Förderschüler eben nicht in die Werkstätten kommen,
sondern in den Integrationsunternehmen qualifiziert
werden können.
Die Linken haben einen netten Schaufensterantrag
vorgelegt, der ein Sammelsurium enthält. Was wir als
Koalition miteinander vereinbaren, ist aber solides politisches Handwerk.
({4})
- Ich habe doch gesagt, der Antrag ist nett. Wir wollen aber eben solides Handwerk. - Wir werden also
heute die Beratung über das Sonderprogramm für Integrationsunternehmen starten,
({5})
und im Laufe dieses Jahres werden wir das Recht der
Schwerbehindertenvertretungen stärken. Auch das ist im
Koalitionsvertrag vereinbart. Anfang nächsten Jahres
werden wir dann über das Bundesteilhabegesetz miteinander verhandeln, in dem all diese Themen, die von mir
eben benannt wurden, noch einmal aufgeführt und umgesetzt werden. Es geht uns um solides Handwerk, und
ich denke, dass wir hier gut miteinander arbeiten werden.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Corinna Rüffer das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schummer, ich
habe Ihnen vorhin versprochen, dass ich heute nicht so
viel schimpfen will wie sonst immer, und wenn ich etwas versprochen habe, dann halte ich mich daran auch.
({0})
- Ich freue mich besonders über den Applaus der
SPD, will aber trotzdem ganz kurz etwas kommentieren.
({1})
Sie haben wie immer ganz viel Richtiges gesagt, Herr
Schummer, und Sie sind ein sehr geschätzter Kollege.
Ich glaube aber, dass Sie das mit der Freiwilligkeit noch
einmal überdenken müssen, weil es viel Zeit gab, die Arbeitgeber dazu zu bringen, auf der Basis von Freiwilligkeit
({2})
- und Überzeugung - mehr zu leisten.
Wir haben über ganz lange Zeiträume hinweg immer
Überzeugungsarbeit geleistet, nicht zuletzt auch Sie,
Herr Schummer. Aber man muss sagen: Das Ergebnis ist
schon ein bisschen traurig. Schwerbehinderte Menschen,
die in Unternehmen arbeiten, sind sehr häufig diejenigen, die in Unternehmen alt und krank geworden sind;
das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Immer nur zu
denken, dass alles über Freiwilligkeit läuft, kann ich mir
beim besten Willen nicht vorstellen.
Die Humanisierung der Arbeitswelt ist natürlich ein
gemeinsames Thema; unser Ziel ist der inklusive Arbeitsmarkt. Aber auch da haben wir noch ein ganzes
Stück Arbeit vor uns.
({3})
Wir stehen nämlich vor der großen Aufgabe, in Deutschland endlich einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen.
Das bedeutet natürlich, dass wir den Arbeitsmarkt so gestalten müssen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, eine Arbeit zu finden,
und zwar nicht nur irgendeine Arbeit, sondern tatsächlich gute Arbeit. Gute Arbeit heißt, dass man davon leben kann.
({4})
- Ich finde, da kann man ruhig klatschen. Dass die Linke
an dieser Stelle klatscht, hatte ich erwartet. ({5})
Davon sind wir aber weit entfernt. Ganz besondere Probleme haben gerade Menschen mit Behinderung auf dem
Arbeitsmarkt. Ihre Chancen sind deutlich schlechter als
die von Menschen ohne Behinderung; das haben wir
mehrfach gehört. Ich finde, das haben Sie von den Linken in Ihrem Antrag richtig ausgeführt. Dafür will ich
Ihnen ausdrücklich danken.
Was also - das ist der eigentliche Punkt - ist jetzt zu
tun? Wir haben im April - einige von Ihnen waren da in Genf deutliche Hinweise bekommen: Der Fachausschuss der Vereinten Nationen, der dafür zuständig ist,
die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in
Deutschland zu überprüfen, hat klare Worte gefunden.
Deutschland muss systematisch - das ist wichtig - daran
arbeiten, dass Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt barrierefreier werden. Die Vereinten Nationen fordern uns außerdem ganz deutlich auf, Werkstätten
für behinderte Menschen in Deutschland schrittweise abzubauen. Anstatt diese Aufgaben mit Energie anzuge11150
hen, stecken wir noch immer ganz tief in einer Diskussion darüber, ob Werkstätten für behinderte Menschen
nicht schon heute Bestandteil des inklusiven Arbeitsmarktes wären. Das ist natürlich mitnichten der Fall.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das haben Expertinnen und Experten aus zahlreichen Ländern auf der
Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags - das muss
man sich einmal klarmachen - herausgefunden. Sie haben Deutschland beurteilt und kritisiert. Sie haben Hinweise darauf gegeben, wie wir in Zukunft vorgehen sollten. Es wird manchmal so getan - das ist aber nicht so -,
als ob diese Hinweise von irgendjemandem gekommen
wären und wir jetzt darüber nachdenken könnten, ob uns
das passt oder nicht. Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Jetzt sind wir natürlich zur
Umsetzung verpflichtet. Ich meine, wir sollten das gemeinsam angehen, und zwar so, dass die Menschen, die
jetzt in Werkstätten arbeiten, am Ende nicht schlechter
dastehen als heute. Das ist ein wichtiger Punkt; da haben
wir, glaube ich, eine hohe Übereinstimmung.
({7})
Und die entsprechenden Möglichkeiten haben wir noch
lange nicht ausgeschöpft.
Zum Thema barrierefreie Arbeitsplätze möchte ich
ganz kurz etwas sagen: Was ist eigentlich - das habe ich
mich heute Nachmittag gefragt - aus der neuen Arbeitsstättenverordnung geworden? Ich wäre Ihnen schon
dankbar, wenn sich da irgendwann einmal etwas bewegen würde; denn das ist ein wichtiger Baustein.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich hatte ja versprochen: Ich will mich heute nicht nur
beschweren. Sie haben ebenfalls einen Antrag zum
Thema Integrationsbetriebe vorgelegt. Wir werden heute
nicht mehr darüber diskutieren können, weil die Reden
zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben
werden. Wen das Thema interessiert, der kann die Reden
aber nachlesen. Genau wie der Linksfraktion möchte ich
auch Ihnen ausdrücklich meinen Dank für diese Initiative aussprechen. Ich bitte Sie: Bleiben Sie dran! Es ist
nämlich gut und richtig und wichtig, dass wir in diesem
Land endlich etwas für Integrationsbetriebe tun. Das ist
aber natürlich nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt.
Was ist zum Beispiel mit dem Budget für Arbeit? Was
ist mit den Schwerbehindertenvertretungen? Wie kann
die Bundesagentur für Arbeit Menschen mit Behinderungen noch besser fördern und unterstützen, als das
heute der Fall ist? Was ist mit den Menschen, die einen
besonders hohen Unterstützungsbedarf haben und besonders schutzbedürftig sind? Was sind unsere Angebote
an diese Menschen, damit sie wirklich am Arbeitsleben
teilhaben können? Ich sage es einmal so: Seitdem ich
dem Bundestag angehöre, habe ich viele schöne Reden
gehört. Es wäre schön, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir diesen Worten jetzt nach und nach auch Taten
folgen lassen würden. Wir brauchen ein gut gemachtes
flächendeckendes Budget für Arbeit
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.
- genau -, deutlich gestärkte Schwerbehindertenvertretungen, Angebote für Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf und vieles mehr. Ich kürze das ab.
Sie haben alle Chancen, das nachher zum nächsten
Punkt zu Protokoll zu geben. Sie müssen jetzt zum Punkt
kommen.
Ja, ich komme zum Punkt. - Wir gehen jetzt alle in
die Sommerpause, in die sitzungsfreie Zeit. Ich hoffe,
dass wir im September wieder da anknüpfen, wo wir
heute aufgehört haben. Denn viele Menschen draußen
warten darauf, dass sich endlich etwas tut.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Allein der Umstand,
dass wir heute zwei Tagesordnungspunkte zum Thema
„Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung“ haben
- einer wurde von der Koalition und einer von Teilen der
Opposition aufgesetzt -, zeigt, dass das Thema im Deutschen Bundestag angekommen ist, dass es wichtig ist
und auch Anforderungen mit sich bringt.
Ja, der inklusive Arbeitsmarkt - darin sind wir uns
alle einig - ist ein Ziel, das wir nicht nur im Zuge der
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verwirklichen müssen, sondern auch deshalb, weil eine
humane Gesellschaft eine inklusive ist. Das ist nicht nur
für die Menschen mit Behinderung wichtig, sondern für
alle.
({0})
Dass das Thema heute zweimal auf der Tagesordnung
steht, haben wir dem Antrag der Linken und unserem
Antrag zu verdanken. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bedanken. Denn die Zielrichtung Ihres Antrags
zeigt, dass wir uns im Bundestag an vielen Stellen, wenn
auch nicht in allen Punkten, darüber einig sind, welche
Anforderungen wir stellen müssen.
Natürlich möchte niemand jemanden mit Zwang in
den allgemeinen Arbeitsmarkt hineindrängen. Schließlich möchte auch niemand von uns selber, wenn er eine
Behinderung hat, ein aufgezwungenes Arbeitsverhältnis
eingehen müssen.
({1})
Aber mit der Ausgleichsabgabe alleine erreichen wir
dieses Ziel nicht. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung neben der Möglichkeit der Zwangsabgabe auch
mit der Wirtschaft gemeinsam mehrere Initiativen in
Gang gesetzt hat, um eines der größten Probleme anzugehen, nämlich die fehlende Kenntnis von Unternehmen
über ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Unterstützungsformen, Begleitung, Assistenz und Kostenzuschüssen zum Lohn und anderem. Ich halte das für richtig;
denn Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen, verhalten sich in der Regel nicht
aus Boshaftigkeit so, sondern viel häufiger aus Unkenntnis über die Möglichkeiten der Unterstützung. Deshalb
ist es ein wesentlicher Punkt, uns zu fragen, wie wir genau diese Unterstützung und Beratung gewährleisten
können, bevor wir den Unternehmen vorschreiben, dass
sie sich an der Gesamtaufgabe „inklusiver Arbeitsmarkt“
beteiligen müssen, indem sie jemanden einstellen bzw.
eine Abgabe zahlen. Ich hoffe, dass das Wirkung zeigt.
Nichtsdestotrotz setzen wir, glaube ich, gerade was
die Integrationsbetriebe angeht, mit dem von uns eingebrachten Antrag, über den wir ja nun nicht mehr diskutieren, ein ganz wichtiges Zeichen. Denn die Integrationsbetriebe, die bis zu 50 Prozent Menschen mit
Schwerbehinderung in ihren Reihen haben, sind Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes und gehören damit zum ersten Arbeitsmarkt. Trotzdem bieten sie noch
einen gewissen Schonraum mit der Möglichkeit, sich zu
qualifizieren und weiterzubilden. Deshalb ist es richtig,
genau diese Möglichkeit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen anzubieten, die
sich gemäß ihrem Wahlrecht eigentlich wünschen, nicht
in einer Werkstatt beschäftigt zu werden, sich aber
gleichwohl den manchmal sehr extremen Anforderungen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch nicht gewachsen fühlen. Genau diese Lücke schließt die Idee der Integrationsfirmen. Wir freuen uns sehr, dass wir mit den
heute beantragten 150 Millionen Euro dafür sorgen können, dass all die Anträge, die in den Integrationsämtern
vorliegen, bearbeitet werden können und eine entsprechende Unterstützung ermöglicht wird.
({2})
Wir wissen natürlich auch, dass das nicht alles sein
kann. Vieles wird im Bundesteilhabegesetz geregelt werden. Dazu werden uns noch im Herbst konzeptionelle
Vorlagen erreichen. Wir haben uns aber auch vorgenommen - der Kollege Schummer hat das bereits angekündigt -, noch in diesem Jahr die Betriebsräte in den Werkstätten für behinderte Menschen zu stärken. Diese
Betriebsräte sollen genauso die Möglichkeit haben, mitzubestimmen und sich im Unternehmen einzubringen.
Wir werden zudem Frauenbeauftragte in den Werkstätten für behinderte Menschen flächendeckend etablieren.
Das ist gut und richtig, weil insbesondere Frauen - auch
in den Werkstätten - Gewalt ausgesetzt sind. Deshalb ist
es wichtig, ihnen eine eigene Ansprechperson an die
Seite zu stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir uns einig
sind, dass das flächendeckend in den Werkstätten umgesetzt werden soll.
({3})
Bei der Stärkung der Schwerbehindertenvertretung
- auch dazu wird uns noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf ereilen - geht es uns insbesondere darum, Freistellungen, die Fort- und Weiterbildungen, aber auch die
Mitbestimmung zu stärken. Wir nehmen wahr, dass es
überall dort, wo Schwerbehindertenvertretungen in den
Betrieben Betriebs- und Personalräte unterstützen, besser gelingt, inklusive Arbeitsplätze zu schaffen, als in allen anderen Bereichen. Deshalb ist es so wichtig, dass
wir diesen Vertretungen die Rolle einräumen, die sie benötigen, um die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarkt innerhalb der gesamten Unternehmensstruktur voranzutreiben.
Wir freuen uns, dass wir all das noch in diesem Jahr
beraten werden. Wie Sie sehen, Frau Rüffer, fangen wir
heute an. So wie es aussieht, werden wir in den Sitzungswochen nach der Sommerpause hinreichend Gelegenheit haben, weiter über den inklusiven Arbeitsmarkt
zu diskutieren. Das freut uns alle sehr. Hier sind wir uns
einig im Ziel.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Ob man Arbeit als Last
oder als Freude empfindet, das ist sehr unterschiedlich
und hängt sehr stark von persönlichen Erfahrungen ab.
Eines aber - so meine ich - verbindet behinderte und
nicht behinderte Menschen, Manager und Hilfsarbeiter:
Wir alle haben eine Vorstellung von unserem Traumberuf. Er soll uns soziale Kontakte, Anerkennung und ein
anständiges Einkommen verschaffen und meistens Freude
machen. Das ist der Anspruch, den wir alle zu Recht an
die Arbeit haben. Es ist klar, dass Menschen mit Behinderung an der Verwirklichung ihrer beruflichen Träume
genauso interessiert sind wie Menschen ohne Behinderung. Der Knackpunkt ist - über diesen Punkt diskutieren wir nun -, dass die Ausgangslage für Menschen mit
Handicap ungleich schwieriger ist.
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, schreiben Sie, dass derzeit 10 000 schwerbehinderte Menschen mehr arbeitslos seien als noch 2010.
Das ist auch richtig. Aber damit diese Zahl richtig eingeordnet werden kann - der Kollege Schummer hat schon
darauf hingewiesen -, muss man auch erwähnen, dass im
gleichen Zeitraum die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen in Deutschland um mehr als eine halbe
Million gestiegen ist und dass heute auch mehr als
100 000 schwerbehinderte Menschen mehr beschäftigt
sind als noch vor fünf Jahren. Das zeigt einerseits eine
ganz ordentliche Entwicklung, zeigt aber andererseits,
dass es noch viel zu tun gibt, und natürlich auch, dass
Menschen mit Behinderung nicht so am Aufschwung
teilhaben wie Nichtbehinderte.
Wie also verbessern wir die Teilhabe von Menschen
mit Behinderung am Arbeitsleben? Diese Frage beschäftigt uns schon sehr lange, und wir haben sie in der Koalitionsvereinbarung auch ganz weit oben auf die politische
Agenda gesetzt.
Parlamente, Ministerien, Kommunen, Behindertenverbände und Betroffene beschäftigen sich seit gut einem Jahr verstärkt mit dieser Frage. Wir haben mittlerweile auch Antworten darauf bekommen. Einige kann
man in den langen Protokollen der AG Bundesteilhabegesetz des BMAS nachlesen. Andere Antworten bekommen wir einfach bei den Begegnungen in unseren Wahlkreisen.
Sicher müssen wir zunächst einmal den Blick dafür
schärfen, was der Einzelne eigentlich kann, was er mitbringt, was er einbringen kann, was er für ein Unternehmen leisten kann. Das ist tatsächlich ein gewisser Paradigmenwechsel. Viel mehr als bisher müssen wir die
Stärken der Menschen beurteilen und dürfen nicht nach
dem schauen, was sie nicht können.
Darüber hinaus präsentieren Sie nun in Ihrem Antrag
eine ganze Reihe von Ideen, wie man die Situation der
Betroffenen verbessern kann. Ich fange jetzt einmal bei
dem Guten in Ihrem Antrag an: beim Budget für Arbeit,
das Sie vorschlagen. Das ist in der Tat ein erfolgreiches
Modellprojekt. Es spielt auch in unseren Planungen für
ein Bundesteilhabegesetz eine wichtige Rolle. Ich bin
auch überzeugt davon, dass dieses Budget für Arbeit viel
mehr Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen
kann.
Das Gleiche gilt für Ihre Ausführungen zu den Integrationsunternehmen, über die wir heute nicht mehr diskutieren.
({0})
Aber auch wir wollen sie stärken. Wir haben dazu einen
Antrag. Die Idee, sie gerade in der Gründungsphase
mehr zu fördern, finde ich gut. Ich finde auch gut, sie
mehr als bisher als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen.
({1})
Ich bin auch ganz bei Ihnen, wenn Sie schreiben, dass
es einen Aufklärungsbedarf für Unternehmen gibt, was
die Fördermöglichkeiten angeht. Es stimmt: Viel zu
viele Unternehmen in Deutschland beschäftigen noch
immer gar keinen Schwerbehinderten. Dafür gibt es einmal mehr, einmal weniger plausible Gründe.
Der Kündigungsschutz und der Zusatzurlaub sind
zwei Punkte, die oft genannt werden. Sie sind für die Betroffenen ganz wichtige Elemente, aber sie sind eben
auch für Unternehmer oft ein Hemmschuh mehr, einen
Menschen mit Behinderung einzustellen. Ich bin aber
auch sicher, dass man, wenn man mehr aufklären würde,
den einen oder anderen oder auch viele davon überzeugen könnte, einen Menschen mit Behinderung einzustellen.
Es gibt aber dann schon auch eine Reihe von Punkten
in Ihrem Antrag, die ich für falsch und sogar kontraproduktiv halte. Sie fordern die Anhebung der Beschäftigungsquote auf 6 Prozent, und Sie fordern eine deutliche
Erhöhung der Ausgleichsabgabe. Beide Maßnahmen
tragen sicher nicht zu mehr Offenheit und Verständnis
der Unternehmerschaft für unser Anliegen bei. Ich bin
überzeugt davon, dass die inklusive Arbeitswelt nur
dann funktionieren kann, wenn wir alle gemeinsam an
einem Strang ziehen, wenn Unternehmen und Beschäftigte aus voller Überzeugung Ja zum Miteinander von
Behinderten und Nichtbehinderten sagen. Wenn wir irgendwann einmal gar keine Beschäftigungsquoten und
gar keine Ausgleichsabgaben mehr brauchen, dann sind
wir tatsächlich in der inklusiven Arbeitswelt angekommen.
({2})
Ich halte nichts von zusätzlichen Zwängen und höheren Abgaben für die Unternehmen. Ich glaube, es ist,
ohne Unternehmer mit Kindern gleichsetzen zu wollen,
ein bisschen wie in der Kindererziehung: Positive
Anreize bewirken viel mehr als Strafen. Wir müssen aufklären, informieren, Bürokratie abbauen und Unterstützung anbieten. Schauen Sie sich doch die positiven
Beispiele an, die es schon gibt, zum Beispiel den Aktionsplan eines großen deutschen Softwareherstellers.
Diese Entwicklungen gab es sicher nicht wegen der Ausgleichsabgabe. Ich bin ganz sicher, dass wir einen Bewusstseinswandel nur dann hinbekommen, wenn wir zusammenarbeiten.
Eines ist mir tatsächlich ein persönliches Anliegen.
Ich habe es hier schon öfter gesagt: Hören Sie bitte mit
dieser diskriminierenden Sonderweltenrhetorik auf. Was
meinen Sie eigentlich, wie sich die fast 300 000 Menschen in den Werkstätten fühlen, wenn sie sich immer
wieder anhören müssen, dass ihre Welt nicht zum Rest
der Welt gehört?
({3})
Viele von diesen Menschen haben sich durchaus
selbstbestimmt und selbstbewusst für diesen geschützten
Raum entschieden. Zur Teilhabe an der Gesellschaft und
am Arbeitsleben gehört es wirklich auch, Respekt und
Wertschätzung füreinander und für jeden Weg zu haben.
Ich glaube, wir sollten für Wahlfreiheit sorgen und siDr. Astrid Freudenstein
cherstellen, dass jeder den Weg gehen kann, den er für
sich als richtig empfindet.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen!
Menschen mit und ohne Behinderung sollen zusammen spielen, lernen, leben, arbeiten und wohnen.
So haben wir das gemeinsam mit der CDU und der CSU
im Koalitionsvertrag fest verankert. Wir wollen ja auch
alle gemeinsam eine inklusive Gesellschaft. Natürlich
spielt dabei auch - das ist ja klar - der inklusive Arbeitsmarkt eine Rolle.
Wir reden über den Antrag der Linken „Gute Arbeit
für Menschen mit Behinderungen“. Wir diskutieren - ich
muss einmal sagen, die Kollegen haben sich wirklich
sehr viel Mühe gegeben - 9 Einzelpunkte und - ich habe
einmal nachgezählt - 42 Unterpunkte. Sie haben das also
sehr detailliert aufgeführt. Viele Punkte davon sind gut
und richtig. Dennoch beschreibt dieser Antrag immer
wieder auch nur einen Ausschnitt von dem, was wirklich
nötig ist.
Oben auf der Besuchertribüne sitzen ja viele junge
Leute. Wer in der Kindertagesstätte, in der Schule und in
einer gemeinsamen Berufsausbildung Menschen mit und
ohne Behinderung schätzen gelernt hat, mit dem brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren, ob es Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in allen Betrieben geben muss.
({0})
Ich denke, viele von euch dort oben auf der Besuchertribüne erleben das schon. Aber leider ist das natürlich
noch Zukunftsmusik. Da wollen wir aber hin.
Schauen wir uns einmal an, wie es jetzt eigentlich
aussieht. Der Weg in den - in Anführungsstrichen - „eigenen“ Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung
wird heute leider schon früh eingeschlagen. In den
Förderschulen ist die Werkstattkarriere meist schon vorprogrammiert. Daran wollten wir doch etwas ändern.
Diesen Automatismus wollten wir doch durchbrechen.
({1})
Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und wir brauchen
gesellschaftliche Akzeptanz; das ist überhaupt keine
Frage. Wir müssen das, was uns in der UN-Behindertenrechtskonvention aufgetragen ist, natürlich mit Leben
füllen. Menschen mit Behinderung brauchen keine
Fürsorge - so haben wir lange gedacht -; Menschen mit
Behinderung brauchen Unterstützung, um selbstbestimmt leben zu können.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeiten die
Koalitionsfraktionen ganz konzentriert am Bundesteilhabegesetz. Die Linken haben in ihrem Antrag viele Themen aufgegriffen, die wir mit dem Bundesteilhabegesetz
regeln werden. Aber wir wollen natürlich nicht, dass das
geschieht, was 2013 in Großbritannien passiert ist: Mit
einem Federstrich - in Klammern: weil es den Briten zu
teuer war - hat man die Werkstätten für Behinderte geschlossen. Anfang 2015 hatte die Hälfte der dort Beschäftigten noch immer keine neue Arbeit gefunden. Das
ist natürlich ein großer Fehler. Die Leute sagen zu Recht:
Das kann nicht sein. Das war der beste Arbeitsplatz, den
ich bisher hatte. - So hat es jedenfalls Jerry Nelson, der
zuständige Gewerkschafter, beschrieben.
Für andere in Großbritannien war die Werkstattschließung das Beste, was ihnen überhaupt passieren konnte.
Zum Beispiel hat Tony Hammett eine feste Arbeit bekommen; er arbeitet jetzt in einem Pub. Er sagt: Es gibt
mir Würde, mein Geld selber zu verdienen. - Dazu sage
ich einmal: Das ist toll.
Was will ich mit diesen beiden Beispielen sagen?
Ganz einfach: Es gibt nicht den einen Weg. Immer
wieder wird auch hier im Haus über die Zukunft der
Werkstätten diskutiert. Was wir in der Zukunft vor allem
brauchen, sind andere Werkstätten. In Deutschland gibt
es zum Beispiel nur 5 Prozent Außenarbeitsplätze. In
Schweden, das uns immer wieder vorgehalten wird
- man sagt, in Schweden sei alles besser -, gibt es
90 Prozent Außenarbeitsplätze.
({2})
Ist das nicht auch ein bisschen Inklusion?
Ich will einmal ein Beispiel aus meinem Betreuungswahlkreis nennen. In der Lutherstadt Wittenberg war ich
vor drei oder vier Wochen in einer integrativen Kindertagesstätte. Da kamen mir aus der Werkstatt geistig behinderte Mitarbeiter entgegen. Sie hatten dort einen
Außenarbeitsplatz, etwa in der Küche, zur Unterstützung
des Hausmeisters oder im hauswirtschaftlichen Bereich.
Das ist doch ein Weg auf den ersten Arbeitsmarkt, möglicherweise. Ich würde für individuelle Lösungen sorgen
wollen. Ich würde sagen: Auch eine Werkstatt für Behinderte hat bei einem Wunsch- und Wahlrecht, wenn es um
Arbeit und Selbstbestimmung geht, ihre Berechtigung.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Weg
aus der Werkstatt heraus öffnen. Aber die Frage ist doch:
Warum nehmen so wenige Menschen das überhaupt in
Anspruch? Das ist kein Wunder. Jeder, der aus einer
Werkstatt für Behinderte hinausgeht, auf den ersten
Arbeitsmarkt geht und es nicht schafft, verliert seinen
Rentenanspruch und auch die Chance, in die Werkstatt
zurückzukehren. Deshalb machen das so wenige. Daran
müssen wir etwas ändern, und auch das werden wir im
Bundesteilhabegesetz regeln.
({4})
Kollegin Wolff.
Ich habe schon gesehen: Es leuchtet. Ich komme auch
zu meinem letzten Satz. - Ich freue mich wirklich auf
die Diskussion. Ich lade die Opposition ein, an dieser
großen Aufgabe mitzuarbeiten, und bitte darum, dass die
vielen Einzelanträge dann lieber zurückgezogen werden.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5227 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
Drucksachen 18/4097, 18/4199
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/5420
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5421
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck ({2}), Luise Amtsberg, Özcan
Mutlu, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und
Familie im Aufenthaltsrecht
Drucksache 18/3268
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
vier Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und über den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke werden wir später namentlich abstimmen. Wir
werden also zu diesem Tagesordnungspunkt vier namentliche Abstimmungen durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Tatsache von vier namentlichen Abstimmungen
zeigt: Es ist ein umstrittenes Gesetz, und es ist ein wichtiges Gesetz, das wir heute beraten und über das wir
heute abstimmen.
Dieses Gesetz hat zwei Botschaften: Gut integrierte
Ausländer erhalten ein dauerhaftes Bleiberecht bei uns.
Das betrifft Zehntausende von Menschen in Deutschland. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere
Seite der Medaille ist: Nicht schutzbedürftige Ausländer
müssen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren.
Beides gehört zusammen. Die aktuelle Situation zeigt,
wie dringend wir diese gesetzlichen Regelungen brauchen, und zwar beide.
Meine Damen und Herren, viele Tausend Menschen
kommen in diesen Tagen zu uns nach Deutschland. Sie
suchen Schutz vor politischer Verfolgung. Sie kommen
aus Krisengebieten. Oft suchen sie aber auch, verständlich vielleicht, eine bessere wirtschaftliche Perspektive
für sich persönlich. Die Bereitschaft der Bevölkerung,
schutzbedürftigen Flüchtlingen mit Hilfsbereitschaft zu
begegnen, ist hoch. Ich danke auch heute noch einmal allen Bürgerinnen und Bürgern herzlich, die sich hierbei
großzügig und großmütig engagieren, im Ehrenamt und
hauptamtlich.
({0})
Diese Bereitschaft gilt es zu erhalten.
Ebenso erhalten müssen wir aber auch unsere tatsächliche Aufnahmefähigkeit. Deshalb brauchen wir dringend schnellere Verfahren, eine schnellere Integration
für diejenigen, die positiv anerkannt sind oder sonst
Schutz verdienen. Wir brauchen aber genauso nach dem
schnelleren Verfahren für die, die abgelehnt worden sind
und keine Bleibeperspektive haben, eine konsequentere
Rückkehrpolitik. Es muss klar unterschieden werden
zwischen jenen, die Anspruch auf Schutz haben, und jenen, die diesen Anspruch nicht haben.
({1})
Das ist fast wörtlich die gemeinsame Position der
Bundesregierung und aller Bundesländer - Herr Beck
und Frau Roth, auch der baden-württembergische Ministerpräsident hat dieser Formulierung zugestimmt -, und
das ist die gemeinsame Position aller kommunalen Spitzenverbände. Es muss unterschieden werden zwischen
denen, die Schutz verdienen, und denen, die keinen
Schutz verdienen.
Wer unter keinem Aspekt für ein Bleiberecht in Betracht kommt, der muss unser Land wieder verlassen.
Diese Ausreisepflicht wollen wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf wirkungsvoller als bisher durchsetzen.
Lassen Sie mich nur ein Beispiel dazu sagen: Es ist nicht
zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland
Schutz haben will, ehrlich angibt, wie er heißt und aus
welchem Land er kommt. Wenn der Ausländer seine
Identität verschleiert, dann soll das kein Bonus für das
Asylverfahren sein, sondern in Zukunft sollen dann die
Handys, die Datenträger dieses Menschen ausgelesen
werden, damit wir feststellen, wer er ist und woher er
kommt.
({2})
Nun wird gleich sicher viel über die Abschiebehaft
gesprochen. In der Kürze der Zeit ist es natürlich nicht
möglich, darüber lange zu diskutieren.
({3})
Ich will im Grundsatz nur eines sagen: Mit den Regelungen zu den Haftgründen für die Abschiebehaft, die in
diesem Gesetzentwurf stehen, ist keine Verschärfung gegenüber dem bisherigen Zustand verbunden.
({4})
Es ist vielmehr so, dass die bisherige Rechtsgrundlage
für Abschiebehaft in Deutschland problematisch ist. Wir
müssen nach europäischem Recht diese Haftgründe definieren. Der BGH hat gesagt: Ihr dürft keine Abschiebehaft machen, wenn ihr dafür nicht in einem Gesetz die
Regelungen festschreibt.
({5})
Jetzt schreiben wir diese Regelungen ins Gesetz in Umsetzung des EU-Rechts, und trotzdem sagen Sie, die Abschiebehaft werde verschärft. Das ist Unsinn, meine Damen und Herren.
({6})
Kurz zu der zweiten Botschaft, die genauso wichtig
ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir
zum ersten Mal ein dauerhaftes stichtagsunabhängiges
Bleiberecht für Menschen, die auch ohne regulären Aufenthaltsstatus besondere Integrationsleistungen in
Deutschland erbracht haben: die gut integriert sind, die
Deutsch können, die ihren Lebensunterhalt sichern und
die nicht in besonderer Weise straffällig in Erscheinung
getreten sind. Diesen Menschen eröffnen wir ein dauerhaftes Bleiberecht. Wir sagen ihnen: Wie immer ihr hergekommen seid, ihr seid gut integriert, ihr gehört zu uns,
ihr bleibt hier, ihr seid hier herzlich willkommen.
Mit Blick auf diejenigen, die eine Ausbildung machen
- das war eine lange Debatte -, schaffen wir mit der
Regelung in § 60 a des Aufenthaltsgesetzes Klarheit
über die Ausbildung von jungen Geduldeten mit Bleibeperspektive. Wir stellen klar, dass diese jungen Menschen in Deutschland eine Ausbildung beginnen und zu
Ende führen können.
({7})
Wer eine betriebliche Ausbildung erfolgreich abschließt,
der kann dauerhaft ein Aufenthaltsrecht erhalten. Unsere
Ausbildungsbetriebe - das war eine wichtige Forderung erhalten damit die für sie so wichtige Planungssicherheit.
Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetzentwurfs, Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung, gehören zusammen. Es kann nicht richtig sein, dass Ausreisepflichtige, bei denen es keinen humanitären Grund gibt,
dass sie in Deutschland bleiben, allein deshalb hier bleiben, weil unsere Regeln so kompliziert sind, weil niemand mehr durchblickt, was eigentlich gilt. Da macht
sich der Rechtsstaat lächerlich. Genauso ist es richtig,
dass wir denjenigen, die Jahre hier sind, von denen wir
wissen, dass sie unser Land sowieso nicht mehr verlassen, die sich zu unserem Land bekennen und ihren Lebensunterhalt sichern, sagen: Ihr bleibt hier. Beide Seiten
gehören zusammen.
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Beratung dieses Gesetzentwurfs wird hier wirklich
im zeitlichen Schweinsgalopp durchgezogen. Ich finde,
das ist das beschämendste Gesetz seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts.
({0})
Es ist wirklich ein Skandal!
({1})
Lassen Sie mich vorab gleich klarstellen: Ja, der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält einige Verbesserungen, zum Beispiel die gesetzliche Verankerung des
Resettlement-Verfahrens für Flüchtlinge und die Schaffung einer gesetzlichen Bleiberechtsregelung. Die Verbesserungen gehen allerdings bei weitem nicht weit genug, und sie gelten nicht für alle Flüchtlinge
gleichermaßen. Die Bleiberechtsregelung greift wesentlich zu kurz. Insbesondere Jugendliche sind hier benachteiligt.
({2})
Ich will hier ganz deutlich sagen: Wenn die außerparlamentarischen Bewegungen - die Flüchtlingsorganisationen, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände - nicht so
lange für ein Bleiberecht gekämpft hätten, hätten wir
nicht einmal das im Gesetz gehabt. Man kann ihnen nur
dankbar sein.
({3})
Nun zur Kritik. Dass auch dieses Gesetz von richtigen
und falschen Flüchtlingen ausgeht - wie wir eben wieder
gehört haben -, Herr Minister, ist beschämend und
brandgefährlich.
Erstens sollen sogenannte nicht schutzwürdige
Flüchtlinge direkt aus den Auffanglagern wieder abgeschoben werden. Das wird vor allem Flüchtlinge vom
Westbalkan treffen. Mit dieser offensichtlichen Ausgrenzung einer ganzen Flüchtlingsgruppe wird massiv gegen
Grundsätze einer humanitären Flüchtlingspolitik verstoßen.
Zweitens wird über diese Flüchtlinge zusätzlich ein
Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt, wenn ihr
Asylantrag abgelehnt wird. Sie werden also dafür bestraft, dass sie von einem Grundrecht Gebrauch machen
wollen. Das ist völlig inakzeptabel.
Drittens - das ist mit Abstand der größte Skandal enthält das Gesetz uferlose Regelungen zur Abschiebehaft. Inhaftiert werden kann künftig etwa, wer aus einem
anderen EU-Land hierherkommt, ohne den Abschluss
des dort laufenden Asylverfahrens abgewartet zu haben,
also sämtliche sogenannte Dublin-Flüchtlinge, wer keine
Ausweispapiere mehr besitzt oder wer einen Schleuser
bezahlt hat.
({4})
Diese Verhaltensweisen sind für Flüchtlinge oft unvermeidlich. Ihre Politik der Abschottung der EU zwingt
Flüchtlinge, sich an Schleuser zu wenden. Jemanden
deswegen einzusperren, ist politisch und moralisch eine
regelrechte Schweinerei. Flucht ist kein Verbrechen.
({5})
Mit diesen Verschärfungen kann nahezu jeder Flüchtling inhaftiert werden, und das in einer Zeit, in der rassistische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zunehmen
und Flüchtlinge mehr denn je auf unsere Solidarität angewiesen sind. Wir wollen eine Öffnung des Aufenthalts- und Asylrechts mit Rechten für alle Flüchtlinge.
Das bedeutet eine umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung.
Kollegin Jelpke, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Kolbe?
Das wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.
Lassen Sie mich trotzdem zum Ende noch meinen
Satz sagen. - Das bedeutet ein wirksames und umfassendes Nachzugsrecht für Familien. Wir wollen das DublinSystem abschaffen. Ich will hier deutlich sagen: Der Gesetzentwurf geizt bei Verbesserungen, und er ist in seinen Verschärfungen maßlos. Ich finde, es ist ein unglaublicher Skandal und beschämend, dass die SPDFraktion hier mitmacht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das war ein schlichtes Missverständnis. Ihre Redezeit
wäre noch länger geworden, wenn Sie sich auf die Frage
der Kollegin Kolbe eingelassen hätten.
({0})
- Kollege Kauder, Sie haben mich eben auch mit Ihren
Beifallsbekundungen verwirrt. Mal sehen, wie das weitergeht. - Das Wort hat jetzt der Kollege Rüdiger Veit für
die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ulla Jelpke, wenn man deinen Worten zugehört hat,
dann muss man bei dem Protest, der im Moment im
Raum steht oder gerade eben vor dem Haus stattfindet,
den Eindruck haben: Er macht sich an einer völlig veralteten Gesetzesfassung bzw. an einem völlig veralteten
Entwurf fest.
({0})
Ich will einmal klar sagen: Zu dem allerersten Entwurf - Herr Minister, ich bitte um Vergebung - habe ich
- der Kollege Stephan Mayer und andere werden sich erinnern - auch nur drei Worte des Kommentars gesagt,
nämlich: Was soll das? In der Zwischenzeit ist aber aus
dem, was im Kabinett verabschiedet worden ist, was wir
mit der Union jetzt ausgehandelt haben und was heute
Gesetz werden soll, etwas ganz anderes geworden.
Lassen Sie mich zu dem Protest noch eines an dieser
Stelle sagen: Die, die uns vorhalten, dass viel zu viele
Menschen ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa
zu kommen, haben recht - damit jedenfalls. Ich finde sogar: Es ist ein Skandal, ein wirklicher Skandal, dass es
Europa bei aller Solidarität, die sonst immer bei Finanzhilfen apostrophiert wird, nicht schafft, für gerade einmal 40 000 Flüchtlinge eine angemessene gerechte Verteilung in ganz Europa hinzubekommen, obwohl sich
auch der Innenminister darum sehr bemüht hat.
({1})
Uns aber ansonsten vorzuwerfen, wir wollten die
Menschen massenhaft einsperren, geht rein faktisch an
der Sache völlig vorbei. Wer sich einmal die Mühe
macht, nachzuvollziehen, wie viele Abschiebehaftplätze
in Deutschland existieren, der wird feststellen: Diese
sind in letzter Zeit stark abgebaut worden. Vielleicht haben wir gerade einmal 500 bis 600 in ganz Deutschland.
({2})
Wenn jetzt diese Plätze - theoretisch unterstellt, sie
wären alle frei - wirklich konsequent besetzt würden
durch die, die zurzeit nach dem Dublin-Verfahren aus
Nachbarstaaten zu uns kommen, dann würde die Kapazität der freien Plätze in Abschiebehaftanstalten gerade
einmal einen halben Tag reichen. Das ist die Relation.
Wir sind im Gegenteil bemüht, in ganz Deutschland
menschenwürdige Unterbringungen für diejenigen Menschen zu schaffen, die jetzt in großer Zahl zu uns kommen. Wir sind schon froh, wenn wir feste Baulichkeiten
statt Zelte anbieten können. Wer wollte auf einen so verrückten Gedanken kommen, zu sagen: „Jetzt brauchen
wir noch massenhaft Auffanglager oder Abschiebehaftanstalten“?
({3})
Das geht völlig an der Sache vorbei. Das unterstellt uns
falsche Absichten, und das gibt der Gesetzentwurf nicht
her.
({4})
Ich will auf den Kritikpunkt bezüglich der Fluchtgefahr eingehen. Die Anhaltspunkte, die im Gesetzentwurf
genannt werden, waren früher in der deutschen Rechtsprechung die Regel, um Fluchtgefahr zu begründen.
Alle Tatbestände, die genannt sind, sind früher in der
Rechtsprechung anerkannt worden. Insoweit ändert sich
für die Betroffenen nichts, gar nichts. Es wird deswegen
kein Einziger mehr in Haft kommen - eher weniger. Das
kann ich leider aus Zeitgründen nicht weiter ausführen.
Was die Dublin-Fälle angeht, müssen Sie bitte beachten: Der BGH hat in seiner Entscheidung im Juni 2014
nicht etwa gesagt, dass eine Abschiebehaft in DublinFällen generell unzulässig ist. Er hat nur gesagt: In Fällen des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 Aufenthaltsgesetz ist sie unzulässig, weil Deutschland noch keine genaue Definition der Fluchtgründe im Einzelnen geliefert
hat. - Das tragen wir jetzt nach. Wenn wir uns europarechtskonform verhalten wollen, dann müssen wir das
tun, sonst können wir uns, was den Vergleich mit anderen europäischen Ländern angeht, auf europäischer
Ebene nicht mehr sehen lassen. Stichwort auch hier: Solidarität.
Das ist neu, aber nicht im Vergleich zu früheren Zeiten, sondern nur im Lichte der seit Anfang 2014 geltenden neuen Dublin-III-Verordnung und der Rechtsprechung des BGH, der gesagt hat, dass wir etwas machen
müssen.
Kollege Veit, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Dağdelen?
Gerne.
Herr Kollege Veit, Sie haben so getan, als wenn dieses Gesetzespaket nur noch Verbesserungen für Betroffene enthielte. Sie haben das so begründet, dass man
dem Europarecht damit Genüge tun will. Die SPD hat in
ihrem Wahlprogramm versprochen - der SPD-Vorsitzende war im Wahlkampf 2013 Klinken putzen bei den
türkischen Migrantenorganisationen -, die Sprachnachweise beim Ehegattennachzug aufzuheben, wenn man in
die Regierung kommt.
Es gab 2014 ein Urteil des EuGH, das Dogan-Urteil.
Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Sprachnachweise beim Ehegattennachzug europarechtswidrig
sind, weil sie im Falle von türkischen Staatsangehörigen
gegen Assoziationsrecht verstoßen. Daraufhin gab es
erst einmal eine Ansage des Auswärtigen Amts - ein
SPD-Minister steht diesem Ministerium vor -, dass das
Urteil umgesetzt wird und dass man die Sprachnachweise aufheben möchte. Es gab inzwischen auch andere
Urteile. Am 9. Juli wird der Europäische Gerichtshof
noch einmal urteilen. Da wird geprüft, ob Sprachnachweise im Rahmen des Ehegattennachzugs auch gegen
die Familienzusammenführungsrichtlinie verstoßen.
Meine Frage: Wenn Sie doch europarechtskonforme
Gesetze vorlegen wollen, warum heben Sie dann nicht
endlich die europarechtswidrige, schändliche Regelung
auf, den Ehegattennachzug mit der Voraussetzung eines
Sprachnachweises zu verknüpfen, damit die Schikane
gegen Eheleute ein Ende hat?
({0})
Liebe Sevim Dağdelen, in der Bewertung sind wir uns
völlig einig. Wir als SPD hätten diese Regelung gerne
gänzlich aufgehoben. Das war mit der Union nicht zu
machen.
Stichwort: europarechtskonform, ja oder nein? Ich
verfüge nicht über prophetische Gaben. Der EuGH wird
am 9. Juli genau darüber eine Entscheidung treffen
({0})
und uns dann sagen, ob diese Regelung insgesamt europarechtskonform ist - ja oder nein -, und, wenn ja, eventuell auch in Verbindung mit einer Härtefallklausel, wie
wir sie jetzt ins Gesetz hineingeschrieben haben.
Wie gesagt: Wir haben das nicht gerne gemacht, wir
hätten es gern anders gehabt; aber ein politischer Kompromiss auch in der Frage setzt nun einmal wechselseitiges Nachgeben voraus. Deswegen steht das jetzt so drin.
Ich würde gerne in meinen Ausführungen fortfahren
und versuchen, Ihnen in der Kürze der Zeit darzulegen,
was sich alles mit dem Gesetz zum Positiven verändert:
Bleiberecht für langjährig Geduldete, für Jugendliche
sogar nach vier Jahren. Vor allen Dingen - die meisten
beachten es vielleicht nicht hinreichend -: Wir verzichten auf die vollständige Sicherung des Lebensunterhaltes. Das ist allein schon für die 20 000 Menschen extrem
wichtig, die nach der alten Regelung zwar zunächst eine
Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, welche aber
nicht verlängert werden konnte, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht sichern konnten.
({1})
Ich sage in Richtung der Grünen: Es wäre uns in der
Tat lieber gewesen, Volker Beck, für Jugendliche in der
Berufsausbildung im Gesetz nicht nur eine Duldung vorzusehen, sondern eine Aufenthaltserlaubnis.
({2})
Aber auch da war nicht mehr machbar. Jedenfalls ist es
ein Fortschritt in Sachen Rechtssicherheit, sowohl für
die Auszubildenden als auch für die Handwerksmeister,
ihre Ausbilder.
({3})
Es ist uns gelungen, eine Regelung für das sogenannte
Resettlement-Verfahren, also die Aufnahme von Flüchtlingen hier bei uns, ins Gesetz hineinzuschreiben und
dabei ausdrücklich klarzustellen, dass die Betroffenen,
wenn sie denn hier sind und eine Aufenthaltserlaubnis
bekommen, ihre Familien nachholen können. Auch das
ist lange nicht selbstverständlich gewesen und betrifft
auch in der Zukunft sehr viele Menschen.
({4})
Weiterhin: Auch subsidiär Geschützte - ich kann jetzt
nicht im Einzelnen ausführen, wer zu dieser Gruppe gehört, aber es waren im letzten Jahr immerhin 5 000 Menschen - bekommen jetzt die Möglichkeit, ihre Familien
nachzuholen.
({5})
Nächster Punkt. Wir sehen einen verbesserten Status
für Opfer von Menschenhandel vor.
({6})
Wir haben schließlich einen neuen Aufenthaltstitel für
Personen geschaffen, die hier bei uns in Deutschland zusätzliche Qualifikationen erwerben, damit im Ausland
erworbene berufliche Qualifikationen anerkannt werden
können.
Das sind nur einige wenige Punkte, die eindeutig auf
der Habenseite zu verbuchen sind, Regelungen, die ganz
viele Menschen - gerade bei der Bleiberechtsregelung
sind es Zigtausende - begünstigen und ihnen auch für
die nächsten Jahre Sicherheit geben. Das ist gut für diese
Menschen, das ist gut für unsere Gesellschaft, die mit
der Mitwirkung dieser Menschen in jeder Weise rechnen
kann. Die Betroffenen haben bisher nur aus dem Koffer
gelebt. Von daher ist das ein echter Fortschritt.
Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang gesagt: Für einen Teil der Überlegungen der Demonstranten habe ich Verständnis. - Das ist auch der Grund,
warum der Tag der Verabschiedung dieses Gesetzes
nicht nur als Feiertag angesehen werden kann. Das ist
sozusagen der Wermutstropfen. Ich würde aber gerne
feststellen, dass jetzt mit der zweiten und dritten Lesung
vieles von dem, was insbesondere Pro Asyl und zahlreiche andere Nichtregierungsorganisationen, die sich um
das Wohl von Flüchtlingen kümmern, seit Jahren - um
nicht zu sagen: seit Jahrzehnten - von uns verlangt und
erwartet haben, Gesetz wird. Das ist eigentlich auch ein
Grund zur Freude und eben nicht nur zum Demonstrieren, ausgehend von falschen Voraussetzungen.
Ich sage in der zusammenfassenden Bewertung
höchstpersönlich für mich: Wenn richtig wäre, liebe
Ulla, liebe Sevim und andere, die uns das vielleicht vorhalten, dass das, was wir uns heute anschicken zu beschließen, die schlimmste Verschärfung des Asylrechtes
seit dem Asylkompromiss ist, dann würde ich spätestens
an dem Tag, an dem Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren, mir das nachgewiesen haben, in Rente gehen. Dann wäre ich mein Geld nicht wert.
Danke.
({7})
Ich bitte zunächst darum, die notwendige Ordnung
herzustellen. - Bei der Gelegenheit möchte ich darauf
hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie
schon im Saale sind: Ich habe mich vergewissert, dass
wir für alle Kolleginnen und Kollegen hier im Saal eine
Sitzgelegenheit haben. Unsere Debatte dauert noch neun
Minuten.
({0})
Damit ich dem nächsten Redner das Wort erteilen kann,
bitte ich alle, die schon im Saal sind, erst einmal Platz zu
nehmen. Sollten Sie in Ihren interfraktionellen Gesprächsgruppen weiter zusammenbleiben wollen, aber in
Ihrer Fraktion keinen Platz finden, gewähren die anderen
Fraktionen Ihnen bestimmt die Möglichkeit, bei ihnen
Platz zu nehmen. - Es betrübt mich, dass auch die Fraktion Die Linke mir nicht folgt. Das gilt auch für die
Unionsfraktion. - Ich werde die Debatte nicht weiterführen, bevor wir nicht die notwendige Aufmerksamkeit für
die nächsten zwei Redner haben.
({1})
- Das gilt auch für die Fraktion Die Linke, das sage ich
ausdrücklich. Es geht hier nicht weiter, bevor Sie nicht
sitzen. - Auch bei der SPD gibt es noch Bedarf, Plätze
zu finden. Vielleicht können Sie Ihren Kollegen behilflich sein?
({2})
- Ja, wenn sie nur stehen würden und nicht noch laut Gespräche führen würden, dann wäre das in Ordnung.
({3})
Vizepräsidentin Petra Pau
- Kollege Grund, wir machen dann weiter, wenn die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist. Wir hören auch
noch dem Redner der Grünen bzw. der Rednerin der
Union zu.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf bleibt im Aufenthaltsgesetz kein
Stein auf dem anderen.
({0})
Es hat schon Gründe, dass wir in diesem Hohen Hause
nach 20 Uhr über den vorliegenden Gesetzentwurf diskutieren. Es hat auch Gründe, dass sowohl der Bundesinnenminister als auch du, lieber Rüdiger Veit, kaum etwas zum Inhalt des Gesetzentwurfes gesagt haben. Das
hätte ich auch so gemacht, wenn ich den hätte vertreten
müssen.
({1})
Natürlich ist es richtig, dass die Bleiberechtsregelung
ein Fortschritt ist,
({2})
aber sie ist löchrig, und sie fällt hinter die Vorschläge des
Bundesrates zurück. Die überfällige Bleiberechtsregelung wurde von der SPD teuer erkauft: allerlei Haft,
viele Grundrechtseingriffe und mögliche Rückschritte
für Geduldete in der Ausbildung. Haarsträubend ist der
vorliegende Gesetzentwurf insbesondere in drei Punkten. Wir fordern Sie daher auf, Ihren falschen Weg im
Rahmen von namentlichen Abstimmungen zu korrigieren.
({3})
Lieber Rüdiger Veit, du hast gesagt, wenn jugendliche
Asylbewerber in Ausbildung kommen, dann werde
künftig eine Duldung ausgesprochen; das sei ein Fortschritt.
({4})
Ich zitiere deinen Innenminister aus Nordrhein-Westfalen:
Die Bundesregierung stellte klar, dass die Aufnahme einer Berufsausbildung zu den dringenden
persönlichen Gründen zählt und eine Duldung daher bereits nach geltender Rechtslage erteilt werden
kann.
({5})
Mit diesem Gesetzentwurf - das ist die einzige Änderung - sorgt ihr für mehr rechtliche Unsicherheit für
Auszubildende, die mit über 21 Jahren eine Ausbildung
aufnehmen. Hier droht eine Verschlechterung.
({6})
Wir wollen: Den Geduldeten, die eine Ausbildung beginnen, ist für die Zeit der Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,
({7})
damit sowohl die auszubildenden Flüchtlinge als auch
die Handwerksbetriebe, die sie zur Ausbildung anstellen,
Rechtssicherheit haben.
({8})
- Jetzt habe überwiegend ich das Wort, Herr Kollege
Lischka. - Die Handwerksbetriebe sollen nicht anderthalb Jahre in jemanden investieren, der dann plötzlich
weg ist, ohne Abschluss, ohne dass er die Ausbildung
beenden konnte. Das, was Sie hier machen, ist einfach
lebensfremd.
({9})
Das widerspricht auch den Forderungen der Wirtschaftsverbände. Seien Sie human und wirtschaftsfreundlich.
Sie hätten die Chance dazu, indem Sie diese falsche Regelung korrigieren.
Zweiter Punkt - Kollegin Dağdelen hat das schon angesprochen -: Beim Ehegattennachzug bestehen Sie
weiter auf die unsinnigen Sprachtests.
({10})
Der Schutz von Ehe und Familie kann nicht unter
Sprachvorbehalt stehen.
({11})
Das ist ein hohes Gut. Deshalb bringen wir heute hier einen Gesetzentwurf zur Verwirklichung des besonderen
Schutzes von Ehe und Familie - auch für Menschen
ohne deutsche Staatsangehörigkeit - ein.
({12})
Im Grundgesetz steht nicht: Schutz von Ehe und Familie
nur für Deutsche. Das muss für alle gleichermaßen gelten.
({13})
Der Sprachtest ist doch Unsinn sondergleichen.
({14})
Deutsch lernt man am besten in Deutschland
({15})
Volker Beck ({16})
und nicht im Ausland, auf dem Land, wo es keine
Sprachschule gibt.
Sie setzen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
einfach nicht um. Konsequent nehmen Sie das Urteil
nicht zur Kenntnis.
({17})
Das ist, wie ich finde, wirklich ein Skandal. Das Ganze
ist doch sowieso schon ein Flickenteppich, weil wir mit
den einzelnen Ländern verschiedene Abkommen geschlossen haben. Wir behandeln die Menschen unterschiedlich, je nachdem, wo sie herkommen.
Die Änderungen beim Bleiberecht, die von Rüdiger
Veit so hoch gelobt werden, werden mit einer Verschärfung der Abschiebehaft erkauft.
({18})
Indem Sie die rechtlichen Gründe schärfer formulieren,
führen Sie eine völlig neue Hintertür ein, nämlich den
Ausreisegewahrsam. Haft ohne jeden Haftgrund - das ist
so etwas von europarechtswidrig! Wir werden heute im
Wege einer namentlichen Abstimmung das Abstimmungsverhalten festhalten, damit wir genau wissen, wer
zugestimmt hat, wenn der EuGH oder das Verfassungsgericht sagt, dass das so nicht geht.
({19})
Kollege Beck.
Darf ich noch einen Gedanken ansprechen?
Wenn Sie dem Kollegen Veit gestatten, eine Frage zu
stellen oder eine Bemerkung zu machen, dann haben Sie
die Chance dazu.
Ja.
Lieber Kollege Volker Beck, ist dir und anderen bei
dieser Kritik am Ausreisegewahrsam, der maximal vier
Tage dauert und in der Tat neu ins Gesetz geschrieben
wird, vielleicht entgangen, dass wir im gleichen Atemzug die sogenannte kleine Sicherungshaft, die bis zu
14 Tage dauern kann, abgeschafft haben?
({0})
Willst du der Feststellung widersprechen, dass das im
Sinne der Betroffenen eine echte Verbesserung ist, nämlich zumindest zehn Tage weniger?
({1})
Nein. Gegen diesen Ausreisegewahrsam, so wie er
ausgestaltet ist, können die Betroffenen keinen Rechtsbehelf einlegen. Das, was da stattfindet, läuft im rechtsstaatlichen Niemandsland ab.
({0})
Man kann Leute nicht ohne Haftgrund einsperren, auch
nicht vier Tage. Das sind keine Straftäter!
({1})
Herr de Maizière, wir sind uns einig - ich sage das,
damit hier kein Popanz aufgebaut wird; Rüdiger, bleib
ruhig stehen, denn dann habe ich noch ein bisschen mehr
Zeit
Sie müssen zum Ende kommen.
- dass Menschen, die hier keinen Schutzanspruch haben und nicht als Arbeitsmigranten kommen, das Land
verlassen müssen. Dafür kann man aber doch nicht auf
rechtsstaatswidrige Mittel zurückgreifen. Dabei bleiben
wir.
Dieses Gesetz ist am Ende für viele Menschen eine
Katastrophe. Für einige wird es eine Verbesserung
geben; aber damit wird das Unrecht, das dadurch
geschieht, nicht aufgewogen. Denen, denen Unrecht geschieht, geschieht Unrecht, und das darf man nicht hinnehmen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es steht völlig außer Frage, dass wir
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, Asyl
in Deutschland gewähren und sie zügig und bestmöglich
versorgen und integrieren.
Wir brauchen ein verlässliches Asylrecht, um wirklich schutzbedürftigen Flüchtlingen schnell helfen zu
können. Aktuell werden allerdings bei zwei Dritteln aller
Asylbewerber keine Schutzgründe festgestellt. Am
31. Dezember 2014 standen rund 154 000 ausreisepflichtige Personen im Ausländerzentralregister. Im gesamten Jahresverlauf 2014 wurden bundesweit nur
knapp 11 000 Abschiebungen und circa 13 000 freiwillige Ausreisen verzeichnet. Diese Diskrepanz zeigt, dass
unser Asylrecht nicht konsequent umgesetzt wurde.
Viele Menschen leben seit Jahren ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus bei uns. Der vorliegende GesetzentAndrea Lindholz
wurf soll diese Schieflage im deutschen Asylrecht korrigieren. Ausländer, die schon lange ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus bei uns leben und sich nachweislich
gut integriert haben, sollen nun ein gesichertes Bleiberecht erhalten. Das ist auch richtig so.
Gleichzeitig werden aber Ausweisungshindernisse
beseitigt. Die veraltete dreistufige Kann-Soll-Muss-Regelung im Ausweisungsrecht wird abgeschafft. Künftig
sollen Behörden und Verwaltungsgerichte in jedem Einzelfall zwischen individuellen Bleibeinteressen und öffentlichen Ausweisungsinteressen abwägen, die im Gesetzentwurf klar definiert wurden.
Mit den neuen Einreise- und Aufenthaltssperren soll
Asylmissbrauch vorgebeugt werden. Personen, die
mehrfach unbegründete Asylanträge gestellt haben, können für den gesamten Schengen-Raum gesperrt werden.
Unter den zehn Hauptherkunftsländern befinden sich
seit Jahren fünf Balkanstaaten, obwohl die Asylbewerber aus diesen Ländern zu quasi 100 Prozent abgelehnt
werden. Diese Menschen suchen - das geben sie in den
Anhörungen im Wesentlichen so an - bei uns Arbeit.
Das ist verständlich, aber für sie gibt es legale Wege, wie
zum Beispiel die Einwanderung über einen der 70 Mangelberufe in Deutschland. Asyl - auch wenn das manch
einer nicht hören will - dient dem Schutz vor Verfolgung
und eben nicht der Anwerbung von Fachkräften und
auch nicht der Bekämpfung von Armut.
({0})
Außerdem schließen wir eine Regelungslücke im
deutschen Recht. Der BGH hat uns ausdrücklich angemahnt, dass es im deutschen Recht an klaren Kriterien
für die sogenannte Dublin-Haft fehlt. Die Abschiebehaft
steht künftig unter Richtervorbehalt. Entlang ganz klar
definierter Indizien, die zusammen die Annahme von
Fluchtgefahr begründen können, muss ein Richter diese
in jedem Einzelfall prüfen und auch die Verhältnismäßigkeit der Haft feststellen. Es ist damit auch keine Verschärfung vorgenommen worden.
Tatsächlich Schutzbedürftige, vor allem Flüchtlinge
aus Neuansiedlungsprogrammen und Jugendliche, werden aufenthaltsrechtlich deutlich besser gestellt. Wir
schaffen einen neuen Aufenthaltstitel, um durch nachträgliche Bildungsmaßnahmen in Deutschland die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen zu erleichtern. Natürlich hilft die Klarstellung in § 60 a
Aufenthaltsgesetz, lieber Herr Beck, dass die Betriebe in
Zukunft Rechtssicherheit erhalten. Jugendliche, die vor
dem 21. Lebensjahr eine Ausbildung begonnen haben,
können sie definitiv in Deutschland abschließen, wenn
die Länder entsprechende Regelungen umsetzen. Das
werden sie auch tun.
({1})
Es liegt weiterhin im Ermessen der Ausländerbehörde,
die Duldung für eine Ausbildung erstmalig für ein Jahr
zu erteilen. Wenn die Ausbildung ordnungsgemäß absolviert wird, muss die Duldung jedes Jahr verlängert werden. Wir schaffen damit deutschlandweit eine einheitliche Regelung.
In diesem Jahr werden insgesamt 450 000 Asylbewerber erwartet. Das entspricht einem Anstieg von über
1 600 Prozent innerhalb der letzten acht Jahre. Angesichts dieses gewaltigen Anstieges ist es für die öffentliche Akzeptanz unseres Asylsystems von entscheidender
Bedeutung, dass wir neben einer verbesserten Bleiberechtsregelung, neben schnellerer und unbürokratischer
Hilfe für Kriegsflüchtlinge und andere schutzberechtigte
Asylbewerber auch dafür sorgen, dass die vielen aussichtslosen Asylbewerber von der illegalen Einreise abgehalten oder zügig zurückgeführt werden.
Wenn wir in diesen Tagen Kritik an unseren neuen
Regelungen zu hören bekommen, wie auch heute hier,
dann möchte ich den bisherigen UNHCR-Vertreter in
Deutschland, den niederländischen Diplomaten Hans ten
Feld, zitieren, der zu Recht eine europäische Asylpolitik
angemahnt hat, uns aber gleichzeitig einen solidarischen
und verantwortlichen Umgang mit Flüchtlingen bescheinigt hat.
({2})
Das ist zwar auch eine europäische Aufgabe. Aber er hat
den Deutschen eines bescheinigt - das hat er wörtlich
gesagt; dieses Zitat möchte ich zum Schluss bringen -:
Nicht nur in Europa und nicht nur als Frage von
Grenzkontrollen. Sondern auch damit, wie man vor
Ort
- denn auch das wird oft nicht berücksichtigt oder in Nachbarländern helfen kann. Das sind
wichtige Schritte, wichtige Signale, die da von
Deutschland ausgehen.
Insofern stellt der heutige Gesetzentwurf, den wir zur
Abstimmung stellen, einen weiteren Baustein im Rahmen unserer Gesamtschau der Asyl- und Entwicklungspolitik dar. Wir sind auf einem richtigen Weg. Ich bitte
Sie heute um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthalts-
beendigung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5420, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
18/4097 und 18/4199 in der Ausschussfassung anzuneh-
men.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/5425. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Vizepräsidentin Petra Pau
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Bevor wir jetzt zu den drei Änderungsanträgen kom-
men, zu denen namentliche Abstimmung verlangt
wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass die Sitzung
bis zum Vorliegen der Ergebnisse unterbrochen wird. Im
Anschluss daran werden wir einfache Abstimmungen
und eine weitere namentliche Abstimmung durchführen.
Wir stimmen nun über die drei Änderungsanträge ab,
zu denen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentli-
che Abstimmung verlangt hat.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/5423. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vorge-
sehenen Platz? - Das ist der Fall. Ich eröffne die erste
namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/5423.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir un-
terbrechen nicht jetzt, sondern wenn diese Abstimmung
abgeschlossen ist, führen wir sofort die zweite namentli-
che Abstimmung durch. Zurzeit sind wir noch bei der
ersten.
Ich bitte darum, den Kolleginnen und Kollegen, die
noch nicht abgestimmt haben, dies zu ermöglichen, in-
dem die Gänge frei gemacht werden bzw. sich diejeni-
gen, die abgestimmt haben, wieder in die Reihen der
Fraktionen begeben.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine
Stimme zur ersten namentlichen Abstimmung noch nicht
abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5424. Sind
alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
Platz? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die
zweite namentliche Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/5424.
Gibt es ein Mitglied des Hauses, welches seine
Stimme zur zweiten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1)
Schließlich kommen wir zu dem Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5426.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? -
Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentliche Ab-
stimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
18/5426.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat?
Ich wiederhole die Frage: Gibt es noch ein Mitglied
des Hauses, welches sich gehindert fühlte, seine Stimme
zur dritten namentlichen Abstimmung abzugeben? - Das
ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.2)
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Zuallererst kommen wir natürlich zu den Ergebnis-
sen der namentlichen Abstimmungen. Ich bitte Sie,
die Sicht für das Präsidium ein wenig freizumachen,
weil wir vor der nächsten namentlichen Abstimmung
noch über einen Gesetzentwurf abstimmen. Wir wollen
natürlich die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei fest-
stellen.
Ich komme zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der ersten namentli-
chen Abstimmung: abgegebene Stimmen 592. Mit Ja ha-
ben 58 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein
haben 474 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 60 Kol-
leginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist
der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen abgelehnt.
1) Ergebnis Seite 11165 A
2) Ergebnis Seite 11167 B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon
ja: 58
nein: 474
enthalten: 60
Ja
SPD
Dr. Karamba Diaby
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({0})
Volker Beck ({1})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({2})
Christian Kühn ({3})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Vizepräsidentin Petra Pau
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({4})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({5})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({6})
Axel E. Fischer ({7})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({8})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({9})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({15})
Gabriele Schmidt ({16})
Ronja Schmitt ({17})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({18})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({19})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({20})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Vizepräsidentin Petra Pau
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({21})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({22})
Peter Weiß ({23})
Sabine Weiss ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({25})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({26})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({27})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({28})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({30})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({31})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({32})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({33})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({34})
Matthias Schmidt ({35})
Dagmar Schmidt ({36})
Carsten Schneider ({37})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({38})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({39})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Vizepräsidentin Petra Pau
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({40})
Thomas Nord
Harald Petzold ({41})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({42})
Wir kommen zum zweiten Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stimmen 592. Mit Ja haben 119 Kolleginnen und Kollegen
gestimmt, mit Nein 470, 3 haben sich enthalten. Auch
dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon
ja: 119
nein: 470
enthalten: 3
Ja
SPD
Dr. Karamba Diaby
Dr. Ute Finckh-Krämer
Frank Schwabe
Christoph Strässer
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({43})
Thomas Nord
Harald Petzold ({44})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({45})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({46})
Volker Beck ({47})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({48})
Christian Kühn ({49})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({50})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({51})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({52})
Axel E. Fischer ({53})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Vizepräsidentin Petra Pau
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({54})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({55})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({56})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({57})
Stefan Müller ({58})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({59})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({60})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({61})
Gabriele Schmidt ({62})
Ronja Schmitt ({63})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({64})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({65})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({66})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({67})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({68})
Peter Weiß ({69})
Sabine Weiss ({70})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({71})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({72})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Vizepräsidentin Petra Pau
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({73})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({74})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({75})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({76})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({77})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({78})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({79})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({80})
Matthias Schmidt ({81})
Dagmar Schmidt ({82})
Carsten Schneider ({83})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({84})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({85})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Damit kommen wir zum dritten Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben 118 Kolleginnen und Kollegen
gestimmt, mit Nein 468, und 3 haben sich enthalten.
Auch dieser Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon
ja: 119
nein: 468
enthalten: 3
Ja
SPD
Dr. Karamba Diaby
Dr. Ute Finckh-Krämer
Susann Rüthrich
Christoph Strässer
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({86})
Thomas Nord
Harald Petzold ({87})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Vizepräsidentin Petra Pau
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({88})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({89})
Volker Beck ({90})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({91})
Christian Kühn ({92})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({93})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({94})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({95})
Axel E. Fischer ({96})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({97})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({98})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({99})
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({100})
Stefan Müller ({101})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Vizepräsidentin Petra Pau
Katherina Reiche ({102})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({103})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({104})
Gabriele Schmidt ({105})
Ronja Schmitt ({106})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({107})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({108})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({109})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({110})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({111})
Peter Weiß ({112})
Sabine Weiss ({113})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({114})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({115})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({116})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({117})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({118})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({119})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({120})
Aydan Özoğuzj
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({121})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({122})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({123})
Matthias Schmidt ({124})
Dagmar Schmidt ({125})
Carsten Schneider ({126})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({127})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({128})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4097
und 18/4199. Mir liegen dazu mehrere Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor. Entsprechend unse-
ren Regeln nehmen wir diese Erklärungen zu Protokoll.1)
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bin gespannt, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wie Sie das jetzt entsprechend un-
seren Regeln bewerkstelligen wollen, wenn Sie in den
Gängen stehen bleiben. Ich bitte nämlich diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Ich gestehe, ich bin mit Blick auf einige Fraktionen ver-
wirrt. Wer stimmt dagegen? - Also, ich mache darauf
aufmerksam: Jeder und jede kann nur einmal votieren.
Wer jetzt steht, stimmt gegen den Gesetzentwurf, um das
deutlich zu sagen. Wer enthält sich? - Der Gesetzent-
wurf ist in dritter Lesung angenommen. Nach dem, was
wir hier vorn feststellen konnten, ist die Annahme mit
den Stimmen der überwiegenden Anzahl der Kollegin-
nen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-
Fraktion erfolgt und die Ablehnung mit der überwiegen-
den Anzahl der abgegebenen Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei ei-
nigen Kollegen kann ich nur feststellen: Entweder sie
haben sich an allen drei Möglichkeiten beteiligt, oder sie
wollten demonstrieren, dass sie an dieser Abstimmung
nicht teilgenommen haben. Ich bitte, das in Zukunft zu
berücksichtigen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge und beginnen mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5428.2) Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Darf ich erfahren, wie die Fraktion Die
Linke votiert? Hier gab es eben ein sehr unterschiedli-
ches Abstimmungsverhalten. - Ich frage noch einmal:
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/5427. Die Fraktion Die
Linke verlangt namentliche Abstimmung.3)
Ich bitte Sie aus gegebenem Anlass, auf Ihre Stimm-
karten zu schauen und sich zu vergewissern, dass die
Stimmkarte Ihren Namen trägt.
1) Anlagen 5 bis 8
2) Anlage 9
3) Anlage 10
Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass wir zu
dem folgenden Tagesordnungspunkt 18 - Subventionen
für Atomkraftwerke in der EU - in circa 25 Minuten
zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen
müssen.
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die
vorgesehenen Plätze eingenommen? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine
Stimme zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke noch nicht ab-
geben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe da-
mit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.4)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte, möglichst zügig die notwendige Ordnung
herzustellen - auch rund um die Regierungsbank -, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen
kann. Auch die nächste Rednerin ist nicht erfreut über
Konkurrenz neben dem Rednerpult.
({129})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({130})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Aktiv gegen Subventionen für den Neubau
von Atomkraftwerken in der EU
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Subventionen für britisches Atomkraft-
werk Hinkley Point C stoppen und rechtli-
che Schritte einlegen
Drucksachen 18/4215, 18/4316, 18/5417
Über die Beschlussempfehlung zu beiden Anträgen
werden wir später namentlich abstimmen. Damit wir das
tun können, werden wir zuerst eine Debatte führen. Des-
wegen lautet meine dringende Bitte an die Herren Staats-
sekretäre und Staatsminister, uns das nun auch zu er-
möglichen.
4) Ergebnis Seite 11172 C
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.
({131})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben heute darüber zu entscheiden,
ob sich die Bundesregierung mittels Klage gegen eine
Entscheidung der EU-Kommission wenden soll. Diese
Entscheidung betrifft die Genehmigung einer Beihilfe
vonseiten der Briten zugunsten des Neubaus des recht
großen Atomkraftwerks Hinkley Point C. Ich möchte an
dieser Stelle vorweg betonen, dass die Beihilfe vonseiten
der Briten gewährt würde. Es handelt sich also nicht um
europäisches Geld, sondern ausschließlich um eine britische Entscheidung.
Der Förderrahmen, den die Briten für Hinkley Point C
vorsehen, ist ziemlich üppig ausgestaltet. Er umfasst drei
wesentliche Säulen: eine Vergütung, die auf 35 Jahre angelegt ist, Garantien und einen Inflationsausgleich sowie
eine Versteinerung der Förderbedingungen. Selbst wenn
irgendwann politisch anders entschieden würde, will der
britische Staat heutzutage sicherstellen, dass die Förderbedingungen aufrechterhalten werden. Damit handelt es
sich zweifellos um eine Beihilfe. Bei der Bewertung der
Anträge, mit denen die Bundesrepublik aufgefordert
werden soll, gegen diese Beihilfeentscheidung zu klagen, ist unbestritten, dass es sich um eine Beihilfe handelt.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Für mich ist ebenfalls unbestritten, dass es sich hier um ein unverantwortliches Projekt der Briten handelt.
({0})
Ich erinnere an die Erfahrungen mit Tschernobyl und Fukushima. Wir wissen, dass die Atomenergie absolut unrentabel und teurer ist als erneuerbare Energien und dass
die Endlagerfrage weltweit nicht gelöst ist. Es ist eine
Hochrisikotechnologie. Insofern halte ich es für richtig
und den einzig wahren Weg, für den sich Deutschland
entschieden hat, nämlich einen ganz klaren Ausstieg aus
der Atomenergie zu wählen.
({1})
Nun stellt sich aber die Frage, worauf sich diese
Klage gründet. Die Klage wäre dann gerechtfertigt,
wenn es sich um eine zweifelsohne rechtswidrige Beihilfeentscheidung, also um eine offensichtlich rechtsfehlerhafte Beihilfeentscheidung handeln würde. Das europäische Recht sieht für wettbewerbliche Verzerrungen, die
hier auch zu erwarten sind, einen weiten Ermessensspielraum vor. Die Kommission hat einen weiten Ermessensspielraum, wenn sie zu bewerten hat, ob Wettbewerbsund Handelsverzerrungen als beihilferechtswidrig einzustufen sind.
Nach der Prüfung, die wir hier vorgenommen haben auch vonseiten der Bundesregierung wird das so eingeschätzt -, liegt eine solche offenkundig rechtsfehlerhafte
Beihilfeentscheidung nicht vor. Ich möchte aber dazu sagen, dass, wenn man sich die Begründung anschaut, natürlich schon auffällt, dass es unterschiedliche Argumentationen und Bewertungen auch im Verhältnis zu den
erneuerbaren Energien gibt. Man kann ganz deutlich erkennen, dass bei erneuerbaren Energien vonseiten der
Kommission bisher - etwa in Gestalt der EU-Beihilfeleitlinien - restriktivere Förderrahmen als opportun bezeichnet wurden als jetzt im Rahmen der Beihilfeentscheidung bezüglich Hinkley Point C.
Aber auch daraus muss man nicht zwingend folgern,
dass diese Entscheidung nun offensichtlich rechtsfehlerhaft ist, sondern man kann auch zu dem Schluss kommen, dass dieser Gestaltungsrahmen, den die Kommission jetzt für Hinkley Point C ansetzt, zulässig ist. Aber
dann muss er natürlich auch zulässig für erneuerbare
Energien sein. Genau an dieser Stelle beginnt die Frage
politisch zu werden. Es ist die Frage, ob die Kommission
bei einer Entscheidung, die einen sehr weiten Gestaltungsspielraum für eine wettbewerblich eingreifende
Maßnahme eines Staates vorsieht, vonseiten eines anderen Staates angehalten werden soll, dem jeweiligen Mitgliedstaat auf die Finger zu hauen und zu sagen: „Das ist
ein zu weiter Beihilfebegriff, das muss restriktiver gehandhabt werden“, oder ob ein Staat sagt: „Nein, wir
nehmen das zur Kenntnis; hier ist ein weiterer Gestaltungsspielraum in Anspruch genommen worden, aber
das muss bitteschön zukünftig auch für erneuerbare
Energien gelten.“
({2})
Ich plädiere dafür, genau dies zum Maßstab zu nehmen und die deutschen Bemühungen, auch in Europa auf
einen Atomausstieg hinzuwirken, zu verstärken. Das ist
dringend erforderlich. Wir brauchen dringend den europäischen Atomausstieg. Das muss auch zum Maßstab
genommen werden, wenn es um die Bewertung der erneuerbaren Energien geht. Hier darf nicht vonseiten der
Europäischen Kommission mit zweierlei Maß gemessen
werden. Diese Entscheidung der Europäischen Kommission bedeutet für mich eindeutig, dass hiermit ein neuer
Rechtsrahmen und neue Bewertungskriterien für erneuerbare Energien gesetzt wurden.
Noch zu erwähnen ist, was allerdings nicht beihilferechtlich relevant ist, aber eben in diesen Kontext der
politischen Entscheidung passt, den ich gerade erwähnt
habe, dass diese Entscheidung, die die Briten gefällt haben, eine Entscheidung ist, die den nationalen Energiemix betrifft. Auch Deutschland hat immer sehr großen
Wert darauf gelegt, dass man frei in der Entscheidung
ist, den nationalen Energiemix zu gestalten.
Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union besagt, dass die Gestaltung des nationalen Energiemixes in der Gestaltungshoheit der jeweiligen Mitgliedstaaten liegt. Deutschland hat sich immer darauf berufen, auch wenn es um den Förderrahmen
für erneuerbare Energien ging, dass diese Gestaltung das
Recht der Mitgliedstaaten ist. Ich möchte auch daran festhalten und finde es richtig, dass wir diesen Artikel 194 ha11172
ben und dass das das Recht der Mitgliedstaaten ist. Anders wäre es nicht möglich gewesen, dass Deutschland
in der Energiewende eine solch herausragende Pionierrolle eingenommen hat.
({3})
Was daraus folgt, habe ich schon vorangestellt. Ich
meine, wir müssen auch aufgrund dieser Entscheidung
dringend darauf hinwirken, dass europäisch ein Atomausstieg erfolgt und dass irgendwann eine politische Entscheidung in Richtung Atomausstieg getroffen wird.
Deutschland hat sich hier auch schon positioniert. Bundesminister Sigmar Gabriel hat klar gesagt: Es soll keine
Förderungen von Atomenergie mit europäischen öffentlichen Geldern geben, auch nicht im Rahmen der Europäischen Energieunion. Diese Aussage ist ganz klar.
Insofern ist es unsere Aufgabe, einerseits auf den europäischen Atomausstieg hinzuarbeiten und andererseits
die Maßgaben für die Förderung erneuerbarer Energien
zu schaffen.
Abschließend - mein letzter Satz -: Wenn Deutschland nicht klagt, heißt das eben nicht, dass wir diese Entscheidung der Briten für gut halten. Ich habe erläutert,
was diese Nichtklageerhebung zu bedeuten hat. Ich
möchte hier noch einmal darauf hinweisen: Wir brauchen einen europäischen Atomausstieg.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja haben gestimmt 115, mit Nein haben
gestimmt 477, Enthaltungen 1.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 593;
davon
ja: 114
nein: 478
enthalten: 1
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({0})
Thomas Nord
Harald Petzold ({1})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({2})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({3})
Volker Beck ({4})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({5})
Christian Kühn ({6})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({7})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({8})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({9})
Axel E. Fischer ({10})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({11})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({12})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({13})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({14})
Stefan Müller ({15})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({17})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({18})
Gabriele Schmidt ({19})
Ronja Schmitt ({20})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({21})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({22})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({23})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({24})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({25})
Peter Weiß ({26})
Sabine Weiss ({27})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({28})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({29})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({30})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({33})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({34})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({35})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({36})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({37})
Matthias Schmidt ({38})
Dagmar Schmidt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({42})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel,
Fraktion Die Linke.
({43})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es ist schon angesprochen worden: Die EUKommission hat im Oktober vergangenen Jahres mit Zustimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger einen unsäglichen Beschluss gefasst;
({0})
denn dieser Beschluss macht den Weg dafür frei, dass
die britische Regierung den Neubau von zwei Atomreaktoren in Hinkley Point mit einem Rundum-sorglos-Paket
in Milliardenhöhe aus Subventionen und mit Strompreisgarantien fördern darf.
({1})
Das ist ein skandalöser Beschluss, der nicht nur die britischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer zu stehen kommen wird.
Die Regierungen von Österreich und Luxemburg werden mit einer Klage gegen diesen Beschluss vorgehen,
ebenso hiesige Ökostromunternehmen und Stadtwerke.
({2})
Außerdem haben inzwischen über 160 000 Bürgerinnen
und Bürger Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt. Und was tut die deutsche Bundesregierung? Sie
kneift.
({3})
Deswegen wollen wir Linken mit unserem Antrag erreichen, dass die Bundesregierung mit allen rechtlichen
und politisch möglichen Maßnahmen dafür sorgt, dass
der Beschluss der EU-Kommission zu Hinkley Point dahin kommt, wo er hingehört, nämlich in den Mülleimer.
({4})
Hintergrund der Kommissionsentscheidung zu Hinkley Point ist der Euratom-Vertrag; das darf nicht vergessen werden. Das zeigt: Dieses Schlupfloch muss endlich
geschlossen werden.
({5})
Der Euratom-Vertrag dient nur der Atomlobby, die ihre
wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchboxen will.
Abgesehen davon ist die Begründung der Kommissionsentscheidung - das haben auch Sachverständige bei
der Anhörung im Wirtschaftsausschuss herausgearbeitet in Sachen europäisches Beihilferecht abenteuerlich:
({6})
Erstens liegt entgegen der Behauptung der EU-Kommission bei der Atomenergie kein Marktversagen vor.
Kein einziges Atomkraftwerk wäre je gebaut worden,
wenn es nicht schon immer massive staatliche Unterstützung gegeben hätte. Rechtsanwältin Cornelia Ziehm hat
bei der Anhörung treffend formuliert, nicht der Markt
habe versagt, sondern nach 60 Jahren Atomkraft könne
man ja wohl nur davon sprechen, die Technologie habe
versagt.
({7})
Zweitens - das entkräftet ein bisschen die Argumentation von Frau Scheer - sind im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien, für die ein Ausbauziel von 27 Prozent bis 2020 verfolgt wird, nirgends gemeinsame
europäische AKW-Ausbauziele definiert worden. Das
gibt der Euratom-Vertrag definitiv überhaupt nicht her.
Der EU-Beschluss muss aber ebenfalls vom Tisch, weil
er als Türöffner auch für andere EU-Staaten Modell stehen wird: Sechs Staaten in der EU, darunter Polen und
Tschechien, stehen bereits in den Startlöchern und überlegen, ähnlich wie Großbritannien vorzugehen. Darum:
Der Beschluss der EU-Kommission muss gekippt werden.
({8})
Atomausstieg in Deutschland und Atomsubventionierung in Europa passen nicht zusammen.
({9})
Noch eines: Nach dem kraftvollen Nein von Sigmar
Gabriel - das ist immerhin der SPD-Parteivorsitzende
und Ihr gemeinsamer Wirtschafts- und Energieminister,
sehr verehrte Damen und Herren und Abgeordnete ({10})
zu Atomsubventionen in Europa ist es nun an unserer
bundesdeutschen Regierung, endlich etwas zu tun: Geben wir ihr in der Abstimmung über die Anträge von uns
Linken und von den Grünen den Auftrag, alles politisch
und rechtlich Mögliche zu tun, damit der Beschluss der
EU-Kommission zu Fall kommt und der Atomausstieg
in Europa weitergeht.
({11})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Jens Koeppen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Oppositionsanträge empfehlen dem Deutschen Bundestag, gegen den Beschluss von Großbritannien, Atomkraftwerke zu bauen, zu klagen. Ich empfehle Ihnen,
vom Ende her zu denken; denn dieser Schuss kann nach
hinten losgehen. Ich denke, es ist nicht zulässig. Ich
denke auch, es ist eine Sackgasse, und es ist ein Bumerang. Ich werde Ihnen auch erklären, warum das aus
meiner Sicht so ist.
Die Gestaltung der Energiepolitik, etwa der Energiewende, liegt in der nationalen Entscheidungshoheit jedes
Mitgliedstaats der Europäischen Union. Genau diese
Entscheidungshoheit erlaubt es Deutschland, zu sagen:
Wir steigen aus der Kernenergieerzeugung aus. - Frau
Dr. Scheer, das ist eine Bewertung. Ich will jetzt gar
nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Aber Sie haben es gemacht.
({0})
Das ist in Ordnung. - Wir steigen allerdings nur aus der
Kernenergieerzeugung aus; nutzen werden wir die Kernenergie noch einige Jahre oder Jahrzehnte, weil wir die
Lücke schließen müssen. - Das dazu.
Durch die souveräne Entscheidung für diesen Mix in
Deutschland ist es möglich, in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu kommen. Dieser Weg wird von vielen
Nachbarn interessiert, aber auch sehr kritisch beäugt;
denn sie wissen nicht, was da passiert. Wird es gelingen?
Wird es nicht gelingen?
Natürlich, Frau Kotting-Uhl - Sie werden es nachher
sagen; Sie haben es im Ausschuss gesagt -: Jeder Vergleich zu den erneuerbaren Energien hinkt. - Jeder Vergleich hinkt. Ich will mich trotzdem auf die erneuerbaren
Energien bei uns konzentrieren, um danach wieder zu
Hinkley Point C zu kommen.
Wir setzen auf erneuerbare Energien, und wir geben
auch eine starke staatliche Förderung dafür; das ist unbestritten. Wir haben eine Einspeisevergütung über
20 Jahre. Das ist eine starke Subventionierung. Wir haben einen Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien. Das ist auch eine starke staatliche Subventionierung. Wir haben sogar eine Vergütung für nicht
abgegebene Leistung. Wenn Energie abgeregelt werden
muss, weil es zu viel Energie gibt, weil sie nicht verbraucht wird, wird trotzdem bezahlt.
({1})
Das ist etwas, Herr Krischer, was man natürlich beachten muss. Die Briten oder andere könnten sagen: Das ist
ein Markteingriff. Dagegen könnten wir klagen. - Deswegen müssen wir vorsichtig sein, und deswegen müssen wir vom Ende her denken.
({2})
Wir haben ungefähr 195 Gigawatt installierte NettoNennleistung. Davon sind 45 Prozent - das sind 90 Gigawatt - aus erneuerbaren Energien. Diese werden natürlich in den europaweit gekoppelten Stromspotmarkt
integriert. Das reduziert - da sind wir beieinander - den
Börsenstrompreis, und das hat eine direkte Auswirkung
auf die Märkte. Jetzt fragen andere: Ist das zulässig? Ist
das nicht ein Eingriff? Können wir dagegen nicht klagen? - Deswegen warne ich davor, solche Schritte zu gehen.
Wer gegen Großbritannien und den Mix dort klagt,
läuft natürlich Gefahr, dass gegen die 90 Gigawatt geklagt wird. Nur zum Vergleich: Hinkley Point C wird,
wenn es fertig ist, 3,3 Gigawatt produzieren. Das sind
circa 3,3 Prozent von den 90 Gigawatt installierter
Netto-Nennleistung. Jetzt ist die Frage: Wo ist der Markteffekt größer, bei den 90 Gigawatt oder bei den 3,3 Gigawatt? - Deswegen riskieren wir mit einer Klage, die Sie
in den beiden Anträgen fordern, europäische Sympathien. Es ist, ganz klar, ein ideologisch geführter Kampf.
Wir werden da Widerstand ernten.
Was macht Großbritannien? Sie wissen, dass Großbritannien ein sehr ehrgeiziges Klimaschutzziel hat; das ist
unbestritten. Bis zum Jahr 2050 will Großbritannien
80 Prozent CO2 einsparen. Welchen Weg geht man dort?
Man substituiert mit Hinkley Point C alte Kernenergiekraftwerke. Man hat Offshoreprojekte, bei denen die
Megawattstunde 188 Euro kosten wird bzw. entsprechend subventioniert wird. Dagegen wollen Sie übrigens
nicht klagen. Das ist auch bemerkenswert. Das ist um
70 Prozent höher als in Deutschland. Außerdem hat
Großbritannien die CCS-Technologie angewandt, um
die CO2-Emissionen aus Kohle, Gas und Industrie zu
senken. Das sind Wege, die Großbritannien festlegen
kann, und zwar ganz allein, ohne dass in irgendeiner Art
und Weise geklagt wird. Jetzt können Sie und auch die
Sachverständigen doch nicht sagen: Das ist ein Rundumsorglos-Paket. - Das ist nicht in Ordnung.
({3})
Wir sagen: Das geht so nicht. Denn viele in Europa sagen: Das EEG ist ein Rundum-sorglos-Paket. - Und das
wollen wir natürlich vermeiden.
Der Weg von Großbritannien ist in der Tat nicht unser
Weg; Frau Dr. Scheer, Sie haben es gesagt. Es ist aber
die Frage: Sind wir gute Europäer, wenn wir andere Länder, Partner, befreundete Länder mit Klagen überziehen
für eine Sache, dessen alleinige Gestaltungshoheit in den
Mitgliedstaaten liegt? Ich glaube, das ist der falsche
Weg.
Was die Souveränität angeht, werden Sie ja wieder
damit kommen, dass das europäisch gelöst werden muss,
Frau Kotting-Uhl. Das haben Sie ja bereits im Ausschuss
gesagt. Was wäre denn, wenn eine europäische Lösung
so aussähe, dass durch irgendeinen Kommissar festgelegt wird, dass ein Mix aus 30 Prozent Erneuerbaren,
30 Prozent Kernenergie und 30 Prozent Kohle zu installieren ist? Wäre das der bessere Weg, oder ist es doch
besser, dass die Souveränität bei den Mitgliedstaaten
liegt?
({4})
- Ich sagte doch gerade: Wenn es festgelegt würde, dann
müssten wir die Kernenergie weiterführen und dürften
die Reaktoren nicht abschalten. Ist das dann der bessere
Weg? Ich denke, nein. Deswegen gehen wir diesen Weg
nicht mit.
({5})
Was wir machen müssen, ist, für unseren Weg zu werben. Das können Sie ja nicht, Herr Krischer; Sie kreischen ja nur herum. Wir müssen für unseren Weg werben. Wir müssen zeigen, dass er erfolgreich ist. Noch ist
er ja nicht erfolgreich. Noch sind wir ja auf dem Weg.
Was wir machen müssen, ist: Wir müssen zeigen, dass es
funktioniert. Denn Lösungen sind immer besser als Klagen,
({6})
schon gar unter Freunden.
Deswegen: Es bleibt dabei, dass Europa eine Wertegemeinschaft ist, bei der natürlich die Mitgliedstaaten
untereinander im Wettbewerb stehen. Wir müssen zeigen, dass wir den Wettbewerb gewinnen, dass wir das
bessere Konzept haben. Das ist die richtige Lösung. Klagen ist aus meiner Sicht eine Sackgasse. Es kann ein Bumerang sein, der schmerzhaft zurückkommen kann. Deswegen sage ich: Werfen wir ihn erst gar nicht! Daher
sind Ihre beiden Anträge abzulehnen.
({7})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Sylvia KottingUhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Minister Gabriel war ja einigermaßen pikiert, als Oliver
Krischer ihn als „Abrissbirne der Energiewende“ bezeichnet hat.
({0})
Aber in diesen Tagen verdient er sich diesen Namen endgültig.
({1})
Gestern lässt er sich die Kohleabgabe aus der Hand
schlagen, und heute lehnt er ab, gegen die Subventionierung von Atomstrom zu klagen. Und Sie alle machen
mit.
({2})
Und mit welchen Argumenten? Die Klage sei nicht besonders aussichtsreich, haben Sie im Ausschuss gesagt.
Wer hat Ihnen das denn eingeredet? Und selbst wenn:
Wenn einem etwas wichtig ist, dann kämpft man dafür,
dann kämpft man das durch.
({3})
Der Kampf gegen die Atomkraft in Deutschland war
auch mal nicht besonders aussichtsreich. Wo wären wir
denn heute in Deutschland, wenn wir Grüne uns deswegen damals vom Acker gemacht hätten?
({4})
Ihr schändlichstes Argument aber ist die angebliche
Analogie zum EEG. Wenn diese Sorge einige aus der Erneuerbaren-Branche umtreibt, dann kann ich das noch
halbwegs verstehen. Deren Pflicht ist es nicht, sich mit
Details des europäischen Wettbewerbsrechts und mit
Beihilfegenehmigungen auseinanderzusetzen. Aber Ihre
Pflicht wäre, klarzumachen, dass diese Analogie nicht
besteht.
({5})
Es ist ein Unterschied, ob ich eine junge, nicht marktgängige Technologie subventioniere oder eine 60 Jahre
alte, die sich heute nicht mehr rechnet.
({6})
Und es ist ein Unterschied, ob wie beim Ökostrom eine
20-jährige Einspeisevergütung garantiert wird oder ob
wie bei Hinkley Point ein - so muss man es nennen Rundum-sorglos-Paket aus Kreditgarantien, subventionierten Betriebskosten, Inflationsausgleich und Entschädigungsansprüchen geschnürt wird. So ist ein Atomausstieg in Großbritannien auch gleich ausgeschlossen.
Das Marktversagen, auf das sich die Kommission beruft - das hat die Anhörung des Bundestages deutlich ergeben -, reduziert sich auf die Nichtfinanzierbarkeit von
Atomkraftwerken.
Nachdem wir heute wissen, was Atomkraft kostet,
leistet sich das kein Investor mehr. Nach der Argumentation der Kommission, die Sie sich zu eigen machen,
müsste jede überholte Technologie subventioniert werden. Wir wären heute noch in der Postkutsche unterwegs, weil wir die Postkutsche gegen jede Innovation im
Verkehrsbereich hätten subventionieren müssen.
({7})
Aus Artikel 40 des Euratom-Vertrags leitet die Kommission ein gemeinschaftliches Interesse der EU an Hinkley Point her. Ende der 50er-Jahre wäre das noch richtig gewesen. Artikel 40 enthält auch die Verpflichtung zu
sogenannten hinweisenden Nuklearprogrammen, die in
regelmäßigen Abständen erarbeitet werden müssen. Im
letzten hinweisenden Programm von 2007/2008 steht:
„Wichtig ist, dass in der EU in Kernenergieprojekte
keine staatlichen Beihilfen fließen.“ Der Verweis auf
Euratom ist also nicht nur einigermaßen aus der Zeit gefallen, er ist auch noch falsch.
({8})
Herr Koeppen, ein Unterschied ist auch, ob es festgeschriebene Ziele gibt oder nicht. Wir haben heute gemeinschaftlich festgelegte Ziele in der EU zum Ausbau
der Erneuerbaren, aber nicht mehr zur Atomkraft. Nehmen Sie das doch mal zur Kenntnis!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gemeinte
Bekenntnisse brauchen manchmal auch Taten, nicht nur
Worte. Das Bekenntnis zur Energiewende ist schön, davon allein kommt sie aber nicht. Das Bekenntnis zum
Einsatz gegen Atomkraft auf europäischer Ebene ist
auch schön, verpufft aber vor der Realität der Zeitenwende, die das Muster Hinkley Point in der EU einläutet.
Das Analyseinstitut Energy Brainpool hat dargelegt,
welche Effekte der subventionierte Atomstrom an der
Börse haben wird und was das in der Folge für EEG und
Energiewende bedeutet. Das kann niemand in diesem
Haus wollen, dessen Bekenntnis zur Energiewende ernst
gemeint ist.
({10})
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit. Das wäre
nämlich auch schön.
({0})
Ich denke an die Zeit. - Mein letzter Appell: Wenn
die Bundesregierung gegen diese rückwärtsgewandte
Subvention von Atomstrom nicht klagt, macht sie sich
mitschuldig an der Bedrohung der Erneuerbaren-Branche und schafft einen neuen Bremsklotz für die Energiewende. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können der
Bundesregierung heute Ihren Auftrag mitgeben. Entscheiden Sie sich richtig!
({0})
Vielen Dank. - Das war die letzte Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt.
Deshalb kommen wir nun zu den Abstimmungen zu
Tagesordnungspunkt 18. Ich weise Sie darauf hin, dass
wir jetzt zwei namentliche Abstimmungen durchführen
und dass zu diesen Abstimmungen mehrere Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5417.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4215 mit dem Titel
„Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU“. Wir stimmen über Buchstabe a
der Schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die
Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buchstabe a der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Hier vorne sind die Urnen frei. Oben
rechts herrscht ein großes Gedränge. Kommen Sie doch
bitte zur Mitte; dann geht es schneller.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass an
den Urnen hier vorne keiner ist.
({0})
Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses Ihre Stimme
abgegeben? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.2)
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5417 empfiehlt der Ausschuss für Wirt-
schaft und Energie die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4316
1) Anlagen 11 bis 14
2) Ergebnis Seite 11181 D
mit dem Titel „Subventionen für britisches Atomkraft-
werk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte
einlegen“. Wir stimmen nun über Buchstabe b der Be-
schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-
öffne die Abstimmung über Buchstabe b der Beschluss-
empfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich sehe nie-
manden mehr. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzäh-
len. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.3)
Jetzt bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die
Plätze wieder einzunehmen.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes
und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse
der Parlamentarischen Staatssekretäre
Drucksache 18/4630
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksache 18/5419
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte noch einmal die Kolleginnen und Kollegen,
jetzt die Plätze einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen.
Dann eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort für
die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu vorgerückter Stunde diskutieren wir heute ei-
nen Gesetzentwurf, der das Ende einer zehnjährigen
Debatte über die Notwendigkeit verbindlicher Regeln
für den Wechsel von Regierungsmitgliedern, auch Parla-
mentarischen Staatssekretären, in die Wirtschaft mar-
kiert.
Die vorliegende Karenzzeitregelung schafft ein trans-
parentes Verfahren, indem eine Anzeigeverpflichtung
für Mitglieder der Bundesregierung und Staatssekretäre
eingeführt wird, wenn sie eine Beschäftigung außerhalb
des öffentlichen Dienstes aufnehmen möchten. Die be-
3) Ergebnis Seite 11184 A
absichtigte Beschäftigung kann untersagt werden, wenn
dadurch öffentliche Interessen beeinträchtigt werden.
Die Karenzzeitregelung - das ist der Kern - schützt
das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der
Bundesregierung. Bereits der bloße Anschein einer voreingenommenen Amtsführung mit Blick auf spätere
Karriereaussichten soll ebenso wie die spätere private
Verwertung von Amtswissen verhindert werden.
Der Gesetzentwurf ist übrigens von seiner Einbringung in das parlamentarische Verfahren bis zum heutigen Stand weitgehend unverändert geblieben. Selbst der
Änderungsantrag der Grünen beinhaltet aus meiner Sicht
keine substanzielle, große Änderung, auch wenn Sie sich
- das gebe ich zu - Mühe gegeben haben.
({0})
Wir haben eine Anhörung erlebt, bei der es viel Zustimmung seitens der Experten gab. Natürlich gibt es im
Detail immer Verbesserungsvorschläge und Ideen; aber
die Anhörung hat wirklich gezeigt: Das ist ein Gesetzentwurf, der ordentlich vorbereitet worden ist und die
richtigen Eckpunkte umfasst. Ich will sie in Stichworten
nennen:
Amtierende und ehemalige Mitglieder der Bundesregierung unterliegen in den ersten 18 Monaten nach
Ende ihrer Amtszeit einer Anzeigepflicht in Bezug auf
Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes.
Auch eine Rückkehr in eine vor dem Regierungsamt
ausgeübte Berufstätigkeit ist davon umfasst. Es ist also
durchaus eine weitgehende Regelung.
Die Regelung gilt entsprechend - ich habe es eben gesagt - für die Parlamentarischen Staatssekretärinnen und
Staatssekretäre und schließt natürlich auch die Bundeskanzlerin ein.
Wenn eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen
vorliegt - die Gesetzesvorlage ist an dieser Stelle bewusst weit gefasst -, kann die Bundesregierung die Ausübung der Folgetätigkeit untersagen. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen ist insbesondere dann
anzunehmen, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der angestrebten Beschäftigung und dem ausgeübten Amt besteht. Die Dauer der Untersagung soll in der
Regel ein Jahr betragen. Sie kann in Ausnahmefällen
auch darunter liegen; in Fällen einer schweren Beeinträchtigung öffentlicher Interessen kann sie auch auf einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten ausgedehnt werden.
Diese Kannregelung lässt aus unserer Sicht ausreichenden Spielraum, um eine im Einzelfall angemessene
Entscheidung zu treffen, die zum Beispiel die Länge von
Amtszeiten berücksichtigt oder auch das Maß der Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten im Amt, die
etwa zwischen Bundesministern und Parlamentarischen
Staatssekretären durchaus unterschiedlich sind. Die Bundesregierung orientiert sich damit an bestehenden Regelwerken wie dem Verhaltenskodex der EU-Kommission,
der ebenfalls eine bis zu 18-monatige Karenzzeit für ausscheidende Kommissionsmitglieder vorsieht.
Die Transparenz des Verfahrens wird umfassend sichergestellt. Vor einer Entscheidung der Bundesregierung wird diese durch ein beratendes unabhängiges Gremium unterstützt, welches in jedem Einzelfall eine
Entscheidungsempfehlung unterbreitet. Das Gremium,
das unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes eingesetzt werden soll, setzt sich aus drei Persönlichkeiten
zusammen, die über eine ausgewiesene politische Erfahrung an der Spitze gesellschaftlicher oder staatlicher Institutionen verfügen und die maßgeblichen Fälle daher
gut beurteilen können. Nachdem eine Entscheidung
durch die Bundesregierung getroffen worden ist, soll
diese zusammen mit der Empfehlung des beratenden
Gremiums veröffentlicht werden. Jedermann kann den
Entscheidungsprozess und nicht nur das Entscheidungsergebnis damit vollumfänglich nachvollziehen.
Diese Regelungen ermöglichen eine verantwortungsbewusste Einzelfallprüfung. Schematische Fristvorgaben
im Sinne einer stets einzuhaltenden, verpflichtenden
Sperrzeit sind dabei wenig hilfreich - das kam in der
Anhörung auch sehr deutlich zum Ausdruck -; denn sie
lassen außer Acht, worum es bei der Karenzzeitregelung
im Kern geht, nämlich um das Ergebnis einer angemessenen Abwägung zwischen dem Berufsausübungsinteresse des Einzelnen und dem Interesse der Allgemeinheit
an der Integrität des Regierungshandelns. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt deshalb auf eine flexible, ausfüllungsfähige Rahmenregelung und einen
transparenten Entscheidungsprozess.
Würden wir politischen Entscheidungsträgern nach
ihrem Ausscheiden aus dem Amt die Rückkehr in den alten Beruf oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung
für zu lange Zeit verwehren, so ließen wir außer Acht,
dass politische Ämter Aufgabenübertragungen auf Zeit
sind - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Genau das
tun wir nicht. Die Karenzzeitregelung ist Ausdruck einer
klugen und verantwortungsbewussten Abwägungsentscheidung. Wir können sie Ihnen zur Annahme empfehlen.
Vielen Dank.
({1})
Herzlichen Dank. - Nächste Rednerin ist Halina
Wawzyniak, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es gibt zwei gute Nachrichten. Die erste
ist: Wir streiten einmal nicht darüber, ob ein Gesetzentwurf, der von der Großen Koalition vorgelegt wird, verfassungsgemäß ist.
({0})
Die zweite gute Nachricht ist, dass jetzt eine gesetzliche
Regelung zu Karenzzeiten vorliegt; da war ja auch einmal etwas anderes im Gespräch. - Das sind die guten
Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass der vorlie11180
gende Gesetzentwurf einige Mängel aufweist, weswegen
wir ihm nicht zustimmen können.
({1})
Ich will jetzt keine Grundsatzdebatte über dieses
Thema aufmachen. Die Position meiner Fraktion ist bekannt. Wir haben uns für eine Karenzzeitregelung eingesetzt, die sich an der Dauer des Anspruchs auf Übergangsgeld und an der ressortmäßigen Zuständigkeit
orientiert. Sie haben einen anderen Weg gewählt; das ist
auch völlig okay. Sie hätten dann aber in Ihrer Logik
konsequent sein müssen. Das haben Sie aus unserer
Sicht nicht gemacht; denn Sie haben sich dafür entschieden, dass im Falle der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen die Karenzzeit im Regelfall 12 Monate, im Ausnahmefall 18 Monate betragen soll. Ich weiß immer
noch nicht - außer dass Sie auf die EU-Kommission Bezug nehmen -, welche sachlichen Gründe für diese Zeiträume sprechen. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.
Ich will auf ein anderes Problem aufmerksam machen. Wenn Sie konsequent gewesen wären, hätten Sie
die Mindestdauer des Übergangsgeldes an die Länge der
Karenzzeit anpassen müssen; denn mit der jetzt vorgesehenen Regelung laufen Sie Gefahr, etwas zu ermöglichen, was Sie wahrscheinlich gar nicht wollen. Stellen
Sie sich einmal vor, in der Bundesregierung wäre das
Klima so wundervoll, dass ein Minister nach acht Monaten sagt: Mir reicht es. - Das ist bei Ihnen natürlich absolut unvorstellbar. Ich weiß das; aber nehmen wir das einmal an.
({2})
Dann würde dieser Minister nach der jetzigen Regelung
8 Monate Übergangsgeld bekommen. Wenn dieser
Minister sich nun einen Job sucht, der garantiert zu einer
Karenzzeit führt, dann bekommt er nach der von Ihnen
vorgeschlagenen Regelung 12 oder 18 Monate Übergangsgeld. Ich glaube, das entspricht nicht Ihrer Logik.
Das haben Sie sicher nicht gewollt. Diese Logik ist aber
in Ihrem Gesetzentwurf angelegt, und das finden wir
falsch.
({3})
Der zweite Punkt, den wir kritisieren, betrifft das beratende Gremium. Wir kritisieren nicht das beratende
Gremium an sich. Das kann man machen; das ist völlig
okay. Es ist auch okay, dass es von unabhängigen Sachverständigen besetzt wird. Aber wir haben das Problem,
dass dieses sachverständige Gremium zunächst eine
nichtöffentliche Empfehlung abgibt und die Bundesregierung dann entscheidet, ob sie dieser Empfehlung
folgt. Dieses sachverständige Gremium wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Wir finden, da es in diesem Gesetzentwurf um
Staatssekretäre und Minister geht, wäre es klug gewesen,
den Fraktionen entweder ein Vorschlagsrecht zu gewähren - nicht bezogen auf Parlamentarierinnen und Parlamentarier, sondern bezogen auf unabhängige Sachverständige; nicht, dass wir uns da falsch verstehen - oder
den Bundestag die Sachverständigen wählen zu lassen.
Das haben Sie nicht gemacht. Das finden wir traurig. Insofern können wir Ihrem Gesetzentwurf, obwohl es gut
ist, dass es eine gesetzliche Regelung geben soll, nicht
zustimmen.
Ich habe 46 Sekunden Redezeit gespart. Vielleicht
kann ich die irgendjemandem aus meiner Fraktion
schenken.
({4})
Die dürfen nicht mehr reden. - Nächster Redner ist
Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.
({0})
Die Kollegin Wawzyniak ist zu freundlich zu mir. Die
46 Sekunden nehme ich selbstverständlich dankend an.
({0})
Noch entscheide ich das.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei Überlegungen heraus entstanden: Erstens galt es, Transparenz bei
der Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft herzustellen. Zweitens waren wir bestrebt, Vorwürfe gegen
betroffene Regierungsmitglieder auszuräumen, man
stelle die persönliche Karriere in der Rangfolge über das
Gemeinwohl.
Der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfs musste bis
heute auf eine politische Mehrheit in diesem Haus warten. Von Oppositionsanträgen vermeintlich befeuert, diskutierten wir über die Karenzzeiten zwischen Regierungsamt und privatwirtschaftlicher Folgetätigkeit,
manchmal um der Sache willen, zuweilen aber wohl
auch nur, weil gerade wieder irgendein Regierungsmitglied kurz vor dem Sprung in die Wirtschaft stand. Nicht
aus jedem Wechsel wurde ein Skandal; aber in der Öffentlichkeit entstand stets der Eindruck, dass vielleicht
doch eine unzulässige Vermengung von Interessen zwischen der Regierungstätigkeit und der neuen, angestrebten Tätigkeit bestand. Damit wurde zumindest unbewusst das Vorurteil bedient, Politik sei käuflich,
Entscheidungen seien von der Wirtschaft beeinflusst und
unsere Demokratie sei nicht mehr Herr der Gesetzgebung. So konnten sich alle Fraktionen, die bereits Regierungsverantwortung übernommen hatten, in der Debatte
gegenseitig mit Namen von Regierungsmitgliedern bewerfen, die unmittelbar im Anschluss an das Regierungsamt privatwirtschaftlich tätig geworden sind, um
schlicht ihren Lebensunterhalt weiter zu bestreiten.
Laut Definition ist jede Tätigkeit, die zur Schaffung
und zur Erhaltung der Lebensgrundlage dauerhaft dient,
Mahmut Özdemir ({0})
ein Beruf. Das ist ein Begriff, der durch Artikel 12
Grundgesetz geschützt ist. Indem wir ein Regierungsmitglied, das Amt und Person nicht unmittelbar trennen
kann, mit einer Sperrfrist belegen, schränken wir diese
Berufsfreiheit erheblich ein. Dies geschieht, unabhängig
davon, ob eine Sperrfrist angeordnet wird oder nicht, im
Ausnahmefall für einen Zeitraum von maximal 18 Monaten, weil innerhalb dieses Zeitraums die Anzeigepflicht besteht. Minimal und faktisch geschieht dies
wiederum für den Zeitraum von einem Monat, weil hierdurch die Entscheidungshoheit der Bundesregierung als
Kollegialorgan geschützt wird. Die Berufsausübungsfreiheit schränken wir bewusst ein, um einerseits die Integrität der Bundesregierung sowie das Ansehen der
Politik zu schützen und andererseits Ruhe und Ordnung
in das Verfahren bei unmittelbaren Anschlusstätigkeiten
von Regierungsmitgliedern zu bringen.
Letzteres Ziel wird erheblich dadurch erreicht, dass
laut dem zu beschließenden Gesetzentwurf die Entscheidung durch ein beratendes Gremium vorbereitet und
sachlich unabhängig geprüft wird. Das betroffene Regierungsmitglied muss nach der Anzeige bei der Bundesregierung auch diesem Gremium, das mit Persönlichkeiten besetzt wird, die in Justiz, Verwaltung, Gesellschaft,
Wirtschaft hervorgehobene Positionen bekleidet haben,
alle entscheidungsrelevanten Tatsachen anzeigen. So ist
die Bundesregierung selbst in der Lage, aufgrund dieser
unabhängigen Vorbereitung die Entscheidung zu treffen,
ob durch den Wechsel möglicherweise Interessenkonflikte bestehen, die aus einer Nähe des Regierungsressorts zu der angestrebten Tätigkeit herrühren, oder ob
man wegen des Kabinettprinzips generalpräventiv dem
Eindruck von Interessenkonflikten vorbeugen soll. Eben
hierfür ist der Zeitraum von faktisch einem Monat über
im Regelfall 12 Monate bis hin zu 18 Monaten in besonderen Fällen geeignet, die Einzelfallprüfung zeitlich einzusortieren. Auf diese Art wird der Interessenkonflikt
sachlich und zeitlich konkret individuell für das betroffene Regierungsmitglied gelöst.
So weit muss es jedoch gar nicht kommen; denn allein die Einführung einer Anzeigepflicht ist für sich genommen geeignet, eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Aber auch diesen Eingriff galt es verhältnismäßig
zu gestalten. Im Gesetzentwurf wurde dies mit einer Anzeigefrist von einem Monat gelöst, die von dem beabsichtigten Beginn der Tätigkeit an zurückgerechnet wird.
So ersparen wir den Betroffenen die Rechtsunsicherheit
im vorvertraglichen Stadium und eine zu diesem Zeitpunkt möglicherweise auch kontraproduktive Öffentlichkeit. Das Gesetz soll nämlich kein Misstrauen säen
und nicht vorsorglich jedem Wechsel ein Geschmäckle
beifügen, sondern eine die Rechte des Einzelnen wahrende Prüfung ermöglichen und Vertrauen schaffen
durch Offenheit gegenüber dem beratenden Gremium
und Öffentlichkeit der Entscheidung der Bundesregierung, ob und wie lange eine Sperrfrist für eine dem Regierungsamt folgende Berufsausübung angeordnet wird.
In der Sachverständigenanhörung vom 15. Juni haben
wir einige Kritikpunkte beleuchtet und mit dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen, wie dargestellt,
auf den Mangel des einstweiligen Verbots reagiert. Die
Kritik der Sachverständigen, dass die Regierung als Betroffene selbst entscheidet, sodass die oder der heute zur
Entscheidung Berufene morgen der Entscheidung auch
unterliegen kann, haben wir sorgsam abgewogen. Einerseits könnte diese Entscheidung von persönlichen oder
parteilichen Loyalitäten oder aufgrund irgendwelcher
Animositäten beeinflusst sein. Andererseits - das war
das ausschlaggebende Argument - kann nur die Regierung selbst in der Lage sein, zuverlässig über einen Interessenkonflikt zu urteilen; denn der Schutz der Vertraulichkeit des Kernbereichs der Bundesregierung ist
ebenfalls Schutzzweck dieses Gesetzes.
Den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen haben wir aufgrund der Maßstäbe, die ich soeben an die Rechtfertigung angelegt habe, bereits gestern im Innenausschuss abgelehnt. Die Dauer der Karenzzeiten in diesem feingliedrig zeitlich abgestimmten
Rahmen ohne gesetzgeberische Ermessensleitung der
Bundesregierung zu übergeben, wäre aus unserer Sicht
verantwortungslos.
Evaluierungen - das ist die zweite Forderung in dem
besagten Änderungsantrag - sind aus meiner Sicht eine
beliebte Modeerscheinung. Eine Evaluierung ist jedoch
völlig unnötig; denn der gesamte hier aufgezeigte Entscheidungsprozess ist neben dem zweistufigen Verfahren
von vorbereitender Entscheidung durch das Beratungsgremium und bindende Entscheidung der Bundesregierung letzten Endes vor dem Bundesverwaltungsgericht
der richterlichen Kontrolle zugänglich.
Zusammenfassend: Dieser Gesetzentwurf schützt zuverlässig und generalpräventiv Kenntnisse und Entscheidungsnetzwerke des Regierungsamtes, die auf Kosten
des Steuerzahlers erworben worden sind, und verhindert
zugleich, dass sie zu einem wirtschaftlichen Gut werden.
Betroffene Regierungsmitglieder werden mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestattet, die angestrebte Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben und frei von
Vorwürfen anzutreten, oder werden, wenn notwendig,
öffentlich mit einer Sperrfrist belegt, gegen die der
Rechtsweg offensteht. Mit anderen Worten: Für die Integrität und Vertraulichkeit der Politik ist heute ein sehr
guter Tag. Ich bitte in zweiter und dritter Lesung um entsprechende Zustimmung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und
schließe mit einem herzlichen Glückauf. Ich habe noch
zehn Sekunden.
({1})
Vielen Dank. - Bevor ich nun der Kollegin Britta
Haßelmann das Wort erteile, möchte ich Ihnen die von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten
Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt
geben.
Zunächst das Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 a, Beschlussempfehlung zum Antrag der
Fraktion Die Linke: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja
haben gestimmt 470, mit Nein haben gestimmt 114, Enthaltungen 2.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon
ja: 469
nein: 113
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Ronja Schmitt ({11})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr. Kristina Schröder
({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({14})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({19})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({21})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({22})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({23})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Detlef Müller ({24})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({25})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({26})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({28})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({29})
Matthias Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({33})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({34})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Nein
SPD
Klaus Mindrup
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({35})
Thomas Nord
Harald Petzold ({36})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({37})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({40})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Heike Baehrens
Marco Bülow
Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 b,
Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 115, Enthaltungen 2.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon
ja: 466
nein: 115
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({41})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({42})
Axel E. Fischer ({43})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({44})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
({45})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({46})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({47})
Stefan Müller ({48})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({49})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({50})
Gabriele Schmidt ({51})
Ronja Schmitt ({52})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({53})
Dr. Kristina Schröder
({54})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({55})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({56})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({57})
Peter Weiß ({58})
Sabine Weiss ({59})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({60})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({61})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({62})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({63})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({64})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Detlef Müller ({65})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({66})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({67})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({68})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({69})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({70})
Matthias Schmidt ({71})
Dagmar Schmidt ({72})
Carsten Schneider ({73})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({74})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({75})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
Hans-Georg von der Marwitz
SPD
Klaus Mindrup
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({76})
Thomas Nord
Harald Petzold ({77})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({78})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({79})
Volker Beck ({80})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({81})
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Heike Baehrens
Marco Bülow
Jetzt hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! In der Tat: Heute endlich debattieren und beschließen wir ein Gesetz zur Karenzzeit. Für diejenigen,
die davon noch nie gehört haben: Seit zehn Jahren wird
im Deutschen Bundestag über eine gesetzliche Regelung
zur Karenzzeit diskutiert; es wurde gestritten und blockiert, aber heute wird sie endlich beschlossen. Darüber
ist meine Fraktion sehr, sehr froh;
({0})
denn wir waren diejenigen, die vor zehn Jahren das erste
Mal eine parlamentarische Initiative dazu eingebracht
haben. Wir haben damals gesagt: Im Interesse der betroffenen Regierungsmitglieder und im Interesse der Wirtschaft, in die man nach einem Mandat auf Zeit vielleicht
wechselt, ist es richtig und notwendig, eine Karenzzeit
festzulegen und sie gesetzlich zu verankern, damit verhindert wird, dass es in jedem Einzelfall, in dem ein Regierungsmitglied in die Wirtschaft wechselt, zu Diskussionen und zum Teil zu berechtigter öffentlicher Kritik
im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen kommt.
Wir wollten, dass der Deutsche Bundestag für sich und
die Regierung endlich klare Regelungen trifft. Deshalb
sind wir als Fraktion sehr froh, dass wir heute endlich
eine solche Regelung beschließen.
({1})
Das kann man allerdings nicht tun, ohne den vielen
NGOs, die sich in diesem Bereich seit zehn Jahren und
länger engagieren, ein großes Dankeschön dafür zu sagen, dass sie bei der Sache geblieben sind und uns im
Parlament immer wieder mit den entsprechenden Fragen
konfrontiert haben.
({2})
Dazu gehören Transparency International, Transparency
International Deutschland, LobbyControl, abgeordneten
watch.de und Campact. Sie haben allesamt immer
wieder gesagt: Lasst euch doch nicht von Fall zu Fall
hetzen, was öffentlich ein schlechtes Bild von Politikerinnen und Politikern erzeugt, sondern schafft endlich
eine gesetzliche Karenzzeit. - Insofern ist heute ein guter Tag. Deshalb wird auch meine Fraktion zustimmen.
Wir haben allerdings einen Änderungsantrag eingebracht, den Sie, Herr Krings, schon angesprochen haben.
Damit möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, aus einem Dilemma herauszukommen. Sie sagen nämlich,
dass die Untersagung in der Regel für ein Jahr gilt; wenn
öffentliche Interessen schwer beeinträchtigt sind, wollen
Sie eine Karenzzeit von 18 Monaten. Wir halten es für
verzichtbar, an dieser Stelle zu differenzieren. Denn
diese Unterscheidung wird zu erheblichen Diskussionen
führen, auch bei der Bewertung des jeweiligen Einzelfalles, weil die Frage: „Wann ist das öffentliche Interesse
beeinträchtigt, und wann ist es schwer beeinträchtigt?“,
immer wieder zu Diskussionen darüber führen wird, warum für den einen eine Karenzzeit von 12 und für den
anderen eine Karenzzeit von 18 Monaten gilt. Wir schlagen Ihnen vor, es wie die EU zu machen, und zu sagen:
Die Karenzzeit beträgt 18 Monate. - Dort gibt es Erfahrungen, dort wurde das praktiziert. Diese Regelung sollten wir übernehmen. Das ist der erste Punkt unseres Änderungsantrags.
Zum zweiten Aspekt. Herr Özdemir - da unterscheiden wir uns von Ihnen -, die Evaluierung eines Gesetzes,
für das wir so lange gebraucht haben, erachten wir nicht
als Modeerscheinung. Es kann sein, dass es Fehlerquellen gibt. Diese könnte man sich nach Ablauf von zwei
Jahren, also in der 19. Legislaturperiode, ansehen und
dann sagen: Wir müssen da vielleicht etwas korrigieren.
Diese beiden Punkte sind Inhalt unseres Änderungsantrags. Er ist sehr vernünftig. Ich werbe noch einmal
dafür, ihm zu folgen. Der Einführung einer gesetzlichen
Karenzzeit werden wir aber, wie gesagt, zustimmen.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen:
Heute geht jemand aus unserer PGF-Abteilung, also aus
der Abteilung der Parlamentarischen Geschäftsführer, in
den wohlverdienten Ruhestand. Das sind die Menschen,
die da am Fernseher sitzen, die ganze Zeit für uns zur
Verfügung stehen und uns beraten. Jürgen Wachsmuth,
mach es gut! Vielen Dank für deine Arbeit.
({3})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist eigentlich wohltuend, wenn man zu so
später Stunde bei einem Gesetzentwurf, dessen Ausarbeitung man begleitet hat, feststellen kann, dass mit ihm
dem Grunde nach alle mehr oder weniger einverstanden
sind. Auch ich bin zufrieden, jetzt hier feststellen zu
können, dass wir diesen Gesetzentwurf heute in zweiter
und dritter Lesung beschließen werden.
Es war sicherlich - da gebe ich Frau Haßelmann
durchaus recht - oft ein Ärgernis, dass, wenn Mitglieder
der Regierung in ein privatwirtschaftliches Amt wechselten, dies, wie es heute gerne gemacht wird, skandalisiert wurde. Das war oft überflüssig und unbegründet.
Wir hoffen, dass mit diesem Gesetz mehr Sachlichkeit
eintritt, obwohl ich da meine Zweifel habe.
Die Bundesregierung hat diesen Entwurf erstellt. Wir
haben ihn durch einen Änderungsantrag in einem Punkt
noch leicht modifiziert, wie der Kollege Özdemir bereits
dargestellt hat. Ich will zum Schluss noch einmal ganz
kurz skizzieren, worum es ging. Zum einen ging es um
den grundsätzlich legitimen Anspruch der Betroffenen,
dass ihr Wechsel in einen anderen Beruf gewährleistet
wird. Natürlich ging es auch darum, Transparenz zu
schaffen, um keine öffentliche Kritik aufkommen zu lassen. Es ging auch um den Anspruch der Bundesregierung auf Wahrung ihres Ansehens. Der Gesetzentwurf
der Bundesregierung wird diesen Anforderungen durchaus gerecht.
Ich muss es ganz klar sagen: In Bezug auf ein Berufsausübungsverbot eine starre Regelung von 18 Monaten
einzuführen, halte ich für den falschen Weg. Die Regierung muss die Möglichkeit haben, zu differenzieren. Es
muss eine maximale Zeit geben; die ist nach unserer
Auffassung mit 18 Monaten reichlich bemessen. Es
muss aber auch die Möglichkeit geben, in geeigneten
Fällen ein, wenn man so will, Berufsverbot von weniger
als 18 Monaten zu verhängen.
Es gab eine Sachverständigenanhörung dazu. Man
muss klar feststellen: Alle Sachverständigen haben den
Gesetzentwurf im Grunde genommen gelobt. Keiner hat
gesagt, dass er das Ziel verfehlt oder erhebliche Mängel
hat. Natürlich hatte der eine oder andere Sachverständige Anregungen. Eine Anregung haben wir aufgenommen. Ich halte sie auch für sehr gut. Die Regierung
muss, wie Herr Özdemir bereits dargestellt hat, wenn die
Anzeige eines Regierungsmitgliedes kommt, wechseln
zu wollen, einen Monat Zeit haben, um die Entscheidung
vorzubereiten, ob dem Wechsel zugestimmt werden
kann oder eine Karenzzeit verhängt werden muss. Ich
bin von daher der Auffassung, dass wir hier einen sehr
ausgewogenen Entwurf zur Abstimmung stellen.
Ganz zum Schluss noch zur Frage der Evaluierung.
Wir werden es hier mit einer sehr begrenzten Zahl an
Fällen zu tun haben; das hat die Vergangenheit gezeigt.
Es muss die Frage gestellt werden: Wenn nicht wir als
Bundestag, wer soll dann einschätzen können, ob die
Abwägungen, die im Einzelfall von dem Sachverständigengremium und der Regierung getroffen worden sind,
nachvollziehbar und richtig waren? Nur dann, wenn wir
feststellen, dass da Mängel bestehen, würde sich eine
Änderung aufdrängen. Dann wäre der Bundestag meines
Erachtens gefordert, nachzujustieren und an dem Gesetz
vielleicht noch etwas zu ändern. Wir brauchen aber beim
besten Willen keine Klausel im Gesetz, die das zwingend vorschreibt.
Ich bitte um Ihre Zustimmung.
({0})
Vielen Dank. - Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des
Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5419,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/4630 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5429 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einiger Abgeordneter der Fraktion Die Linke und ansonsten Enthaltung
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Umgang mit Atommüll - Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms
beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen
Drucksache 18/5228
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält Hubertus
Zdebel, Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Schade, dass kein Vertreter des Umweltministeriums
mehr da ist bei dieser Diskussion um ein Thema, das insbesondere Ministerin Hendricks, aber auch Minister
Gabriel, der ja für Wirtschaft und Energie zuständig ist,
umtreibt.
Ich komme zum Thema. Eher unfreiwillig, nämlich
zur Umsetzung einer EU-Richtlinie, hat das Umweltministerium unter dem harmlosen Titel „Nationales Entsorgungsprogramm“, abgekürzt: NaPro, endlich einen Entwurf vorgelegt, wie der künftige Umgang mit allen
Arten von Atommüll bis hin zur vermeintlichen Endlagerung aussehen soll. Der Entwurf ist an und für sich
ziemlich enttäuschend; denn die vorhandenen Probleme
und ungelösten Fragen im Umgang mit den radioaktiven
Abfällen werden darin weitgehend ausgeblendet. Das
kritisieren wir; deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt.
({0})
Bestehende Probleme mit leckenden Atommüllfässern kommen ebenso wenig vor wie Brennelementezwischenlager wie Brunsbüttel ohne Genehmigung. Die
zeitlichen Prognosen des NaPro für die Errichtung eines
Abfalllagers für hochradioaktive Abfälle sind unrealistisch; das zeigen auch die bisherigen Diskussionen in der
Endlagerkommission des Deutschen Bundestages nachdrücklich. Auf die befristeten Genehmigungen für die
zentralen Zwischenlager in Gorleben, bis 2034, und
Ahaus, bis 2036, und darauf, welche Konsequenzen
diese Befristungen nach sich ziehen, geht das Programm
gar nicht ein.
Wir greifen mit unserem Antrag eine Vielzahl der
Probleme auf, die auch von Antiatominitiativen und
Umweltverbänden als Einspruch gegen das NaPro vorgebracht worden sind. 70 000 solcher Einsprüche hat es
gegeben. Wir fordern, dass endlich Konsequenzen aus
dem Atommülldesaster gezogen werden.
({1})
Eher unfreiwillig macht der Entwurf aber auch klar und bestätigt uns Linke -: Der Umgang mit dem Atommüll muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die
vom Bundestag im Rahmen des Standortauswahlgesetzes eingesetzte Atommüllkommission bekommt durch
diesen Entwurf im Grunde einen umfassenden Neuauftrag auf den Tisch. Lassen Sie mich als Beispiel anfühHubertus Zdebel
ren: Das BMUB stellt fest - und das halte ich für einen
ehrlichen Schritt -, dass es etwa 300 000 Kubikmeter
leicht- und mittelradioaktiven Atommüll aus der Asse
und aus der Urananreicherung in Gronau geben kann,
der bislang in den Planungen nicht enthalten war. Er soll
- so steht es in dem NaPro-Entwurf - entweder im
Schacht Konrad oder aber gemeinsam mit den hochradioaktiven Abfällen in einem noch zu findenden Endlager versenkt werden.
Dies wird ausdrücklich unter den Vorbehalt der Befassung durch die Endlagerkommission gestellt. Damit
wird deren Auftrag de facto erweitert; denn bisher ist die
Kommission nur für den hochradioaktiven Atommüll
zuständig. Aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion zeigt das NaPro damit auch, dass Konsequenzen mit
Blick auf das von uns abgelehnte Standortauswahlgesetz
und die Kommission diskutiert und gezogen werden
müssen.
({2})
Das gilt ganz besonders, wenn der angestrebte gesellschaftliche Konsens bei der Atommülllagerung als Ziel
erreicht werden soll.
Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass es
endlich mehr Ehrlichkeit beim Umgang mit den radioaktiven Abfällen gibt. Deswegen fordern wir Linken eine
umfangreiche Überarbeitung des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms, die den gesamten vorhandenen und den künftig anfallenden Atommüll einbezieht
und die vorhandenen Probleme tatsächlich beschreibt.
({3})
Ich habe einige konkrete Punkte schon erwähnt. Weitere
finden Sie in unserem Antrag.
Außerdem fordern wir ein definitives Exportverbot
für Atommüll und Konsequenzen aus dem BrunsbüttelUrteil, was die Zwischenlagerung angeht.
({4})
Für Schacht Konrad fordern wir einen Neustart, genauso
wie in Sachen Gorleben. Kommt es hier nicht zu einem
Alternativenvergleich, dann muss das Projekt unserer
Meinung nach aufgegeben werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Steffen Kanitz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Zdebel, wenn man Sie so hört, dann stellt man, glaube
ich, fest, dass es Ihnen weniger um das Nationale Entsorgungsprogramm und den Entwurf geht, den die Bundesregierung hier vorgelegt hat, sondern vielmehr um eine
umfassende Bewertung sämtlicher Diskussionen, die wir
im Moment in der Endlagerkommission führen. Ich
finde, da gehören sie auch hin; dort sollten wir sie führen. Man kann sie auch jetzt, um 22 Uhr, noch führen,
aber ich glaube, das wird der Bedeutung der Thematik
nicht gerecht.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Bundesregierung ist es mit dem Nationalen Entsorgungsprogramm erstmalig gelungen, eine umfassende Roadmap für die nukleare Entsorgung vorzulegen. Das hat
- das muss man auch hier an dieser Stelle noch einmal
sagen - weder der Umweltminister Trittin noch der Umweltminister Gabriel geschafft. Diese Bundesregierung
hat es hinbekommen. Insofern ein ausdrückliches Lob
und Anerkennung dafür. Herzlichen Dank, dass Sie das
hinbekommen haben.
Ich kann dieses Lob aber leider nicht uneingeschränkt
auch für den Umgang mit Castoren aussprechen. Ich
glaube, es ist völlig richtig, dass das BMUB bei der
Frage, wie wir mit den ausstehenden Castortransporten
umgehen, tätig wird - auch initiativ. Ich bitte nur
dringend darum, dass es zu einer Abstimmung mit den
Ländern kommt und wir dieses Schwarze-Peter-Spiel
beenden.
({1})
Der Antrag der Linken ist in jeder Hinsicht ein Rückschritt. Sie alle versuchen gemeinsam, diesen sehr
wichtigen Punkt der Atommülllagerung auf den SanktNimmerleins-Tag zu verschieben und das Erreichte
schlechtzureden. Ich will einmal einige Punkte aus dem
Antrag sehr konkret durchgehen.
Erstens. Sie sprechen den Schacht Konrad an und fordern die Beendigung dieses bereits genehmigten Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Sie
wissen, dass Schacht Konrad mit erheblichen Konservativitäten geplant wurde. Der Präsident des BfS hat im
Umweltausschuss noch einmal sehr deutlich gesagt, dass
Schacht Konrad auch unter heutigen Rahmenbedingungen absolut sicher ist und dass er insofern auch daran
festhält.
({2})
Schacht Konrad, Herr Kollege Zdebel, ist die Achillesferse beim Rückbau der Kernkraftwerke. Kommt
Schacht Konrad nicht, dann müssen Sie den Bürgern vor
Ort sehr konkret erklären, warum die Zwischenlager zu
De-facto-Endlagern werden. Mir ist das aber schon relativ klar: Wenn man keinen Bürgermeister in einer der
Gemeinden vor Ort stellt, dann juckt einen das offenbar
nicht.
({3})
Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck, als hätte
sich die Abfallmenge schlagartig verdoppelt. Das geisterte auch mehrmals durch die Medien. Ich will das noch
einmal ganz klar von uns weisen. Spätestens seit der Lex
Asse, spätestens seit April 2013, ist völlig klar, wie groß
die Abfallmenge wird. Wir haben damals gemeinschaftlich die Rückholung der Abfälle aus der Asse vereinbart,
sodass wir insofern mindestens mit den zusätzlichen
300 000 Kubikmetern umgehen müssen. Um das hier
aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion ganz deutlich zu sagen: Wir wollen keine Erweiterung des Schachtes
Konrad durch die Hintertür. Ich glaube, es ist völlig richtig, dass wir in der Endlagerkommission darüber sprechen, wie wir mit diesem Müll umgehen. Wir müssen
schon darüber diskutieren, ob es richtig ist, diesen Müll
in einem Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu
lagern. Aber in jedem Fall brauchen wir ein transparentes und vernünftiges Verfahren, das objektiv und nachprüfbar ist.
({4})
Ein zweiter Punkt, der immer wieder angesprochen
wird, ist der der zeitlichen Abläufe. Da geistern viele
Zahlen durch die Gegend, die man ein bisschen geraderücken muss. Wir unterscheiden in der Endlagerkommission zwischen der Such-, der Errichtungs-, der Inbetriebnahme- und auch der Verschlussphase. Das, was wir als
aktuelle Politiker in der Endlagerkommission, die dafür
verantwortlich sind, beeinflussen können, ist der Zeitpunkt der Inbetriebnahme, den wir im Moment einigermaßen verlässlich auf 2050 quantifizieren können. Alles
andere, etwa die Frage, wie lange die Einlagerungsphase
dauert, wie lange das Monitoring dauert, wie lange wir
über die Offenhaltungs- und Rückholungsoption sprechen, ist eine andere Sache. Es ist nicht Sache dieser Generation, das zu bewerten. Aber ich finde, es ist unsere
Verantwortung, das zu tun, was wir im Moment beeinflussen können. Das ist der schnellstmögliche Bau des
Endlagers für hochradioaktive Abfallstoffe.
({5})
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den Sie in
Ihrem Antrag haben, Herr Kollege Zdebel. Das ist das
Thema Freimessung. Sie nutzen den Begriff in Ihrem
Antrag sehr konkret, um damit Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Dieser Begriff ist zugegebenermaßen
sehr unglücklich gewählt. Aber ich möchte schon die
Gelegenheit nutzen, um mit dem einen oder anderen
Mythos aufzuräumen, etwa mit dem Mythos, dass durch
Beimischen von Schutt zulässige Messwerte erreicht
werden.
Ich zitiere dazu die Strahlenschutzverordnung, in der
es sehr klar heißt:
Die Voraussetzungen für die Freigabe dürfen nicht
zielgerichtet durch Vermischen oder Verdünnen
herbeigeführt, veranlasst oder ermöglicht werden.
Um es ganz deutlich zu sagen: Oberflächlich kontaminiertes Material wird gereinigt. Die entstehenden Abfälle kommen ins Endlager. Alles andere, beispielsweise
bis zu 90 Prozent des werthaltigen Betons, wird recycelt
und wiederverwertet. Es entsteht dabei lediglich 3 Prozent strahlender Abfall. Ich finde, man muss aufhören,
bei den Menschen vor Ort Stimmung zu machen, um so
die Lagerung von Bauschutt in Deponien zu verhindern.
Ein Beispiel dafür ist das Kernkraftwerk Stade.
Ich möchte, um das ein bisschen einzuordnen, bei den
Freigabewerten auf einen Punkt hinweisen. Der Bauschutt, der auf die Deponien kommt, darf eine maximale
Strahlendosis von 10 Mikrosievert per annum haben.
Wenn Sie, Herr Kollege Zdebel, zum Shoppen nach New
York fliegen,
({6})
dann sind Sie einer Strahlenbelastung zwischen 32 und
75 Mikrosievert ausgesetzt,
({7})
das heißt dem Drei- bis Siebenfachen dessen, was Sie in
einem ganzen Jahr an einer Deponie abbekommen
dürfen. Wir sollten das also richtig einordnen, um wieder
zu einer sachlichen Diskussion zu kommen. Ich finde,
wir sollten das positiv sehen: Deutschland hat im Bereich des Rückbaus eine absolute Vorreiterrolle, die wir
gemeinsam ausbauen sollten. Wir sollten daher nicht immer nur zurückschauen, sondern vielmehr nach vorne
schauen und die positiven Dinge sehen.
Sie haben das Brunsbütteler Urteil angesprochen. Um
auch da mit einem Gerücht aufzuräumen: Das Gericht
hat keine Sicherheitsdefizite festgestellt, sondern dem
Zwischenlager die Betriebsgenehmigung entzogen, weil
sicherheitsrelevante Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten. Das ist ein signifikanter Unterschied. Um das an dieser Stelle einmal festzuhalten: Das
Zwischenlager ist sicher. Das Justizministerium und das
Innenministerium arbeiten im Moment an einer Antwort
auf die Frage, wie man zukünftig mit solchen Unterlagen
umgehen kann. Sehr plastisch beschrieben: Keiner von
Ihnen würde den Bauplan des Tresors offenlegen, wenn
die Panzerknacker schon vor der Tür stehen.
In einem weiteren Punkt sprechen Sie das Exportverbot an, dem man durchaus viel abgewinnen kann; das
will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber Sie haben einen
ganz wichtigen Punkt vergessen. Sie haben vergessen,
dass wir im Bereich der Medizin durchaus darauf angewiesen sind, Kernbrennstoffe von außerhalb zu bekommen.
Ich nenne ein konkretes Beispiel, den FRM II in
München. Der Forschungsreaktor FRM II in München
produziert mithilfe der Kernenergie Kontrastmittel für
die Krebsdiagnostik und die Tumortherapie. Allein in
Deutschland sprechen wir von 60 000 Behandlungen pro
Woche, 3 Millionen im Jahr. Der Kernbrennstoff für
diesen Reaktor kommt aus dem Ausland. Der Grundsatz
der Nichtverbreitungspolitik, dem wir uns verpflichtet
fühlen, besagt, dass wir in der Lage sein müssen, den
Kernbrennstoff an dieser Stelle zurückzuführen. Die
Radioisotopen müssen just in time produziert werden.
Wir können sie also nicht von irgendwoher aus dem
Ausland beziehen. Ab 2018 wird es weltweit nur noch
drei Reaktoren geben, die diese Radioisotope herstellen
können. Deswegen ist es mein Wunsch und meine dringende Bitte, dass wir, wenn wir über das Thema ExportSteffen Kanitz
verbote diskutieren, dafür sorgen, dass wir im Bereich
der nuklearen Medizin zum Wohl der Patientinnen und
Patienten in Deutschland weiterhin eine Vorreiterrolle
haben.
({8})
Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der immer
wieder diskutiert wird, und zwar die Kosten. Wir sind
uneingeschränkt für das Verursacherprinzip. Der Kostenrahmen - das ist der Punkt, der ein bisschen missverständlich ist - wird von uns in der Endlagerkommission
ganz maßgeblich determiniert, weil er davon abhängig
ist, wie viele Standorte wir oberirdisch und unterirdisch
erkunden. Deshalb ist die Frage, ob das, was an Rückstellungen gebildet wurde, reicht, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Sicherheit hat für uns absoluten Vorrang. Das ist völlig klar.
Das heißt aber nicht, dass wir Wirtschaftlichkeitsaspekte
außer Acht lassen können; wir müssen vielmehr den
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit wahren.
Wenn wir alle das Interesse haben, dass das Verursacherprinzip durchgesetzt wird, dann müssen wir uns am
Ende auch fragen: Was ist verhältnismäßig, um ein Endlager zu finden? Ich glaube, wir müssen eine ganze
Menge gemeinschaftlich tun, aber wir dürfen nicht so
blauäugig sein, zu glauben, alles würde bezahlt, unabhängig davon, was die Politik entscheidet.
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen: die
Bürgerbeteiligung. Herr Kollege Zdebel, ich vertrete natürlich andere Wählerinnen und Wähler, als Sie das tun,
aber auch die 42 Prozent der CDU- und CSU-Wählerinnen und -Wähler haben einen Anspruch darauf, dass ihre
Meinung in Endlagerfragen Berücksichtigung findet,
auch wenn sie vielleicht nicht so laut zur Schau gestellt
werden wie andere. In Endlagerfragen setzt sich aber
nicht derjenige durch, der am lautesten schreit; es geht
vielmehr darum, dass wir eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz schaffen.
Gorleben wird von Ihnen immer wieder genannt. Das
ist völlig klar. Das muss ich sagen: Wer eine objektive
und wissenschaftsbasierte Endlagersuche möchte, der
muss auch damit leben, dass wir am Ende des Verfahrens
der Endlagerkommission einen Kriterienkatalog definiert haben, anhand dessen sich jeder Standort, auch
Gorleben, messen lassen muss. Wenn sich dann ergibt,
dass der Standort ungeeignet ist, wird er aus dem Verfahren fliegen. Das ist wie besprochen, aber wir werden das
nicht im Vorfeld machen.
Zusammengefasst, Herr Kollege Zdebel, bedeutet der
Antrag der Linken einen Rückschritt in der Endlagerfrage. Er bedeutet einen Stillstand beim Rückbau, und er
bedeutet die Beendigung der medizinischen Nuklearforschung. Insofern werden Sie sich nicht wundern, wenn
wir einen solch rückschrittlichen Antrag nicht unterstützen können.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Sylvia KottingUhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Hubertus Zdebel, ich gebe einigen eurer Forderungen absolut recht, zum Beispiel dass die Rückstellungen der AKW-Betreiber für Rückbau und Endlagerung
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden
müssen. Das ist völlig klar und richtig. Aber zu dieser
Thematik gibt es schon einen eigenen Antrag von uns
und auch einen von euch, die im Verfahren sind und bereits zu einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss geführt
haben. Andere Forderungen teile ich nur teilweise, manche auch gar nicht, oder ich teile die Einschätzung der
Fakten nicht, wie zum Beispiel beim Entzug der Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel.
Meine wirkliche Kritik an dem Antrag ist aber, dass
er nicht in die Zeit passt. Wir haben vor einem Jahr eine
Kommission zur Lagerung hochradioaktiver Abfälle eingesetzt. Diese Kommission arbeitet, und sie arbeitet eingedenk der wirklich schwierigen Grundbedingungen
ziemlich gut.
({0})
Es gibt erste Ergebnisse und Erfolge.
Das NaPro, Hubertus, steht ausdrücklich unter dem
Vorbehalt der Entscheidung der Kommission. Wir haben
den Auftrag, uns damit zu befassen.
({1})
- Ja, aber es ist richtig, dass das so ist.
Ihr werft in eurem Antrag zum größten Teil Fragen
auf, die der Bundestag der Kommission überantwortet
hat, in der wir beide Mitglieder sind. Deshalb verstehe
ich diesen Antrag nicht. Was macht es für einen Sinn,
jetzt in einem Oppositionsantrag eine Entscheidung zu
fordern, wann das Eingangslager für das zukünftige
Endlager errichtet werden soll, wenn wir genau solche
Fragen mit guten Argumentationen im Konsens in der
Kommission lösen können?
({2})
Ich halte eure Forderung, das nicht mit der ersten
Teilerrichtungsgenehmigung zu koppeln, für völlig richtig. Aber wenn ihr das im Bundestag in einem Globalantrag zur Abstimmung stellt, wird es abgelehnt. In der
Kommission dagegen hat diese vernünftige Forderung
gute Aussichten, weil den Mitgliedern inzwischen
bewusst ist, dass eine solche Frage elementar mit der
Problematik Vertrauensaufbau zu tun hat. Bei einem
Endlagerstandort auch nur den Eindruck zu erwecken,
vor der Genehmigung würden bereits Fakten geschaffen,
würde alle Glaubwürdigkeit eines noch so sorgfältigen,
transparenten und partizipativen Verfahrens zunichtemachen.
({3})
Ich sehe auch keinen Sinn darin, dem Bundestag in
seinen bekannten Mehrheiten jetzt ein Exportverbot für
abgebrannte Brennelemente aus Forschungsreaktoren
zur Abstimmung vorzulegen. Diese Gesetzesänderung
kann nur in der Kommission erreicht werden, weil wir
dort den Gesamtzusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit der Entwicklung eines Verfahrens zur Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll und dem
gleichzeitigen Export hochradioaktiven Mülls zum Beispiel aus dem Forschungszentrum Jülich diskutieren.
Ich finde es - ich muss das sagen - extrem schade,
dass die Fraktion Die Linke nicht sieht oder nicht sehen
will, welche Chance in der Kommission liegt,
({4})
in der sich festgefahrene Haltungen lockern und Positionierungen in breiter Mehrheit möglich sind, die sich in
eurer und in unserer Fraktion vor drei Jahren noch niemand hätte vorstellen können. Ja, eine solche Kommission muss den Geist des Kompromisses atmen. Anders
kommt sie nicht zu Ergebnissen. Ich bin politisch auch
eher mit der Fahne auf der Barrikade sozialisiert. Aber,
liebe Freunde von der Linken, alles hat seinen Ort und
seine Zeit. Wir haben mit dem Standortauswahlgesetz,
das wir auftragsgemäß evaluieren und verändern, die
historische Chance, einen Umgang mit Atommüll zu
entwickeln, der in unserer Gesellschaft keine weiteren
Wunden schlägt. Der Ort dafür ist die Kommission. Die
Zeit ist jetzt.
In der Kommission erlebe ich den Kollegen Hubertus
Zdebel als einen kritischen, skeptischen und konstruktiven Mitwirkenden. Der vorliegende Antrag bringt in der
Sache aber nichts. Er vertieft Gräben, wo wir derzeit
Brücken bauen wollen.
({5})
Deshalb in aller Freundschaft: Man kann Anträge vor
der Abstimmung auch zurückziehen.
({6})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt die
Kollegin Hiltrud Lotze das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag greift eine wichtige Frage auf, nämlich die
Frage nach dem Umgang mit Atommüll, zieht aber zum
Teil falsche Konsequenzen; dazu sage ich später noch etwas.
Erst am vergangenen Samstag wurde das erste Atomkraftwerk nach dem neuen, endgültigen Atomausstieg
abgeschaltet. Wie der Zufall es will, liegt es in Bayern.
Es ist das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Das macht
die Frage nach dem Umgang mit dem Atommüll mehr
als tagesaktuell.
({0})
Wir alle wissen, dass wir in dieser so wichtigen Frage
sehr viel weiter sein könnten, wenn nicht in der letzten
Legislaturperiode von 2009 bis 2013 der Atomausstieg
von der Union rückgängig gemacht worden wäre.
({1})
Das waren in der Tat verlorene Jahre.
({2})
Umso wichtiger ist, dass wir jetzt konsequent vorangehen und die Fehler der vergangenen Jahrzehnte nicht
wiederholen.
({3})
Deswegen ist die Arbeit der Endlagerkommission - das
hat die Kollegin Kotting-Uhl schon gesagt - so grundlegend und entscheidend.
Die Folgen des geradezu fahrlässigen Umgangs mit
der Atomkraft sind uns gegenwärtig, zum Beispiel in
Form der 26 Castoren, die noch aus dem Ausland zurückkommen. Es kann doch nicht sein - das muss ich an
dieser Stelle einfach sagen -, dass sich diejenigen, die
jahrzehntelang die Atomkraft befürwortet haben und besonders viel Atomstrom und damit auch Atommüll erzeugt haben, der Verantwortung in dieser Frage verweigern.
({4})
- Zu Niedersachsen komme ich gleich noch, was Sie sicherlich nicht verwundern wird.
Das ist unverständlich, zumal wenn dort mit dem Gedanken gespielt wird, weiterhin auf diese Hochrisikotechnologie zu setzen, weil Leitungen oder Windräder
das Panorama verschandeln könnten.
({5})
Ich komme aus dem Wahlkreis, in dem Gorleben
liegt. Mich hat es - genauso wie die meisten Menschen
im Wendland - sprachlos gemacht, als ich gehört und
gelesen habe, dass Bayern es strikt ablehnt, die auch mit
bayerischem Atommüll befüllten Castoren zurückzunehmen, und das mit der Begründung, man könne das der
Bevölkerung nicht zumuten.
({6})
Das war harter Tobak.
({7})
Ich finde es schade, welche Wertschätzung für die Menschen außerhalb Bayerns damit zum Ausdruck kommt.
Ich lade Sie alle, insbesondere die Kolleginnen und
Kollegen von der CSU, in das Wendland nach Gorleben
ein.
({8})
- Wunderbar! Kommen Sie noch einmal. - Dort stehen
in einem oberirdischen Zwischenlager 113 Castoren. Ich
vermittle sehr gerne direkt am Zwischenlager einen Austausch mit der Bevölkerung und den örtlichen Kommunalpolitikern. Sagen Sie einfach Bescheid. Dann bereite
ich alles Notwendige vor.
({9})
Ich darf Sie bitten, vielleicht auch gleich die Unionsbürgermeister aus Baden-Württemberg mitzubringen, die
jetzt in das gleiche Horn stoßen.
({10})
Umweltministerin Hendricks hat absolut richtig entschieden, als sie festgelegt hat, dass auch Bayern einige
Castoren übernehmen muss.
({11})
- Genau, dabei muss es auch bleiben. - Es handelt sich
im Übrigen auch nur um die bescheidene Zahl von sechs
bis neun Castoren. Herr Kanitz, die Länder hatten lange
genug Zeit, sich freiwillig dazu zu äußern. Das war auch
Grundlage der gesetzlichen Entscheidung.
({12})
Insofern war es richtig, an dieser Stelle jetzt eine klare
Regelung zu treffen.
Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm, das im
Übrigen fristgerecht vorgelegt worden ist, hat die Bundesregierung einen Plan aufgezeigt, wie sie in Zukunft
verfahren wird. Sie hat eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme des vorhandenen und noch anfallenden
Mülls gemacht, und sie hat gesagt, wie wir vorgehen
wollen, und vor allen Dingen, dass wir den Ergebnissen
der Endlagerkommission nicht vorgreifen wollen.
({13})
Ich mache jetzt einmal mit Blick auf die Uhr ein bisschen schneller.
({14})
- Das tue ich nicht, tut mir leid. - Der Antrag der Linken
weist noch auf ein anderes Problem hin, auch wenn er da
falsche Konsequenzen zieht. Auch das ist eben schon angesprochen worden. Es geht um die Kosten für Rückbau
und Endlagerung und um die Frage, wie sicher diese
sind. Es ist gut, dass Minister Gabriel in dieser Sache die
Initiative ergriffen hat. Sie alle wissen: Es gibt eine Studie, die auf Schwachpunkte hingewiesen hat. Dazu hat
es in der letzten Nacht eine Verständigung in der Koalition gegeben. Die Verantwortung bleibt bei den Unternehmen, die den Atomstrom produzieren. Es wird keine
Verkleinerung des Haftungsvermögens erfolgen. Es gibt
Stresstests für die Unternehmen, mit denen die Sicherheit der Rückstellungen geprüft wird. In einer Kommission soll die Frage geklärt werden, auf welchem Weg die
Absicherung der finanziellen Verantwortung für Rückbau, Stilllegung und Endlagerung am besten erfolgen
kann. Für die SPD sage ich hier noch einmal ganz deutlich: Wir werden keine Lösung akzeptieren, die da lautet: Gewinne privatisieren, Verluste - in diesem Fall Folgekosten - sozialisieren.
({15})
- Ja.
Was den vorliegenden Antrag angeht, so können wir
diesen nicht unterstützen, unter anderem deswegen - darauf hat Frau Kotting-Uhl schon hingewiesen -, weil
diesem mindestens ein grundsätzlicher Denkfehler zugrunde liegt. Sie fordern nämlich, dass der Auftrag der
Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungsprogramm angepasst werden muss. Genau umgekehrt wird
ein Schuh daraus; denn es besteht beim NaPro ein Revisionsvorbehalt. Das Nationale Aktionsprogramm zur
Entsorgung des Atommülls steht völlig zu Recht unter
Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkommission; denn
es sollen nicht schon wieder Fakten geschaffen werden,
bevor es einen breiten Diskurs gegeben hat.
Unser Fazit: Der Antrag enthält einige richtige Ansätze. Die Konsequenzen, die daraus gezogen werden,
sind jedoch zum großen Teil falsch.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({16})
Vielen Dank. - Die Aussprache ist beendet.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5228 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Transparenzinitiative der Europäischen
Kommission mitgestalten - Bewährte Stan-
dards im Handwerk und in den Freien Beru-
fen erhalten
Drucksache 18/5217
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden1). Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 18/5217. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der
Sache, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen wünschen Überweisung an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie. Wir stimmen nach ständiger
Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Die Antragsteller. Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag auf Überweisung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag
auf Drucksache 18/5217. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jemen - Militärische Intervention stoppen Neue Friedensverhandlungen beginnen
Drucksache 18/5380
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jemen
war schon immer ein armes Land; es ist das ärmste Land
der Arabischen Liga. Dennoch gab es im Jemen immer
Hoffnung. Es ist gerade vier Jahre her, dass Hunderttausende von Menschen friedlich auf die Straße gegangen
sind und sich Scharfschützen entgegengestellt haben - in
der Hoffnung auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.
Was ist heute? Just am heutigen Tag hat die UN festgestellt, dass Jemen in die höchste Notstandskategorie
gehört. Damit ist Jemen in derselben Kategorie wie Irak
und Syrien.
({0}) Anlage 15
Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und
Südsudan!)
Hunger herrscht vor, Krankheiten grassieren. Fast
1,5 Millionen Menschen im Land sind Vertriebene. Man
muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt eine
Flüchtlingswelle aus dem Jemen nach Somalia, weil Somalia für die Menschen sicherer als der Jemen selbst geworden ist. In Dschibuti gibt es einen Aufnahmestopp
für jemenitische Flüchtlinge. Fabriken werden zerstört.
Es gibt keine einzige Molkerei mehr in dem Land. Es
gibt keine Zementfabrik mehr. Es gibt nicht einmal mehr
ein Fußballstadion. Es gibt viele Berichte über gezielte
Bombardements von Tankstellen und Kinderspielplätzen. Heute ist der 99. Tag des Massenbombardements
der Koalition um Saudi-Arabien in diesem Land. Hierdurch werden NGO-Büros getroffen. Hierdurch werden
Flüchtlingslager der Vereinten Nationen getroffen. Hierdurch wird Weltkulturerbe zerstört.
Worum geht es denn? Eigentlich geht es um eine innenpolitische Auseinandersetzung. Eigentlich geht es
um Ressourcenverteilung. Eigentlich geht es um Machtverteilung. Eigentlich geht es darum, dass in den letzten
zehn Jahren sechsmal Massaker an den Huthis verübt
worden sind. Eigentlich geht es darum, dass die Huthis
sehr große Angst bekommen haben, weil die sunnitische
Militanz immer stärker geworden ist. Es war nicht legitim von den Huthis, einen gewählten Präsidenten abzusetzen. Es ist kontraproduktiv, wie sich der Iran in den
Konflikt einmischt. Es ist zerstörerisch, wie der ehemalige Präsident und Diktator Salih die Huthis unterstützt.
Nichts davon rechtfertigt, dass Saudi-Arabien den Jemen
zurzeit - seit 99 Tagen - in die Steinzeit bombt.
({1})
Wer sich wundert, dass die Genfer Gespräche und
Verhandlungen gescheitert sind, muss sich auch einmal
vergegenwärtigen, dass Saudi-Arabien nicht einmal bereit war, während dieser Verhandlungen von vier oder
fünf Tagen nicht zu bomben. Unter Bomben kann man
nicht über Frieden verhandeln.
({2})
Was ist aber mit Deutschland? Die Position der Bundesregierung kam vor 97 Tagen in einem lapidar geäußerten Statement des Herrn Außenministers zum Ausdruck, er habe „Verständnis für das Vorgehen SaudiArabiens“. Dann kam zwei Monate nichts, ein eiskaltes
Schweigen, eine dröhnende Stille dieser Bundesregierung, die einfach nicht bereit war, sich zu äußern. Wochenlang war der UN-Generalsekretär ohne Hilfe
Deutschlands mit seiner Forderung nach einem Waffenstillstand. Das ist schlicht skandalös.
({3})
So verhält sich ausgerechnet Deutschland, ein Land,
das im Jemen eine Vermittlungsrolle spielen kann, ein
Land, das dort jahrelang, jahrzehntelang Entwicklungszusammenarbeit geleistet hat. Man muss sich einmal
vorstellen: Unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
haben jahrzehntelang für den Wiederaufbau eines Landes mitbezahlt, das gerade von Saudi-Arabien zerstört
wird, und die Antwort der Bundesregierung ist monatelang: Wir haben nun einmal Verständnis dafür. - Das ist
schlicht nicht hinnehmbar.
({4})
Es ist auch nicht hinnehmbar, dass die Saudis zurzeit
Tag für Tag Boxen nehmen, lizenzierte deutsche G3Waffen hineinstecken und diese Boxen über Gebieten
abwerfen, die von al-Qaida regiert werden. Es ist nicht
hinnehmbar, dass die Bundesregierung nicht einmal
kommentiert, dass es jetzt Berichte darüber gibt, dass
aus Deutschland immer noch Bauteile für Bomben hingebracht werden.
Meine Damen und Herren, wir haben es im Falle
Ägyptens erlebt. Vier Jahre nach Beginn des Arabischen
Frühlings hat die Bundesregierung beschlossen: Im Nahen Osten geht es nur noch um Stabilität. - Stabilität ist
in diesem Fall nur noch Friedhofsruhe. Wir reden über
eine Grabesruhe für den früh verstorbenen Aufbruch der
Bundesregierung in eine neue Rolle Deutschlands in der
Welt. Das, was im Jemen passiert, ist mehr als nur ein
Skandal; es ist ein massives Verbrechen, und es tut sich
niemand einen Gefallen, dabei zu schweigen, wie es die
Bundesregierung monatelang gemacht hat. Es ist
höchste Zeit, dass Deutschland, dass die Europäer endlich die Stimme erheben und nicht die ganze Zeit so tun,
als wäre Saudi-Arabien ein - Zitat - Stabilitätsanker. Es
gibt im Sand keinen Anker, der hält.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus und glücklicherweise auch in der internationalen Staatengemeinschaft
darüber einig, dass im Jemen ein Konflikt auf dem Rücken einer gebeutelten Bevölkerung ausgetragen wird.
Es ist in der Tat ein Konflikt, bei dem auf der einen Seite
der ehemalige Präsident Salih, der zurück in dieses Amt
strebt, sowie große Teile der Militärtruppen und -verbände und die Huthi-Rebellen stehen, und auf der anderen Seite der ins Exil geflohene Präsident Hadi und verbliebene Regierungstruppen.
Das, was in diesem kleinen Land im Süden der Arabischen Halbinsel angerichtet wird, ist eine unglaubliche
humanitäre Katastrophe.
({0})
Etwa vier Fünftel der Bevölkerung sind auf unmittelbare
Nothilfe angewiesen. 10 Prozent der Bevölkerung haben
Mangelernährung. Viele Millionen Menschen haben
keinen Zugang zu sicheren und sauberen Trinkwasserquellen. Kindersoldaten werden eingesetzt. Die Zahlen
sind schockierend: 3 000 Tote, 13 000 Verletzte, 1 Million Binnenflüchtlinge. Es ist eine humanitäre Katastrophe, und es ist klar, dass wir uns in dieser Angelegenheit
schon allein wegen dieser humanitären Katastrophe rühren müssen.
Aber es gibt darüber hinaus auch noch ein eigenes Interesse, weil nämlich die Flüchtlingsströme - es ist geschildert worden; die Menschen fliehen gar nach Somalia - mittelfristig auch nach Europa kommen werden.
Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen,
dann ist der Jemen ein klassisches Beispiel dafür, dass
wir uns engagieren müssen.
({1})
Wir sehen, wie im Jemen Staatlichkeit und Stabilität
verloren gehen. Dann entsteht ein Machtvakuum, in dem
internationaler Terrorismus gedeihen kann, und das tut
er dort. Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel beispielsweise hat bereits zwei Provinzen unter seiner
Kontrolle. Der „Islamische Staat“ versucht, einen Keil
zwischen den schiitischen und den sunnitischen Bevölkerungsteil zu treiben, das auszunutzen, das zu schüren
und damit seine eigene Agenda zu verfolgen.
Vor diesem Hintergrund könnte man wirklich den
Eindruck haben, dass dieses Knäuel aus verwirrten und
verwirrenden Beziehungen kaum aufzulösen ist. Trotzdem glaube ich, lieber Herr Nouripour, dass es durchaus
Ansätze gibt, an denen man sehen kann, dass es möglich
sein kann, diesen Konflikt zu lösen.
Zum einen ist das die Tatsache, dass es in der Tat kein
Religionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist. Es
ist eigentlich auch kein Stellvertreterkrieg der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran. Es besteht bei beiden
die Gefahr, dass es sich dazu entwickelt.
({2})
Aber es sind vor allen Dingen Machtspiele im Land, und
es geht vor allen Dingen um ökonomische Frustration
und Benachteiligung von Minderheiten und Bevölkerungsgruppen. Es ist also vor allen Dingen ein jemenitisches Problem, das man tatsächlich im Land lösen kann.
Das gibt letztlich Hoffnung.
({3})
Auch wenn die Gespräche in Genf ergebnislos abgebrochen worden sind, spürt man, glaube ich, im Land
und in der Region, dass es ein Bewusstsein dafür gibt,
dass diese Gespräche wieder aufgenommen werden
müssen, weil letztlich jede Seite zu schwach ist, ihre eigene Politik, ihr Blatt zum Guten zu wenden. Das gilt für
die Huthi-Rebellen, die ein überdehntes Gebiet haben,
die von IS angegriffen werden und nicht in der Lage
sind, die Bevölkerung zu versorgen. Allein mit den Luft11196
schlägen der Saudis wird Präsident Hadi auch nicht in
den Jemen zurückkehren können. Vor diesem Hintergrund muss es ein allgemeines Interesse geben, zu einer
Lösung zu kommen. Es ist ja tatsächlich so, dass die
Huthis beispielsweise der Einsetzung der Übergangsregierung unter Hadi zugestimmt haben. Und auch die
Nachbarschaft kann helfen; ich denke etwa an den Golfkooperationsrat, an die Aktionen der Nachbarn, an das
Engagement des Oman, mit denen derzeit wieder Gespräche stattfinden.
Es gibt ein Interesse in der Region für Stabilität und
Sicherheit, weil klar ist, dass das Ganze nicht auf den Jemen begrenzt bleiben würde. Vor diesem Hintergrund
bin ich optimistisch, dass es gelingt, die UN-Resolution
2216 zu implementieren. Wenn es gelingt, einen Waffenstillstand unter UN-Aufsicht zu erreichen, wenn es gelingt, dass sich die Huthis aus den größeren Städten des
Jemen zurückziehen, Hadi in den Jemen zurückgehen
kann
({4})
- auch das -, dann gibt es die Chance, dass man den nationalen Dialog, der im Januar 2014 zu Ende gegangen
ist, wieder aufnehmen kann mit seinen über 2 000 Empfehlungen und vor allen Dingen auch mit dem Verfassungsentwurf, den es dann zu implementieren gilt.
Ich möchte einen letzten Satz dazu sagen, dass wir es
im Jemen tatsächlich mit einem gescheiterten Staat zu
tun haben. Von daher geht es darum, Vertrauen zurückzugewinnen, eine Regierung der nationalen Einheit zu
schaffen und vor allen Dingen mitzuhelfen, dort wieder
staatliche Strukturen aufzubauen. Auch das wäre eine
Möglichkeit für die Europäische Union, ähnlich wie in
Somalia und anderen nordafrikanischen Ländern im
Rahmen eines Capacity Building und einer Trainingsmission mitzuhelfen, staatliche Strukturen aufzubauen
und damit das Land in eine bessere Zukunft zu begleiten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Christine
Buchholz, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Lage im Jemen ist überfällig. Ehrlich
gesagt, Herr Frei, ich glaube, wir befinden uns hier in
zwei unterschiedlichen Veranstaltungen.
({0})
Seit Monaten bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz dieses verarmte Land. Zahlreiche
zivile Ziele wurden und werden getroffen. Die Auswirkungen sind verheerend. Die Zahl der Toten geht in die
Tausende. 160 Krankenhäuser und Ambulanzen wurden
zerstört oder mussten geschlossen werden. Und die UN
sagt: Über 21 Millionen Menschen - das sind über
80 Prozent der Bevölkerung - sind auf Hilfe angewiesen. Doch das Land ist eingeschlossen, seit Saudi-Arabien die Häfen im Jemen blockiert. Ich sage: Dieser von
Saudi-Arabien geführte Luftkrieg ist ein Verbrechen.
({1})
Die Hauptverantwortlichen für die humanitäre Katastrophe im Jemen sind die Milliardäre in den Palästen
Riads. Im Kern geht es ihnen um den Einfluss in der Region im Konflikt mit dem Iran und seinen Verbündeten.
Das ist die Wahrheit.
({2})
Man sollte meinen, die Haltung der Bundesregierung
wäre angesichts der Katastrophe klar. Aber Herr Frei hat
gerade eindrücklich demonstriert: Sie ist es nicht. Wir
hören kein offenes, nicht einmal ein verstecktes Wort der
Kritik an der saudischen Führung. Das ist ein wirklicher
Skandal.
({3})
Im Gegenteil: Es sind nicht nur die G3-Sturmgewehre
von Heckler & Koch, die über Aden abgeworfen wurden. Am Montag wurde der Bundestag darüber informiert, dass die Bundesregierung die Lieferung von
15 bewaffneten Patrouillenbooten an Saudi-Arabien genehmigt hat, wohlgemerkt in einer Zeit, da die saudische
Regierung gegen den Jemen eine Seeblockade verhängt
hat. Das, meine Damen und Herren, ist Beihilfe zur Aushungerung der jemenitischen Bevölkerung, und das ist
skandalös.
({4})
Die zynische Haltung der Bundesregierung hat tatsächlich Geschichte. 2011 wurde die Lieferung von
200 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien genehmigt. Das
war nur wenige Wochen, nachdem saudische Panzer die
Demokratiebewegung in Bahrain niedergewalzt haben.
Erst das Geschäft, dann die Moral. Wir sehen auch hier:
Minister Gabriel hat als Wirtschaftsminister an dieser
Prioritätensetzung nichts geändert. Dieser Tatsache müssen Sie ins Auge sehen.
({5})
Die Rechtfertigungen sind ebenfalls die gleichen geblieben. 2011 sagte de Maizière, Saudi-Arabien sei einer
der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region. Heute
sagt die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion,
Saudi-Arabien spiele in der Region eine Schlüsselrolle
für die Sicherheit. Aber von welcher Sicherheit spricht
die Bundesregierung? Über den Jemen hat der saudische
Luftkrieg nur Unsicherheit und Verderben gebracht, und
auch im Inneren der saudischen Monarchie selbst bedeutet Sicherheit vor allen Dingen Unterdrückung. Allein in
den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 78 Menschen öffentlich hingerichtet. Die Bundesregierung unterstützt nicht die Stabilisierung in der Region, sondern
Tyrannei.
({6})
Dank des vorliegenden Antrages der Grünen haben
wir die Möglichkeit, die Lage im Jemen zu debattieren.
Es ist gut, dass im Antrag die Forderung nach einem
Stopp von Waffenexporten nach Saudi-Arabien erhoben
wird. Allerdings sehen wir auch Lücken in dem Antrag
und müssen darüber noch weiter diskutieren. Es ist ein
Problem, dass der Drohnenterror der USA gegen den Jemen kaum und die stillschweigende Unterstützung dieses Krieges durch Deutschland gar keine Erwähnung finden. Es reicht auch nicht, von der Bundesregierung die
Distanzierung vom saudischen Luftkrieg zu fordern. Die
Bundesregierung muss das Bombardement des Jemen
verurteilen und endlich die Zusammenarbeit mit dem
saudischen Regime beenden.
({7})
Die Menschen im Jemen brauchen keine Bomben. Sie
brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente. Das sind
Dinge, die Deutschland auf die arabische Halbinsel liefern sollte, keine Kampfpanzer oder Militärboote.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, der
Kollege Niels Annen hat wegen eines andauernden
Termins im Auswärtigen Amt gebeten, seine Rede zu
Protokoll geben zu dürfen.1)
({0})
Sind Sie damit einverstanden? - Dann hat jetzt die Kollegin Motschmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Militärische Intervention stoppen“, das ist die erste Forderung im Antrag der Grünen. Natürlich, Herr
Nouripour, muss es das Ziel sein, diese Intervention zu
stoppen. Niemand kann wollen, dass dort dauerhaft
Krieg herrscht oder dass dort gebombt wird, von wem
auch immer. Täglich sterben im Jemen Soldaten, Zivilisten und Kinder. Das muss aufhören.
({0})
Huthi-Rebellen kämpfen gegen die staatlichen jeme-
nitischen Strukturen und haben diese weitgehend lahm-
1) Anlage 16
gelegt und zerstört. Al-Qaida-Terroristen kämpfen mal
gegen den Staat, mal gegen die Huthis. Zu allem Überfluss sind nun auch noch IS-Terroristen im Land und an
den Kämpfen beteiligt. Präsident Hadi ist von Sanaa
nach Aden und später nach Saudi-Arabien geflüchtet;
das ist ja hier erwähnt worden. Eine Regierung besteht
de facto nicht. Es besteht eine große Unsicherheit im
Land, eine humanitäre Katastrophe; das haben Sie ja
richtig beschrieben. Auch in dieser völlig verfahrenen,
desolaten Situation müssen erneut Friedensverhandlungen beginnen. Da sind wir ganz bei Ihnen; niemand wird
das ernsthaft bestreiten.
Es stellt sich aber die Frage: Wer soll denn hier eigentlich mit wem verhandeln? Wer erkennt denn den jeweils anderen als Verhandlungspartner an? Das ist die
erste Schwierigkeit. Bei den Friedensverhandlungen in
Genf war es so, dass der UN-Sonderbeauftragte mehr
Zeit mit dem Pendeln zwischen den Hotels verbracht hat
als in den Sitzungen selber. So einfach ist das also nicht.
Trotzdem müssen diese Verhandlungen möglichst
schnell - da würde ich Sie voll unterstützen - wiederaufgenommen werden, um eine politische Lösung, wenn es
sie denn gibt - wir hoffen das alle; das ist doch klar -,
überhaupt zu ermöglichen.
Ich denke, wir sind uns auch alle einig, dass wir nicht
tatenlos zusehen können, wie ein Anschlag nach dem anderen das Land im Chaos versinken lässt. Allein in den
letzten Tagen gab es wieder zahlreiche Tote. 17. Juni:
30 Tote, 20. Juni: 3 Tote, 30. Juni: 28 Tote.
({1})
Darüber hinaus war der Jemen auch Ausgangspunkt für
die feigen Attentäter, die im Januar in Paris die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt
angegriffen haben und dabei 17 unschuldige Menschen
töteten.
Der Jemen steht also vor einem totalen Zerfall und
wird in seinem jetzigen Zustand natürlich auch zur leichten Beute des sogenannten „Islamischen Staats“ sowie
von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Das muss
man einfach sehen.
({2})
Wir müssen davon ausgehen, dass die Aggressionen der
Huthis - Sie haben es auch gesagt - zusätzlich aus dem
Iran befeuert, unterstützt und gegebenenfalls sogar gesteuert werden. Saudi-Arabien spielt in der Arabischen
Liga und im Golfkooperationsrat eine entscheidende
Rolle. Das kann niemand bestreiten. Trotz aller Kritik,
die wir alle an diesem Staat haben, brauchen wir sicher
die Saudis. Hier denke ich allein an die mittelalterliche
Rechtsordnung, die dort herrscht. Sie alle haben noch die
tausend Stockschläge für Raif Badawi in Erinnerung und
wissen, dass wir es mit einem Staat zu tun haben, der mit
unseren demokratischen Maßstäben überhaupt nicht zu
messen ist; es gibt auch nichts zu beschönigen. Trotzdem
werden wir ohne Saudi-Arabien Sicherheit und Stabilität
in der Region schwer herstellen können.
({3})
Auch das ist die Wahrheit. An dieser Stelle berühren wir
ein grundsätzliches Problem der Ethik. Es gibt Konflikte, in denen man sich auf keine Seite stellen möchte.
({4})
Genau das ist hier der Fall. Wir stellen uns auf die Seite
der Menschen, die in dem Land leben ({5})
- nein, ich stelle mich gar nicht auf irgendeine Seite ({6})
- hören Sie einmal gut zu -, und müssen trotzdem in der
Abwägung dann das kleinere Übel wählen; denn ohne
Saudis wird es keine Lösung des Konfliktes geben. - Ich
bin sofort fertig, Frau Präsidentin.
Entscheidend wird sein, Angriffe auf das Militär und
die terroristischen Anschläge auf die Zivilbevölkerung
zu beenden. Darin sind wir uns einig.
({7})
Dass dies ohne eine militärische Intervention gelingen
kann, muss zum jetzigen Zeitpunkt mindestens bezweifelt werden. Das wird sehr schwer, auch wenn das von
jedem gewünscht wird. Ich wünschte auch, wir könnten
das mit gutem Zureden oder allein mit Verhandlungen
schaffen. Befriedete Zonen sind unerlässliche Voraussetzungen zu humanitärer Hilfe.
({8})
Das ist das Nächste, was wir tun müssen: humanitäre
Hilfe, die dringend erforderlich ist. Hier müssen wir
Saudi-Arabien auch fordern. Sie müssen natürlich auch
Flüchtlinge aufnehmen.
({9})
- Sie müssen humanitär helfen, das wäre besser als bombardieren. Da bin ich ganz bei Ihnen.
({10})
Bei diesem Vorhaben dürfen wir keine Zeit vergeuden.
Auch das ist richtig. Die menschliche Katastrophe ist in
vollem Gange. Sie haben es gesagt: Vier Fünftel der Bevölkerung, so die Vereinten Nationen, sind auf Hilfe angewiesen, unter ihnen etwa 1,8 Millionen Kinder, was
uns zutiefst bedrücken muss.
({11})
- Was lachen Sie eigentlich? Es gibt hier nichts zu lachen.
Frau Kollegin Motschmann.
Die Rede ist zu Ende, Frau Präsidentin.
({0})
- Ich rede mich hier gar nicht raus. Ich sage nur, wie die
Lage ist und wie schwer es ist.
({1})
- Das habe ich Ihnen doch gesagt, aber Sie müssen einmal zuhören. Für Sie gibt es nur eine einfache Lösung.
Die gibt es hier aber nicht, gerade hier nicht. Die Lage
ist so verworren, und Sie meinen, man könnte mit gutem
Zureden oder mit Hände-in-den-Schoß-Legen den Jemen befrieden. So einfach ist das nicht. Deshalb sind
wir, die Bundesrepublik Deutschland, verpflichtet, uns
hier nach bestem Wissen und Gewissen einzubringen.
Aber dass es so einfach wäre, wie es sich manche wünschen - ich übrigens auch, Herr Nouripour -, ist nicht
der Fall.
Frau Kollegin, ich darf Sie jetzt bitten, zum Schluss
zu kommen. Sie haben jetzt fast drei Minuten mehr gehabt.
Danke schön, Frau Präsidentin.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5380 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 auf:
17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Durch Stärkung der Digitalen Bildung Me-
dienkompetenz fördern und digitale Spal-
tung überwinden
Drucksachen 18/4422, 18/5368
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Empfehlungen der Enquete-Kommission „In-
ternet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen
Bildung umsetzen
Drucksache 18/5105
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 17. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5368,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/4422 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5105.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin
Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Integrationsbetriebe fördern - Neue Chancen
für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen
Drucksache 18/5377
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5377 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
1) Anlage 17
2) Anlage 18
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({2}) zu dem An-
trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bericht der Bundesregierung zur weltweiten
Lage der Religions- und Glaubensfreiheit
Drucksachen 18/5206, 18/5408
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.3) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5408, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5206 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten
Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes
Drucksache 18/4892
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
({3})
Drucksache 18/5413
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.4) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5413, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4892 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und Linken bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenom-
men.
3) Anlage 19
4) Anlage 20
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksachen 18/4656, 18/4947
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
({4})
Drucksache 18/5414
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.1) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5414,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/4656 und 18/4947 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5414 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes
Drucksache 18/4625
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
Drucksache 18/5404
- Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5410
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) -
Ich sehe, Sie sind einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
1) Anlage 21
2) Anlage 22
che 18/5404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4625 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal-
tung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüs-
siggas über 2018 hinaus verlängern
Drucksache 18/5378
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 18/5378 mit dem Titel
„Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über
2018 hinaus verlängern“. Die Fraktionen der CDU/CSU
und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen
Überweisung an den Finanzausschuss. Nach ständiger
Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für
die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Damit ist die Überweisung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag
auf Drucksache 18/5378. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung
Drucksache 18/5294
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt,
zu Protokoll gegeben.4)
3) Anlage 23
4) Anlage 24
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5294 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar
1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai
2010 zur Änderung des Übereinkommens
über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen
Drucksachen 18/5173, 18/5220
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({8})
Drucksache 18/5409
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) -
Sie sind einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/5409, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/5173 und 18/5220 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Entlastung insbesondere der
mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie
({9})
Drucksache 18/4948
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({10})
Drucksache 18/5418
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({11}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae,
1) Anlage 25
Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand
manifestieren
Drucksachen 18/4693, 18/5418
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Die Reden werden zu Protokoll gegeben, sofern Sie
damit einverstanden sind.2) - Ich sehe, das ist der Fall.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5418,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/4948 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5430 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 b. Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5418 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4693.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des
Max-Planck-Instituts für ausländisches und
internationales Strafrecht in Freiburg als wis-
2) Anlage 26
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
senschaftlicher Sachverständiger im Rahmen
der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in
kriminalpolizeilichen Angelegenheiten ({12})
Drucksache 18/5379
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, obwohl das sehr bedauerlich ist.1) - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
1) Anlage 27
18/5379. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
für die Aufmerksamkeit. Wir sind jetzt auch am Schluss
der heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 3. Juli 2015, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend
und schließe hiermit die Sitzung.