Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines
… Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
Drucksache 18/477
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({0})
Drucksache 18/619
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/620
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung
Drucksache 18/476
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({2})
Drucksache 18/607
Zu dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Über beide Gesetzentwürfe werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Bernhard Kaster das Wort.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn der Debatte
zunächst einmal ein Wort des herzlichen Dankes an alle
Mitglieder der Unabhängigen Kommission sagen, die
aufgrund eines einvernehmlichen Auftrags des Deutschen Bundestages zum Ende der letzten Legislaturperiode einen sehr umfangreichen Bericht mit Fragestellungen und Empfehlungen zum Abgeordnetenrecht
vorgelegt hat. Das war sehr wertvoll, und das war eine
mühsame Arbeit in 17 Sitzungen. Dafür ein herzliches
Dankeschön an die Kommission.
({0})
Diese Empfehlungen des Berichts waren auch Gegenstand einer dreistündigen Anhörung am vergangenen
Montag, und sie bilden die Grundlage für die Änderungen des Abgeordnetenrechts, insbesondere im Bereich
der Abgeordnetenentschädigung und im Bereich der
Kürzungen bei der Altersversorgung. Ich sage zur Information: Diese Unabhängige Kommission war eine externe Kommission, eine Kommission mit Mitgliedern
aus den Bereichen Wirtschaft, Handwerk, Verwaltung
und Wissenschaft.
Unsere Verfassung, aber auch das bekannte Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts geben uns vor, dass
wir unsere Abgeordnetenentschädigung selbst festsetzen
müssen. Dafür sprechen viele gute staatsrechtliche
Gründe. Man könnte da in die Geschichte gehen. Verständlich ist es, dass wir uns regelmäßig - eigentlich seit
Jahren und Jahrzehnten - mit dieser Regelung schwertun. Genauso verständlich ist es, dass Bürger, die Öffentlichkeit, sich ebenfalls mit dieser Regelung schwertun
und jeder mit unterschiedlichem, subjektivem Blickwinkel, ob jetzt als Arbeitnehmer, als Rentner oder auch als
gut bezahlte Führungskraft, die Entschädigungsregelungen bewertet oder auch kritisiert.
Deshalb ist es so wichtig, mit diesem Thema verantwortungsvoll und transparent umzugehen. Das liegt auch
im Interesse des ganzen Deutschen Bundestages. Deshalb sind die Vorschläge, die die Kommission hierzu gemacht hat, so wertvoll für unsere Arbeit hier im Parlament.
({1})
Seit 1995 sind im Abgeordnetengesetz die Besoldungsgruppen R 6 bzw. B 6 als Orientierungsgrößen
verankert. Diese Besoldungsgruppen gelten für einfache
Richter an Bundesgerichten - mit dem Bundesverfassungsgericht nicht zu verwechseln - bzw. für Bürgermeister und Landräte mittelgroßer Städte und Landkreise. Es gibt viele gute Gründe, selbstbewusst zu
dieser Orientierungsgröße zu stehen. Auch die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts hat diese Besoldungsgruppen als richtigen Maßstab angesehen und bestätigt. Dieser Maßstab orientiert
sich an der Bedeutung des demokratisch legitimierten
Verfassungsorgans Deutscher Bundestag, an der Verantwortung in Bezug auf die Mitwirkung an Gesetzen zu allen politischen Themen.
Wir sind ein Arbeitsparlament. Das gilt in Bezug auf
die Verantwortung für die gesamte Gesetzgebung des
Bundes, die Verantwortung für die kritisch hinterfragende Regierungskontrolle, die Verantwortung für Alternativen, die Detailarbeit und Kärrnerarbeit in den Ausschüssen und die Aufgaben im wöchentlichen Spagat
zwischen Berlin und den jeweiligen Wahlkreisen. Die direkte Kommunikation mit den Bürgern vor Ort über
Politik ist auch ein ganz wichtiger Arbeitsbereich der
Abgeordneten.
({2})
Deswegen sage ich: Wir, der Deutsche Bundestag und
seine Abgeordneten, brauchen den Vergleich zu anderen
Führungsaufgaben und Verantwortlichkeiten wirklich
nicht zu scheuen. Dennoch wird das Thema Diäten immer und immer wieder von Selbstbedienungsvorwürfen
oder Willkürvorwürfen begleitet. Solche Vorwürfe werden nicht in allen Politikbereichen erhoben. Ich selbst
war vor meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag
hauptamtlicher Bürgermeister. Ich kann mich nicht daran
erinnern, dass ich in dieser Zeit jemals kritisch gefragt
worden bin, ob ich zu viel verdiene. So ist das in anderen
Bereichen auch. Das sollte uns dahin gehend zu denken
geben, wie wir die Tätigkeit des Abgeordneten nach außen noch besser darstellen können.
Die Unabhängige Kommission hat ihren Bericht zum
Ende der letzten Legislaturperiode vorgelegt. Daher ist
es folgerichtig, dass wir nun, zu Beginn der Legislaturperiode, diesen Gesetzentwurf verabschieden.
Es ist auch eine Systemumstellung. Wir, der Deutsche
Bundestag, die Abgeordneten, möchten in Zukunft keine
Besserstellung bei unseren Bezügen - noch nicht einmal
den Eindruck einer solchen Besserstellung - gegenüber
Einkünften der Bürger aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Deswegen ist die Entscheidung, die Abgeordnetenentschädigung in der jeweiligen Wahlperiode an den
Nominallohnindex zu koppeln, richtig; es ist eine Entscheidung, die wir in jeder Wahlperiode treffen müssen.
({3})
Das bedeutet, dass wir nach fast 20 Jahren einmalig
die Besoldungsgruppe R 6 als Bezugsgröße fixieren, und
danach gilt die Koppelung an den Nominallohnindex.
Wenn wir es ernst damit meinen, den Eindruck von Willkür zu vermeiden, müssen wir aber auch zu dem stehen,
was die Unabhängige Kommission und was wir auch
selbst für richtig halten. Mein Kollege Max Straubinger
hat es schon in der ersten Lesung auf den Punkt gebracht, indem er sagte: Was wir für richtig halten, müssen wir auch tun. - Ich denke, wir sind hier auf einem
guten Weg.
Die Altersversorgung wird - um auch das zu sagen ebenfalls reformiert. Bei den Beratungen der Unabhängigen Kommission standen zwei Modelle im Raum: zum
einen die Modifizierung des bisherigen Altersversorgungssystems, zum anderen ein sogenanntes Bausteinsystem unter Einschluss des bisherigen Systems mit verschiedenen Bestandteilen. Bei der Diskussion in der
Unabhängigen Kommission über die beiden möglichen
Modelle war die Höhe der Altersversorgung unstrittig.
Die Anhörung am vergangenen Montag hat noch einmal
sehr schön deutlich gemacht, dass das Bausteinmodell
unter den Gesichtspunkten „tatsächliche Kosten“, „Verwaltungsaufwand“ und auch „Transparenz“ mit dem jetzigen Altersversorgungssystem nicht vergleichbar ist,
sodass vieles für die Beibehaltung und Modifizierung
spricht. Bisherige Regelungen zu einer vorgezogenen
Altersversorgung für langjährige Kolleginnen und Kollegen werden für die Zukunft komplett abgeschafft. Ich
denke, diese Regelungen wären in der heutigen Zeit
nicht mehr vermittelbar und damit vollziehen wir den
richtigen Schritt.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Schluss noch einmal betonen, dass wir bei dem, was
wir heute beraten und beschließen, nicht in erster Linie
uns, die wir jetzt aktuell im Bundestag sind, im Blick haben. Es geht letztlich darum: Welche Rahmenbedingungen bieten wir Bürgerinnen und Bürgern an, die bereit
sind, für vier, für acht, für zwölf oder möglicherweise
mehr Jahre ihre eigene Lebens- und Arbeitsbiografie zugunsten der Arbeit im deutschen Parlament zu unterbrechen? Es geht um die Unabhängigkeit des Parlaments,
die Unabhängigkeit auch des freien Mandats.
Wir brauchen Bedingungen in unserem Parlament,
dass Menschen mit unterschiedlichsten Qualifikationen,
unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher beruflicher
Herkunft mit den damit verbundenen Risiken und Chancen unabhängig - unabhängig! - und der Bedeutung des
Verfassungsorgans entsprechend ihr Mandat ausüben
können. Ich denke, dafür tragen wir hier Verantwortung,
Verantwortung für den Deutschen Bundestag, für das
Verfassungsorgan. Mit diesen Gesetzesänderungen tragen wir dieser Verantwortung auch Rechnung.
Vielen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat Dr. Sitte das Wort.
({0})
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Dass wir
den Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes bereits eine Woche nach der Einbringung beschließen, hat nicht wirklich etwas mit politischer Effizienz zu tun.
({0})
Genau genommen wollen Sie den Gegenstand „Abgeordnetenentschädigung“ quasi wie eine heiße Kartoffel
ganz schnell loswerden.
Ich will noch einmal daran erinnern - mein Kollege
hat es schon angesprochen -: Es hat eine Expertenkommission fast eineinhalb Jahre an Empfehlungen zur Reform des Systems „Abgeordnetenrecht“ gearbeitet. Sie
hat 17 Sitzungen abgehalten.
({1})
Am Ende ist ein umfangreicher Bericht vorgestellt worden. Über diesen Bericht haben wir hier und in den Ausschüssen nie im Einzelnen geredet. Er hat bei der Anhörung eine Rolle gespielt - das ist wohl wahr -; das reicht
aber nicht; das ist unangemessen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Große Koalition hat
außer einem mittelschweren politischen Erdbeben noch
nichts ausgelöst, auch keines ihrer Großvorhaben. Aber
die Änderung des Abgeordnetengesetzes rauscht jetzt innerhalb einer Woche ganz schnell durch den Bundestag,
quasi wie durch ein Wurmloch, während andere Gesetzesvorhaben monatelang quasi scheintot in den Ausschüssen schmoren. Mit diesem Verfahren nehmen Sie
auch der Öffentlichkeit die Chance, sich kritisch dazu zu
verhalten oder eben auch sich einzumischen. Dabei bedarf aus unserer Sicht gerade ein so hochsensibles
Thema einer öffentlichen Mitsprache und einer öffentlichen, transparenten Darstellung.
({3})
Auch davon leitet sich Akzeptanz ab.
({4})
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz spricht
von angemessener, die Unabhängigkeit sichernder Entschädigung.
({5})
Was angemessen ist, wird natürlich je nach konkreter
persönlicher sozialer Situation unterschiedlich bewertet;
darüber sind wir uns hier klar, und das sollten wir vor allem auch nicht ausblenden. Selbst wenn das Richtergehalt hier mehrheitlich als Richtgröße hingenommen
wird, so muss man sich doch die Frage stellen, ob das
Angleichungstempo angemessen ist.
({6})
Wir meinen, eine Erhöhung um 830 Euro, also um
10 Prozent, innerhalb von konkret sieben Monaten, das
ist schon ziemlich drastisch. Ich glaube, man findet
keine Berufsgruppe, die eine solche Steigerung verbuchen kann.
({7})
Dieser Prozentsatz, finden wir, passt einfach nicht in
eine Gesellschaft, in der für die Masse der Beschäftigten
die Reallöhne seit 2000 stagnieren, während unsere Bezüge seit 2000 eine Steigerung um 25 Prozent erfahren
haben. Meine Damen und Herren, es ist kein Opfer, im
Bundestag zu sitzen.
({8})
So forsch Sie nun die Diätenerhöhung angehen, so
schaumgebremst sind Sie bei Veränderungen der Altersversorgung. Es gab nicht wirklich ein Signal an irgendeiner Stelle, dass Sie bereit sind, das bestehende System
infrage zu stellen. Sie balsamieren mit dieser Gesetzesänderung das bestehende beamtenrechtsähnliche Modell. Die Änderungen sind, wenn man es genau nimmt,
eigentlich eher kosmetischer Natur. Da besteht der Leistungsanspruch etwas später, da liegt das Leistungsniveau
etwas niedriger, während man durch die Diätenerhöhung
schon einen spürbaren Verlustausgleich feststellen kann.
Auch ein Rentenanspruch in Höhe von 65 Prozent, bezogen auf unsere Diät, steht, selbst wenn dieser erst nach
26 Jahren bestehen soll, immer noch in einem krassen
Widerspruch zum Rentenanspruch der Masse der Bevölkerung, der ja bis 2030 nach Ihren Beschlüssen auf
43 Prozent reduziert werden soll.
({9})
Das Wort „Armutsrente“ gehört mittlerweise zu unserem alltäglichen Wortschatz. Wir haben immer die Position vertreten, dass Abgeordnete und alle anderen Menschen mit Erwerbseinkommen in die gesetzliche
Rentenkasse einzahlen sollten. Damit ist dann eben nicht
nur den öffentlichen Systemen geholfen, sondern dann
würden vielmehr eben auch - Sie haben ja von der Ver1374
gleichbarkeit der Abgeordneten mit allen anderen im
Land gesprochen - Maßstäbe wieder geradegerückt.
Fazit: Eine echte Reform des Abgeordnetenrechts
wäre dringend notwendig gewesen. Die Große Koalition
hat aber nun mit ihrem Turboverfahren diese Chance auf
Jahre vertan; denn es ist klar, dass dieses Gesetz über
Jahre Bestand haben wird. Ich und meine Fraktion, vielleicht auch die Öffentlichkeit, haben gelernt: Große Koalition bedeutet nicht automatisch großer Entwurf.
({10})
Als nächster Redner hat der Kollege Axel Schäfer das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 19. März 2013 hat uns eine unabhängige Kommission ihre Empfehlungen bezüglich der Stellung der Abgeordneten, ihrer Bezüge und ihrer Versorgung vorgelegt. Heute entscheiden wir über eine Reihe von
Gesetzesänderungen. Das ist wichtig, und das ist richtig
so, dass wir das heute gemeinsam tun.
({0})
Es gibt drei Fragen, die wir beantworten müssen.
Die erste Frage ist: Stimmen die Proportionen noch?
Die heutige Situation ist so, dass das Verhältnis zwischen dem Einkommen eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers, einer Arbeitnehmerin und den Bezügen der
Abgeordneten etwa 1: 3 beträgt. Ich glaube, das Verhältnis ist völlig in Ordnung. Das war auch in der gesamten
Zeit so, seit Abgeordneter im Bundestag als Vollzeitberuf eingeordnet wird. Das Verhältnis zwischen dem
durchschnittlichen Einkommen eines vollbeschäftigten
Arbeitnehmers in Deutschland und dem eines Konzernchefs dagegen hat sich in dieser Zeit - nicht von 1: 3; es
betrug einmal 1: 30 - zu 1: 300 entwickelt. Da sind die
Verhältnisse auseinandergelaufen.
({1})
Das ist schlecht für diese Gesellschaft. Deshalb ist es
richtig, dass wir bei diesen Proportionen bleiben.
({2})
Ich habe für mich persönlich auch einen Maßstab. Der
hat nichts mit Richtern zu tun, sondern mit dem Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt. Ich kenne einen. Der
heißt auch Schäfer, Roland Schäfer, Bergkamen.
({3})
Mit dem habe ich gestern noch einmal telefoniert und
habe ihn gefragt: Was hältst du eigentlich davon, wie wir
es machen? Er hat gesagt: „Völlig in Ordnung. Es gibt
einen Unterschied zwischen euch und uns. Bei uns Bürgermeistern ist es so, dass wir für alles verantwortlich
gemacht werden, was in der Verwaltung schiefläuft, aber
nicht für unser Gehalt. Das wird im Landtag festgelegt.
Ihr habt andere Verhältnisse, aber ihr habt auch
100 000 Bürgerinnen und Bürger in euren Wahlkreisen.“
({4})
- Bei 62 Millionen Wählerinnen und Wählern und
631 Abgeordneten kommt man insgesamt so etwa auf
ein Verhältnis von 1: 100 000. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht zu streiten.
({5})
Die zweite Frage - ich bin ja froh, dass es bei so einer
Debatte auch noch Erheiterung gibt - ist: Ist der Bundestag lernfähig? Dazu ist in keiner öffentlichen Diskussion
etwas gesagt worden. Wir haben seit 1977 hier 14 Nullrunden beschlossen. Wir haben seit 1977 eine Reihe von
Schritten unternommen, um die Altersversorgung abzusenken. Nachdem wir 1990 erfreulicherweise die deutsche Einheit hatten, haben wir zehn Jahre später den
Bundestag in seiner Größe um 10 Prozent der Abgeordneten reduziert. Auch das hat etwas mit der Geschichte
dieses Parlaments, mit seiner Zusammensetzung, seinen
Abgeordneten und dem, was hier ansteht, zu tun. Wir haben auch von uns aus bereits Reduzierungen vorgenommen. Darüber muss man einmal öffentlich reden. Ich
sage: Wo, wenn nicht hier in diesem Hause?
Ich komme zu meiner dritten Frage: Sind wir damit
zukunftsfähig? Generationen von Abgeordneten haben
hier in diesem Haus versucht, eine Lösung zu finden.
Das ist trotz vieler Bemühungen irgendwie dann doch
immer nicht überzeugend und auf Dauer gelungen. Ich
bin der Meinung: Jetzt haben wir die Chance dazu und
sollten diese auch nutzen.
Mein Sohn ist Jahrgang 1980, meine Schwiegertochter ist Jahrgang 1982. Ich habe mir einmal angeschaut,
wer aus dieser Generation hier im Parlament sitzt: Das
sind zum Beispiel Niema Movassat, Katrin Albsteiger,
Manuel Sarrazin und aus unserer Fraktion Christina
Kampmann. Wollen wir ihnen wirklich zumuten, dass
sie die nächsten 20 Jahre solche Diskussionen führen
müssen? Es wäre doch besser, sagen zu können: Wir haben uns auf etwas verständigt, das tragbar ist, und zwar
darauf, dass sich die Bezüge in den nächsten Jahren am
Einkommen eines Bürgermeisters einer mittelgroßen
Stadt orientieren. Das ist doch völlig in Ordnung. Ich
wollte das insbesondere in Bezug auf diese Generation
einmal erwähnen.
Axel Schäfer ({6})
({7})
Ich bin Jahrgang 1952. Im Unterschied zu meiner Generation hat diese Generation ein paar andere Probleme
zu lösen. Das Hauptproblem dieser Generation wird
sein, dass es in dieser Gesellschaft weniger Menschen
geben wird, die bereit sind, sich dauerhaft in Gewerkschaften, Vereinen, Kirchen oder Initiativen zu engagieren.
Die Art und Weise, in der wir hier über unsere Bezüge
diskutieren, stellt eine Form von Beschämung und Beschädigung von Politik dar. Wir müssen zu einer klaren
Regelung kommen. Die Chance dazu haben wir heute,
und diese sollten wir wahrnehmen. Wir sollten sie auch
mit einer gewissen Haltung wahrnehmen. Wir können
das machen, weil wir die außergewöhnliche Freiheit haben, zu gestalten, und weil wir uns gleichzeitig eine
Selbstverpflichtung auferlegt haben.
Wir können auch selbstbewusst an die Sache herangehen. Denn wir alle, egal in welcher Partei wir sind, arbeiten ziemlich viel. Sechs oder sieben Tage die Woche hat
die Politik für uns Priorität. Das können wir nicht ewig,
sondern nur für eine bestimmte Zeit machen. Im Durchschnitt sind das hier in diesem Hause zehn Jahre. Was
wir damit an Bezügen auf der einen Seite und an Altersabsicherung auf der anderen Seite haben, entspricht diesen Realitäten und vor allen Dingen auch diesen Relationen.
Ich fände es gut, wenn wir in diesem Haus zu einer
großen Übereinstimmung kämen. Wir müssen uns wegen unserer Entscheidungen nirgendwo verstecken. Das
muss das Selbstverständnis dieses Parlaments sein. Wir
können heute etwas vorlegen, das tragfähig ist. Deshalb
werbe ich dafür, dass wir das heute gemäß den entsprechenden Empfehlungen der Unabhängigen Kommission
auf den Weg bringen und zu einer Entscheidung kommen.
Vielen Dank.
({8})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Haßelmann das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auf der Regierungsbank sehe ich Frau
Hendricks sitzen. Es ist also eine Ministerin da.
({0})
Liebe Staatssekretärinnen und Staatssekretäre! Lieber
Axel Schäfer, ich muss ehrlich sagen: Dem Argument,
dass die jüngeren Abgeordneten die nächsten 20 Jahre
im Parlament sind und sich solchen Fragen sonst immer
wieder stellen müssten, kann ich überhaupt nicht folgen.
({1})
Wir haben ein Mandat auf Zeit. Niemand weiß, ob ich
oder die Kolleginnen und Kollegen, die du genannt hast,
die nächsten 20 Jahre im Parlament sein werden. Dessen
sollten wir uns bewusst sein.
({2})
Natürlich haben wir für jede Entscheidung im Parlament als einzelne Abgeordnete geradezustehen und müssen jede Entscheidung auch jederzeit gegenüber den
Wählerinnen und Wählern legitimieren und erklären
können. Deshalb kann ich Ihr Argument überhaupt nicht
nachvollziehen.
({3})
Nun aber zur Sache: Wir haben in der Tat hier im
Deutschen Bundestag sehr lange, sehr oft und sehr intensiv über die Frage, wie die künftige Abgeordnetenentschädigung und die Altersversorgung aussehen sollen,
diskutiert. Im Jahr 2011 haben wir uns dazu entschlossen, eine Kommission aus unabhängigen Sachverständigen einzurichten, weil immer wieder Kritik von außen
an uns herangetragen wurde. Zentrale Frage: Warum entscheidet ihr das im Parlament eigentlich selbst? Deshalb
war es gut und richtig, diese Unabhängige Kommission
einzurichten. Mit ihren Vorschlägen setzen wir uns heute
auseinander.
Es ist aber nicht so, dass der 18. Deutsche Bundestag
die Zeit und Ruhe hatte, die vorliegenden Vorschläge zu
beraten.
({4})
Deshalb ist die Frage des Verfahrens keine Petitesse.
({5})
Wir haben hier noch nicht darüber diskutiert.
Ich frage einmal die Fraktionen: Wer kennt denn diesen Bericht? Wer hat ihn in Ruhe gelesen?
({6})
Wenn ihn jemand in Ruhe gelesen hat, weiß er oder sie
auch, dass bei der Frage der grundsätzlichen Orientierung an der Besoldungsgruppe R 6 eine große Übereinstimmung besteht. Das sehen auch wir Grüne so.
({7})
Klar ist, dass die Fragen des Mandates auf Zeit, der Unabhängigkeit des Abgeordneten, der Bestechlichkeit und
deshalb der Unabhängigkeit so wesentlich sind. Wir haben auch in Bezug auf unsere Verfassung unglaublich
wichtige Entscheidungen zu treffen. Wir wirken an Gesetzgebungen mit. Also lassen sich viele Gründe finden
für eine grundsätzliche Orientierung an R 6. Das ist zu1376
treffend. Warum wir aber R 6 innerhalb eines halben
Jahres - Erhöhung in zwei Schritten um 10 Prozent - erreichen wollen, ist nicht diskutiert.
({8})
Hier könnten wir auch ein Signal senden, dass wir die
Erhöhung zwar anstreben, aber gestaffelt und in Maßen
vornehmen.
Der Hauptkritikpunkt für uns betrifft allerdings die
Frage der Altersversorgung. Ich glaube, hier gibt es auch
öffentlich die größte Kritik. Viele Menschen verstehen
nicht, warum wir im Vergleich zu Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern mit einer normalen Erwerbsbiografie in so kurzer Zeit sehr hohe Rentenansprüche erwerben können.
({9})
Das ist ein großer Kritikpunkt. Hier hätten wir die
Chance nutzen sollen, den Bericht auch ernst zu nehmen,
ihn in Ruhe zu prüfen und zu diskutieren, welche Vorteile sich beim sogenannten Bausteinmodell, nämlich
der Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung
plus Zusatzversorgungskasse und Eigenvorsorge ergeben.
({10})
Es ist ein Modell, das wir Bürgerinnen und Bürgern, die
in einem normalen Erwerbsleben sind, zumuten, indem
wir sagen: Das ist die künftige Art der Altersversorgung.
Unser größter Kritikpunkt ist, dass wir bei dem schnellen Verfahren - letzen Freitag erste Lesung und heute
zweite und dritte Lesung - nicht die Chance haben, das
Altersvorsorgesystem der Abgeordneten näher an das einer normalen Erwerbsbiografie anzupassen.
({11})
Wir hätten uns die Zeit nehmen können, um zu einer
einvernehmlichen Lösung im Parlament zu kommen.
Die Chance haben Sie aber verstreichen lassen, da wir
nur eine Woche Zeit zur Beratung des Bausteinmodells
- Einbeziehung in die Rentenversicherung, Anpassung
an eine normale Erwerbsbiografie - hatten. Deshalb
werden wir dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
({12})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Uhl das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz belehrt uns: Wir Abgeordnete
sind die Vertreter des ganzen Volkes. Wir sind an Weisungen nicht gebunden und nur unserem Gewissen unterworfen.
({0})
Diese Berufsbeschreibung ist außergewöhnlich. Sie ist
von einer gewissen Erhabenheit. Ich kenne keine andere
Berufsbeschreibung, die so formuliert ist. Wer diesem
hohen Anspruch gerecht wird, soll gerecht belohnt werden.
({1})
Wer sein Handeln nicht an seinem Gewissen orientiert,
sondern sich anderen Geldgebern unterwirft, soll auch
bestraft werden.
({2})
Beides regeln wir heute.
Wir regeln heute die Entlohnung für diejenigen, die
diesem hohen Anspruch gerecht werden und sich das
ganze Jahr bemühen. Das sind alle hier im Saal, und sie
sollen sich angesichts dieser Arbeit nicht verstecken,
sollen vor das Volk treten und sagen, was sie tun und ob
die Entlohnung gerecht ist. Ich habe gegenüber jeder Besuchergruppe, die ich hier im Hause empfangen habe,
dieses Thema immer proaktiv, von mir aus, angesprochen. Ich sage, was wir tun, und sage dann von mir aus
- auch gestern wieder -, was wir dafür bekommen. Gestern sagte ich auch, dass wir heute die Bezüge erhöhen.
Ich habe noch nie Probleme mit dem Thema gehabt.
Ich persönlich habe aus einem ganz einfachen Grund
keine Probleme mit dem Thema: Bevor ich vor 16 Jahren hierher kam, hatte ich als kommunaler Wahlbeamter
eine B-7-Besoldung bekommen, also mehr als das, was
wir jetzt festsetzen. Ich habe mich damals nicht über B 7
beschwert, und ich habe mich auch nicht darüber beschwert, dass ich heute weniger - unter B 6 - bekomme.
Ich habe es hingenommen; aber gerecht, meine Damen
und Herren, war das zu keiner Zeit.
Wenn Sie, Frau Haßelmann, kunstvoll eine Gehaltserhöhung um 10 Prozent in einem Jahr errechnen,
({3})
dann mache ich meine Rechnung auf: 1995 haben wir
beschlossen, die Höhe der Entlohnung entsprechend Besoldungsgruppe B 6 anzusetzen,
({4})
und hatten 20 Jahre lang nicht den Mut, vor den Wähler
zu treten und diesen Beschluss zu vollziehen. Feigheit
vor dem Wähler nenne ich so etwas. Wir hätten es schon
vor 20 Jahren machen müssen.
({5})
Und jetzt tun wir es. Deswegen setze ich die Erhöhung
in Bezug zu den 20 Jahren, in denen wir es nicht getan
haben.
({6})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns kurz mit
dem Thema Mandatsträger- oder Abgeordnetenbestechung auseinandersetzen. Es ist ein hochkomplexes und
schwieriges Thema.
({7})
Warum? Wir sind Vertreter des ganzen Volkes. Das
heißt, unsere Aufgabe ist es, aus den Partikularinteressen, die das ganze Jahr über auf uns einströmen, das Gemeinwohl, die Gemeininteressen herauszuschälen. Da
gibt es Interessen, die man vertreten kann, und solche,
die man besser nicht vertreten sollte. Das ist unsere Aufgabe, dieser anspruchsvollen Tätigkeit müssen wir nachgehen. Also sind wir im wohlverstandenen Sinne auch
Interessenvertreter, aber es gilt, die richtigen Interessen
zu vertreten.
Jetzt ist es natürlich schwierig, jeden Tag mit Vertretern von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden und
mit Lobbyisten aller Art zu sprechen - übrigens teils
sehr viel besser bezahlt, als wir es sind - und ihre Interessen zu bewerten, zu sortieren, für gut oder schlecht zu
erklären und das Gemeinwohl herauszuschälen. Wir haben da eine sehr anspruchsvolle, immens schwierige
Aufgabe, bei der man auch Fehler machen kann. Wenn
wir uns auf unseren Anspruch besinnen, dass wir Vertreter des ganzen Volkes sind, dann müssen wir, wie ich
meine, zum einen das Gespräch mit den Interessenvertretern suchen - das tun wir auch - und zum anderen immer wieder zu dem rückkoppeln, was auch andere wollen.
Ich erinnere mich jetzt gerade an die unendlich mühseligen Gespräche der letzten Legislaturperiode zum
Thema Arbeitnehmerdatenschutz. Da hatten wir mühsame Gespräche mit den Gewerkschaftsvertretern, die
die Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich des Schutzes ihrer Daten vorgetragen haben. Dann folgten die Gespräche mit den Arbeitgebern, Wirtschaftsverbänden
und Versicherungsunternehmen, die ihrerseits auch gute
Argumente hatten. Diese Interessen gilt es auszugleichen. Das ist das ewige, schwierige Bemühen, dem wir
nachkommen müssen.
Natürlich muss man dabei integer bleiben. Aber es
gibt im politischen Meinungskampf auch die politische
Denunziation. Das heißt, dass einem Abgeordneten unterstellt wird, dass er nicht das Volk mit seinen Interessen vertritt, sondern einzelne Partikularinteressen, bei
denen es unverantwortlich ist, sie zum Gesetz zu machen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sollten einen Blick auf
den Umgang mit solchen Denunziationen richten. Die
Staatsanwaltschaften müssen bei solchen Dingen natürlich vorermitteln und ermitteln; sie müssen ihnen nachgehen. Aber wir leben in einer Zeit, in der sich in unserer
Medienlandschaft etwas entwickelt hat, das wir immer
wieder ansprechen müssen, weil es eine Fehlentwicklung ist. Vorermittlungen von Staatsanwaltschaften sind
Gift für unsere Arbeit, wenn sie in der Medienlandschaft
breitgetreten werden. Es kommt der öffentlichen Hinrichtung eines Abgeordneten gleich, wenn aufgrund von
politischer Denunziation durch die Schlagzeilen geht,
dass Vorermittlungen eingeleitet worden sind, auch
wenn diese sich später als haltlos erweisen.
({9})
Wir müssen an die Staatsanwaltschaften appellieren,
dass sie sensationslüsternen Medienvertretern nicht
nachgeben dürfen, weil die Unschuldsvermutung - Herr
Ströbele, als alter Advokat wissen Sie das - eine Errungenschaft zivilisierter Rechtsstaaten ist.
({10})
Wenn der Fall nur eines Abgeordneter von uns
631 Abgeordneten pro Jahr durch die Medien geht und
sich hinterher auch noch als falsch herausstellt, dann entsteht trotzdem das Bild eines bestechlichen Parlamentes.
Das müssen wir gemeinsam verhindern.
({11})
Wir alle sollten und wollen dem Art. 38 Grundgesetz
gerecht werden. Wir sind unserem Gewissen unterworfen und wollen das Gemeinwohl aus den vielen Partikularinteressen herausschälen, jeder auf seine Weise, je
nach parteipolitischer Zugehörigkeit und Gesinnung.
Wir sollten das Bild vom unbestechlichen Volksvertreter verkörpern. Denjenigen, der dem Bild nicht gerecht wird, der bei dieser Arbeit strauchelt, der sich anderen Geldgebern unterwirft, müssen wir aus diesem
Hohen Hause verabschieden. Er soll bestraft werden.
Das ist die Aufgabe.
({12})
Sollte sich herausstellen, dass der heute vorliegende
Gesetzentwurf geeignet ist, dann belassen wir es so.
Wenn sich herausstellen sollte, dass im praktischen Vollzug Probleme auftauchen, sollten wir heute schon vereinbaren, dass wir das Gesetz nachbessern.
Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
({13})
Jetzt hat der Kollege Frank Tempel das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Bis heute musste sich der Bundestag zu
Recht international den Vorwurf gefallen lassen, eine
wirkliche Verfolgung korrupten Verhaltens von Abge1378
ordneten durch Untätigkeit als Gesetzgeber zu verhindern. Da die Bestimmungen zum Stimmenkauf völlig
unzureichend waren, hieß das also: Der Bauamtsleiter
einer Kleinstadt kann wegen Korruption und Bestechlichkeit von einem Gericht bestraft werden, der Bundestagsabgeordnete nicht. Das versteht in der Bevölkerung
niemand.
({0})
Dass der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Abgeordnetenbestechung parallel mit einer deutlichen Diätenerhöhung beschlossen wird, spricht für sich. Unabhängig
davon sage ich Ihnen, dass es die Linke begrüßt, dass es
mit der heutigen Abstimmung endlich eine gesetzliche
Regelung zur Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten in Deutschland geben wird.
({1})
Die Linke begrüßt auch die Zusammenarbeit der
Fraktionen bei der Entstehung des Gesetzentwurfs. Neben den Vorstellungen anderer Fraktionen wurden zum
Beispiel auch unsere Vorschläge zu den Verhaltensregelungen in Abs. 4 übernommen sowie die Ansiedlung
möglicher Verfahren bei Oberlandesgerichten festgelegt.
({2})
Die Linke begrüßt ausdrücklich den Änderungsantrag
der Grünen.
({3})
Mit Blick auf eine vernünftige Oppositionsarbeit haben
wir übrigens darauf verzichtet, schnell einen weitergehenden Änderungsantrag vorzulegen, in der Hoffnung,
dass der hier vorliegende Änderungsantrag von allen
Fraktionen getragen werden kann. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, in der Opposition geht
das schon mal.
({4})
Am vergangenen Montag fand zum vorliegenden Gesetzentwurf eine Anhörung im Rechtsausschusses statt.
Was dort gesagt wurde, fand ich schon ein wenig merkwürdig. Ziel des Gesetzes soll eigentlich sein, korruptes
Verhalten von Abgeordneten unter Strafe zu stellen.
Aber kaum einer, vor allem nicht von den Regierungsfraktionen, fragte, ob das mit dem vorliegenden Wortlaut, also mit den Tatbestandsmerkmalen tatsächlich
möglich ist. Die Tatbestandsmerkmale müssen in den
Ermittlungen beweisbar sein, sonst nützt dieser Paragraf
nichts.
({5})
Ich habe drei Jahre in der Korruptionsbekämpfung in
Thüringen gearbeitet. Ich kenne mich also aus. Ich weiß,
wie schwer eine solche Beweisführung ist. Die Fragen,
die im Rechtsausschuss gestellt wurden, gerade von Ihnen, Herr Uhl, drehten sich aber zum größten Teil eher
darum, wer für was zu Unrecht belangt werden könnte.
Das wirkte eher wie Strafverteidigung, wie ein Selbstschutzreflex. Damit kann man aber keine Korruptionsbekämpfung gewährleisten. Einige konstruierten in der
Anhörung lieber kommunale Beispiele, um diesen Eindruck etwas abzuschwächen. Aber ich bitte Sie: Es geht
darum, einen ungerechtfertigten - ich betone: einen ungerechtfertigten - Vorteil zu verbieten. Sie fassen das
nun deutlich enger und verbinden das mit dem Tatbestandsmerkmal, dass damit eine Gegenleistung verbunden sein muss, die der Abgeordnete nach Auftrag oder
Weisung erbringt. Aus Sicht eines Ermittlers muss ich
Sie warnen: Dieser enge Rahmen wird sehr, sehr schwer
zu beweisen sein.
({6})
Die Begründung, dass die Worte „Auftrag“ und „Weisung“ nicht wörtlich zu nehmen sind, gilt nicht; denn
wenn das so im Gesetz steht, dann muss das einem Beschuldigten auch genau so nachgewiesen werden. Der
Vorschlag der Grünen, diesen Passus durch eine andere
Formulierung zu ersetzen - das ist etwas milder als die
von uns bevorzugte Variante, ihn komplett zu streichen -,
ist vielleicht ein annehmbarer Kompromiss für die Regierungskoalition. Deswegen kein weiter gehender Änderungsantrag von uns.
({7})
Nehmen wir diese Änderung nicht vor, befürchte ich
eine fast völlige Wirkungslosigkeit dieses Paragrafen.
§ 108 e des Strafgesetzbuches könnte dann ganz schnell
Placeboparagraf heißen. Das heißt, wir hätten zwar eine
Rechtsvorschrift, aber wenn man sich nicht zu dusselig
anstellt, kann einem nichts passieren.
Um einen langen Prozess jetzt vernünftig abzuschließen, schlägt die Linke Ihnen vor: Lassen Sie uns zunächst dem Änderungsantrag und dann dem Gesetzentwurf einstimmig zustimmen. Korruptionsbekämpfung
oder Placeboparagraf? - Das ist jetzt hier die Frage.
({8})
Jetzt hat die Kollegin Sonja Steffen das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Frage,
die in Deutschland selten gestellt und noch seltener ehrlich beantwortet wird. Das ist die Frage: Und was verdienst du? Nach einer Umfrage, dem Gehaltsreport des
manager magazins, weiß nicht einmal jeder Fünfte, was
seine Kollegen verdienen. Je höher die Hierarchiestufe,
desto wortkarger werden die Menschen. Das ist kein
Wunder: Wer über dem Schnitt verdient, fürchtet den
Neid der anderen, und wer weniger verdient, der schämt
sich vielleicht. Hinzu kommt, dass die Gehaltsstrukturen
oftmals als sehr ungerecht empfunden werden. Häufig
heißt es: Wer laut genug schreit, der bekommt auch was.
So können sogar Gehälter für die gleiche Tätigkeit stark
variieren.
In Bezug auf die Gehälter der Abgeordneten gilt jedoch etwas völlig anderes: Das Grundgesetz verpflichtet
uns selbst, in eigener Sache zu entscheiden. Das demokratische Prinzip verlangt, dass der gesamte Willensbildungsprozess für den Bürger durchschaubar ist und das
Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen
wird. Dies ist nämlich die einzig wirksame Kontrolle in
diesem Zusammenhang.
Frau Sitte, ich bin der Meinung, wir gewähren diese
Transparenz. Sie haben selber darauf hingewiesen: Wir
haben 2011 eine unabhängige Kommission eingerichtet,
in die übrigens auch von der Linken und den Grünen benannte Experten entsandt wurden. Alle Fraktionen haben
Experten für die Kommission benannt. Diese Kommission hat dieses Thema ausführlich, mehrere Jahre lang,
erörtert und eine Empfehlung für die Abgeordnetenentschädigung erarbeitet. Von einer „heißen Kartoffel“ kann
man in dem Zusammenhang nicht reden.
({0})
In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf wurde intensiv diskutiert. Wir beraten ihn heute in zweiter und dritter Lesung zu prominenter Stunde.
Selbstverständlich und völlig zu Recht schauen die
Bürger kritisch auf unsere Pläne. Schnell, aber auch verständlicherweise wird der Ruf laut, dass das Parlament
ein Selbstbedienungsladen sei. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Diätenurteil
betont, dass diese häufig kritisierte Entscheidung in eigener Sache zwingend ist, genauso wie die Transparenz.
Das kann uns niemand abnehmen. Das führt aber dazu,
dass die Bevölkerung - ebenfalls zu Recht - über die angemessene Höhe der Abgeordnetenentschädigung diskutiert. Schließlich geht es bei dieser Frage auch um die
Verteilung von Steuergeldern.
Ich will den Blick auf die einzige Vorschrift im
Grundgesetz lenken, die sich damit beschäftigt. Das ist
der Art. 48. Hier heißt es:
Die Abgeordneten des Bundestages haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit
sichernde Entschädigung.
Die wichtige Frage, die wir uns beantworten müssen,
lautet also: Was ist angemessen, und was ist die Unabhängigkeit sichernd?
Im 19. Jahrhundert herrschte übrigens die Auffassung, dass das Abgeordnetenmandat selbstverständlich
ein unbezahltes Ehrenamt sei. Wenn dies heute noch so
wäre, dann hätten wir diese Debatte nicht. Aber dann
könnten sich nur richtig Wohlhabende ein Mandat leisten, und das will in unserer modernen Demokratie wohl
niemand.
({1})
Im Laufe der Zeit ist also eine Vollalimentation der
Abgeordneten aus der Staatskasse entstanden. Auf die
mit dem Mandat verbundenen zeitlichen und auch inhaltlichen Belastungen möchte ich an dieser Stelle nicht
mehr eingehen; das haben meine Kollegen Herr Uhl und
auch Herr Kaster bereits gemacht. Auch in der ersten Lesung ist dies schon angesprochen worden.
Eine Orientierung an den Einkommen in der Privatwirtschaft, vielleicht mit Blick auf Geschäftsführergehälter,
kann allein aufgrund der dort vorhandenen Einkommensunterschiede nicht erfolgen. Das Abgeordnetengesetz orientiert sich daher bereits seit 1995, also schon
seit beinahe 20 Jahren, an den Bezügen eines Bundesrichters oder eines höheren kommunalen Wahlbeamten
auf Zeit. Ich meine, dies ist ein schlüssiges Maß der
Ausrichtung. Wir setzen uns damit in der Tat mit einem
Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt und einem Landrat gleich, wobei der Landrat ein Gebiet mit einer Größenordnung von 80 000 bis 100 000 Einwohnern betreut. Kollege Schäfer hat darauf schon hingewiesen.
Ob dies nun in zwei oder in zehn Stufen geschieht,
macht letztendlich keinen Unterschied.
({2})
Meiner Meinung nach wäre eine mehrstufige, beispielsweise eine zehnstufige, Anpassung sogar Augenwischerei. In Anbetracht der Transparenz, die wir den Bürgern
schuldig sind, ist eine zweistufige Anpassung offener.
({3})
Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich möchte nur noch
kurz darauf hinweisen, dass das Bausteinmodell, Frau
Haßelmann, von allen Experten in der Anhörung zwar
als für durchaus möglich befunden wurde, aber auch teurer. Sie werden sich daran erinnern. Insofern, denke ich,
sollten wir auch aus Kostengründen dem Steuerzahler
dieses von uns bevorzugte Modell vorstellen.
({4})
Letztendlich haben wir heute über noch einen Gesetzentwurf zu entscheiden. Dabei geht es um ein sehr wichtiges Thema. Die SPD-Fraktion hat sich schon seit langem dafür eingesetzt. Es handelt sich um die Bestrafung
der Abgeordnetenbestechung. Mein Kollege Lischka
wird gleich ausführlicher darauf eingehen. Ich will Ihnen
nur noch sagen: Ich freue mich ganz besonders, dass wir
nach so vielen Anläufen nun auch unseren Koalitionspartner, die CDU/CSU-Fraktion, endlich von der Notwendigkeit dieses Straftatbestandes überzeugen konnten.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({5})
Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen,
spricht der Kollege Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es war vor langer, langer Zeit,
({0})
da hat eine Ministerin einer rot-grünen Regierung die
Abgeordneten des Bundestages darüber informiert, dass
sie bei der UNO ein Abkommen vereinbart habe,
({1})
das weltweit die Abgeordnetenbestechung wie die Bestechung von Amtspersonen unter Strafe stellen soll. Sie
hat gesagt, dass sie das unterschreiben möchte. Viele,
viele Abgeordnete haben gesagt: Tu das nicht, tu das
nicht!
({2})
Die Staatsanwälte werden uns alle ins Gefängnis bringen
oder jedenfalls unseren Ruf schädigen. - Die mutige
Ministerin hat trotzdem am 9. Dezember 2003 unterschrieben, also vor mehr als einem Jahrzehnt. Heute sollten wir dieses Abkommen endlich ratifizieren. Wir haben einen Vorschlag dazu vorgelegt.
({3})
Wir reden ja hier heute nicht nur über Diätenerhöhungen, sondern auch über den von der Koalition vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 108 e
Strafgesetzbuch, Abgeordnetenbestechung. Ich sage: Es
ist gut, dass endlich das ganze Haus einen solchen Gesetzentwurf verabschiedet.
({4})
Nur: Auch ein guter Gesetzentwurf kann noch besser
werden.
({5})
Deshalb haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt.
Wir sagen: Die Einschränkung, dass nur dann bestraft
wird, wenn ein Auftrag oder eine Weisung nachgewiesen
wird - das wird ganz selten der Fall sein -,
({6})
ist zu eng. Wir wollen diese Worte ganz streichen; denn
wir brauchen sie nicht. Wir haben dazu aber auch eine
Alternative vorgelegt und gesagt: Wenn das Handeln des
Abgeordneten zur Durchsetzung der Interessen eines
Dritten geschieht, dann soll die Strafbarkeit einsetzen. Ich sage Ihnen: Nehmen Sie unseren Änderungsantrag
an! Dann können wir mit noch besserem Gewissen zustimmen. Wir werden aber in jedem Fall zustimmen.
({7})
Nun haben Sie diesen Gesetzentwurf, der positiv ist,
mit der Debatte über die Abgeordnetendiätenerhöhung
verbunden. Ich sage Ihnen: Dieser gute Gesetzentwurf
darf nicht als Alibi für die schnelle Verabschiedung des
Entwurfs des Diätenerhöhungsgesetzes dienen.
({8})
Die Eile, mit der der Gesetzentwurf zur Diätenerhöhung
durch den Bundestag gewunken werden soll - innerhalb
von einer Woche und ohne anständige Beratung -, zeigt
bzw. atmet Ihr schlechtes Gewissen, Ihre Furcht. Da
müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie deshalb „gebissen“ werden, von der Öffentlichkeit und von uns.
({9})
Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen,
hat der Kollege Johann Wadephul das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass wir dem
Selbstverständnis des Mandats und dem Selbstverständnis des Parlaments keinen Dienst erweisen, wenn wir
alle Regelungen, die hier zu treffen sind, öffentlich darstellen, sozusagen als Akt der Selbstkasteiung.
({0})
Außerdem wird von manchen unterstellt, wir hätten einen ungezügelten Entwicklungsdrang, vielleicht auch einen Bereicherungsdrang, vielleicht auch einen Gestaltungsdrang - als wenn wir uns ständig zügeln müssten.
Meine Fraktion - das sage ich nicht deshalb, weil ich
irgendeiner rechtswidrigen Verhaltensweise von Abgeordneten Vorschub leisten möchte - geht den schweren
Weg dieser Gesetzgebung zur strafrechtlichen Regelung
der Abgeordnetenbestechung mit; wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Aber der Kollege Uhl hat einige Bedenken zum Ausdruck gebracht, die unser Erleben in
Deutschland widerspiegeln. Man kann in unserer Mediengesellschaft nämlich recht frühzeitig Opfer eines
Vorverurteilungsprozesses werden.
({1})
Das muss uns beiden als Anwälte, die die Unschuldsvermutung hochhalten müssen - sie ist Ihnen ja besonders
wichtig, Herr Kollege Ströbele -, zu denken geben. Wir
gehen in diesen Gesetzgebungsprozess - das sage ich
ganz offen - nicht ohne Sorge und nicht ohne den deutlichen Appell an die Staatsanwaltschaften in Deutschland,
mit diesem Instrumentarium vorsichtig, sorgfältig und
angemessen umzugehen.
({2})
Was das Verfahren, die Abgeordnetenentschädigung
zu regeln, angeht, muss man sagen: Wir haben in der Tat
einen zügigen Beratungsprozess gehabt.
({3})
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten sehr sorgfältige Beratungen. Ich möchte ganz herzlich allen danken, die daran mitgewirkt haben. Es hat
kritische Fragen gegeben, auch im Geschäftsordnungsausschuss. Wir haben lange beraten. Wir hatten aber
Grundlagen. Wir hatten die Vorschläge der Unabhängigen Kommission aus der letzten Legislaturperiode. Natürlich gilt die Diskontinuität; sie gilt aber für Gesetzgebungsvorhaben. Das heißt nicht, dass wir in der neuen
Legislaturperiode dümmer werden. Wir bauen auf dem
auf, was die Kommission erarbeitet hat. Wir können
auch darauf aufbauen. Wir haben eine über dreistündige
Anhörung durchgeführt. Es sind alle Aspekte erörtert
worden. Deswegen können wir heute guten Gewissens
entscheiden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Ich bin nicht der Auffassung, dass eine längere Erörterung uns irgendwie klüger machen würde.
({5})
Ich bin übrigens auch nicht der Auffassung, dass sie die
Debatte in der deutschen Öffentlichkeit insgesamt versachlichen würde - man muss eher gegenteilige Befürchtungen haben.
Wir können, meine sehr verehrten Damen und Herren
- das soll bei aller Kritik, die geäußert wurde, nicht in
den Hintergrund treten -, Einigkeit feststellen über die
wesentlichen Ziele der Reform des Abgeordnetenrechts.
Die Abgeordnetenentschädigung soll sich am Gehalt eines Bundesrichters orientieren. Warum wir dieses für angemessen halten, ist mehrfach hergeleitet worden. Wenn
wir dieses Ziel ins Gesetz schreiben, dann liegt es - die
Kollegen Uhl und Kaster haben das schon hervorgehoben - in unserem ureigensten Interesse als Gesetzgeber,
der ernst genommen werden will, dafür zu sorgen, dass
diese Gesetzeslage auch Wirklichkeit wird. Deswegen
führen wir die Anpassung jetzt durch, in zwei Schritten.
Die Sachverständigen haben uns bescheinigt, dass wir
selber gestalten können, auf welchem Wege wir diese
Anpassung erreichen. Natürlich könnte man sie genauso
gut in vier Schritten vornehmen. Ich will hier aber nicht
unerwähnt lassen, dass wir aufgefordert worden sind,
wenn wir denn der Überzeugung seien, dass diese Anpassung berechtigt ist - und dieser Überzeugung sind
wir -, diese Anpassung sofort, in einem Schritt, vorzunehmen. Die Empörung würde wahrscheinlich größer
ausfallen; aber zulässig wäre das in jedem Fall - und
konsequent: Wenn man der Meinung ist, dass das Gehalt
eines Bundesrichters der Maßstab für die Abgeordnetenentschädigung sein muss, dann muss man diese Anpassung auch durchführen. Dass Begeisterung und Nachvollziehbarkeit im Hinblick auf diese Regelung in der
deutschen Öffentlichkeit zunähmen, wenn wir die Anpassung in homöopathischen Dosen - in vier, fünf, zehn,
zwölf Schritten - durchführten, das glaube ich im Ernst
nicht. Deswegen ist eine Anpassung in zwei Schritten
angemessen, und wir stehen dazu.
Zweiter Grundsatz. Wir stehen auch zur Transparenz.
Die Kollegin Steffen hat angesprochen, dass man, wenn
man sich damit beschäftigt, wer in Deutschland wie viel
verdient, festhalten muss, dass kaum ein Gehalt so transparent ist wie die Abgeordnetenentschädigung. Und das
ist auch gut so - um es mit diesem berühmten Satz eines
Berliners zu sagen -, und das bleibt auch so, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({6})
Wir haben jetzt eine Regelung gefunden; aber wir werden in jeder Wahlperiode gesondert festlegen, dass wir
uns an diese Regelung halten, das heißt, es wird eine Beschlussfassung durch das Plenum des Deutschen Bundestages geben - transparenter geht es insgesamt nicht.
Dritter Punkt. Unstreitig ist in der Kommission auch
die Höhe der Altersentschädigung gewesen. Das ist von
den Kritikern des jetzigen Modells etwas verschwiegen
worden. Man muss aber einmal darauf hinweisen, dass,
wenn dieselbe Höhe der Altersentschädigung erreicht
werden soll, wie sie jetzt geregelt ist - und wie wir sie
für die Zukunft regeln wollen -, es schwierig wird, dies
mit einem Bausteinmodell - gesetzliche Rentenversicherung plus eine Art betriebliche Zusatzversorgung - zu
erreichen. Dies richte ich auch an die Grünen; der Kollege Strengmann-Kuhn hat sich ja in der ersten Lesung
als ausgewiesener Rentenexperte zu Wort gemeldet.
Wenn man für die Altersentschädigung ein dreistufiges
Bausteinmodell einführen wollte, wie es in der Arbeitsund Lebenswirklichkeit Deutschlands in der Tat nicht
unbekannt ist, ergeben sich zwei Probleme: Man erreicht
so keine Transparenz, und es wird eine Ungleichbehandlung von Abgeordneten geben. Wie Professor Zeh gesagt
hat: Die Ausübung eines Staatsamtes nun gerade der
Entwicklung der Kapitalmärkte zu überlassen, das ist
schon fragwürdig.
({7})
Dass dieser Vorschlag aus den Reihen der Grünen
kommt, hat mich, gelinde ausgedrückt, schon etwas
überrascht.
Wir stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
am Ende eines langen Diskussionsprozesses.
({8})
Ich bin mit unserem Sachverständigen, Herrn Spranger
- er ist ein langjähriger ehemaliger Kollege -, einig in
der Hoffnung, dass das Dauerbrennerthema Abgeordnetenrecht/Abgeordnetenentschädigung hiermit endlich zu
einer befriedigenden Lösung kommt. Ich meine das ganz
wörtlich; denn eine hervorragende Lösung wird man selten erreichen. Wenn die Selbstbeschäftigung mit diesem
Thema einen vernünftigen Abschluss gefunden hat, kann
das dazu beitragen, dass wir uns um unsere eigentlichen
Aufgaben kümmern können. In diesem Sinne appelliere
ich an Sie alle, den vorliegenden Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses und des Geschäftsordnungsausschusses zuzustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Als nächster Redner erhält der Kollege Burkhard
Lischka das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
über zehn Jahren warten die Vereinten Nationen auf den
heutigen Tag. Sie warten darauf, dass wir endlich auch in
Deutschland die Bestechung und die Bestechlichkeit von
Abgeordneten unter Strafe stellen, wie das bereits
169 Länder weltweit getan haben. In wenigen Minuten
hat das Warten ein Ende.
({0})
Wenn sich künftig ein Abgeordneter kaufen lässt, dann
ist das strafbar, und das ist auch gut so.
({1})
Heute Morgen wird das verboten, was in einer Demokratie definitiv nicht erlaubt sein sollte, nämlich die Bestechung und das Schmieren von frei gewählten Abgeordneten; denn jede Demokratie lebt doch vor allen
Dingen davon, dass die Auseinandersetzungen hier im
Parlament mit Argumenten geführt werden und nicht
durch die Bestechung einzelner Abgeordneter beeinflusst werden können. Jede Demokratie lebt auch davon,
dass Politiker das Gemeinwohl im Blick haben und sich
nicht nur von Einzelinteressen leiten, geschweige denn,
von Einzelnen kaufen lassen. Jede Demokratie lebt
schließlich auch von unabhängigen Parlamentariern, die
sich nicht in die Hände von irgendwelchen Geldgebern
begeben.
Kollege Lischka, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Keul?
Sehr gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Lischka. - Sie haben eben
gesagt, es sei jetzt Gott sei Dank endlich soweit, dass
strengere Regelungen gegen die Abgeordnetenbestechung in Kraft treten. Ich frage Sie: Warum haben Sie
unseren Gesetzentwurf, der die Schaffung von Voraussetzungen für die Ratifikation der UN-Konvention zum
Inhalt hat, von der Tagesordnung genommen?
Wir behandeln jetzt die Abgeordnetenbestechung und
werden zustimmen. Nach wie vor werden wir aber die
UN-Konvention nicht ratifiziert haben, obwohl das ohne
Weiteres zeitgleich mit der Verabschiedung der strengeren Regelungen gegen die Abgeordnetenbestechung
möglich gewesen wäre. Warum haben Sie auf Vertagung
gedrängt?
({0})
Frau Keul, ich habe darüber bereits im Rechtsausschuss gesprochen und gesagt, dass wir bestimmte
Rechtsförmlichkeitsregelungen haben, die voraussetzen,
dass diese Regelungen, die wir heute verabschieden, ins
Bundesgesetzblatt kommen. Danach können wir das Ratifizierungsverfahren einleiten. Das wird die Bundesregierung tun; das ist klar. Das ist ja auch ein Ziel des Gesetzentwurfes, den wir heute verabschieden.
Meine Damen und Herren, die Bestechung eines Abgeordneten ist wahrscheinlich der schwerste Angriff auf
ein Parlament und auf die Funktionsweise einer Demokratie, den man sich überhaupt vorstellen kann. Das trifft
eine Demokratie mitten ins Herz. Deshalb sagen wir klar
und deutlich: In Deutschland ist das in Zukunft ein
Straftatbestand.
({0})
Mit diesen Regelungen, die wir heute verabschieden,
verlassen wir schließlich auch diesen wirklich unsäglichen Dunstkreis von Nordkorea, Sudan und Syrien. Dass
wir wie diese Länder in der Vergangenheit keine umfassende Regelung zur Abgeordnetenbestechung hatten,
war peinlich und beschämend. Es war aber auch vollkommen unnötig, sich zehn Jahre lang mit diesen Ländern auf eine Stufe zu stellen. Deutschland hat es wirklich nicht verdient, in diesem lächerlichen und absurden
Licht dazustehen;
({1})
denn wir sind ja nun wirklich kein Land, in dem die
Korruption blüht und in dem sich Volksvertreter schmieren lassen. Deshalb wurde es jetzt wirklich höchste Zeit,
das zu regeln, was in unseren Breitengraden eigentlich
selbstverständlich ist: Wer sich als Abgeordneter kaufen
lässt, begeht ein Unrecht und muss dafür geradestehen.
Diese Selbstverständlichkeit kommt jetzt in das Bundesgesetzblatt.
({2})
Ich kann ja verstehen, dass die Opposition auch bei
einem so guten Gesetzentwurf immer noch versucht, das
Haar in der Suppe zu finden.
({3})
So ist das meines Erachtens übrigens auch mit einer
Weisung oder einem Auftrag: Jedes Korruptionsdelikt
- das ist kennzeichnend - beruht auf einem Gegenseitigkeitsverhältnis.
Noch etwas: Ich habe in den letzten Tagen vonseiten
der Opposition gehört, wir würden auch bei diesem Entwurf eines Gesetzes gegen die Abgeordnetenbestechung
überhastet vorgehen und große Eile an den Tag legen.
Dazu sage ich deutlich: Das fand ich persönlich etwas
dürftig.
({4})
Der Europarat wartet seit 1999 darauf, dass wir eine Regelung zur Abgeordnetenbestechung schaffen. Die Vereinten Nationen - Herr Kollege Ströbele, Sie haben es
gesagt - warten seit 2003 darauf. Der Bundesgerichtshof
hat uns 2006 angemahnt, hierzu endlich eine Regelung
auf den Weg zu bringen. Nein, übergroße Eile hat der
Deutsche Bundestag bei diesem Thema wirklich nicht an
den Tag gelegt.
Es wird jetzt wirklich höchste Zeit, dass wir diese
Peinlichkeit schnellstmöglich beenden. Die Große Koalition wird das tun. Ich freue mich, wenn heute die Opposition an diesem überfälligen Schritt mitwirkt.
Recht herzlichen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge-
setzes und zur Änderung des Europaabgeordnetengeset-
zes. Es liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/619, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/477
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser
Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD bei Gegenstimmen aus den Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen und einigen Enthaltungen
seitens der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung ange-
nommen worden.
1) Anlagen 3 bis 7
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt worden. Ich möchte in diesem Zusam-
menhang auch noch darauf hinweisen, dass im An-
schluss an diese namentliche Abstimmung dann eine
zweite namentliche Abstimmung erfolgt. Deshalb bitte
ich die Kolleginnen und Kollegen, im Saal zu bleiben.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir mit der
Abstimmung beginnen können. Sind alle Plätze an den
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstim-
mung eröffnet.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Die Kolleginnen und Kollegen bitte ich, sich wieder
zu setzen, damit wir mit unseren Beratungen und Abstimmungen fortfahren können.
Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/607, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 18/476 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/624 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
- Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden
mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Linken.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig in zweiter Beratung angenommen.
({0})
Damit sind wir hier endlich unserer Verpflichtung nach-
gekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Hierzu ist wiederum namentli-
che Abstimmung verlangt worden. Deshalb frage ich:
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre
2) Ergebnis Seite 1388 C
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Plätze an den Urnen eingenommen? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit 2013
Drucksache 18/107
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsauschuss
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Staatssekretärin Frau Gleicke das Wort.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann diese Debatte zum Stand der deutschen Einheit nicht eröffnen, ohne ein Wort zu den Ereignissen in der Ukraine zu sagen. Wir erleben in diesen
Tagen wieder, wie Menschen um Freiheit und Demokratie ringen und sich der Unterdrückung entgegenstellen.
Sie stehen in der Tradition all derer, die dazu beigetragen
haben, die Teilung Europas und damit auch unseres Landes zu überwinden. Diese Menschen verdienen unsere
uneingeschränkte Solidarität.
({0})
Ich möchte ein Wort des Dankes an meinen Vorgän-
ger richten. Sehr geehrter Herr Kollege Bergner, Ihre Ar-
1) Ergebnis Seite 1390 D
beit verdient Dank und Respekt. Ich denke, ich spreche
da im Namen des ganzen Hauses.
({1})
In diesem und im kommenden Jahr gibt es mit Blick
auf die deutsche Einheit einiges zu feiern. Ich will den
Festreden hier und heute nicht vorgreifen. Ich werde
mich als Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen
Bundesländer in den kommenden Jahren ganz bestimmt
nicht darauf beschränken, feierliche Reden zu halten;
das dürfen Sie mir glauben. Nein, ich gehe dieses Amt
mit ganzer Kraft an, mit viel Optimismus und voller Zuversicht, etwas zu bewegen, auch wenn es nach meiner
Ernennung Kritik daran gab, dass nur eine „halbe Staatssekretärin“ zur Ostbeauftragten ernannt worden sei. Sagen Sie dem Kollegen Gysi einen schönen Gruß! Mich
hat schon lange niemand mehr als halbe Portion bezeichnet.
({2})
Scherz beiseite! Mich treibt natürlich die Sorge um,
dass der eine oder die andere der Versuchung erliegt, die
vor uns liegenden Jubiläen als willkommene Gelegenheit für einen Schlussstrich zu betrachten. Aber wir
brauchen 25 Jahre nach der friedlichen Revolution alles
andere als einen Schlussstrich. Wir brauchen keinen
Schlussstrich unter eine Vergangenheit, die vielleicht
nicht für alle, wohl aber für viele noch sehr lebendig ist,
auch wenn manch einer sie am liebsten vergessen oder
vergessen machen möchte. Wir brauchen auch keinen
Schlussstrich unter die deutsche Einheit als solche, weil
sie eben noch nicht vollendet ist. Genau deshalb wird jedes Jahr ein Bericht zur deutschen Einheit vorgelegt: damit wir einigermaßen genau wissen, wo wir bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz
Deutschland stehen.
Wir haben wirklich viel erreicht. Die Lebensverhältnisse und der materielle Wohlstand in den ostdeutschen
Bundesländern haben sich kontinuierlich verbessert.
Aber der Abstand zum Westen bei der Wirtschaftskraft
liegt noch immer bei rund 30 Prozent. Die Einkommensunterschiede liegen im Durchschnitt bei knapp 20 Prozent. In manchen Branchen dümpeln die Einkommen sogar noch immer bei 45 Prozent unter Westniveau. Wenn
wir daran etwas ändern wollen, müssen wir die ostdeutsche Wirtschaftskraft stärken und dafür sorgen, dass sich
bei den Löhnen etwas tut.
({3})
Unser Ansatz für die ostdeutsche Wirtschaft besteht
unter anderem darin, den Mittelstand bei den notwendigen Innovationen zu unterstützen, damit er wachsen und
im europäischen und internationalen Wettbewerb bestehen kann. Das tun wir etwa mit Programmen wie dem
Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
Aber machen wir uns nichts vor: Bereits heute ist absehbar, dass die neuen Bundesländer und Berlin auch
nach Auslaufen des Solidarpakts II auf die Unterstützung des Bundes und die gemeinsame Solidarität aller
Länder angewiesen sein werden. Genau deshalb muss
eine verlässliche und gerechte Anschlussregelung im
Rahmen der Neuverhandlungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ganz oben auf der wirtschafts- und finanzpolitischen Agenda stehen.
({4})
Künftig müssen sich alle strukturschwachen Regionen in ganz Deutschland auf ein verlässliches und aufgabengerechtes Finanzierungssystem stützen können. Das
müssen wir erreichen, und deshalb ist ein festes Bündnis
Ostdeutschlands mit den strukturschwachen Regionen
im Westen eines meiner erklärten politischen Ziele.
({5})
Wir brauchen dieses Bündnis angesichts der jetzt schon
sichtbaren und für die Zukunft absehbaren Verteilungskämpfe. Entweder tun wir uns zusammen und sind gemeinsam stark, oder wir gehen getrennt voneinander unter.
Wir dürfen uns nicht damit begnügen, die ostdeutsche
Wirtschaft zu unterstützen. Wir müssen auch etwas bei
den Löhnen und Gehältern tun. Die Unterschiede bei den
Löhnen und Gehältern sind nicht nur ungerecht und eine
der wesentlichen Ursachen für die Abwanderung, sondern sie führen auch zu einer geringeren Binnennachfrage. Auch deshalb ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns besonders für Ostdeutschland
wichtig und richtig.
({6})
Das wird eine Premiere. Damit wird erstmals bundesweit ein einheitlicher Verdienst festgeschrieben, und damit setzen wir ein wichtiges Signal; damit zeigen wir,
dass wir es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse
in ganz Deutschland ernst meinen.
Ich weiß, dass wieder Bedenkenträger unterwegs
sind. Da wird zum Teil der Teufel an die Wand gemalt.
Trotzdem bin ich strikt gegen Ausnahmeregelungen, die
über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgehen.
Natürlich wird die Einführung des Mindestlohns einige
Betriebe vor Probleme stellen, im Osten, aber auch im
Westen; kein Mensch leugnet das. Natürlich werden die
Preise im Dienstleistungssektor zum Teil steigen.
({7})
Aber wer selber einigermaßen anständig verdient, der
wird auch nichts dagegen haben, beim Friseur oder im
Blumenladen etwas mehr zu bezahlen. Es muss doch darum gehen, dass alle vernünftig über die Runden kommen.
({8})
Derzeit verdient etwa ein Fünftel der ostdeutschen
Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro pro Stunde, viele
müssen zusätzlich Hartz IV beantragen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit muss endlich Schluss
sein.
({9})
Allen Betrieben, die glauben, die 8,50 Euro nicht bewältigen zu können, sage ich: Ihr habt immer noch die Möglichkeit, vorher einen Tarifvertrag abzuschließen, bei
dem der Lohn unter 8,50 Euro liegt. Dann greift der
Mindestlohn erst ab Anfang 2017. - In diesem Zusammenhang finde ich es wirklich bemerkenswert, dass allein die Ankündigung des Mindestlohns innerhalb weniger Wochen dazu geführt hat, dass auf einmal
Tarifverträge geschlossen werden. Alleine das ist schon
ein Erfolg; denn da geht es auch um so elementare Fragen wie Urlaubstage und Arbeitsbedingungen.
({10})
Das alles ist auch von großer Bedeutung für ein in Ost
und West einheitliches Rentensystem. Das wird 2019 mit
dem Auslaufen des Solidarpakts kommen. Das haben
wir so in den Koalitionsvertrag geschrieben. Ob wir bis
dahin einen Zwischenschritt in Form einer teilweisen
Rentenangleichung brauchen, werden wir 2016 prüfen.
Das hängt wiederum davon ab, in welchem Umfang die
ostdeutschen Einkommen und damit auch die Renten
steigen.
Die Forderung nach einem einheitlichen Rentensystem ist fast 25 Jahre nach der Einheit natürlich berechtigt. Ich habe sie selber oft genug mit Nachdruck erhoben. Und dennoch ist die Rentengeschichte der
vergangenen 25 Jahre eine Erfolgsgeschichte. Das Renten-Überleitungsgesetz ist Ausdruck gelebter Solidarität
von Ost und West. Niemand im Osten musste nach der
Wende von einer DDR-Rente leben. Die Ostrenten sind
seither auf fast 92 Prozent des Westniveaus gestiegen.
Jetzt arbeiten wir an der vollständigen Angleichung, und
die wird kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Jahren seit
der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung
sind wir ein anderes Land geworden. Wir haben uns weiterentwickelt und werden das auch weiter tun. Wir haben
viel erreicht; aber es bleibt auch noch viel zu tun, zum
Beispiel bei der entschiedenen Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das ist ein Thema, das mich seit vielen
Jahren bewegt. Ich versichere Ihnen: Ich werde alle mir
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um unsere Kinder und Kindeskinder, unsere ganze Gesellschaft vor diesem braunen Pack zu schützen.
({11})
Gott sei Dank führt die Generation unserer Kinder ein
freies Leben ohne Mauer, Teilung und Diktatur. Dennoch begegnet uns die Teilung mit ihren langandauernden Folgen immer wieder im Alltag und in der Politik.
Das ist zum Beispiel so beim Heimkinderfonds Ost, der
vom Bund und von den ostdeutschen Ländern getragen
wird. Aus diesem Fonds werden Menschen unterstützt,
die in sehr jungen Jahren zum Opfer staatlicher Repression geworden sind, und das ist gut und richtig so.
Aber es hat sich herausgestellt, dass das ursprünglich
eingeplante Geld wider Erwarten nicht reicht. Es steht
fest, dass dieser Fonds erheblich aufgestockt werden
muss, und das wird nicht billig. Aber die Vorstellung,
hier sparen zu können, indem man den Zugang zu diesem Fonds im Nachhinein stärker beschränkt und den
Leistungskatalog verändert, ist einfach abenteuerlich.
({12})
Damit hätten wir dann nicht nur unterschiedliche Leistungen in Ost und West, sondern auch innerhalb der
Gruppe der ehemaligen ostdeutschen Heimkinder, und
das geht nun wirklich überhaupt nicht.
({13})
Da steht der Bund gemeinsam mit den ostdeutschen Ländern in der Pflicht, eine gute Lösung im Sinne der Betroffenen zu finden. Ich bin durchaus zuversichtlich, was
die Beratungen in der kommenden Woche angeht.
Bei diesem und bei anderen Themen wird jedenfalls
deutlich, dass es noch immer Folgen der Teilung gibt,
die es zu überwinden gilt. Ich bin davon überzeugt, dass
uns das gelingen wird. Die deutsche Einheit ist eben
nichts Statisches. Sie will und sie muss immer wieder
neu gestaltet werden. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.
Ich bin in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt worden, ob ich stolz darauf bin, aus Ostdeutschland
zu kommen.
({14})
Wir Ostdeutsche haben einiges durchgemacht. Wir stehen zu unserer friedlichen Revolution und zur Verantwortung für unsere Geschichte. Wir haben besondere Talente und Ressourcen. Und: Wir können Veränderung.
Deshalb ist der Osten in manchen Bereichen unterdessen
wirklich Avantgarde. Darauf kann man schon stolz sein;
ich bin es jedenfalls. Ich bin stolz darauf, aus Ostdeutschland zu kommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
erhält der Kollege Dietmar Bartsch das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Gleicke, das verbindet uns: dass
wir stolz sind, aus Ostdeutschland zu kommen. - Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ja - um es klar und deutlich zu
sagen -, auch die Linke freut sich über alle Fortschritte
bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.
({0})
Es ist gut so, dass das Ganze bei allen europäischen Problemen, die wir haben, weiter ein Thema bleibt. Wir
freuen uns, wenn sich die Infrastruktur entwickelt, die
Verkehrswege, die Kommunikationswege. Im Osten gibt
es international anerkannte Hochschulen, Universitäten,
Forschungseinrichtungen. Es gibt wunderbare Beispiele
beim Städtebau, beim Stadtumbau. Da haben wir aus der
Opposition und mit den Ländern dafür gesorgt, dass die
Kürzungen, die Herr Ramsauer immer wollte, nicht eingetreten sind.
({1})
Darauf können wir, gemeinsam mit den Sozialdemokraten, auch ein bisschen stolz sein. Auf diese Leistungen
können die Menschen stolz sein, besonders die Menschen in den neuen Ländern.
Aber zur Realität im Osten - im Übrigen auch im
Westen - zählt im Jahre 2014 auch, dass in oft fabelhaft
sanierten Städten viele Läden leer stehen. Dazu zählt
auch, dass wir überall weltberühmte Künstler engagieren, aber dass es viele Eltern gibt, die den Kinobesuch
ihrer Kinder nicht bezahlen können.
Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist eben
nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Wir alle wissen: Die
Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist weiterhin nahezu doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Es wiegt
besonders schwer, dass seit 1992 in den neuen Ländern
die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um
17,5 Prozent, nämlich um 1,2 Millionen, gesunken ist.
Im gleichen Zeitraum ist in den alten Ländern die Zahl
dieser Beschäftigungsverhältnisse um 5 Prozent gestiegen. Das ist ein wirklich schwerwiegendes Problem.
Bei den Löhnen und Gehältern hat sich der Unterschied zwischen Ost und West seit Mitte der 90er-Jahre
nicht wesentlich verändert. Das sage ich jetzt, da wir ja
gerade über die Diätenerhöhung diskutiert haben.
Die Vermögensungleichheit ist geblieben. Haushalte
im Osten verfügen im Schnitt nur über 42 Prozent des
Vermögens von Haushalten im Westen. Das alles sind
doch Riesenprobleme.
Frau Gleicke, Sie verweisen auf die Wirtschaftskraft.
Jawohl, einverstanden! Dafür ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung ein ganz wichtiger Indikator. Wenn wir uns die Zeit von 2001 bis 2012 anschauen, stellen wir fest: Alle drei Jahre gab es eine
Angleichung um 1 Prozent. Wir sind jetzt bei 75,5 Prozent des Westniveaus. Wenn wir die Aufholjagd mit diesem „rasanten“ Tempo fortsetzen, dann haben wir 2085
gleichwertige Verhältnisse - fast 100 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit! Sie haben nicht einen einziDr. Dietmar Bartsch
gen Vorschlag gemacht, wie wir das wirklich ändern
wollen. Nicht die Langsamkeit ist das Problem, sondern
dass es keinen einzigen Vorschlag gibt. Sie setzen im
Kern auf ein Weiter-so.
({2})
Nun haben Sie etwas zur Rente gesagt. Das war schon
einigermaßen verwunderlich. Natürlich ist das eine zentrale Frage für viele Menschen in den neuen Ländern.
Ich will noch einmal daran erinnern: Die thüringische
Ministerpräsidentin, Frau Lieberknecht - noch stellt in
Thüringen die CDU den Ministerpräsidenten -,
({3})
hat im Jahr 2012 gesagt, dass das Agieren der damaligen
Koalition auf Bundesebene offensichtlich einen Fall von
Arbeitsverweigerung darstellt. Das haben auch Sie damals kritisiert. Aber auch an diesem Punkt nehmen Sie
überhaupt keine Veränderung vor. Schwarz-Rot stellt auf
diesem Gebiet das Handeln wirklich ein.
({4})
Sie prüfen nur. Sie kündigen nur an. Das ist skandalös,
und das ist auch mit dem Verfassungsauftrag „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht vereinbar.
({5})
Nun noch zu einem Thema, bei dem mich etwas besonders stört, zur Mütterrente. Wir alle wissen: Ostmütter bekommen für ein Kind, das vor 1992 geboren ist,
25,74 Euro. Bei Westmüttern sind die Kinder wertvoller;
dafür gibt es nämlich 28,14 Euro.
({6})
Wir sagen ganz klar und deutlich: Jedes Kind muss auf
dem Rentenkonto gleich viel wert sein,
({7})
egal ob es 1958 oder 2012, ob es in Schwerin oder in
München geboren ist. Hier muss wirklich etwas neu verstanden werden. Das kann so nicht weitergehen.
Die deutsche Einheit muss neu verstanden und politisch auch anders gestaltet werden. Der Aufbau Ost als
Nachbau West ist letztlich gescheitert. Wir brauchen
eine gezielte Struktur- und Regionalpolitik und auch da
nicht nur Ankündigungen, dass wir neue Wege erproben
müssen, wie es bei Ihnen steht. Nein, da müssen die Erfahrungen des Ostens in ganz anderer Weise aufgegriffen werden.
({8})
Sie haben, Frau Gleicke, heute und in den letzten Tagen viel angekündigt, vieles zum Thema Ost. Wir werden Sie bei vielen Dingen auch unterstützen können. Ich
hoffe, dass Sie da einen langen Atem haben. Nutzen Sie
Ihre Chance! Sie haben eine. Sie sind neu im Amt. Sagen Sie vor allen Dingen laut und rechtzeitig, wenn etwas nicht klappt! Sie haben Ihren Vorgänger gelobt. Den
habe ich in den vergangenen vier Jahren zu dieser Frage
nicht einmal gehört. Ich wünsche mir, dass Sie in der
Bundesregierung laut und deutlich sagen, wenn irgendetwas in Bezug auf den Aufbau Ost nicht läuft.
({9})
Der erste Punkt wäre zum Beispiel, dass Sie bei den
Regionalisierungsmitteln dafür sorgen, dass der Osten
nicht weniger davon bekommt. Das ist eine ganz zentrale Frage. Daran werden wir Sie messen. Wenn das weniger wird, haben Sie Ihren Auftrag nicht erfüllt.
({10})
Es muss ganz klar sein, dass das funktioniert.
Dann noch eine Bemerkung zum Mindestlohn. Sie
haben damals gesagt: Ohne Wenn und Aber und sofort. Na ja, das kann ich im Koalitionsvertrag wirklich nicht
feststellen. Wo ist denn da der Mindestlohn ohne Wenn
und Aber? Wann ist denn der Zeitpunkt? Bis es so weit
ist, sind die geplanten 8,50 Euro doch viel weniger wert.
Vor allen Dingen müssen Sie dafür sorgen, dass für die
kleinen und mittleren Unternehmen Übergänge geschaffen werden, sodass sie das zahlen können und nicht Arbeitsplätze kaputtgehen.
({11})
Wir brauchen in dieser Legislatur dringend die Verabschiedung eines Solidarpakts III. Das kriegen wir in der
nächsten Legislatur nicht hin; das muss jetzt geschehen.
Dabei muss es darum gehen, strukturschwache Regionen
in Ost und in West zu fördern. Das ist notwendig. Wir
müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern
und Kommunen insgesamt neu regeln. Eine Föderalismuskommission III ist angesagt. Das ist extrem notwendig. Es wäre im Übrigen sinnvoll, liebe Kolleginnen und
Kollegen aus Bayern und Hessen, wenn die Klagen zurückgezogen würden.
({12})
Das ist nämlich destruktiv und verunsichert die Menschen in den neuen Ländern.
Ganz klar und eindeutig: Die Rückstände des Ostens
im Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse müssen gezielt und vorrangig überwunden werden. Das darf
nicht irgendein Punkt der Wirtschaftspolitik oder im
Wirtschaftsministerium sein. Es wäre auch sinnvoll,
wenn der Minister bei diesem Punkt einmal anwesend
wäre.
Wir werden Sie genau betrachten; ich habe das angekündigt. Ich hoffe, dass das, was Sie angekündigt haben,
mit ganzer Kraft umgesetzt wird. Dann werde ich mich
auch nachhaltig dafür einsetzen, dass mein Kollege Gysi
von der halben Portion zur ganzen kommt. Das verspreche ich Ihnen.
Herzlichen Dank.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem
nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen die
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen zur Kenntnis geben.
Zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes. Abgegeben wurden 589 Stimmen.
Mit Ja haben gestimmt 464, mit Nein haben gestimmt
115, und 10 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 464
nein: 115
enthalten: 10
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({5})
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({9})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({10})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({11})
Gabriele Schmidt ({12})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({13})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({14})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({15})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl ({16})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({17})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({18})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({21})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({22})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({23})
Hubertus Heil ({24})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({25})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({26})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({27})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
({30})
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({31})
Matthias Schmidt ({32})
Carsten Schneider ({33})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({34})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Kordula Kovac
SPD
Ralf Kapschack
René Röspel
Andreas Schwarz
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
DIE LINKE
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({35})
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({36})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Volker Beck ({37})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({38})
Christian Kühn ({39})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({40})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Reinhard Grindel
Ulrich Petzold
Dieter Stier
SPD
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Johannes Fechner
Achim Post ({41})
DIE LINKE
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Richard Pitterle
Jörn Wunderlich
Zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Erweiterung des
Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Hier
sind 593 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 583, mit Nein haben gestimmt 3, und 7 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon
ja: 582
nein: 3
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({42})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({43})
Axel E. Fischer ({44})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({45})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({46})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Andreas Jung ({47})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({48})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({49})
Stefan Müller ({50})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Katherina Reiche ({51})
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({52})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({53})
Gabriele Schmidt ({54})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({55})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({56})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({57})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl ({58})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({59})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({60})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({61})
Sabine Weiss ({62})
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({63})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({64})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({65})
Hubertus Heil ({66})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({67})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({68})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({69})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({70})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({71})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({72})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
({73})
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({74})
Matthias Schmidt ({75})
Carsten Schneider ({76})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({77})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({78})
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({79})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Volker Beck ({80})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({81})
Christian Kühn ({82})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({83})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Norbert Röttgen
Karl-Georg Wellmann
Enthalten
CDU/CSU
Reinhard Grindel
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Mathias Middelberg
Ulrich Petzold
Dr. Peter Ramsauer
Dieter Stier
Ingo Wellenreuther
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Jetzt fahren wir fort in unserer Debatte. Das Wort erhält der Kollege Mark Hauptmann.
({84})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! 2014 ist für mich als Thüringer Mitglied dieses Deutschen Bundestages ein ganz besonderes
Jahr. Wir feiern im November dieses Jahres 25 Jahre Fall
der Berliner Mauer. Dass meine ostdeutschen Kollegen
und ich heute hier an diesem Pult frei sprechen dürfen,
dass wir diese Gelegenheit haben, alleine das ist schon
ein herausragendes Ergebnis der deutschen Einheit, für
die viele Menschen hart, lange und mutig gekämpft haben.
({0})
Vieles ist in den vergangenen 25 Jahren politisch umgesetzt worden. So hat besonders der Umgang mit der
politischen Vergangenheit der DDR eine wichtige Rolle
gespielt. Nach wie vor ist das Interesse der Bürger an
dem SED-Regime groß. Alleine im Jahre 2013 wurden
noch exakt 64 246 Anträge auf Akteneinsicht bei der
Stasi-Unterlagen-Behörde gestellt. Dennoch geht der
Trend gerade bei den jüngeren Menschen zu einer Verharmlosung der DDR-Diktatur. Im Fernsehen läuft beispielsweise eine TV-Show mit dem Titel Nicht alles war
schlecht. Dabei entsteht aus meiner Sicht der Eindruck,
dass die DDR ein normaler Staat gewesen ist. Das ist
mitnichten der Fall. Ein Beleg dafür ist: Am 5. Februar
dieses Jahres haben wir des letzten Maueropfers, des
20-jährigen Chris Gueffroy, gedacht, der vor 25 Jahren
bei einem Fluchtversuch das letzte Opfer des Schießbefehls in einem nichtdemokratischen, totalitären Unrechtsstaat war. Sein Tod mahnt uns alle zu einer kontinuierlichen Aufarbeitung dieses SED-Regimes.
({1})
Sehr geehrter Herr Kollege Bartsch, Sie sprachen davon, dass Sie stolz sind, Ostdeutscher zu sein. Das bin
ich auch; das sind wahrscheinlich viele von uns. Aber
ich weiß, worauf Sie und Ihre Fraktion mitnichten stolz
sein können: Das ist die Aufarbeitung Ihrer eigenen Geschichte.
({2})
Auch das gehört zu 25 Jahren deutsche Einheit.
({3})
Neben der Aufarbeitung waren die vergangenen 25 Jahre aber auch durch ökonomische Herausforderungen geprägt. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat
einmal gesagt, dass im Rahmen der deutschen Einheit
blühende Landschaften entwickelt werden sollen. Tatsächlich können wir heute, wenn wir offenen Auges
durch die neuen Länder fahren, ein Aufblühen Ostdeutschlands sehen. Die in den letzten Jahrzehnten ergriffenen politischen Maßnahmen haben dazu geführt,
dass die neuen Länder heute auf einem guten Weg sind,
so wie das auch in dem Bericht der Bundesregierung
steht.
Ich möchte dafür einige Beispiele nennen; in den
neuen Ländern gibt es sie in genügender Zahl. Gestehen
Sie mir als Thüringer zu, dass ich ein paar Beispiele aus
meiner Heimat bringe.
Ich komme zu meinem ersten Beispiel: Wir haben
heute die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung. Wir im Freistaat Thüringen hatten 2008
noch eine Arbeitslosenquote von 11,4 Prozent. Im Jahr
2013 betrug sie nur noch 8,2 Prozent.
({4})
Das Erreichen von Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit
ist kein leeres Versprechen mehr, sondern kann schon
bald Wirklichkeit werden. Das ist ein Erfolg, auf den wir
stolz stein können.
Das zweite Beispiel ist der Aufbau der deutschen Infrastruktur. Denken Sie nur an die Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit!
Das dritte Beispiel ist die Entwicklung der Haushaltskonsolidierung in den neuen Ländern. Wir haben 2013
und 2014 im Freistaat Thüringen nicht nur keine neuen
Schulden gemacht, sondern auch insgesamt 130 Millionen Euro alte Schulden getilgt.
({5})
Thüringen hat nach dem Freistaat Bayern die zweithöchste Pro-Kopf-Tilgungsrate der Bundesrepublik
Deutschland. Das kann auch Vorbild für alte Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg
oder für uns hier im Bund sein.
({6})
Doch auch bereits blühende Landschaften müssen gepflegt werden. Vor allem mittelständische Unternehmen
als Fundament des wirtschaftlichen Aufschwungs in
Ostdeutschland dürfen nicht alleine gelassen werden.
Besonders zukunftsrelevant sind daher drei Sachgebiete,
auf die ich nun näher eingehen will: erstens die Energiekosten bzw. die Belastung der ostdeutschen Unternehmen, zweitens die Entwicklung der Wirtschaft in Ostdeutschland und drittens der demografische Trend, mit
dem wir es zu tun haben: Schrumpfung und Alterung.
Ich komme zu meinem ersten Punkt: den Energiekosten. In den neuen Bundesländern sind wir Vorreiter in
der Energiewende geworden. Darauf können wir zu
Recht stolz sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien
an der Bruttostromerzeugung betrug im Jahr 2012 bereits 29 Prozent, während er im Westteil des Landes
20 Prozent betrug. Die neuen Bundesländer produzieren
insgesamt mehr Strom, als vor Ort nachgefragt wird. Der
überschüssige Strom fließt in alle Teile Deutschlands.
Das heißt: Der Osten ist heute schon Stromexporteur.
Das heißt aber auch, dass die ostdeutschen Unternehmen
dringend auf einen verlässlichen, deutschlandweiten
Netzausbau im Rahmen der Energiewende angewiesen
sind.
({7})
Da die Kosten für die Modernisierung der Energienetze und für den Neubau der Stromtrassen aber über die
Netzentgelte bezahlt werden, sind die Stromkosten im
Osten heute höher als in vielen Gebieten der alten Bundesländer. Ostdeutschland darf nicht zum Transitlastenzahler für die anderen Bundesländer werden. Wir müssten aufpassen, dass der Ausbau der erneuerbaren
Energien nicht überdurchschnittliche Belastungen für
unsere Regionen zwischen der Insel Rügen und der Thüringer Rhön, zwischen Görlitz und Eisenach bringt.
({8})
Die bisherigen Vorschläge zur EEG-Novelle gehen in
die richtige Richtung, müssen aber weitergedacht werden. Gerade in meiner Heimat Thüringen ist ein Großteil
der Unternehmen im produzierenden und verarbeitenden
Gewerbe tätig. Steigende Energiekosten sind daher
gerade aufgrund der räumlichen Nähe zu anderen osteuropäischen Ländern eine ernsthafte Gefahr für diese
Wirtschaftsstandorte und somit auch für Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Ich komme zu meinem zweiten Punkt: zur Wirtschaft
und zum Arbeitsmarkt. Dass in Deutschland Wirtschaft
und Arbeitsmarkt in guter Verfassung sind, ist unbestritten. Das gilt auch für die neuen Länder, in denen es in
der Vergangenheit ein Wirtschaftswachstum gegeben
hat, das gerade auch neue Beschäftigungsverhältnisse
geschaffen hat. Beim Rückgang der Arbeitslosigkeit hat
der Osten die alten Bundesländer sogar überholt. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat erst Anfang dieses
Monats in einer Studie festgestellt, dass gerade strukturschwache Regionen in den neuen Ländern positive Entwicklungen aufweisen können. Als Beispiele nenne ich
den Kyffhäuserkreis und den Landkreis Sömmerda in
Thüringen, die trotz der Finanzkrise in den Jahren 2008
bis 2013 die Arbeitslosigkeit um 5,5 Prozent bzw. um
5,1 Prozent reduzieren konnten.
Die Arbeitslosenquote in den neuen Ländern ist seit
2005 von 18,7 auf 10,7 Prozent gesunken. Auch die Zahl
der Langzeitarbeitslosen geht Gott sei Dank zurück.
Trotzdem ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland
mit 10,7 Prozent immer noch fast doppelt so hoch wie in
den alten Bundesländern. Es gibt auch bei uns in den
neuen Ländern Unterschiede zwischen strukturstarken
und strukturschwachen Regionen, die in dieser Frage
deutlich werden.
Das bringt mich zu meinem dritten Punkt: der Demografie. Der Jahresbericht der Bundesregierung macht
deutlich, dass bei rund einem Drittel der Betriebe freie
Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können. Das
Problem des Facharbeitermangels, gerade mit Blick auf
den demografischen Wandel, ist real und bedrohlich.
Zwar konnte die Abwanderung aus Ostdeutschland in
den letzten Jahren nahezu gestoppt werden, aber vor
dem Hintergrund des demografischen Trends von
Schrumpfung und Alterung müssen wir in den nächsten
Jahren gravierende Folgen für die mittelständischen Unternehmen abwenden. In den neuen Bundesländern wird
die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr
2030 wahrscheinlich noch einmal um 27 Prozent sinken.
Diese demografische Entwicklung wird durch Abwanderung aus den ländlichen Regionen in die Städte weiter
beschleunigt. Der bereits bestehende Fachkräftemangel
wird sich dadurch besonders in ländlichen Regionen mit
kleinen Betrieben und einer geringen Siedlungsdichte
auswirken.
Meine Damen und Herren, das sind allerdings Prognosen und keine Fakten. Wir, die fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen können das positiv beeinflussen. Deshalb müssen wir auch
in Zukunft für regionales Wachstum und die Schaffung
dauerhaft wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze vor allem in
den ländlichen Regionen Sorge tragen. Wir müssen uns
flexibel auf die demografischen Entwicklungen einstellen und insbesondere älteren Menschen Zugang zu kulturellen, medizinischen und sozialen Infrastrukturen ermöglichen. Aber der ländliche Raum muss auch für die
jüngere Generation attraktiv bleiben. Gezielte Anreize,
wie der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Sanierungsbonus für die vom demografischen Wandel besonders betroffenen Gebiete, müssen realisiert werden.
Wachstumsdynamik, Innovationskraft und Internationalisierung der ostdeutschen Wirtschaft müssen weiter gestärkt werden. Wir müssen diese Punkte im Rahmen des
Solidarpakts II und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiter angehen.
Ich möchte zum Schluss auf das Bild vom Anfang
meiner Rede zurückkommen. Wir haben viel erreicht in
den letzten zwei Jahrzehnten. Ostdeutschland hat sich
bei Vergangenheitsbewältigung und wirtschaftlicher
Entwicklung mit großen Schritten in die richtige Richtung bewegt. Um dieses Bild vom Anfang aufzugreifen:
Ja, die Landschaften, sie blühen. Um dies allerdings
nachhaltig zu bewahren, müssen wir die Gestaltung des
demografischen Wandels und seiner Auswirkungen und
die weitere wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands
als zentrale Aufgabe in den Fokus rücken und hierbei besonders darauf achten, dass die mittelständischen Unternehmen als Rückgrat dieser Entwicklung nicht über Gebühr belastet werden. Lassen Sie uns also gemeinsam
nach Maßnahmen suchen, mit denen wir unsere blühenden Landschaften weiter ausgestalten und pflegen können.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ganz herzlichen Dank. - Das war die erste Rede des
Kollegen. Gratulation!
({0})
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühn
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Ich
freue mich, dass wir heute an einer etwas prominenteren
Stelle über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit
sprechen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.
Dennoch muss man konstatieren: Die ganz große Bedeutung scheint die Koalition dem Thema nicht beizumessen. Zweimal wurde die Debatte über den Bericht zum
Stand der deutschen Einheit verschoben, sie war nur
Platzhalter. Ihnen war es in der letzten Woche wichtiger,
statt über die Löhne im Osten zu sprechen, die immer
noch deutlich unter Westniveau liegen, über die Abgeordnetendiäten zu diskutieren.
({0})
Eine sehr schwache Prioritätensetzung, wie ich finde.
({1})
Der vorliegende Bericht zum Stand der deutschen
Einheit beschreibt wieder nur den Status quo, liefert
keine neuen Erkenntnisse und setzt keine neuen Impulse.
Dabei haben wir auch im 25. Jahr der friedlichen Revolution unverändert besondere Herausforderungen in Ostdeutschland. Ein Routinebericht ist deshalb zu wenig.
Die Geschichte Ostdeutschlands seit der Wiedervereinigung ist in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte:
Unbestreitbar sind der Freiheitsgewinn und ein gelungener politischer und rechtsstaatlicher Systemwechsel. Die
Umweltbedingungen haben sich verbessert, und die Infrastruktur wurde modernisiert.
({2})
Dennoch ist es nicht gelungen, einen selbsttragenden
wirtschaftlich dynamischen Entwicklungspfad zu etablieren. Man muss einfach sagen: Die wirtschaftliche
Angleichung stagniert seit Mitte der 90er-Jahre. Da halte
ich es, Herr Kollege Hauptmann, schon ein bisschen für
Schönfärberei, zu sagen: Wir haben hier nur blühende
Landschaften.
({3})
Denn die Arbeitslosenquote ist immer noch doppelt so
hoch wie im Westen, und das Steueraufkommen der ostdeutschen Länder liegt gerade mal bei 50 Prozent des
Niveaus der finanzschwachen Flächenländer im Westen.
({4})
Wenn schon der Bericht der alten Regierung - das
muss man an der Stelle fairerweise sagen - keine Impulse gesetzt hat, hatte ich die Hoffnung, dass im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wenigstens Ideen für
die neuen Bundesländer zu finden sind. Gefunden habe
ich aber nur Prosa wie: „Wir wollen eine stabile und gute
wirtschaftliche sowie soziale Entwicklung Ostdeutschlands erreichen.“ Wer wollte das nicht! Aber wo sind,
bitte schön, die konkreten Maßnahmen, um dahin zu
kommen?
({5})
Wir Grünen sind überzeugt, dass die weiteren Entwicklungschancen der neuen Bundesländer davon abhängen, wie stark Innovation, Forschung, Erfindergeist,
mutiges Unternehmertum, aber auch der Einsatz für gelebte Demokratie und für eine aktive Bürgergesellschaft
unterstützt werden. In den neuen Bundesländern, so
kann man im Bericht zu Recht nachlesen, ist „eine wissensbasierte Industrieregion“ entstanden. Das ist zweifellos ein Erfolg. Der Anteil von FuE am Bruttoinlandsprodukt ist in Ostdeutschland höher als im Westen.
Wir haben in Ostdeutschland eine höhere Drittmitteleinwerbung bei den Professuren an Fachhochschulen zu
verzeichnen. Es sind gerade die Fachhochschulen, die
man - oft außerhalb von Wachstumskernen angesiedelt als schlafende Innovationsriesen bezeichnen kann. Wir
müssen ermöglichen, dass sich die Fachhochschulen als
Motoren der regionalen Wirtschaft besser entfalten.
({6})
Es muss gelingen, die gut ausgebildeten Fachkräfte
durch Unternehmensausgründungen und -ansiedlungen
im Umkreis von Universitäten, Fachhochschulen und
Forschungseinrichtungen in der Region zu halten und
den Braindrain zu stoppen.
Dies wird aber nicht gelingen, meine Damen und Herren, wenn, wie jetzt in Sachsen, damit begonnen wird,
angesichts zurückgehender Studierendenzahlen Hochschulstrukturen abzubauen. Die KMU sind auf Fachkräfte und öffentliche FuE-Investitionen angewiesen.
Wir brauchen deshalb aus meiner Sicht eine Lockerung
des Kooperationsverbots bei der Hochschulfinanzierung.
Sonst droht in den nächsten Jahren eine Abwärtsspirale.
({7})
Ein wesentliches Hemmnis bei der Entwicklung einer
wissensbasierten Industriestruktur ist eine mangelnde
Breitbandversorgung. Die ostdeutschen Flächenländer
sind im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern
hinsichtlich der Erschließung mit Hochgeschwindigkeitsanschlüssen deutlich unterversorgt. Die Versorgung
mit Breitbandanschlüssen mit einer Geschwindigkeit
von 50 Megabit pro Sekunde und mehr liegt gerade einmal bei 30 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar bei nur
10 Prozent. Die ursprünglich vorgesehene 1 Milliarde
Euro für den Ausbau der Breitbandversorgung ist aus
dem Koalitionsvertrag gestrichen worden.
({8})
Stephan Kühn ({9})
Was bleibt, ist die bloße Ankündigung; eine Finanzierung des Breitbandausbaus fehlt völlig. Sie wollen, dass
2016 Anschlüsse mit 50 Megabit pro Sekunde flächendeckend verfügbar sind. Dann verraten Sie uns doch mal
bitte, wie das ohne Konzept und vor allen Dingen ohne
Geld bewerkstelligt werden soll!
({10})
- Ich frage auch gerne wieder Herrn Dobrindt. Ich bin
gespannt, ob es dieses Mal Antworten gibt.
({11})
In Bezug auf den demografischen Wandel heißt es,
Ostdeutschland sei ein Labor für wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse oder - es ist
schon gesagt worden - nehme eine Vorreiterrolle bei der
Entwicklung neuer Lösungen ein. Dazu ist zweierlei zu
sagen:
Erstens. Dafür brauchen wir neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Politik, Bürgerinnen und Bürgern, Verwaltung und Unternehmen. Das
heißt, wir müssen lokales Engagement befördern und
nicht behindern. Die Bürgerinnen- und Bürgerdemokratie, die wir 1989 erkämpft haben, ist leider an vielen
Stellen nur noch rudimentär entwickelt. Das muss sich
dringend ändern.
Zweitens. Die Neugestaltung der Daseinsvorsorge mit
Blick auf das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse
lässt sich nicht nur mit Pilotprojekten und Modellvorhaben bewerkstelligen.
Ich bin - ähnlich wie der Kollege, der vor mir geredet
hat - gespannt, wie es denn aussieht, wenn es konkret
wird, beispielsweise bei der Frage der Revision der
Regionalisierungsmittel. Dann ist nämlich die Frage, ob
es einen fairen Interessenausgleich zwischen einer Sicherung des Grundangebotes in der Fläche und einem
Zusatzangebot in Wachstumsregionen gibt.
Lassen Sie mich mit Blick auf die Zeit noch einen
wichtigen Punkt sagen. Wir führen eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde.
Ich sage dazu: Auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Vergangenheit der SED-Diktatur in all ihren Facetten weder
überflüssig noch rückwärtsgewandt.
({12})
Sie ist die Voraussetzung für eine gelingende Demokratie, um die wir jeden Tag neu kämpfen müssen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Danke schön, Herr Kollege. - Guten Morgen von
meiner Seite an Sie alle.
Nächste Rednerin ist Andrea Wicklein für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den
Besucherrängen! Vor 25 Jahren ist die Mauer gefallen.
Angesichts der dramatischen Bilder aus der Ukraine bin
ich heute noch froh und dankbar dafür, dass die Revolution in Ostdeutschland friedlich und ohne Blutvergießen
verlief.
({0})
Was seitdem in zweieinhalb Jahrzehnten in den neuen
Bundesländern aufgebaut wurde, das war und ist eine
große Gemeinschaftsleistung. Es ist dem Mut, dem Fleiß
und der Solidarität vieler Menschen in Ost und West zu
verdanken, dass Mauern, auch die in den Köpfen, überwunden werden.
Ich persönlich kann mich noch sehr gut an die ersten
Jahre nach dem Mauerfall erinnern. Freude über die gewonnene Freiheit und Unsicherheit in Anbetracht der
ungewissen Zukunft lagen dicht beieinander. Die tiefgreifenden Veränderungen in allen Bereichen des Lebens
waren für uns Ostdeutsche eine große Herausforderung.
Laut einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums
Berlin für Sozialforschung gingen allein zwischen 1989
und 1992 ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren. Heute,
nach 25 Jahren, stelle ich mir folgende Fragen: Wie weit
sind wir tatsächlich mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in unserem Land gekommen? Wie weit ist die
Teilung, die vier Jahrzehnte andauerte, heute überwunden?
Infratest dimap sagt dazu, dass 70 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger in Ost und West mit ihrer
wirtschaftlichen Situation zufrieden sind. Das ist doch
eine sehr gute Nachricht.
({1})
Auch die Lebenserwartung hat sich in beiden Teilen des
Landes fast angeglichen. Ostdeutschland kann inzwischen gute Rahmenbedingungen zum Leben und Arbeiten vorweisen; die Erfolge wurden von meinen Vorrednern schon genannt. Unterm Strich können wir stolz auf
das sein, was wir in den vergangenen 25 Jahren gemeinsam erreicht haben.
({2})
Dennoch gibt es im Ost-West-Vergleich nach wie vor
große Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit, vor allen
Dingen bei der wirtschaftlichen Angleichung, bei Forschung und Entwicklung, bei der Exportquote und auch
beim Bruttoinlandsprodukt, das im Osten nur bei 71 Prozent des Westniveaus liegt. Ja, es gibt im Ost-West-VerAndrea Wicklein
gleich auch nach wie vor Ungerechtigkeiten. Zum Beispiel empfinden die Menschen in den ostdeutschen
Ländern das bestehende Lohngefälle zwischen Ost und
West oder das unterschiedliche Rentenberechnungssystem als ungerecht, zumal sich die Lebenshaltungskosten
längst angeglichen haben. Bei Wasser und Energie sind
sie teilweise höher als in den alten Bundesländern.
({3})
Ich bin froh darüber, dass wir im Koalitionsvertrag
konkret festgelegt haben, wie wir die Unterschiede ausgleichen und die Ungerechtigkeiten weiter abbauen wollen. Dazu zählt insbesondere die Einführung eines einheitlichen flächendeckenden Mindestlohnes in Ost und
West.
({4})
Dazu zählt die überfällige Angleichung der Rentensysteme bis Ende 2019. Wir haben dafür, Herr Bartsch, im
Koalitionsvertrag einen klaren Fahrplan vereinbart und
werden darauf achten, dass er auch umgesetzt wird.
({5})
Dazu zählen aber auch diverse Bundesprogramme und
Bundesmittel: Wir erhöhen die Mittel für die Städtebauförderung und das Programm „Soziale Stadt“, wir
führen die regionale Wirtschaftsförderung für strukturschwache Regionen fort, wir unterstützen den innovativen Mittelstand, und - nicht zuletzt - wir unterstützen
auch die Hochschulen und erhöhen die Mittel für die öffentliche Forschungsförderung. Das sind nur einige
Punkte, die dazu beitragen werden, die wirtschaftliche
Entwicklung in Ost und West weiter anzugleichen.
Ich bin davon überzeugt, dass vor allem die Förderung von Wirtschaft und Innovation der richtige Weg ist,
um auch die sozialen Verhältnisse auf ein annähernd
gleiches Niveau zu bringen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Beauftragte der Bundesregierung für
die Neuen Bundesländer im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist. Ich wünsche Iris Gleicke viel Erfolg bei ihrer Arbeit. - Ich werde dich natürlich nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen, liebe Iris.
({6})
Am Anfang meiner Rede fragte ich: Wie weit sind wir
hinsichtlich der Angleichung der Lebensverhältnisse tatsächlich gekommen? Ich denke, wir können diese Frage
zukünftig nicht mehr nach der Himmelsrichtung, nach
Ost und West, stellen. Deutschland ist schon jetzt viel
differenzierter zu betrachten. Auch im Osten gibt es bereits wirtschaftlich starke Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig haben im Westen zahlreiche
Regionen einen enormen Nachholbedarf. Zwar ist die
Arbeitslosigkeit im Westen im Durchschnitt nur halb so
hoch wie im Osten, bei näherer Betrachtung zeigt sich
aber ein sehr differenziertes Bild: So ist die Arbeitslosenquote in Duisburg oder Gelsenkirchen mit 15,5 Prozent annähernd so hoch wie in der Brandenburger
Uckermark, in Bremerhaven ist sie doppelt so hoch wie
in Potsdam, und an vielen Stellen im Westen verfällt die
Infrastruktur oder ist veraltet. Ich kann deshalb sehr gut
verstehen, dass 24 Jahre nach der Wiedervereinigung im
Westen zunehmend Stimmen laut werden, die die massive Förderung des Ostens kritisch sehen.
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Richtig, das mache ich. - Allerdings bleiben laut Prognos-Zukunftsatlas die Zukunftsrisiken in vielen Regionen Ostdeutschlands bestehen. Zugleich nehmen aber in
immer mehr westdeutschen Regionen die Zukunftsrisiken gegenüber den Zukunftschancen zu. Diese Tatsachen müssen wir berücksichtigen. Ich habe mich gefreut,
dass wir uns jetzt, so glaube ich, alle einig sind, dass wir
die Förderung zukünftig nicht mehr nach Himmelsrichtungen vornehmen, sondern an den konkreten Lebensverhältnissen im ganzen Land ausrichten.
Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit.
Wir werden unsere Erfahrungen in Ostdeutschland nutzen und sie in ein Konzept einbringen, das die Entwicklung der strukturschwachen Regionen insgesamt zum Inhalt hat.
Frau Kollegin, ich muss die überzogene Zeit jetzt bei
Ihren Kollegen abziehen.
Ganz herzlichen Dank.
({0})
Danke schön, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist
Roland Claus für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim
Thema „deutsche Einheit“ stellt sich in schöner Regelmäßigkeit eine unsichtbare Besonderheit ein: Ostdeutsche Abgeordnete haben im Plenarsaal des Deutschen
Bundestages die Mehrheit.
({0})
Das sagt auch etwas über den Zustand der deutschen
Einheit.
({1})
„Müssen wir fast 25 Jahre nach dem Mauerfall noch
über Ost und West reden? Ist das nicht peinlich?“, wird
gelegentlich gefragt. Ja, das ist zuweilen peinlich. Aber
auch: Ja, wir müssen darüber reden. Dietmar Bartsch hat
hier über die wirtschaftliche und soziale Dimension der
Einheit gesprochen. Ich will über die historische und
kulturelle Dimension der deutschen Einheit reden und
auch darüber, warum wir uns zuweilen so schwer damit
tun; wenn Sie so wollen: über die ostdeutsche Seele. Ich
will Ihnen auch helfen, zu verstehen, warum die Ossis in
Ihren Augen so ein undankbares Wesen sind und so
komisch wählen.
({2})
1990 wurde bekanntlich im Deutschen Bundestag und
in der Volkskammer der DDR der Einigungsvertrag beschlossen. Fortan aber wurde viel dafür getan, den Einigungsvertrag als eine Art Kapitulationsurkunde oder Unterwerfungsabkommen umzudeuten. Das begann in den
90er-Jahren mit der Formel des Bundesministers Klaus
Kinkel, es gehe jetzt um eine Delegitimierung der DDR.
Auch wird heute noch die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz
damit gerechtfertigt,
({3})
dass wir eine unzureichende Distanzierung vom Unrechtssystem der DDR hätten. Ich sage Ihnen deshalb
noch einmal: Der Vertrag heißt Einigungsvertrag. Es ist
ein Einigungsvertrag zwischen zwei souveränen Staaten.
({4})
Lassen wir ein paar Personen mit ihren Fragen zu
Wort kommen. Eine Seniorin in Kamenz hat in der DDR
alleinerziehend für fünf Kinder gesorgt. Alle sind ihren
Weg gegangen, drei haben studiert, ihre älteste Tochter
ist Lehrerin. Sie fragt: Wäre das im anderen Deutschland
möglich gewesen?
({5})
Der DDR-Schriftsteller Hermann Kant schrieb unter anderem den Roman Der Aufenthalt. Dies ist auch ein
Buch über die Vertreibung als Kriegsfolge. Ich fand das
damals als junger Leser ebenso mutig wie aufrüttelnd.
Heute ist Kant geächtet, weil systemnah. Ist das historisch-kulturell gerecht?
Im Osten wird nicht der Stern gekauft, sondern die
Super Illu.
({6})
In der Chefetage des Stern wird Ostdeutschland schon
mal als verbrannte Erde bezeichnet. Ich habe natürlich
keinen Grund, hier Werbung für die Super Illu zu machen, aber sie wird deshalb im Osten gelesen, weil sich
die Leute dort mit ihrem Lebensgefühl und ihren Erfahrungen wiederfinden.
({7})
Im ostdeutschen Kleingartenverein ist Versammlung.
Da geht die Post ab. Da bleibt kein gutes Haar an der
bundesdeutschen Gartenbürokratie, und der Zustand der
Einheit wird so radikal kritisiert, wie es nicht einmal die
Linke schafft. Trotzdem wählen 40 Prozent dieser Kleingärtner die CDU. Das muss Ihnen doch zu denken geben.
({8})
Wir sagen Ihnen: Wer mit seiner Geschichte nicht
umgehen kann, dem können Gegenwart und Zukunft
nicht gelingen. Wie verschieden wir auch die Einheit gewollt haben, heute gilt: Ihr bekommt die Einheit nicht
ohne Geschichte, so sehr es auch versucht wird. Wo Einigungsvertrag draufsteht, ist auch ein Stück DDR-Geschichte drin.
({9})
Wer mit dem Siegen nicht aufhören kann,
({10})
der zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer
versucht, bei der Deutung der DDR die Enkel gegen die
Großeltern in Stellung zu bringen, der eint nicht, sondern
spaltet.
({11})
Etwa im Jahr 2000 haben die Ostdeutschen ihr Selbstbewusstsein wiedergefunden. Daran haben viele Südund Westdeutsche mitgewirkt, die in den Osten gingen.
Deshalb macht es Sinn, auch heute zu sagen: aus dem
Osten etwas Neues, aber für die ganze Republik. Etwas
Neues brauchen wir auch für die Bundesregierung. Fast
die Hälfte der Bundesregierung sitzt noch immer in
Bonn.
({12})
Deshalb rufen wir erneut zur Wiedervereinigung der
Bundesregierung in Berlin auf.
({13})
Wir Ostdeutschen halten uns nicht für die besseren
Menschen, aber einen Rat haben wir doch: Uns allen in
West und Ost, in Nord und Süd ginge es so viel besser,
wenn wir begreifen würden, wie viel wir aus den Umbrüchen, Niederlagen und Erfolgen im Osten lernen
könnten. Deshalb: selbstbewusst für den Osten!
({14})
Danke, Herr Kollege Claus. - Als nächsten Redner
rufe ich Dr. Christoph Bergner auf. Wir haben einige
Probleme gehabt, alle seine ehemaligen Titel richtig zu
benennen. Ich sage jetzt einfach: für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin, so ist es auch richtig. - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich gern bei Iris Gleicke für die Worte der Anerkennung bedanken, aber mehr noch für die kollegiale
Amtsübergabe, die wir vollzogen haben. Wir haben uns
in Opposition und Regierung natürlich auch gestritten,
aber die Kollegialität der Amtsübergabe beweist, dass
wir uns einem gemeinsamen Anliegen verpflichtet fühlen. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön!
({0})
Herr Kollege Claus, ich habe mir einen Satz aus Ihrer
Rede aufgeschrieben, weil ich ihn richtig finde: Wer mit
seiner Geschichte nicht umgehen kann, kann die Zukunft
nicht gewinnen. - Der Satz ist richtig. Ich wünsche mir
nur, dass Sie es auch auf die Geschichte Ihrer Partei und
Ihr Wirken in der DDR beziehen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will ein
weiteres Kompliment machen, und zwar dem Kollegen
Hauptmann, der seine Jungfernrede hier als eine Grundsatzrede gehalten hat, die es mir jetzt regelrecht schwer
macht, meine Punkte so zu sortieren, dass ich nicht in
Wiederholungen verfalle. Was, glaube ich, wichtig war
und besondere Beachtung verdient, ist der Umstand,
dass es darauf ankommt, über 20 Jahre nach der deutschen Einheit die Handlungserfordernisse im Zusammenhang mit der deutschen Einheit möglichst präzise
herauszuarbeiten und sie präzise zu benennen. Ich
denke, das haben Sie getan. Das war auch mein Bemühen bei den drei Berichten zum Stand der deutschen Einheit, die ich als Beauftragter für die Neuen Bundesländer
zu verantworten hatte.
Was den gegenwärtigen Bericht, den Bericht 2013,
betrifft, war es mir besonders wichtig, das Thema
„gleichwertige Lebensverhältnisse“ nicht nur im Kontext ökonomischer Kennziffern zu sehen, sondern auch
nach Indikatoren zu suchen, die darüber hinausgehen,
also nach Faktoren, die die Lebensqualität bestimmen
wie Kultur und Kultureinrichtungen, Bildungsleistungen, zivilgesellschaftliches Engagement und anderes übrigens alles Felder, auf denen wir durch wissenschaftliche Analysen eigene Expertise gewinnen konnten.
Es sind vor allen Dingen komplexe Indikatoren, die
uns zeigen, was wir erreicht haben, komplexe Indikatoren wie der Wanderungssaldo zwischen Ost und West,
der im Jahre 2012 praktisch ausgeglichen ist, wie die
Geburtenziffer, die nach 1990 dramatisch eingebrochen
ist und jetzt, auch wenn sie in Deutschland insgesamt
noch zu niedrig ist, wieder Vor-Wende-Niveau bzw. das
Niveau des Westens erreicht hat, oder wie die Kennziffer
der Lebenserwartung, in der sich sehr viele Punkte niederschlagen; bei den Frauen haben wir eine praktisch
vollständige Angleichung zu verzeichnen - und das bei
ursprünglich beträchtlichen Unterschieden -, und bei
den Männern haben wir eine doch weitgehende Annährung erzielt.
({2})
Das alles sind Indikatoren, die in ihrer Komplexität
zeigen, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben. Wir haben eine Lebensqualität, die in beachtlichem
Maße ausgeglichen ist. Wir haben wettbewerbsfähige
Unternehmen. Wir haben positive Arbeitsmarktzahlen;
Kollege Hauptmann ist sehr eindrücklich darauf eingegangen. Wir haben eine relativ hohe Quote der industriellen Wertschöpfung. Kurz: Wir haben im 25. Jahr
nach dem Mauerfall Anlass, im Hinblick auf das, was in
den letzten Jahrzehnten erreicht wurde, stolz und dankbar zu sein.
({3})
Vor diesem Hintergrund - ich sage ausdrücklich: vor
diesem Hintergrund - war es mir natürlich wichtig, in
dem Bericht noch ein anderes Kapitel zu berühren, und
zwar den Stand der öffentlichen Finanzen, der Länderfinanzen. Die ostdeutschen Länder standen in den letzten
zwei Jahren, was ihre Finanzen betrifft, ausgesprochen
gut da; das hören die Länderfinanzminister nicht gern,
aber es ist die Wahrheit. Sie standen gut da auch wegen
der Solidarpaktleistungen und der EU-Mittel. Aber wenn
man ihr eigenes Steueraufkommen analysiert, stellt man
fest, dass die Flächenländer Ost im Jahr 2012 bei 54 Prozent des Niveaus der finanzschwachen Flächenländer
West lagen; im Jahre 2000 waren es noch 30 Prozent.
Das unterstreicht die Bedeutung der Solidarpaktleistungen für den Zeitraum bis 2019. Es macht auch deutlich, wie wichtig ein Vorhaben, das in der Koalitionsvereinbarung fixiert wurde und das man sich vorgenommen
hat, ist, nämlich die Arbeit der Bund-Länder-Kommission zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und
entsprechender Strukturförderungen. Es macht schließlich deutlich, dass wir gut beraten sind, die Ursachen der
geringeren Steuerkraft anzugehen, die natürlich im Bereich der Wirtschaftskraft liegen.
Wir haben im letzten Bericht herausgearbeitet, dass
sich - Herr Kühn, Sie weisen zu Recht darauf hin - der
verbliebene Abstand beim Bruttoinlandsprodukt von
circa 20 bis 25 Prozent in den letzten Jahren kaum verändert hat, und versucht, zu analysieren, welches die Ursachen dieser Lücke sind. Wir sind dabei zu dem Schluss
gekommen, dass wir es vor allem mit strukturellen Ursachen zu tun haben, die mit der Unternehmensstruktur in
Ostdeutschland in Zusammenhang stehen: Dem Osten
fehlen Unternehmenssitze von Großunternehmen. Wir
haben dort deshalb Kleinteiligkeitsnachteile, die in einer
geringeren Ertragsbündelung und damit in einem geringeren Steueraufkommen resultieren. Entsprechend geringer sind deshalb auch - was nicht unterschätzt werden
darf - die wirtschaftseigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten.
({4})
In Westdeutschland sind 2010 2 Prozent des dortigen
Bruttoinlandsprodukts in wirtschaftseigene Forschungsund Entwicklungskapazitäten investiert worden. In Ostdeutschland waren es weniger als 1 Prozent, und das be1400
zogen auf das niedrigere Bruttoinlandsprodukt Ost. Wegen dieser Strukturnachteile ist wirtschaftseigene
Forschung und Entwicklung in Ostdeutschland deutlich
schwächer ausgeprägt. Die ostdeutsche Wirtschaft ist
ferner, um einen weiteren Punkt zu nennen, weniger
stark international verflochten, was sich in der Exportquote niederschlägt.
Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb gemeinsam
wichtige Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen:
Erstens. Wir brauchen im Osten weiterhin wachstumsfördernde Strukturpolitik, eine Fortsetzung des Solidarpakts, Investitionsförderung nach den Gemeinschaftsaufgaben und den Einsatz von Mitteln aus dem
EU-Strukturfonds sowie eine Überführung dieser Maßnahmen in ein System der Förderung strukturschwacher
Regionen nach 2019, Stichwort „Bund-Länder-Finanzkommission“.
Zweitens. Wir brauchen im Osten mehr öffentlich geförderte Finanzierung von FuE-Leistungen als im Westen. Die neuen Bundesländer haben in Europa die
höchste Quote an öffentlich geförderter FuE-Leistung.
Dies ist eine wertvolle und wichtige Voraussetzung für
zukünftiges Wirtschaftswachstum. Ich freue mich deshalb, dass im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu den
gemeinnützigen Forschungs-GmbHs enthalten ist. Ich
hoffe, dass die Länder auch bei der Kofinanzierung des
Hochschulpakts ihrer Verantwortung gerecht werden.
Ich denke, wir sollten auch weiterhin versuchen, kreativ
zu sein, beispielsweise wenn es um Fraunhofer-Zentren
oder anderes geht, wo die neuen Länder durchaus Vorläufer sein können.
({5})
Drittens. Wir brauchen eine Förderung der internationalen Verflechtung der Wirtschaft der neuen Bundesländer. Ich bin dankbar, dass im Koalitionsvertrag die besondere Bedeutung von Germany Trade and Invest für
die neuen Länder festgehalten wurde.
Viertens. Verflechtung und die Bildung innovativer
Cluster sind insgesamt wichtig für den Wettbewerb; für
die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer
ist diese Strategie jedoch überlebenswichtig.
Das sind gewissermaßen die strategischen Linien, die
im Koalitionsvertrag aufgezeigt werden und mit denen
wir in die Zukunft gehen können. Ich denke, wir sollten
versuchen, den Koalitionsvertrag kreativ auszufüllen
und nach weiteren Möglichkeiten für die Entwicklung
der neuen Bundesländer zu suchen, auch um die Lücke
in der Steuerkraft zukünftig schließen zu können.
Frau Kollegin Gleicke, als ich Ihnen eine glückliche
Hand wünschte, hatte ich noch etwas anderes im Blick,
nämlich das, womit ich in meinem Amt die meisten Probleme hatte: die Kontrolle der Wirkung von politischen
Maßnahmen - sei es in der Gesetzgebung oder sonst - in
Bezug auf eine besondere Betroffenheit der neuen Bundesländer. Das ist eine gigantische Herausforderung. Wir
haben über Einzelthemen ja sehr offen gesprochen.
Ich will, weil die Rentenrechtsänderung angesprochen wurde, noch einmal deutlich sagen: Die Lesart von
Herrn Bartsch, Kinder von Ostmüttern seien uns weniger
wert als Kinder von Westmüttern, ist allenfalls ein Beweis dafür, dass man das Rentenrecht nicht verstanden
hat.
({6})
Man kann natürlich aus Unkenntnis demagogisch werden, aber mit einer solchen Argumentation hilft man den
Menschen in den neuen Bundesländern überhaupt nicht.
({7})
Wir sollten eher darauf achten, dass wir den Vorteil
durch die Höherbewertung, der im Rentenrecht eine
wichtige Errungenschaft für die neuen Bundesländer ist,
nicht leichtfertig für ein Linsengericht aufgeben,
({8})
und versuchen, zu bewahren, was im gesamtdeutschen
Rahmen bewahrt werden kann.
Weil er ausdrücklich genannt wurde und unserem Koalitionspartner besonders wichtig ist, komme ich
schließlich noch zum Mindestlohn.
Fassen Sie sich beim Mindestlohn bitte kurz.
({0})
Ich gebe mir Mühe.
({0})
Danke.
Ich weiß von der Hoffnung, dass man mit einem einheitlichen Mindestlohn für eine hohe Zahl von Beschäftigten im Osten höhere Einkommen erreichen kann. Ich
bitte aber, nicht zu vergessen, dass diese Löhne von Unternehmen gezahlt werden müssen, die im Wettbewerb
stehen.
({0})
Ich bitte auch, nicht zu vergessen, dass wir im Osten
nach wie vor eine höhere Quote von Langzeitarbeitslosen haben. Wir haben bereits jetzt Schwierigkeiten, sie
in den Wirtschaftsprozess einzugliedern, und bei hohen
Lohnkosten werden diese Schwierigkeiten noch wachsen.
Wir stehen koalitionstreu zu der gefundenen Lösung,
({1})
aber
({2})
mein Appell und meine Bitte gehen dahin, nicht nur die
Vorzüge im Blick zu haben, sondern auch die Probleme
und Risiken, die im Osten regional sehr viel größer sind
als im Westen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Danke, Herr Kollege Dr. Bergner. - Nächste Rednerin
ist Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau
Gleicke, erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie zu
diesem Jubiläum auch so deutliche Worte zur Ukraine
gefunden haben. Gestern waren einige von uns doch
ziemlich erschüttert, weil aus den Reihen der Linken die
Frage gestellt wurde, warum man in der Ukraine überhaupt für Verfassungsänderungen auf die Straße gehen
müsse. Daher nochmals vielen Dank für Ihre deutlichen
Worte zu diesem Bereich.
({0})
- Die Zwischenfrage von Ihrem Kollegen aus NRW können Sie ja im Protokoll noch einmal nachlesen.
Es freut mich zudem sehr, dass es dieser Bericht heute
nicht nur auf die Tagesordnung geschafft hat, sondern
auch darauf geblieben ist; denn was es bedeutet, wenn
man Debatten über Berichte immer wieder vertagt, sieht
man an dem Thema Heimkinderfonds. In dem Bericht
von 2012 lesen wir Zahlen, die leider gar nicht mehr zutreffen. Ursprünglich wurde der Fonds mit 40 Millionen
Euro ausgestattet; heute sind die Kassen leer. Nun warten Zehntausende von Opfern des SED-Regimes, die in
diesen Heimen gelebt haben und zum Teil misshandelt
wurden, auf ihre Entschädigungszahlungen. Es ist gerade in einem Jubiläumsjahr wie diesem wirklich beschämend, dass hier weiter Pokerverhandlungen geführt
werden.
({1})
Ich hoffe sehr, dass das ständige Verschieben der Debatte über den Bericht kein Omen für das weitere Bemühen um den Stand der deutschen Einheit und auch kein
Omen für Sie ist, Frau Gleicke; denn es freut uns als
Bündnisgrüne wirklich sehr, dass Sie dieses Amt jetzt innehaben und wir somit eine sehr intensive Streiterin für
ostdeutsche Belange haben.
({2})
Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern wurde
schon darauf hingewiesen - auch der Bericht macht das
mehr als deutlich -, dass es sehr viele positive Entwicklungen gibt. Gerade in puncto Wirtschaftskraft, Löhne
und Arbeitslosenquote bestehen aber noch immer sehr
große Unterschiede.
Herr Hauptmann, ja, es hat deutliche Verbesserungen
bei den Arbeitslosenzahlen gegeben; aber von blühenden
Landschaften kann man zumindest bei mir in Brandenburg definitiv nicht überall sprechen.
({3})
- In Potsdam schon, aber nicht in Regionen der Uckermark mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit und in Städten mit
über 20 Prozent Arbeitslosigkeit. - Bei diesen Zahlen
sollte man auch einmal bedenken: Die Jobs, die seit 2011
neu entstanden sind, sind durch die Bank neue sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigungen, aber keine
Vollzeitbeschäftigungen.
({4})
Daran müssen wir weiter arbeiten.
({5})
Deswegen ist für uns Grüne die Laufzeit der Solidarpaktmittel bis 2019 einwandfrei klar. Ich stimme Ihnen
zu: Das muss man gerade in Richtung der Bundesländer
sagen, die hier Klagen führen wollen. Gerade die Korb-IIMittel müssen auf jeden Fall weiter zum Tragen kommen, weil diese Investitionsmittel auch in den weiteren
Jahren für die ostdeutschen Bundesländer essenziell
sind. Das bedeutet auch, dass wir nach 2019 die Regionen Ostdeutschlands weiter im Blick haben müssen,
ohne natürlich die strukturschwachen Regionen in Westdeutschland außer Acht zu lassen.
Es freut uns sehr, Frau Gleicke, dass Sie in Ihren Presseäußerungen sehr deutlich gemacht haben, dass wir diese
Probleme und Herausforderungen in Ost und West, Nord
und Süd gemeinsam angehen müssen. Wir hoffen sehr,
dass die Frage der finanziellen Ausstattung im kommenden Bericht eine ganz andere Bedeutung bekommen
wird. Jetzt steht in diesem Bericht dazu lediglich ein
ganz kleiner Absatz. Aspekte wie Kommunalaufsicht,
Kommunalverschuldung und Kassenkredite fehlen in
diesem Bericht völlig, obwohl es für die Regionen in
Ostdeutschland genauso wie für die in Westdeutschland
eine Herausforderung ist, dass die Kommunen gewisse
Aufgaben einfach nicht mehr erfüllen können.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Patzelt?
({0})
Ja.
Bitte schön, Herr Patzelt.
Meine Wortmeldung ist leider sehr spät wahrgenommen worden. Ich komme zurück auf Ihre erste Einlassung zur Frage der Entschädigung oder, wie wir es
sagen, der Hilfen für ehemalige Heimkinder in Ost und
West. Haben Sie sich persönlich die Zahlen einmal angeschaut, oder sind sie Ihnen von irgendjemandem kolportiert worden? Sie stimmen nämlich nicht mit den Zahlen
und der Situation überein, die wir auch im Ausschuss, in
dem Ihre Fraktionskollegen anwesend waren, diskutiert
haben und in dem wir auch von einem Vertreter des
Ministeriums die entsprechenden Antworten bekommen
haben, die deutlich machen, dass alles auf einem guten
Weg ist und dass in drei Wochen damit zu rechnen ist,
dass der Fonds in der bisherigen Weise weiterarbeitet.
Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihren Äußerungen hier im Parlament, die auch in die Öffentlichkeit getragen werden, diese ehemaligen Heimkinder
erneut verunsichern? Wir bringen das Ganze auf einen
guten Weg, und Sie äußern sich hierzu in einer Weise,
als läge hier alles im Argen, was gar nicht stimmt.
Ich weiß nicht genau, welche Zahlen Sie meinen.
Meinen Sie die Zahl von 40 Millionen Euro, die seit
2012 im Topf sind? Oder beziehen Sie sich auf die
10 000 Menschen, die auf der Warteliste stehen, weil die
Mittel aufgebraucht sind und es keine neuen Gelder für
den Fonds gibt? Sie haben gesagt, ich hätte falsche Zahlen genannt. Diese Zahlen habe ich genannt. Wenn Sie
diese als falsch ansehen, dann können Sie das vielleicht
einmal darstellen.
Ich habe auf die Problematik hingewiesen, dass die
Mittel - das war klar - zur Neige gingen. Das hätte hier
diskutiert werden können, hätten wir den Bericht aus
dem Jahre 2012 nicht erst im Jahre 2014 debattiert, sondern schon ein bisschen früher. Frau Gleicke hat eingangs noch einmal erwähnt, dass dieses Problem in den
letzten Wochen und Monaten immer wieder erörtert
wurde und dass man nicht zu einer Lösung gekommen
ist und dass es dazu auch in Ihrem Koalitionsvertrag
keine klare Aussage gab.
({0})
Das wurde jetzt im Bundestag diskutiert.
Wenn das in den nächsten Monaten auf den Weg gebracht wird, ist das gut. Aber derzeit ist es so, dass viele
Menschen verunsichert sind, weil gesagt wurde: Diejenigen, die nach dem Windhundprinzip schon etwas bekommen haben, können sich freuen. Diejenigen, die später kommen, werden wohl weniger erhalten.
({1})
Darüber wurde in den letzten Wochen immer wieder diskutiert: vor Ort, in der Presse und auch sonst. Es ist
wichtig, dass da Druck erzeugt wurde, um dieses Problem endlich anzugehen.
({2})
Erlauben Sie eine Nachfrage oder Nachbemerkung?
Ja.
Bitte schön.
Sie haben davon gesprochen, dass in dieser Sache gepokert wird. Das ist doch schon eine sehr merkwürdige
Behauptung, wenn alle Äußerungen, die sowohl vom
Ministerium als auch von Fachpolitikern kamen, eindeutig waren und nie Zweifel daran ließen, dass diese Entschädigungen in gleicher Höhe weitergezahlt werden.
Worüber Journalisten spekulieren, ist eine andere Frage,
aber das ist nicht Gegenstand unserer Diskussion hier.
Eine Diskussion kann es nur auf der Grundlage verlässlicher Aussagen vonseiten der Bundesregierung und auch
der Politiker geben.
Ich bitte Sie noch einmal: Es geht mir darum, dass
diejenigen, die schon viel Leid erfahren haben, nicht
durch solche Diskussionen und Behauptungen wieder
verunsichert werden.
Danke.
({0})
Ich glaube nicht, dass die Menschen dadurch, dass
dieses Thema in einer Plenarsitzung des Bundestages einen hohen Stellenwert hat, verunsichert werden und sie
den Eindruck gewinnen, dass wir dieses Thema nicht
ernst genug nehmen. Es ist nach wie vor unklar, wie die
Gelder zwischen Bund und Ländern verteilt werden. Es
wird derzeit diskutiert, wer welchen Anteil zahlt. Dass es
nach wie vor Diskussionen zwischen Bund und Ländern
über die Aufteilung gibt, bestreiten Sie sicherlich auch
nicht.
Wenn wir uns in diesem Hause alle darin einig sind,
zu einer guten Lösung zu kommen, ist das umso besser.
Aber ein gewisser Druck ist immer wieder wichtig, damit das nicht auf die lange Bank geschoben wird.
({0})
Danke, Herr Kollege. - Jetzt geht es mit der Rede
weiter.
Wenn wir uns in den nächsten Jahren in Ost und West,
Nord und Süd gemeinsam aufstellen wollen, dann ist es,
glaube ich, wichtig, dass der Bericht in Zukunft eine andere Struktur erhält, als nur eine Aneinanderreihung von
Zahlen zu sein. Im Anhang gibt es eine lange Tabelle mit
allen Maßnahmen, was durch die Bank weg gemacht
wurde. Es gibt keine Evaluation, was wie gewirkt hat,
sondern man hat alles aneinandergeklatscht.
Dabei war eigentlich der Arbeitsauftrag - das steht
auf Seite 3 des Berichtes -, „ihre Politik“ - also die Politik der Bundesregierung - „zur Angleichung der sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebensbedingungen der Menschen im vereinten Deutschland“
darzustellen. In dem Bericht wird aber nicht die Politik
dargestellt. Es wurde nicht gefragt: Was wurde gemacht?
Wie hat das gewirkt? Was haben wir daraus gelernt?
Stattdessen wurden nur Zahlen dargestellt, ohne sie irgendwie auszuwerten.
Wenn wir jetzt gemeinsam daran arbeiten wollen, ist
es, glaube ich, auch mit Blick auf die Zeit nach 2019
wichtig, zu fragen: Was lernen wir aus den letzten
25 Jahren? Statt nur Zahlen aneinanderzureihen, sollten
wir fragen: Was ist die Wirkungskontrolle unserer Politik? Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen das gerade
mit Blick auf Ostdeutschland dringend notwendig gewesen wäre.
Nehmen wir zum Beispiel die Extremismusklausel. In
dem Bericht wird zwar das Thema Demokratie angesprochen, aber zu dem Stichwort „Extremismusklausel“
ist darin nichts enthalten. Was ist denn passiert, als man
diese Klausel eingeführt hat? Wie hat man die Organisationen gerade in Ostdeutschland verunsichert, ob sie mit
ihrer politischen Arbeit noch wirken können? Dazu steht
in dem Bericht nichts.
({0})
- Darauf komme ich gleich.
Dann hat man von SPD-Seite versprochen, das zu ändern. Jetzt hat Frau Schwesig einen Vorschlag gemacht,
der an der eigentlichen Tatsache in der Substanz nicht
viel ändert.
({1})
Genau solche Punkte sollte man auch in solchen Bereichen selbstkritisch diskutieren.
({2})
Dass Sie auch den Mindestlohn wieder infrage gestellt haben, hat mich sehr überrascht, Herr Bergner, obwohl Sie das im Koalitionsvertrag richtigerweise festgeschrieben haben.
({3})
Ich bitte Sie, sich auch beim Mindestlohn kurzzufassen, weil Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben.
In Brandenburg hat man nach jahrelangem Ringen
unter Rot-Rot endlich im Vergabegesetz einen Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt. Ursprünglich waren es
übrigens 8 Euro, liebe Linke.
({0})
Die Betriebe, die, wie Sie behaupten, deshalb plötzlich zusammengebrochen sind, gibt es nicht. Dass kleine
Betriebe in Brandenburg deshalb zusammengebrochen
sind, weil sie diesen Lohn nicht zahlen können, stimmt
nicht. Der Hinweis „Kann man sich das im Osten überhaupt leisten?“ ist an den Haaren herbeigezogen. Man
kann es sich nicht nur leisten, sondern man muss es sich
leisten: zum Wohle der Menschen und der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland.
({1})
Was man in fast allen europäischen Ländern schafft,
wird man wohl auch in der stärksten Wirtschaftsnation
Europas schaffen, nämlich endlich einen gesetzlichen
Mindestlohn einzuführen.
Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
In diesem Sinne komme ich zum Ende.
Vielen Dank.
({0})
Danke schön. Nicht dass Sie denken, der Mindestlohn
interessiert uns hier im Präsidium nicht, aber ich muss
auf die Einhaltung der Redezeit achten; denn sonst gibt
es zumindest Ärger.
Nächster Redner ist Wolfgang Tiefensee für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
25 Jahre friedliche Revolution: Das lädt dazu ein, zu vergleichen. Wie sah es 1989 aus, und wie sieht es 2014
aus? Jeder wird wohl sagen, wir haben in diesen 25 Jahren Unglaubliches geschafft, und das nicht zuletzt wegen
der Menschen in Ostdeutschland, der Solidarität derer in
Westdeutschland, aber nicht zuletzt auch wegen einer
guten Politik über diese 25 Jahre.
({0})
Man kann einen anderen Vergleich ziehen. Man kann
vergleichen, wie es in Ost- und Südosteuropa aussieht.
Dort gab es vergleichbare Verhältnisse. Auch im Vergleich dazu sind wir gut vorangekommen.
Mir geht es heute wie Ihnen auch noch einmal um den
Vergleich zwischen Ost und West. Sehr verehrte Frau
Staatssekretärin, zunächst einmal Glückwunsch zum
Amt und auf gute Zusammenarbeit! Wir haben in diesem
Bericht einen Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmenwechsel wurde auch in Ihrer Rede zur Einführung deutlich; Ihre Handschrift wird im nächsten Bericht erkennbar sein. Zum ersten Mal geht es - das haben wir ganz
deutlich gehört - neben dem Vergleich zwischen Ost und
West um den Vergleich von Regionen, zum Beispiel von
strukturschwachen Regionen. Herr Bartsch - er ist leider
nicht mehr da -, Herr Kühn, die entscheidende Frage ist:
Wenn wir damit Ernst machen, dann müssen wir ein
Stück weit wegkommen von den Vergleichen zwischen
Ost und West und müssen auf die Regionen schauen.
Es gibt Parameter, die zwischen Ost und West verglichen werden müssen, aber es gibt noch mehr Parameter,
die wir auf die Regionen beziehen müssen. Ich will deutlich machen, wie ich das meine. Wenn wir über die wirtschaftliche Entwicklung sprechen und uns die Wirtschaftskraft ansehen, dann müssen wir feststellen, dass
die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland 71 Prozent des
durchschnittlichen Niveaus Deutschlands beträgt - furchtbar. Wenn man aber zum Beispiel das BIP pro Einwohner auf Ebene der Bundesländer betrachtet - nehmen wir
Berlin mit 29 000 Euro heraus -, dann stellt man fest,
dass Sachsen mit 23 000 Euro pro Einwohner recht nah
an Schleswig-Holstein mit 27 000 Euro pro Einwohner
liegt.
Schauen wir uns die Arbeitslosenquote an. Ein Vergleich zwischen Ost und West fällt katastrophal aus; sie
ist im Osten doppelt so hoch. Vergleicht man aber das
Land Sachsen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, dann
sieht man, dass es zu einer Angleichung kommt. Ich plädiere dafür, Frau Staatssekretärin, dass wir neben dem
Vergleich, der üblicherweise gezogen wird, im zukünftigen Bericht noch mehr die Regionen betrachten. Da
spielt eine Rolle, dass es zum Beispiel Leipzig wirtschaftlich gesehen wesentlich besser geht als Duisburg.
Natürlich gibt es zentrale Probleme. Das eine Problem ist die Arbeitslosigkeit; ich habe sie bereits angesprochen. Wir brauchen neue Programme. Die Bürgerarbeit muss weiterentwickelt werden.
Das zweite Problem betrifft die Wirtschaftskraft. Ich
nenne die GA „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, denke aber auch an die überregionalen, die nationalen Programme, die auch im Osten greifen. Hier
müssen wir zulegen. Das gilt auch für den Investitionszuschuss Wagniskapital. Es ist ganz wichtig: Es fließt zu
wenig in den Osten. Hier müssen wir eine Menge tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 25 Jahre
friedliche Revolution laden aber auch dazu ein, zu
schauen, wie es eigentlich um unsere Demokratie steht,
welchen Blick die Menschen, insbesondere die jungen
Menschen, auf die Zeit vor 1989 haben. Ich möchte den
Rest meiner Redezeit darauf verwenden, einen Blick darauf zu werfen; dies haben wir auch gerade von der
Linksfraktion gehört. Ich möchte daran erinnern, dass es
zu 25 Jahren friedlicher Revolution gehört, dass wir eine
Erinnerungskultur entwickeln, dass wir jeglicher Verklärung, jeglicher Schönfärberei entgegentreten, damit es
nicht wieder vorkommt, dass eine Diktatur in den Alltag
einzieht oder die Demokratie von welcher Seite auch immer gefährdet wird.
({1})
Ich darf daran erinnern: Es gab viele Menschen, namentlich aus der Sozialdemokratie, die aus den Konzentrationslagern gekommen sind und anschließend wieder
eingesperrt worden sind; aus meiner Heimatstadt kommt
zum Beispiel Erich Loest, 1957 für siebeneinhalb Jahre
im Zuchthaus Bautzen eingesperrt. 138 Opfer gab es an
der Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989, 872 Menschen haben ihr Leben an der innerdeutschen Grenze
verloren, 200 000 bis 250 000 Menschen sind aus politischen Gründen inhaftiert worden.
Es gibt aber auch Opfer rechtsextremer Gewalttaten
nach 1989, übrigens in ganz Deutschland. Wir müssen
aufpassen, dass es hier nicht zu einer weiteren Verstärkung kommt. Danke, Frau Schwesig, dass Sie die Extremismusklausel abgeschafft haben.
({2})
Wir haben jährlich 800 bis 1 000 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Die offiziellen Zahlen besagen, dass 63 Menschen durch Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund umgekommen sind; die Zahlen der
Opferberatungsstellen besagen sogar 180 Todesopfer.
Wenn wir einerseits eine Diktatur vor 1989 verklären
und wenn wir es andererseits zulassen, dass eine andere
Diktatur, nämlich die bis 1945, verherrlicht wird und daraus solche Straftaten geschehen, dann ist unsere Demokratie nicht sicher und muss immer wieder erkämpft
werden.
Ich freue mich auf den nächsten Bericht, der zu all
diesen Themen sicherlich in neuer Weise Stellung nehmen wird. Auf gute Zusammenarbeit!
Vielen Dank.
({3})
Danke, Herr Kollege Tiefensee.
Nächster Redner in der Debatte ist Eckhardt Rehberg
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zum Thema Heimkinder wollte ich eigentlich
nichts sagen. Da die Kollegin der Grünen darauf so ausEckhardt Rehberg
führlich eingegangen ist, nur so viel: Erstens. Es war vor
zwei Jahren schwierig, valide Zahlen zu bekommen.
({0})
Zwischen 1949 und 1990 sind fast 500 000 Kinder in der
DDR durch Heime gegangen. Torgau ist sicherlich nur
die Spitze des Eisbergs. Es gab in der DDR breit verstreut Spezialkinderheime und Übergangsheime und
kein Zentralarchiv. Deswegen war es sehr schwierig, damals valide Zahlen zu bekommen. Frau Baerbock, ich
möchte Ihren Einlassungen entgegentreten. Hier wird
nicht gepokert. Kollege Heil hat vorhin in einem anderen
Zusammenhang zugerufen, an geschlossene Verträge
müsse man sich halten. Das ist unsere Forderung gegenüber den Ländern. Es bleibt bei der 50/50-Verteilung.
Dann brauchen wir in einem zweiten Schritt wirklich
valide Zahlen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben
40 Millionen Euro im Fonds. Im Augenblick stehen aber
200 Millionen Euro in Rede. Da die Betroffenen lediglich eine Plausibilitätserklärung abgeben müssen, muss
die Entscheidung, wenn wir eine solche zugunsten des
Fonds treffen, tragfähig sein, und zwar nicht nur heute,
sondern auch morgen und übermorgen. Ich kann für die
Unionsfraktion an dieser Stelle erklären, dass wir zu unserer Verantwortung stehen und das ausfinanzieren werden. Ich sende aber gleichzeitig den Appell an die Länder, auf gleiche Art und Weise zu ihrer Verantwortung zu
stehen.
({1})
Wer sich ein bisschen damit befasst hat, was in den in
Rede stehenden Heimen geschehen ist, weiß, dass dort
zum Beispiel Zehn-, Zwölf-, Dreizehn- und Vierzehnjährige Kinderarbeit und Nachtarbeit verrichten mussten.
Kollege Tiefensee, Sie haben die Erinnerungskultur angesprochen. Gerade dieses Thema eignet sich besonders
gut, den Unrechtsstaat DDR zu beschreiben. Der Umgang mit Kindern in den damaligen Heimen der DDR
stellt Menschenrechtsverletzungen dar, wie ich sie mir
persönlich nicht vorstellen konnte. Die Aufarbeitung
hier tut dringend not.
({2})
Wenn wir nun Vergleiche und Bilanzen ziehen, dürfen
wir nicht vergessen, dass die meisten neuen Bundesländer mittlerweile ihre Hausaufgaben betreffend die Landeshaushalte gemacht haben. So haben 2013 Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen
und sogar Berlin und Sachsen-Anhalt Finanzierungsüberschüsse aufzuweisen. Das heißt, der Solidarpakt
greift. Einige Länder sind zur Schuldentilgung übergegangen. Es werden Rücklagen für Pensionsfonds gebildet. Aber wir dürfen an dieser Stelle nicht vergessen,
dass der Bund viele Aufgaben übernimmt. So übernimmt er ab 1. Januar 2014 die Grundsicherung im Alter
komplett. Das sind für ganz Deutschland 5 Milliarden
Euro und für mein Heimatbundesland 75 Millionen
Euro. Beim Krippenausbau hat der Bund seine Verpflichtungen hundertprozentig erfüllt, genauso beim
Hochschulpakt. Hinzu kommen Entflechtungsmittel in
Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro, mit denen die Länder nicht rechnen konnten. Ich war 15 Jahre Mitglied eines Landtags und bin nun Abgeordneter des Bundestags.
Meine dringende Forderung an die Länder lautet, dass
das, was für Hochschulen, Kommunen, den öffentlichen
Personennahverkehr und die Förderung des sozialen
Wohnraums vorgesehen ist, auch dafür eingesetzt wird
und nicht irgendwo im Landeshaushalt verschwindet.
({3})
Ich spreche das deswegen so dezidiert an, weil die
Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer folgenden
Beschluss gefasst haben - viele wissen das nicht; daran
sind alle beteiligt, die Linke über die Regierungsbeteiligung in Brandenburg genauso wie SPD und Union -:
Insbesondere wurde die Bundesregierung dazu aufgefordert, angesichts der zurückgehenden Strukturfondsmittel in der Förderperiode ab 2014 und des
Wegfalls der Investitionszulage von der Auflage
von Bundesprogrammen im Bereich EFRE und
ESF abzusehen und diese Mittel vollständig den
Ländern zur Verfügung zu stellen.
Allein im Zeitraum von 2009 bis 2013 sind EFRE-Mittel
in Höhe von 1,1 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte
in den neuen Ländern geflossen.
Schauen wir uns einmal das Thema A 14 an. Auf
mecklenburg-vorpommerschem Gebiet werden wir bis
2015 die EFRE-Mittel ausgeben können. Aber was ist
mit Sachsen-Anhalt? Sachsen-Anhalt ist eines der wichtigen Gebiete für die Seehafenhinterlandanbindung und
die wichtigen transnationalen Netze. Dafür werden keine
EFRE-Mittel mehr zur Verfügung stehen. Die aktuelle
Kostenschätzung beträgt übrigens 525 Millionen Euro.
Wer glaubt, dass der Bund die rund 1 Milliarde Euro
aus seinem Bundeshaushalt wird ersetzen können, der
irrt sich. Dazu kommt noch etwas - ich spreche das sehr
offen an; Kollege Tiefensee kennt die Finanzierungspraxis -: ein Drittel EFRE-Mittel, ein Drittel Bundesmittel,
ein Drittel Länderquote. Das heißt, die 1,1 Milliarden
Euro sind eigentlich 1,5 Milliarden Euro bis 1,7 Milliarden Euro. Ich spreche das auch deswegen an, weil wir
uns in unserer Fraktion ganz massiv für die transeuropäischen Korridore eingesetzt haben. Welchen Sinn macht
denn Ihr Beschluss, meine Damen und Herren Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten? Wir setzen uns
für den transeuropäischen Korridor über Ungarn, Prag/
Tschechien, Dresden, Berlin an die Ostseeküste und
nach Hamburg ein, wir müssen die Strecke Prag-Dresden-Berlin schienenmäßig ausbauen, wir müssen die
A 72 fertigstellen, wir müssen die A 14 fertigstellen, und
Sie fassen so einen Beschluss und entziehen uns Mittel
für den Aufbau in den neuen Bundesländern.
({4})
Kollege Tiefensee, Sie haben hier von Regionen gesprochen. Wenn ich Entwicklungen regional betrachte,
dann muss ich auch das Thema Lohn regional betrachten. Übrigens, es gibt natürlich ein Einkommensgefälle
in Hessen, zwischen Nordhessen und Südhessen. Fragen
Sie den Kollegen Wichtel. Natürlich gibt es ein Einkommensgefälle zwischen Schleswig-Holstein und Bayern
oder Baden-Württemberg. Der IG-Metall-Tarif ist nicht
gleich.
({5})
- Lassen Sie mich ganz in Ruhe weitersprechen. Ich
stehe zu abgeschlossenen Verträgen. Ich finde es sehr
gut, dass wir eine dreijährige Übergangszeit haben.
Ich will Ihnen kurz eine Rechnung aufmachen. Bei
1 Euro brutto mehr Lohn müssen in einem kleinen Friseurbetrieb oder in einem kleinen Gastronomiebetrieb
4 000 Euro mehr Umsatz erzielt werden, damit diese Betriebe eine schwarze Null schreiben. Das ist ganz einfach: 1 Euro mehr Lohn für den Angestellten bedeutet
2 Euro Personalkosten für den Arbeitgeber. Das multipliziert mit 170 Stunden und zwölf Monaten ergibt diese
Summe. So einfach ist die Rechnung. Wer hier so leichtfertig über dieses Thema hinweggeht, dem rate ich dringend: Gehen Sie vor Ort und fragen Sie die Unternehmerinnen und Unternehmer. Manche, Frau Baerbock,
werden diese Kosten über eine Erhöhung der Preise
nicht kompensieren können. Das wird nicht möglich
sein. Wo dann die Kosten eingespart werden, damit der
Betrieb weiterleben kann und Arbeitsplätze erhalten
werden können, weiß man nicht. Sich so einfach hier
vom Acker zu machen, das ist mir ein bisschen zu billig.
({6})
Herr Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
eine Bemerkung vom Kollegen Tiefensee?
Immer. Gerne.
Bitte.
Herr Rehberg, die Frau Präsidentin hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Mindestlohn ein
Hauptthema ist.
Deswegen habe ich ihn zwei Minuten vor Ende meiner Redezeit angesprochen.
({0})
Weil das so oft kommt, muss ich doch einmal darauf
reagieren. Ich will meine Frage an dem konkreten Beispiel festmachen, das Sie gerade genannt haben. Wir
beide haben eine ähnliche Frisur.
({0})
Ist das die Frage: Warum?
Nein, das war zunächst eine Feststellung.
({0})
Das droht manchem, der jetzt noch lacht.
Ich bin unlängst, wie auch Sie, beim Friseur gewesen,
und zwar in Leipzig. - Sieht man es nicht? - Bei diesem
Friseur steht ein Schild mit der Aufschrift: Meine sehr
verehrten Damen und Herren, wir müssen ab August 2013 einen höheren Preis nehmen, weil wir einen
höheren Tariflohn zahlen. - Sie wissen, das geht in Stufen von 2013 über 2014 bis 2015 bis auf 8,50 Euro. Ich
habe die Dame, während sie beschäftigt war, gefragt:
Wie gehen denn die Kunden jetzt damit um? Sie hat mir
zwei Antworten der Kunden genannt. Die erste war:
Ach, wir wussten gar nicht, dass Sie weniger als
7,50 Euro verdienen. - Die zweite Antwort der Kunden
war: Wenn dieses Geld, das wir bezahlen, direkt in Ihre
Tasche geht, dann sind wir bereit, es zu zahlen.
({1})
Warum soll das nicht funktionieren? Oder umgekehrt:
Was haben Sie, Herr Rehberg, eigentlich für eine Idee,
wenn immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird,
dass in Ostdeutschland die Dumpinglöhne beendet werden müssen und wir nicht mit niedrigen Löhnen in Ostdeutschland werben dürfen, wenn wir nicht auf diese Art
und Weise eine Lohnuntergrenze einziehen und somit
ein Netz schaffen?
Ich bin immer sehr für soziale Netze, die engmaschig
sind; aber sie müssen natürlich auch verkraftbar sein.
Ich komme Ihnen jetzt einmal mit einem anderen Beispiel: Ein Gastronomieunternehmer mitten in Mecklenburg - strukturell sehr schwach gelegen; Träger ist ein
Wohlfahrtsverband; rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - muss allein für den Mindestlohn 25 000 Euro
aufwenden. Aber das ist ja noch nicht das Ende: Der
Koch, der heute 8,70 Euro verdient, will 10,70 Euro bekommen; na klar. Dann kommen für diesen Unternehmer noch 75 000 Euro an Lohnkosten dazu: Damit ihm
das Sozialgefüge in seinem Betrieb nicht auseinanderbricht, damit dort nicht Neid und Missgunst herrschen,
müssen nämlich alle anderen Löhne an- und ausgeglichen werden.
({0})
Insgesamt sind es rund 100 000 Euro Lohnkosten, die
durch mehr Umsatz ausgeglichen werden müssen. Wissen Sie, um wie viel der Umsatz eines solchen Unternehmens steigen muss? Um 20 Prozent.
Noch einmal - damit ich hier nicht missverstanden
werde -: Ich stehe zu dem, was im Koalitionsvertrag
steht. Ich wehre mich bloß gegen einseitige Betrachtungen, die so weit gehen, dass Gewerkschaftsvorsitzende
sagen: Mir ist ganz egal, was aus den Arbeitsplätzen
wird. - Ich muss Ihnen sagen: Mir ist das gerade mit
Blick auf mein strukturschwaches Heimatland, auf meinen strukturschwachen Wahlkreis nicht egal.
({1})
Kollege Bergner ist auf das Thema Rente schon eingegangen. Man sollte darüber in aller Ruhe nachdenken.
Ich finde, es ist eine eindimensionale Betrachtung, wenn
hier nur von der Rentenangleichung geredet wird. Ein
einheitliches Rentenrecht Ost und West bedeutet zwar
den gleichen Rentenwert, bedeutet aber auch, dass die
Höherbewertung der Löhne automatisch wegfällt.
({2})
- Natürlich. Welchem Lohnempfänger in Kiel, in Flensburg oder in Lüneburg wollen Sie denn bitte klarmachen,
Herr Kollege, dass zwar in ganz Deutschland der gleiche
Rentenwert gilt, dass sein Lohn nicht höher bewertet
wird, dass die Löhne der Menschen in den neuen Bundesländern aber weiterhin höher bewertet werden? Das
kann man doch niemandem klarmachen. Entschuldigen
Sie, bitte!
Ich bitte wirklich alle Kolleginnen und Kollegen ganz
herzlich darum, zu bedenken - die Statistiken und Bilanzen können Sie gerne in meinem Büro anfordern -: Jeder
Bruttolohn im Osten führt heute, wo die Durchschnittsrente im Osten 91,5 Prozent der Durchschnittsrente im
Westen ausmacht, aufgrund der Höherbewertung dazu,
dass die Rentenanwartschaften im Osten höher als im
Westen sind. Und diesen Vorteil sollen wir Ostdeutschen
uns leichtfertig nehmen lassen?
Meine letzte Bemerkung an dieser Stelle. Schauen Sie
sich einmal die Höherbewertungsfaktoren bei der Mütterrente aus den 1970er- und 1980er-Jahren an: Damals
wurden die Lohnhöhen teilweise mit dem Faktor 3,3
malgenommen. Jetzt schauen Sie sich einmal die Altersarmutsstatistiken in Ostdeutschland an: Strukturell gibt
es dort nur halb so viele Menschen in der Grundsicherung im Alter, also in der Altersarmut, wie in Westdeutschland. Der Faktor „Höherbewertung der Löhne für
die Rente“ hat mit dazu beigetragen, dass die Altersarmut im Osten nur halb so groß ist wie im Westen.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist Daniela Kolbe für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich meinen
Dank an Herrn Dr. Bergner richten, der den „Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2013“, über den
wir heute sprechen, erarbeitet hat. Ihn präsentiert hat allerdings - das ist manchmal so im Leben - jemand anders. Hier war es Iris Gleicke. Ich möchte an dieser
Stelle Herzlichen Glückwunsch sagen. Für mich ganz
persönlich, aber auch für die gesamte SPD-Fraktion
möchte ich zum Ausdruck bringen: Wir freuen uns riesig
auf die Zusammenarbeit mit dir im neuen Amt.
({0})
Uns alle, die sich hier gerade in diesem Raum aufhalten, eint die Grundhaltung, dass auch 25 Jahre nach der
friedlichen Revolution die Frage der deutschen Einheit
und des Aufbaus Ost nach wie vor ein wichtiges Thema
ist. Dafür gibt es für mich zwei große Begründungsstränge:
Der eine Begründungsstrang ist: Die innere Einheit ist
nach wie vor nicht vollendet. Ich bin über eine ForsaUmfrage von Dezember letzten Jahres gestolpert. Darin
ist nach der Mauer in den Köpfen gefragt worden.
60 Prozent der Befragten sagten: Ja, es gibt die Mauer in
den Köpfen noch. - Bei den Älteren ist diese Vorstellung
noch stärker ausgeprägt. Aber auch von den Jüngeren,
den 18- bis 29-Jährigen, sagt mehr als die Hälfte, dass da
noch eine Mauer in den Köpfen und das Zusammenwachsen eben noch nicht vollendet sei.
Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass wir nach
wie vor eine Beauftragte für die neuen Länder haben. Es
gibt spezifisch ostdeutsche Themen, auf die man spezifisch gucken muss. Es gibt spezifische Ungerechtigkeiten, die wir angehen müssen. Es gibt auch einen ganz
unterschiedlichen Erfahrungshintergrund, unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Empfindungen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Beauftragte für die
neuen Länder nach wie vor haben.
Der zweite Punkt ist die Frage der Angleichung der
Lebensverhältnisse. Es ist eine der treibenden Fragen für
alle Menschen, die Politik machen, dass Menschen gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden. An dem Punkt
wird klar, dass wir den Aufbau Ost weiterentwickeln
müssen, dass es nicht mehr darum geht, nach Himmelsrichtung zu unterscheiden. Wir sehen dynamische Regionen in Ostdeutschland - Jena, Leipzig und andere -,
wo es richtig brummt, aber auch solche Regionen, wo es
noch nicht so gut läuft. Wir sehen weiter, dass es auch in
den sogenannten alten Bundesländern Regionen gibt, die
Unterstützung brauchen.
Ich bin sehr froh, dass die jetzige Bundesregierung
den ganzen Aufbau Ost zweigeteilt neu aufstellt. Es geht
darum, einerseits regionale Unterschiedlichkeiten zu sehen, andererseits aber auch spezifisch ostdeutsche Themen weiter auf der Agenda zu haben. Dafür steht Iris
Gleicke ganz eindeutig.
({1})
Wir brauchen da eine andere Tonlage. Ich glaube, wir
haben die auch. Es ist nicht mehr so, dass die Ostdeutschen die Schwächeren sind, diejenigen, die empfangen
und die man belehrt, während die Westdeutschen die solidarischen Geber sind, die alles besser wissen. Nein, es
hat sich verändert. Wir sind mittlerweile auf Augenhöhe.
Die innere Einheit kann auch nur dann wirklich gelingen, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. An vielen
Stellen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man
auch vom Osten lernen kann - Demografie, Städtebau,
Kitas -, und das ist auch gut so.
Jetzt ist die Beauftragte für die neuen Länder im Wirtschaftsministerium. Das ist in Ordnung. Aber es gibt natürlich auch im Bereich Arbeit und Soziales viele Themen, die spezifisch für Ostdeutschland sind und die das
Gerechtigkeitsempfinden der Ostdeutschen nach wie vor
sehr stark beeinflussen. Der als zentral empfundene Unterschied bei der Gerechtigkeit wird im Rentensystem
gesehen. Das ist so. Wir haben jetzt schon viel darüber
gehört.
Ich persönlich bin deshalb stolz, dass sich diese Bundesregierung vorgenommen hat, die Rentensysteme in
Ost und West anzugleichen. Ich bin stolz, weil das kompliziert ist, weil das auch Geld kosten kann. Ich sage
aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Das müssen wir jetzt wirklich umsetzen. Noch einmal dürfen wir die Menschen in Ostdeutschland an dieser Stelle nicht enttäuschen.
({2})
Da kommt kurz vor Ende der Redezeit natürlich noch
einmal der Mindestlohn ins Spiel.
({3})
- Das muss sein.
Noch 30 Sekunden.
Tatsächlich ist es so: Die Rentenlücke würde sich automatisch schließen,
({0})
wenn die Löhne in Ost und West gleich wären. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt den Mindestlohn einführen. Er wird einen Gutteil der Rentenangleichung in
Ost und West erledigen. Davon profitieren die Menschen
in Ostdeutschland, davon profitieren die Rentner, und
davon profitiert auch das Gerechtigkeitsempfinden in
Ost und West.
Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber ich weiß, wer
mir im Rücken sitzt.
({1})
Insofern bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und
freue mich auf den nächsten Bericht zum Stand der
Deutschen Einheit.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin. Vielen Dank auch, dass
Sie Ihre Redezeit eingehalten haben. - Jetzt kommt der
Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion als
letzter Redner in dieser Debatte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe mir vorgenommen, am Ende der Debatte ein paar zusammenfassende Bemerkungen zu machen. Trotzdem werde ich bei einem Punkt wahrscheinlich noch einmal ins Detail gehen müssen.
({0})
Erster Punkt. Herr Kühn, niemand in dieser Runde
oder überhaupt hat behauptet, dass es in Ostdeutschland
nur blühende Landschaften gibt. Nur blühende Landschaften gibt es in keinem Staat dieser Welt, nicht im
Westen und auch nicht im Osten. Aber zu bestreiten,
dass es überhaupt solche gibt, halte ich für eine Unverschämtheit.
({1})
- Ich habe genau zugehört.
Ich höre aus den verschiedenen Beiträgen heraus,
({2})
dass sich die Kritik hauptsächlich auf die noch nicht
ganz zustande gekommene Angleichung zwischen Ost
und West konzentriert. Natürlich kann man eine solche
Debatte zum Anlass nehmen, um darauf zu verweisen;
keine Frage. Allerdings sollte meines Erachtens die Bewertung dieser Unterschiede weit weniger schwer wiegen als die Beachtung dessen, was bis heute seit 25 Jahren geleistet worden ist. Das ist auch eine Frage der
Fairness gegenüber denjenigen, die das geleistet und die
das ermöglicht haben.
Ich habe eine jüngere Schwester,
({3})
die, obwohl ich als Kind im Vergleich zu meinen Klassenkameraden sehr klein war, immer wesentlich kleiner
als ich gewesen ist: als sie ein Jahr alt war, als sie fünf
Jahre alt war, als sie sieben Jahre alt war. Das hing damit
zusammen, dass wir zu unterschiedlichen Zeiten geboren sind.
Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Beide Gesellschaften, die ostdeutsche wie die westdeutsche, die
sich schon einen enormen Wohlstand erwirtschaftet
hatte, wachsen natürlich weiter. Demzufolge sind natürlich auch solche Unterschiede noch weiter spürbar. Aber
von den jungen Demokratien, die 1990 sozusagen neu
geboren wurden, ist die ostdeutsche mit Abstand die
wachstumsstärkste, die erfolgreichste, die beste und die
stabilste.
({4})
Das müssen wir einmal anerkennen.
Im Übrigen ist es so, dass der Baum nicht schneller
wächst, wenn man an seinen Zweigen zieht. Auch das
muss man einmal klar sagen.
({5})
In dem Zusammenhang muss ich auch sagen - Herr
Claus, das ist das, was mir an Ihrer Partei immer so
missfällt -: Sie reden vom souveränen Staat. Damals war
der Souverän die Partei, nicht das Volk; das wissen Sie.
Oder bestreiten Sie das? Reden wir also von einer souveränen Partei. Was haben Sie gemacht? Sie haben dieses
Land souverän in den Ruin geführt.
({6})
Sie und niemand anderes sind für den Abstand in der
Leistungsfähigkeit zwischen Ost und West verantwortlich, den wir bei der Wiedergeburt der Demokratie in
Ostdeutschland zu verzeichnen hatten. Das gehört zur
Realität. Sie sollten so ehrlich sein, das einzugestehen.
({7})
Jetzt will ich noch eine weitere Bemerkung zum
Thema Rente machen. Ich möchte nicht mehr ins Detail
gehen; dazu ist schon sehr viel gesagt worden. Herr
Bartsch, der der Debatte leider nicht mehr beiwohnen
kann, hat gesagt, die Kinder seien uns in Ost und West
unterschiedlich viel wert. Da liegt meines Erachtens ein
Grundmissverständnis vor. Die Rente ist keine Leistung
für die Kinder, sondern die Leistung, die durch die Rente
bewertet wird, ist eine Leistung für die Mütter. Die Kinder, die bis 1992 geboren wurden und für die es jetzt die
Punkte gibt,
({8})
sind genau diejenigen, die für diese Rente aufkommen,
und nicht diejenigen, die nachträglich durch diese Rente
bewertet werden. Man sollte überhaupt keine Kinder
durch Geld bewerten.
({9})
Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der in
dieser Debatte noch nicht so deutlich angesprochen worden ist. Wir haben ja sehr viel über das Thema Solidarpakt gehört. Wir wissen auch alle, dass wir vor schwierigen Verhandlungen stehen, was die Neuordnung der
Bund-Länder-Finanzen in der nächsten Zeit betrifft. Wir
müssen das in den Griff bekommen. Wir wissen, dass
der Solidarpakt im Jahr 2019 endet.
Ich glaube, dass der heutige Tag ein Anlass sein
sollte, die Leistung der ostdeutschen Länder in diesem
Zusammenhang zu würdigen. Die ostdeutschen Länder
haben im letzten Haushaltsjahr 2013 nämlich durchweg
Überschüsse erwirtschaftet. Das sollte man auch einmal
sagen. Thüringen hat ein Plus von insgesamt über
340 Millionen Euro erwirtschaftet, Sachsen von 820 Millionen und Brandenburg von 700 Millionen. Dem gegenüber stehen die Bilanzen von zum Beispiel NRW mit minus 2,5 Milliarden Euro, Rheinland-Pfalz mit minus
550 Millionen Euro und Hamburg mit minus 600 Millionen Euro. Hier haben die ostdeutschen Länder Disziplin
gezeigt. Das sind politisch hart erkämpfte Zahlen.
Wir sollten bei der Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs auf eine Sache achten: Ein Länderfinanzausgleich darf nicht so aussehen, dass es den Ländern gestattet wird, sich an Verschuldung zu gewöhnen. Er muss
so gestaltet werden, dass der Anreiz erhalten bleibt, dasselbe zu leisten wie die ostdeutschen Länder, die sich allmählich aus einer schwierigen Haushaltslage befreit haben. Dabei sollten die Länder unsere Solidarität und
Unterstützung bekommen.
({10})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuletzt auf
einen Punkt zu sprechen kommen, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Sie alle wissen, dass wir dieses
Jahr den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution begehen. Das ist ein Grund, voller Dankbarkeit und auch mit
Stolz zurückzuschauen; das ist ganz klar. Dieses Datum
ist aber auch eine Verpflichtung, und zwar die Verpflichtung, dass man zu derselben Solidarität, die man sich damals untereinander gewährt, aber auch von außen empfangen hat, bereit ist, wenn andere in derselben Situation
sind. Das ist im Augenblick der Fall. Derzeit beobachten
wir eine Auseinandersetzung, von der im Moment keiner
in diesem Raum sagen kann, wie sie ausgehen wird. Wir
hören täglich von Toten und Verletzten in der Ukraine,
hauptsächlich in Kiew. Wir wissen, dass dort Menschen
erbittert um ihre Zukunft kämpfen. Es sind im Übrigen
auch Menschen, die sowohl unter den Gräueltaten, die
die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs dort begangen haben, als auch unter dem Holodomor in den
Jahren 1932 bis 1933 gelitten haben. Während des Holodomor kam es zur gezielten Entnahme der gesamten
Ernte dieser Jahre durch die damalige Sowjetregierung
unter Stalin. Die Folge waren 3,5 Millionen Tote. Es ist
selbstverständlich, dass daraus eine Angst davor erwachsen kann, was einem blüht, wenn man wieder über viele
Jahre völlig unter russischem Einfluss und unter russischer Herrschaft steht. Ich werte das als eines der Motive
dieser Auseinandersetzung und deren Schärfe.
Ich glaube, Deutschland ist wie kaum ein anderes
Land aufgerufen, diese Lage zu erkennen und sich solidarisch zu zeigen. Das gilt aufgrund unserer Geschichte
bis 1989 im Übrigen insbesondere für Ostdeutschland.
Ich will Ihnen Folgendes sagen - das ist jetzt möglicherweise ein hartes Wort in Richtung Regierung; ich kann
Ihnen das aber nicht ersparen -: Ich bin sehr dankbar und
froh, dass die Ministerriege unter Beteiligung von Herrn
Steinmeier hilft, die Gewaltexzesse einzudämmen. Wir
hoffen, dass das gelingt. Wir sollten jede Unterstützung
geben.
({11})
Man muss aber auch sehen: Es ist inzwischen sehr
viel passiert. Ich will Ihnen berichten, was Vasil Maximiv erleben musste. Er hat vorgestern eine Blendgranate
ins Gesicht bekommen, die ihm das Auge zerfetzt hat.
Ein Krankenhaus war nicht in der Nähe, weshalb ihm
das Auge ambulant entfernt werden musste, und zwar
ohne Betäubung. Eine Nachsorge ist im Augenblick
nicht möglich. Allerdings hat man ihn aus der Gefahrenzone herausgeholt. Ich würde sofort hinfliegen und wäre
bereit, die Flüge für ihn und mich aus eigener Tasche zu
bezahlen, um ihn hierher zu holen, damit eine Nachsorge
für ihn sichergestellt wird. Ich bemühe mich derzeit
beim Auswärtigen Amt um ein Visum. Er bekommt aber
keines. Es ist auch niemand bereit, für die medizinischen
Kosten aufzukommen. Das halte ich für inakzeptabel.
Ich möchte keine Visumsfreiheit für den gesamten
Ostblock erreichen. Man muss doch aber in solchen
Ausnahmesituationen in der Lage sein, schnell zu reagieren. Das war doch auch 1989 möglich. Damals wurden wir von der westlichen Bevölkerung mit allen möglichen Materialien, die wir brauchten, ganz schnell
unterstützt. Erinnern wir uns an diese Zeit, und bemühen
wir uns - ohne jeden Vorwurf an die Agierenden -, für
solche Situationen schnelle, unkomplizierte und unbürokratische Lösungen zu ermöglichen. Das ist ein Kernbestandteil der Aussprache über den Stand der deutschen
Einheit.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({12})
Danke, Herr Kollege Vaatz.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/107 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/583
soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Druck-
sache 18/107 überwiesen werden. Sind Sie einverstan-
den? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorratsdatenspeicherung verhindern
Drucksache 18/381
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Endgültig auf Vorratsdatenspeicherung verzichten
Drucksache 18/302
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort
Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
heute erneut einen Antrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung eingebracht. Das Thema ist zu einer Kernfrage
im Bereich der Bürgerrechte in der digitalen Welt geworden. Uns ist wichtig, hier im Parlament noch einmal
klarzustellen: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Mittel
der anlasslosen Massenüberwachung der Bürgerinnen
und Bürger. Sie ist maßlos, sie ist weitestgehend nutzlos,
und sie ist unverhältnismäßig. Wir lehnen sie daher ab.
({0})
Bedauerlicherweise steht sie nun im Koalitionsvertrag. Auch beim Justizminister gab es nur ein kurzes
Aufbäumen; inzwischen ist er eingeknickt und gehört zu
den Befürwortern. Ein kurzer bürgerrechtlicher Sturm
im Wasserglas, das war es bei der SPD. Man fragt sich:
Wo ist die neue Bürgerrechts- und Internetpartei?
({1})
Das alles machen Sie im Lichte des größten Überwachungs- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, und das,
obwohl sich die SPD im Wahlkampf noch dafür aussprach, die Vorratsdatenspeicherung im Zuge des NSASkandals ganz neu zu bewerten. Das alles machen Sie
bis heute, obwohl der tatsächliche Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgungsbehörden nicht
nachgewiesen werden konnte: weder von den deutschen
Befürworterinnen und Befürwortern, die immer noch
- das werden wir gleich bestimmt wieder erleben - mit
dem Einzelfall argumentieren - dem für den Gesetzgeber denkbar ungünstigsten Argument -, noch die EUKommission, die in einem jahrelangen Prozess versucht
hat, den empirischen Nutzen der VorratsdatenspeicheDr. Konstantin von Notz
rung nachzuweisen. Alles ohne Erfolg. Deshalb sind das
keine guten Argumente, meine Damen und Herren.
({2})
Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, ein Gesetz vorzulegen, das den extrem hohen verfassungsrechtlichen Hürden genügen wird. Karlsruhe warnt in seinem
Urteil zur Vorratsdatenspeicherung zu Recht vor dem
diffusen Gefühl des Beobachtetseins, das durch die anlasslose Massenüberwachung entsteht. Die Richter des
Bundesverfassungsgerichts verwiesen kürzlich selbst darauf, aus Angst vor Überwachung nicht mehr mit Elektronik in Besprechungen zu gehen. Das muss man sich
einmal vorstellen. Das ist in einem Rechtsstaat völlig absurd, meine Damen und Herren.
({3})
Richtig ist: Die Vorratsdatenspeicherung ist von
Karlsruhe nicht generell verfassungsrechtlich untersagt
und ausgeschlossen worden; das behauptet auch keiner.
In seinem Urteil aber mahnt das Gericht eine Überwachungsgesamtrechnung an, die man bei einem Eingriff
mit dieser Streubreite immer mit berücksichtigen muss.
Damals erwähnten die Karlsruher Richterinnen und
Richter in diesem Zusammenhang eine andere Vorratsdatenspeicherung: ELENA. Jetzt können wir uns hier
alle einmal gemeinsam ausmalen, wie diese Gesamtrechnung heute, im Lichte der Affäre um NSA, GCHQ
und BND aussieht. Da sage ich Ihnen: Bon voyage bei
der Umsetzung einer neuen Vorratsdatenspeicherung!
Viel Spaß bei den Verhandlungen in Karlsruhe, dem
obersten deutschen Gericht, dessen Richterinnen und
Richter aus Angst vor Überwachung nur noch Stift und
Papier in ihre Besprechungen mitnehmen! Viel Erfolg
dabei!
Ich sage Ihnen: Natürlich behalten wir uns vor, in diesem Fall erneut nach Karlsruhe zu ziehen. Ihre Argumentation, die wir auch heute hören werden - „Das ist
alles kein Problem, das setzen wir um, das ist keine
Schwierigkeit“ -, haben wir bei jedem Sicherheitsgesetz,
das Sie in den letzten Jahren hier eingebracht haben, gehört, und fast immer mussten Sie sich vom obersten
deutschen Gericht über die Verfassung belehren lassen.
({4})
Ich sagen Ihnen: Ersparen Sie sich die erneute Schmach,
Herr Kollege Heveling. Nehmen Sie Abstand von diesem unverhältnismäßigen Mittel, und konzentrieren Sie
sich auf das, was wir effektiv, schnell und zuverlässig für
die Kriminalitätsbekämpfung und für den Kinderschutz
machen können.
({5})
- Herr Schuster, jetzt kommt der interessante Teil.
Meine Damen und Herren, der Fall Edathy zeigt doch
klar: Wir müssen unseren Strafverfolgungsbehörden gerade in Zeiten von Internet und Digitalisierung endlich
effektive Instrumente in die Hand geben.
({6})
Eine Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und
führt zu Aufklärungsquoten im Promillebereich. Damit
gehört sie eben nicht zu den effektiven Instrumenten.
({7})
Haben Sie sich einmal gefragt, Herr Sensburg, warum
im Fall Edathy über ein Jahr lang nicht ermittelt wurde?
Haben Sie sich einmal in den Kellern der Staatsanwaltschaften dieses Landes umgeschaut, wo sich die Computer und die Festplatten meterhoch stapeln, weil sie nicht
kriminaltechnisch untersucht werden können? Nach jahrelangen Diskussionen wissen wir doch heute, welche
Stellschrauben wir drehen müssen: Wir brauchen eine
bessere personelle und technische Ausstattung, zum Beispiel Bilderkennungssoftware, wir brauchen Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wir brauchen eine Überprüfung von Beförderungswegen in Behörden, und wir
brauchen eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit von Providern und Strafverfolgungsbehörden sowie
im internationalen Bereich.
Insofern sage ich Ihnen hier noch einmal in aller
Deutlichkeit: Wir müssen gemeinsam intensiv prüfen, ob
es nach den in den letzten Jahren, zuletzt im Jahr 2008,
vorgenommenen Strafrechtsverschärfungen Schutzlücken
im Bereich der kommerziellen Verbreitung solcher Fotos
gibt. Aber wir müssen auch endlich jene Schritte angehen, die ich angesprochen habe. Scheindiskussionen zur
Vorratsdatenspeicherung zu führen, ist kein effektiver
Schritt in die richtige Richtung.
({8})
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Für den notwendigen und effektiven Schutz von Kindern bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen, zu deren
Umsetzung wir Sie seit Jahren auffordern. Der Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
sexueller Gewalt und Ausbeutung fristet ein Schattendasein. Setzen Sie ihn endlich um! Auch die Umsetzung
der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und die Umsetzung der Lanzarote-Konvention
müssen schnellstmöglich erfolgen. Wir fordern Sie heute
noch einmal auf: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an effektiven Instrumenten! Nehmen Sie von der Vorratsdatenspeicherung Abstand! Holen Sie sich nicht eine neue
Ohrfeige in Karlsruhe ab!
Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({0})
Danke schön, Herr Kollege. - Nächster Redner ist
Dr. Volker Ullrich, Augsburg, für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist die
Frage der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine
Scheindiskussion. Vielmehr nehmen wir die Probleme
ernst.
({0})
Wenn man die Probleme ernst nimmt, dann verwechselt
man keine Begrifflichkeiten und spielt nicht mit der
Sprache und mit der Angst - das habe ich letzte Woche
ausgeführt -, wie Sie es heute wieder tun.
Wenn Sie die Überwachung durch die NSA - die empörend ist und gegen die wir uns wenden ({1})
im gleichen Atemzug mit der Vorratsdatenspeicherung
nennen, dann vermischen Sie wider besseres Wissen
zwei Dinge, die nicht zusammengehören.
({2})
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es nicht darum,
die Bevölkerung zu überwachen.
({3})
Wer das sagt, liegt falsch. Es geht darum, dass in unserem Staat die Daten, die bei den Internetprovidern und
den Telefongesellschaften ohnehin gespeichert sind,
durch richterlichen Beschluss in begrenztem Umfang zur
Aufklärung von Straftaten gegen Leib und Leben und
andere wichtige Rechtsgüter in unserem Staat genutzt
werden dürfen.
({4})
Da wir gerade über Begriffe sprechen: „Vorratsdatenspeicherung“ ist nicht der richtige Begriff.
({5})
Wir sollten lieber von einer privaten Vorsorgespeicherung sprechen, darüber, dass die Strafverfolgungsbehörden damit, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Handhabe wie die Feinde unserer Freiheit haben.
({6})
Lassen Sie mich folgendes Beispiel anführen. In
Augsburg geschah vor knapp fünf Jahren ein grausamer
Mord. Ein Familienvater wurde in seiner eigenen Wohnung hinterrücks mit über 30 Messerstichen getötet. Die
Kriminalpolizei tappte längere Zeit im Dunkeln. Erst
durch die Funkzellenanalyse, die Auswertung der Verbindungsdaten der Handys rund um die Tatwohnung,
({7})
konnte geklärt werden, dass es sich um ein Mordkomplott handelte, hinter dem ein Bekannter der Familie und
die geschiedene Ehefrau steckten. Nur durch die Vorratsdatenspeicherung konnte der Mord aufgeklärt werden.
({8})
Ich sage Ihnen offen und ehrlich:
({9})
Die Speicherung der Daten bringt dem kleinen Jungen
seinen Vater nicht zurück. Die Tat konnte dadurch auch
nicht verhindert werden. Aber der Strafanspruch des
Rechtsstaates bei schwersten Vergehen gegen Leib und
Leben konnte in dem Zusammenhang gewährleistet werden. Bei schwersten Straftaten sind wir verpflichtet, die
Mittel des Rechtsstaates effektiv einzusetzen.
({10})
Das Gleiche gilt für den Bereich der Kinderpornografie. Wir haben uns in dieser Woche in diesem Hohen
Haus über Strafbarkeitslücken unterhalten.
({11})
Wir haben gemeinsam unserer Empörung darüber Ausdruck verliehen, dass es Menschen gibt, die sich diese
widerwärtigen Bilder herunterladen, mit ihnen Handel
treiben und so einen fortgesetzten Missbrauch von Kindern begehen. Der Rechtsstaat braucht hier die Möglichkeit, auf die entsprechenden Daten zurückzugreifen.
({12})
Wir nehmen die Bürgerrechte und die Freiheitsrechte
sehr ernst. Aber
({13})
es geht auch um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Die kann durch das dreimonatige Speichern
von Verbindungsdaten, ohne dass der Inhalt kontrolliert
wird, gewährleistet werden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von
Christian Ströbele?
Ja; das beginnt gut in dieser Wahlperiode.
Freuen Sie sich; es geht so weiter.
({0})
Herr Ströbele.
Danke, Herr Kollege; meine Zwischenfrage hilft hoffentlich bei der Wahrheitsfindung. - Ich möchte auf das
eben von Ihnen genannte Beispiel eingehen. Nehmen Sie
bitte zur Kenntnis: Wenn das stimmt, was in der Zeitung
steht, dann standen den Strafverfolgungsbehörden offensichtlich auch ohne Vorratsdatenspeicherung Daten aus
den Jahren 2005, 2006 und 2007 zur Verfügung; denn
sonst gäbe es die ganze Aufregung über das laufende
Strafverfahren nicht.
Wofür brauchen Sie da noch die Vorratsdatenspeicherung? Die Daten sind doch bei den Providern und bei
den Firmen, die diese schrecklichen Sachen verkaufen,
vorrätig und werden da auch bleiben, weil die Firmen sie
brauchen, um damit Geschäfte zu machen.
({0})
Wofür also brauchen Sie noch die Vorratsdatenspeicherung? Können Sie mir das erklären?
({1})
Sehr geehrter Herr Kollege, wären diese Bilder auf einem deutschen Server, bei einer deutschen Firma gewesen, hätten wir den Fall vielleicht gar nicht aufklären
können. Es handelt sich um Daten einer kanadischen
Firma, die durch eine Aktion der kanadischen Polizei gefunden worden sind.
({0})
Wir können die Aufklärung von Straftaten doch nicht
von dem Zufall abhängig machen, ob der Provider die
Daten nach sieben Tagen, nach zehn Tagen oder nach
drei Monaten löscht.
({1})
Wir brauchen eine einheitliche Regelung zur effektiven
Bekämpfung schwerer Straftaten. Ich bitte Sie, das zur
Kenntnis zu nehmen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts ernst
nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam eine verfassungsfeste Ausgestaltung einer Vorsorgespeicherung von privaten Daten angehen. Lassen Sie uns den Rahmen definieren, in dem die Strafverfolgungsbehörden darauf
zugreifen können und in welchem der Datenschutz gewährleistet wird. Ich denke, das können wir in diesem
Hause gemeinsam schaffen. Wir wollen die Bürger vor
Kriminalität, vor Gewalt schützen. Wir wollen die
Feinde unserer Freiheit mit diesem Mittel verfolgen, um
sie bestrafen zu können, und wir wollen die Freiheit der
Bürger schützen.
Herzlichen Dank.
({3})
Danke Herr Kollege Ullrich. - Nächster Redner ist
Jan Korte für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde es sehr richtig, in diesem Zusammenhang auch
über die NSA-Affäre zu reden. Das hat nämlich sehr
wohl etwas miteinander zu tun: Diejenigen, die die Vorratsdatenspeicherung befürworten, also Sie, haben im
Kern dasselbe Denken, nämlich dass der Zweck die Mittel heiligt. Das ist dasselbe Denken. Deswegen ist es
richtig, das hier zu erwähnen.
({0})
Am 20. Juli 2013 schrieben Thomas Oppermann und
Gesche Joost in der FAZ einen überraschenderweise tendenziell schlauen Artikel.
({1})
Ich darf zitieren:
Nach Prism und Tempora darf auch die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand mehr haben. Die Richtlinie muss grundsätzlich überarbeitet und neu bewertet werden.
Zitat Ende. Thomas Oppermann und Gesche Joost.
({2})
Wir erkennen an dem Datum das Kernproblem der
SPD: Das war vor der Wahl. Wir haben das Problem,
dass die SPD, sobald sie mit der CDU koaliert - das gilt
für den Bund und die Länder -, das Gegenteil von dem
macht, was sie vorher gesagt hat.
({3})
Das ist sehr bedauerlich, gerade in dieser Frage, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
({4})
Heute liegen zwei, wie ich finde, schlaue Anträge
zum Thema Vorratsdatenspeicherung vor,
({5})
die das Problem auf den Punkt bringen. Mit Blick auf
den EuGH will ich sagen: Nicht alles, was juristisch erlaubt ist - das Urteil kennen wir noch nicht -, müssen
wir hier politisch umsetzen. Darüber haben wir hier zu
diskutieren, und das haben wir hier zu entscheiden.
({6})
Was ist dabei nun das Problem?
Erstens - das ist hier schon gesagt worden - ist die
Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig, unbrauchbar und im Übrigen eine Gefahr für die Pressefreiheit
und die freie Kommunikation. Kurz: Das ist der SuperGAU für die freie Kommunikation, die die Grundlage
des demokratischen Rechtsstaates ist.
({7})
Zum Zweiten. Die Vorratsdatenspeicherung - ich
gebe zu, das ist ein sperriger Begriff; man sollte besser
von der Totalprotokollierung des menschlichen Kommunikationsverhaltens sprechen,
({8})
weil das sachlich richtiger wäre - ermöglicht - das ist
das Kernproblem, um das es geht - den totalen Einblick
in die Persönlichkeit des Einzelnen, in sein Kommunikationsverhalten, sein Bewegungsverhalten und vor allem
seine sozialen Beziehungen. Kurz zusammengefasst:
Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht den gläsernen
Menschen. Das können wir doch alle nicht ernsthaft
wollen.
({9})
Drittens. Die kriminologische Abteilung des MaxPlanck-Instituts hat deutlich nachgewiesen - ohne Wenn
und Aber, ohne Interpretationsspielraum -, dass es seit
dem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung zu keinerlei
Schutzlücke gekommen ist.
({10})
Es ist also wissenschaftlich belegt, dass keine Notwendigkeit besteht, 300 Millionen bis 500 Millionen Datensätze pro Tag zu speichern.
Ohne die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen
lag die Aufklärungsquote bei Missbrauchsdarstellungen
im Internet bei über 80 Prozent. Nach der Einführung
der Vorratsdatenspeicherung war die Aufklärungsquote
de facto gleich hoch. Sie sank sogar ein Stück weit, weil
die Täter logischerweise zum Beispiel CDs auf dem
Postweg verschickten. Das heißt, auch in diesem sensiblen Bereich nutzt die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nicht.
Das alles sind Zahlen, die nicht von der Linken kommen, sondern vom Max-Planck-Institut, vom BKA und
anderen. Das müssen wir doch einmal zur Kenntnis nehmen, wenn wir sachlich darüber diskutieren wollen.
({11})
Ich fasse also zusammen: Es wäre erfreulich, wenn
sich einmal eine Bundesregierung
({12})
in Europa an die Spitze stellen würde beim Schutz von
Grundrechten und beim Datenschutz. Eines will ich klar
benennen - denn das ist die Kernfrage -: Wer die Speicherung von fast 500 Millionen Datensätzen pro Tag will
und das auch noch für sinnvoll hält, geht in der Tat den
Weg in den Überwachungsstaat und sollte zum Thema
NSA und zum Abhören eines Kanzlerhandys wirklich in
Demut schweigen; das muss man so klar sagen.
({13})
Es kann keine sichere exzessive Datensammelei geben. Sie kann nur in einem Punkt sicher sein: indem man
es sein lässt. Dazu fordern wir Sie auf.
Schönen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege Korte. - Nächster Redner
ist Christian Flisek für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Vorratsdatenspeicherung
stellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff
dar. Sie ist deswegen besonders schwerwiegend, weil der
Eingriff - ich zitiere hier das Gericht aus seiner Entscheidung im Jahre 2010 - mit einer Streubreite verbunden ist, „wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“.
Das sind selbst für jemanden wie mich, der berufsbedingt schon viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelesen hat, durchaus beeindruckende
Worte. Ich stelle diese Bewertung des Gerichts bewusst
an den Anfang meiner Rede. Dieser Ausgangspunkt
sollte uns, bezogen auf die heutige Debatte, dazu ermahnen, dass wir in dieser Frage nicht in politischen Aktionismus verfallen.
({0})
Denn Aktionismus wird diesem Thema in keinster Weise
gerecht.
Wir brauchen in dieser Debatte kein Gerede von Supergrundrechten, die zum Glück nur scheinbar alle anderen Freiheitsrechte niederwalzen, in Wirklichkeit aber
nichts anderes sind als politische Etiketten.
({1})
Wir brauchen in dieser Debatte auch keine Abgesänge
auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Ich
sage das auch an die Kolleginnen und Kollegen von der
CSU gerichtet: Ich meine, wer das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, eine der Säulen des
Grundrechtsschutzes im Internet, als eine „Idylle aus
vergangenen Zeiten“ bezeichnet, der entzieht den Bürgerinnen und Bürgern jede Vertrauensgrundlage für ihre
Kommunikation im Internet.
({2})
Es ist doch gerade unsere Aufgabe als Parlamentarier,
hier im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass solche Freiheitsrechte auch in Zeiten weltweiter digitaler
Kommunikation vital bleiben, dass sie stark bleiben und
dass sie nicht mit, wie ich finde, unangemessenen Bemerkungen beerdigt werden.
({3})
Ich bin aus diesem Grunde auch sehr froh, dass der
Bundesjustizminister eines deutlich gemacht hat: dass
der Koalitionsvertrag zwar die Umsetzung der EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorsieht, dass
wir aber gerade nicht, nur weil dies im Koalitionsvertrag
steht, hier in politischen Aktionismus verfallen,
({4})
sondern jetzt nach Jahren der Debatte mit etwas Geduld
die in Kürze anstehende Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes abwarten werden.
({5})
Aus ganz analogen Zeiten ist ein interessantes
Goethe-Zitat überliefert: „Wer das Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.“ Meine Damen und
Herren von der Opposition, damit steht für mich eines
fest: Für Ihre beiden Anträge, die Sie heute hier eingebracht haben, ist die Zeit noch nicht gekommen.
({6})
Sie können doch nicht allen Ernstes dem Bundesjustizminister dafür Beifall klatschen, dass er sich dem politischen Aktionismus des einen Teiles dieses Hauses erfolgreich widersetzt
({7})
- ich finde im Übrigen, Sie klatschen da völlig zu Recht -,
und gleichzeitig mit Ihren heutigen Anträgen zur Vorratsdatenspeicherung denselben Aktionismus, den Sie
zuvor kritisieren, wieder auf die Tagesordnung rufen.
({8})
Ich meine, das wird dieser Sache nicht gerecht.
Warum nehmen Sie sich nicht mit uns zusammen die
Zeit, um erstens das anstehende Urteil des Europäischen
Gerichtshofes abzuwarten und es zweitens anschließend
sorgfältig auszuwerten? Wir sind natürlich ein souveränes Parlament. Diese Souveränität sollte uns aber nicht
daran hindern, auch vor den obersten Gerichten in Europa etwas Respekt zu haben, insbesondere dann, wenn
ein anhängiges Verfahren, das in ganz Europa mit Spannung erwartet wird, kurz vor dem Abschluss steht.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich
kann nur sagen: Gemach! Manchmal kann auch Geduld
eine politische Tugend sein. Aktionismus ist es jedenfalls nicht, insbesondere nicht in so grundlegenden Fragen.
Wir alle kennen die Schlussanträge des Generalanwalts. Sie zeigen in eine klare Richtung. Es deutet viel
darauf hin, dass die Richtlinie, so wie wir sie kennen,
keinen Bestand haben wird. In welchem Umfang diese
Richtlinie aber nach dem Urteil fortbesteht, ist völlig offen. Sollte das Gericht die Richtlinie vollständig kassieren, dann haben wir, zumindest nach meinem Verständnis, auch keine Umsetzungspflicht mehr.
({10})
Der Bundesjustizminister sprach in seinem Spiegel-Interview, Frau Kollegin, insofern sehr deutlich und zu
Recht vom Wegfall der Geschäftsgrundlage;
({11})
ich empfehle es Ihnen zur Lektüre.
Dann aber - auch das müssen wir alle wissen - beginnt die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung in
Deutschland und in Europa völlig neu. Sollte das Gericht
die Richtlinie nur in Teilen, in einzelnen Punkten, kassieren, müssen all diese Punkte dann geklärt werden.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den
Schlussanträgen wissen wir genau, welche Punkte besonders im Feuer stehen: Es ist die unverhältnismäßige
Speicherdauer, es sind die unbestimmten Speicherzwecke, es ist die Frage, wo die Daten gespeichert werden,
und es ist die Frage, wie wir Geheimnisträger, etwa
Ärzte, Rechtsanwälte und Seelsorger, besonders schützen können.
({12})
Was ich damit sagen will: Wir bekommen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schnell eine neue Debatte über die
Vorratsdatenspeicherung - aber eben erst nach dem Urteil. Deswegen kommen Ihre Anträge, meine ich, völlig
zur Unzeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine
abschließende Bemerkung machen. Die große strategische Herausforderung in den nächsten Jahren wird sein,
dass wir auf der Basis unseres Grundrechtsverständnisses
Standards für große Datenspeicherungen gleich welcher
Art hinbekommen müssen, sowohl für Datenspeicherungen auf der Grundlage staatlicher Befugnisnormen zur
Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als auch für die
massenhaften Datenspeicherungen im E-Commerce und
bei sozialen Netzwerken. Für all diese Arten von Datenspeicherungen müssen wir Standards entwickeln, Standards, die die Bürgerinnen und Bürger auf hohem Niveau schützen. Es wird nicht nur darum gehen, diese
Standards in Deutschland oder in Europa zu verwirklichen, sondern - das ist meine feste Überzeugung - es
wird und muss strategisch auch darum gehen, den Weg
für ein weltweites Datenschutzrecht freizumachen, für
ein Datenschutzrecht auf völkerrechtlicher Ebene.
Der kürzlich ausgeschiedene Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar stellte völlig zu Recht fest: „Datenschutz muss Völkerrecht werden.“ Nur so ist der Datenschutz auf Augenhöhe mit weltweit operierenden
digitalen Geschäftsmodellen und mit weltweit mobilen
Nutzern, aber auch mit weltweit operierenden Geheimdiensten. Bei dieser Entwicklung dürfen wir uns nicht in
die Schützengräben begeben, sondern wir müssen konstruktiv an der Entwicklung dieser Standards mitarbeiten. Nur so können wir die Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger auf hohem Niveau schützen. Nur so wird das
Internet auf Dauer seine Vertrauensbasis erhalten können. Die Umsetzung des anstehenden Urteils des EuGH
kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Ich sage
aber: Lassen Sie uns bis dahin erst einmal abwarten.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Haus sagt auch Ihnen herzlichen Dank und gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für
die Bürgerrechte in unserem Land.
Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Patrick
Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Jahren diskutieren wir über das Thema
Vorratsdatenspeicherung.
({0})
Es gibt eine Richtlinie aus dem Jahre 2006 und eine Umsetzungsfrist, die seit dem 15. März 2009 abgelaufen ist.
Aber es ist nichts in dieser Richtung passiert, zum Beispiel zum Schutz von Kindern, die von Kinderpornografie betroffen sind.
({1})
Heute bringen Sie Ihre beiden Anträge ein. Ich finde
- das muss ich ganz ehrlich sagen -, das ist nicht konstruktiv.
({2})
Sie gehen die Probleme nicht an.
({3})
Es geht um die schwersten Formen von Kriminalität, die
hier vorzufinden sind. Aber Sie sagen aus ideologischer
Überzeugung: Nein, wir wollen nicht, dass die Verkehrsdaten, um die es geht, gespeichert werden. - Es ist eben
schon gesagt worden: Sie verwirren mit Begriffen. Sie
wollen Ängste schüren.
Es geht um einen ganz einfachen Sachverhalt. Ich erkläre ihn Ihnen; denn die Frage des Kollegen Ströbele
eben hat gezeigt, dass nicht einmal die Gesetze gelesen
worden sind. Es geht darum, die Verkehrsdaten für einen
kurzen Zeitraum zu speichern; drei Monate sind in der
Diskussion. Denken Sie einmal fünfzehn, zwanzig Jahre
zurück - das müsste Ihnen gelingen, Herr Ströbele -: Da
war es so, dass man auf der Einzelabrechnung sehen
konnte, welche Telefonnummern man gewählt hatte.
({4})
Genau darum geht es jetzt: dass man auch bei Flatrates
noch nachvollziehen kann, mit wem jemand telefoniert
hat - wohlgemerkt: wenn schwerste Kriminalität im
Raume steht. Sie wollen verwehren,
({5})
dass bei schweren Verbrechen retrograd ermittelt werden
kann. Das halte ich nicht für besonders gut, meine Damen und Herren.
({6})
Herr Kollege von Notz, Sie erwähnen immer wieder
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Urteil
ist lang; aber vielleicht haben Sie es in Gänze gelesen.
({7})
Der Kollege Flisek hat gerade schon angesprochen, dass
das Bundesverfassungsgericht dezidiert aufgeführt hat,
unter welchen Voraussetzungen eine Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform ist: Das Vieraugenprinzip
muss bei der Datenspeicherung berücksichtigt werden.
({8})
Die Daten müssen physisch getrennt werden von öffentlichen Netzwerken. Verschlüsselungstechnologien müssen eingesetzt werden. Die Speicherung der Daten muss
revisionssicher protokolliert werden. All das können Sie
dem Urteil entnehmen. Unter dem Strich sagt das Bundesverfassungsgericht dann: Unter diesen Voraussetzungen ist eine verfassungskonforme Vorratsdatenspeicherung möglich.
Unabhängig vom europäischen Recht sollte man
schon überlegen, ob es nicht eine Notwendigkeit ist, dass
wir so ein Ermittlungsinstrument bekommen - noch einmal: wenn es um schwerste Straftaten geht.
({9})
Herr Kollege von Notz, Sie kennen sich ja aus. Sie
haben gerade erwähnt, dass die Justiz massenweise Festplatten zu sichten hat. Sie wissen doch auch - wir haben
es gerade gehört -, dass man Festplatten löschen oder
physisch zerstören kann. Wir möchten Ermittlungsansätze haben, um zu erkennen, wo im Netz kommuniziert
worden ist, wann Täter mit mehreren SIM-Karten telefoniert haben. Man kann heute, wenn ein Täter vor drei
Wochen sein Netzwerk abtelefoniert hat, nicht mehr
nachvollziehen, mit wem er telefoniert hat.
({10})
Selbst wenn wir ganz klar wissen, dass der Täter Kinderpornografie oder organisierte Kriminalität begangen
hat, könnten wir nicht mehr nachvollziehen, mit wem er
telefoniert hat. Entscheidend ist: Es geht nicht um das
Speichern von Inhalten, es geht um das Speichern der
Verkehrsdaten: Welche Telefonnummer hat er angerufen
und zu welcher Zeit? Nur um diese Daten geht es.
Da muss ich ganz ehrlich sagen - auch an den Kollegen Korte gewandt, der den Spruch „Der Zweck heiligt
die Mittel“ bemüht hat -: Es geht um die Frage der Verhältnismäßigkeit.
({11})
Die Vorratsdatenspeicherung ist ein intensiver Grundrechtseingriff - das ist richtig -; auf der anderen Seite
stehen aber auch massive Grundrechtsverstöße.
({12})
Ich habe es in einer meiner letzten Reden zur Vorratsdatenspeicherung gesagt: Ihnen ist, glaube ich, nicht klar,
dass es kein Grundrecht auf das Ansehen von kinderpornografischem Material im Internet gibt.
({13})
Das glauben Sie anscheinend, meine Damen und Herren.
({14})
Das Grundrecht auf Schutz der Kinder überwiegt; es ist
höher zu werten als das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung oder das Recht auf die Integrität von
Computersystemen. Herr Korte, ich muss ganz ehrlich
sagen: Die gespielte Empörung, die Sie eben an den Tag
gelegt haben, sollten Sie einmal im Spiegel der tatsächlichen Realität betrachten: Es geht um die Rechte von
Kindern, die tagtäglich im Internet missbraucht werden.
({15})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Dr. von Notz?
Sehr gerne.
Danke schön. - Konstantin.
Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, für die Möglichkeit der Zwischenfrage; dann muss ich gleich keine
Kurzintervention abgeben.
Ich finde es immer gut, wenn man sportlich diskutiert
- ich bin ein totaler Freund davon -; aber das überschreitet alle Grenzen.
({0})
Ich weise es für alle Beteiligten, die der Vorratsdatenspeicherung kritisch gegenüberstehen, zurück, wenn Sie
hier von einem Grundrecht auf das Betrachten von Kinderpornografie sprechen. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie das
zurück.
Ich stelle Ihnen jetzt noch eine Frage. Die CDU/CSU
regiert seit acht Jahren. Sie haben recht: In dem Bereich,
über den wir diskutieren, ist wenig passiert. Sie haben
vor ein paar Jahren ein Gesetz eingebracht und hier mit
der gleichen Verve verteidigt. Wir haben Ihnen damals
abgeraten. Ihr Gesetz ist für verfassungswidrig erklärt
worden. Jetzt gibt es ein echtes Problem - das teilen wir -:
Sie haben acht Jahre lang nichts getan, und jetzt fixieren
Sie sich wieder auf einen Ansatz, mit dem Sie verfassungsrechtlich sehr dünnes Eis betreten. Wo sind Ihre
anderen Maßnahmen, um hier effektiv etwas zu tun? Seit
acht Jahren tun Sie nichts. Das ist Ihre Verantwortung,
die Verantwortung der Union und auch der Bundeskanzlerin.
Vielen Dank.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Kollege von Notz. - Zum ersten Teil. Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass
es kein - ({0})
Ich darf bitten, dass die Regierungsbank zuhört, anstatt zu kommentieren. - Bitte, Herr Kollege.
Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass es
kein Recht auf das Betrachten von kinderpornografischem Material im Internet gibt.
({0})
Ganz im Gegenteil: Wenn wir Grundrechte abwägen - ({1})
- Ich versuche, Ihre Frage zu beantworten, Herr Kollege
von Notz, und Sie haben genau danach gefragt.
({2})
- Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, dass wir bei
Grundrechten eine Abwägung vornehmen müssen. Auf
der einen Seite steht das Grundrecht, in das eingegriffen
wird; durch die Vorratsdatenspeicherung wird intensiv in
Grundrechte eingegriffen.
({3})
Auf der anderen Seite stehen die Rechte, die wir schützen wollen. Das sind ganz wesentliche Rechte. Ich
glaube, wir müssen jetzt nicht intensiver darüber diskutieren, wie massiv die Eingriffe in die Grundrechte von
Kindern beispielsweise sind.
({4})
Von daher müssen wir eine Verhältnismäßigkeitsabwägung vornehmen. Hier habe ich betont, dass es selbstverständlich kein entsprechendes Recht derjenigen gibt,
die freies Internetsurfen ohne jede Regel fordern.
({5})
Deswegen frage ich mich, warum Sie im ersten Teil Ihrer Zwischenfrage eine solche Bemerkung gemacht haben. Sie hätten mich unterstützen sollen.
({6})
Zum zweiten Teil.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung oder
Zwischenfrage?
Ich wollte noch den zweiten Teil beantworten.
Ja, gut, aber ich frage schon einmal auf Vorrat: Gestatten Sie danach eine Zwischenfrage vom Kollegen
Ströbele?
Ich gestatte auch die Zwischenfrage vom Kollegen
Ströbele und freue mich, dass er in den ersten Monaten
dieser Wahlperiode schon mehr geredet hat als in der
letzten Wahlperiode. Das möchte ich gerne unterstützen.
Das wäre statistisch erst einmal zu überprüfen. - Jetzt
bitte ich um den zweiten Teil Ihrer Antwort an den Kollegen von Notz.
Ich habe in einer meiner letzten Reden zur Vorratsdatenspeicherung minutenlang die einzelnen Maßnahmen
der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode
aufgezählt, und es macht keinen großen Sinn, die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung wieder minutenlang auf andere Themenkomplexe auszudehnen.
Lassen Sie uns doch - so hatte ich Ihre Rede eben
verstanden, die ja eigentlich etwas versöhnlich war; so
kam es mir jedenfalls vor ({0})
gemeinsam Wege finden, wie wir Ermittlungsmöglichkeiten in einem vielleicht engen Korridor - wir haben ja
sogar einen Vorschlag gemacht; auch aus dem Land Niedersachsen gibt es einen Vorschlag ({1})
eröffnen und verfassungskonform gestalten können, sodass wir die Daten, die wir innerhalb dieses engen Korridors gespeichert haben - ich habe zum Beispiel einen
Vorschlag in Richtung Quick Freeze als Short Freeze gemacht -, nutzen können. Vielleicht kommen wir hier
überein und finden bei dieser Ermittlungsmaßnahme einen gemeinsamen Weg; denn wir brauchen dies.
Kollege Ströbele, bitte, falls ich Ihnen jetzt das Wort
erteilen darf.
Sie tun das ja sowieso. - Ich gebe jetzt Herrn Ströbele
das Wort. Bitte.
Danke sehr. - Herr Kollege, ich mache noch einmal
den Versuch, dass Sie das zurücknehmen.
Wenn Sie hier in Ihrer Rede in zwei Richtungen laut
in den Raum rufen,
({0})
es gebe kein Grundrecht auf das Ansehen von Kinderpornografie im Internet, dann verstehen wir das so
- anders kann man das nicht verstehen -,
({1})
dass entweder auf der einen Seite oder auf der anderen
Seite Personen sitzen, die ein solches Grundrecht für
richtig halten.
({2})
Haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen,
dass im deutschen Strafgesetzbuch - nicht im Grundgesetz - ausdrücklich steht, dass das strafbar, also kein
Grundrecht ist? Das ist und bleibt in Deutschland erheblich strafbar - auch mit Zustimmung der Grünen und
wahrscheinlich auch der Linken. Das Ansehen von Kinderpornografie im Internet ist eben nicht zulässig und
schon gar kein Grundrecht; das fällt unter das Strafrecht.
Hier sind wir zu 100 Prozent deckungsgleich, Herr
Kollege Ströbele. Das ist selbstverständlich. Gerade deswegen muss es doch unser aller Ansinnen sein, dass uns
bei Ermittlungen in Bezug auf einen zu Recht so hoch
mit Strafe bewehrten Straftatbestand, der die abscheulichsten Straftaten beschreibt, griffige Werkzeuge zur
Verfügung stehen.
In allen Straftatbeständen drückt sich eine Grundrechtsabwägung aus; das brauche ich an dieser Stelle
doch nicht akademisch auszuführen. Von daher gibt es
natürlich, um es noch einmal zu betonen, auf der einen
Seite diejenigen Grundrechte, die uns die Freiheit gewähren, Daten sicher ins Internet einzustellen und das
Internet mit einem guten Gefühl zu nutzen. Auf der anderen Seite gibt es die Beschränkung der Datenfreiheit.
Deswegen kann es hinsichtlich der Sicherheit der eigenen Daten im Internet kein absolut geschütztes Recht geben, dass die Daten nicht vom Staat zur Verhinderung
von Straftaten abgerufen werden können. Gleichzeitig
sagen wir: Wir wollen die Grundrechte schützen.
Diese praktische Konkordanz, diese Verhältnismäßigkeit muss ich herstellen. Wenn Sie - wir beide scheinen
einer Meinung zu sein - diese abscheulichen Straftaten
auch als solche einstufen, dann müssen Sie den Polizeiund Strafverfolgungsbehörden das entsprechende Instrument an die Hand geben.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, wie sorgsam man damit umgehen muss, damit das Ganze verfassungskonform ist.
({1})
Abschließend: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir
doch, wie viele Maßnahmen von Polizeibehörden es gerade auch im Ausland gegeben hat, bei denen uns Datensätze übergeben worden sind und wir keine Möglichkeit
hatten, dazu rückwirkend Ermittlungsansätze in
Deutschland zu finden, was in anderen Ländern möglich
gewesen wäre. Unsere Nachbarstaaten sagen deshalb:
Mit Deutschland ist es sehr schwer, in dieser Hinsicht
zusammenzuarbeiten, weil dort auch bei schwerster Kriminalität keine Daten abgerufen werden können.
({2})
Lassen Sie uns diesen Schwebezustand gemeinsam
beenden. Ich glaube, daran sollten wir gemeinsam arbeiten, damit wir hier verfassungskonform vorgehen, aber
auch ermöglichen, dass die Täter gefunden werden.
Danke schön.
({3})
Danke, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Christina Kampmann für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit
vielen Jahren diskutieren wir die Richtlinie zur Vorrats1420
datenspeicherung: auf unterschiedlichen politischen Ebenen, unter Beleuchtung verschiedenster juristischer und
technischer Facetten. Und das zu Recht: Handelt es sich
doch bei der Vorratsdatenspeicherung um eines der kontroversesten innenpolitischen Vorhaben der letzten Jahre.
Verabschiedet mit dem Ziel, die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters zur besseren Bekämpfung von Kriminalität zu nutzen, war die Vorratsdatenspeicherung von Anfang an höchst umstritten.
Auf der einen Seite steht ein scheinbarer Sicherheitsgewinn, dessen Nachweis bis heute aussteht und der sich
deshalb in reiner Rhetorik zu erschöpfen scheint. Auf
der anderen Seite steht die Freiheit der digitalen Kommunikation auf dem Spiel, die in einer Demokratie unerlässlich ist. Wer diese beiden Aspekte aber zum Anlass
nimmt, eine Balance zwischen Freiheits- und Sicherheitsrechten zu fordern, der liegt falsch.
({0})
Die elementaren Freiheitsrechte entziehen sich einer bloßen Abwägung mit sicherheitspolitischen Belangen, jedenfalls dann, wenn ein Nachweis für einen Gewinn an
Sicherheit bis heute aussteht.
({1})
Nicht die Freiheit bedarf deshalb der Rechtfertigung,
sondern die Einschränkung selbiger durch die Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung.
In Zeiten des internationalen Terrorismus muss der
Staat aber auch seiner Schutzfunktion nachkommen,
ohne dass diese zum Selbstzweck wird. Einschränkungen von Freiheitsrechten können dabei notwendig werden, müssen aber strengen Kriterien unterliegen. Aus
den genannten Gründen finde ich es gut und richtig, dass
wir es uns mit der Vorratsdatenspeicherung nicht so einfach machen.
({2})
Es ist richtig und wichtig, dass wir diese über all die
Jahre so intensiv diskutieren.
Aber ich sage auch: Selten war diese Diskussion so
entbehrlich wie heute. In ein paar Wochen wird der Europäische Gerichtshof über die Rechtskonformität der
Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Wie Grüne und
Linke erfreulicherweise erkannt haben, folgt der EuGH
in den meisten Fällen dem Schlussantrag des Generalanwalts, der bereits massive Bedenken hinsichtlich der
Grundrechtskonformität und Ausgestaltung der Richtlinie geäußert hat.
Wenn Sie also Ihrer eigenen Argumentation folgen
und in der Konsequenz an die Grundrechtswidrigkeit der
Vorratsdatenspeicherung glauben, bezüglich derer ich
Ihre Bedenken im Übrigen vollkommen teile: Weshalb
stellen Sie dann ein paar Wochen vor Verkündung des
Urteils einen Antrag auf Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung, der zum jetzigen Zeitpunkt genauso anlasslos ist wie die Vorratsdatenspeicherung selbst?
({3})
- Genau, danke.
({4})
Denn seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
2010 darf in Deutschland keine Speicherung von Daten
mehr stattfinden.
Das ist Politik ohne Ziel. Das ist Politik ohne Grund.
Das ist Politik, die reiner Polemik dient und die wir deshalb nicht mittragen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Lieber Konstantin von Notz, Heiko Maas hat sich
nicht nur kurz aufgebäumt, sondern Heiko Maas hat Anfang des Jahres mehr als deutlich gemacht, dass er die
rechtlichen Bedenken zur Vorratsdatenspeicherung teilt
und eine vollständige Negierung durch den Europäischen Gerichtshof nicht für ausgeschlossen hält. Sonst
würden wir heute nämlich über ganz andere Probleme
reden.
({6})
- Jetzt warten Sie doch erst einmal ab!
Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass Heiko
Maas die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
abwarten wird und damit einer endgültigen juristischen
Beurteilung den Vorrang vor einem mit heißer Nadel gestrickten Entwurf gibt.
({7})
Heiko Maas hat gesagt - das hat mein Kollege eben auch
schon angesprochen -, er wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs respektieren. Ich finde, das bedarf erst einmal keiner weiteren Interpretation.
({8})
Ganz persönlich teile ich Ihre Auffassung im Übrigen. Eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung kann es meiner Meinung nach deshalb nicht geben, weil diese in ihrem Kern bereits
verfassungswidrig ist.
({9})
- Das hat das Verfassungsgericht nicht gesagt. Deshalb
entscheidet der Europäische Gerichtshof jetzt auch noch
einmal darüber. Das sagte ich ja gerade.
({10})
Weil ich mir der Begründetheit der verfassungsrechtlichen Bedenken genauso sicher bin wie Sie,
({11})
vertraue ich auch auf das juristische Urteil des Gerichts,
das genau das in diesem Frühjahr zu entscheiden hat.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir führen die Debatte zur Vorratsdatenspeicherung schon seit einigen Jahren und sehr intensiv. Wir
dürfen wohl erst einmal alle feststellen - das hat auch
das Bundesverfassungsgericht getan -, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht per se verfassungswidrig ist.
({0})
Das schreiben auch die Grünen und die Linken in ihrem
Antrag. Deswegen werden wir alsbald einen Gesetzentwurf vorlegen, der mit der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung in diesem Land vereinbar ist.
({1})
Ich darf als Mitglied des Innenausschusses auf zwei
Punkte eingehen: zum einen die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung für die strafrechtlichen Ermittlungen
und zum anderen die Rolle der Linksfraktion in der heutigen Debatte.
Zum ersten Punkt. Es steht fest: Ohne die Vorratsdatenspeicherung können weniger Straftaten aufgeklärt
werden. Das belegen zahlreiche Daten des Bundeskriminalamtes oder des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
Auch das Beispiel Internetkriminalität zeigt dies auf
traurige Weise.
Wie schon am Mittwoch sprechen wir heute Nachmittag im Innenausschuss ausführlich über den Fall Edathy,
aber vor allen Dingen auch über den Kinderpornoring,
der in Kanada aufgeflogen ist. Durch die kanadischen
Behörden wurden uns 450 Gigabyte an Daten übersandt,
darunter das widerliche Beweismaterial von Bildern und
Videos nackter Kinder, aber auch die IP-Adressen der
deutschen Kunden des kanadischen Unternehmens.
Dabei gab es auch Personen, die ausschließlich anonym über das Internet bestellt haben, ohne Lieferadresse, Rechnungsadresse oder Bestelladresse. Über die
Komplexität der verschiedenen Adressen wurden wir am
Mittwoch ausführlich und auf interessante Weise informiert. Diese Personen können von den deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht zurückverfolgt werden. Denn
deren IP-Adressen können in Deutschland nicht mehr einem Anschluss und damit einer Person zugeordnet werden,
({2})
da die Internetprovider nicht zum Speichern der Daten
verpflichtet sind. Die Daten werden in der Regel sofort
oder nach 10, 15, 30 oder 100 Tagen gelöscht. Die Ermittlungen gegen die Personen, die über das Internet dieses widerliche Material bezogen haben, laufen ohne Vorratsdatenspeicherung ins Leere.
Eine Zahl hierzu. Nach internen Erhebungen des
BKA wurden zwischen März 2010 - das war der Monat,
in dem das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung zunächst gestoppt hatte - und April 2011
5 100 Fälle von Internetkriminalität registriert. 4 300
Fälle davon konnten aufgrund nicht vorhandener Daten
nicht zurückverfolgt werden. Es konnte also über
80 Prozent der Fälle nicht nachgegangen werden. Viele
Straftaten konnten nicht aufgeklärt werden.
({3})
Das liegt nicht in unserem Interesse. Wir sollten jeden
einzelnen Straftäter verfolgen können. Darin sollten wir
uns alle einig sein.
({4})
Zum zweiten Punkt, zur Rolle der Linksfraktion in
der heutigen Debatte. Im Antrag der Linken werden
mehrfach die Wichtigkeit der Bürgerrechte und die Freiheit der Bürgerinnern und Bürger betont.
({5})
Ich darf zitieren:
Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet aber Totalregistrierung und ebnet den Weg zum Überwachungsstaat und zum gläsernen Bürger. Sie ist einer Demokratie nicht würdig.
({6})
Meine Damen und Herren, diese gerade zitierten Aussagen sind nicht nur inhaltlich falsch - das haben meine
Vorredner bereits belegt -, aus Ihrem Mund sind sie auch
absolut unglaubwürdig. Das möchte ich ausdrücklich
hervorheben.
({7})
Ein Beispiel. Den Antrag der Linken haben unter anderem Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn und Frau Steinke
unterzeichnet. Frau Sitte war Mitglied der SED seit
1981; Herr Hahn trat 1985 der SED bei; Frau Steinke
war seit 1981 in der SED. Alle drei Herrschaften waren
also in der SED aktiv.
({8})
Wir alle wissen doch, wer staatstragend in der DDR war,
nämlich die Partei SED und nicht die Regierung.
({9})
Gerade die SED in der DDR war ein Garant für den totalitären Überwachungsstaat und den gläsernen Bürger.
Das sollten Sie hier berücksichtigen.
Sie als SED-Nachfolgepartei hofieren die ehemaligen
Stasimitarbeiter, so wie das im letzten Sommer durch
Frau Steinke geschehen ist.
({10})
Sie selbst waren aktiver Teil des Überwachungsstaates.
({11})
- „Sie“ kleingeschrieben.
({12})
Sie müssen Ihre Geschichte aufklären. Solange Sie das
nicht gemacht haben, sollten Sie - ({13})
- Dann lernen Sie doch daraus!
({14})
Wenn Sie aus Ihrer Geschichte gelernt haben, dann
frage ich mich, wo das deutliche Bekenntnis zur Verurteilung der Geschichte bleibt. Wieso werden Sie noch
immer vom Verfassungsschutz kontrolliert? Wieso setzen Sie nicht aktiv den undemokratischen Kräften in Ihrer Partei entschlossen etwas entgegen?
Kollege Wendt, möchten Sie die Gelegenheit nutzen
und Ihre Redezeit verlängern, indem Sie auf eine Frage
oder Bemerkung der Kollegin Wawzyniak reagieren?
Ansonsten ist Ihre Redezeit abgelaufen.
Ja, bitte.
Herr Wendt, können und wollen Sie zur Kenntnis
nehmen, dass es auf dem Sonderparteitag, auf dem es um
die Umbenennung der SED in SED-PDS ging, eine Entschuldigung gegeben hat?
({0})
Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es
eine umfassende und lang andauernde Debatte zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gegeben hat bis hin
zu Beschlüssen zur Offenlegung der eigenen Biografie?
({1})
Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir
uns mit unserer Vergangenheit um unserer selbst willen
auseinandergesetzt haben, während Sie Mitglieder der
SED, Mitglieder der Blockparteien in Ihren Reihen haben und deren unrechtmäßig erworbenes Geld?
({2})
Frau Kollegin, ich nehme das alles, was Sie gesagt
haben, zur Kenntnis.
({0})
Ich frage nach den Folgen. Es sind lediglich Krokodilstränen vergossen worden;
({1})
denn die ehemaligen SED-Aktiven und -Vorderen, die
den Staat getragen haben, sind heute noch aktiv und engagiert in Ihrer Partei. Auf Parteitagsbeschlüsse müssten
strikte personelle Konsequenzen folgen. Auch stellt sich
die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.
Deswegen ist das - ich darf zusammenfassen - ziemlich
unglaubwürdig.
Ich bin Christ und glaube an das Gute im Menschen.
({2})
Deswegen hoffe ich, dass Sie in den nächsten Jahren
doch noch zu der Einsicht kommen, dass Konsequenzen
gezogen werden müssen.
Um die Debatte vielleicht zu beenden,
({3})
sollten wir schnellstens den Entwurf eines Gesetzes erarbeiten, das den unbefriedigenden Zustand beendet, dass
Kinderpornografie im Internet nicht verfolgt werden
kann. Die Koalition wird dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Wir wollen die Opfer schützen,
die Täter überführen und die Verfassung schützen.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/381 und 18/302 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung
- 17. Legislaturperiode Drucksachen 17/13674, 18/605
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich sehr, heute erstmalig als Tourismusbeauftragte das Wort in diesem Hohen Hause ergreifen zu dürfen. Genauso wie die ostdeutschen Bundesländer, über
die wir heute Morgen geredet haben, braucht der Tourismus eine engagierte Stimme in der Bundespolitik. Diese
Rolle möchte ich gerne übernehmen.
Der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung
aus der 17. Legislaturperiode, über den wir heute noch
einmal diskutieren, zeigt eindrucksvoll, welche Wirtschaftskraft der Tourismus entfaltet. Das Wort „Tourismus“ kommt immer ein bisschen leicht daher. Man
denkt an Sommer, Sonne, Strand und Cocktails. Wer vermutet schon, dass im Jahr rund 280 Milliarden Euro
Konsumausgaben in Deutschland dahinterstehen?
2,9 Millionen Menschen sind in diesem Dienstleistungssektor beschäftigt.
Ich möchte neben den vielfältigen tourismuspolitischen Themen, die es zu bearbeiten gilt, drei Schwerpunkte setzen. Mein erster Schwerpunkt sind die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Die Sorgen der
Branche über einen zunehmenden Mangel an Fachkräften sind sicherlich berechtigt. Aber hier müssen sich Hotellerie und Gastronomie fragen lassen, was sie selbst
zur Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen beitragen können. Frau Ludwig, ich habe heute Morgen Ihre
Pressemitteilung gelesen. Hier sind wir in vielem deckungsgleich: Die Branche muss ihr - so sage ich mal Schmuddelimage ablegen, damit junge Leute die Chancen ergreifen, die der Tourismusbereich bietet, und dort
eine Lehre anfangen.
({0})
Etwas anderes gehört aber auch dazu: In einem
Dienstleistungsgewerbe wie dem Tourismus ist die Qualität des Service das A und O. Wer ansprechende Leistungen haben will, muss auch entsprechend zahlen. Mit
der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns setzt die
Bundesregierung eine unterste Haltelinie fest. Aber die
Tarifparteien, Arbeitgeber und Gewerkschaften, müssen
zu angemessenen Abschlüssen in dieser Branche kommen, auch um die Attraktivität der Arbeit für Fachkräfte
in der Tourismuswirtschaft zu steigern. Dabei geht es
nicht nur um die Entlohnung, sondern auch um Arbeitsbedingungen, Urlaubsansprüche und Überstunden; das
ist gerade in der Tourismuswirtschaft ganz besonders
wichtig.
({1})
Der zweite Schwerpunkt ist die Digitalisierung. Die
Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verändert auch das Reisen. Der Gast von heute surft vorab im
Internet, bucht Tickets, Hotels und Mietwagen online
und orientiert sich während des Urlaubs mit verschiedenen Reise-Apps. Zum Schluss gibt er noch eine Bewertung über das Erlebte ab, die für alle potenziellen Kunden nachlesbar und sichtbar ist. Die Großen der
Branchen machen da längst mit, aber viele kleine Betriebe der Tourismuswirtschaft können mit dieser rasanten technischen, aber auch sozialen Entwicklung noch
nicht Schritt halten. Ihnen müssen wir helfen, damit sie
sich in der digitalen Welt besser zurechtfinden, weil sie
sonst auf der Strecke bleiben. Es ist mir auch als Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung sehr wichtig,
dass wir hierauf ein großes Augenmerk richten.
Den dritten Schwerpunkt werde ich auf die Entwicklung des Tourismus im ländlichen Raum legen. Von dem
Tourismusboom in Deutschland mit immer neuen Rekordmarken in den letzten Jahren profitieren die ländlichen Räume noch nicht wirklich. Wir haben das im Tourismusausschuss besprochen. Dabei kann gerade der
Tourismus Arbeitsplätze und Einkommen in die nicht
zwingend, aber meistens strukturschwachen Regionen
bringen. Hier sehe ich ein großes Potenzial, das es zu
nutzen gilt, auch wenn der Bund - das muss man zugeben - beim Thema Tourismus zunächst nur in der zweiten Reihe sitzt.
Deshalb ist mir ein konstruktiver Dialog mit den Ländern ein besonders großes Anliegen. Ich bin mir sicher,
dass wir gemeinsam viel Sinnvolles bewegen können.
Ich weiß um starke Partnerinnen und Partner. Sie alle,
die Kolleginnen und Kollegen vornehmlich des Tourismusausschusses des Deutschen Bundestages - ich fand
unsere Debatte diese Woche sehr interessant -, aber auch
die Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftsausschusses zeigen ein großes Interesse. Auf die Diskussionen
freue ich mich.
Die große Bandbreite an tourismuspolitischen Themen spiegeln auch Ihre Anträge, die Anträge der Fraktionen und die Beschlussempfehlungen wider. Ich fasse
das als vielfältigen Impuls und Input auf, wofür ich mich
an dieser Stelle ganz herzlich bedanke. Ich werde mich
bemühen, der Interessenvielfalt gerecht zu werden.
Gleichzeitig ist es aus meiner Sicht wichtig, Schwerpunkte zu setzen. Ich glaube, es herrscht auch darüber
Konsens; denn auch das spiegelt sich in Ihren Anträgen
wider.
In diesem Sinne freue ich mich auf eine vertrauensvolle, eine offene und eine gute Zusammenarbeit und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Kassner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Werte Gäste! Letzteres ganz besonders;
denn das sind wir als Touristiker den Gästen schuldig.
Ich habe die Zeit im Herbst und im Winter des vergangenen Jahres, als wir noch nicht in den Ausschüssen
tagten, genutzt, um mich eingehend mit diesem Bericht
vertraut zu machen. Ich habe darin viel Wissenswertes
und Interessantes gelesen, aber ich habe auch einige
Stellen vermisst, wo ich gerne weitere Impulse gesetzt
hätte. Aber vielleicht liegt das genau daran, wie es die
Parlamentarische Staatssekretärin sagte, dass wir unterschiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben. Vielleicht
liegt gerade darin für uns die Chance, mehr für den Tourismus, der bekanntlich kein politisches Schlachtfeld
sein darf, zu machen und positive Entwicklungen in dieser Legislaturperiode voranzutreiben.
({0})
Dass sich das lohnt, zeigen die einschlägigen Zahlen
in diesem Bericht. Der direkte Umsatz beträgt 97 Milliarden Euro, fast 220 Milliarden Euro werden durch den
Tourismus generiert, die Zahl der Beschäftigten ist hoch.
Das sind Gründe, für die es sich lohnt, konsequent am
Thema zu bleiben.
Es tauchen aber immer wieder Situationen auf, die
zeigen, dass man den Tourismus behüten muss. Ich
selbst habe das während meiner Tätigkeit als Landrätin
erlebt. Wir hatten einmal ein Naturereignis, und von einem Tag zum anderen schwiegen die Telefone und wurden Buchungen storniert. Das war eine ernsthafte Bedrohung einer ganzen Region, das kann ich Ihnen sagen.
Wir mussten viel für unser Image tun, um das wieder
auszubügeln. Daran arbeiten wir eigentlich heute noch.
Aber das hat uns auch ein Stück weit zusammengeschweißt.
Ich möchte heute auf drei Punkte eingehen, die meiner Fraktion und mir besonders am Herzen liegen. Der
erste Punkt betrifft - den haben auch Sie genannt - die
Frage der Arbeitskräfte. Uns wird im Mai ein Bericht
vorgelegt, in dem eine Bewertung des Arbeitsmarktes
und eine Arbeitskräfteanalyse vorgenommen werden.
Wir werden uns damit sicherlich sehr intensiv auseinandersetzen. Ich kann Ihnen sagen, dass das auch wirklich
dringend notwendig ist.
({1})
Wenn es etwas gibt, was die Region MecklenburgVorpommern und auch meine Heimatinsel Rügen kennzeichnet, dann das, dass dort alle Entwicklungen auf
dem Arbeitskräftemarkt wie mit einem Brennglas vorweggenommen werden; man erkennt sehr früh Tendenzen. Wir haben es sehr stark mit der Alterung in unserer
Bevölkerung zu tun. Wir haben sehr stark damit zu tun,
dass wir nur wenige Wirtschaftsbranchen haben. Bei uns
konzentriert sich alles auf den Tourismus und die Landwirtschaft; viel mehr ist da nicht.
Dann macht es mir wirklich großes Kopfzerbrechen,
dass es freie Stellen für Köche und Hotelangestellte gibt,
dass es aber eben auch sehr viele gibt, die arbeitslos
sind. Dazu muss ich Ihnen sagen: Dafür gibt es ganz objektive Gründe: Man muss einen Beruf im Tourismus
wirklich lieben und mit seiner ganzen Persönlichkeit
ausgestalten. Wenn sich andere erholen, es sich gemütlich machen, dann arbeiten die Touristiker. Das machen
sehr viele sehr gern; schließlich macht es auch Spaß. Da
kommt auch etwas zurück.
Aber man muss es auch können. Man muss in der
Lage sein, seine familiären Anforderungen mit den beruflichen Herausforderungen in Übereinstimmung zu
bringen. Man muss bereit sein, Überstunden auf sich zu
nehmen. Unter Umständen muss man bereit sein, nur im
Sommer zu arbeiten und im Winter zu Hause zu sein.
Das ist nicht einfach. Es ist auch nicht einfach, nach der
Saisonarbeit, also zu Beginn des Winters, zum Arbeitsamt zu gehen. Mir fehlen Impulse und Möglichkeiten,
wie man den betroffenen Menschen noch stärker helfen
kann.
({2})
Es gab bei uns beispielsweise die sogenannten Winterakademien. So etwas wäre eine Möglichkeit, wo man ansetzen könnte.
Der zweite Punkt, der mir wichtig ist, sind die Kinder- und Jugendreisen. Hier gibt es noch ein unendliches
Feld, das man bestellen kann. Wir alle erinnern uns an
unsere Klassenfahrten. Das waren wirklich schöne Erlebnisse. Solche Reisen leisten aber auch etwas für die
Bildung. Man lernt andere Länder, andere Kulturen kennen. Das macht einen wirklich zum Weltbürger, und am
Ende sieht man auch die eigene Heimat, das eigene Zuhause mit ganz anderen Augen. Auch das tut gut.
({3})
Der dritte Punkt, der mir wichtig ist - wir haben es
mitbekommen; es ist ein ressortübergreifendes Thema;
es lohnt sich, von allen Seiten daran zu arbeiten -: Wir
wünschen uns, dass es direkt im Bundeskanzleramt einen verantwortlichen Koordinator gibt, der diese Dinge
miteinander vernetzt, der daran arbeitet, dass alle Ressorts nicht aneinander vorbei-, sondern gemeinsam in
diese Richtung wirken.
Ich denke, es lohnt sich, dafür zu streiten. Wir stehen
bereit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Tourismusausschuss, aber natürlich auch auf die Zusammenarbeit mit vielen Verbänden sowie vielen Betroffenen
aus den Regionen und den Bereichen der Wirtschaft.
Vielen Dank.
({4})
Kollegin Kassner, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich möchte auf § 33 unserer Geschäftsordnung aufmerksam machen; denn Sie haben
diesen Paragrafen hier gerade in vorbildlicher Weise angewendet. Er lautet:
Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen ersten
Auftritt hier im Deutschen Bundestag!
({0})
Das Wort hat die Kollegin Daniela Ludwig für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Kassner, auch vonseiten meiner Fraktion
einen herzlichen Glückwunsch. Wir wissen alle: Die
erste Rede ist ein ganz besonderer Anlass. Ich glaube, es
ist schön, wenn man sie in so einem konsensualen Umfeld halten kann. Ich kann mich erinnern: Meine erste
Rede fand in einem strittigen Umfeld statt. Aber da lernt
man dann auch so einiges; da muss man eben durch. In
diesem Sinne herzlichen Glückwunsch auch von unserer
Seite.
Wir haben natürlich echte Fachleute aus den Arbeitsgruppen unter uns. Echte Fachleute sitzen heute aber
auch auf der Tribüne. Es ist eine ganze Reihe von Tourismusstudenten heute im Deutschen Bundestag. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen.
Ich hoffe, Sie lernen hier ein bisschen etwas, und wir lernen im Gespräch mit Ihnen sicherlich auch noch so einiges. Schön, dass Sie da sind!
({0})
Tourismus in Deutschland und auch Urlaub in
Deutschland, das ist bekanntermaßen eine Erfolgsgeschichte. Gerade auch die Zahlen der letzten zwei Jahre
belegen dies in aller Deutlichkeit. Die Zahl der Übernachtungen von ausländischen Gästen hat sich 2013
überproportional erhöht; es gab einen Zuwachs um fast
7 Prozent, worauf wir, glaube ich, sehr stolz sein können.
Deutschland ist zudem Kulturreiseziel Nummer eins ein Etikett, das man uns nicht automatisch zuschreiben
würde, woran man aber erkennt, dass wir über ein breitgefächertes Angebot auch für die Menschen verfügen,
die sich für Kultur interessieren.
Wir haben bei den Geschäftsreisen stark zugelegt.
Auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können.
Dagegen bleibt die Zahl der inländischen Touristen
nahezu gleich. Auch das ist relativ logisch. Der Deutsche
macht zwar nach wie vor sehr gern Urlaub, aber er
macht halt kürzer Urlaub. Darunter „leiden“ wir - das
sage ich in Anführungszeichen - hier in Deutschland.
Aber, wie gesagt, der Zuspruch von ausländischen Gästen ist nach wie vor hoch, und er steigt immer weiter.
Dass die Tourismusbranche ein knallharter Wirtschaftszweig ist, konnten wir bereits den Worten der
Staatssekretärin entnehmen. Was die Konsumausgaben
angeht: 280 Milliarden Euro allein aus der Tourismusbranche in Deutschland, das ist richtig viel. Deswegen
ist es natürlich gut, dass wir dem Wirtschaftsministerium
zugeordnet sind. Dass wir eine Staatssekretärin haben,
die Mittelstand und Tourismus in ihrem Amt sozusagen
vereint, ist auch gut. Klar ist aber: Wir dürfen die anderen Ministerien, die für uns mindestens genauso zuständig sind, nicht aus der Verantwortung entlassen; denn
Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Häuser
betrifft.
({1})
Ich bin sehr froh, dass wir den Tourismuspolitischen
Bericht der letzten Bundesregierung sozusagen als Vehikel benutzen, um heute im Plenum eine Art Auftaktdiskussion zu diesem wichtigen Thema zu führen. Natürlich wissen wir: Tourismus ist eigentlich Ländersache
- das merkt man dem Bericht auch an - und wird entsprechend unterschiedlich ausgestaltet. Ich sage meinen
tourismuspolitischen Kollegen immer sehr selbstbewusst: Es mag schon sein, dass per se die Zuständigkeit
für den Tourismus bei euch liegt; die Zuständigkeit für
die Rahmenbedingungen liegt aber bei uns. - Umso
mehr müssen wir im Bund darauf schauen, dass die Rahmenbedingungen auch passen - für alle die, die hier Urlaub machen wollen, für alle die, die im Tourismus arbeiten, aber auch für alle die, die gegebenenfalls noch im
Bereich Tourismus tätig werden wollen.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag, der nicht viel
zum Tourismus enthält, in einem, wie ich finde, wichtigen Satz Folgendes vorgenommen: Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ soll zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche
Entwicklung“ werden. Da sehen wir schon, wohin diese
Koalition will. Ich habe den Eindruck, dahin wollen wir
alle gemeinsam.
Bei aller Beliebtheit unserer Städte und bei aller Beliebtheit unserer Kulturziele - wir müssen den ländlichen Raum massiv pushen, und zwar in alle Richtungen.
({2})
Hier liegt großes Potenzial. Wenn wir die Gäste schon
dahaben, müssen wir ihnen vermitteln: Es geht auch jen1426
seits von Berlin, Hamburg, München - Sie verzeihen mir
diese Aufzählung; das soll keine Prioritätenfolge sein noch weiter. Schaut darüber hinaus! - Die DZT macht
einen riesig guten Job, wird es aber nicht allein schaffen
können.
Nun zum Stichwort „Breitbandversorgung“; das ist
schon genannt worden. Die Breitbandversorgung ist eine
Art der Erschließung, die für den ländlichen Raum wichtig ist, sowohl für den, der hinfährt - er möchte nicht offline sein -, wie auch für den Gastgeber, der gefunden
werden möchte und alles tut, um in der Google-Liste
nach oben zu kommen. Das schafft der aber nicht ganz
allein; da wird er unsere Unterstützung brauchen. Deswegen: Die Breitbandversorgung ist ganz wichtig.
({3})
Die zweite Art der Erschließung kennen wir alle. Tourismusregionen müssen gut erreichbar sein - mit den unterschiedlichsten Verkehrsträgern: mit dem ÖPNV, mit
Fernbussen, mit der Deutschen Bahn natürlich, mit dem
Pkw natürlich auch, mit dem Flugzeug selbstverständlich. Das muss gegeben sein, sodass der Tourist den Eindruck hat: Ich komme bequem dahin, wohin ich gern
möchte, auch wenn das jenseits der Ballungszentren
liegt. - Dafür haben wir in der Verkehrspolitik eine hohe
Verantwortung, die wir durch eine sehr intensive Diskussion über diesen Bericht im Verkehrsausschuss in dieser
Woche bereits, glaube ich, sehr gut herausgestellt haben.
Zu den Arbeitsbedingungen ist sehr vieles, sehr Richtiges gesagt worden; das will ich nicht wiederholen. Wir
haben bis auf wenige Nuancen einen sehr hohen Konsens, wenn es darum geht, zu sagen: Der Tourismus ist
eine Superbranche. Es lohnt sich, über eine Ausbildung
dort nachzudenken. Es muss aber auch ordentlich bezahlt werden. Es muss ordentliche Arbeitsbedingungen
geben. Diejenigen, die Dienstleistungen im Tourismus in
Anspruch nehmen, müssen diese auch zu schätzen wissen.
({4})
Sie müssen wissen: Es stecken jede Menge Herzblut
und Anstrengung dahinter, ein Hotel zu betreiben, eine
Gaststätte zu betreiben. Das kann eben nicht jeder. Das
können nur diejenigen, die ordentlich ausgebildet sind.
Ich bringe es einmal auf den Punkt: Wir wollen bitte
auch nur von solchen bewirtet werden. Es gibt genügend, die das können. Die müssen wir auch weiterhin
unterstützen. Auch hier können wir über das Berufsbildungsgesetz - so viel zur Kompetenz - einiges von Bundesseite tun.
({5})
Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet, weil
mich das Thema Barrierefreiheit persönlich sehr umtreibt. Wir waren in dieser Woche bei der NatKo und haben uns „Tourismus für Alle“ zu Gemüte geführt. Auch
das ist ein wichtiger Punkt, beispielsweise für die Verkehrsträger. Da gibt es massiven Nachholbedarf, insbesondere im Bereich des Bahn- und des Luftverkehrs. Es
ist auch wichtig, dass die Hotels und die Destinationen
für dieses Thema sensibilisiert werden. Da geht es nicht
nur um Menschen mit Behinderung, sondern auch um
unsere Senioren und um Familien, die mit dem Kinderwagen durch die Gegend fahren müssen und die sich
auch nicht über Stufen freuen, über die sie in den Speisesaal fallen.
Das alles sind Dinge, bei denen eine Sensibilisierung
notwendig ist. Dahinter steht auch ein kräftiger Investitionsschub. Diesen gilt es von unserer Seite zu unterstützen, wo wir es können. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen. Ich finde, bisher hat sie
großen Spaß gemacht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zahlen sind genannt worden. Sie sind sehr imposant.
Es gibt fast 2,9 Millionen Menschen in Deutschland, die
im Tourismusbereich Arbeit finden. Der Anteil des Tourismus an der gesamten Bruttowertschöpfung beträgt
10 Prozent. Das ist sehr ordentlich. Der vorliegende
Tourismusbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht: Der Tourismus ist ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor in diesem Land. Das gilt es zu sichern. Das
gilt es aber auch weiterzuentwickeln.
({0})
Liebe Frau Staatssekretärin Gleicke, Sie haben ja nun
die undankbare Aufgabe übernommen, hier einen Bericht zu verteidigen, für den Sie nicht verantwortlich
sind; denn er ist die Bilanz der letzten vier Jahre einer
Regierungskoalition, die es nicht mehr gibt. Aber Sie
tragen jetzt zusammen mit dem Parlament Verantwortung dafür, dass in diesem Land in der Tourismuspolitik
etwas vorangeht.
Wir müssen die Zukunft jetzt gestalten, aber - das ist
wichtig; darüber dürfen die guten Zahlen nicht hinwegtäuschen - wir stehen auch vor großen Herausforderungen. Einige sind ja vorhin bereits genannt worden. Es ist
nicht nur der Klimawandel, auf den ich explizit hinweisen möchte, der althergebrachte Urlaubsmodelle infrage
stellt. Wir haben ja in den vergangenen Jahren bei Überschwemmungen, bei denen auch Tourismusgebiete betroffen waren, immer wieder gesehen, dass man das
Thema des Klimawandels hier konkret angehen muss.
Dazu kommen der demographische Wandel, die Finanzkrise, ein verändertes Konsum- und damit auch verändertes Buchungsverhalten, steigende Ansprüche der
Kunden an Unterkünfte und Infrastruktur und nicht zuletzt das starke Gefälle der Tourismusintensität zwischen
Stadt und Land.
Ich möchte einmal exemplarisch mehrere Punkte nennen, bei denen es dringenden Handlungsbedarf gibt. Da
steht ein Thema, das Sie freundlicherweise angesprochen haben, auch bei uns ganz oben auf der Agenda. Ich
freue mich darüber, dass Sie es zu Ihrem Schwerpunkt
machen wollen. Das ist das Thema der Arbeitskräfte und
der Ausbildungsbedingungen.
Wir haben im letzten Jahr im Ausschuss gehört, dass
von den rund 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen
in der engeren Tourismusbranche nur die Hälfte sozialversicherungspflichtig sind. Das ist ein Riesenproblem.
Das müssen wir angehen. Ich glaube, dass wir da mit
dem Mindestlohn alleine nicht überall weiterkommen
werden. Es hängt auch mit den Ausbildungsbedingungen
zusammen, dass die Berufe der Tourismusbranche in den
Beliebtheitsrankings immer auf den letzten Plätzen rangieren. Ohne Fachkräfte kein qualitativ hochwertiger
Tourismus; das muss uns klar sein. Deswegen erwarte
ich ein schnelles und zielgerichtetes Handeln seitens der
Bundesregierung. Sie haben das angekündigt, Frau
Gleicke. Ich bin sehr gespannt und freue mich, dass Sie
das angehen wollen.
({1})
Ein anderer Punkt ist die Verkehrsinfrastruktur. Frau
Kollegin Ludwig hat sie angesprochen. Diese muss
künftig wegen des demografischen und klimatischen
Wandels anders gestaltet werden. Es muss uns klar sein:
Nur dort, wo die Menschen auch ohne Auto gut hinkommen und wo sie während des Urlaubs auch ohne Auto
mobil sein können, kann ein nachhaltiger Tourismus
wachsen. Das hat auch etwas mit Klimaschutz zu tun.
Wir wissen: Im Tourismus entsteht bei der An- und Abreise ein Großteil des ökologischen Fußabdrucks. Es gibt
auch Urlaubsregionen, die unter der Zunahme und der
Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr leiden. Umso schlimmer ist es - deshalb die Kritik an dieser Stelle -, dass im Tourismuspolitischen Bericht der
Bundesregierung der vergangenen Wahlperiode nur
ganze zwei Sätze zum Thema Klima und Verkehr stehen.
Da muss mehr Fleisch an den Knochen, und zwar dringend.
({2})
Wir wissen, dass eine intakte Umwelt die Grundlage
jeder Tourismusdestination ist. Ihr Erhalt muss deshalb
die Maxime des politischen Handelns sein, nicht zuletzt
aufgrund ökologischer Erwägungen. Auch wenn man
keine Affinität zur Ökologie hat: Aus ökonomischen
Gründen ist es wichtig, die Grundlage in den Tourismusdestinationen zu erhalten, und diese Grundlage ist eine
intakte Umwelt.
Sie haben gesagt, dass wir die regionalen Wirtschaftsstrukturen durch den Tourismus nachhaltig verbessern
müssen. Ich freue mich sehr, dass an dieser Stelle Konsens herrscht. Sie haben vorhin beschrieben, dass es da
ein Gefälle gibt. Das ist noch untertrieben. Lediglich
12 Prozent der touristischen Wertschöpfung werden auf
dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier sind. Das ist ein riesiges
Delta, das wir schließen müssen.
Es gibt eine Untersuchung der Hochschule München,
die zeigt: Von 100 umgesetzten Euro bleiben nur rund
36 Euro in der Region. An dieser Stelle müssen wir ansetzen. Wir müssen regionale Wirtschaftskreisläufe
schließen. Deswegen hoffe ich, dass die Große Koalition
auch dafür sorgt, dass das begonnene Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ - ein positiver
Ansatz aus der letzten Wahlperiode - nicht einfach in der
Schublade verschwindet, sondern weitergeführt wird;
eventuell auch mit Modellregionen.
({3})
Es gibt viele Themen. Sie haben die Weiterentwicklung der GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Räume“ angesprochen. Diese befürworte ich außerordentlich. Wir haben ein großes Problem beim
Sanierungsstau. Der Mittelstand im Bereich des Tourismus hat ein ganz großes Problem mit der Finanzierung,
weil es dort nur eine ganz niedrige Eigenkapitalquote
gibt. Ich glaube, dass wir gemeinsam eine Strategie entwickeln müssen. Ich reiche Ihnen dafür heute die Hand
und biete unsere Zusammenarbeit an. Ich denke, es ist
aller Mühen wert, den Tourismus in Deutschland weiter
voranzubringen. Wir brauchen hier gute Strukturen. Wir
können Ihnen nur sagen: Wir sind bereit, uns dabei zu
engagieren. Es gibt einen Konsens; das haben wir heute
gehört. Ich hoffe, dass wir ihn in der kommenden Wahlperiode auch in konkrete Taten umsetzen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestatten Sie mir, einleitend ein Dankeschön
für den vorliegenden Tourismusbericht an unseren ehemaligen Kollegen Ernst Burgbacher zu richten. Er hat
diesen Bericht als Beauftragter der Bundesregierung für
Mittelstand und Tourismus vorbereitet und größtenteils
zu verantworten. Persönlich freue ich mich jetzt auf die
Zusammenarbeit mit seiner Nachfolgerin, unserer Kollegin Iris Gleicke, die sich bereits sehr engagiert im
Tourismusausschuss vorgestellt hat. Heike Brehmer
wünsche ich ebenfalls viel Erfolg bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit als Vorsitzende des Tourismusausschusses.
Der Wirtschaftszweig Tourismus ist es wert, dass wir
uns für ihn einsetzen. Er erwirtschaftet mit 97 Milliarden
Euro einen direkten Anteil von 4,4 Prozent an der gesamten Bruttowertschöpfung unserer Volkswirtschaft.
2,9 Millionen Erwerbstätige sind direkt in der Touris1428
musbranche beschäftigt. Das sind 7 Prozent aller Erwerbstätigen unseres Landes. So konnte Deutschland
bereits zum vierten Mal in Folge einen Übernachtungsrekord aufstellen. Nahezu 411 Millionen Übernachtungen wurden gezählt. Entscheidend für dieses Wachstum
war die zunehmende Zahl von Übernachtungen ausländischer Gäste. Wir verzeichnen 71,6 Millionen Nächtigungen.
Man muss einmal ganz deutlich auf die Ursache für
diese positive Entwicklung hinweisen. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 war der Durchbruch beim Auslandstourismus für das Reiseland Deutschland. Seit 2006 sind
die Übernachtungszahlen von ausländischen Gästen um
insgesamt knapp 18 Millionen gestiegen. Deutschland
hat Weltoffenheit, Gastfreundschaft und Toleranz gezeigt und somit seine Chance genutzt. Deutschland kann
stolz sein auf die Wiederaufbauleistungen sowie auf die
Wiedervereinigung vor 25 Jahren. Das ist gut so.
({0})
Trotz der Bedeutung dieses Wirtschaftsfaktors ist es
mir völlig unverständlich, dass wir als Tourismuspolitiker jedes Jahr als Bittsteller bei den Haushaltspolitikern
auftreten müssen. Wenn die Autoindustrie in der Krise
hustet, wird die Summe von 5 Milliarden Euro für Abwrackprämien im Handstreich aufgetrieben. Hier, wo
wir Tausenden von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Hotellerie und Gastronomie helfen können,
darf die Unterstützung nicht infrage gestellt werden.
({1})
Diese Mittelständler können einen weltweiten Markt allein nicht durchdringen. Sie benötigen die bündelnde
Kraft der Deutschen Zentrale für Tourismus.
Warum schreiten wir als öffentliche Hand hier nicht
mit zusätzlichen Beiträgen, zum Beispiel 5 Millionen
Euro, voran und holen dabei die Länder und die Wirtschaft mit ins Boot? Tatsache ist doch: Die DZT hat nach
der Fußballweltmeisterschaft den Schwung genutzt und
ihre Marketingaktivitäten immer mehr ausgeweitet. Sie
würde gerne noch intensiver für das Reiseland Deutschland werben. Dafür müssten wir aber die Mittelerhöhung
umsetzen. Gerade in den Zukunftsmärkten Brasilien,
China, Indien und Russland mit ihrem enormen Wachstumspotenzial und dem Interesse für unsere Kultur
müsste Deutschland als Reiseland viel stärker beworben
werden.
In diesem Zusammenhang muss ein weiteres heikles
Thema erörtert werden. Meines Erachtens war es eine
Fehlleistung, dass die Bundesländer der DZT die Kompetenz und die Gelder für das Inlandsmarketing entzogen
haben. Damit wurde eine Chance vertan, vorhandene Mittel zu bündeln, um schlagkräftig die Werbetrommel rühren zu können. Ich setze auch auf eine starke Koordinierung von Bund, Ländern und Regionen. Persönlich
wünsche ich mir, dass wir die Neugestaltung eines übersichtlichen Destinationsmanagements gemeinsam angehen. Wir müssen wegkommen von 130 Tourismusregionen,
um die nationale und die internationale Vermarktung effizienter zu gestalten. Wir müssen weg von der geradezu
unhaltbaren Kirchturmpolitik, die hier immer noch betrieben wird.
Die Bündelung der Kräfte ist auch bei Investitionen
der Kommunen in die touristische Infrastruktur eine
Hauptaufgabe. Damit die Region attraktiv bleibt, müssen
sich Städte und Gemeinden gemeinsam eine Entwicklungsstrategie überlegen; denn eine hohe touristische Attraktivität und Investitionen in die Tourismusbranche
kommen in nicht unerheblichem Maße der einheimischen Bevölkerung und anderen Wirtschaftszweigen zugute. Investitionen in diesem Sektor tragen vielfach zu
spürbaren Verbesserungen der Standort- und Lebensqualität bei. Sie führen zu einer Erhöhung des Wohnwertes
sowie des Imagefaktors einer Region und erleichtern damit auch Unternehmensansiedlungen. Kurzum: Jeder
Euro, der in die touristische Infrastruktur investiert wird,
hat einen doppelten Nutzen.
Meine Damen und Herren, vor der entsprechenden Investition sollten die Kommunen aber Grundsatzentscheidungen treffen. Eine Tourismusregion kann nur schwerlich gleichzeitig eine Energieregion sein. Noch wissen
wir nicht, wie sich die Energiewende auf die Natur, die
Kulturlandschaft und den Tourismus auswirkt. Hier
muss abgewogen werden zwischen den verschiedenen
Formen der Gewinnung und Speicherung regenerativer
Energien und der Landschaftsästhetik, einem der wichtigsten Faktoren für den Tourismus.
Angesichts der guten Zahlen im vorliegenden Bericht
können wir von einem dynamischen Wirtschaftsmarkt
sprechen. Aber ein dynamischer Wirtschaftsmarkt mit
Steigerungsraten von knapp 4 Prozent braucht eine dynamische Marktbeobachtung. Deswegen sollte die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode mindestens
zwei Tourismusberichte vorlegen. Nur so können wir
diesem schnelllebigen und gewinnträchtigen Wirtschaftsfaktor gerecht werden.
Sie sehen: Trotz der Erfolge bleibt noch viel zu tun.
Packen wir es an! Ich freue mich auf eine gemeinsame,
kollegiale Zusammenarbeit in unserem Ausschuss.
({2})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Frank
Junge.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst, Frau Gleicke, bin ich sehr froh darüber, dass
Sie bei uns im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind
und uns Ihre Kompetenzen zur Verfügung stellen. Ich
glaube, dass wir mit Ihnen an dieser Stelle eine gute
Multiplikatorin haben. Wir brauchen Sie nicht im Kanzleramt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn will ich
gerne das zusammenfassen, was Sie alle auf den Punkt
gebracht und mit Zahlen unterlegt haben. Der Tourismus
in unserem Land ist eine Erfolgsgeschichte. Die Branche
ist ein volkswirtschaftliches Schwergewicht und ein unverzichtbarer Impulsgeber für den Arbeitsmarkt. Die
Prognosen - das wurde auch schon deutlich - sind überaus gut. Das bestätigt auch der Bericht, der Ihnen vorliegt, eindrucksvoll. Das ist - das muss man noch einmal
sagen - zum einen das Verdienst eines überwiegend mittelständisch geprägten Unternehmertums, aber es ist
auch das Verdienst von circa 3 Millionen direkt Beschäftigten im Tourismus. All denen muss man einmal Dank
und Anerkennung aussprechen.
({1})
Die vorliegende Analyse zeigt aber auch klar und deutlich, um welche Handlungsfelder wir uns kümmern müssen; das kam hier an vielen Stellen zum Ausdruck. Wir
müssen uns den entsprechenden Problematiken stellen;
denn es gibt viel zu tun. Den Erfolgsaussichten, den guten Prognosen für die Branche müssen Taten folgen, damit es zu positiven Auswirkungen auf die Branche
kommt.
Saisonarbeit, unregelmäßige Arbeitszeiten, schlechte
Bezahlung - all das sind Faktoren, die einen Fachkräftemangel nach sich ziehen, der die Arbeitsmarktsituation
in der Branche signifikant, also gefährlich beeinflusst.
Wenn wir hier darüber reden, zusammen mit den Ländern, den IHK, den Verbänden und den Gewerkschaften
Verbesserungen bei der Ausbildung herbeizuführen,
dann - das unterstreiche ich deutlich - müssen wir auch
über den Mindestlohn reden. Wir brauchen einen Mindestlohn, weil bei der Berufswahl nicht nur die Liebe
zum Beruf, Frau Kassner, eine Rolle spielt, sondern auch
die Frage, ob man in diesem Beruf ausreichend Geld
verdienen und damit eine Familie ernähren kann.
({2})
Zum Thema Verkehrsinfrastruktur ist auch schon einiges gesagt worden. Ich möchte kurz den Bereich
Schienennetz erwähnen. Es ist natürlich so, dass der
Ausbau des Verkehrs auf der Schiene dazu führen wird,
dass Fernverkehrsstraßen entlastet werden, Emissionen
reduziert werden etc. Aber wir werden mit der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene auch dazu beitragen,
eine neue Zielgruppe für den Tourismus zu erschließen,
nämlich die Gruppe derer, die keinen Pkw haben und
über den Schienenverkehr dennoch Zugang zu den Destinationen finden und vor Ort nach ihren Möglichkeiten
konsumieren. Vor diesem Hintergrund ist es ganz wichtig, dass wir bessere infrastrukturelle Voraussetzungen
für einen Deutschlandtakt mit aufeinander abgestimmten
Anschlüssen aller Beteiligten in diesem Bereich schaffen.
({3})
Denn es ist einfach unvorstellbar ärgerlich, wenn man
als Familie mit Gepäck auf einem Bahnhof steht, aber
der anschließende Bus im ÖPNV gerade abgefahren ist
und einen nicht zur nächsten Station bringen kann. Das
verhindert ganz klar das Ausweichen auf die Schiene,
das wir alle wollen.
({4})
Zweitens ist klar herauszustellen, dass wir auf die
Deutsche Bahn einwirken müssen, damit zum Beispiel
die Fahrradmitnahme in den Zügen verbessert wird.
({5})
Fahren Sie mal mit Fahrrad und Familie mit dem Zug.
Da fängt der Abenteuerurlaub schon am ersten Tag des
Urlaubs an.
({6})
Drittens möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch
dafür zu sorgen haben, dass die Deutsche Bahn das Angebot barrierefreier Fahrgast- und Tarifinformationen
ausbaut.
({7})
Es ist einfach so, dass die barrierefreie Reise schon dort
anfängt. Hier ist Erhebliches zu tun.
Stichwort Barrierefreiheit. Auch ich möchte diesen
Punkt kurz beleuchten, Frau Ludwig. Es geht nicht nur
darum, einer UN-Konvention nachzukommen, wenn wir
Menschen mit Mobilitäts- oder Aktivitätseinschränkungen die Angebote so offerieren, dass sie sie auch wahrnehmen können. Es geht auch darum, dass Familien mit
Kindern und ältere Menschen barrierefreie Angebote
ebenfalls gerne in Anspruch nehmen. Wie gerne sie das
tun, sieht man an diesem Punkt: Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert das entsprechende Marktpotenzial
auf circa 4,9 Milliarden Euro. Dahinter steckt ein Wirtschaftsfaktor, dessen wir uns einfach annehmen müssen,
um die Branche zu stärken. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gilt es hervorzuheben und zu unterstreichen.
({8})
Ich sehe es also als eine wesentliche Aufgabe an, zusammen mit der Bundesregierung und allen Akteuren in
diesem Bereich davon wegzukommen, lediglich die
wirklich überaus begrüßenswerten Initiativen und Einzelprojekte zur Schaffung von Barrierefreiheit vor Ort zu
unterstützen; wir müssen mit allen Beteiligten eine Art
Masterplan entwickeln. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.
({9})
Lassen Sie mich einige Sätze zum Wassertourismus
verlieren. Es ist klar, dass die Gäste, die sich für diese
Angebotspalette interessieren, längst nicht mehr nur den
Zugang zum Wasser brauchen. Hier haben sich aus den
Bedürfnissen der Touristen Nachfrageaspekte entwickelt, denen wir einfach gerecht werden müssen. Unser
Land bietet mit den rund 10 000 Kilometer langen Bundes- und Landeswasserstraßen und den fast 23 000 Quadratkilometer großen Seewasserstraßen eine Fülle von
Voraussetzungen dafür, dieser Nachfrage gerecht zu
werden. Hier brauchen wir ein Konzept aus einem Guss,
ein Wassertourismuskonzept, das die vorhandene Angebotsstruktur so bündelt, dass man den Ansprüchen der
Gäste und Urlauber in diesem Bereich, was zum Beispiel
vergleichbare Qualitätsmerkmale anbetrifft, gerecht wird
und die Voraussetzungen dafür schafft, dass unser Standort Deutschland im europäischen Wettbewerb auch hier
ein Stück weit die Nase vorn hat.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Abschluss sagen, dass ich über den im Ausschuss
vorhandenen Konsens erstaunt bin. Ich empfinde das als
eine überaus fruchtbringende Arbeitsweise. Wenn wir so
weitermachen, dann können wir für den Tourismusfaktor
in Deutschland viel bewegen.
Vielen Dank.
({11})
Kollege Junge, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich im Namen
des gesamten Hauses und wünsche Ihnen Erfolg bei der
Arbeit.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Barbara
Lanzinger das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle bisherigen Redebeiträge zeigen: Der Tourismus boomt. Alle Zahlen deuten darauf hin, dass in diesem Bereich eine enorme Wertschöpfung zu verzeichnen
ist. Das ist gut für die Wirtschaft insgesamt. Besonders
gut ist das für den Mittelstand, für die ihn tragenden Familienunternehmen. Das zeigt einmal mehr, wie stabil,
innovativ und zuverlässig der Mittelstand ist. Er ist das
Rückgrat unserer Wirtschaft.
({0})
Der Bericht macht deutlich, dass viel für den Bereich
Tourismus getan wurde. Genannt sei hier exemplarisch
- auch wenn sich wahrscheinlich gleich Widerspruch erheben wird - die Senkung der Mehrwertsteuer für die
Hoteliers.
({1})
Sie war richtig und zielführend. Sie war ein kleines Konjunkturprogramm. Viele der vor allem kleinen Betriebe
haben die daraus resultierende Entlastung genutzt, um
Investitionen zu tätigen.
({2})
Frau Staatssekretärin, Sie haben es richtigerweise erwähnt: Die Bereiche Kultur- und Städtetourismus boomen. Das würden wir uns auch für den ländlichen Raum
wünschen. Ich denke, hier sind wir uns alle einig.
In der letzten Wahlperiode setzten wir mit dem Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ einen großen Schwerpunkt. Die Ergebnisse sind insgesamt
gut. In einem Handlungsleitfaden werden Chancen,
Herausforderungen und Perspektiven aufgezeigt. Die
Projektbewertung der Bundesregierung sieht jedoch
Nachholbedarf, insbesondere in den Bereichen Qualifizierung, Qualitäts- und Innovationsmanagement, Vernetzung und Marketing. Wir sollten gemeinsam darüber
nachdenken, wie wir die Förderung von Qualifizierung,
Qualitäts- und Innovationsmanagement und anderen Bereichen zielgenau einsetzen könnten, zum Beispiel mit
Krediten von der KfW.
({3})
Aus meiner Sicht gibt es ein Zauberwort, das beschreibt, was für nachhaltigen und dauerhaften Erfolg
wichtig ist: Unverwechselbarkeit. Das ist für den Bereich Tourismus besonders wichtig. Zum einen geht es
um die Unverwechselbarkeit der ländlichen Räume, die
Verbindung von herrlicher Landschaft, traditioneller, bodenständiger Küche, historischem Bauerbe und Erholung für alle Sinne: also Genuss pur zum Greifen.
Unverwechselbarkeit bezieht sich zum anderen auf
die Unternehmerpersönlichkeit. Das lässt sich am Beispiel von Gast- und Wirtshäusern gut erklären. Ich
komme aus der Oberpfalz, wo es eine Vielzahl von Gastund Wirtshäusern gibt. Die einen funktionieren hervorragend, die Menschen fahren gerne hin, auch wenn sie
noch so entlegen oder einfach ausgestattet sind, andere
wiederum fristen ein schwieriges Dasein, obwohl sie mit
den anderen Gasthäusern durchaus vergleichbar sind.
Warum ist das so? Spricht man mit den Gästen, wird
eines sehr schnell deutlich: Es geht um die Wirtsleute
selbst. Es ist wie in vielen anderen Branchen auch: Das
Ganze steht und fällt mit den Betreibern, mit den Unternehmerinnen und Unternehmern.
({4})
Wir sollten also bei den Unternehmerpersönlichkeiten
ansetzen; denn schließlich sind sie es, denen es gelingen
muss, Mitarbeiter zu gewinnen, aus- und fortzubilden,
zu motivieren und diese an das Unternehmen zu binden.
Letztendlich geht es darum, attraktive Arbeitsplätze zu
schaffen.
Ein weiterer Punkt hinsichtlich der Unverwechselbarkeit und Vielfalt unseres Tourismus, vor allem in den
ländlichen Räumen, ist die Frage: Wie können sich die
Unternehmen vermarkten? Ich denke, dass wir, wie es
im Ausschuss kurz angedacht wurde, ein Portal zur Vermarktung des ländlichen Raumes schaffen sollten. Es
gab ja schon Versuche, bestehende Initiativen und Angebote zu bündeln. Ich denke, ein positives Beispiel ist die
Vermarktung des Urlaubs auf dem Bauernhof durch den
Bauernverband über das Portal www.landsichten.de.
Hier könnten wir ein Stück weit andocken. Wir könnten
dieses Portal nutzen und es um weitere Angebote ergänzen. Ich denke, das würde Sinn machen.
({5})
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung:
Tourismus ist auch ein Botschafter. Alle Beteiligten sind
Botschafter für unser Land, für unsere Kultur und für unsere jeweils ganz eigene Lebensart. Diese Unterschiedlichkeit empfinde ich übrigens als sehr positiv. Der Tourismus ist auch Botschafter in Bezug auf die soziale
Verantwortung. Das wurde auch im Tourismuspolitischen Bericht erwähnt. Erlauben Sie mir vor dem Hintergrund aktueller Debatten den Hinweis darauf, dass
wir im Zusammenhang mit Tourismus auch darüber
nachdenken sollen und müssen, wie wir mit den Menschen umgehen wollen. Eines muss klar sein - dieser
Passus im Bericht ist mir sehr wichtig; wir sollten hierauf unser Augenmerk legen -: Es darf keine touristische
Wertschöpfung durch den Missbrauch von und an Menschen geben, weder im Ausland noch im Inland.
({6})
Ich halte es für sehr fragwürdig, Deutschland als Reiseziel Nummer eins zu bezeichnen, wenn das mit Sextourismus verbunden wird. Darauf können, wollen und dürfen wir nicht stolz sein. Ich freue mich, wenn wir im
Rahmen der Änderung des Prostitutionsgesetzes hier
- hoffentlich - einiges verändern.
Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 18/605 zu dem Tourismuspolitischen Bericht der
Bundesregierung für die 17. Legislaturperiode auf
Drucksache 17/13674. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/613. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/614. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({0}),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Einführung des neuen Entgeltsystems in der
Psychiatrie stoppen
Drucksache 18/557
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig
vorzunehmen und die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Gegen Ende unserer Debatte
am heutigen Tag geht es um ein sehr wichtiges Thema:
die Versorgung psychisch Kranker im Krankenhaus.
Wenn das, was die vorherige, die schwarz-gelbe Bundesregierung beschlossen hat, wie geplant Anfang 2015
umgesetzt wird, dann wird sich die Versorgung in den
Psychiatrien deutlich verschlechtern. Das sagen nicht
wir, sondern über 15 Fachverbände, Vertreterinnen und
Vertreter der Wissenschaft, der Ärzteschaft, der Pflegeberufe, der Pflegeverbände, der Gewerkschaften, der Klinikleitungen und nicht zuletzt der Organisationen von Patientinnen und Patienten. Alle Betroffenen sind gegen
das neue pauschalisierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik, auch PEPP genannt; die Abkürzung ist deutlich einfacher als der lange Begriff. Deshalb
ist es Aufgabe des Bundestages, seine Entscheidung von
2012 zu korrigieren und PEPP zu stoppen.
({0})
Worum geht es genau? In den nichtpsychiatrischen
Krankenhäusern wurden schon vor rund zehn Jahren
Fallpauschalen eingeführt. Das bedeutet, dass Kranken1432
häuser nicht nach dem tatsächlichen Aufwand, sondern
nach der Diagnose bezahlt werden. Eine Blinddarm-OP
bringt eine feste Summe. Dabei ist es egal, wie lange der
Patient oder die Patientin zur Rekonvaleszenz, zur Erholung im Krankenhaus bleiben muss. Die Krankenhäuser
haben so einen klaren Anreiz, die Patientinnen und Patienten früher nach Hause zu schicken.
Vor zehn Jahren war Konsens, dass dieses System in
psychiatrischen Stationen nicht funktionieren kann. Deshalb hat man dort weiterhin nach Tagessätzen gezahlt.
Denn während man bei einer Blinddarm-OP noch relativ
gut sagen kann, dass sie im Durchschnitt einen Krankenhausaufenthalt von etwa drei bis fünf Tagen zur Folge
hat, kann man bei den Diagnosen Depression, Schizophrenie oder Angststörung nicht zu Beginn der Behandlung im Krankenhaus sagen, wie lange sie sinnvollerweise dauern sollte oder dauern wird.
Solche individuellen Verläufe berücksichtigt das neue
Abrechnungssystem nicht. Zwar sieht es weiterhin eine
Bezahlung des Krankenhauses pro Tag vor, aber nur als
Durchschnittspauschale, und bei fortschreitender Dauer
wird mit jedem Tag weniger gezahlt, egal ob die Behandlung mit der Zeit eventuell sogar intensiver werden
muss. Damit hat das Krankenhaus einen Anreiz, den Patienten oder die Patientin zu entlassen, sobald die Tagespauschale unter die entstehenden Kosten fällt, egal ob
gesund oder nicht. Der Zeitpunkt der Entlassung wird
dann nicht mehr von den Ärztinnen und Ärzten in Absprache mit den Patienten festgelegt, sondern de facto
vom Krankenhausmanagement vorgegeben. Das darf unserer Meinung nach nicht sein.
({1})
Nur am Rande sei erwähnt, dass PEPP auch einen
negativen Einfluss bei Zwangsbehandlungen haben
könnte; denn Geduld mit psychisch kranken Menschen,
die meistens schwierig sind, wird dadurch nicht gefördert.
Hinzu kommt, dass nach der Einführung von PEPP
die Personalverordnung in der Psychiatrie, die Psych-PV,
ab 2017 außer Kraft gesetzt werden soll. In dieser Verordnung ist geregelt, wie viele Ärztinnen und Ärzte, wie
viele Pflegekräfte und wie viel sonstiges therapeutisches
Personal das Krankenhaus bereithalten muss. Die geplante Abschaffung zwingt die Krankenhäuser, unter
dem Diktat des pauschalen Entgeltsystems auf Kosten
des Personals und damit auf Kosten der Patientinnen und
Patienten zu sparen. Das soll unserer Meinung nach
nicht sein.
({2})
Deshalb müssen wir PEPP im Bundestag stoppen. Ich
bitte gerade auch die Kolleginnen und Kollegen aus
Union und SPD, dies zu bedenken. Vor etwa zwei Jahren, als das PEPP-Gesetz von Schwarz-Gelb beschlossen
wurde, gab die heutige gesundheitspolitische Sprecherin
der SPD hier zu Protokoll - ich zitiere -:
Das Psych-Entgeltsystem, so wie es im Gesetzentwurf konzipiert ist, überträgt die Strukturen der somatischen Medizin auf die Versorgung von psychisch Kranken. Das halten wir als SPD für einen
großen Fehler.
({3})
Weiter hieß es bei ihr:
Die Abschaffung der Psych-PV lehnen wir als SPD
ganz klar ab.
Noch ein Zitat:
Insbesondere der Diagnosebezug bei der Vergütung
von Leistungen wird mit großer Wahrscheinlichkeit
Fehlanreize setzen, Menschen mit schweren psychischen Krankheiten nur unzureichend zu behandeln.
Diese Menschen brauchen eine sehr individuelle,
therapeutische und kontinuierliche Behandlung unter Einbeziehung des eigenen Lebensumfeldes.
Dies kann nicht mit einer Struktur gelingen, die sich
an der Vergütung von Krankheiten auf der Grundlage der DRG orientiert.
Dies alles, was Sie, liebe Frau Mattheis, damals gesagt haben, ist völlig richtig. Das findet nicht nur unsere
Zustimmung, sondern auch die Zustimmung von fast allen Expertinnen und Experten, von den Betroffenen und
von inzwischen über 15 000 Unterzeichnern einer Petition, die derzeit läuft und Alternativen zu PEPP fordert.
({4})
Auch aus der Union sind Stimmen zu vernehmen, die zu
Recht an der Einführung von PEPP im Januar 2015
zweifeln. Ich habe insofern noch Hoffnung, dass die Koalition ein Einsehen hat und dieses Gesetz korrigiert. Mit
unserem Antrag wollen wir dazu eine Gelegenheit geben.
Wenn Sie aber, wie so oft bei unseren Anträgen, unseren Antrag ablehnen werden, dann bitte ich Sie: Schreiben Sie ein wenig davon ab, und bringen Sie es selbst
ein!
({5})
Legen Sie PEPP auf Eis, und lassen Sie uns mit den Experten und Betroffenen neu überlegen, wie wir ein Entgeltsystem auf den Weg bringen können, das die Versorgung von Patientinnen und Patienten verbessert und
nicht verschlechtert.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Ute
Bertram das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hat am 17. März
2009, also noch zu Zeiten der zweiten Großen Koalition,
das Krankenhausfinanzierungsgesetz um den § 17 d erweitert. Darin wurde festgelegt, für die Vergütung der
Krankenhausleistungen aus dem Fachbereich der Psychiatrie und der Psychotherapie ein „durchgängiges,
leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten
einzuführen“. Dasselbe gilt auch für die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die psychosomatische Medizin und die
Psychotherapie.
Im jetzigen Koalitionsvertrag haben wir dieses Ziel
bekräftigt. Dieses neue und mittlerweile in der Konkretisierungsphase befindliche Vergütungssystem soll das
bisherige System des tagesgleichen Pflegesatzes, der
jährlich zwischen dem einzelnen Krankenhaus und den
Krankenkassen vereinbart wurde, ablösen. Dieser Pflegesatz differenziert zwar zwischen dem Basispflegesatz,
zum Beispiel für die Kosten der Verpflegung, und dem
Abteilungspflegesatz für die medizinischen Kosten,
schert aber ansonsten alles über einen Kamm. Eine Differenzierung gerade der medizinischen Leistungen in
Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung des Patienten findet nicht statt. Dieses Vergütungssystem
gleicht geradezu einer nicht einsehbaren Blackbox, in
der Krankenhäuser Gewinner und Verlierer sein können.
({0})
Kurzum: Das System ist ungerecht. Schon deshalb
besteht Reformbedarf. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass wir einer wachsenden Anzahl psychischer
Erkrankungen gegenüberstehen. Hierauf muss sich unser
Gesundheitssystem einstellen. Mit dem Psych-Entgeltgesetz setzen wir den rechtlichen Rahmen für die Einführung des neuen Systems bezüglich der Leistungen
psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen.
Das neue System wird die Transparenz im Hinblick
auf das Leistungsgeschehen verbessern, womit wir auch
einen effizienteren Ressourceneinsatz erreichen wollen.
({1})
Es wurde im Rahmen eines lernenden Systems mit einer
vierjährigen Einführungsphase gestartet und umfasst den
Zeitraum von 2013 bis 2016. Diese Phase wird budgetneutral gestaltet; das heißt, die bisherigen Budgets bleiben den Krankenhäusern erhalten. 2013 und 2014 sind
dabei sogenannte Optionsjahre. Die Einrichtungen können frei entscheiden, ob sie am neuen Entgeltsystem teilnehmen. Mit Stand Januar 2014 haben sich von insgesamt 588 Krankenhäusern schon 80 dem neuen PsychVergütungssystem angeschlossen; das sind immerhin
13,5 Prozent. Daran schließt sich bis 2021 eine fünfjährige Konvergenzphase an. Den Einrichtungen sollte damit ausreichend Zeit gegeben sein, sich auf künftige Veränderungen ihres Erlösbudgets einzustellen.
Ich habe ja durchaus Verständnis dafür, dass Veränderungen an bestehenden Strukturen immer auch Widerstände hervorrufen; das ist offenbar so eine Art Naturgesetz. Speziell ist es auch nachvollziehbar, dass eine
Katalogisierung von psychiatrischen und psychosomatischen Leistungen kein leichtes Unterfangen ist. Die Zwischenstände bei den Arbeiten der Vertragspartner - der
Deutschen Krankenhausgesellschaft und des GKV-Spitzenverbands - belegen dies eindeutig.
Eine gebrochene Seele ist etwas anderes als ein gebrochenes Bein.
({2})
Darum ist es vorgesehen, diesen Veränderungsprozess
über einen Gesamtzeitraum von rund zehn Jahren zu gestalten. Sollte sich im Verlauf des Einführungsprozesses
doch erweisen, dass diese Frist noch zu kurz ist, kann
sich die Union auch vorstellen, den Zeitraum zu verlängern. Das kann eine Verlängerung der Optionsphase bedeuten oder bessere Absicherungsmechanismen für die
Krankenhäuser in der budgetneutralen Phase oder, in der
Konvergenzphase, auch eine Änderung des Systems.
Das alles ist vorstellbar.
Kritik der Verbände nehmen wir sehr ernst, und wir
sind auch bereit, auf Veränderungsvorschläge einzugehen. Die nächsten Veränderungsvorschläge der Selbstverwaltungspartner sollen übrigens im April veröffentlicht werden. Wir werden sie uns genau ansehen und auf
dieser Basis kurzfristig über einen Änderungsbedarf beraten. Damit ist klar: Konstruktiven Vorschlägen verschließen wir uns nicht; aber wer sich nicht einbringt,
kann auf das neue System logischerweise auch keinen
Einfluss nehmen.
In der fachöffentlichen Debatte sind nun einige Befürchtungen artikuliert worden, die klargestellt werden
sollten. So gehen einige davon aus, dass durch den degressiven Verlauf der Tagesentgelte ein falscher Anreiz
zu einer frühzeitigen Entlassung aus dem Krankenhaus
gesetzt würde. Die Tagesentgelte werden aber auf einer
umfassenden empirischen Basis kalkuliert, sodass sie die
durchschnittlichen Behandlungskosten pro Patient decken. Zu einer systematischen Untervergütung dürfte es
also nicht kommen. Vielmehr würden Psych-Einrichtungen bei einer zu frühen Entlassung auf zusätzlichen Erlös verzichten.
({3})
Ein weiterer Vorwurf lautet, der PEPP-Entgeltkatalog
sei zu wenig differenziert, jede psychische Erkrankung
verlaufe höchst individuell. Der PEPP-Entgeltkatalog
befindet sich noch in der Entstehungsphase; aber schon
jetzt ist er sehr ausdifferenziert und damit dem jetzigen
Vergütungssystem weit voraus. Der Katalog 2013 umfasst insgesamt 135 Entgelte für voll- und teilstationäre
Leistungen sowie 75 Zusatzentgelte. Darunter sind Entgelte für die hochaufwendige Versorgung, für die die
Einrichtungen nach dem bisherigen Vergütungssystem
keine erhöhte Vergütung erhalten.
Kritisiert wird auch, Diagnosen seien nicht geeignet,
Aussagen über den Behandlungsverlauf zu treffen. Die
empirischen Daten zeigen aber, dass mithilfe von Diagnosegruppen erhebliche Unterschiede beim Aufwand
erkannt werden können. Außerdem besteht Einigkeit,
dass im Rahmen des lernenden Systems weitere Merkmale zu identifizieren sind, die Aufwandsunterschiede
vielleicht noch deutlicher erklären können als die Diagnosekodierung.
Schließlich wird noch vorgeschlagen, PEPP zu verschieben oder gar zu stoppen. Bei einer Verschiebung
der Einführung ist nicht mit einer Verbesserung des Entgeltkatalogs zu rechnen. Erfolgversprechender ist es, unter den geschützten Bedingungen der budgetneutralen
Phase in das neue System einzutreten. Die Beteiligten
können intensiv und engagiert die vielfältigen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Entgeltsystems nutzen
und so das lernende System vitalisieren.
Wer die Einführung stoppen will, der will etwas, was
wir nicht wollen, nämlich das ungerechte und intransparente bisherige Vergütungssystem aufrechterhalten.
Herzlichen Dank.
({4})
Kollegin Bertram, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg für Ihre Arbeit!
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich gehe jetzt direkt auf die vorherigen Beiträge ein.
Zunächst möchte ich sagen: Wir unterstützen das Anliegen der Linken in ihrem Antrag, weil auch wir meinen: Es ist notwendig, dass wir einen Haltepunkt setzen
und uns noch einmal anschauen, unter welchen Bedingungen wir PEPP in Gang gesetzt haben und ob das neue
Honorarsystem in seiner Ausgestaltung, die wir im Gesetz gewählt haben, geeignet ist, eine Verbesserung der
Versorgung von psychisch erkrankten Menschen herbeizuführen. Das muss nämlich die große Zielsetzung sein.
({0})
Wir stellen hier fest, dass schon bei der Geburt dieses
Gesetzes einige Fehler gemacht worden sind. Ich glaube,
auch die CDU-Kollegen waren durchaus nicht immer
glücklich mit den Vorschlägen, die vom damals FDP-geführten BMG unterbreitet worden sind und letztlich Inhalt des Gesetzes wurden.
Es gab zentrale Defizite. Beispielsweise wurde vorher
nicht geprüft - das war der erste Fehler -, ob die Personalausstattung den Notwendigkeiten in den Psychiatrien
tatsächlich entspricht. Es gab keine Vorstellung darüber,
wie man die ambulante Versorgung und die stationäre
Versorgung zusammenbringen kann und wie der Übergang von stationärer Versorgung zur ambulanten Versorgung im Entgeltsystem abzubilden ist.
Es gibt kaum einen Ansatz, der tatsächlich im Auge
hat, wo die Versorgung 2022 stehen muss. Wie muss sie
aussehen? Wie schaffen wir eine gemeindenahe, gut verzahnte, ambulante, gestufte Versorgung für die Menschen mit einer psychischen Erkrankung unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Individualität? Das alles
fehlte bei der Beurteilung der Ausgangslage, weshalb
dieses Gesetz eher ein Spar- und kein wirkliches Reform- und Strukturgesetz geworden ist.
({1})
Zum zweiten Fehler. Sie haben gesagt, es sei ein lernendes System. Per Ersatzvornahme wurde die neue
Struktur des Entgeltsystems erst einmal vorgegeben. Von
dieser Ebene aus kann sie jetzt weiterentwickelt werden.
({2})
Es hat im Vorhinein Probedokumentationen gegeben.
({3})
Man hat nach Kostentrennern gesucht und aufgezeigt,
dass das, was vom InEK berechnet wurde, nicht praxisrelevant war, sondern dass noch andere Kostentrenner
analysiert werden mussten.
Das alles war bekannt. Deshalb kann man feststellen,
dass wir mit Wissens- und Informationslücken sowie
strukturellen Defiziten in dieses System gestartet sind.
Das ist eigentlich bedauerlich, weil wir natürlich zu einem neuen Honorarsystem kommen müssen. Wir müssen zu einem leistungsgerechten Entgeltsystem kommen, das aber auch die individuellen Bedürfnisse der
Patienten berücksichtigt. Das muss die große Zielsetzung sein.
Sie haben im Koalitionsvertrag verabredet, jetzt eine
systematische Überprüfung vornehmen zu wollen. Wir
hoffen darauf, dass Sie diese tatsächlich ergebnisoffen
vornehmen und auch das Anliegen der Linken in ihrem
Antrag berücksichtigen - das ist ja im Übrigen ein Anliegen, das wir in unserem Antrag damals auch schon geäußert hatten -, eine begleitende Expertenkommission
einzurichten und sich gemeinsam mit ihr auf den Weg zu
einem adäquaten Neustart zu machen.
({4})
Das Ganze wird aber damit stehen und fallen, dass Sie
wirklich bereit sind, noch einmal zu überdenken, wo unsere psychiatrische Versorgung 2022 stehen muss. Dabei
dürfen Sie nicht nur auf die Kosten gucken, sondern es
geht auch darum, dass es am Ende passgenaue Angebote
gibt, die sowohl die ambulante als auch die stationäre
Hilfe im Blick haben.
Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, was in Bezug auf die integrierte Versorgung im ambulanten Bereich entwickelt wird. Auf der anderen Seite muss die
neue Form des Honorarsystems Maßnahmen ermöglichen, die notwendig sind, um nach der Entlassung aus
dem Krankenhaus wieder vollständig zu genesen. All
das steht heute noch komplett aus. Das sind die Aufgaben, die wir zu erledigen haben.
Wir müssen ebenso fragen, was das neue System für
die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
bedeutet und was die von uns entwickelten Vorgaben,
nach denen Zwangsbehandlungen und Zwangsmaßnahmen zu vermeiden sind, für den Personalbedarf bedeuten.
Das sind die großen Baustellen, die wir anzugehen
haben. Wir hoffen, dass wir mit den Anhörungen, die zu
diesem Antrag hoffentlich stattfinden werden, genau
diese Probleme auf den Tisch bringen. Wir werden unsere Vorstellungen mit einem weiteren Antrag in die Debatte einbringen und hoffen, dass Sie in der Umsetzung
ihrer Koalitionsvereinbarung einen Schritt weiter kommen - zugunsten der Betroffenen.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk
Heidenblut das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Weg mit PEPP!“ - Auf diesen recht eingängigen Spruch brachte eine sehr große Initiative von
Fachleuten die Diskussion um das pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik, kurz PEPP,
und damit gleich auch die vermeintliche Lösung des Problems. Nun will ich nicht verhehlen: Diese kurze Formel
ist sehr eingängig; zielführend aber, ähnlich der jetzt
ebenso kurzen Formulierung „Einführung des neuen
Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen“, ist sie nicht
unbedingt.
2009 fing es gar nicht so schlecht an. Als die damalige Bundesgesundheitsministerin die Reform auf den
Weg brachte und letztlich das Psychiatrie-Entgeltgesetz
beschlossen wurde, gab es sogar so etwas wie eine Aufbruchstimmung. Bis 2013 sollte Zeit sein, zu guten Ergebnissen zu kommen. Die Ministerin machte deutlich:
Es wird um Tagespauschalen gehen. - Das ist etwas, was
in der Psychiatrie grundsätzlich machbar ist. Zudem
stand die Psychiatrie-Personalverordnung als Anker für
die Mindestpersonalbemessung deutlich im Fokus.
({0})
Dann erfolgte die Vorlage des PEPP-Entgeltkatalogs
durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, der aber zwischen den Partnern nicht vereinbart
werden konnte, da die DKG massive Bedenken hatte,
wie übrigens nahezu alle Fachverbände. Das FDP-geführte Ministerium verfügte stattdessen Ende 2012 ohne
ausreichende Berücksichtigung der durchaus begründeten Einwände die Ersatzvornahme. Das PEPP wurde
zum 1. Januar 2013 gestartet.
Seitdem - das war angesichts des wenig zielführenden Umgangs des FDP-Ministers mit den Sorgen der
Fachleute verständlich - hagelt es Kritik am PEPP. Aber
seitdem gibt es auch auf allen Seiten das Bemühen, diese
Kritik in konstruktive Änderungsvorschläge umzuwandeln.
({1})
Für dieses sehr lösungsorientierte Verhalten sind wir den
Fachverbänden und den Einrichtungen ausdrücklich
dankbar.
Die neue Koalition will sich der Diskussion und den
vielen Anregungen an dieser Stelle nicht verschließen.
({2})
Dieser Politikwechsel findet sich auch im Koalitionsvertrag, in dem wir deutlich machen: Eine Benachteiligung
schwerst psychisch Erkrankter darf es nicht geben. Neue
Drehtüreffekte dürfen nicht erzeugt werden, weshalb
dazu dann auch systematische Veränderungen des Vergütungssystems vorzunehmen sind.
Es gilt, die Bedenken ernst zu nehmen und gemeinsam Lösungen zu finden. So hat schon der Landschaftsverband Rheinland, einer der großen kommunalen
Träger von psychiatrischen Kliniken, zugleich übrigens
ein Motor ambulanter Eingliederungshilfe, auf einer bemerkenswerten Fachtagung geäußert - ich zitiere aus
dem Vorwort -:
Der LVR hat es sich zum Ziel gemacht, das neue
System nicht nur zu kritisieren, sondern aktiv an
der Weiterentwicklung mitzuarbeiten.
Diese Bereitschaft nicht nur des LVR, sondern auch etwa
der bayerischen Bezirke und vieler anderer wurde aufgegriffen und muss auch weiter aufgegriffen werden.
({3})
Bei der Fachtagung wurde zudem deutlich: Auch die
Krankenkassen sehen durchaus Veränderungsbedarf. So
befürchtete der Vertreter einer großen Kasse einen Anstieg der Wiederkehrrate, also einen klassischen Drehtüreffekt, durch das PEPP. Dank der sehr intensiven Mitarbeit vieler Fachverbände am Vorschlagsverfahren - es
gibt ja ein Verfahren, mit dem Veränderungen durchgeführt werden können - wurden bereits Veränderungen
durch das InEK in das laufende System eingepflegt.
({4})
Das gemeinsame Ziel ist und bleibt, besser verzahnte
und transparente Leistungen im ambulanten und stationären Bereich zu sichern. Es muss eine effektive Versorgung der psychisch Erkrankten sichergestellt werden.
({5})
Aber das System ist nun einmal am Start. Es gibt
zahlreiche Einrichtungen - inzwischen fast 15 Prozent -,
die sich im Rahmen der aktuell möglichen Option, sich
also schon 2013 bzw. 2014 auf das neue System einzulassen, auf den Weg gemacht haben. Es gibt Ansätze, alternative Verfahren zu erproben. Das mal eben dadurch
zu stoppen, dass man Krankenhäuser, die dies wünschen,
nicht weiter optieren lässt, würde dem berechtigten Vertrauensschutz der Einrichtungen nicht gerecht, den begonnenen Dialogprozess untergraben und uns zudem die
Möglichkeit nehmen, auf relevante Daten zuzugreifen.
Es würde damit dem Ziel nicht gerecht.
({6})
Denn dass im System der Psychiatrie Veränderungen
notwendig sind, ist, glaube ich, heute wie schon 2009
unumstritten.
Psychische Erkrankungen nehmen bedauerlicherweise zu und entwickeln sich zum Hauptgrund für berufliche Krankschreibungen. Dass Anpassungen und Veränderungen, auch in der stationären Versorgung, erfolgen
müssen, ist unvermeidlich. Das ändert natürlich nichts
daran, dass wir sehr genau darauf achten müssen, Fehlentwicklungen zu vermeiden, die dazu führen würden,
dass das neue System am Ende womöglich mehr schadet
als nützt und wirtschaftlich nur einen Verschiebebahnhof
im System eröffnet.
Gerade die Versorgung psychisch Erkrankter ist auf
ein stimmiges und abgestimmtes System angewiesen,
das von der Prävention über stationäre und ambulante
Maßnahmen und gute Reha bis hin zur Eingliederung
reicht. Ein Baustein in diesem System, der den Notwendigkeiten nicht gerecht wird, löst unabsehbare Probleme
im Gesamtsystem und damit erhebliche Folgekosten und
im Zweifel Verschiebung aus. Und die stationäre Versorgung ist ein großer Baustein im System.
Wir haben das Problem möglicher Verwerfungen
durch die Systemveränderung gesehen und in den Koalitionsvertrag aufgenommen, dass wir uns damit auseinandersetzen werden. Das InEK ist mit der Prüfung und der
Vorlage eines entsprechenden Berichts beauftragt. Die
Ergebnisse werden im April vorliegen. Im Anschluss
und unter Auswertung dessen gilt es, gemeinsam mit
dem InEK und den anderen Fachleuten die nötigen
Schlüsse zu ziehen. Dazu kann auch gehören, dass wir
mehr Zeit benötigen, um wirksame Anpassungen vorzunehmen, wie es die aktuell noch laufende Petition, aber
auch der LVR, der Präsident des Bayerischen Bezirketages und viele Fachverbände fordern. Das weist in die
richtige Richtung: nicht „Stopp“ oder „Weg damit“, sondern Zeit für Anpassung und Korrektur.
Wir benötigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, keine peppigen Anträge, sondern ein PEPP,
das den Bedürfnissen der Beteiligten gerecht wird und
im besten Sinne das Entgelt- und Versorgungssystem
aufpeppt. Daran werden wir in der Koalition arbeiten.
Der Bericht des InEK wird uns dabei sicherlich ebenso
eine Hilfe sein wie die vielfältigen Einlassungen der
Fachverbände.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({7})
Kollege Heidenblut, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Auch Ihnen wünsche ich im Namen
des gesamten Hauses viel Erfolg in Ihrer Arbeit.
({0})
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Emmi
Zeulner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst möchte ich mich entschuldigen,
falls ich in meiner Rede aufgrund meiner fränkischen
Wurzeln das PEPP zum „BEBB“ mache. Aber der Inhalt
bleibt der gleiche. Es ist wichtig, dieses Thema sensibel
anzugehen.
Im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik dürfen
keine Fehlentwicklungen entstehen. Denn gerade die
große Bandbreite von Krankheitsverläufen und die Sensibilität des Themas bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit aller. Deswegen ist es absolut richtig, das Vergütungssystem zu thematisieren und klug zu überdenken.
So steht es auch im Koalitionsvertrag.
In einem sind wir uns alle einig: Das bisherige System der tagesgleichen Pflegesätze kann so nicht weitergeführt werden. Die Höhe der Pflegesätze spiegelt nicht
den eigentlichen Personal- und Zeitaufwand wider. Ob
ein Patient eine 24-Stunden-Überwachung benötigt, weil
er suizidgefährdet ist, oder selbstständig am Klinikalltag
teilnehmen kann, findet wenig Berücksichtigung. Das
System ist weder transparent - denn von außen ist nicht
einsehbar, welche Behandlungen der Patient tatsächlich
erhält -, noch ist es leistungsorientiert, weil die Behandlungsintensität eine untergeordnete Rolle in der Vergütung spielt.
Hinzu kommt, dass die tagesgleichen Pflegesätze ihre
Wurzeln im Gesundheitssystem der 70er-Jahre haben
und seitdem nicht weiterentwickelt wurden. Den Herausforderungen, aber auch den Möglichkeiten, vor denen die psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen heute stehen, wird es schwer gerecht.
Angesichts der eklatant gestiegenen Zahlen psychischer Erkrankungen müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir es, ein Vergütungssystem zu etablieren, das eine
individuelle, praxisnahe und qualitativ hochwertige Behandlung honoriert? Darum hat die Bundesregierung im
Jahr 2009 reagiert und die Selbstverwaltungspartner zur
Entwicklung von PEPP aufgefordert. Damit wurde der
Weg hin zu einem neuen Vergütungssystem beschritten.
Ein solch komplexes System lässt sich nicht einfach
aus dem Ärmel schütteln. Ein patienten- und sachgerechtes Vergütungsmodell lässt sich auch nicht am runden Tisch fernab der Praxis entwerfen. Deswegen war es
richtig, einen sanften und gleichzeitig flexiblen Übergang zwischen dem alten und dem neuen System zu
schaffen. Jetzt, im Jahr 2014, sind wir im zweiten Jahr
der Optionsphase. Die Einrichtungen können also noch
zwischen dem alten und dem neuen System wählen. Erst
im Jahr 2015 soll die Umstellung verbindlich werden.
Die Stärke des lernenden Systems liegt in der Möglichkeit der jährlichen Anpassung des Katalogs im Dialog mit den Beteiligten. Es soll aus den Erfahrungen der
Praxis wachsen und ist als Prozess zu verstehen. Das
wird hoffentlich von vielen angenommen. Es handelt
sich auch nicht um verkappte Fallpauschalen; vielmehr
sind es Tagessätze auf Basis einer Fallgruppierung. Das
bedeutet: Im Gegensatz zur diagnosebezogenen Fallpauschale steht mit dem PEPP der Klinik für jeden Behandlungstag eine Vergütung zu. Der Drehtüreffekt wird somit vermieden.
Plakative Aussagen wie „Weg mit PEPP“ bringen uns
in der Sache nicht weiter.
Natürlich ist PEPP in seiner jetzigen Form nicht der
Weisheit letzter Schluss. Die Kritik von Patientenvertretern und Verbänden ist selbstverständlich sehr ernst zu
nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass blumige
Reden von uns Politikern aller Couleur nicht ausreichen.
PEPP wird einen Mehraufwand an Bürokratie bedeuten. Das ist die Kehrseite der Medaille und darf nicht
verleugnet werden.
Auch sehe ich Handlungsbedarf in der differenzierten
Ausgestaltung der Entgelte. Zum Beispiel im Bereich
der Gerontopsychiatrie und der Suchtmedizin. Spezielle
Stationen, die unser Gesundheitssystem so wertvoll machen wie zu Beispiel die Gehörlosenpsychiatrie, müssen
ihrer besonderen Aufgabe entsprechend in den Katalog
mit einfließen.
({0})
Die Anliegen, gerade was den Personalschlüssel in
der Pflege angeht, müssen bei der Weiterentwicklung
des Systems unbedingt berücksichtigt werden. PEPP
darf nicht auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen
werden. Hierbei werden sie mich immer als Streiterin an
ihrer Seite haben.
PEPP ist ein lernendes System. Wie bei jedem Schüler hängt der erfolgreiche Werdegang zum großen Teil
vom Engagement der Lehrer ab. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, gemeinsam mit den Selbstverwaltungspartnern das Schulkind PEPP zu einem leistungsorientierten und transparenten System auszugestalten,
sodass es den unermüdlichen Einsatz der Pflegenden,
der Ärzte und der Therapeuten angemessen honoriert
und so dem Wohl der Patienten dient.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Tribüne, ganz besonders die Gruppe
von der Kaufmännischen Schule in Göppingen - herzlich willkommen!
({0})
Das PEPP hat nicht wirklich Pep. Das hat, glaube ich,
diese Debatte schon gezeigt. Das Vergütungssystem
braucht systematische Veränderungen, damit schwerst
psychisch Erkrankte nicht benachteiligt, die sektorenübergreifende Zusammenarbeit gefördert und Drehtüreffekte verhindert werden - genau so haben wir es im
Koalitionsvertrag miteinander verabredet. Deshalb brauchen wir und auch das Gesundheitsministerium in dieser
Frage, denke ich, eigentlich nicht unbedingt Nachhilfe
von linker oder grüner Seite.
In der Praxis im Bereich der psychiatrischen Hilfe
zeigt sich, dass schwer chronisch kranke und mehrfach
belastete Patientinnen und Patienten in Deutschland
noch immer wenig Zugang haben zu ambulanten, personenzentrierten und gemeindenahen Versorgungsangeboten. Obwohl diese Zielsetzung bereits durch die Psychiatrie-Enquete 1971 formuliert wurde, stagnieren die
Hilfestrukturen. Darum ist es dringend notwendig, parallel zur Reform des Entgeltsystems im stationären Bereich den ambulanten Bereich im Rahmen des SGB V dazu zählen zum Beispiel die Psychotherapie oder die
Soziotherapie - in den Blick zu nehmen und ambulante
und mobile Rehabilitationsangebote auszubauen.
({1})
Wer hier maßgeblich etwas in Bewegung bringen
möchte, wird die starke Fragmentierung unserer Versorgungsstrukturen grundlegend auf den Prüfstand stellen
müssen; denn sie hat nachweislich negative Auswirkungen auf die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten. Die Zahl der Brüche und Doppelungen in den
Behandlungen und die Zahl der Klinikaufenthalte könnten deutlich verringert werden, wenn flexiblere, kontinuierliche Pfade der Behandlung, der Rehabilitation und
der Teilhabeförderung tatsächlich ausgestaltet und verlässlich finanziert würden sowie die Selbsthilfe gefördert
würde.
({2})
Es muss uns alarmieren, wenn laut Deutscher Rentenversicherung fast jede zweite Frühverrentung wegen einer psychischen Erkrankung erfolgt und das Durchschnittsalter inzwischen bei 49 Jahren liegt. Das ist für
jeden Einzelnen und seine Angehörigen eine persönliche
Tragödie. Für die Solidargemeinschaft muss es als Herausforderung verstanden werden zur Weiterentwicklung
unserer Hilfe- und Angebotslandschaft.
({3})
Es gilt, den Grundsatz „Reha vor Rente“ nicht nur politisch zu fordern, sondern durch konkrete Maßnahmen
anzugehen. So ist es beispielsweise äußerst ärgerlich,
wenn nach wie vor Rentenversicherung und Krankenversicherung im Einzelfall darüber streiten, ob eine Rehaleistung bewilligt wird und welcher Rehaträger die
Kosten zu tragen hat. Das baut Hürden auf und führt bei
nicht wenigen Betroffenen dazu, dass sie auf eigentlich
notwendige Leistungen verzichten, anstatt sich für ihre
Rechte und die notwendige Therapie einzusetzen. Dabei
wäre es gerade zu diesem frühen Zeitpunkt wichtig, den
Verlust des Arbeitsplatzes durch Rehamaßnahmen zu
verhindern.
({4})
Was hat das mit PEPP zu tun? In der Praxis zeigt sich,
dass durch die aktuelle Ausgestaltung des PEPP die dringend erforderliche bessere Verzahnung von Ambulant
und Stationär gerade nicht gefördert wird.
({5})
Vielmehr kommen aufgrund der verkürzten akutstationären Behandlungszeiten rehabilitative Aspekte in der Behandlung zu kurz. Wer gerade noch in einer akuten Episode seiner psychischen Erkrankung steckte, ist schnell
überfordert. Wenn der oder die Betroffene Glück hat, engagiert sich die entlassende Klinik unentgeltlich für Folgemaßnahmen. Da diese aber regional sehr unterschiedlich und meist unzureichend zur Verfügung stehen,
kommt es oft zu belastenden Wartezeiten, womöglich zu
neuen akuten Krisen oder gar zur Chronifizierung der
Krankheit. Darum braucht es klare Zuständigkeiten und
die entsprechende Vergütung für ein patientenzentriertes
Übergangs- und Case-Management.
({6})
Problematische Verschiebungen in andere Leistungsbereiche wie beispielsweise SGB XI - Pflegeeinrichtungen -, die diesen Zielgruppen nicht annähernd gerecht
werden können, sind keine angemessene Antwort. In Baden-Württemberg erleben wir gerade, dass Träger der
Sozialpsychiatrie aufgefordert werden, neue, zusätzliche
- insbesondere geschlossene - Wohngruppen aufzubauen. Allein in Stuttgart sind in den letzten zwei Jahren
drei geschlossene Wohnheime neu entstanden, weil bereits jetzt die Verweildauern in der klinischen Behandlung deutlich abgenommen haben. Wollen wir diesen
Rückfall in die Zeit vor der Psychiatrie-Enquete wirklich?
({7})
Nein, wir sind nämlich herausgefordert, die Ziele der
UN-Behindertenrechtskonvention ernst zu nehmen und
für mehr Selbstständigkeit und Teilhabe einzutreten.
Ich hatte eingangs gesagt: Die Regierungskoalition
hat das Thema auf der Agenda. Was dabei aus SPDSicht zentral ist, will ich abschließend kurz skizzieren.
Die Schieflagen des jetzigen Systems müssen beseitigt
werden durch eine angemessene Ressourcenverteilung.
Ein zukunftsfähiges Vergütungssystem im Psychiatriebereich muss die Krankenhäuser darin unterstützen, im
lokalen Verbund Versorgungsverantwortung zu übernehmen. Wir brauchen flexibler nutzbare, integrierte Hilfsangebote für die Betroffenen und fließende Übergänge
zwischen dem stationären, teilstationären und ambulanten Bereich. Das Recht und der Anspruch von psychisch
kranken Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe
sind anzuerkennen. Darum brauchen wir die ideelle und
die materielle Förderung von personenzentrierten Behandlungskonzepten.
Darum sagen wir als SPD heute: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Es bringt nichts, ein System vom Kopf auf die
Füße und dann wieder auf den Kopf zu stellen. Lassen
Sie uns die Einführung des PEPP weiter aufmerksamkritisch begleiten und an den richtigen Stellen den Hebel
zur Korrektur ansetzen.
Vielen Dank.
({8})
Kollegin Baehrens, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu möchte ich Ihnen gratulieren.
Ich möchte Ihnen gleichzeitig mit auf den Weg geben,
dass Sie jetzt keinen Kredit aufgenommen haben. Vielmehr gilt in Zukunft: Wenn das Minuszeichen vor der
Zahl erscheint, dann ist tatsächlich die Redezeit abgelaufen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die
Unionsfraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegen der Linken, Sie haben in
Ihrem Antrag formuliert:
Liegen die realen Kosten in einem Krankenhaus höher, ist das Entgelt nicht kostendeckend. Diese Klinik muss also die Kosten senken …
Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Ja, das werden sie wohl müssen. Aber haben Sie auch daran gedacht, dass es Krankenhäuser gibt, die Leistungen erbringen, ohne dass es angemessene Preise gibt? Zum
ersten Mal definieren wir Leistung. Wenn es Krankenhäuser gibt, die für die gleiche Leistung mehr Geld bekommen als andere, dann kommen diese anderen zu
kurz.
({0})
Deswegen ist dieses Entgelt, das wir jetzt einführen, gerecht. Wo ist denn an der Stelle Ihr Gerechtigkeitssinn
geblieben? Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
({1})
Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Entgelt, bei dem wir erstmals Leistung definieren, die Krankenhäuser in die Lage versetzen, einen Überblick darüber zu gewinnen, welche Leistungen sie selber
erbringen und was diese Leistungen kosten. Bisher waren alleine die Berechnungstage und die Fälle mehr oder
weniger die Grundlage, um die tagesgleichen Pflegesätze zu kalkulieren. Das ist deutlich zu wenig. Wenn
man in der heutigen Zeit eine so komplexe Einrichtung
wie ein Krankenhaus führen will, ist diese Kalkulationsmethode schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß.
Es ist im Rahmen des jetzigen Entgeltsystems auch
nicht möglich, vernünftige Vergleiche, was die Leistung
anbelangt, mit anderen Krankenhäusern anzustellen. Die
Krankenhäuser selber müssten das größte Interesse daran haben, ein Benchmarking zu erhalten, das tatsächlich
aussagefähig ist, um endlich Transparenz in Krankenhäuser, in psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen hineinzubekommen, und zwar Transparenz für
sich selber, gegenüber den Kostenträgern, aber vor allem
gegenüber den Patientinnen und Patienten.
({2})
Jetzt gibt es ein verweildauerorientiertes Vergütungssystem, das bekanntlich mit tagesgleichen Pflegesätzen
arbeitet. Ich glaube auch, dass dieses verweildauerorientierte System nicht patientengerecht ist. Welcher Patient
hat denn schon ein Interesse daran, sich unnötig lange
stationär in einer psychiatrischen Einrichtung aufzuhalten?
({3})
Es geht doch darum, die richtige Hilfe zu bekommen,
sei es über die sozialpsychiatrischen Dienste. Das beginnt ganz unten, also niederschwellig, in den Kommunen und geht über den niedergelassenen Bereich und
teilstationäre Einrichtungen bis hin zu den PIAs.
Erst dann, wenn es wirklich notwendig ist, sollte die
Hilfe im stationären Bereich erfolgen - dann so kurz wie
nur möglich.
Es kann schon sein, dass dieses System besonders
schwierige Fälle nicht in der Weise abbildet, wie wir uns
das vorstellen. Dafür ist es aber - wir haben es heute
schon mehrfach gehört - ein lernendes System. Wir haben neun Jahre lang Zeit, um das in den Griff zu bekommen.
Im Koalitionsvertrag wurde deutlich gemacht, dass
genau in diesen besonders schweren Fällen, wo ein langer Aufenthalt durchaus angezeigt ist, keine Nachteile
entstehen dürfen, weder für die Krankenhäuser noch für
den Patienten. Darauf werden wir bei der Entwicklung
des Systems ein besonderes Augenmerk legen; das sichern wir Ihnen an der Stelle noch einmal zu.
Ich fordere Sie auf, nicht mit Verzagtheit, nicht mit
Bedenken an dieses problematische Thema heranzugehen, nicht mit neuen Verordnungen und Reglementierungen das alles in den Griff bekommen zu wollen, sondern
zusammen mit uns mutig voranzugehen, um in den psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern
mittelfristig ein zeitgemäßes Vergütungssystem einzuführen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/557 an den Ausschuss für Gesundheit
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. März 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute in der Zwischenzeit, Erfolge im Wahlkreis und
vielleicht auch ein bisschen Erholung.