Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung .
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Wolfgang
Schäuble, nachträglich zu seinem 74 . Geburtstag gratulieren
({0})
sowie auch der Kollegin Pia Zimmermann und dem
Kollegen Karl Holmeier, die jeweils ihren 60 . Geburtstag gefeiert haben, alle guten Wünsche des ganzen Hauses für das nächste Lebensjahr übermitteln .
({1})
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Konzentration in der Agro- und Saatgutindustrie durch die geplante Fusion der Bayer AG
und Monsanto
({2})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern
Drucksache 18/7370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die Unterzeichnung - im Namen der Europäischen Union - des umfassenden Wirtschafts- und Handelsab kommens ({4}) zwischen Kanada einer seits
und der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten andererseits
KOM({5}) 444 endg.; Ratsdokument
10968/16
und
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die vorläufige Anwendung des
umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({6}) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({7}) 470 endg.; Ratsdokument
10969/16
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Comprehensive Economic and Trade Agreement ({8}) - Für freien und fairen Handel
Drucksache 18/9663
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({9})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ({10}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken
Drucksache 18/7654
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({11})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz bei vegetarischen und
veganen Produkten schaffen
Drucksache 18/9057
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr öf-
fentliche Sicherheit
Drucksache 18/9674
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Renate Künast, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Internationale rechtliche Zusammenarbeit
stärken und ausbauen
Drucksache 18/9675
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Dr . Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Syrien - Luftbrücke einrichten, humanitäre
Not lindern
Drucksache 18/9687
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({13})
Auswärtiger Ausschuss ({14})
Federführung strittig
ZP 5 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
({15})
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({16})
zu dem Streitverfahren 2 BvE 2/16 vor dem
Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/9691
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Die Situation in Syrien nach dem Angriff auf
den VN-Hilfskonvoi
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({17})
zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens - Klimaschutz wirksam verankern
und Klimaziele einhalten
Drucksachen 18/8080, 18/9702
ZP 8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Tabea
Rößner, Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian
Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht
der Presse gegenüber Bundesbehörden ({18})
Drucksache 18/8246
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({19})
Ausschuss für Kultur und Medien ({20})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
Federführung strittig
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Nach dem Tagesordnungspunkt 6 sollen als Zusatzpunkt ohne Debatte ein Antrag auf der Drucksache 18/9663 zum CETA-Abkommen und danach, ebenfalls ohne Debatte, die Tagesordnungspunkte 39 a und
39 c aufgerufen werden . Auch hier geht es um einen Antrag und eine Beschlussempfehlung zu diesem Abkommen .
Auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD folgt nach dem Tagesordnungspunkt 7 eine Aktuelle
Stunde mit dem Titel „Die Situation in Syrien nach dem
Angriff auf den VN-Hilfskonvoi“ .
Der für morgen vorgesehene Tagesordnungspunkt
39 b - hier geht es um eine Beschlussempfehlung zu einem Antrag zum Thema Handelspolitik - soll abgesetzt
und stattdessen der Tagesordnungspunkt 9 mit einer Redezeit von 77 Minuten debattiert werden . Die Tagesordnungspunkte 13 und 17 - hier geht es um Anträge der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - rücken entsprechend
vor .
Anstelle des bisherigen Tagesordnungspunktes 17 soll
mit einer Redezeit von 25 Minuten der Entwurf eines
Presseauskunftsgesetzes auf der Drucksache 18/8246 beraten werden .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der Tagesordnungspunkt 24 - hier war die abschließende Beratung des Elektromagnetische-Verträglichkeit-Gesetzes vorgesehen ({21})
soll zur Enttäuschung vieler Kolleginnen und Kollegen,
insbesondere der Kollegin Göring-Eckardt, abgesetzt
werden .
({22})
- Frau Haßelmann, Sie erklären Ihrer Vorsitzenden dann
vielleicht, warum es zu dieser schmerzlichen Absetzung
aus zwingenden Gründen kommen musste .
Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 23 . Juni 2016 ({23}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({24}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über
ein Einheitliches Patentgericht
Drucksache 18/8826
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({25})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der am 23 . Juni 2016 ({26}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({27}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf
Grund der europäischen Patentreform
Drucksache 18/8827
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({28})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der am 8 . September 2016 ({29}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({30})
und dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
({31}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und
anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben
Drucksache 18/9526
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({32})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Darf ich Ihr Einvernehmen zu den vorgetragenen ver-
einbarten Veränderungen im Ablauf unserer Tagesord-
nung feststellen? - Das ist offensichtlich der Fall . Dann
haben wir das so beschlossen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesverkehrswegeplan 2030
Drucksache 18/9350
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({33})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes
Drucksache 18/9523
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({34})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes
Drucksache 18/9524
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({35})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur
Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes
Drucksache 18/9527
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({36})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Auch dagegen
sehe ich keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt .
({37})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir starten heute mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 die
mit Abstand größte Investitionsoffensive dieser Bundesregierung . 270 Milliarden Euro, über 1 000 Projekte,
70 Prozent für den Erhalt und erstmals eine klare Finanzierungsperspektive: Das sind die Eckdaten unseres Bundesverkehrswegeplans .
({0})
Das ist eine Infrastrukturoffensive . Das hält Deutschland
an der Spitze bei Wachstum, Arbeit und Wohlstand, meine Damen und Herren .
({1})
Deswegen sage ich auch sehr klar, dass die Investitionen in die Infrastruktur der Nukleus aller Investitionen
sind . Wer diese Investitionen verschleppt, der fährt ein
Land auf Verschleiß und fällt logischerweise früher oder
später auch zurück . Dieses Grundprinzip wurde übrigens
in der Vergangenheit, besonders in den Millenniumsjahren, immer wieder ignoriert . Das war damals dem Irrglauben geschuldet, dass man den Zusammenhang von
Wohlstand und Infrastruktur auflösen und den Erhalt und
den Ausbau unserer Infrastruktur vom Wirtschaftswachstum entkoppeln könnte - ein fataler Fehler übrigens .
Infrastrukturpolitik wurde zurückgestellt, Investitionen
wurden heruntergefahren, eine Investitionslücke in Milliardenhöhe ist entstanden und hat sich vergrößert .
Das war die Ausgangslage, als wir begonnen haben,
die Politik der Investitionen in die Infrastruktur grundlegend zu ändern . Wir haben die Investitionslücke geschlossen; wir haben die Investitionswende geschafft .
Dafür haben wir zu Beginn dieser Wahlperiode den Investitionshochlauf gestartet, der dazu führt, dass wir bis
zum Jahr 2018 40 Prozent mehr an Infrastrukturinvestitionen schaffen . Wir haben mit circa 10 Milliarden im Jahr
begonnen und steigern uns jetzt auf 14,4 Milliarden Euro
jährlich . So viel wurde noch nie investiert .
({2})
Das ist ein Riesenerfolg. Ich möchte dem Bundesfinanzminister ganz herzlich danken, dass er dies so aktiv
begleitet hat und die finanziellen Mittel zur Verfügung
stellt .
({3})
Jetzt geht es darum, dass wir diese Mittel effizient
einsetzen . Das machen wir mit dem Bundesverkehrswegeplan und der Gesamtstrategie für die Entwicklung der
Verkehrsinfrastruktur des Bundes . Hier hat es in der Vergangenheit immer sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gegeben . In den 80er-Jahren ging es darum,
den Ausbau des Schienennetzes voranzutreiben . In den
90er-Jahren ging es darum, die Wiedervereinigung umzusetzen . In den 2000er-Jahren ging es darum, die Metropolen anzubinden . Heute geht es uns darum, das Gesamtnetz zu stärken und Deutschland fit zu machen für
das global-digitale Zeitalter . Das gelingt mit dem Bundesverkehrswegeplan .
({4})
Verkehrswege modernisieren, Infrastruktur vernetzen,
Mobilität beschleunigen: Das ist der Dreiklang, dem dieser Bundesverkehrswegeplan folgt . Mit 270 Milliarden
Euro, mit den über 1 000 Projekten, die sich darin finden,
ist es das stärkste Investitionsprogramm für die Infrastruktur,
({5})
das es in Deutschland jemals gegeben hat .
Wir haben fünf Schwerpunkte gesetzt .
Erstens . Wir geben eine klare Finanzierungsperspektive . Mit den Rekordmitteln aus dem Investitionshochlauf
wird erstmals eine realistische, finanzierbare Gesamtstrategie vorgelegt . Das heißt, dass wir nicht nur planen,
sondern wir finanzieren und bauen es auch. Das ist ein
erheblicher Unterschied zu früheren Bundesverkehrswegeplänen .
({6})
Zweitens . Es geht um die Umsetzung des klaren Prinzips „Erhalt geht vor Aus- und Neubau“ . Mit 142 Milliarden Euro geben wir eine Rekordsumme in den Erhalt . Das entspricht einem Anteil für den Erhalt von circa
70 Prozent . Bisher wurde das so nie erreicht . Das zeigt
sehr klar, dass wir damit die Schwächen der Vergangenheit, zu wenig in das bestehende Netz zu investieren, ausgleichen .
Drittens . Wir setzen klare Prioritäten und investieren
dort, wo für die Menschen und die Wirtschaft der größte
Nutzen entsteht . Das heißt, wir stärken die Hauptachsen und die Knoten, steigern die Leistungsfähigkeit im
gesamten Netz und investieren deswegen 87 Prozent in
großräumig bedeutsame Projekte .
Viertens . Wir beseitigen die Engpässe . Wir konzentrieren uns darauf, den Verkehrsfluss im Netz insgesamt
zu verbessern . Deswegen werden über 2 000 Kilometer
Engpässe auf den Autobahnen sowie über 800 Kilometer
Engpässe auf der Schiene beseitigt .
({7})
Fünftens . Um auch die Einzelprojekte bei all diesen
durchaus komplizierten und aufwendigen Maßnahmen
Präsident Dr. Norbert Lammert
zu erklären, haben wir bei der Aufstellung zum ersten Mal die Öffentlichkeit intensiv beteiligt . Die Menschen konnten die Möglichkeit nutzen, zum Entwurf des
Bundesverkehrswegeplans Stellung zu beziehen . Über
40 000 Stellungnahmen sind bei uns eingegangen .
({8})
Das zeigt klar, welchen Stellenwert die Infrastruktur in
der Bevölkerung inzwischen einnimmt . Die Bewertung
dieser Stellungnahmen hat übrigens dazu geführt, dass
wir Maßnahmen mit einem Volumen von 5,1 Milliarden
Euro zusätzlich in den Plan aufgenommen haben - Maßnahmen, mit denen wir insbesondere die Schiene noch
einmal deutlich stärken .
Es war ein großer Erfolg, die Öffentlichkeit zu beteiligen . Das haben auch andere gemacht . So hat Spiegel
Online beispielsweise eine Umfrage zum Entwurf des
Bundesverkehrswegeplanes gestartet . 50 000 Leser haben sich daran beteiligt . Die Vorhaben wurden von den
Bürgern eindeutig befürwortet .
Ich weiß, dass es den einen oder anderen stört, dass
viele Infrastrukturprojekte von der Bevölkerung eindeutig und mehrheitlich befürwortet werden . Die grünen
Verkehrspessimisten haben damit natürlich enorme Probleme .
({9})
- Ja, ich kann verstehen, dass Sie es nicht akzeptieren
können, dass die Bevölkerung Ihre kategorische Investitionsverweigerung nicht mitträgt .
({10})
Aber Sie waren, um das ehrlich zu sagen, schon einmal deutlich weiter . Ich kann dazu Ihren ehemaligen
verkehrs politischen Sprecher Albert Schmidt zitieren,
({11})
der es sehr klar auf den Punkt gebracht hat: Die Menschen verstehen Mobilität zu Recht als eine Art soziales
Grundrecht .
Unsere eigenen Mitglieder . . .
- so hat er gesagt reisen besonders gerne und viel . . . Verkehrsvermeidung als politisches Programm . . . - das ist die Lebenslüge . . .
Der Mann hat recht, meine Damen und Herren .
({12})
- Nein, da hatte ein Grüner einmal einen lichten Moment; so müssen Sie das sehen . Das habe ich hier bisher
nicht erleben dürfen .
({13})
Die heutige Grünengeneration ist offensichtlich weit von
den Erkenntnissen ihrer Vorgänger entfernt . Sie wenden
sich lieber mit einer pubertären Aktion an die Öffentlichkeit und fordern: Bundesverkehrswegeplan stoppen! Sie
können es einfach nicht ertragen, dass der Bundesverkehrswegeplan der Großen Koalition der ökologischste
und nachhaltigste ist, den es je gab .
({14})
Wir vereinen zum ersten Mal Ökonomie und Ökologie;
das ist doch die Wahrheit .
({15})
Bevor Sie dazwischenschreien, schauen Sie doch einfach einmal Ihren grünen Bundesverkehrswegeplan von
2003 an . Er fällt doch im Öko-Check gnadenlos durch . In
Ihrem Plan von 2003 entfiel mehr als die Hälfte der Projekte auf die Straße . Wir investieren mehr als die Hälfte
in Schiene und Wasserwege . Sie haben für die Schiene
lediglich Mittel in Höhe von 64 Milliarden Euro eingestellt . Wir investieren jetzt das Doppelte in die Schiene .
Ihr Erhaltungsanteil betrug 56 Prozent . Wir investieren
etwa 70 Prozent der Mittel in den Erhalt .
Jetzt kommt der Gipfel der Heuchelei . Ihr Plan enthielt
gerade einmal sechs Seiten zur umweltfachlichen Beurteilung . Wir haben eine umfassende strategische Umweltprüfung durchgeführt, alle Projekte entsprechend
bewertet und alles in einem Bericht extra veröffentlicht .
Das ist der Unterschied zwischen unserem und Ihrem
Bundesverkehrswegeplan .
({16})
Übrigens haben Sie - das sei der Vollständigkeit
halber erwähnt - den Radverkehr in Ihrem Bundesverkehrswegeplan mit keinem Wort erwähnt . Wir haben klar
formuliert, dass wir uns in Zukunft stärker am Bau von
Radschnellwegen beteiligen . Wir investieren schon heute
mehr als 100 Millionen Euro jedes Jahr in die Radwege .
({17})
Sie haben nichts gemacht und nur geredet . Sie liegen
jetzt falsch mit all Ihren Beurteilungen des Bundesverkehrswegeplans .
({18})
In Anlehnung an Albert Schmidt könnte ich sagen, dass
Ihre Kritik am Bundesverkehrswegeplan die nächste grüne Lebenslüge ist . Aber Sie werden sich in den nächsten
Wochen hier im Plenum ohnehin den Diskussionen stellen müssen .
({19})
Wir sorgen mit unseren Investitionspaketen für neue
Baufreigaben . Wir haben gestern ein Investitionspaket
mit 24 Baufreigaben im Umfang von über 2 Milliarden
Euro vorgestellt . Ich sage klar: Ich hätte mir mehr gewünscht . Aber das Nadelöhr sind inzwischen nicht mehr
die Finanzen, sondern die Planungen . Daran fehlt es
zurzeit . Wir müssen uns anstrengen, das zu verändern .
Da hat der Bund genauso Verantwortung wie die Länder . Wir brauchen mehr Planungskapazität . Wir brauchen
vor allem mehr Planungsbeschleunigung . Es kann und
darf nicht sein, dass wir nun Rekordmittel bereitstellen,
dass wir eine Infrastrukturoffensive beschließen, dass wir
wichtige Vorhaben auf den Weg bringen, dass diese dann
aber später im Paragrafendschungel hängen bleiben . Das
muss abgestellt werden .
({20})
Einen Bundesverkehrswegeplan gibt es übrigens - das
sei der Öffentlichkeit gesagt - nicht in jeder Legislaturperiode . Ein Bundesverkehrswegeplan eröffnet einen Ausblick auf 15 Jahre . Das heißt, dass man nur alle 15 Jahre
an einem solch großen Investitionsprojekt arbeiten darf .
Das erfordert von allen Kolleginnen und Kollegen, die
damit befasst sind, Geduld, Ausdauer und Verantwortung . Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, den Staatssekretären sowie den Kolleginnen
und Kollegen aus dem Verkehrsausschuss, die in den vergangenen Monaten an jedem einzelnen Projekt intensiv
mitgewirkt haben . Ich kann nur zum Ausdruck bringen,
dass alle diejenigen, die sich der Verantwortung gestellt
haben, ein solch großes Projekt auf den Weg zu bringen,
ihrer Verantwortung vollumfänglich nachgekommen sind
und einen Bundesverkehrswegeplan erarbeitet haben, der
Ökonomie und Ökologie vereint wie niemals zuvor .
Herzlichen Dank dafür und gute Beratungen in den
Ausschüssen .
({21})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Leidig für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Danke, Herr Präsident . - Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Minister,
Ihr Straßenbauinvestitionsprogramm ist im Ergebnis umwelt- und gesundheitsschädlich . Es ist undemokratisch
und stellt außerdem eine große Verschwendung dar . Deshalb lehnen wir Linken diesen Plan ab .
({0})
Wenn es nach Ihrem Plan geht, fahren in 15 Jahren
noch mehr Autos und noch viel mehr Lkws durch das
Land und die Städte . Damit muss endlich Schluss sein .
({1})
Wir wollen endlich eine vernünftige Verlagerung des
Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene, und wir
wollen unsinnige Transporte vermeiden .
({2})
In einem durchschnittlichen Joghurt stecken rund
9 000 Transportkilometer, obwohl er genauso gut vor Ort
hergestellt und verkauft werden kann . Aber dieser Unsinn
lohnt sich zum Beispiel für Müllermilch, weil Lastwagen
überall durchfahren können, weil die Maut zu niedrig ist
und weil die Lkw-Fahrer so schlecht bezahlt werden . Darunter leidet übrigens auch die regionale Wirtschaft, und
das wollen wir ändern .
({3})
Die Lkw-Maut muss endlich ordentlich angehoben
werden . Man kann Fahrverbote verhängen, zum Beispiel
ab Freitagnachmittag und in der Nacht . Sie können dafür
sorgen, dass Lkws nicht auf Bundesstraßen und Landstraßen durch Ortschaften fahren dürfen, wenn es parallel
dazu eine Autobahn gibt . Damit würden die Anwohner
an den belasteten Ortsdurchfahrten sofort entlastet, und
Sie könnten sich viele von diesen teuren und unsinnigen
Ortsumfahrungen sparen .
({4})
Wenn es nach Ihrem Plan geht, stößt der Verkehrssektor in 15 Jahren noch mehr klimaschädliche und gesundheitsschädliche Abgase aus, werden noch mehr Flächen
versiegelt und noch mehr Grünanlagen und Landschaften
zerstört . Dem können wir nicht zustimmen .
Für mehr Lebensqualität und Wohlbefinden brauchen
wir nicht immer weitere Wege und immer schnellere
Fahrzeuge, sondern eine erholsame und lebenswerte Umwelt . Dafür setzt sich die Linke ein .
({5})
Wenn es nach Ihrem Plan geht, wird der öffentliche
Nahverkehr in den nächsten Jahren noch teurer, weil der
Bund Milliarden in Autobahnprojekte versenkt, statt den
Ausbau von Bus und Bahn zu finanzieren. Ein Paradebeispiel dafür ist der Weiterbau der A 100 in Berlin, den Sie
geplant haben . Mindestens 550 Millionen Euro sollen für
wenige Kilometer ausgegeben werden, obwohl es überhaupt keinen Bedarf dafür gibt . Im Gegenteil: Dieses Autobahnstück würde einen wertvollen Park zerstören und
sanierte Wohngebiete kaputtmachen, und der Verkehr
ergießt sich dann in den nächsten Stadtteil .
({6})
Kein Problem werden Sie damit lösen . Sie erreichen
damit nur, dass die Aktionäre der Baukonzerne einen
Gewinn einstreichen . Mit solcher Politik muss endlich
Schluss sein .
({7})
Streichen Sie dieses und ein weiteres Dutzend ähnlich
teurer und unnützer Großprojekte aus Ihrem Straßenbauplan! Damit hätten Sie locker 10 Milliarden Euro übrig,
und mit diesem Geld sollten Sie einen Verkehrswendefonds finanzieren, damit die Kommunen den ÖPNV ausbauen, Fahrradwege entwickeln und etwas für die Fußgängerfreundlichkeit tun können .
Wenn es nach Ihrem Plan geht, werden der Frust über
die sogenannten etablierten Parteien und der zunehmende Zweifel an unseren demokratischen Institutionen noch
weiter genährt . Zigtausende Bürgerinnen und Bürger haben mit Anregungen und Einwänden versucht, Einfluss
auf diesen Bundesverkehrswegeplan zu nehmen - ohne
erkennbares Ergebnis . Viele der engagierten Bürgerinnen
und Bürger in Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und
Rathäusern sprechen von Pseudobeteiligung, und leider
haben sie recht .
Von den 50 ausgearbeiteten Alternativen der Verkehrsverbände zum Beispiel ist keine einzige in Ihren
Bewertungsverfahren geprüft worden . Das ist völlig inakzeptabel .
({8})
Wir verlangen eine echte Bürgerbeteiligung, und zumindest für die größten und teuersten Projekte muss es eine
unabhängige Prüfung von Kosten und Nutzen geben .
Wir haben zum Glück noch eine parlamentarische
Beratung . Ich hoffe, Kolleginnen und Kollegen, dass Sie
auf solche Prüfungen bestehen werden . Denn nur dort,
wo Alternativen zur Auswahl stehen, gibt es Demokratie,
und die müssen wir stärken .
({9})
Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im
Koalitionsvertrag eine Reformagenda für die Verkehrspolitik vereinbart, die auf drei Säulen beruht .
Erstens wollen wir zusätzliche Mittel für die Investitionen in den Erhalt und den Aus- und Neubau der Verkehrswege mobilisieren,
({0})
und zwar durch die zusätzlichen Steuer- und Mauteinnahmen . Die Ausdehnung der Lkw-Maut ist dabei der
wichtigste Schritt . Den Entwurf des dafür notwendigen
Gesetzes werden wir heute ebenfalls in den Deutschen
Bundestag einbringen . Hier geht es um die Frage: Wie
finanzieren wir unsere Investitionen?
Zweitens wird künftig nach klaren und ehrlichen Kriterien entschieden, in welche Verkehrsprojekte investiert
wird . Dazu ist ein neuer Bundesverkehrswegeplan 2030
erarbeitet worden, mit dem ein neues Priorisierungskonzept umgesetzt wird . Dazu liegen uns die Entwürfe der
Ausbaugesetze vor, deren Beratung wir heute im Bundestag beginnen . Hier geht es um die Frage: Wo investieren wir in die Bundesverkehrswege?
Drittens wollen wir die Art, wie der Bund investiert,
reformieren . Das haben wir bei der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für den Erhalt der Schiene mit
der Deutschen Bahn bereits umgesetzt . Darüber hinaus
haben wir die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformiert und neu justiert . Bei der Reform der Auftragsverwaltung bei der Straße sind wir mitten in der Diskussion .
Hier geht es um die Frage: Wie organisieren wir unsere
Investitionen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat bereits
in der letzten Legislaturperiode mit dem Projekt Infrastrukturkonsens 2020 Eckpunkte für eine neue Priorisierungsstrategie für die Bundesverkehrswege vorgelegt .
Für uns ist klar: Ohne eine klare, transparente Festlegung,
wo wir aus welchen Gründen investieren wollen, werden
wir die Akzeptanz der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die hohen Investitionssummen nicht erhalten .
Nach der Bundestagswahl haben wir uns mit der CDU/
CSU im Koalitionsvertrag auf eine neue Strategie geeinigt . Mit unserem Entschließungsantrag zur Pkw-Maut
im Deutschen Bundestag haben die Koalitionsfraktionen
ihren festen Willen bekräftigt, dieses auch umzusetzen .
({1})
Außerdem waren wir uns einig, dass ein moderner
Plan eine neue Form der Beteiligung der Bürgerinnen
und Bürger braucht . Daher hat das Bundesverkehrsministerium die größte Bürgerbeteiligung durchgeführt, die
es je bei einem Bundesverkehrswegeplan gegeben hat .
In einem umfassenden Prozess konnten die Bürgerinnen
und Bürger zur ersten Grundkonzeption Stellung nehmen . Bei den Schienenwegen konnten sie eigenständige
Vorschläge einreichen . Zu guter Letzt lag der erste Entwurf des Planes sechs Wochen in ganz Deutschland aus
und konnte kommentiert werden .
({2})
Wir haben Kurs gehalten, obwohl viele vermutet haben, dass wir das als SPD mit einem bayerischen Bundesverkehrsminister niemals hinbekommen werden .
Heute ist klar: Die Koalition hat zusammen mit dem
Bundesverkehrsminister etwas verdammt Gutes erreicht .
({3})
Selbst der grüne Landesverkehrsminister Winfried
Hermann aus Baden-Württemberg schreibt in seiner Stellungnahme an den Bundesverkehrsminister - ich zitiere
jetzt -:
Das Land Baden-Württemberg begrüßt die Erstellung des BVWP-Entwurfs 2030 .
({4})
… Ich freue mich, dass ein Großteil der angemeldeten Projekte, insbesondere im Straßen- und Wasserstraßenbereich, mit hoher Dringlichkeit eingestuft
wurde .
({5})
Ebenso bewerte ich den gesetzten Schwerpunkt auf
die Erhaltung positiv . … Diese Erhöhung ist die
notwendige Antwort auf die Herausforderungen in
Deutschland …
Recht hat er .
({6})
Der neue Bundesverkehrswegeplan ist ehrlich, realistisch und klug . Er zeigt, wie moderne Planung von Infrastrukturprojekten im Herzen Europas funktioniert . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sollten
sich dem Urteil Ihres grünen Kollegen einfach anschließen und anerkennen, dass uns an dieser Stelle wirklich
etwas gelungen ist .
Der neue Bundesverkehrswegeplan 2030 zeigt den
großen Investitionsbedarf beim Erhalt und Ausbau der
Verkehrswege in den nächsten 15 Jahren . Dabei legt
der Bund fest, was wichtig ist und was nicht . Eine vom
Bundesverkehrsminister in Auftrag gegebene Verkehrsprognose geht davon aus, dass die Verkehrsleistung im
Personenverkehr bis 2030 um über 12 Prozent gegenüber 2010 ansteigen wird, im Güterverkehr sogar um fast
40 Prozent .
({7})
Dabei werden wir nicht einfach dem Verkehrswachstum hinterherbauen . Der neue Plan ist ehrlich, weil er
klar sagt, welche Projekte in den kommenden Jahren
eine Chance auf Realisierung haben . Dafür sind alle Projekte, bei denen der Bagger noch nicht gerollt war, neu
bewertet worden . Dabei sind auch Projekte von der Prioritätenliste genommen worden, deren Planung schon weit
fortgeschritten war, wenn ihr Nutzen nicht mehr gegeben
war .
Wir planen und bauen nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach dem realen Bedarf . Es wird kein
Bauen nach Proporz mehr geben . Die Länderquote ist
abgeschafft. Davon profitieren insbesondere die Länder,
in denen der Verkehr wirklich stattfindet und die Leute
tagtäglich im Stau stehen .
Der Plan ist realistisch, weil er von einem ehrlich gerechneten Finanzrahmen für die kommenden 15 Jahre
ausgeht . Das „Wünsch’ dir was“, das auch gleich wieder
in Ihren Reden kommt, gehört endgültig der Vergangenheit an .
({8})
Der neue Plan ist klug, weil er die Verkehrsträger eben
nicht gegeneinander ausspielt, er dem Prinzip „Erhalt vor
Neubau“ folgt und überregionale, großräumig bedeutsame Projekte und Lückenschlüsse Vorfahrt haben .
({9})
Wir werden den Rekordanteil von 69 Prozent aller Investitionsmittel in den Erhalt der bestehenden Straßen,
Schienenwege und Wasserstraßen investieren . Damit
fließen mehr als 140 Milliarden Euro bis 2030 in die
Beseitigung von Schlaglöchern, bröckelnden Brücken
sowie die Sanierung kaputter Schleusen und Langsamfahrstellen bei der Eisenbahn . Das sind Investitionen, die
dringend benötigt werden . Es ist auch - da muss ich dem
Bundesverkehrsminister recht geben - mehr als jemals
zuvor und mehr als in dem letzten Plan, der übrigens
auch von den Grünen mitbeschlossen wurde .
({10})
- Ja, wir auch . Ist okay . Er ist halt besser .
({11})
Bei der Schiene werden wir neue Wege gehen . Die
Zeit, in der einzelne Rennstrecken singulär ausgebaut
wurden, ist vorbei . Wir denken im Gesamtnetz . Bis
2030 wollen wir im Schienenpersonenfernverkehr den
Deutschlandtakt einführen . Das lange Warten an den
Bahnsteigen muss der Vergangenheit angehören . Die
Kundinnen und Kunden sollen optimale Möglichkeiten
zum Umsteigen erhalten . So entstehen am Ende verlässliche Reiseketten .
({12})
Ich finde, wir wagen damit auch im Schienenverkehr
eine Mobilitätsrevolution . Den weiteren Ausbau der
Schienenwege werden wir an dem gewünschten Fahrplan ausrichten . Für den Deutschlandtakt werden wir in
den kommenden Jahren die entscheidenden Infrastrukturmaßnahmen planen und auch bauen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Kritik
insbesondere der Umweltverbände in vielen Punkten für
unberechtigt . In einem Punkt teile ich jedoch die Unzufriedenheit . Es ist leider sehr ärgerlich, dass viele Schienenprojekte noch nicht berechnet sind . Bei aller Kritik
gehört aber auch hier zur Wahrheit dazu, dass auch das in
dem letzten, 2003 beschlossenen Plan nicht anders war .
Ich bin auch froh, dass nach der Veröffentlichung des
ersten Entwurfs jetzt noch einige Projekte nachträglich
berechnet worden sind . Damit hat die Schiene gegenüber
der Straße weiter gewonnen . Das hat am Ende auch zur
Klarheit geführt .
Ich hoffe, dass wir bis zum Ende der parlamentarischen Beratung noch weitere Schienenprojekte berechnen können . Damit werden wir dann am Ende logischerweise auch klar priorisieren können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt beginnen die
Beratungen in den Ausschüssen . Ich sage das - weil ich
das schon einmal mitgemacht habe - hier einmal in aller
Deutlichkeit: Ich hoffe auch auf die Vernunft und Weitsicht aller Abgeordneten in diesem Hause .
({13})
Der vorliegende Plan ist keine Ansammlung von Wahlkreisprojekten, und er darf das auch nicht werden . Ich
respektiere natürlich, weil auch ich direkt gewählter Abgeordneter eines Wahlkreises bin, dass sich jeder Abgeordneter immer für die Projekte in seiner Region einsetzt .
Das ist klar . Deswegen sind wir - wir sind da ja auch
verwurzelt - dort gewählt worden . Klar muss aber auch
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Als Bundespolitikerin bzw . Bundespolitiker sollten wir am Ende immer
das große Ganze im Blick behalten .
({14})
Dazu gehört dann am Ende auch, dass wir diesen wirklich sehr guten Plan mit den klaren verkehrspolitischen
Linien nach den parlamentarischen Beratungen nicht
überfrachten, damit wir am Ende sagen können: Er ist
genauso gut, wie er anfänglich ins Parlament hineingegangen ist .
Vielen Dank .
({15})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! An der Rede des Bundesministers war eines
auffallend: Er hat sich vor allem mit der Vergangenheit,
mit Zeiten beschäftigt, die 10 oder 15 Jahre her sind, und
er hat schöne Zitate gebracht . Das war auch in gewisser
Weise konsequent; denn wenn man sich den Plan, den er
heute vorlegt, anschaut, glaubt man nicht, dass das der
aktuelle Bundesverkehrswegeplan ist . Man glaubt, dass
das ein Plan aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert
ist; denn mit Zukunftsfähigkeit hat dieses ganze Werk
nichts zu tun .
({0})
Man muss ehrlicherweise sagen, dass man verblüfft
ist, dass überhaupt ein Plan vorgelegt wird . Nach dem
BER-Chaos, um das sich der Minister überhaupt nicht
gekümmert hat - der Anteil des Bundes beträgt schließlich 26 Prozent -, nachdem der Bundesrechnungshof
dem Minister deutlich gemacht hat, dass er mit seinen
PPP-Projekten auf Autobahnen öffentliches Geld verschwendet und nachdem er sich monatelang mit nichts
anderem als diesem Mautdesaster aufgehalten hat, könnte man sich denken: Immerhin, ein Plan ist vorgelegt
worden .
Wenn man sich dann diesen Plan durchliest, wundert
man sich - wenn man die lange Zeit der Erarbeitung berücksichtigt -, wie schlampig er erstellt worden ist . Ich
nehme einmal ein einfaches Beispiel, die Umgehungsstraße Duderstadt in Niedersachsen . Wenn man sich die
offiziellen PRINS-Daten anschaut, stellt man fest, dass
dort von einem Nutzen in Höhe von 58,3 Millionen Euro
die Rede ist . Die Investitionskosten betragen danach
67 Millionen Euro . Das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist 2 .
Zur Erklärung: Man teilt den Nutzen durch die Kosten,
und dann kommt das Ergebnis heraus . Jetzt erklären Sie
mir bitte einmal, wie 58 geteilt durch 67 2 ergibt . Also
wenn ich das ganz grob im Kopf ausrechne, komme ich
auf etwa 0,8 .
({1})
Es ist auffallend, wie schlampig erstellt Ihre Daten sind,
die man dem Internet entnehmen kann .
Das Gleiche zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie
es mit den Mitteln für den Unterhalt ist . Eigentlich sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein - unabhängig
davon, dass wir uns darüber streiten, welche Neubaumaßnahmen sinnvoll sind -, dass man das vorhandene
Infrastrukturnetz erhält, wenn man nicht vorhat, es stillzulegen .
({2})
Es ist wunderbar, davon zu reden, dass man in das Infrastrukturnetz mehr Geld stecken will, und es wird so
getan, als wenn das auch wirklich getan würde . Sie haben
hier einen Plan vorgelegt; aber bei der Umsetzung hapert
es, und zwar schon die letzten drei Jahre .
Das lässt sich an etwas ganz Einfachem erkennen: an
den Unterhaltsmitteln und an den Neubaumitteln . Die
Unterhaltsmittel und die Neubaumittel sind gegenseitig
deckungsfähig . Was heißt das? Weil die Abgeordneten
der Großen Koalition lieber Bändchen durchschneiden,
als für den Unterhalt des bestehenden Netzes zu sorgen,
heißt das, dass im Vollzug des Haushalts fröhlich große
Summen aus dem Unterhaltstopf in den Neubautopf umgewidmet werden . Ich wiederhole: Natürlich ist es viel
schöner, in der Lokalpresse zu stehen, Bändchen durchzuschneiden, zu sagen: „Ich habe jetzt eine Umgehungsstraße eröffnet“, als das bestehende Netz zu unterhalten .
Um Ihre Reden hier glaubwürdig zu machen, können
Sie etwas ganz Einfaches tun: Sie könnten die gegenseiSören Bartol
tige Deckungsfähigkeit zwischen Unterhaltsmitteln und
Neubaumitteln aufheben .
({3})
Das könnte man haushaltstechnisch einfach machen .
Dann wäre Ihr Vorgehen zumindest in den Ansätzen
glaubwürdig .
({4})
Wenn man sich den Bundesverkehrswegeplan weiter
anschaut, fällt noch etwas auf . Es heißt hier: Das ist realistisch . - Schaut man sich einfach einmal die Zahlen
an, stellt man fest, dass über die Hälfte der Projekte laut
Ihrem eigenen Plan nach 2030 gebaut werden soll . Also
ist über die Hälfte des Projektvolumens überhaupt nicht
im Plan . Und das nennen Sie dann realistisch!
({5})
Dem Ganzen zugrunde liegen Ihre eigenen Zahlen . Dabei sind noch nicht einmal die Baukostensteigerungen
berücksichtigt . Was ist daran ehrlich? Was ist daran realistisch? Was ist daran klug?
Wenn man sich die Projekte anschaut, denkt man
sich: Moment einmal, ändert sich in der Mobilitätspolitik nicht gerade grundlegend etwas? Diskutieren die
Fachleute nicht darüber, dass durch Elektrifizierung und
Digitalisierung tiefgreifende Revolutionen in der Mobilitätspolitik anstehen? Merken Sie nicht, wie nervös
die Autoindustrie wird, weil sie nicht weiß, wie ihr Geschäftsmodell in der Zukunft ausschaut? Alle Fachleute
sprechen davon, dass sich in der Mobilitätspolitik in den
nächsten 10, 15 Jahren mehr ändern wird als in den letzten 30, 40 Jahren . Was stellt man fest, wenn man in den
Bundesverkehrswegeplan hineinschaut? Geplant ist eine
Orgie von Umgehungsstraßen .
({6})
Geplant ist, ganz stumpf Autobahnen auszubauen .
Das geschieht, anstatt eine moderne Mobilitätspolitik
aus vernetzter Mobilität, aus Infrastruktur und Vernetzung zwischen Straße und Schiene zu betreiben . Davon
findet man in diesem Plan überhaupt nichts. Dergleichen
ist noch nicht einmal in der Konzeption des Ganzen angelegt: Straße wird nur als Straße beurteilt, Schiene wird
nur als Schiene beurteilt, Wasserstraße wird nur als Wasserstraße beurteilt .
Der Gedanke, dass man zum Beispiel durch den Ausbau eines guten Schienennahverkehrssystems Pendler
von der Straße auf die Schiene locken könnte, dass das
für die Wirtschaft besser wäre, dass das für die Menschen
in der Region besser wäre, kommt überhaupt nicht vor .
Sie können in Ihrem System sozusagen nur eine Straße
durch eine Straße ersetzen .
({7})
Das heißt, das ist gar kein Bundesverkehrswegeplan,
sondern es sind drei Einzelpläne, und diese drei Einzelpläne sind eine Ansammlung von einzelnen Projekten .
({8})
Deshalb frage ich: Was wäre stattdessen nötig? Nötig
wäre ein Bundesnetzplan, der die Verkehrsträger integriert betrachtet . Es ist doch eine Vorstellung aus dem
letzten Jahrhundert, dass Menschen entweder nur Auto
fahren oder nur mit der Eisenbahn unterwegs sind oder
nur Fahrrad fahren .
({9})
Das ist doch längst nicht mehr die Realität der Menschen .
Deshalb fordere ich: Legen Sie endlich einen vernünftigen integrierten Bundesnetzplan vor, der den Realitäten
des 21 . Jahrhunderts gerecht wird und der den großen
Umbrüchen, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren, die wir
in der Mobilität bereits jetzt erkennen können, gerecht
wird . Das hier ist ein zusammengestümperter Plan aus
Einzelprojekten .
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Schnieder für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Das,
was uns hier als Bundesverkehrswegeplan vorliegt und
was wir jetzt mit den Ausbaugesetzen beraten, kann man
wirklich als das größte Investitionsprogramm des Bundes
überhaupt bezeichnen . Es ist ein Programm für die Modernisierung unserer Verkehrsnetze . Es ist ein Programm,
mit dem wir die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland auf
Vordermann bringen und Zukunft gestalten . Deshalb ist
es auch nicht vermessen, zu sagen: Ja, das ist ein großer
Wurf .
({0})
Wenn wir das umsetzen, was wir dort niedergeschrieben haben, dann werden wir weniger Staus haben, dann
werden wir ein Mehr an Verkehrssicherheit zu verzeichnen haben,
({1})
und dann werden wir sehr viel Geld in Verkehrswege hier
in Deutschland investieren . Das ist von einer großen Bedeutung für unser Land; denn Deutschland ist eine Mobilitätsnation . Wir sind darauf angewiesen, dass Verkehre
fließen können, dass Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitsplatz
kommen und nicht im Stau stehen, dass wir Waren und
Güter transportieren können . Das ist die Voraussetzung
dafür, dass wir weiterhin wirtschaftliche Prosperität in
Deutschland haben . Insofern ist es wichtig, dass wir die
Verkehrswege so stark in den Fokus nehmen . So gewährleisten wir Wohlstand und Wachstum in Deutschland .
Das Verkehrsaufkommen - das besagen alle Verkehrsprognosen - wird in den nächsten Jahren deutlich ansteigen . Wir haben nicht nur Nachholbedarf bei der Infrastruktur, sondern müssen auch eine Antwort auf das
wachsende Verkehrsaufkommen finden. Das betrifft alle
Verkehrsträger: Das betrifft den Individualverkehr, das
betrifft den Güterverkehr, das betrifft den Personenverkehr . Wem es etwas bedeutet, dass es in Deutschland
wirtschaftlich weiter aufwärts gehen kann, der muss handeln, der muss Geld in die Hand nehmen, der muss in die
Verkehrswege investieren . Wir handeln, und wir handeln
kraftvoll . Dieser Bundesverkehrswegeplan ist beredtes
Zeugnis dafür .
({2})
Wir haben uns, als wir die Konzeption erstellt haben,
klare Kriterien gegeben; darüber waren wir uns in diesem
Hause eigentlich weitgehend einig . Wenn wir uns diese
Kriterien anschauen, dann kann man sagen: Sie sind in
diesem Bundesverkehrswegeplan abgebildet, sie sind
eingehalten worden . Ja, es waren ehrgeizige Ziele, die
wir uns gesetzt haben, und wir haben diese Ziele auch
alle erreicht . Ich will das im Einzelnen betrachten .
Erster Punkt . Wir haben gesagt: Wir wollen eine realistische Planung machen . Wir wollen keinen Wunschund-Wolke-Plan machen, sondern etwas, was wir in den
nächsten 15 Jahren auch wirklich umsetzen können . Genau das ist gelungen . Eine klare Finanzierungsperspektive ist hier aufgezeichnet, lieber Kollege Hofreiter - jedenfalls dann, wenn wir die Politik weiter so gestalten
können . Wir haben in den letzten Jahren gezeigt: Wir
wollen einen Investitionshochlauf . Die größte Gefahr,
dass wir das nicht umsetzen können, ist, wenn Sie, wenn
andere darüber zu entscheiden haben . Ansonsten werden
wir das, was hier als Plan vorliegt, auch bis 2030 umsetzen können .
Herr Kollege Schnieder, darf die Kollegin Wilms eine
Zwischenfrage stellen?
Gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege . - Sie haben ja gerade eben
so schön getönt, dass alles, was im Bundesverkehrswegeplan drinsteht, finanzierbar und realistisch ist und auch
tatsächlich kommen soll . Im Zusammenhang mit dem
Bundesverkehrswegeplan wird immer von einer sogenannten Schleppe ab 2031 geredet . Der Bundesverkehrswegeplan geht aber nur bis 2030 . Bis 2030 wollen Sie
38,5 Milliarden Euro investieren und danach noch einmal
42,8 Milliarden Euro . Sie haben damit eigentlich schon
den Bundesverkehrswegeplan 2045 vorgelegt . Aber in
dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, verschweigen Sie
ja, welche Projekte dieser übernächste Bundesverkehrswegeplan beinhaltet . Können Sie uns einmal sagen, welche das sein werden? Darauf bin ich gespannt .
Frau Kollegin Wilms, der Unterschied ist, dass wir
eine realistische Planung vorlegen und Sie über bestimmte Dinge spekulieren, die überhaupt keinen Anker
in der Realität haben . Wir haben bisher bei allen Bundesverkehrswegeplänen eine sogenannte Schleppe gehabt .
Diese wird auch in Zukunft erforderlich sein . Das hat
einen ganz einfachen Grund: Die Frage ist in aller Regel
nicht, ob der Bund ein Projekt will und ob er es finanziert, sondern die Frage ist - dieses Problem wird sich in
den nächsten Jahren noch verschärfen -, ob die Länder,
die für das Baurecht zuständig sind, die entsprechenden
Grundlagen schaffen . Weil wir dort Planungskapazitäten flächendeckend gesenkt haben, schaffen wir es nicht
mehr, in allen Fällen zeitnah die Planung zu beenden und
Baurecht zu schaffen .
({0})
Deshalb müssen wir Planungskapazitäten ausbauen . Das
ist nicht ein Problem des Bundes .
Frau Kollegin Wilms, wir haben dazu Vorschläge gemacht - die müssen Sie sich auch anhören, Sie müssen
dann dabei sein -, zum Beispiel zur Bundesverkehrsinfrastrukturgesellschaft . Damit hätten wir es in der Hand,
vor Ort Baurecht und Planung zu schaffen .
({1})
Hier müssen Sie mitmachen . Dann haben wir überhaupt
kein Problem bei der Umsetzung .
Zweiter Punkt . Wir haben das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ . Es wird eingehalten . 70 Prozent der Mittel gehen in
den Erhalt . Im Plan von 2003 lagen wir bei 56 Prozent .
Herr Kollege Hofreiter, ich darf die Grünen zitieren . Ein
Kollege von Ihnen hat zu dem Plan, den er damals mit
erarbeitet hat, gesagt, 56 Prozent Erhalt sei ein ausgewogenes Verhältnis . Sie müssten heute über das jubilieren,
was wir vorlegen, weil es genau dem entspricht, was Sie
eigentlich auch wollen .
({2})
Dritter Punkt . Wir haben gesagt: Wir setzen klare Prioritäten im Verkehrswegeplan, ausgerichtet auf die größte verkehrliche Gesamtwirkung . Auch das halten wir ein .
Bei der Straße stärken wir die Hauptachsen und Knotenpunkte in besonderer Weise . Großräumig bedeutsame
Vorhaben werden dort mit 75 Prozent der Investitionsmittel bedacht . Aber wir vergessen auch nicht die regionale Erschließung, die zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum führt .
Engpassbeseitigung ist ein großes Thema . Hier komme ich dann zu der Frage: Wird der Klimaschutz, wird
die Ökologie hier genug berücksichtigt? Ja, ich kann dem
Bundesverkehrsminister nur recht geben . Das ist in der
Tat die Verbindung von Ökonomie und Ökologie . Wir
führen Emissionen zurück, eindeutig . Man kann immer
sagen, dass man dort mehr machen kann, aber das ist
Fakt .
({3})
Ich bin manchmal seltsam von dem berührt, was Sie
unter Umweltschutz verstehen und was Sie bei den
Verkehrswegen fordern . Ich nenne einmal das Beispiel
Lückenschluss A 1 zwischen Nordrhein-Westfalen und
Rheinland-Pfalz . Er steht seit Jahrzehnten auf der Agenda . Es gibt Hunderte von Gutachten dazu . Alle sagen: Ja,
die Umwelt ist hier und da betroffen . Es ist alles lösbar . Sie verzögern das Projekt seit Jahren. Jetzt findet man
genetisches Material vom Haselhuhn . Gesehen worden
ist dort noch kein Haselhuhn, es werden aber wieder neue
Gutachten gemacht . Es wird die Umwelt geschützt . Ich
frage mich manchmal: Wo kommt denn bei der Frage des
Umweltschutzes der Mensch bei Ihnen vor?
({4})
Wo ist der Gewinn für die Umwelt, wenn wir die Lkws
durch die Städte jagen, durch die engen Ortsdurchfahrten? Wo kommt der Mensch vor, wenn wir über Verkehrssicherheit reden? Wo kommt die Umwelt vor, wenn
die Autos im Stau stehen? Deshalb ist ganz klar, dass wir
eine klare Prioritätensetzung brauchen: Engpassbeseitigung, Lückenschlüsse . Das sieht der Bundesverkehrswegeplan 2030 vor . Ein großes Kompliment an den Bundesverkehrsminister .
({5})
Das ist genau die richtige Entscheidung, die wir dort getroffen haben .
({6})
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Öffentlichkeitsbeteiligung sagen . Es ist beispielhaft, was dort passiert ist;
sie ist in diesem Umfang noch nie dagewesen . Auch da
kann man natürlich fragen: Wie weit wird berücksichtigt, was Bürgerinnen und Bürger eingewendet haben?
Sie haben zumindest die Chance gehabt, und sie sind
gehört worden . Aber es gibt auch keinen Anspruch darauf, dass jeder Vorschlag umgesetzt wird . Ich wünsche
mir manchmal, Sie wären bei den Projekten, die Sie immer bekämpft haben, so konsequent . Zu Stuttgart 21 hat
es eine Volksabstimmung gegeben . Bis heute haben Sie
noch nicht das Ergebnis akzeptiert, und dann wollen Sie
uns erzählen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung beim
Bundesverkehrswegeplan nicht ausreichend gewesen sei .
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen in die Zukunft
gerichteten Plan vorgelegt . Er wird allen Kriterien, allen
Eckpunkten, die wir gesetzt haben, gerecht . Es ist ein
vernünftiger Plan, ein guter Plan, ein vernünftiges und
gutes Zukunftsprogramm für Deutschland .
Vielen Dank .
({8})
Herbert Behrens ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
Zusammenfassung des Bundesverkehrswegeplans 2030
heißt es:
Aber auch Aspekte der Verkehrssicherheit sowie des
Klima‐, Umwelt‐ und Lärmschutzes werden in den
Bewertungen des BVWP abgebildet .
Na, da hat der Verkehrsminister ja gerade noch die
Kurve gekriegt, könnte man meinen . Aber die Bundesregierung denkt ja bei der Verkehrspolitik offenbar doch
nicht an die Menschen und an die natürliche Umwelt .
Spätestens bei der Auflistung der 1 261 Straßenprojekte
wird deutlich - ich zitiere -:
Dobrindt hat wie ein Gutsherr aus dem vorigen
Jahrhundert geplant, der seinen politischen Günstlingen Gefälligkeiten erweisen will .
Diesen Worten des Vorsitzenden des BUND, Hubert
Weiger, schließe ich mich ausdrücklich an .
({0})
Dabei wäre es wichtig gewesen, die Fehler des vergangenen Jahrhunderts zu korrigieren, anstatt sie zu wiederholen .
Einige Beispiele aus dem Bereich des Bundeswasserstraßengesetzes: 85 Prozent der 314 untersuchten Schleusenanlagen sind in einem erbärmlichen Zustand . In den
nächsten zehn Jahren sind große Grundinstandhaltungen
und Ersatzneubauten erforderlich . Da muss es eigentlich
keine Prioritätensetzung geben; es muss schlicht und einfach gebaut werden .
({1})
Doch statt hier ordentlich reinzubuttern, Personal und
Geld zu investieren, wird viel Geld in sündhaft teuren,
verkehrspolitisch zweifelhaften und ökologisch hochbrisanten Flussvertiefungen versenkt . Die Weser, die Elbe
und auch die Ems sollen auf Tiefen gebracht werden, die
zu unkalkulierbaren Risiken führen .
Bei der Weser ist der Tidenhub zum Beispiel extrem
angestiegen, in Bremen an der Großen Weserbrücke von
ehemals 50 Zentimeter auf heute 4,20 Meter . Die Elbe
ist in nur 100 Jahren von 3 bis 4 Meter Tiefe damals auf
15 Meter Fahrrinnentiefe ausgebaggert worden . In der
heute vorgelegten Novelle des Bundeswasserstraßengesetzes ist eine weitere Vertiefung auf 15,9 bis 17,1 Meter
vorgesehen . Mit 400 Millionen Euro ist der Bund dabei .
Einschließlich des Hamburger Anteils wird allein der
Ausbau nach Angaben der Bürgerinitiative zum Schutz
der Elbe 618 Millionen Euro kosten .
Die Ems erstickt . 630 000 Kubikmeter Schlick sind
nach Aussagen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
aus dem Flussbett in die anliegenden Deponien gepumpt
worden . Kosten: 9 Millionen Euro . - Das sind Zahlen
aus dem Jahr 2010 . Der einzige Nutznießer: die MeyerWerft, deren Besitzer nicht bereit sind, ihre Werft für den
Kreuzfahrtschiffbau an die Küste zu verlegen . „Macht ja
nichts - der Steuerzahler zahlt, insofern können wir weitermachen wie bisher“, meint offenbar der Verkehrsminister . Das ist nicht weiter hinnehmbar .
({2})
Wenn heute über den Plan für die Bundeswasserstraßen bis zum Jahr 2030 debattiert wird, dann geht es um
eine wirkliche Zukunftsplanung, und die ist dringend
erforderlich . Sie besteht nicht darin, nach der nächsten
Flussvertiefung an die übernächste Flussvertiefung zu
denken . Zukunftsplanung für die norddeutschen Seehäfen heißt: Hafenkooperationen statt Flussvertiefungen .
({3})
Nur so hat auch der Tiefwasserhafen Wilhelmshaven eine
Chance, sich zu entwickeln . Schluss mit der hafenpolitischen Kleinstaaterei der Landesregierungen in Hamburg,
Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein! Wir
brauchen eine Verkehrswende, und der Zeitpunkt dafür
ist doch jetzt, wo die Verkehrsprojekte für die nächsten
anderthalb Jahrzehnte vorbereitet werden . Statt einer
grundlegenden kritischen Bewertung der bisherigen Politik kommt nur ein phantasieloses Weiter-so .
Interessant ist ein Blick in die Debatten von vor
über zehn Jahren, als es um den Bundesverkehrswegeplan 2003 ging . Darin lesen wir Überschriften wie
„Vernetzung von Verkehrsträgern zu einem integrierten Verkehrssystem“, „Gezielte Engpassbeseitigung im
Verkehrssystem“ usw . Die Bilanz - wir haben es schon
gehört -: Auf den Bundeswasserstraßen wurden nach
Zahlen des Bundesverkehrsministers im Jahr 2010
10 Prozent der Güter bewegt; es sollten 14,1 Prozent
werden . Auf der Schiene waren es 17,4 Prozent; geplant
waren 24 Prozent und mehr . Allein der Straßengüterverkehr hat sich dramatisch zum Negativen verändert: Sein
Anteil lag 2010 bei 72 Prozent; laut Bundesverkehrswegeplan sollte er nur 61,5 Prozent betragen . - Diese
Zahlen zeigen doch, dass man die Verkehrsentwicklung
einfach hat laufen lassen; teilweise hat man diese Entwicklung sogar befördert . Das ist das sogenannte Laisser-faire-Szenario, das damals ausdrücklich nicht gewollt
gewesen ist . Aber genau das wird mit diesem Bundesverkehrswegeplan fortgesetzt - null Aussage zur Verlagerung des Güterverkehrs auf umweltpolitisch sinnvollere
Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße .
Ich komme zum Schluss . Herr Minister, wenn es jemals in Ihrem Interesse gewesen sein sollte, Verkehrspolitik im Interesse der Menschen umzusetzen, die von
Lärm und Dreck befreit werden wollen, im Interesse des
Klimaschutzes, im Interesse einer sozialen und ökologischen Transportpolitik, dann wären Sie an diesen Anforderungen grandios gescheitert . Aber wie eingangs zitiert:
Sie planen wie ein Gutsherr aus dem vorigen Jahrhundert, und Sie planen eine Verkehrspolitik für ein vergangenes Jahrhundert . Das muss beendet werden .
({4})
Kirsten Lühmann ist die nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Anwesende! Der Spiegel hat
den Bundesverkehrswegeplan kürzlich zum Hochamt der
Verkehrspolitik erklärt . Das ist natürlich übertrieben, zumal die Erarbeitung und insbesondere die Verhandlungen
eines solchen Planes nicht zwangsläufig in religiöser Atmosphäre stattfinden.
({0})
Daher gilt das, was in den Verhandlungen zum letzten
Bundesverkehrswegeplan der damalige Redner der Grünen, der Kollege Albert Schmidt, so trefflich ausführte:
Dieser Bundesverkehrswegeplan ist kein Evangelium, er
ist ein Plan .
({1})
Der letzte Bundesverkehrswegeplan war unter der
rot-grünen Bundesregierung zustande gekommen . Er hat
erstmals ein stärkeres Augenmerk auf den Erhalt gelegt
und auch ökologische Gesichtspunkte stärker berücksichtigt . Das war neu, und das war gut so .
({2})
Er hat damit die Grundlage gelegt für den Bundesverkehrswegeplan 2030, und der ist noch besser geworden .
({3})
Dass das so ist, das liegt unter anderem auch an der Arbeit, die im Bundesverkehrsministerium gemacht wurde .
Insbesondere die Transparenz, die es vorher so noch nie
gegeben hat, und auch die Abarbeitung der vielen Anmerkungen der Bürger und Bürgerinnen unseres Landes
waren eine Herausforderung . Darum danke ich allen Beteiligten, die daran mitgearbeitet haben, herzlich .
({4})
Wichtig für diese Arbeit sind jedoch auch die politischen Vorgaben, die die Ausrichtung dieses Planes
ausmachen . Sören Bartol hat es angesprochen: Die ErHerbert Behrens
gebnisse des Infrastrukturkonsenses der SPD-Bundestagsfraktion sind in der Grundkonzeption in weiten Teilen umgesetzt worden; man merkt jetzt am Ergebnis, dass
das eine sinnvolle Sache war . Einen dieser Grundsätze
möchte ich herausgreifen: die klare Mittelaufteilung,
die die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und
Wasserstraße stärkt .
Vom Gesamtvolumen des neuen Bundesverkehrswegeplans werden über 50 Prozent in die Schiene und
in die Wasserstraßen investiert, und wir werden darauf
achten, liebe Kollegen und Kolleginnen, dass sich dieses
Verhältnis im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
auch nicht ändern wird . Dass diese Entscheidung keine
ist, die direkt mit der Verkehrsleistung dieser beiden Verkehrsträger zu rechtfertigen ist, das ist uns allen klar . Genauso klar ist aber auch, dass, wenn wir die Mobilität in
Deutschland langfristig stärken und ökologisch ausrichten wollen, Schiene und Wasserstraße diese zusätzlichen
Mittel dringend benötigen .
Wir bedauern die Tatsache, dass die vielen Schienenprojekte noch nicht alle auf ihre Wirtschaftlichkeit hin
berechnet werden konnten . Wir drängen darauf, dass dies
möglichst schnell passiert; denn nur dann kann man den
verkehrspolitischen Wert dieses Bundesverkehrswegeplanes auch umfassend erkennen . Daher bitten wir darum, dass das möglichst schnell passiert .
({5})
Denn unter anderem noch nicht bewertet und noch im
potenziellen Bedarf befinden sich Maßnahmen zur Realisierung der umfassenden Befahrbarkeit des Schienennetzes für 750-Meter-Güterzüge, was im Übrigen der europäischen Standardlänge entspricht . Wir plädieren hier für
eine schnelle Planung, damit auch kleinteilige und relativ
preisgünstige Maßnahmen die Kapazitäten im Schienenverkehr nach vorne bringen können .
Frau Kollegin Lühmann, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja .
Bitte schön .
Frau Kollegin Lühmann, vielen Dank, dass ich Ihnen
diese Zwischenfrage stellen darf . Ich bin an der richtigen
Stelle aufgerufen worden, nämlich als Sie gerade begonnen haben, über das 740-Meter-Netz zu sprechen .
Sie hatten vorhin schon gelobt, dass so viel Schiene
im Bundesverkehrswegeplan enthalten sei .
({0})
Aber ich glaube, dass das im Widerspruch zu den Realitäten steht . Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die sich
auf den Schienengüterverkehr bezieht, der in Deutschland nur einen Anteil von 17 Prozent hat; in Österreich
sind es 30 Prozent und in der Schweiz 40 Prozent . Die
740-Meter-Netze gibt es zum Beispiel in der Schweiz,
sogar in Italien, nur bei uns in Deutschland gibt es Engpässe .
Meine Frage lautet: Wie erklären Sie sich, dass, obwohl die Deutsche Bahn bereits im Jahr 2013 beantragt
hat, den Einsatz des 740-Meter-Netzes zu untersuchen
und es in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen,
das entsprechende Gutachten erst vor einigen Wochen
seitens des Bundesverkehrsministeriums in Auftrag gegeben wurde, sprich: das Gutachten über das 740-Meter-Netz zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben wurde,
als der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans schon seit
Monaten vorlag? Das ist doch eine ziemliche Diskrepanz . Das spricht nicht unbedingt dafür, dass die Bundesregierung das Thema Schienenwege und konkret das
Thema „740-Meter-Netz/Verlagerung von Verkehr auf
die Schiene“ ernst nimmt .
({1})
Herr Kollege Gastel, die Tatsache, dass die Bundesregierung zusammen mit den Koalitionsfraktionen die
Mittel so verteilt hat, dass für den Bereich Schiene über
41 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen, zeigt eindeutig, welche Prioritäten diese Bundesregierung setzt .
Wann ein Gutachten von wem in Auftrag gegeben wurde,
dürfen Sie nicht mich fragen, sondern das müssen Sie das
Ministerium fragen; denn ich gehöre dem Parlament an,
und das Ministerium ist Teil der Regierung . Diese Frage
können Sie im Rahmen einer Kleinen Anfrage stellen .
An der Antwort wäre auch ich interessiert; aber die wird
dann ja öffentlich sein .
({0})
Zu den Maßnahmen, die wir dringend untersuchen
müssen, gehört auch die Beseitigung der Knotenproblematik . Die Knotenpunkte in mehreren großen Städten
bedeuten insbesondere für den Schienengüterverkehr
Engpässe . Dort konkurrieren Güterzüge mit Fernverkehrs- und Nahverkehrszügen . Diese Konkurrenzen wollen wir aufheben . Dafür gibt es einen eigenen Titel in
diesem Bundesverkehrswegeplan . Ich spreche hier nur
einen Knoten an, der noch nicht aufgenommen wurde,
den Knoten Hannover . Ich denke, dass wir dazu zeitnah
Antworten erhalten werden .
Kritisiert wurde von einigen, dass in diesen Bundesverkehrswegeplan keine Schienennahverkehrsmaßnahmen aufgenommen wurden . Das ist aber nicht nur bei
diesem Plan so, sondern das war auch bei den Vorgängern so . Das liegt daran, dass wir uns einmal entschieden
haben, dass der Schienenpersonennahverkehr in die Zuständigkeit der Länder übergeben wird . Dafür stellen wir
den Ländern ausreichend Geld zur Verfügung . Gerade
erst haben wir die Regionalisierungsmittel deutlich aufKirsten Lühmann
gestockt und die Zusage gegeben, dass die GVFG-Mittel,
die der Gemeindeverkehrsfinanzierung dienen, verstetigt
werden . Ich glaube, das war eine richtige und gute Maßnahme; denn die Länder wissen am besten, wo die Bedarfe im Bereich Schienenpersonennahverkehr sind . Das
müssen wir nicht seitens des Bundes regeln; das sollen
die Länder machen . Das ist gut so, und das behalten wir
bei .
({1})
Dass wir unsere Schwerpunkte richtig gesetzt haben,
zeigt auch eine Umfrage, die das Netzwerk Europäische
Eisenbahnen mit dem Verband der Güterwagenhalter in
Deutschland durchgeführt hat . Danach wollen neun von
zehn Befragten, dass mehr Güter auf der Schiene transportiert werden und der Staat dafür mehr Geld ausgibt .
Dass auch hier der Teufel im Detail steckt, habe ich in
meinem Heimatland Niedersachsen erlebt: Im Dialogforum waren sich alle einig, dass mehr Güter auf die Schiene sollen und wir dafür mehr Kapazitäten benötigen . Jetzt
gibt es aber viele, die von der gefundenen Lösung betroffen sind und dagegen protestieren . Die im Dialogforum
von den Beteiligten gefundenen Ansätze, insbesondere
zum Lärmschutz, helfen, Vertrauen zu gewinnen .
Unsere Arbeit wird mit der Verabschiedung dieses
Bundesverkehrswegeplans nicht zu Ende sein . Wir beschließen Projekte, liebe Kollegen und Kolleginnen, keine Linienführungen . Um für diese Projekte Akzeptanz zu
erlangen, müssen wir die Betroffenen in die weitere Planung früher und intensiver als bisher einbinden . Es muss
möglich sein, dass wir gute Anregungen aufnehmen,
auch wenn die Projekte dadurch etwas teurer werden, als
wir ursprünglich beabsichtigt haben . Die Verkehrswende
ist auch für Deutschland zwingend; aber sie wird nicht
allein durch einen Beschluss hier im Bundestag verwirklicht . Sie muss ein Projekt der Menschen in diesem Land
werden . Dazu werden wir alle hier Überzeugungsarbeit
zu leisten haben und gemeinsam mit den Betroffenen an
den besten Lösungen arbeiten müssen . Dieser vorliegende Bundesverkehrswegeplan ist ein Baustein dazu .
Herzlichen Dank .
({2})
Das Wort erhält nun die Kollegin Valerie Wilms für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Er darf aber sitzen bleiben, ja?
({0})
- es ist ja ganz interessant, wie Sie hier immer auf
den Grünen herumdreschen . Wenn ich mich richtig entsinne - ich bin ja schon ein paar Jährchen älter -, dann
hat es im Bund noch keinen einzigen grünen Verkehrsminister gegeben .
({0})
Es wird höchste Zeit, dass endlich einmal Realität und
Vernunft in diese Hütte an der Invalidenstraße einziehen .
({1})
Ich hoffe, dass das nächstes Jahr gelingen wird .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstbeweihräucherung, die wir hier eben erlebt haben, lässt sich
mit einem altbekannten Sprichwort zusammenfassen:
Eigenlob stinkt, und zwar stinkt es gewaltig zum Himmel - auch in Bayern . Es stinkt nicht nur, sondern das,
was Sie hier machen, hat auch gar nichts mehr mit der
Realität zu tun .
({3})
Deswegen wird es Zeit, den Leuten reinen Wein einzuschenken .
({4})
Wir müssen es so sagen, wie es ist . Im Wort „Bundesverkehrswegeplan“ ist der Begriff „Plan“ enthalten . Daher
müssten Sie eigentlich auch einen Plan haben . Sie haben
aber keinen . Es gibt keinen . Der Bundesverkehrswegeplan ist im besten Fall so etwas wie eine grobe Empfehlung, was man vielleicht einmal machen könnte .
Demnächst werden sich wieder viele Wahlkreisabgeordnete für ein Projekt feiern, das im Plan steht . Ich
gucke einmal zu meinem lieben Kollegen aus Schleswig-Holstein, aus der beschaulichen Stadt Lauenburg an
der Elbe und am Elbe-Lübeck-Kanal .
({5})
In den Bundesverkehrswegeplan, sogar in den Vordringlichen Bedarf zur Engpassbeseitigung, ist auf einmal
ein Projekt namens Elbe-Lübeck-Kanal gekommen . Es
handelt sich um eine beschauliche Wasserstraße für den
touristischen Verkehr .
({6})
Jetzt wird irgendwo behauptet und davon geträumt, man
könne dort wieder Güterverkehr stattfinden lassen. Dafür verplanen Sie 838 Millionen Euro . Das sind mehr als
10 Prozent dessen, was insgesamt für die Wasserstraße
vorgesehen ist . Dieses Geld würde ich lieber in die SaKirsten Lühmann
nierung maroder Schleusen stecken als in so ein System,
eine Wette auf die Zukunft .
({7})
Daran zeigt sich deutlich, was das Ganze ist: nichts
weiter als Wahlkreisbeglückung .
({8})
Denn solch ein Eintrag in die Listen bedeutet erst einmal gar nichts . Die meisten Kolleginnen und Kollegen
wissen es entweder nicht so genau oder wollen es nicht
wissen . Wir müssen es deswegen einmal erklären: Herr
Dobrindt spricht gerne vom großartigen Investitionsprogramm. Er behauptet, alles sei durchfinanziert. Wie er darauf kommt, ist und bleibt schleierhaft . So unterschlägt er
den sogenannten Weiteren Bedarf . Dieser umfasst Projekte für über 40 Milliarden Euro . Bei der Finanzplanung
fehlen sie aber .
({9})
Hierfür wird nie Geld da sein . Der Weitere Bedarf - Herr
Herzog, Sie können nachher noch erzählen - steht nur
aus einem einzigen Grund im Plan: aus purer Feigheit .
Sie trauen sich nicht, den Menschen draußen zu sagen,
dass das, was dort steht, sowieso nicht zu erreichen ist .
({10})
Aber auch im Vordringlichen Bedarf wird es nicht
besser . Weil Sie viel zu viel versprechen, haben Sie die
sogenannte Schleppe erfunden; das ist eigentlich eine infektiöse Kinderkrankheit .
({11})
Die „Schleppe“ ist nichts weiter als ein plumper Taschenspielertrick .
({12})
Sie versprechen einen Gewinn, sagen aber nicht, dass er
erst in der übernächsten Runde ausgezahlt wird .
Neben diesen Taschenspielertricks, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es eine weitere riesige Lücke
zwischen Plan und Realität . Zunächst einmal wird die
Mehrheit in diesem Haus einen völlig illusorischen Plan
durchdrücken . Spannend wird aber erst, was davon tatsächlich im Haushalt landet . Denn der Plan hat noch
gar keine Auswirkungen . Finanziert wird das nachher
erst über den Haushalt, und der von uns beschlossene
Haushalt ist in der Realität leider nur eine grobe Empfehlung . In den vergangenen Jahren wurden die Mittel
für die umweltfreundlichen Verkehrsmittel regelmäßig
nicht so ausgegeben, wie wir als Haushaltsgesetzgeber es
beschlossen haben .
Frau Kollegin .
Wo ist das Geld gelandet? - Damit komme ich zum
Schluss, Herr Präsident .
({0})
Wo ist das Geld gelandet? Das haben wir auch gestern
wieder gesehen . Zum größten Teil ist das Geld irgendwo
in Bayern, in irgendwelchen bayerischen Umgehungsstraßen versackt .
({1})
Ich fordere Sie deswegen zu einer ehrlichen Prüfung
der Gesetzentwürfe auf . Haben Sie endlich Mut! Streichen Sie das, was nicht bezahlt werden kann! Machen
Sie Schluss mit diesem unglaubwürdigen Verhalten!
Danke .
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Brackmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon spannend, was uns heute Morgen von den Grünen geboten worden ist . Der Kollege
Hofreiter stellte den Zusammenhang zwischen dem
Bundesverkehrswegeplan und dem Haushalt her, und
er machte dabei eine Unterstellung: dass wir den Plan
nur machen und die gegenseitige Deckungsfähigkeit von
Neubau und Erhalt nur herstellen würden, damit wir hinterher die Bänder durchschneiden können .
({0})
Dies ist nur bei zwei Voraussetzungen möglich; die
müssen erfüllt sein . Die erste ist, dass wir noch bis 2030
in der Regierung sind .
({1})
Damit können wir gut leben . Die zweite ist, dass die Projekte, die wir in den Plan geschrieben haben, bis dahin
fertig werden . Damit können wir ebenfalls gut leben; das
wollen wir . Dass Ihre Kollegin Wilms damit ein Problem
hat, ist ihr Problem, aber nicht unseres .
({2})
Wir müssen natürlich schon Zusammenhänge zwischen Verkehrswegeplan und Haushalt sehen .
({3})
- Nein, ich denke nur längerfristig als Sie .
({4})
Sie haben den Haushalt in diesem Jahr im Auge, und wir
haben ihn bis 2030 im Auge .
Der Verkehrsminister hat vorhin darauf hingewiesen,
dass wir großräumig denken müssen,
({5})
und in der Tat ist das die Herausforderung, die dieser
Bundesverkehrswegeplan annimmt .
({6})
- Man sollte bei der Wahrheit bleiben . - Die Kollegin
Wilms kommt aus Schleswig-Holstein . Wir können uns
aber keine regionalspezifische Betrachtungsweise leisten . Wenn wir uns einmal anschauen, dass in der Exportnation Deutschland das Land, das den größten Anteil
am Containerumschlag im größten deutschen Seehafen
Hamburg hat, Bayern ist, der Wohlstand also zu einem
großen Teil in Bayern produziert wird und Rest-Deutschland davon profitiert, und wenn wir uns weiter anschauen, was Bayern für den Finanzausgleich tut und wovon
andere Städte - unter anderem diese schöne Bundeshauptstadt - leben, dann wird deutlich, dass wir großräumig und flächendeckend denken müssen und nicht in
Kleinstaaterei verfallen dürfen .
({7})
Das ist etwas, das diesen Plan auszeichnet: dass er in
diesen großen Linien denkt, nicht nur bezogen auf die
einzelnen Trassen . Er hat auch - das müssen wir vernetzt
sehen - etwas mit dem Haushalt zu tun . Wir müssen sehen, dass wir das, was wir in den Plan hineinschreiben,
auch umsetzen . Im Haushalt werden wir deswegen denn das Allererste ist die Planungskapazität - wie auch
in den letzten Jahren für den Bereich Wasserstraßen zusätzliche Planungskapazität schaffen .
Wir haben in den letzten Jahren - und wir werden dies
auch weiterhin tun - die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass bei der Schiene geplant werden kann . Bei der
Straße haben wir leider keine eigene Zuständigkeit, sondern sie liegt bei den Ländern .
Wir haben jetzt eine Zeitenwende; denn seit gestern
haben wir keine baureifen Projekte mehr in Deutschland, die nicht über eine Finanzierungszusage des Bundes erfolgen . Das ist eine neue Zeit . Deswegen ist es so
eminent wichtig, dass auch die Länder, die Länderverkehrsminister ihre Planungskapazitäten hochschrauben
und diese Herausforderung der Zukunft annehmen; denn
wer Gegner von Planung ist, ist Freund von Verzicht auf
Teilhabe, auf Fortschritt, auf Infrastruktur - und damit
auf die Sicherung des Wohlstands für die Bevölkerung
im eigenen Land .
({8})
Das gilt für viele Projekte . Wenn wir einmal nach vorn
schauen, dann müssen wir auch sehen, dass wir nicht immer nur neue Straßen und Schienen in die Landschaft
bauen können . Wir müssen uns auch Gedanken darüber
machen, wie wir Verkehrsträger, die noch Chancen haben, an der Zukunftsentwicklung teilzuhaben, die ökologisch unbedenklicher als andere sind, nach vorne treiben .
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass wir in vernetzten Regionen denken müssen . Der Kollege Bartol hat
die Prognosen zur Verkehrsentwicklung und zum Gütertransport angesprochen . Wenn wir wissen, dass der Hamburger Hafen Ende der 2020er-Jahre nicht mehr in der
Lage sein wird, Güter auf den konventionellen Wegen,
wie er es heute macht, abzutransportieren, dann müssen
wir vernetzt vorgehen und auch die Wasserstraße wieder
ein Stück weit nach vorne bringen .
({9})
Da müssen wir heute anfangen, zu planen . Dazu gehören verschiedene Aktivitäten . Dazu gehört, dass wir das
Nadelöhr Elbe-Seitenkanal ertüchtigen; deswegen haben
wir dort im letzten Jahr den Neubau der Schleuse auf den
Weg gebracht .
({10})
Dazu gehört, weil wir vernetzt denken müssen, dafür
zu sorgen, dass Güter auch auf dem Schiff von Süden
nach Norden transportiert werden können, eben in dieses
Netz . Das ist nicht einmal eine deutsche, sondern eine
europäische Entscheidung; denn der Elbe-Lübeck-Kanal
ist im TEN-T . Wir müssen auch dafür sorgen, dass die
Wasserstraße attraktiver wird . Denn die Container aus
Bayern, von denen ich vorhin gesprochen habe, werden
zu 60 Prozent über die Schiene, zu 40 Prozent über die
Straße und überhaupt nicht auf dem Wasser transportiert .
Ziel dieses Bundesverkehrswegeplanes ist es, dies zusammenzuführen .
Es wird dann noch ein Stück weiter vernetzt, und zwar
durch die Haushaltsgesetze, die wir in den nächsten Jahren beschließen werden . Wir müssen die Verkehre auf
den einzelnen Verkehrsträgern - Wasser, Straße, Schiene - durch den Einsatz digitaler Technik, neuer Programme, autonomen Fahrens und anderer Systeme effizienter
machen . Besser ist es natürlich, die vorhandenen Verkehrsträger so weit wie möglich auszunutzen, damit wir
nicht mehr in großem Umfang neue Verkehrsträger brauchen . Wenn wir aber neue brauchen, dann müssen wir
auf ökologische Art und Weise vorgehen . Genau dafür
legt dieser Bundesverkehrswegeplan und legen die Ausbaugesetze den Grundstein . Dafür, dass das so gelungen
ist, ein herzliches Dankeschön an den Bundesverkehrsminister!
({11})
Das Wort erhält nun der Kollege Gustav Herzog für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Verkehrspolitiker stellt man sich immer die Frage - man
bekommt sie auch gestellt -: Wie soll die Verkehrspolitik aussehen, welche Projekte sind die richtigen, und wie
wollen wir sie realisieren?
({0})
Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung, sowohl
für die politische Entscheidung als auch für die Umsetzung . Wie erreichen wir diese Akzeptanz? Indem wir
offenlegen, was wir wollen, und indem wir Transparenz
praktizieren . Ich glaube, es hat bei einem solchen Projekt
in der Verkehrspolitik noch nie so viel Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz gegeben wie dieses Mal . Frau
Kollegin Leidig, wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefällt,
({1})
dann bedeutet das nicht, dass das Vorgehen undemokratisch war . Vielmehr erfahren wir sehr viel Zustimmung
zu dem Weg, den wir eingeschlagen haben .
({2})
Man darf bei aller kritischen Diskussion nicht darüber hinwegsehen, dass es in diesem Hause einen Konsens
gibt . Deswegen will ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus einem Antrag der Grünen zitieren:
Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine
wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe
und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes . Mit einem der feinmaschigsten Verkehrsnetze der Welt ist
Deutschland gut aufgestellt .
({3})
Jetzt schaue ich zu Ihnen, Herr Hofreiter und Frau Wilms:
Warum sind Sie bei Ihren Beiträgen nicht auf diesem Niveau geblieben?
({4})
Herr Hofreiter, Sie haben einen redaktionellen Fehler
im Bundesverkehrswegeplan angesprochen . Sie hätten
besser in die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Ihnen hineingeschaut . Sie haben hier behauptet, wir würden bei den Straßen „Erhalt vor Neubau“
gar nicht praktizieren . Ich habe mir einmal die Arbeit
gemacht, die Antwort auf Ihre Anfrage in einer kleinen
Grafik darzustellen.
({5})
Das Blaue sind die Investitionen, das Rote ist der Erhalt
bei den Straßen . Dieser Peak, das sind die Programme,
die wir aufgelegt haben . Das heißt, schon seit Jahren sind
wir dabei, mehr in den Erhalt als in den Neubau zu investieren . Schauen Sie erst einmal in Ihre Papiere, bevor Sie
hier Unsinn erzählen!
({6})
Frau Kollegin Wilms, ich war gestern bei den Baufreigaben . Vielen Dank, Herr Bundesminister - auch für die
Ortsumgehung Imsweiler in meinem Wahlkreis . Das ist
angemessen und richtig,
({7})
und ich stehe dazu . Wenn Sie die grüne Kreisvorsitzende
fragen, dann erfahren Sie, dass sie das auch für richtig
hält .
({8})
Frau Kollegin Wilms, Sie behaupten hier, der Großteil
des Geldes sei nach Bayern gegangen . Sie müssen noch
einmal nachschauen . Ich glaube, Sie haben „Bayer Leverkusen“ im Ohr .
({9})
Der Großteil des Geldes - über ein Drittel - ist nämlich
für ein Brückenprojekt auf der A 1 bei Leverkusen, das
dringend notwendig ist, zur Verfügung gestellt worden .
Erzählen Sie hier also nicht Dinge, die einfach nicht
stimmen!
({10})
Darf die Kollegin Wilms darauf mit einer Zwischenfrage reagieren?
Aber gerne doch .
Herr Kollege Herzog, Sie haben eben wirklich super
dargestellt, worauf es Ihnen ankam, nämlich darauf, dass
Sie sich dafür abfeiern lassen konnten,
({0})
dass ein Projekt in Ihrem Wahlkreis in diesem Plan steht .
({1})
Ich rate Ihnen dringend, einmal einen Blick in Artikel 38
des von uns so geliebten Grundgesetzes zu werfen .
({2})
Darin steht - ich zitiere -: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes . . .“ . - Sie sind also nicht nur Vertreter Ihres
Wahlkreises,
({3})
und es wäre deshalb sehr hilfreich, wenn Sie Ihre Äußerungen und Ihr ganzes Handeln auf eine Gesamtstruktur,
die wir für den Verkehr brauchen, ausrichten würden .
Sie haben ja super zitiert, wie wir das haben wollen .
Wir wollen nämlich einen Netzplan und nicht ein Sammelsurium an einzelnen Wünschen haben, die von den
Wahlkreisabgeordneten, von den Ministerpräsidenten
oder von Sonstigen geäußert werden .
({4})
Wie wollen Sie das in diesen Plan eigentlich noch hineinbringen? Wie haben Sie das vor? Oder wollen Sie sich
schlicht und ergreifend einfach nicht ans Grundgesetz
halten?
Frau Kollegin Wilms, auch die Ortsgemeinde Imsweiler gehört zur Bundesrepublik Deutschland, und auch die
Menschen dort haben einen Anspruch darauf, dass ihre
Lebensverhältnisse gleichwertig sind .
({0})
Dort gibt es eine enge Ortsdurchfahrung über mehrere
Kilometer, die täglich von über 10 000 Fahrzeugen - ein
hoher Anteil davon ist Schwerlastverkehr - genutzt wird .
Ein Bahnübergang dort hat zum Beispiel schon verhindert, dass Rettungswagen fahren konnten . Sie können
den Menschen dort nicht ihren Anspruch darauf absprechen, eine vergleichbare Umwelt zu haben . Deswegen ist
diese Ortsumfahrung gerechtfertigt, und sie ist auch zum
Wohle der Allgemeinheit .
({1})
Damit hier aber nicht der Eindruck entsteht, bei der
Bundesverkehrspolitik ginge es nur um eine rein parteipolitische Auseinandersetzung mit den Grünen: Herr
Minister Dobrindt, an eines darf ich doch noch erinnern, nämlich an den Bundesverkehrswegeplan 2003,
den Sie angesprochen haben . Die damalige Opposition,
die CDU/CSU, hat damals seitenweise Anträge gestellt,
Straßenbauprojekte in den Vordringlichen Bedarf zu heben . Hätten wir als Rot-Grün das damals gemacht, dann
sähe der Plan heute ganz anders aus . Seien wir hier also
etwas zurückhaltender, und gehen wir einfach einmal davon aus, dass wir hier gemeinsam gute Arbeit machen
werden!
Ich will noch ein paar Kritikpunkte aus der Öffentlichkeit aufgreifen, die geäußert worden sind, und insgesamt
rate ich hier zu verbaler Abrüstung . Einige Umweltverbände sagen nämlich zum Beispiel, dieser Bundesverkehrswegeplan sei eine Katastrophe für Deutschland .
Diese Beschreibung halte ich für maßlos .
({2})
Wir investieren zum Beispiel mehr in die Schiene, als
sie an Verkehrsleistung bringt . Beim Güterverkehr hat
sie einen Anteil von 20 Prozent, beim Personenverkehr
sind es nur 10 Prozent . Fast die Hälfte unserer Mittel geht
aber in die Schiene . Das ist also eine klare Bevorteilung
durch uns .
Auch beim Flächenverbrauch sind wir sehr moderat .
Wer sich an den letzten Bundesverkehrswegeplan erinnert, der weiß: Dort war der Flächenverbrauch doppelt so
hoch wie bei diesem neuen . Wir sind hier also auf einem
guten Weg .
Lassen Sie mich noch eines zu den Alternativenprüfungen sagen: Es gab ja die Klage, die 50 Alternativen
seien einfach so unter den Tisch gekehrt worden . Ich
habe dort einmal hineingeschaut, und weil ich eine ganz
besonders gut kenne, nämlich die B 10 in der Südpfalz,
habe ich mir einmal angeguckt, wie die Alternative begründet wird:
Sie wollen Verkehrsbeeinflussungsanlagen, sie wollen
Geschwindigkeitskontrollen, sie wollen Maut-Ausweichverkehre verhindern - das spielt aber keine Rolle mehr,
wenn alle Bundesstraßen bemautet werden -, sie wollen
die Bahn für den Nahverkehr ausbauen - das nützt bei
15 Prozent Schwerlastverkehr, der durch diese Region
fährt, aber nichts -, und sie wollen eine weiträumige Umleitung, die entweder 45 Prozent oder 56 Prozent mehr
Strecke bedeutet . Das ist doch keine umweltorientierte
Alternative . Es kann doch nicht sein, dass man die Lkws
durch die Gegend fahren lässt, um eine solche wichtige
Infrastruktur einfach mal auf die Seite zu schieben . Da
hat die Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz
richtig agiert, die Prüfung entsprechend vorgenommen
und gesagt: Wir bleiben bei der vorgeschlagenen Trasse . - Das war ein kleines Beispiel .
Lassen Sie mich ein Letztes zum Klimaschutz noch
sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es ist eine Infrastruktur, die für alle Verkehrsmittel zur Verfügung
steht . Da wird es wichtig sein, dass wir bei der Begleitung dieses Bundesverkehrswegeplans darauf achten,
dass in Binnenschiffen nicht mehr Diesel verbrannt wird,
sondern EE-Strom zum Einsatz kommt . Ebenso verhält
es sich bei den Fahrzeugen, die auf der Straße fahren .
Wir müssen auch noch mehr für die Elektrifizierung machen . Und auch der Elektrobus, Frau Leidig, braucht eine
Straße, eine Brücke, und ab und zu fährt er auch auf der
Autobahn .
({3})
Ich freue mich auf die Ausschussberatung und hoffe,
dass wir dort auf entsprechendem Niveau diskutieren .
Vielen Dank .
({4})
Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion ist der letzte
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
wir diskutieren heute in erster Lesung über das zentrale
Element unserer Infrastrukturplanung: über den Bundesverkehrswegeplan, über die Ausbaugesetze . Uns liegt ein
Konzept vor: modern, nachhaltig, geprägt von intelligenter Mobilität . Ohne gute Infrastruktur, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Grünen und der Linken, lassen sich
eine erfolgreiche Volkswirtschaft und der Wohlstand der
Menschen nicht weiter entwickeln . Und genau das machen wir .
({0})
Ich bin mir sicher: Die Bevölkerung wird Ihrem
Wunsch nach einem grünen Verkehrsminister
({1})
im nächsten Jahr eine ganz klare Absage erteilen .
({2})
Denn die Menschen wissen, wer für Infrastruktur steht
und wer die Mobilitätsverweigerer dieser Republik sind .
({3})
Schon der Entwurf vom März, liebe Kolleginnen und
Kollegen, hat interessanterweise viel Lob erfahren . - Die
linke Seite lasse ich mal einfach außen vor; denn in Thüringen will man bei diesem Thema auch etwas haben,
aber hier vertritt man irgendwie eine eigene Lehre . - Für
den Plan möchte ich mich ganz herzlich beim Ministerium und insbesondere bei unserem Bundesminister
Alexander Dobrindt bedanken . Das ist eine sehr gute,
ausgezeichnete Vorarbeit, und darauf können wir heute
aufbauen .
({4})
Dann kam die Öffentlichkeitsbeteiligung, die auch
schon mehrfach angesprochen worden ist . Dieses Instrument hat sich bewährt . Es hat sich auch bewährt,
einen Gesamtbericht über mehrere Seiten darüber zu
machen und nicht auf jedes Einzelschreiben einzugehen;
denn es geht hier um Gesamtbewertungen und nicht um
persönliche Stellungnahmen .
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich
bin jetzt sehr gespannt darauf, wenn es darum geht, das
bei den Schienenprojekten umzusetzen . Denn auch da
ist viel Neubau dabei; viele weitere Gleise werden gelegt - Hafenhinterland -; da ist viel Geld für die Knoten
enthalten . Und wir wissen alle ganz genau, wie sich Ihre
Kolleginnen und Kollegen dann bei diesen Projekten vor
Ort verhalten: anders als bei Ihren Reden hier in Berlin!
({5})
Treten Sie doch endlich mal den Beweis an, dass Sie
überhaupt bei einem einzigen Verkehrsträger in der Lage
sind, etwas durchzusetzen! Diesen Beweis sind Sie bisher schuldig geblieben .
({6})
Wir haben, wie gesagt, viel Zustimmung für dieses
Mammutprojekt bekommen . Es wird jetzt natürlich im
Detail Diskussionsbedarf an der einen oder anderen Stelle geben . Aber ich will auch da noch mal ganz deutlich
sagen: Die Systematik steht, und die Systematik steht
für die gesamte Koalition . Wir werden diese Systematik in den Beratungen auch nicht durchbrechen . Warum?
Weil es eine seriöse Finanzgrundlage gibt . Natürlich ist
ein Bundesverkehrswegeplan einschließlich der Ausbaugesetze - das sagt ja schon das Wort, liebe Kollegin
Wilms - ein Plan . Darauf folgt ein Investitionsrahmenplan, und darauf folgen Baufreigaben . Es ist ein stringentes System, das wir in Deutschland haben . Dieses wollen
wir weiter stringent halten . Genau in dieser Stringenz
erfolgten gestern auch die Baufreigaben .
Liebe Kollegin Wilms, ich sage es ganz offen: Sie haben normalerweise ein gewisses Niveau und einen gewissen Anspruch an sich selber . Aber das, was Sie hier
vorhin geboten haben, war unterirdisch .
({7})
Mit dem, was Sie zur Liste der Baufreigaben gesagt haben, täuschen Sie die Öffentlichkeit . Von über 2 Milliarden Euro gingen circa 310 Millionen Euro nach Bayern,
280 Millionen Euro nach Baden-Württemberg und circa
260 Millionen Euro nach Hessen . Über 25 Prozent der
Baufreigaben für Straßen gingen an grüne Landesverkehrsminister; die wollten diese Mittel haben . Also, bitte
ehrlich bleiben!
({8})
- Das war kein Hinweis auf eine Koalition, sondern eine
rein sachliche Feststellung .
Damit bin ich auch schon bei den Ländern . Ja, damit
dieser Bundesverkehrswegeplan ein Erfolg werden kann,
sind auch die Länder gefordert, und zwar mehr gefordert,
als sie derzeit an Anstrengungen unternehmen .
({9})
Die Möglichkeiten für Baufreigaben sind ausgeschöpft;
Kollege Brackmann hat es schon angesprochen . Ich kann
nur sagen: Wer am System der Auftragsverwaltung in der
Weise festhalten will, wie es die Länder wollen, der muss
jetzt in den Ländern auf der Basis der Ausbaugesetze
ganz schnell seine Hausaufgaben machen .
({10})
Ansonsten wird es heißen: Der Bund hat die Möglichkeit gegeben und Mittel bereitgestellt; aber es hakt in den
Ländern, und in einigen Ländern hakt es ganz gewaltig .
({11})
Ich kann nur noch einmal in aller Deutlichkeit sagen,
was unser Bundesverkehrsminister in seiner Haushaltsrede angesprochen hat: Wir stehen zur Idee einer Bundesautobahngesellschaft, und zwar mit einem Kernnetz
des Bundes .
({12})
Wir haben - auch das ist mehrfach gesagt worden - auf
das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ geachtet und hier klare
Prioritäten gesetzt . Wir haben die Kategorie „Vordringlicher Bedarf - Engpassbeseitigung“ für die Autobahnen
eingeführt, weil genau dort unsere größten Probleme liegen .
({13})
Wir machen, liebe Kollegin Wilms und lieber Kollege Toni Hofreiter - ihm ist das alles wohl nur zum Teil
wichtig; er hat sich ja nach ganz hinten gesetzt -, bei der
Finanzierung von Autobahnen keine Wahlkreisgeschenke .
({14})
Wir verteidigen auch keine unsinnigen Projekte, sondern
nehmen Engpassbeseitigungen vor . Mit der Kategorie
„Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ wird den Ländern
die Chance gegeben, selber dafür zu sorgen, dass geplant
und Baurecht erteilt wird . Im „Weiteren Bedarf“, liebe
Kollegin Wilms, erfolgt die Anerkennung des Bedarfes
durch den Bund, verbunden mit der ehrlichen Aussage,
dass wir das derzeit finanziell nicht hinterlegen können.
({15})
Damit komme ich zu meinem und Ihrem Lieblingsthema, den Ortsumfahrungen .
({16})
Ja, auch Ortsumfahrungen gehören in den Bundesverkehrswegeplan .
({17})
Es geht um Verkehrssicherheit . Es geht um den Netzzusammenhang . Es gibt in den Flächenländern Regionen,
die keinen Autobahnanschluss haben . Da sind für die
regionale und überregionale Wirtschaft funktionierende
Bundesstraßen extrem wichtig, insbesondere dort, wo die
Länder mit ihren Staatsstraßen Probleme haben . Wir wissen, wo das der Fall ist .
({18})
Ich fasse zusammen . Es ist ein gelungener Entwurf,
mit dem wir uns nun im Rahmen der Systematik zügig, intensiv und effizient befassen werden. Er stellt die
Grundlage für eine moderne und nachhaltige Verkehrspolitik in den nächsten 15 Jahren dar . Das ist unsere
Agenda 2030 . Ich bin sicher, dass sie Erfolg haben wird .
Danke schön .
({19})
Ich schließe die Aussprache .
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es interfrakti-
onell die Empfehlung gibt, die Vorlagen auf den Druck-
sachen 18/9350, 18/9523, 18/9524 und 18/9527 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu ver-
weisen . - Außer dem zielführenden Hinweis „Sehr gut!“
höre ich keinen Widerspruch . Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen .
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b so-
wie den Zusatzpunkt 2 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
und anderer Gesetze
Drucksache 18/9232
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch
von Werkverträgen verhindern
Drucksache 18/9664
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern
Drucksache 18/7370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
offensichtlich Einvernehmen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, das
Wort .
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gute Arbeit und Zusammenhalt, das ist das, was unser
Land stark macht . Das ist Grundlage für Wohlstand, wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen und den sozialen
Frieden in unserem Land . Deshalb dürfen wir es nicht
hinnehmen, dass Arbeit durch Missbrauch bei Leiharbeit
und Werkverträgen entwertet wird . Wir müssen eingreifen, wenn durch diesen Missbrauch ein unfairer Wettbewerb zwischen Unternehmen und auch zwischen Arbeitnehmern in diesem Land befördert wird .
({0})
Mit dem Gesetz, dessen Entwurf nun vorliegt, schieben
wir dem einen Riegel vor . Wir sorgen dafür, dass die Arbeit von Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern fair
bezahlt wird .
Zwei Punkte sind zentral . Erstens . Leiharbeiter müssen in der Regel spätestens nach neun Monaten den gleichen Lohn erhalten, wie ihn Stammbeschäftigte für eine
vergleichbare Arbeit bekommen . Zweitens konzentrieren
wir die Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion . Leiharbeit ist dazu da, zeitlich befristet Arbeitskräftebedarf zu
decken oder Auftragsspitzen zu bewältigen . Sie ist nicht
dafür da, auf Dauer Stammbelegschaften einzusparen
und unter Druck zu setzen . Das wollen wir nicht .
({1})
Das ist aber mancherorts über die Jahre - mit Verlaub - in Vergessenheit geraten . Es gibt viele Beispiele
aus Betrieben, wo Leiharbeiter zum Teil sechs, acht oder
sogar zehn Jahre ohne Aussicht, am Ende übernommen
zu werden, entliehen sind . Das geht von einfachen Tätigkeiten bis hin zu hochqualifizierten Berufen wie ärztliches Personal in Krankenhäusern . Wir konzentrieren
Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion, indem wir die
Höchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitern in der
Regel auf 18 Monate begrenzen . Wer länger eingesetzt
wird, bekommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher .
Von beiden Grundsätzen - gleicher Lohn nach 9 Monaten und Höchstdauer 18 Monate - können die Tarifpartner unter bestimmten Bedingungen allerdings abweichen . Warum? Arbeitgeber und Arbeitnehmer machen die
Betriebe, machen unser Land zusammen stark . Deshalb
haben wir den Gesetzentwurf - übrigens sehr intensiv mit den Sozialpartnern abgestimmt, mit Arbeitgebern
und mit den Gewerkschaften . Die Sozialpartnerschaft ist
für mich Herzstück unserer sozialen Marktwirtschaft .
({2})
Deshalb geben wir den Sozialpartnern Spielraum . Durch
Tarifvertrag - also zusammen, nicht alleine - können
sie den Einsatz von Leiharbeit, abweichend von den
Grundregeln des Gesetzes, gestalten und aushandeln .
Das setzt einen neuen Anreiz, sich tariflich zu binden.
Daran mangelt es . Es gibt einen zunehmenden Rückzug
der Arbeitgeber aus der Tarifbindung, ganz besonders in
Ostdeutschland . Es bietet auch die Chance - das macht
Tarifverträge um einiges besser als pauschale Bundesgesetzgebung -, auf die besondere Situation der eigenen
Branche oder des eigenen Betriebs einzugehen und gemeinsam nach vernünftigen Lösungen zu suchen . Manche in diesem Hause mögen dieses Prinzip kritisieren
oder haben es überhaupt nicht verstanden .
({3})
Das ist mein Gefühl an dieser Stelle . Ich sage: Dieses
Prinzip ist der Kern dessen, was unsere soziale Marktwirtschaft ausmacht, und ich bin froh, dass wir es auch in
diesem Gesetz gemeinsam zur Wirkung bringen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetz verfolgt bei der Überlassungshöchstdauer einen arbeitnehmerorientierten Ansatz . Das heißt, die Überlassungshöchstdauer wird an die Person, nicht an den Arbeitsplatz
gebunden .
({5})
Das ist sowohl für die Leiharbeitnehmer als auch für die
Unternehmer von Vorteil. Der Leiharbeitnehmer profitiert; denn er hätte nichts gewonnen, wenn er nur eine
Station weiter versetzt werden müsste, und schon würde
die Überlassungshöchstdauer wieder von Neuem zählen .
({6})
Das wäre nämlich der Fall, wenn wir es an den Arbeitsplatz binden würden . Auch die Unternehmen gewinnen;
denn man stelle sich vor, wir müssten alle Arbeitsplätze in Deutschland einer Beschreibung unterziehen und
feststellen, ob sie voneinander abweichen oder identisch
sind . Das wäre ebenfalls eine Konsequenz, wenn wir die
Dauer an den Arbeitsplatz binden würden - eine Übung,
die wir sicher besser vermeiden sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das tun wir mit diesem Gesetz
auch .
({7})
Ein weiterer zentraler Punkt: Leiharbeiter dürfen nicht
mehr als Streikbrecher eingesetzt werden .
({8})
Bisher gab es schon tarifliche Verbote, sogar eine gesetzliche Regelung . Leider gibt es haufenweise Beispiele,
wo das umgangen wurde . Ich will nur ein Beispiel nennen - es sind konkrete Fälle, die uns vorgetragen worden
sind -: Einer Kassiererin, die über eine Leiharbeitsfirma
an der Kasse saß, wurde gesagt: Wenn die Kollegin neben dir aufsteht und in den Streik tritt, dann gehst du ins
Personalbüro . Da liegt ein Vertrag . Bei Streik darfst du
eigentlich nicht arbeiten; aber wir stellen dich für die
Präsident Dr. Norbert Lammert
Zeit in der Tochterfirma an, für die das Verbot nicht gilt.
Du unterschreibst, und dann setzt du dich wieder an die
Kasse! - Damit ist Schluss . Dieses Gesetz macht das unmöglich .
({9})
Zur Augenhöhe gehört übrigens auch, dass Leiharbeitnehmer nicht einfach herausgerechnet werden, wenn
es um die Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz
oder bei der Mitbestimmung geht . Künftig zählen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im Einsatzbetrieb bei diesen Schwellenwerten mit . Auch das ist ein Stück Gleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({10})
Wichtig ist: Wir schaffen Transparenz bei Leiharbeit
und Werkverträgen . Wir holen damit zum ersten Mal
Werkverträge aus der Grauzone heraus, allem voran, indem wir die sogenannte Vorratsverleiherlaubnis abschaffen .
({11})
Sie wirkt bisher als Sicherheitsnetz für Ver- und Entleiher, die sich am Rande der Legalität bewegen . Zeigt sich
bei einer Kontrolle, dass der vermeintliche Werkvertrag
gar kein wirklicher Werkvertrag ist, besteht bisher die erstaunliche Möglichkeit, diesen nachträglich in ein Leiharbeitsverhältnis umzuetikettieren . Neues Etikett, alles
legal - diese Möglichkeit wird beerdigt .
({12})
Leiharbeit muss zukünftig auch als solche benannt sein,
und zwar vorab, klar und ausdrücklich . Das ist ein Kernstück des Gesetzes und nicht zufälligerweise in § 1 des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geregelt . Damit ziehen wir den Deckmantel herunter und holen als Werkvertrag getarnte Leiharbeit ans Tageslicht . Man muss das
ausdrücklich benennen . Wenn das nicht passiert, kommt
ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber des Werkvertrages zustande . Genau das will er vermeiden . Darum ist
das eine harte, aber auch richtige Sanktion an der richtigen Stelle .
({13})
Mit mehr Transparenz stärken wir aber auch die Verhandlungsposition der Betriebsräte . Sie haben künftig
das Recht - es ist eine Informationspflicht, die wir jetzt
festlegen -, zu wissen, wer auf dem Betriebsgelände eingesetzt wird und - das ist vielleicht noch wichtiger - auf
welcher vertraglichen Grundlage . Jetzt gibt es ein Recht
auf Information .
({14})
Sicher, ich hätte mir eine weiter gehende Mitbestimmungsregelung gewünscht . Das war in dieser Koalition
nicht möglich . Aber auch das, was wir hier verabredet
haben, wird die Bedingungen für Fremdpersonal und
auch das, was die Betriebsräte für Leiharbeiter tun können, wesentlich verbessern . Es ist überhaupt erst einmal
eine vernünftige Verhandlung über diese Frage auf der
Basis von Informationen möglich .
({15})
Deutschland bleibt nur zusammen stark . Die Wertschätzung der Arbeit und das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Beschäftigten sind für mich wesentliche
Grundlagen dafür, dass wir auch morgen wirtschaftlich,
gesellschaftlich und sozial erfolgreich bleiben . Deshalb
sind es auch diese beiden wesentlichen Prinzipien, die
diesem Gesetz zugrunde liegen . Ich freue mich auf die
parlamentarischen Beratungen .
Vielen Dank .
({16})
Das Wort hat nun die Kollegin Sahra Wagenknecht für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Nahles! Leiharbeit ist demütigend . Leiharbeiter
sind Beschäftigte zweiter Klasse, in der Regel mit weniger Rechten, deutlich weniger Geld und oft genug ungeschützt Schikanen ausgesetzt . Leiharbeit bedeutet ständige Lebensunsicherheit; denn Leiharbeiter sind immer die
Ersten, die entlassen werden, und das Versprechen von
der Brücke in den Arbeitsmarkt ist längst von der Realität
widerlegt .
({0})
Leiharbeit macht auch arm . Zwei Drittel aller Leiharbeiter arbeiten zu Niedriglöhnen . Viele sind Aufstocker .
Im Schnitt liegt der Lohn vollzeitbeschäftigter Leiharbeiter bei 1 747 Euro pro Monat . Ich glaube, es können
sich einige nicht vorstellen, wie man davon leben kann
und dass man deswegen später im Alter arm sein wird .
Leiharbeit wird natürlich auch eingesetzt, um Stammbelegschaften zu disziplinieren, als Drohung, um Lohnforderungen niedrig und Arbeitnehmer gefügig zu halten .
Zu Recht empfinden viele Betroffene Leiharbeit als moderne Sklaverei . Deshalb bleibt die Linke dabei: Solche
Lohndrückerinstrumente haben in diesem Land nichts zu
suchen . Das gehört verboten, und zwar längst .
({1})
Tatsächlich war das früher auch einmal verboten .
Noch in den 60er-Jahren gab es in Deutschland überhaupt keine Leiharbeit . Später war sie nur unter ganz
strengen Einschränkungen erlaubt . Aber die Möglichkeit,
in Größenordnungen reguläre Jobs durch mies bezahlte
Leiharbeitsverhältnisse zu ersetzen, um dann die Aktionäre mit höheren Dividenden verwöhnen zu können, war
über viele Jahrzehnte gesetzlich ausgeschlossen .
Frau Nahles, man muss natürlich auch sagen: Dass
sich das geändert hat, liegt nicht daran, dass die Unternehmen vergessen haben, wofür Leiharbeit einmal
da war, sondern daran, dass die gesetzliche Grundlage
verändert wurde, nämlich 2002 unter Rot-Grün . Damals
wurden die Schleusen geöffnet . Seither boomt die Branche . Fast 1 Million Menschen arbeiten heute in diesen
Lohndumpingjobs . Jede dritte offene Stelle im angeblichen Jobwunderland Deutschland ist eine Stelle in der
Leiharbeit . Deswegen muss dieser rote Teppich für Renditejäger endlich wieder eingerollt werden .
({2})
Wir werden das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit und der gleichen Arbeitsbedingungen für
Leiharbeitsbeschäftigte und Stammbelegschaften
gesetzlich durchsetzen .
Das hat die SPD 2013 ihren Wählerinnen und Wählern
versprochen .
Nun, auf die Einlösung dieses Versprechens haben die
1 Million Leiharbeiter umsonst gehofft. Ich finde, dass
das, was Sie, Frau Nahles, hier vorlegen, wirklich eine
Verhöhnung der Betroffenen ist . Wenn ich höre, was
Sie gerade hier erzählt haben, gerade im ersten Teil Ihrer Rede, kann ich dem zwar zustimmen, aber ich frage
mich: Haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf überhaupt
nicht gelesen,
({3})
oder sind Sie inzwischen so routiniert darin, den Leuten
wider besseres Wissen Unsinn zu erzählen, dass Ihnen
das gar nichts mehr ausmacht?
({4})
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - ja, richtig . Nach
9 Monaten sollen Leiharbeiter in Zukunft den gleichen
Lohn bekommen, mit entsprechendem Tarifvertrag sogar
erst nach 15 Monaten . Dumm nur, dass die Hälfte aller
Leiharbeiter maximal 3 Monate im Unternehmen ist, und
bei zwei Dritteln endet das Leiharbeitsverhältnis nach
6 Monaten . Das heißt, diese Menschen haben überhaupt
nichts von diesem neuen Gesetz .
Es ist richtig: Länger als 18 Monate darf ein Betrieb
in Zukunft einen Leiharbeiter nicht mehr auf derselben
Stelle beschäftigen . Aber danach muss der Arbeitsplatz
nicht etwa mit einem regulär Beschäftigten besetzt werden . Nein, der Betrieb muss sich einfach nur einen neuen Leiharbeiter suchen . Und nach 3 Monaten Karenzzeit
kann er den alten Leiharbeiter - natürlich wieder zum
halben Lohn; denn die Rechnung mit 9 Monaten fängt
ja wieder von vorne an - sogar wieder auf derselben
Stelle einsetzen . Das alles geschieht ganz legal und mit
dem Segen von Frau Nahles . Im Klartext: Unternehmen
können in Zukunft unbegrenzt Leiharbeitskräfte beschäftigen . Sie müssen sie nur spätestens nach 18 Monaten
austauschen. Ich finde, das ist das Gegenteil von gleicher
Bezahlung, von gleichem Lohn und Gleichbehandlung .
Und darauf sind Sie auch noch stolz. Ich finde das unglaublich .
({5})
Es geht ja nicht nur um Leiharbeit .
Wir wollen klarer fassen, was ein echter und was
ein Schein-Werkvertrag ist, und die Sanktionen bei
Missbrauch verschärfen .
Auch das hat die SPD 2013 ihren Wählern versprochen . Auch die Einlösung dieses Versprechens bleibt sie
schuldig . Frau Nahles, in Ihrem ersten Gesetzentwurf
vom November letzten Jahres hatten Sie immerhin noch
ein paar Kriterien für Scheinwerkverträge definiert. Es
war aber wenig überraschend, dass die Arbeitgeber dagegen Sturm liefen, speziell die der Elektro- und der
Metallbranche, die ja besonders gerne solche Werkverträge einsetzen . Sie liefen nicht nur Sturm, sie öffneten
vor allem ihre Schatullen . Am 11 . Dezember letzten Jahres erhielt die CDU eine Großspende von 150 000 Euro
vom Arbeitgeberverband Südwestmetall . Am gleichen
Tag flossen vom gleichen Absender 60 000 Euro an die
SPD, und eine Woche später wurde die CSU vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie mit
einer Spende von 358 000 Euro bedacht . Das Geld war
offenbar gut investiert;
({6})
denn Anfang 2016 - das ist natürlich nur eine zufällige zeitliche Abfolge - wurden sämtliche Kriterien, anhand derer man Scheinwerkverträge identifizieren und
entsprechend verbieten könnte, aus dem Gesetzentwurf
gestrichen . Ohne Kriterien für Scheinwerkverträge gibt
es natürlich auch keine Sanktionen für Unternehmen, die
illegale Arbeitnehmerüberlassung betreiben .
Es geht sogar noch weiter: Das neue Gesetz schafft
zusätzlich ein Extraschlupfloch für kriminelle Unternehmen, welches ihnen in Zukunft das Risiko erspart, sich
strafbar zu machen und Sozialversicherungsbeiträge
nachzahlen zu müssen . Die Unternehmen brauchen lediglich eine - selbstverständlich ganz und gar freiwillige - Unterschrift der Beschäftigten, dass sie auf jeden
Widerspruch verzichten, weil sie keine Festanstellung
anstreben würden . Das ist in etwa so, als würden Sie einem Vermieter erlauben, sich aus den Bestimmungen des
Mietrechts zu verabschieden, wenn er dafür die Unterschrift eines potenziellen Mieters beibringt . So kann man
letztlich den gesamten Rechtsstaat entsorgen . Es kann
doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie so etwas vorlegen . Der
Missbrauch von Werkverträgen wird so nicht erschwert
oder gar verhindert . Den Missbrauchtreibenden wird ein
Freibrief ausgestellt. Ich finde, das ist wirklich ein Skandal .
({7})
Es ist schlimm genug, dass die CDU das mitträgt . Aber
dass die Sozialdemokratie so etwas mitträgt! Das können
Sie doch nicht ernsthaft Ihren Wählerinnen und Wählern
zumuten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sagen
Sie jetzt nicht, Sie hätten ja Besseres gewollt, aber mit
der Union sei das leider nicht möglich gewesen . Das mag
ja sogar so sein . Aber die Fesseln der Großen Koalition haben Sie sich doch freiwillig angelegt . Noch gäbe
es im Bundestag andere Mehrheiten . Wenn Sie aber weiDr. Sahra Wagenknecht
terhin mit solchen Gesetzen oder mit dem Abfeiern von
Konzernschutzabkommen wie CETA Ihre Wählerinnen
und Wähler vergraulen, dann ist es in diesem Bundestag
damit eben irgendwann vorbei. Ich finde das unverantwortlich .
({8})
Sie lassen doch mit solch einer Politik zu, dass sich immer mehr Menschen abwenden, dass sie enttäuscht sind .
Von einem Teil der Enttäuschten wissen wir inzwischen,
wen sie wählen .
({9})
Wir sind jedenfalls überzeugt: Dieses Land braucht
nicht noch mehr Lohndumping, Verunsicherung und
Zukunftsangst . Wir brauchen endlich eine Wiederherstellung des Sozialstaates . Wir brauchen unbefristete,
gut bezahlte, reguläre Arbeitsplätze, und wir brauchen
Gesetze, die die Beschäftigten vor der rücksichtslosen
Renditejagd bestimmter - vor allem großer - Unternehmen, die das überhaupt nicht nötig hätten, schützen . Dafür steht die Linke . Deshalb lehnen wir den vorliegenden
Gesetzentwurf ab .
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Karl
Schiewerling das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik
ist es, möglichst viele Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen, und dies natürlich
unter guten, fairen, ordentlichen Bedingungen . Das, liebe
Frau Wagenknecht, was Sie gerade vorgeführt haben,
({0})
ist Ihre abgeschlossene Welt, die Sie sich so bunt malen,
wie Sie sie brauchen, um dieses System, die freiheitliche Ordnung, die wir haben, zu bekämpfen . Ihre Angriffe
zielen möglichst auf die SPD . Gut, da könnte ich mich
locker zurücklehnen . Aber ich sage Ihnen sehr deutlich:
Das, was Sie da veranstaltet haben, war unterirdisch und
hat mit der Realität nichts zu tun .
({1})
Warum hat das mit der Realität nichts zu tun?
({2})
Die Realität sieht wie folgt aus: Wir haben über 43 Millionen Erwerbstätige, fast 32 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir haben über 21,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte, und wir haben eine positive
Wirtschaftsentwicklung . In vielen Regionen beklagen
wir einen branchenspezifischen Fachkräftemangel. Wir
haben 685 000 offene Stellen, und wir haben 172 000 offene Ausbildungsstellen . Das ist die Situation, in der wir
uns befinden.
Grundlage für eine positive Entwicklung ist eine stabile, gute wirtschaftliche Entwicklung . Voraussetzung
dafür ist nun einmal Flexibilität . Der Gesetzentwurf,
den wir heute in erster Lesung beraten, ist eine Antwort
darauf, dass wir auf der einen Seite Flexibilität, auf der
anderen Seite aber auch Sicherheit für die Beschäftigten
benötigen . Beides ist für uns in einer Zeit, in der wir offensiv Arbeit 4 .0 diskutieren, eine große Herausforderung . Offensichtlich sind Sie, Frau Wagenknecht, und die
Linke geistig immer noch in einem Industriezeitalter verhaftet, in dem es um tarifpolitischen Gleichmarsch geht,
während die IG Metall und andere längst weiter sind als
Sie .
({3})
Meine Damen und Herren, in dieser Diskussion spielt
die Frage der Zeitarbeit eine zentrale Rolle . Es ist völlig richtig: Bis 2002 waren Zeitarbeit und Leiharbeit ein
arbeitsmarktpolitisches Instrument, angesiedelt bei dem
damaligen Arbeitsamt . Es hatte dafür zu sorgen, dass
Leute, wenn sie gebraucht wurden, zeitweise überlassen
wurden . Aber sie wurden eben nur zeitweise überlassen .
Sie gingen dann wieder zurück in die Arbeitslosigkeit,
und der Sprung in Beschäftigung ist keineswegs immer
geglückt .
Seit 2002 gibt es eine Branche, in der mittlerweile circa 970 000 Menschen tätig sind . Das sind gerade einmal
2,6 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland . 90 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche sind
in Vollzeit tätig. Sie sind sozialversicherungspflichtig
beschäftigt . 81,2 Prozent haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag . 98 Prozent aller Zeit- und Leiharbeitnehmer
unterliegen einem Tarifvertrag, und viele von ihnen, etwa
40 Prozent, arbeiten in Betrieben, die ebenfalls einem Tarifvertrag unterliegen, und zwar in der Metall- und Elektroindustrie .
Wenn Sie als Beispiel die bayerische Metall- und
Elektroindustrie bringen, dann haben Sie genau die Falschen erwischt . Dort gibt es nämlich Tarifverträge . Dort
braucht man solche flexiblen Regelungen und keine Instrumente, um möglichst billige Arbeitskräfte anzuwerben . Ich sage Ihnen: Ihr Beispiel zieht in dieser Frage
nicht .
({4})
- Es ist in Deutschland nicht verboten, Spenden zu bekommen, Herr Kollege Ernst . Nur, wenn dies in einen
unsachlichen Zusammenhang gebracht wird, der offensichtlich so konstruiert ist, dass Sie Ihr Weltbild bestätigt
bekommen, dann müssen Sie sich schon fragen lassen,
ob Sie auf einem anderen Stern leben .
({5})
Meine Damen und Herren, Zeitarbeit ist dafür da,
Auftragsspitzen abzufangen, und nicht, um Stammbelegschaft zu ersetzen . Dem stimmen wir ausdrücklich zu .
Aber Zeitarbeit und Leiharbeit sind ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument . 70 Prozent - ich bitte, diese Zahl
einmal zur Kenntnis zu nehmen - der Zeitarbeitnehmer
kommen aus Arbeitslosigkeit, und 29 Prozent der Zeitarbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss . Wie jüngst
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt hat, sind es gerade Personengruppen, die sich auf
dem Arbeitsmarkt schwertun - dazu zählen auch viele
ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger -, die über
Zeitarbeit wieder in Beschäftigung kommen . Deswegen
wäre es falsch, das Kind mit dem Bade auszuschütten .
Wenn wir Ihren Anregungen folgen würden, dann würden wir diesen Menschen, die zu den Schwächeren gehören, nicht helfen, wirklich in Arbeit und in Beschäftigung
zu kommen .
({6})
Natürlich gibt es, wie in vielen anderen Bereichen
auch, Verwerfungen . Diese Verwerfungen hat die Union 2010 mit der damaligen Schlecker-Drehtürklausel
als Erstes in Ordnung gebracht . Wir haben 2005 angefangen, den Bereich der sich damals zugegebenermaßen
noch entwickelnden Zeitarbeit und Leiharbeit zu regulieren . Das Gesetz, das wir heute vorlegen, ist ein weiterer
Schritt auf diesem Weg . Insofern brauchen wir von niemandem in der Frage Nachhilfe, was faire Bedingungen
am Arbeitsmarkt sind .
({7})
Dies gilt nicht nur für den Bereich der Zeitarbeit, sondern auch für den Bereich der Werkverträge . Wir haben
uns darauf verständigt, die Dinge weiterzuentwickeln
und nach vorne zu bringen . Natürlich ist es auch Aufgabe
der Verbände, aus dieser Branche eine anerkannte Branche zu machen . Wir wissen, dass die Zeitarbeitsbranche
sich vom Ansehen her sehr schwertut . Ich glaube, dass
es auch Aufgabe der Branche ist, weiterhin von sich aus
im Rahmen von Tarifverträgen, im Rahmen der 98-prozentigen tarifvertraglichen Bindung für eine positive
Weiterentwicklung zu sorgen, in den Bereichen Bildung
und Qualifizierung zu investieren, selbst ein Zeichen zu
setzen, dass man es mit den Arbeitnehmern, die man in
seiner Branche beschäftigt hat, ernst meint und alles tut,
um sie unterzubringen .
({8})
Meine Damen und Herren, ich sage an dieser Stelle
sehr deutlich: Wir haben im Bereich der Zeitarbeit - das
haben wir im Rahmen der Vorbereitung dieses Gesetzgebungsprozesses gelernt - höchst unterschiedliche Situationen . Wir haben die Situation, dass viele Tausend
Beschäftigte nicht aus der Zeitarbeit heraus wollen, weil
sie deutlich mehr verdienen als im jeweiligen Entleihbetrieb . Es sind Spezialisten, die keinen Schutz brauchen,
bei denen wir aber achtgeben müssen, dass wir ihnen die
Arbeit nicht zusätzlich erschweren .
({9})
Wir haben im Bereich der Zeitarbeit zum Beispiel auch
eine Situation, die ich von vielen sozialen Einrichtungen
kenne . Sie bemühen sich darum, Menschen mit schweren
Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, und sie tun alles dafür, dass sie sozusagen in Außenwerkstätten tätig sind . Wenn wir denen dieses Instrument
nehmen, dann nehmen wir den Menschen mit Behinderungen auch Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig
zu werden . Wir wollen ihnen dorthin eine Brücke bauen .
({10})
Ich glaube, dass es notwendig ist, uns das, was wir auf
den Weg bringen, in seiner Wirkung und seiner Entwicklung genau anzusehen und es dann auch entsprechend zu
evaluieren .
Zum Thema Werkverträge . Werkverträge sind ein
über hundert Jahre altes Instrument . Kein Fenster wäre
im Deutschen Bundestag eingebaut worden ohne einen
Werkvertrag . Werkvertrag ist ein grundsätzliches Instrument . Dort, wo allerdings - die Bundesarbeitsministerin
hat das vorhin treffend dargestellt - Werkverträge und
Zeitarbeit miteinander kombiniert werden und im Sinne
eines Spurwechsels der jeweiligen Situation so angepasst
werden, dass nicht klar ist, in welchem System man sich
gerade befindet, brauchen wir Klarheit. - Unklarheit
wollen wir verhindern . Das ist missbräuchliche Gestaltung . - Auch dem dient dieses Gesetz . Das hat nicht nur
eine ganze Menge mit fairem Wettbewerb am Arbeitsmarkt, sondern auch mit einem fairen Wettbewerb zwischen den Betrieben zu tun . Das Gesetz, das wir hier auf
den Weg bringen und das wir jetzt im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens diskutieren, dient auch dazu,
Gerechtigkeit zwischen den Betrieben, die sich anständig
verhalten, und denjenigen, die glauben, sie müssten jede
Möglichkeit zum Missbrauch nutzen, um ja möglichst
viel zu verdienen, herzustellen und diesen Wettbewerb in
eine vernünftige Ordnung zu bringen .
({11})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Beate MüllerGemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zu Leiharbeit und
Werkverträgen wurde lautstark angekündigt . Dann haben
wir lange auf den Referentenentwurf warten müssen .
Kaum war er da, wurde er schon wieder zurückgezogen .
Es wurde gestritten, neu verhandelt . Der Gesetzentwurf
wurde zu einer unendlichen Geschichte . Jetzt liegt der
Gesetzentwurf tatsächlich auf dem Tisch . Das müsste eigentlich eine gute Nachricht sein, aber nein, es ist keine
gute Nachricht . Der Gesetzentwurf ist nichts anderes als
eine Mogelpackung; denn er wird seiner eigenen Zielsetzung in keiner Weise gerecht .
({0})
Wir haben allein bei der Leiharbeit vier wesentliche
Kritikpunkte .
Erstens . Mit dem Gesetzentwurf sollen die Leiharbeitskräfte gestärkt werden, und auch ihre Arbeitsbedingungen sollen verbessert werden . Das ist bitternötig;
denn die Leiharbeitskräfte verdienen weniger als das
Stammpersonal . Erreichen möchte das Ministerin Nahles
mit Equal Pay . Das hört sich gut an, doch gleichen Lohn
für gleiche Arbeit gibt es mit diesem Gesetzentwurf frühestens erst nach 9 Monaten und bei besonderen Tarifverträgen sogar erst nach 15 Monaten . Was hat das mit
der Realität zu tun? Wir alle wissen doch, dass drei Viertel der Leiharbeitsverhältnisse nicht länger als 9 Monate dauern . Danach sind die Menschen entweder wieder
arbeitslos oder sie sind in einer neuen Zeitberechnung
bei einem anderen Entleihbetrieb . Dennoch reden Sie
von guter Arbeit und einem fairen Lohn . Das ist wirklich
dreist; denn von Equal Pay wird kaum jemand profitieren .
({1})
Zweitens . Frau Ministerin, Sie versprechen auch, dass
die Betriebe zukünftig nur zeitlich begrenzt, also nur vorübergehend, bei Auftragsspitzen Leiharbeit einsetzen
können . Deswegen wird die Höchstüberlassungsdauer
eingeführt . Diese gilt aber nur für Leiharbeitskräfte . Sie
dürfen nur noch 18 Monate vorübergehend in ein und
demselben Betrieb eingesetzt werden . Die Betriebe können aber munter immer wieder neue wechselnde Leiharbeitskräfte auf dem gleichen Arbeitsplatz einsetzen . Das
führt natürlich zu neuen Drehtüreffekten . Das führt auch
zu einem Personalkarussell, das sich dauerhaft drehen
kann . Damit verkehrt sich die Zielsetzung in ihr Gegenteil .
({2})
Das ist eindeutig eine Verschlechterung . Das ist Etikettenschwindel . Aus „vorübergehend“ wird für die Betriebe „dauerhaft“ . So wird der Missbrauch in der Leiharbeit
nicht verhindert, sondern gesetzlich legitimiert, und das
geht gar nicht .
({3})
Drittens . Die Höchstüberlassungsdauer kann durch einen Tarifvertrag der Einsatzbranchen verlängert werden,
also unterschiedlich lang . Es gibt auch noch Betriebsvereinbarungen, danach sind maximal 24 Monate möglich . Der öffentliche Dienst und kirchliche Einrichtungen können zudem eigene Regelungen vereinbaren . Wer
blickt da eigentlich zukünftig noch durch? Wie kann das
alles überprüft werden? Wer macht das eigentlich? Wie
kommen die Leiharbeitskräfte zu ihrem Recht? Im Mittelpunkt stehen hier allein die Interessen der Wirtschaft .
Das ist einfach nicht fair .
({4})
Viertens . Mit dem Gesetz sollen die Tarifverträge und
die Sozialpartnerschaft gestärkt werden . Gleichzeitig erlaubt das Gesetz, dass auch nichttariflich gebundene Betriebe durch Bezugnahme von der Höchstüberlassungsdauer und von Equal Pay abweichen können und so von
den Tarifverträgen profitieren. Wie passt das zusammen?
Mit der Bezugnahme befördern Sie doch glatt das Gegenteil . In diesem Gesetzentwurf laufen die Ziele und
die Regelungen so dermaßen auseinander, dass es nicht
nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel ist .
({5})
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wir Grüne wollen
im Gegensatz zu Ihnen den Missbrauch in der Leiharbeit
tatsächlich verhindern und haben dazu eine einfache und
zugleich effektive Lösung . Flexibilität hat ihren Preis .
Leiharbeit muss sich für die Unternehmen, aber auch
für die Leiharbeitskräfte auszahlen . Deshalb fordern wir
Equal Pay ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus
von 10 Prozent . Über den Preis macht Leiharbeit dann
betriebswirtschaftlich auch nur vorübergehend Sinn, und
zwar ganz ohne bürokratische Höchstüberlassungsdauer .
So entsteht eine faire Balance zwischen den Interessen
der Wirtschaft und den Interessen der Leiharbeitskräfte .
Diese Regelungen sind eindeutig, zielführend und vor allem gerecht .
({6})
Zum Thema Werkverträge und zum neuen § 611a
BGB brauche ich eigentlich gar nicht viel zu sagen . Es
gibt keine Kriterien mehr, und auch die Beweislastumkehr wurde rausverhandelt . Bei der Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Arbeit wird sich
nicht viel verändern . Notwendig wären klare, an eine
moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die gezielt
Scheinselbstständigkeit verhindern, aber die echten
Selbstständigen in ihrer Tätigkeit nicht behindern . Diese
Chance wurde einfach verpasst .
({7})
Ganz wichtig: Mit dem Gesetz sollen auch die zweifelhaften Werkvertragskonstruktionen und somit illegale
Arbeitnehmerüberlassung verhindert werden . Dabei geht
es insbesondere um den Rettungsschirm mit der Verleiherlaubnis, der Unternehmen bei Scheinwerkverträgen vor
Rechtsfolgen schützt . Hier wird es richtig abenteuerlich
und auch dreist: Der Rettungsschirm wird abgeschafft das ist gut -; aber durch die Hintertür wird mit der Verzichtserklärung gleich wieder ein neuer Rettungsschirm
eingeführt. Fremdfirmen halten ihren Beschäftigten zukünftig routinemäßig eine Verzichtserklärung unter die
Nase . Ist diese Erklärung unterschrieben, verlieren die
Werkvertragskräfte all ihre rechtlichen Ansprüche; denn
sie können ja nicht mehr gegen illegale Leiharbeit klagen .
Die Unternehmen sind aber wieder fein raus . Auch hier
gilt: Was als Reformvorhaben daherkommt, ist in Wirklichkeit die Legitimation des Missbrauchs von Werkverträgen . Das ist nichts anderes als Etikettenschwindel, und
das kritisieren wir scharf .
({8})
Wir Grünen fordern in unserem Antrag eindeutige
Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen, und zwar im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz .
Wir wollen den Rettungsschirm tatsächlich abschaffen .
Wir fordern auch mehr Mitbestimmung, konkret ein Zustimmungsverweigerungsrecht für die Betriebsräte . Wir
wollen auch ein Verbandsklagerecht . Das sind wirkungsvolle Maßnahmen, um den Missbrauch bei Werkverträgen tatsächlich zu verhindern .
Mein Fazit ist also: Das Gesetz verspricht viel, aber
Anspruch und Wirklichkeit gehen weit auseinander . Ich
sage es noch einmal: Der Missbrauch von Leiharbeit und
Werkverträgen wird nicht verhindert, sondern gesetzlich
legitimiert . Das vorliegende Gesetz ist eine Mogelpackung . Gehen Sie zurück auf Start, und sorgen Sie endlich für mehr Gerechtigkeit!
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Markus
Paschke von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich etwas zum Gesetz sage, muss ich etwas zu Ihrer
Rede sagen, Frau Wagenknecht .
({0})
Ich fand, die war unterirdisch .
({1})
Das war ein Populismuswettbewerb mit der anderen Seite, die hier nichts zu suchen hat . Ich muss ehrlich sagen:
So stellt die Linke auch keine Alternative dar . Es ist weit
entfernt von der Realität .
({2})
Herr Kollege Paschke, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst zu, bevor Sie eigentlich angefangen
haben?
Liebend gerne lasse ich die Zwischenfrage zu .
Gut .
({0})
Kollege Paschke, danke, dass Sie die Frage zulassen .
Sie haben jetzt gesagt, die Rede wäre unterirdisch und
populistisch gewesen .
({0})
Sie kommen ja aus der Gewerkschaft, wenn ich es richtig
sehe .
({1})
Genau .
Dann können Sie ja mal erklären, was populistisch daran ist, wenn man feststellt, dass so getan wird, als ob das
Gesetz für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit sorgt, obwohl es den beschäftigten Leiharbeiternehmerinnen und
Leiharbeitnehmern den gleichen Lohn letztlich erst nach
neun Monaten zugesteht und man weiß, dass drei Viertel
vorher ausscheiden . Es ist doch populistisch, wenn man
sagt, das Gesetz wirke, obwohl es in der Realität überhaupt nicht wirkt, Herr Paschke .
({0})
Jetzt möchte ich eine zweite Antwort von Ihnen . Es
ist von der sozialdemokratischen Ministerin gesagt worden, dass die Gewerkschaften durch ein Gesetz gestärkt
werden . Jetzt kommen wir beide aus der Gewerkschaft .
Ich habe Tarifverträge immer so verstanden: Sie sollen
letztendlich dazu beitragen, dass ein Rechtszustand für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert
wird . Aber mit den Regelungen, die Sie in dieses Gesetz
gießen, sorgen Sie dafür, dass der Grundsatz „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ ab neun Monaten nach unten
korrigiert werden kann . Das heißt, mit Tarifvertrag gibt
es weniger als ohne Tarifvertrag . Glauben Sie, dass das
ein Anreiz für mehr Tarifautonomie ist? Ich sage Ihnen:
Ihr Vorschlag ist Populismus; denn Sie sagen zwar, dass
Sie die Gewerkschaften stärken wollen, aber letztendlich
entwerten Sie Tarifverträge .
({1})
Kollege Ernst, ich versuche einmal, die Fragen zusammenzufassen . Klar ist: Es gibt Probleme . Aber es
wird schwierig, wenn man einen sehr eingeschränkten
Blickwinkel auf bestimmte Probleme hat . Wir haben
gesagt: Wir werden mit dem Gesetz den Missbrauch bei
Leiharbeit und Werkverträgen bekämpfen, und genau das
tun wir auch . Darauf werde ich gleich genauer eingehen .
({0})
Ich komme aus der Gewerkschaftsbewegung . Deswegen weiß ich, dass das Bild ein bisschen bunter ist,
als Sie es hier darstellen, und dass die Kolleginnen und
Kollegen, die als Leiharbeiter beschäftigt sind, von uns
erwarten, dass wir sie schützen,
({1})
dass wir sie aber nicht schlachten und ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen, wie das bei Ihrem Vorschlag der Fall
wäre .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen bessere Regelungen bei der Leiharbeit und bei Werkverträgen, und wir wollen den Missbrauch beenden, und dazu
ist der vorliegende Gesetzentwurf ein guter Schritt . Der
Gesetzentwurf enthält - das ist mir sehr wichtig - das
klare Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen .
An diesem Punkt wird die Tarifautonomie gestärkt . Tarifautonomie heißt nämlich, dass beide Partner annähernd
gleiche Durchsetzungschancen haben . Dann kommen
gute Tarifverträge heraus, und das nützt den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern .
({3})
Bisher ist die gesetzliche Regelung so, dass den Leiharbeitern die Entscheidung überlassen bleibt, ob sie die
Arbeitsaufnahme verweigern . Damit wurde die Entscheidung für oder gegen einen Streik auf die schwächsten
Schultern gepackt, nämlich auf die Schultern der Leiharbeitnehmer . Das wird zukünftig anders sein . Wir haben
uns für ein klares Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher
einzusetzen, entschieden . Damit haben wir für einen großen Bereich des Missbrauchs, so wie das bei der Post, bei
KiK, bei Amazon und bei vielen anderen der Fall war, die
Tore geschlossen .
({4})
Ein zweiter Punkt, der ganz wichtig ist . Jetzt heißt es
entweder - oder: entweder Werkverträge oder Leiharbeit .
Das ist nämlich auch - das ignorieren Sie hier völlig einer der Bereiche, in denen am häufigsten Missbrauch
betrieben wurde .
({5})
Auch dieser Bereich ist zukünftig dicht . Man muss sich
entscheiden, was man macht, und wenn man sich entschieden hat, dann muss man mit den Konsequenzen leben .
({6})
Ein weiterer Punkt, der damit zusammenhängt, ist, dass
Missbrauch sehr viel stärker bestraft werden wird . Es sind
wesentlich höhere Bußgelder vorgesehen . Das schärfste
Schwert, das wir einführen, ist, dass ein Arbeitsverhältnis
mit dem Auftraggeber oder Entleiher zustande kommt .
Das sind wichtige und gute Regelungen im vorliegenden
Gesetzentwurf .
({7})
Als Gewerkschafter finde ich, dass es ganz entscheidend ist, dass wir die Informationsrechte des Betriebsrats
stärken .
({8})
Das ist ein wesentlicher Punkt, um nachzuvollziehen:
Läuft es richtig oder nicht? Um das beurteilen zu können,
muss ich wissen, was im Betrieb läuft . Diese Möglichkeit
geben wir jetzt den Betriebsräten .
({9})
Mein Wunsch für die weiteren Verhandlungen ist, dass
wir die Fähigkeit, die Informationspflichten durchzusetzen, deutlich schärfen .
({10})
Der vorliegende Gesetzentwurf hat das Ziel, den
Missbrauch in der Leiharbeit zu bekämpfen . Das haben
wir von vornherein gesagt, und das wird - das kann man,
glaube ich, guten Gewissens so sagen - auch eingehalten . Wesentliche Bereiche, in denen mit Leiharbeit und
Werkverträgen Missbrauch betrieben wird, werden dichtgemacht .
({11})
Natürlich ist das alles ein Kompromiss . Jeder Kompromiss hat zur Folge, dass man noch weitere Verbesserungswünsche hat . Ich halte es zum Beispiel für wichtig,
dass man noch einmal darüber nachdenkt, ab wann die
Frist für die Equal-Pay-Regelung laufen soll. Ich finde es
nicht gerecht, wenn sie erst am 1 . Januar 2017 beginnt .
Die Menschen, die in diesem Bereich bereits arbeiten,
verstehen nicht, warum sie weitere neun Monate ohne
Anspruch auf Equal Pay arbeiten sollen . Da haben wir
noch eine Gerechtigkeitslücke, die wir im laufenden Verfahren schließen müssen . Auch über ein paar andere Sachen werden wir noch reden .
Zusammenfassend kann man aber, glaube ich, sagen:
Das ist ein guter Schritt auf dem Weg zum Ziel . Das Ziel
ist noch nicht erreicht - das hat auch keiner von uns behauptet -,
({12})
es ist ein guter Gesetzentwurf .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Ich komme zum Schluss . - Wenn wir Flexibilität auf
dem Arbeitsmarkt haben wollen, muss das einhergehen
mit gutem Lohn und Sicherheit für die Arbeitnehmer .
Das ist das, was wir Sozialdemokraten wollen . Dieses
Ziel werden wir weiterverfolgen .
({0})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Albert
Stegemann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wagenknecht, Sie haben jetzt schon einiges zu
hören bekommen .
({0})
Ich will mich ein Stück weit bei Ihnen bedanken; denn
Sie haben uns Einblick in Ihr Weltbild und Ihr Menschenbild gewährt . Wenn es nach Ihnen geht, muss alles
gleich sein .
({1})
Erst wenn wirklich jeder Arbeitslohn gleich ist, jeder
Tarifvertrag gleich ist, dann sind Sie zufrieden . Aber
nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass Sie
damit nicht 43,5 Millionen Menschen in Arbeit bringen . Wir und die Bundesregierung haben Verantwortung
übernommen . Die Bundesregierung macht eine Arbeitsmarktpolitik, die möglichst viele Menschen in Arbeit
bringt .
({2})
Darüber hinaus will ich Ihnen sagen: Ihre Andeutungen zu unseren Parteispendeneinnahmen sind wirklich
unredlich .
({3})
Unsere Parteispenden kommen schließlich nicht aus dem
SED-Vermögen . Von daher sollten Sie sich an der Stelle
wirklich zurückhalten .
({4})
Herr Stegemann, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich werde erst einmal meine Rede vortragen;
aber sie kann später gerne intervenieren .
Heute legen wir den Gesetzentwurf über Änderungen
in der Arbeitnehmerüberlassung vor . Vor beinahe drei
Jahren haben sich die Regierungsparteien in den Koalitionsverhandlungen auf die Eckpunkte geeinigt . Seitdem
wurde intensiv um die Umsetzung gerungen . Die Öffentlichkeit hat dies stets mit reger Beteiligung begleitet . Um
es ehrlich zu sagen: Allein die Zeit zeigt, das war keine
einfache Geburt . Damals wie heute waren und sind die
gesetzlichen Eingriffe nicht unumstritten . Ich möchte
Ihnen aber sagen: Wir haben einen guten Kompromiss
erreicht .
({0})
Das Gesetz wird neue Leitplanken setzen und seinen Teil
dazu beitragen, dass sich Zeitarbeit in positiver Weise
weiterentwickeln kann .
Nach wie vor gibt es Bedenken gegenüber einem Instrument, das sich auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile fest
etabliert hat,
({1})
und das, obwohl die Branche in den vergangenen Jahren
große Schritte unternommen hat, um aus der Schmuddelecke herauszukommen . Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Politik der vorangegangenen Bundesregierung . Sie hat die schwarzen Schafe der Branche schon
einmal in die Schranken gewiesen .
({2})
Über kaum ein anderes Thema in der Arbeitsmarktpolitik wird so ideologisch aufgeladen diskutiert . Dabei
will es so manchem Vertreter nicht gelingen, sein angestammtes Rollenbild hinter sich zu lassen .
({3})
Demnach ist Zeitarbeit per se prekär, der Verleih unmoralisch, und jede noch so kleine Differenz zur Normalbeschäftigung muss herhalten, um angeblich negative
Folgen beweisen zu können . Diese reichen dann von
gesundheitlichen Problemen über die Spaltung ganzer
Belegschaften bis hin zur systematischen Ausbeutung
der Arbeitnehmer . Auch Sie, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Linken, machen in Ihrem vorliegenden
Antrag einmal wieder reichlich Gebrauch von dieser Argumentation .
Dass die vorhandenen Unterschiede mit den Eigenheiten der Branche zu tun haben - geschenkt . So wird
ein Großteil der Leistungen vor allem im Helferbereich
erbracht . Dies spiegelt sich logischerweise auch in der
Bezahlung wider .
Dass sich die Zeitarbeit in den letzten Jahren nicht zu
einem Massenphänomen entwickelt hat - ebenfalls geschenkt .
({4})
Zeitarbeit deckt trotz einer wachsenden Zahl an Beschäftigten weiterhin nur einen Randbereich des Arbeitsmarktes ab . Mehr noch: Der Anteil liegt aufgrund der
allgemein steigenden Beschäftigung sogar bemerkenswert konstant bei unter 3 Prozent . Dass anerkannte Forschungsinstitute wie das Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung so manche These wie die der systematischen Verdrängung der Stammbelegschaft widerlegt haben - auch dies geschenkt .
Es spielt dann anscheinend auch keine Rolle mehr,
dass ein Großteil derjenigen, die in der Zeitarbeit beschäftigt sind, vorher arbeitslos war . Zeitarbeit bietet Perspektiven . Zeitarbeit ist nach wie vor eine Brücke in den
ersten Arbeitsmarkt .
({5})
Deshalb hat die Arbeitnehmerüberlassung ihren Platz
am Arbeitsmarkt; denn sie bietet gleichermaßen Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Diese Vorteile zu
erhalten, waren Geist und zugleich Maßgabe des vorliegenden Entwurfes . Mit dieser Maßgabe haben wir konkrete Eckpunkte im Gesetz diskutiert .
Der erste Punkt, den es zu erörtern galt, war eine zeitliche Begrenzung der Zeitarbeit .
({6})
Laut Gesetz werden Arbeitnehmer vorübergehend überlassen . Festzulegen, was genau „vorübergehend“ bedeutet, war ein Auftrag, den das Bundesarbeitsgericht dem
Gesetzgeber ursprünglich ins Aufgabenheft geschrieben
hat . Dies kann mittlerweile weitaus offener formuliert
werden . Verantwortlich hierfür sind Vorgaben auf europäischer Ebene .
Daher stellt sich die Frage: Wann nützt eine Höchstüberlassungsdauer eigentlich den Arbeitnehmern, und
wann schadet sie diesen? Ist es zum Nutzen des gutbezahlten Projektingenieurs, wenn er nach 18 Monaten von
seinem Projekt abgezogen werden muss? Nützt es dem
Kundenunternehmen, wenn es nach 18 Monaten einen
neuen Mitarbeiter einarbeiten muss? Nein . Trotz so mancher Wunschvorstellungen müssen wir feststellen, dass
es Konstellationen auf dem Arbeitsmarkt gibt, bei denen
sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer eine
flexible Beschäftigung anstreben.
Der Gesetzgeber kann dies nicht verordnen . Somit stehen wir in der Verpflichtung, einen Rahmen vorzugeben,
der den Bedürfnissen dennoch gerecht wird . Im vorliegenden Entwurf ist dies unter reger Beteiligung der Sozialpartner sehr gut gelungen . Es gibt Möglichkeiten zur
Abweichung, um die Anforderungen einer arbeitsteiligen
Wirtschaft zu erfüllen . Etwas Verbesserungsbedarf sehe
ich noch, zum Beispiel die Beteiligung aller Tarifpartner
inklusive der Zeitarbeitsbranche . Aber hierüber werden
wir in den weiteren Beratungen noch einmal sprechen .
Der zweite Punkt bezieht sich auf die Bezahlung, konkret auf Equal Pay . Hier möchte ich zuallererst auf den
rechtlichen Status quo hinweisen . Demnach hat bereits
heute jeder Zeitarbeiter Anspruch auf das Entgelt, das ein
vergleichbarer Arbeitnehmer bekommt, und zwar ab dem
ersten Tag .
({7})
Dies wird auch weiterhin gelten. Mit tariflichen Vereinbarungen können Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam abweichen . Eine solche Regelung speist
sich aus dem Vertrauen des Gesetzgebers, dass die Sozialpartner am ehesten für die Interessen ihrer Mitglieder
eintreten können . Dies hat sich in der Praxis und über die
Geschichte hinweg immer wieder bewahrheitet . In der
Tat haben die Tarifgemeinschaft der Zeitarbeitsverbände und die Gewerkschaften ein umfangreiches Tarifwerk
mit diversen Zuschlagstarifen auf den Weg gebracht . Der
Gesetzgeber respektiert dies . Tarifautonomie ist ein hohes Gut in unserem Land . In dieser Legislaturperiode haben wir dies bereits mit mehreren Gesetzen untermauert .
Das vorliegende Gesetz zieht nun nach neun Monaten
eine zeitliche Grenze ein, bis zu der eine Lohngleichheit
spätestens erreicht werden muss .
({8})
Damit werden diejenigen Branchen zurechtgewiesen, die
sich mit solchen tariflichen Regelungen bisher schwergetan haben . Sicherlich ließe sich über den genauen Zeitpunkt noch einmal streiten . Entscheidend ist aber, dass
die Umsetzung für alle Beteiligten transparent und vor
allem rechtssicher ausgeführt werden kann . Denn bei
allem, was wir mit diesem Gesetzespaket beschließen,
müssen wir eines verhindern: dass wir die anständigen
Unternehmer, die sich vernünftig um ihre Mitarbeiter
kümmern, unter einen Anfangsverdacht des kriminellen
Handelns stellen
({9})
und sie in unklare Situationen versetzen, in denen ihnen
dann vorschnell drakonische Strafen drohen .
({10})
Ein dritter Punkt, auf den ich abschließend hinweisen
möchte, ist die angestrebte Abgrenzung von Zeitarbeit
und Werkverträgen . In der Praxis ist nicht immer auf den
ersten Blick klar erkennbar, inwieweit ein Beschäftigter
in den Betriebsablauf eingebunden ist und Weisungen
empfängt . Für die Unterscheidung, ob es sich um eine
selbstständige Tätigkeit handelt, ist dies aber unabdingbar . Manche Unternehmen haben sich eine Erlaubnis
zur Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat beschafft . Wir
mussten allerdings feststellen, dass dieser doppelte Boden im Einzelfall zu einer erstaunlich hohen Kreativität
führte mit dem Ziel, bestehende Gesetze bis in den Graubereich des Erlaubten auszureizen . Diese Lücke wird nun
geschlossen . Mit dem Verbot der Vorratserlaubnis schieben wir möglichem Missbrauch in Zukunft einen Riegel
vor .
Werkverträge und Zeitarbeit voneinander abzugrenzen, ist nicht mit einer einfachen Checkliste möglich .
Unsere Arbeitswelt ist mittlerweile so vielfältig geworden, dass sich viele Fallgestaltungen nicht anhand einiger
weniger Kriterien abbilden lassen . Dies mussten auch die
vehementesten Kritiker erkennen . Somit ist eine Gesamtabwägung, wie es in der Rechtsprechung geübte Praxis
ist, weiterhin unabdingbar . Ich bin froh, dass dies mittlerweile auch Teil dieses Gesetzes ist .
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf trägt den komplexen Zusammenhängen Rechnung . Viele Seiten haben am Entstehen
intensiv mitgewirkt und ihre jeweiligen Vorstellungen
eingebracht . Mein Dank gilt auch dem federführenden
Arbeitsministerium .
Mit dem Gesetzentwurf haben wir einen Großteil des
Weges bereits geschafft . Dennoch sind einige Details im
Parlament noch zu klären, auch wenn eine von Ihrem
Haus bereits veröffentlichte Broschüre dies so nicht vermuten ließe . Aber ich bin trotzdem zuversichtlich, dass
wir das hinbekommen und dass am Ende des Tages ein
ordentliches Gesetz stehen wird .
Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben .
({12})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Willi
Brase von der SPD-Fraktion .
({0})
- Entschuldigung, Kollege Brase, es gibt noch eine Kurzintervention von Jutta Krellmann von der Fraktion Die
Linke .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Stegemann,
gleiches Recht für gleiche Arbeit heißt nicht gleiches
Recht für alle . Sie haben das gehört, weil Sie das hören
wollten . Das ist eine total selektive Wahrnehmung .
({0})
- Sie müssen sich nicht empören; das ist einfach so . Gleiches Geld für gleiche Arbeit - das ist das, was ich gelernt
habe, als ich 1972 meine Ausbildung begonnen habe und
massenweise Frauen dafür gekämpft haben, dies zu bekommen . Jetzt kämpfen nach wie vor Frauen darum, und
auch Leiharbeiter kämpfen darum, dies zu bekommen .
Das, was in diesem Gesetzentwurf vorgelegt wurde, hat
mit „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ nichts zu tun, absolut nichts .
({1})
- Sie können gleich reden . - Ein Beispiel aus Europa,
wo dies möglich ist: In Frankreich gibt es gleiches Geld
für gleiche Arbeit, ab der ersten Stunde, plus 10 Prozent .
Darüber hinaus zahlen die Leiharbeitsunternehmen in einen Fonds ein, aus dem Qualifizierungsmaßnahmen für
die Betroffenen finanziert werden, wenn es einmal eine
überlassungsfreie Zeit gibt . Unter solchen Bedingungen
kann auch ich mir Leiharbeit vorstellen .
Aber das, was ich hier höre, ist völlig praxisfern,
und ich finde es richtig, zu sagen: Das ist eine absolute
Mogelpackung . Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie Ihren
eigenen Gesetzentwurf wahrnehmen - nach den klaren
Kritikpunkten, die hier vorgebracht wurden .
({2})
Herr Kollege Brase, Sie haben das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin meiner Fraktion und der Arbeitsgruppe dankbar, dass ich etwas zum
Bereich der Fleischwarenindustrie sagen darf .
({0})
Mit Verlaub, Frau Präsidentin, möchte ich kurz einige
Überschriften zitieren . Darin wird gesagt: „Ein rechtloses und asoziales System betrifft die fleischverarbeitende
Industrie“, „Doch die Arbeit wird nicht weniger hart, und
die Rumänen und Bulgaren werden ihre ausbeuterischen
Vermittler nicht los“, „Auf Ausbeutung verpflichtet“,
„Kosten für Transport und Unterkunft werden ihnen vom
Gehalt abgezogen“, „Die Lohnabrechnung stimmt nie“ .
Ich lege einmal die Zettel beiseite .
Wir können diese Berichte vervielfältigen, und ich bin
den Menschen in den Regionen Deutschlands, in denen
vor allem solche industriellen Bereiche vorhanden sind,
dankbar, dass sie immer wieder auf diese Missstände hingewiesen haben . Diese Missstände haben dazu geführt,
dass wir auch hier im Parlament darüber reden . Ich bin
der Auffassung, dass wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf und den Maßnahmen von Sigmar Gabriel endlich
die schlimmen Zustände in der Fleischindustrie verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen;
({1})
denn - das wollen wir auch zur Kenntnis nehmen - dem,
wie man dort mit Menschen umgegangen ist und immer
noch umgeht - mit Subunternehmern, mit Werksverträgen und Leiharbeit; all das, was eben von den Kolleginnen und Kollegen schon beschrieben worden ist -, wird
ein Riegel vorgeschoben . Auch mit dem Mindestlohn,
den wir mit dieser Koalition durchgesetzt haben, haben
wir etwas Gutes für die Fleischindustrie getan; denn es
geht nicht darum, dass die Fleischbarone und die Großen immer reicher werden und den einen oder anderen
Fußballverein pampern, sondern es geht darum, dass
Menschen, egal woher sie kommen, vernünftig bei uns
arbeiten können .
({2})
Deshalb halte ich die vorgesehenen Maßnahmen für richtig .
Ich will kurz auf die Erklärung eingehen, die unter
maßgeblicher Beteiligung von Bundesminister Gabriel
mit den Großen der fleischverarbeitenden Industrie abgeschlossen wurde . Das hat mittlerweile dazu geführt, dass
10 000 Menschen wieder dem deutschen Arbeitsrecht,
also dem Bereich, der für uns gültig ist, zugeführt werden
konnten . Ich sage: Der nächste Schritt muss eigentlich
sein, dass diese 10 000 Menschen nicht nur dem deutschen Arbeitsrecht unterliegen, sondern Festangestellte
werden . Denn das war das Ziel der Vereinbarung, die
Sigmar Gabriel mit den Großen abgeschlossen hat .
({3})
Als nächsten Schritt halte ich es für richtig, dass wir
unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, zu Leiharbeit und Werkverträgen
auf den Weg bringen . Mir ist es lieber, dass das Glas halb
voll ist, als dass wir die Leute noch Monate oder Jahre
in den bestehenden Zuständen lassen . Dieser Gesetzentwurf bringt dieses Thema richtig nach vorne, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Zusammengefasst: Die Fleischindustrie ist eine
schwierige Branche . Sie wächst und wächst . Es werden
dort gute Gewinne gemacht . Jetzt ist es an der Zeit, dass
in dieser Branche aus Subunternehmern, Werkverträglern und Leiharbeitern endlich Festangestellte werden .
Dann kann sie sich auch moralisch wieder sehen lassen .
Vielen Dank fürs Zuhören .
({5})
Ganz herzlichen Dank . - Als nächster Redner hat
Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Uns steht ein sozialpolitischer Herbst bevor:
Heute steht die Einbringung unseres Vorschlags zur Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge an, später
am heutigen Tag geht es um das Bundesteilhabegesetz,
das Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten geben soll, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, und
nächste Woche wollen wir als Regierungskoalition unsere Überlegungen vorstellen, wie wir das Arbeiten im Alter und die Übergänge in die Rente passgenauer und flexibler gestalten wollen . Spätestens im November werden
wir dann eine Debatte darüber führen, wie die richtigen
Wege im Bereich der Rentenpolitik tatsächlich aussehen;
der DGB-Kongress am vergangenen Dienstag hat bereits
einen kleinen Vorgeschmack gegeben .
Das alles sind wichtige und vielschichtige Themen,
die die Menschen berühren . Das gibt uns Gelegenheit,
die Gemeinsamkeiten innerhalb der Koalition zu betonen, unsere Standpunkte deutlich zu machen und auch
die Unterschiede zur Opposition, aber auch zwischen
Union und SPD aufzuzeigen . Klare Standpunkte geben
Orientierung . Danach suchen die Menschen, gerade in
Zeiten, in denen bei vielen Menschen Sorgen und Befürchtungen, was die Zukunft angeht, im Vordergrund
stehen . Wir, die Union, geben klare Orientierung, nicht
nur in der Flüchtlingsfrage,
({0})
sondern auch, was die sozialpolitischen Themen und
nicht zuletzt den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft .
Der Koalitionsvertrag ist in diesem Bereich sehr eindeutig formuliert . Umso erstaunlicher war es, dass das
Bundesarbeitsministerium im November 2015 einen Diskussionsentwurf vorgelegt hat, der in den entscheidenden
Teilen weit über den Koalitionsvertrag hinausgegangen
ist, unnötige Überregulierung bedeutet hätte und die Aufgabenteilung und Spezialisierung konterkariert hätte, die
gerade für unsere Wirtschaft so wichtig ist . Man kann
nicht auf der einen Seite die Digitalisierung, das Arbeiten 4 .0 ausrufen und unsere arbeitsteilige Wirtschaft auf
der anderen Seite durch Überregulierung gefährden .
Die Bundesarbeitsministerin musste substanziell
nachbessern, insgesamt zweimal . Im Februar dieses
Jahres legte sie einen ersten Referentenentwurf vor . Die
CSU hat ihm nicht zugestimmt . Wieder musste Frau
Nahles nachbessern . Drei Monate und einen Koalitionsausschuss später kam es dann zu einer Einigung .
({1})
Wenn ich mir die Debatte, auch in diesem Hohen Haus,
vor Augen führe, dann habe ich oft den Eindruck, dass
hier eher der Klassenkampf ausgerufen wird oder alte Juso-Zeiten wiederentdeckt werden . Aber es geht nicht um
Ideologie - Ideologie war noch nie ein guter Ratgeber -,
({2})
sondern es geht vor allem darum, wie wir mehr Schutz
für Arbeitnehmer organisieren und gleichzeitig die Flexibilität für die Unternehmen bewahren . Dafür steht die
CSU . Das ist auch der Leitgedanke unseres Handelns .
({3})
Klug ist, dass wir die Tarifvertragsparteien hier in die
Pflicht genommen haben. Darauf haben wir als Union
Wert gelegt, und das haben wir auch durchgesetzt .
({4})
Den Tarifvertragsparteien bei der Entscheidung über
Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay einen Spielraum zu geben und ihnen einen Rahmen zu setzen, wenn
es beispielsweise darum geht, was für diejenigen Betriebe gilt, die keinen Tarifvertrag haben, ist sicherlich richtig . Das zieht sich so auch durch den jetzt eingebrachten
Gesetzentwurf .
Frau Müller-Gemmeke, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Grünen für Equal Pay vom ersten Tag an
stehen . Ich darf darauf hinweisen: Dieser Gedanke steht
bereits im Gesetz . Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt
vom ersten Tag an . Die Tarifvertragsparteien weichen
aber davon ab . Das ist Ausdruck der Tarifautonomie . Ich
kann mir überhaupt nicht vorhalten lassen, dass es hier
etwas zu kritisieren gibt, was der Gewerkschaftsbund,
der DGB, mitunterzeichnet . Er ist nämlich derjenige, der
die Tarife letztlich mit abschließt . Das sollte man in diesem Hohen Haus auch zur Kenntnis nehmen .
({5})
Die Zeitarbeit ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument und bedeutet Flexibilität für die Unternehmen, gerade bei Arbeitsspitzen . Sie nutzt aber gerade
auch den Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt gemeinhin schwerer haben. Ich meine damit Geringqualifizierte, Arbeitslose und Jugendliche ohne Abschluss oder
Ausbildung . Die Zeitarbeit bietet die Möglichkeit, auf
dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen,
({6})
und deswegen wollen wir keine Überregulierung in diesem Bereich und auch, wie es die Linken fordern, kein
Verbot der Zeitarbeit .
Ich bin durchaus verwundert, dass sich gerade die Linken für ein Verbot der Zeitarbeit aussprechen . So verstehe ich jedenfalls den Wortbeitrag von Frau Wagenknecht
zu Beginn der Debatte .
({7})
Das trifft genau diejenigen Menschen, die es besonders
schwer haben . Dass gerade die Linke die Menschen, die
es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben, treffen
will, ist schon eine Ironie, die es hier deutlich zu machen
gilt . So etwas machen wir tatsächlich nicht .
({8})
Die Zeitarbeit ist kein Massenphänomen . Der Anteil
der Zeitarbeitsbranche ist über die Jahre hinweg nicht gestiegen . Ganz im Gegenteil: In Bayern sind beispielsweise in dem wichtigen Bereich der Metall- und Elektroindustrie weniger Zeitarbeiter als noch 2012 beschäftigt .
Das zeigt: Der Anteil der Zeitarbeit ist deutschlandweit
nahezu unverändert . Eine Verdrängung in andere Erwerbsformen findet nicht statt.
({9})
Zwei Drittel derjenigen, die in einem Zeitarbeitsverhältnis stehen, haben vorher keine Beschäftigung
ausgeübt . Mehr als doppelt so viele wie bei anderen
Beschäftigtengruppen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung . Die Zeitarbeit bietet also Chancen für
Arbeit .
({10})
Deswegen werden wir hier nichts tun, was die Zeitarbeit überreguliert . Weil die Bundesarbeitsministerin dies
erkannt hat, hat sie beispielsweise auch gesagt: Wir wollen die Zeitarbeit stärker für Flüchtlinge öffnen . - Das
ist genau der richtige Weg, damit Geringqualifizierte die
Möglichkeit haben, eine Beschäftigung zu erhalten .
({11})
Das, was jetzt vorliegt, ist ein austarierter Kompromiss, den die Tarifvertragsparteien maßgeblich mitgeprägt und auch ausverhandelt haben . Das gilt insbesondere auch für die Branchenzuschlagstarife .
Wir stehen auch zu den Werkverträgen . Werkverträge sind seit Jahrzehnten Bestandteil einer arbeitsteiligen
Gesellschaft . Die Vergabe von Aufgaben an Dritte auf
der Basis von Werkverträgen gehört zum Kernbereich
der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit . Sie sind
gerade in Bezug auf Spezialisierung und Konzentration
unverzichtbar .
({12})
- Frau Müller-Gemmeke, das hat vor allem viel mit Qualitäts- und Effizienzsteigerung
({13})
und viel mit Wettbewerbsfähigkeit und damit auch dem
Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun . Deswegen ist für uns
auch wichtig: Da, wo „Werkverträge“ draufsteht, sollen
auch Werkverträge drin sein . Rechts- und sittenwidrige
Gestaltungen von Werkverträgen lehnen wir ab .
Der Kriterienkatalog, der am Anfang der Diskussion
stand, ist vom Tisch . Er hat sich als praxisfremd erwiesen . Deswegen ist es gut, dass die Tarifvertragsparteien,
aber auch die Koalition einen Vorschlag aufgegriffen haben, der aus den Reihen der Bundesarbeitsrichter gekommen ist und jetzt auch Niederschlag im Gesetzentwurf
gefunden hat:
({14})
keinen praxisfremden Katalog, keine Beweislastumkehr,
sondern das, was in der Praxis tatsächlich tauglich ist . Genau das haben wir jetzt im Gesetzentwurf verankert .
Sicherlich gibt es noch vielfältigen Diskussionsbedarf .
Das betrifft vor allem eine eindeutige und rechtssichere Definition dessen, was wir unter „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ verstehen . Ich halte viel davon, das tarifliche Bruttostundenentgelt einschließlich der Zulagen
ohne Zuschläge als Arbeitsentgelt zu definieren. Dann ist
auch der Bereich der Sanktionen zu sehen . Sanktionen
sind ein wichtiges Instrument, gerade um Missbrauch zu
bekämpfen . Aber auch hier sollte immer das rechte Maß
gewahrt werden . Wir haben noch viel Diskussionsbedarf .
Die Anhörung bietet hierfür eine erste Gelegenheit . Ich
freue mich auf die gesetzlichen und parlamentarischen
Beratungen .
Herzliches Dankeschön .
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9232, 18/9664 und 18/7370 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die Unterzeichnung - im Namen der Europäischen Union - des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({0}) zwischen Kanada
einerseits und der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({1}) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16
und
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die vorläufige Anwendung
des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({2}) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union
und ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({3}) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Gemeinwohl vor Konzerninteressen - CETA
stoppen
Drucksache 18/9665
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Klaus Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Vorläufige Anwendung des CETA-Abkom-
mens verweigern
Drucksachen 18/8391, 18/9697
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta
Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat
Drucksachen 18/9030, 18/9703
Über den Antrag der Fraktion Die Linke werden wir
später namentlich abstimmen . Unmittelbar nach diesem
Tagesordnungspunkt werden wir über zwei weitere Vorlagen zum CETA-Abkommen namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Auch dagegen
höre ich keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser
Aussprache hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke
das Wort .
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können
wirklich stolz sein . Ich habe den Eindruck, unser Wirtschaftsminister ist nicht nur Wirtschaftsminister, sondern
auch Illusionskünstler .
({0})
Nur so ist es zu erklären, dass nach massenhafter Kritik an CETA vom Deutschen Richterbund, vom Deutschen Städtetag und auch in seiner eigenen Partei ein
Beschluss zustande kommt, als wäre die Kritik gar nicht
vorhanden . Er hat sie sozusagen weggezaubert, wie beim
Zaubertrick mit dem weißen Kaninchen und dem Hut .
Er hat gesagt: „Das klären wir alles im weiteren parlamentarischen Verfahren“, ohne dass irgendeine wirklich
substanzielle Änderung im Vertrag enthalten sein soll .
({1})
Hervorragend . Ich kann nur sagen: Darauf kann man
stolz sein . So einen Wirtschaftsminister hat nicht jeder .
Wie hat er denn das hingekriegt, meine Damen und
Herren? Wie hat er das gemacht? In der vorliegenden
Stellungnahme der Koalition, die wir heute auch verabschieden, heißt es zum Beispiel:
Es muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt werden, dass auch zukünftig kein Druck in
Richtung Liberalisierung von Dienstleistungen der
öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf .
({2})
Offensichtlich ist das gegenwärtig bei CETA nicht der
Fall, sonst bräuchte man es nicht hineinzuschreiben .
Ein zweites Beispiel:
Das … Vorsorgeprinzip
- so heißt es in Ihrem Text bleibt von CETA unberührt . Dies muss unmissverständlich klargestellt werden .
({3})
Offensichtlich ist es bisher nicht klargestellt . Trotzdem bekommt der Wirtschaftsminister grünes Licht für
CETA in der vorliegenden Form . Das grenzt schon ein
bisschen an Magie .
({4})
Worin besteht nun die Hypnose? Die Hypnose besteht
darin, dass er uns allen erzählt: Das alles kann im parlamentarischen Verfahren verbessert werden .
({5})
Damit ist der Wirtschaftsminister die Verantwortung los .
Sie liegt jetzt im Europaparlament bei der liberal-konservativen Mehrheit . - Respekt . Guter Trick . Sauber hingekriegt . Meine Damen und Herren, dazu sagte Ihr Kollege
Barthel am Dienstag im Deutschlandfunk - ihm kann ich
nur zustimmen -:
Aber meine Bedenken richten sich vor allen Dingen
dagegen, dass eine Zustimmung im Ministerrat . . .
die Sache kaum noch gestaltbar und rückholbar
macht . . .
Gott sei Dank sind also nicht alle verzaubert . - Die
kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland erklärte
zu den Vorbehalten der SPD im Tagesspiegel von gestern:
Die hören wir uns an . Aber Ceta ist keine bilaterale Angelegenheit zwischen Kanada und Deutschland . . . Wir werden das ausverhandelte Abkommen
selbst nicht mehr antasten . . . Wir arbeiten aber an
einer gemeinsamen Auslegungserklärung . . .
({6})
- Ja, ja . Welche Punkte das am Ende beinhaltet, weiß keiner und wissen Sie auch nicht . Kein normaler Mensch
würde zum Beispiel einen Vertrag zum Kauf eines Autos
abschließen, in dem geregelt ist, dass das Fahrzeug keine Räder und keine Bremsen hat, und würde hinterher,
nachdem es auf dem Hof steht, durch Erklärungen zu erreichen versuchen, dass die Räder und die Bremsen nachgeliefert werden . Das schafft nur der Wirtschaftsminister .
Der kriegt das hin; der macht es so . Der würde das Auto
auch so kaufen .
({7})
Ein Hauptkritikpunkt an CETA zielt übrigens auf die
Paralleljustiz für Investoren . Das wurde vom Deutschen
Richterbund und anderen kritisiert . Diese Kritik greifen
Sie nicht mal auf; die erwähnen Sie nicht mal . Meine
Damen und Herren, es ist doch ganz klar: Ein Vertrag,
bei dem man gar nicht weiß, was das ist, muss abgelehnt
werden und darf nicht mit Tricks auf die europäische
Ebene verschoben werden .
({8})
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem Punkt,
der auch sehr wichtig ist: die Zustimmung der nationalen
Parlamente . Ich habe gestern den Wirtschaftsminister sagen hören: Trotz aller Unsicherheit soll zum selben Zeitpunkt, in dem das Abkommen im Rat beschlossen wird,
auch die vorläufige Anwendung beschlossen werden.
Zum selben Zeitpunkt!
({9})
- Das hat er gestern gesagt . Ich habe es doch gehört, ich
bin doch nicht schwerhörig .
Ist ein Abkommen vorläufig in Kraft, bleibt es auch
dann in Kraft, wenn ein Land der EU die Zustimmung
verweigert . Dann ist das Abkommen zwar formal gescheitert, bleibt aber so lange wirksam, bis wiederum
eine Mehrheit im Europäischen Rat diese Zustimmung
zurückzieht . Wenn das nicht passiert, bleibt das Abkommen in Kraft . Meine Damen und Herren, Sie machen
Politik nach dem Motto: Wenn du sie nicht überzeugen
kannst, dann verwirre sie .
({10})
Die vorläufige Anwendung muss abgelehnt werden. Das
ist die einzige vernünftige Chance, wenn wir etwas ändern wollen .
({11})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss ein Zitat bringen, weil mir das so schön gefallen
hat .
({12})
- Ich weiß nicht, warum Sie sich aufregen . Sie bekommen von denen doch alles . Was ist das Problem?
({13})
- Sie haben eine Stellungnahme gegen den Beschluss des
SPD-Konvents abgegeben . Sie haben das gar nicht verstanden . Das ist doch alles in Ihrem Sinne, Herr Pfeiffer .
({14})
Mir fällt in diesem Zusammenhang - das richtet sich
jetzt aber an die SPD - ein Zitat von Klabund ein . Das
Zitat lautet:
Ach, besser wär’s, ihr alten Knaben,
ein Rückgrat überhaupt zu haben
im Leben und daheim im Laden . . .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({15})
Als nächster Redner hat Dr . Michael Fuchs von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fange
heute einmal mit dem Wörtchen „Danke“ an .
({0})
Ich möchte mich als Allererstes beim Kollegen Heil, bei
seiner Mannschaft und auch bei meinen eigenen Leuten
bedanken, denn wir hatten nicht wirklich viel Zeit . Am
Montag hat die SPD in Wolfsburg Gott sei Dank beschlossen, CETA mit uns zu tragen . Am Dienstag haben
wir dann in relativ kurzer Zeit für die Fraktionen einen
gemeinsamen Entschließungsantrag erarbeitet . Das war
nicht so ganz einfach . Das haben wir hinbekommen . Dafür sage ich Danke .
({1})
Meine Damen und Herren, ich sage auch deswegen
Danke, weil ich absolut davon überzeugt bin, dass wir
das richtige Abkommen haben,
({2})
dass wir ein vernünftiges Abkommen haben, ein Abkommen, das uns gemeinsam und unserem Land weiterhilft .
({3})
Nach einer Prognos-Studie hängen 9,6 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland am Export . Das interessiert
Herrn Ernst nicht; das haben wir gerade eben feststellen
können .
({4})
Ihm war das völlig egal; darüber redet er nicht . Aber
9,6 Millionen Arbeitsplätze, gute Arbeitsplätze, hängen
am Export . Wir wollen dafür sorgen, dass diese nicht nur
bleiben, sondern dass das Ganze noch besser wird . Es
kann besser werden . Ein solches Abkommen hilft, dass
es besser wird . Ich habe noch kein einziges Freihandelsabkommen in Deutschland erlebt, bei dem nicht nachher
die Zahl der Exporte von Deutschland in das entsprechende Land größer wurde, als sie vorher war .
Nehmen wir doch nur das Abkommen mit Korea . Das
Korea-Abkommen hat wirklich gewirkt . Vor fünf Jahren
wurde es abgeschlossen .
({5})
Mittlerweile ist der Export von Waren nach Korea um
55 Prozent gestiegen . Herr Ernst, das interessiert Sie
nicht . Sie fahren weiter Ihren Porsche und haben keine
Ahnung davon, was da wirklich passiert .
({6})
Das ist ärgerlich . Sie als Gewerkschafter müssten eigentlich für ein solches Abkommen eintreten, wie das Gott
sei Dank Herr Vassiliadis von der IG BCE intensiv tut .
({7})
Herr Kollege Fuchs, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst zu?
Er hat doch schon geredet, nein .
({0})
Die USA sind unser größter Exportmarkt . Mit den
USA verbindet uns ein Handelsvolumen in Höhe von
rund 173 Milliarden Euro . Wir exportieren Waren im
Wert von etwa 114 Milliarden Euro in die USA und importieren Waren im Wert von 59,6 Milliarden Euro . Das
zeigt, dass wir mit Blick auf den Export in diese Länder
ein Plus erreichen . Der Wert der Waren, die wir nach Kanada exportieren, beträgt davon quasi ein Zehntel . Das
Land ist auch wesentlich kleiner . Wir exportieren Waren
in Höhe von 9,9 Milliarden Euro und importieren Waren
in Höhe von 4 Milliarden Euro . Die Volumina sind aber
steigerbar und damit auch die Chancen für unser Land .
Meine Damen und Herren, was mich ärgert, ist, dass
die ganze Zeit so getan wird, als seien diese Abkommen
schlicht und ergreifend in jeder Hinsicht falsch . Das fängt
mit den Umweltstandards an . Ich habe in meiner letzten
Rede den Bundeswirtschaftsminister gebeten, Herrn
Stegner aufzuklären, und gesagt, er solle das mit VW
klären . Das empfehle ich Ihnen ebenfalls . Die Umweltstandards in den USA sind nicht schlechter als unsere,
erst recht nicht diejenigen in Kanada . Im Gegenteil: Wir
können in dem einen oder anderen Fall durchaus etwas
lernen . Wir sollten aber für eine Angleichung der Standards sorgen, damit vor allen Dingen unsere mittelständische Wirtschaft nicht bei jedem Land erneut darüber
nachdenken muss, welche Standards es einzuhalten gilt .
Das Gleiche gilt für andere Bereiche . CETA ist eigentlich das fortschrittlichste und modernste Abkommen, das
bislang abgeschlossen wurde . Angesichts dessen, was wir
in den vielen Bereichen des Abkommens erreicht haben,
kann man nur sagen: Da ist in Brüssel sehr gute Arbeit
geleistet worden . Dafür ein Dankeschön nach Brüssel, an
Frau Malmström und ihr Team, sowie an all diejenigen,
auch unter uns, die daran mitgearbeitet haben!
({1})
Wir haben eine Reihe von Punkten erreicht . Ich empfehle
jedem, in die Details zu gehen . Dann werden Sie sehr
schnell feststellen, dass wir sehr viel hinbekommen haben .
({2})
Die Globalisierung geht weiter, ob wir das wollen
oder nicht . Da wartet niemand auf uns Deutsche . Entweder entscheiden wir uns dafür, oder wir fallen hinten
herunter . In Europa leben nur noch 7 Prozent der Weltbevölkerung . Das war einmal, prozentual gesehen, sehr viel
mehr . Mittlerweile erreichen wir gerade noch 25 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts der Welt . Aber wir leisten
uns über 50 Prozent der gesamten Sozialausgaben in der
Welt . Wenn wir das fortsetzen wollen, dann müssen wir
das entsprechende Wachstum in Europa generieren . Solche Abkommen tragen dazu bei .
({3})
Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass das klappt .
CETA trägt in besonderem Maße den Anliegen unserer vorwiegend mittelständisch organisierten Wirtschaft
Rechnung . Gerade Mittelständler haben große Probleme,
weil sie in der Regel nicht über eine riesige Rechtsabteilung wie die Industrie verfügen . Solche Abkommen
wie CETA sind für uns zentral und wichtig, um den
Mittelstand zu unterstützen . Es freut mich, dass wir ein
Abkommen mit Kanada hinbekommen haben . Wir haben
es zum Beispiel geschafft, die Märkte für öffentliche Beschaffung in Kanada für unsere Mittelständler zu öffnen;
das war nicht selbstverständlich . Umgekehrt war das
schon der Fall . Aber jetzt können auch unsere Firmen auf
die Beschaffungsmärkte in Kanada gehen .
Wir leiten einen Systemwechsel hin zu internationalen
Schiedsgerichten mit professionellen Richtern - das ist
ebenfalls sehr vernünftig - und Berufungsmöglichkeiten
ein . Das haben wir gemeinsam hineinverhandelt . Wir haben zudem die Zölle auf Industriegüter so gut wie abgeschafft . De facto gibt es keine Zölle mehr . Wer dagegen
ist, dass Zölle abgeschafft werden, den kann ich nicht
mehr verstehen . Die Abschaffung von Zöllen ist doch
sehr vernünftig .
Jürgen Trittin verweist in seinen Reden in diesem Hohen Hause ständig auf das Vorsorgeprinzip . Auch dieses
Prinzip wurde im Abkommen berücksichtigt . Wir haben
also den Grünen noch geholfen, sich für dieses Abkommen zu entscheiden .
({4})
Ich empfehle denjenigen, die dagegen sind, es zu lesen .
Dann werden Sie feststellen, dass viele Ihrer Forderungen aufgenommen wurden .
({5})
- Lieber Herr Kollege Grosse-Brömer, man muss ihnen
schon helfen . Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass
sie sich nicht helfen lassen wollen, weil sie ideologisch
verbohrt in die Diskussionen gehen .
({6})
Das darf nicht der Fall sein .
Wir wollen den Freihandel weiterhin unterstützen .
Wir wollen dafür sorgen, dass der Freihandel in der Welt
gut ist . Nebenbei bemerkt: Mir wäre es am allerliebsten, wenn wir keine bilateralen Abkommen abschließen,
sondern das multilaterale System der WTO voranbringen würden . Aber ich bin kein Fantast und mache mir
keine Illusionen mehr; vielleicht bin ich dafür zu alt .
Ich glaube nicht mehr daran, dass wir mit 176 Ländern
Abkommen hinbekommen werden . Also schließen wir
die hier zur Diskussion stehenden Abkommen . Bringen
wir CETA ganz schnell voran! Anschließend verhandeln
wir so schnell wie möglich über TTIP weiter, damit wir
eine Freihandelszone über den Atlantik hinweg zwischen
Nordamerika und uns in Europa haben .
({7})
Das hilft uns allen gemeinsam, und darauf freue mich .
Ich bitte um Ihre Zustimmung .
({8})
Als nächste Rednerin hat Katharina Dröge von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
- Bevor Sie das Wort bekommen, erhält der Kollege
Ernst das Wort für eine Kurzintervention .
Ich habe allerdings die Bitte, Herr Ernst - das habe
ich auch Ihrer Geschäftsführerin ausdrücklich gesagt -,
sie wirklich kurz zu machen und keine zweite Rede zu
halten . Wir liegen nämlich schon fast 20 Minuten hinter
unserem ursprünglichen Zeitplan zurück und haben, wie
Sie alle selber sehen können, bisher noch nicht einmal
ein Viertel unserer heutigen Tagesordnung abgearbeitet .
Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen wirklich,
das ein wenig mit im Blick zu haben . Das ist zwar die
Aufgabe der Präsidentin, aber nicht nur .
({1})
Frau Präsidentin, ich hätte darauf verzichtet, wenn ich
nicht persönlich angesprochen worden wäre . - Es freut
mich ja, Herr Fuchs, dass Sie mehrmals meinen Porsche
erwähnt haben . Ich habe den Eindruck, Sie wollen mal
mitfahren .
({0})
Bei dieser Rede überlege ich es mir noch . Aber ich muss
Ihnen sagen - vielleicht ist es Ihnen entgangen -: Mein
Auto fährt nach 200 000 Kilometern immer noch gut .
Das ist ein gutes Produkt .
({1})
Das ist übrigens auch der Grund, warum es in Amerika
hervorragend verkauft wird, und zwar schon seit über
20 Jahren . Weit über die Hälfte der produzierten Fahrzeuge werden ins Ausland verkauft . Ohne CETA und
ohne TTIP ist das ein im Ausland hervorragend aufgenommenes Produkt .
({2})
Und wissen Sie, warum? Weil der Wettbewerb eben nicht
über das Absenken von Standards, über Schiedsgerichte
und Ähnliches läuft, sondern über die Qualität, und die
kriegen wir in Deutschland hin, ob mit oder ohne CETA .
Insofern brauchen wir es nicht . Wir können uns den ganzen Kram sparen, Herr Fuchs . Das wollte ich Ihnen noch
einmal sagen .
({3})
Herr Fuchs, wünschen Sie das Wort zu einer Erwiderung?
({0})
- Danke . - Dann hat als nächste Rednerin jetzt die Kollegin Dröge das Wort .
({1})
Genau . Ich könnte jetzt über mein Lastenfahrrad sprechen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte meine Rede mit einem Dank
beginnen . Herr Fuchs, es mag Sie überraschen, aber dieser Dank geht an Sie. Denn nach Ihrer Rede sind, finde
ich, die Fronten im Bundestag heute klar . Sie haben klargemacht, worum es heute geht: Sie als Union und Sie als
SPD werden Ja sagen zu CETA - ohne Wenn und Aber .
({0})
Aus Ihrer Rede wird klar: Sie werden Ja sagen zu einem
schlechten Abkommen, zu einem Abkommen, das das
Vorsorgeprinzip schwächt, zu einem Abkommen, in dem
es unfaire Schiedsgerichte gibt, zu einem Abkommen,
in dem die Handlungsfreiheit der Kommunen eingeschränkt wird .
({1})
All das haben Sie in Ihrer Rede ausgeblendet . All das interessiert Sie auch gar nicht .
({2})
- Ich habe jetzt Herrn Fuchs gemeint . - Deswegen sagen
Sie blind, ohne Wenn und Aber, Ja zu CETA .
({3})
Ich sage deshalb Danke, weil wir in den letzten Tagen
nach dem SPD-Konvent in der Öffentlichkeit eine etwas
merkwürdige Debatte miteinander geführt haben . Der
Bundeswirtschaftsminister hat auf dem SPD-Konvent
und auch gestern im Wirtschaftsausschuss noch einmal
den Eindruck erweckt - leider kann er es heute nicht wiederholen; das ist ein bisschen schade; es wäre wichtig
gewesen -, wir hätten heute irgendwie die Möglichkeit,
noch einen anderen Weg zu gehen . Deswegen bin ich
dankbar, dass Herr Fuchs noch einmal klargemacht hat:
So ist es nicht .
({4})
Wir als Bundestag werden heute darüber entscheiden, wie wir zu diesem Vertrag stehen . Wir haben drei
Stellungnahmen nach Artikel 23 Grundgesetz vorliegen;
bei der Abstimmung darüber entscheiden wir, wie die
Bundesregierung im Handelsministerrat über dieses Abkommen abstimmen soll . Darum geht es . Das ist unsere
Möglichkeit, noch Einfluss zu nehmen.
Doch das, was Sigmar Gabriel in den letzten Tagen
gemacht hat, nämlich zu behaupten, dass die Parlamente,
dass der Deutsche Bundestag, dass das Europaparlament
noch irgendetwas Relevantes an diesem Vertragstext ändern könnten, nachdem die Bundesregierung zu CETA
schon Ja gesagt hat und sich gegenüber der EU und Kanada verpflichtet hat, diesen Vertrag zu unterzeichnen,
ist - das muss ich ganz ehrlich sagen - schlichtweg Unfug .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
kann ja verstehen, dass es für Sie schwierig ist, sich zu
entscheiden, wie Sie mit diesem Vertragstext umgehen
sollen . Davor habe ich Respekt . Aber ich verlange von
Ihnen schon, dass wir als Abgeordnete im Bundestag gegenüber den Menschen, die uns heute zuhören, ehrlich
sind hinsichtlich dessen, was wir entscheiden können
und was wir nicht entscheiden können .
({6})
Diese Aufgabe haben wir als Parlamentarier .
({7})
Das, was Herr Gabriel mit Frau Freeland vereinbaren
möchte, ist eben keine Änderung des Vertragstextes .
({8})
Das behauptet er auch gar nicht mehr .
({9})
Das behauptet auch Frau Freeland nicht . Sie hat gesagt,
das wäre so, als würde man die Büchse der Pandora öffnen . Herr Gabriel hat das im Wirtschaftsausschuss bestätigt . Das, was Sie machen wollen, sind Protokollerklärungen,
({10})
die nachträglich zu einem Vertrag abgegeben werden sollen . Protokollerklärungen - das hat Frau Freeland gestern
noch einmal sehr schön gesagt - sind Interpretationen
dessen, was schon im Vertrag steht, mehr nicht .
({11})
Jetzt gebe ich Ihnen einmal ein Beispiel aus Ihrem
eigenen Konventsbeschluss . Sie haben am Montag beschlossen, dass Sie diesem Vertrag nur zustimmen werden, wenn die komplette Herausnahme der bestehenden
und der künftigen Dienstleistungen der öffentlichen
Daseinsvorsorge aus dem Vertrag erfolgt . Jetzt sage ich
Ihnen: Die Daseinsvorsorge steht nun einmal drin . Wie
wollen Sie diesen Vertrag jetzt so uminterpretieren, dass
das, was drinsteht, doch irgendwie nicht drinstehen soll?
({12})
Das ist keine Interpretation . Wem wollen Sie damit etwas
vormachen?
({13})
Sie können nur sich selbst etwas vormachen . Den Bürgern können Sie nicht erklären, dass etwas, das im Vertrag steht, nicht drinstehen soll . Wenn Sie das herausnehmen wollen, dann ändern Sie den Vertrag . Das ist die
einzige Möglichkeit .
({14})
Dasselbe ist bei den Schiedsgerichten, dasselbe ist
beim Vorsorgeprinzip, dasselbe ist bei der Frage, welche Kompetenzen die Gremien im Rahmen von CETA
haben sollen, der Fall . Bei all diesen Punkten haben Sie
gesagt - damit hatten Sie recht; ich bestätige Ihnen Ihre
Position -: Der Vertrag ist schlecht . Der Vertrag muss
geändert werden . - Deswegen wollen Sie ihn jetzt noch
ändern . Aber wenn Sie einen Vertrag ändern wollen,
dann müssen Sie den Mut haben, zu sagen: Wir ändern
die Substanz, wir ändern den Vertrag in der Sache . - Mit
allem anderen machen Sie den Menschen etwas vor . Das
geht nicht .
({15})
Es gibt noch einen weiteren Fall an Verwirrung der
Bürgerinnen und Bürger, der nicht geht . 15 Minuten
nachdem der Parteitag zu Ende war, hat sich Herr Gabriel
vor die Presse gestellt und die gemeinsame Erklärung mit
Frau Freeland vorgestellt .
({16})
- Nein, Sie haben erst beschlossen, und dann hat er die
gemeinsame Erklärung vorgestellt .
({17})
Ich habe einmal verglichen, was er mit Frau Freeland
vereinbart hat und was er wenige Minuten vorher mit den
SPD-Parteikollegen beschlossen hatte . Fast nichts von
dem, was Sie auf diesem Parteitag beschlossen haben,
steht in der gemeinsamen Erklärung mit Frau Freeland .
({18})
Auf meine Frage gestern im Wirtschaftsausschuss,
was denn jetzt gilt - das, was Sie beschlossen haben, oder
das, was mit Frau Freeland vereinbart wurde -, sagte er
nur, er komme nicht als SPD-Chef in den Wirtschaftsausschuss, er könne jetzt nur noch für die Bundesregierung
reden . Das ist schizophren .
({19})
Er fährt selber nach Kanada, tut so, als würde er für
die ganze Bundesrepublik irgendetwas nachverhandeln,
aber auf die Nachfrage von uns, was er nachverhandelt
hat, kann er nicht antworten .
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit bereits deutlich überschritten . Kommen Sie bitte zum Schluss .
Mein letzter Satz . - Es sind 300 000 Menschen am
Wochenende gegen dieses Abkommen auf die Straße
gegangen . Sie müssen ihnen nicht folgen . Aber was Sie
ihnen schulden, ist Ehrlichkeit . Deswegen: Wir als grüne
Bundestagsfraktion werden uns heute entscheiden . Dieses Abkommen ist an zu vielen Stellen falsch . Deswegen
sagen wir Nein . Diese Konsequenz sollten auch Sie ziehen .
({0})
Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegin Dröge, lieber Kollege Ernst, ich finde es richtig, dass wir im Bundestag
über unterschiedliche Positionen streiten . Aber ich habe
eine ganz herzliche Bitte, nämlich dem demokratischen
politischen Gegner nicht ständig mit dem Vorwurf, man
sei nicht ehrlich, die Moral abzusprechen .
({0})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle Folgendes: Wer demokratische Verfahren und Meinungsstreit in diesem Haus in
der Art und Weise diffamiert, wer diese krankenhausreif
redet, darf sich nicht wundern, wenn Scharlatane daraus
Parlamentsverachtung machen. Das finde ich nicht in
Ordnung .
({1})
Ich will Ihnen das sagen, weil es ein Missverständnis
gibt, das Sie hier kultivieren . Leider ist das auch schon in
verschiedenen Reden deutlich geworden . Sie tun so, als
würden wir heute über CETA abstimmen .
({2})
- Nein . - Der Vertrag wird heute nicht beschlossen . Wir
machen einen Weg frei, weil es nach Artikel 23 Grundgesetz ein Beteiligungsrecht des Bundestages beim Zustandekommen der europäischen Integration gibt . Wir geben
als Bundestag Bedingungen mit auf den Weg .
({3})
Wir sagen, dass es richtig ist, dass im Handelsministerrat das parlamentarische Verfahren - im Europäischen
Parlament und in den Mitgliedstaaten - eröffnet werden
soll . Sie aber erwecken den Eindruck, als würde heute
die Endabstimmung stattfinden.
({4})
- Nicht einmal faktisch und auch nicht juristisch . Ich will
es Ihnen erklären, Herr Kollege Ernst und Frau Dröge;
denn im Gegensatz zu Ihnen war ich in der letzten Woche
in Montreal .
({5})
Ich habe am Montag auch mit Frau Freeland reden können . Wir haben übrigens mitbekommen - auch schriftlich -, was Frau Malmström dazu sagt .
Tatsächlich geht es um Folgendes: Wir haben ein in
vielen Bereichen ordentliches Abkommen . In diesem
Handelsabkommen gibt es Fortschritte, die noch nie bei
einem Handelsabkommen erreicht wurden . Zum Beispiel
gibt es keine privaten anonymen Schiedsgerichte mehr;
({6})
vielmehr ist der Weg zu einem öffentlichen Gerichtshof
eröffnet .
({7})
Wenn man dazu noch in der Lage und willens ist, zu
differenzieren, könnte man auf vier Bereiche gucken, wo
wir Fortschritte erreicht haben bzw . wo wir noch für Verbesserungen sorgen wollen . Ich will Ihnen auch sagen,
wie das im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens
geschehen kann .
Ich nehme erstens das Beispiel der Arbeitnehmerrechte: Wir haben durch die Verhandlungen dafür gesorgt,
dass Kanada mittlerweile die siebte und jetzt auch die
achte ILO-Kernarbeitsnorm ratifiziert hat. Dabei geht es
um das Recht, Kollektivverträge für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer abzuschließen . Das ist mit den USA
überhaupt nicht erreichbar . Alle ILO-Kernarbeitsnormen
sind inzwischen im Rahmen dieser Verhandlungen von
Kanada ratifiziert worden. Die letzte wird gerade ratifiziert . Das ist ein Riesenerfolg für Arbeitnehmerrechte .
({8})
Wir wollen darüber hinaus - das ist durch rechtsverbindliche Erklärungen möglich - dafür sorgen, dass Arbeitnehmerrechte nicht nur ratifiziert, sondern in Europa
und Kanada auch wirksam durchgesetzt werden . Das gilt
übrigens auch für das gesamte Nachhaltigkeitskapitel,
für Umwelt- und Verbraucherschutz .
({9})
Ich nenne ein zweites Beispiel - Sie haben es ja angesprochen -, die Daseinsvorsorge . Die Daseinsvorsorge
ist im Vertrag erwähnt, allerdings als Schutzbereich . Wir
wollen, dass an ein oder zwei Stellen rechtsverbindlich
klargestellt wird, dass zum Beispiel die Rekommunalisierung von Unternehmen - da gibt es ungeklärte Rechtsbegriffe, die können über Rechtserklärungen verdeutlicht
werden - weiterhin möglich bleibt, es da also keinen
Zweifel gibt . Das ist das, was wir wollen .
({10})
Drittens nenne ich - Frau Dröge, falls Sie noch zuhören ({11})
das Vorsorgeprinzip . Das Vorsorgeprinzip ist Teil des
europäischen Primärrechts . Und es gibt eine RechtsaufKatharina Dröge
fassung, die besagt, dass kein Handelsvertrag der Welt
europäisches Primärrecht antasten kann .
({12})
Es gibt aber einige, die fragen, ob es in diesem Punkt
nicht doch einer Klarstellung bedarf . Deshalb werden wir
darauf drängen, dass dies rechtsverbindlich klargestellt
wird, damit das bewährte Vorsorgeprinzip zum Beispiel
im Umwelt- und Verbraucherrecht sowie bei Medizinprodukten und bei der Ernährung in Europa weiter gilt .
Das ist beispielsweise eine Bedingung, um am Ende des
Tages, wenn es wirklich zur Abstimmung kommt, zustimmen und das Abkommen ratifizieren zu können.
({13})
Meine Damen und Herren, für Parlamentarier wie Sie
hätte ich einen Ratschlag: Seien Sie ein bisschen mutiger,
was Parlamente betrifft .
({14})
Das ist jetzt die Stunde der Parlamente .
({15})
Wir haben doch schon einmal von Ihnen gehört, nämlich
als der Vertragstext im letzten Jahr in englischer Sprache vorlag, dass jetzt alle Messen gesungen seien, dass
nichts mehr verändert werden könne . Wir haben politisch
Druck gemacht und erreicht - das ist ungewöhnlich und
neu -, dass die Schiedsgerichte herausgestrichen wurden .
Das haben wir schon geschafft . Jetzt muss man ein bisschen aufklären und darf keine Nebelkerzen werfen, was
das Verfahren betrifft .
Wir als Bundestag werden heute - weil es vom Gesetz und von unserer Verfassung her erwartet wird - eine
Stellungnahme abgeben . Das ist der Beschlussentwurf,
den Ihnen die Koalition vorlegt . Er besagt: Ja, wir wollen, dass dieses parlamentarische Verfahren im Handelsministerrat eröffnet wird . Ja, wir erkennen an, dass es in
vielen Bereichen ein sehr gutes Abkommen ist . Aber wir
haben Klärungsbedarf .
Zwischen der kanadischen Regierung, unserer Bundesregierung und der Europäischen Kommission besteht
Konsens, dass im Rahmen dieses Verfahrens - sonst wird
es ja gar keine Mehrheit im Europäischen Parlament und
in den 28 Mitgliedstaaten geben - rechtsverbindliche
Klärungen vorgenommen werden . Das in Zweifel zu ziehen, zeugt entweder von Unkenntnis oder von einer Diffamierung dieses Verfahrens, meine Damen und Herren .
({16})
Sie können einmal zur Kenntnis nehmen: Die Kommissarin sagt das, die Kommission sagt das, die Regierung
in Kanada sagt das, die Bundesregierung sagt das . - Ich
sage Ihnen noch einmal: Da geht es nicht um irgendwelche unverbindlichen Protokollnotizen, sondern um rechtlich verbindliche Klarstellungen in Bezug auf Bereiche,
wo es Klärungsbedarf gibt .
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir können - das sage ich an alle Fraktionen gerichtet - bei einem Streit in diesem Hause -
Herr Kollege Heil, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Frau Kollegin Baerbock zu?
Sehr gerne . Bitte sehr .
Herr Kollege Heil, nachdem Sie uns jetzt ja belehrt
haben, was die Rechte eines Parlamentes sind, und dabei auf das Europäische Parlament abgestellt haben und
wir alle gesagt haben, dass das Verfahren transparent
sein muss, möchte ich Sie fragen, ob Sie folgender Darstellung zustimmen: Das Europäische Parlament hat in
diesem Gesetzgebungsverfahren, anders als vom Wirtschaftsminister gestern im Wirtschaftsausschuss dargestellt, nicht wie der Deutsche Bundestag bei nationalen
Gesetzen die Möglichkeit, den eingebrachten Vertragstext in einem parlamentarischen Verfahren zu ändern;
vielmehr ist es so, dass zuvor der Rat der Europäischen
Union entscheidet . Dann kann das Europäische Parlament nur noch sagen, ob es dem Abkommen zustimmt
oder nicht - dabei handelt es sich ja nicht einmal um ein
reguläres Gesetzgebungsverfahren -,
({0})
sodass das Europäische Parlament an dem Vertragstext
keine Änderungen mehr vornehmen kann . Stellungnahmen haben da keinen Einfluss. Vom Europäischen Parlament dürfen gar keine Änderungsanträge gestellt werden .
Stimmen Sie mir darin zu? Wenn ja, möchte ich Sie fragen: Wie wollen Sie als Sozialdemokraten im nationalen
Parlament oder im Europäischen Parlament diesen Vertragstext noch verändern?
Sehen Sie nicht außerdem die Gefahr, dass am Ende
gesagt wird - dieses typische Europa-Bashing haben wir
in Europa ja sowieso schon -: „Jetzt ist das Europäische
Parlament schuld, weil es keine Veränderung mehr herbeigeführt hat“? Ist das nicht die große Gefahr, wenn Sie
jetzt suggerieren, das Europäische Parlament könne etwas richten, was es gar nicht richten kann, weil es nur Ja
oder Nein sagen kann?
({1})
Frau Kollegin, ich bin sehr dankbar für diese Fragen,
weil sie mir die Gelegenheit geben, ein bisschen über ein
paar Dinge aufzuklären .
({0})
- Wollen Sie eine Antwort, oder wollen Sie einfach nur
dazwischenbrüllen? Ich will der Kollegin antworten,
weil sie ernsthafte Fragen gestellt hat, und ich habe jetzt
die Gelegenheit dazu .
Zum einen wissen Sie, Frau Kollegin, dass das Europäische Parlament auch bisher bis auf Konsultationsfragen nicht direkter Verhandlungspartner war; Verhandlungspartner waren die Europäische Kommission und
die kanadische Regierung . Gleichwohl hat der deutsche
Europaabgeordnete, der Vorsitzende des Handelsausschusses, unser Kollege Bernd Lange, durch seine Arbeit
im Verfahren dafür gesorgt, dass sich dieser Vertrag im
Rahmen der Rechtsförmigkeitsprüfung verändert hat .
Die anonymen Schiedsgerichte sind durch Bernd Lange
mit beseitigt worden .
({1})
Das heißt, das Europäische Parlament hat mittelbaren
Einfluss auf die Verhandlungen genommen.
Zweitens . Sie haben recht, was die Formalien betrifft:
Ein EU-Rat legt für ein Ratifizierungsverfahren einen
völkerrechtlichen Vertrag in Gesetzesform auch auf europäischer Ebene vor . Das hindert aber nicht daran, durch
rechtsverbindliche - ich betone: rechtsverbindliche - Erklärungen des EU-Ministerrates, der Regierung Kanadas
und des Europäischen Parlaments darzulegen und klarzustellen, was mit diesem Gesetz gemeint ist .
Ich habe es mit Beispielen darzustellen versucht: Wir
haben viele Fortschritte erreicht; aber es gibt ungeklärte Rechtsbegriffe in diesem Vertragswerk . Das betrifft
vor allen Dingen die Frage des Investitionsschutzes . Da
sehen wir nach den Rechtseinschätzungen der Europäischen Kommission, der kanadischen Regierung und der
Bundesregierung die Möglichkeit, dass die Parlamente
durch politischen Druck und durch rechtsverbindliche
Erklärungen dafür sorgen, dass aus diesem ordentlichen
Vertrag ein gutes Handelsabkommen wird . Das ist unser
Ziel .
({2})
Nicht nur, weil wir Parlamentarier so selbstbewusst
sein sollten, dass wir in solchen Verfahren politisch Einfluss nehmen können - Matthias Miersch weiß, wovon
ich rede -, sondern weil wir tatsächlich erlebt haben, dass
sich dieser Bundestag so intensiv wie kaum ein anderes
Gremium mit diesem Vertrag beschäftigt hat - während
der Verhandlungen, während der Rechtsförmigkeitsprüfungen, nach der Übersetzung, in unzähligen Debatten
hier, in Ausschussanhörungen -, kann ich Ihnen sagen:
Es ist gut, dass wir uns als Parlament, als Parteien diese
Frage nicht einfach machen; denn es ist eine Frage von
großer Bedeutung . Es geht um die Frage, ob es gelingt,
Globalisierung gerecht zu gestalten, ob es gelingt, den
Vorrang demokratischer Politik auch vor Märkten zu behaupten . Deshalb kämpfen wir, Herr Kollege Fuchs, für
ein Freihandelsabkommen .
Aber das reicht uns nicht . Wir wollen Globalisierung
fair gestalten . Wir wollen fairen Handel in dieser Welt .
Dafür bringen wir etwas auf den Weg, was zwar schon
gut ist, was aber noch besser gemacht werden muss, weil
es Maßstäbe für eine faire Globalisierungsgestaltung setzen soll .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Gunther Krichbaum von der CDU/CSU-Fraktion hat
als nächster Redner das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Europäische Union und damit auch wir unterhalten weltweit Freihandelsabkommen mit über 130 Staaten . Kein einziges Freihandelsabkommen wurde in der
Vergangenheit so leidenschaftlich, hitzig, zum Teil auch
polemisch-populistisch diskutiert wie TTIP oder CETA,
wobei Letzteres der Gegenstand unserer heutigen Debatte ist . Auch über CETA, dem Freihandelsabkommen mit
Kanada, würde wahrscheinlich genauso wenig diskutiert
wie über alle anderen 130 Freihandelsabkommen zuvor,
wenn es nicht im zeitlichen und räumlichen Kontext mit
TTIP stünde .
Damit sind wir vielleicht auch beim eigentlichen Problem angelangt: einer in der Gesellschaft tiefsitzenden
Amerika-Skepsis, die bisweilen auch in einen, ja, man
muss schon sagen, blanken Antiamerikanismus überschlägt .
({0})
Das muss uns Anlass zur Sorge sein; denn viele der vorgetragenen Bedenken in der Bevölkerung zeugen von
einem Mangel an Vertrauen . Es muss schon nachdenklich machen, wenn höchste politische Vertreter Beifall
zollen, wenn sie von einem freien Handel von Lissabon
bis Wladiwostok sprechen, andererseits aber bei CETA
und TTIP einen Eiertanz hinlegen . Weder geostrategisch
noch handelspolitisch darf es eine Äquidistanz, also einen gleichen politisch-ideologischen Abstand, zwischen
unseren transatlantischen Partnern und Russland geben .
Wer übrigens wissen will, wie eine Freihandelspartnerschaft östlich von uns auf der Landkarte funktioniert, der
kann sich ja einmal die Eurasische Zollunion anschauen .
Von einer Partnerschaft auf Augenhöhe kann da überhaupt nicht die Rede sein .
Ja, Partnerschaft auf Augenhöhe, das müssen wir einfordern . Aber hier sollten wir uns selber nicht kleiner machen, als wir sind . Die Europäische Union ist weltweit
die größte Wirtschaftszone mit, gerundet, 500 Millionen
Menschen im Vergleich zu den USA mit 300 Millionen
und Kanada mit 40 Millionen . Deshalb geht es bei CETA
Hubertus Heil ({1})
wie bei TTIP weder um mit Chlor desinfizierte Hühnchen
noch um französischen Rohmilchkäse . Es geht um die
Frage: Wer setzt die industriellen Standards des 21 . Jahrhunderts? Diese können gefunden werden zwischen der
Europäischen Union, den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada oder eben zwischen den USA, Kanada
und dem pazifischen Raum inklusive China.
Wir haben noch die Möglichkeit, die Globalisierung
zu gestalten; Kollege Heil hat genau darauf hingewiesen .
Der freie Handel ist dabei eine Riesenchance . Diese sollten wir nicht kaputtreden; denn jeder, der das tut, verkennt, dass wir innerhalb der Europäischen Union genau
dieses Grundprinzip des freien Warenverkehrs haben,
den sogenannten Binnenmarkt, dem wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu verdanken haben .
({2})
Im Rahmen der Freihandelsabkommen mit Staaten
außerhalb der Europäischen Union bewegen wir uns,
Herr Kollege Heil, natürlich weitestgehend im Feld der
freien Marktwirtschaft . Das Korrektiv muss aber dann
gerade die Europäische Union sein, um von diesem Modell der freien Marktwirtschaft zu einem Modell der sozialen Marktwirtschaft zu kommen .
({3})
Das kann und darf natürlich nicht die notwendigen Strukturreformen ersetzen, aber genau das ist die Aufgabe, die
auf die Europäische Union zukommt .
Blickt man nun auf die EU, fällt auf, dass gerade in den
wirtschaftlich prosperierenden Ländern, die von CETA
und TTIP am meisten profitieren würden, der Ablehnungsgrad in der Bevölkerung am höchsten ist . Es sind
dies Deutschland und Österreich vorneweg, Luxemburg
und auch Slowenien . In allen anderen Staaten werden
CETA wie TTIP einhellig begrüßt . Beispielhaft seien genannt Litauen mit einem Zustimmungsgrad von 77 Prozent, Irland mit 70 Prozent, Griechenland mit 60 Prozent,
Portugal mit 57 Prozent und Spanien mit 55 Prozent . Alle
diese Staaten, die wirtschaftlich natürlich einen gewissen Aufholbedarf haben, sehen gerade TTIP wie CETA
als Chance . Ich glaube, genau diese Staaten dürfen wir
nicht um die Chancen bringen, die diese Freihandelsabkommen mit sich bringen . Deswegen sollten wir auch die
Chancen darin erkennen .
({4})
Noch ein Aspekt, der uns zu denken geben muss: Wir
müssen uns in Europa endlich entscheiden, was wir eigentlich wollen . Die Handelspolitik fällt zu 100 Prozent
in die Kompetenz der Europäischen Union mit voller
Mitwirkung des Europäischen Parlaments .
({5})
Das Europäische Parlament ist nicht besser als die nationalen Parlamente, es ist auch nicht schlechter als die
nationalen Parlamente . Es ist anders als die nationalen
Parlamente, aber ein vollwertiges Parlament mit direkt
gewählten, demokratisch legitimierten Abgeordnetenkollegen . Ich glaube, auch wir tun bei so mancher Diskussion gut daran, dass wir das nicht infrage stellen und
das Europäische Parlament zu einem Parlament zweiter
Klasse degradieren .
({6})
Der Regelungsinhalt von CETA betrifft zum Löwenanteil den sogenannten EU-only-Bereich, wie wir im
Jargon dazu sagen . Nun ist es bei einem Abkommen so,
dass bereits wenige Inhalte dafür sorgen, um aus einem
EU-only-Abkommen ein sogenanntes gemischtes Abkommen werden zu lassen, ähnlich wie bei einem Glas
Wasser, wo bereits wenige Tropfen Pastis ausreichen, um
es zu trüben . Das ist die sogenannte Pastis-Theorie von
Professor Kokott, wie Sie sicherlich wissen .
Wir müssen uns natürlich fragen, ob wir die Folgen
davon wirklich haben wollen . Es bedeutet nämlich, dass
CETA wie TTIP von über 40 nationalen und zum Teil
auch regionalen Parlamenten ratifiziert werden muss.
Sagt nur ein einziges Nein, kommt der Prozess insgesamt
zum Erliegen . Damit lähmen wir uns am Ende des Tages
selbst .
({7})
Das wallonische Parlament, das 0,72 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, hat sich bereits auf ein Nein
festgelegt . Damit werden die übrigen 99,28 Prozent der
Europäischen Union irrelevant . Das kann es nicht sein .
Wie hätte das vermieden werden können, und wie
kann man das für die Zukunft vermeiden? Die Verhandlungsmandate, die der Deutsche Bundestag beschließen muss, müssen gerade bei Industrienationen auf den
EU-only-Bereich begrenzt werden . Bei anderen Ländern,
wo wir Schiedsgerichtsklauseln brauchen, ist das vielleicht anders . Aber wir vermeiden damit auch eine Beschädigung der Europäischen Kommission; denn sie hat
das Abkommen entgegen ihrer eigenen Überzeugung am
Ende als gemischtes Abkommen eingestuft .
Abschließend ist zu begrüßen, dass der Deutsche
Bundestag mit einer Stellungnahme seine Integrationsverantwortung wahrnimmt . Dies kommt dort auch explizit zum Ausdruck . Das Bundesverfassungsgericht wird
aber in Zukunft zunehmend darauf achten, dass diese
sogenannte Integrationsverantwortung nicht nur beim
Akt der Übertragung der Kompetenz wahrgenommen
wird, sondern auch beim Vollzug . Das bedeutet, dass der
Deutsche Bundestag auch darüber wachen muss, dass die
Kompetenz so ausgeübt wird, wie sie übertragen wurde .
Und in diesem Zusammenhang: In Erwartung angekündigter Klagen sollte der Bundestag einen leider etwas
versteckten Hinweis des Bundesverfassungsgerichts im
sogenannten OMT-Urteil aufnehmen . Damit wird die
Einführung einer sogenannten gutachterlichen Stellungnahme erwogen, die das Bundesverfassungsgerichtsgesetz so bisher nicht kennt oder - so muss man vielleicht
richtiger sagen - nicht mehr kennt . Das könnte Verfahren
in Zukunft effektiver machen . Auch damit sollte sich der
Deutsche Bundestag beizeiten auseinandersetzen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller juristischen Diskussionen darf nicht übersehen werden: ScheiGunther Krichbaum
tert CETA, scheitert TTIP, dann würde mehr scheitern
als ein jeweiliges Freihandelsabkommen . Die transatlantischen Beziehungen würden Schaden nehmen, und zu
deren Pflege gehört Vertrauen - auf allen Seiten. Darin
liegen eben die Chancen, wenn wir hier mit einer entsprechenden parlamentarischen Gestaltung zu einem baldigen Abschluss kommen . Ich glaube, dann wird es am
Ende des Tages auch ein gutes Abkommen werden .
Herzlichen Dank .
({8})
Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ich möchte mit einem Zitat von Willy Brandt beginnen:
Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein
Sozialdemokrat mehr zu sein .
({0})
Dieses Zitat fällt einem nach dem Konventsbeschluss der
SPD von Montag ein .
({1})
Laut einer Umfrage der Wirtschaftswoche, die sicherlich kein linkes Kampfblatt ist, unterstützen lediglich
noch 18 Prozent der Deutschen das CETA-Abkommen .
Ende August haben 125 000 Bürgerinnen und Bürger eine
Verfassungsklage dagegen eingereicht . Am vergangenen
Wochenende waren 320 000 Menschen auf der Straße,
um gegen CETA, TTIP und die vorläufige Anwendung
zu demonstrieren . Was macht die SPD? Sie ignoriert das
alles . Die Abstimmung über CETA war ja nur noch eine
nachrangige Frage . Herr Heil, wenn man Demokratie
ernst nimmt, dann sollte man seine eigenen Delegierten
darüber abstimmen lassen, um was geht, und sollte nicht
damit in Verbindung bringen, dass, wer dagegen stimmt,
am Ende womöglich noch einen neuen Parteivorsitzenden suchen muss . Sie haben Ihren Konvent mit einer Personalfrage instrumentalisiert, obwohl es viel wichtigere
Entscheidungen gegeben hätte .
({2})
Herr Krichbaum, wenn man gegen die Kritik der vielen Menschen nichts mehr zu sagen hat, dann bemüht
man den Vorwurf des Antiamerikanismus . Dieser Logik
folgend, müsste man feststellen, dass sogar die beiden
übriggebliebenen amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Antiamerikaner sind; denn beide sind kritisch,
was diese Handelsabkommen angeht . Dieses blöde Argument hätte man einfach mal weglassen sollen . Man muss
die Kritik mal ernst nehmen .
({3})
Herr Heil, Sie haben gesagt, wenn man die demokratischen Prozesse so begleite, dann wecke man eventuell
Personen und Parteien, die man nicht haben wolle . Ich
sage Ihnen aber auch: In einer Demokratie sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass ein Gesetz erst
dann in Kraft tritt, wenn die zuständigen Parlamente es
beschlossen haben. Deshalb sind wir gegen eine vorläufige Anwendung . Ich hoffe, dass die SPD irgendwann auch
wieder zu dieser Entscheidung kommt .
({4})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil zu?
Natürlich .
Herr Kollege, wir wollen hier ja bei allem Streit nicht
Widersprüche aufbauschen, die wir nicht haben . Deshalb
bitte ich Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass in
dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum Thema der
vorläufigen Inkraftsetzung Folgendes steht:
Erstens die ganz klare Ansage: Der europäische Teil
dieses Abkommens darf nach Auffassung des Bundestages - so wie wir es heute beschließen - erst in Kraft
treten, wenn das Europäische Parlament zugestimmt hat,
nicht vorher .
({0})
- Das steht in diesem Antrag . Lesen hilft .
Zweitens . Der Teil, der nicht in europäische Zuständigkeit fällt, darf nach Auffassung des Bundestages natürlich erst in Kraft treten, wenn die nationalen Parlamente zugestimmt haben .
({1})
Deshalb meine Frage an Sie: Wo ist eigentlich der Widerspruch zwischen der Position, die die Koalition einnimmt, und dem, was Sie fordern?
Meine Bitte: Stellen Sie keinen Pappkameraden auf .
Wir sind miteinander der Auffassung, dass ein vorläufiges Inkraftsetzen erst möglich ist, wenn die Parlamente
entschieden haben . Das steht klar in diesem Bundestagsbeschluss .
({2})
Herr Heil, vielen Dank für die Nachfrage . Aber ich
glaube, die Debatte hat schon gezeigt, dass die Pappkameraden von der SPD aufgestellt worden sind . Denn eines ist doch relativ klar: Sie haben letztes Jahr mit der
SPD rote Linien definiert und festgelegt, unter welchen
Bedingungen man CETA zustimmen kann .
({0})
Diese roten Linien wurden vom Parteikonvent vollständig gebrochen . Insofern haben Sie Pappkameraden aufgestellt .
({1})
Ich sage noch einmal: Da es so große Bedenken gegen das CETA-Abkommen gibt, wollen wir als Linke,
dass erst die Parlamente zustimmen, und erst dann kann
es umgesetzt werden . Aber Sie wollen es erst umsetzen
und dann die Parlamente beteiligen . Das ist in einer Demokratie der ganz falsche Weg .
({2})
Dass man das Ihnen als Parlamentarier erklären muss, ist
eigentlich eine Schande .
({3})
Es besteht sowieso die Frage, warum man die vorläufige Anwendung überhaupt will; denn ich glaube, die
vorhandene Zeit eröffnet uns doch alle Möglichkeiten .
Da wird immer gesagt, man brauche Sicherheit . Auch
da ist das Argument, man würde, wenn man CETA und
TTIP nicht zustimmte, eventuell unsere Exportchancen
verringern . Herr Ernst hat schon darauf hingewiesen: Wir
sind Exportvizeweltmeister; denn unsere Produkte sind
weltweit gefragt - ohne und mit Abkommen . Wir lassen
nicht zu, dass die Demokratie nur noch marktkonform
gestaltet wird, dass wir sozusagen alles akzeptieren müssen, was die Wirtschaftskonzerne uns vorschreiben . Aber
leider sind die CDU/CSU und die SPD da auf einem völlig falschen Weg .
({4})
Wir als Linke betrachten uns als Partner der außerparlamentarischen Bewegung . Deshalb waren wir am Samstag bei der Demo dabei . Wir sagen: Der Widerstand ist
toll, und er muss weitergehen . Noch ist nichts verloren .
Ich finde es auch gut, dass man in gewissen Bundesländern mit Volksabstimmungen Druck ausüben will . Auch
das ist notwendig . Denn eines ist auch klar: Würde man
CETA einer Volksabstimmung unterwerfen, wäre der
Spuk ganz schnell vorbei - bei TTIP sowieso .
({5})
Aber wer - wie CDU/CSU und SPD - gegen das Volk regieren will, ist natürlich auch gegen Volksabstimmungen .
({6})
Der Druck muss aufrechterhalten werden . Wir sind als
Linke vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um
gegen die vorläufige Anwendung zu klagen. Der Druck
geht weiter . Ich glaube, wer für TTIP und CETA ist - wie
die SPD, wie die CDU/CSU -, wird bei der nächsten
Bundestagswahl große Probleme bekommen . Deshalb:
Macht weiter auf der Straße! Wir machen weiter mit den
Grünen hier im Parlament .
({7})
Als nächster Redner hat Axel Schäfer von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer wie Sie, Kollege Ulrich, einmal beschlossen hatte,
aus der SPD auszutreten, der hat keine politische Legitimation mehr, sich auf Willy Brandt zu beziehen . So einfach ist das .
({0})
Wer die SPD kritisiert - was völlig legitim ist -, der sollte zumindest darauf hinweisen: Wir haben über Monate
hinweg in allen Gliederungen unserer Partei und zum
Schluss auf einem Konvent um Positionen gerungen, wir
haben uns ausgetauscht, und wir haben uns auch an Demonstrationen beteiligt . Wir haben - wie keine andere
Partei in Deutschland - in einem demokratischen Verfahren unsere Position gefunden . Darauf sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - auch wenn es
unterschiedliche Positionen gibt - gemeinsam stolz .
({1})
Der zweite Punkt . Ich habe mich gemeinsam mit
Michael Roth und anderen 2005 für eine Grundgesetzänderung hin zu mehr direkter Demokratie eingesetzt;
davon müssen wir auch nichts zurücknehmen . Aber eines
ist auch klar: Bestimmte Themen darf man nicht verabsolutieren . Wer glaubt, nur mit Volksbefragung oder Volksabstimmung alle Konflikte und alle Sachfragen in einer
Demokratie lösen zu können, der wird am Ende dort landen, wo die britischen Konservativen landeten . Weil sie
als Partei gespalten waren, haben sie das Land gespalten .
Das kann man am Ergebnis der Brexit-Abstimmung sehen .
({2})
Ich war bisher davon ausgegangen, dass niemand in diesem Hause - das gilt für die Linkspartei, genauso wie für
CDU/CSU, SPD und die Grünen - dafür war, so etwas
Hubertus Heil ({3})
wie den Brexit auszulösen . Auch das sollten wir an dieser
Stelle deutlich unterstreichen .
({4})
Ich habe, wie viele in diesem Haus - meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, aber natürlich auch
meiner eigenen Partei und der Partei Die Linke waren
dabei, zum Teil auch Christdemokraten -, in den letzten
Jahrzehnten an einer Menge Demonstrationen teilgenommen; dazu stehe ich, das halte ich auch im Nachhinein für
richtig . Ich habe gegen Atomkraft, gegen Nachrüstung,
gegen Rechtsextremismus
({5})
und auch gegen den Irakkrieg demonstriert . Es ging immer um harte Fakten: um Kriegsfragen, um Radioaktivität oder um ermordete Menschen . Wir haben diskutiert
und uns solidarisiert .
Jetzt haben wir es zum ersten Mal mit einer Bewegung
zu tun, in der nicht harte Fakten im Mittelpunkt stehen,
sondern Sorgen und Ängste . Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist am Ende ganz simpel:
({6})
Wem vertrauen wir in diesem Verfahren? Vertrauen wir
denjenigen im Europäischen Parlament, im Bundestag,
in der EU-Kommission und natürlich auch in der Bundesregierung - alle diese Gremien sind demokratisch legitimiert; das hat den Charme, dass wir ihre Vertreter öffentlich hierher zitieren können, dass wir uns einklinken
können, dass wir sie kritisieren können; im schlimmsten
Fall kann man Leute auch abwählen -, oder vertrauen
wir denen, die eine bestimmte Expertise haben, die aber
nirgendwo und von niemandem kontrolliert und zur Rechenschaft gezogen werden oder gar abgewählt werden
können?
({7})
Ich bin entschieden dafür - ich sage das trotz aller Kritik -, dass wir die parlamentarische Demokratie und auch
die Parteiendemokratie - das heißt, uns selbst - ernst
nehmen und dass wir die damit verbundenen Möglichkeiten entsprechend nutzen .
Ein letzter Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen . Da
wir über CETA reden: Was trennt uns eigentlich von Kanada? Nur der Atlantik . Sie sind genauso wie wir . Sie haben die gleiche Struktur, sie haben sogar die Todesstrafe
abgeschafft .
({8})
- Ja, sie haben die Todesstrafe abgeschafft, andere Länder nicht . - Dass wir mit so einem Land demokratische
Abkommen auf Augenhöhe abschließen, um etwas Gutes
zu bewegen - nicht nur in der EU, sondern auch beispielgebend im Welthandel -, dafür lohnt es sich zu kämpfen .
Wir müssen diese Diskussion im Deutschen Bundestag
und im Europäischen Parlament heute und in den nächsten Jahren führen .
({9})
Als nächste Rednerin hat Britta Haßelmann von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir müssen hier keine Grundsatzdebatten
über Freihandel führen . Ja, auch unsere Fraktion weiß,
dass es in der Weltgemeinschaft und in der Europäischen
Gemeinschaft sehr wichtig ist, dass wir Regeln für fairen
Handel haben - aber eben für fairen Handel ({0})
und dass wir bestimmte Risiken ausschließen . Darum
geht es gerade, Axel Schäfer, und nicht um das Universum oder eine Intoleranz gegenüber europäischen Institutionen . Die nehmen wir nämlich sehr wichtig und sehr
ernst .
({1})
Ihre heutige Stellungnahme zum Artikel 23 des
Grundgesetzes ist ein klares Ja - ohne Wenn und Aber zu CETA .
({2})
Es reicht mir einfach, dass die Sozialdemokratie so tut,
als wäre das nicht der Fall . Das darf man Ihnen nicht
durchgehen lassen .
({3})
Sie erzählen hier das Märchen vom Schutz der Daseinsvorsorge .
({4})
Meine Damen und Herren, seit über einem Jahr bemühen
wir uns darum und sagen: Bundeswirtschaftsministerium, kümmere dich; die Daseinsvorsorge ist im Vertragsentwurf nicht gesichert!
({5})
Das wurde abgeschwächt, geleugnet, negiert . Guckt euch
die deutsche Übersetzung des Vertrages an . Ich könnte so
viele Zitate aus Zuschriften vortragen, die uns erreichten, weil sich keiner von Ihnen mit der Daseinsvorsorge,
die für die Kommunen so wichtig ist, auseinandersetzen
wollte .
Und dann, plötzlich, taucht im Konventsbeschluss der
SPD doch der Zweifel auf . Da heißt es in einem Kapitel:
Zudem soll die öffentliche Daseinsvorsorge aus dem
Streitschlichtungsmechanismus herausgenommen
werden .
({6})
Axel Schäfer ({7})
Ja, Sie haben es erfasst . Das ist ein zentrales Problem .
Genau das wäre nötig gewesen; aber genau das machen
Sie nicht .
({8})
Mit Ihrer Stellungnahme und dadurch, dass Sie das so
laufen lassen, verhindern Sie, dass hier Klarheit geschaffen wird, dass wir eine Generalausnahme für die öffentlichen Dienstleistungen und die öffentliche Daseinsvorsorge bekommen, dass wir die Chance haben, aus diesen
blöden Negativlisten mit Anhängen eine Positivliste zu
machen, oder dass wir die Daseinsvorsorge ganz aus dem
Investitionsschutz nehmen . Der Zug ist mit der heutigen
Entscheidung abgefahren . Und keiner weiß das so genau
wie Herr Gabriel und Sie .
({9})
Deshalb regt es mich auf, dass Sie den Leuten hier
etwas anderes zumuten und erklären . Ihre Klarstellungen
auf dem Konvent sind sehr ernst gemeint gewesen . Ich
kenne viele Kommunalos, auch von der SPD, die sich
Sorgen machen um die Daseinsvorsorge . Aber Sie sichern sie nicht ab, sondern tun so, als wäre durch ein paar
klarstellende Beschlüsse plötzlich die Daseinsvorsorge
gesichert . Wo soll das denn herkommen, meine Damen
und Herren?
({10})
Haben Sie die Reaktion von Hubertus Heil auf die
Frage meiner Kollegin Annalena Baerbock gehört? Erst
sollte das Europäische Parlament das regeln . Jetzt ist es
plötzlich der Europäische Rat oder, nein, es sind die europäischen Minister .
({11})
Wer soll denn die ganzen Bedingungen zur Daseinsvorsorge herausnehmen, was notwendig wäre?
Gerade das Thema Wasserversorgung ist ein hochriskantes Thema im Bereich der Daseinsvorsorge . Gucken
Sie sich die Gutachten an, wenn Ihnen Ihr Wirtschaftsminister das schon nicht erklärt .
({12})
Wir haben eine Stellungnahme von Silke Laskowski
zur Wasserwirtschaft . Professor Krajewski und Professor Nettesheim, alle warnen davor, was mit den öffentlich-rechtlichen Rechten passiert . Dazu sagt uns die
Bundesregierung: Ja, schwierig wird es, wenn es offensichtlich unverhältnismäßige Beschlüsse in den Kommunen gibt . - Was sind denn „offensichtlich unverhältnismäßige Beschlüsse in den Kommunen“? Was für ein
Risiko für alle Leute, die vor Ort kommunalpolitisch aktiv sind! Wie sollen die so was durchblicken?
Frau Kollegin Haßelmann, ich muss Sie bitten, zum
Schluss zu kommen .
Sie stehen einer Schiedsgerichtsbarkeit und großen
Investoren gegenüber . Das ist doch ein hohes Risiko,
das zur Verunsicherung vor Ort führt . Man darf es Ihnen
nicht durchgehen lassen, dass Sie den Leuten erzählen,
das wäre gesichert .
({0})
Als nächste Rednerin hat Barbara Lanzinger von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger! Wir
führen heute eine wichtige Debatte .
({0})
Das liegt sicherlich nicht daran, dass wir sie nicht schon
vielfach geführt hätten . Das liegt sicherlich auch nicht
daran, dass die Argumente nicht längst ausgetauscht sind .
Diese Debatte ist wichtig, um der Öffentlichkeit noch
einmal deutlich zu zeigen, was für ein gefährliches Spiel
Sie von den Linken und von den Grünen hier treiben, und
zwar fernab von den Ergebnissen des ausverhandelten
Vertragstextes von CETA, der uns allen vorliegt .
Außer Fundamentalopposition bieten Sie nichts an .
Sie haben keine Lösungen parat . Sie schenken den Fakten keine Beachtung . Dafür steht ein Satz sinnbildlich,
der von linker Seite und auch im Rahmen der Kampagnen in letzter Zeit immer wieder zu hören ist: CETA
stoppen, denn CETA ist TTIP durch die Hintertür .
({1})
Dieser Satz ist sinnbildlich für die Debatte . Das ist aus
meiner Sicht brandgefährlich,
({2})
weil Sie subtil Ängste und Unsicherheit in der Bevölkerung schüren und sich in dieser Rolle auch noch gefallen .
Es geht Ihnen nicht wirklich um Inhalte . Es geht Ihnen
nicht darum, was als Verhandlungsergebnis bei CETA am
Ende steht und was in den Nachverhandlungen herausgekommen ist . Es geht Ihnen darum, dagegen zu sein, und
es geht Ihnen auch darum, TTIP zu stoppen .
({3})
Sie haben es vorhin selber gesagt: Sie wollen einfach nur
Widerstand und Druck aufbauen . Das hat mit Demokratie nichts zu tun .
({4})
Das vollkommen Paradoxe an der Sache ist: Es gibt
noch kein TTIP-Abkommen . Es gibt Verhandlungen .
Aber für Sie zählt nur, dagegen zu sein . Darum geht es
Ihnen . Wie würde sich unsere Demokratie entwickeln,
wenn wir nicht mehr über die Sache diskutieren, wenn
es nicht mehr um Fakten geht? Jeder Zuhörer und jede
Zuhörerin kann sich vorstellen, wohin das führen würde .
Wir leben in Zeiten großen Umbruchs . Wegen der internationalen Konflikte haben wir große Herausforderungen in Europa und in Deutschland . Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sind verunsichert . Das nehmen
wir sehr ernst . Deshalb müssen wir erklären, was wir mit
CETA wollen, was CETA macht und was es nicht macht .
Am Ende - nicht heute - entscheiden wir in unserer parlamentarischen Demokratie .
Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Linken, die
Grünen und einschlägige Kampagnenbetreiber wollen
nicht aufklären . Sie suggerieren den Menschen: Achtung,
die gewählten Volksvertreter wollen euch nur Böses . Durch diese Kampagnen wird vor allem eines gemacht:
Ängste werden geschürt und Klischees werden bedient .
Die Menschen werden zutiefst verunsichert . Vertrauen
geht kaputt .
({5})
Demokratie lebt aber von Vertrauen und nicht vom mutwilligen Schüren von Angst .
({6})
Manche Punkte, anhand derer gezeigt werden soll,
wie schlecht CETA ist, werden gebetsmühlenartig wiederholt, zum Beispiel Schiedsgerichtsbarkeit und Daseinsvorsorge .
({7})
Ich wiederhole jetzt einmal drei Fakten .
Erstens: Schiedsgerichte . Es ist verändert worden .
({8})
Es gibt keine privaten Schiedsgerichte mehr . Durch
CETA gibt es die alten Investor-Staat-Schiedsverfahren
nicht mehr . Es ist gelungen, sich mit Kanada auf ein
reformiertes modernes System zu einigen, sprich: Beilegung von Investitionsschutzstreitigkeiten durch ein öffentlich legitimiertes Investitionsgericht .
Zweitens: Daseinsvorsorge . Die öffentlichen Dienstleistungen und die Daseinsvorsorge werden durch CETA
geschützt . Auch weiterhin liegt die öffentliche Versorgung, beispielsweise mit Wasser, Bildung, Kultur, Energie und Dienstleistungen, in der Hand der Mitgliedstaaten und der EU. CETA enthält keine Verpflichtung zur
Privatisierung dieser Bereiche .
Drittens: Mittelstand . Von den Regelungen in CETA
werden vor allem kleine und mittelständische exportorientierte Unternehmen profitieren, insbesondere unsere
Elektroindustrie und unser Maschinenbau . Denn im Kern
geht es bei CETA darum, technische Handelshemmnisse
abzubauen, die den gegenseitigen Handel vor allem kleinerer Unternehmen erschweren . Ich kann nur betonen:
Wenn Sie uns das nicht glauben, fragen Sie die exportierenden Mittelständler .
Sie kennen uns in der CSU . Wir können sehr direkt
und auch ungemütlich sein . Wir wollten CETA nicht um
jeden Preis . Es war uns wichtig, genau hinzuschauen,
und es wurde nachverhandelt . Auch wir wollen Risiken
ausschließen . Das ist der Grund, warum die Verhandlungen nicht, wie geplant, zwei Jahre, sondern fünf Jahre
gedauert haben . Unser Ziel war ein Abkommen, das innerhalb unserer politischen und gesellschaftlichen Leitplanken liegt . Das ist uns, denke ich, mit CETA bisher
erfolgreich gelungen . Wir setzen hohe Standards und
verbessern gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation
zwischen der EU und Kanada .
Wenn wir CETA zum Schluss der Verhandlungen ablehnen würden, würden wir uns damit keinen Gefallen
tun . Im Gegenteil: Wir würden all denen helfen, die nicht
wollen, dass Deutschland und Europa stark sind und weiter stark bleiben .
({9})
Wir können uns dafür entscheiden, die Globalisierung
selbst zu gestalten, oder wir verkriechen und verstecken
uns und warten ab, was kommt . Das ist mit uns nicht zu
machen . Wir wollen selbst gestalten .
({10})
Wir wollen selbst verhandeln, und wir wollen selbst bestimmen . Ich entscheide auch gern selbst darüber und
lasse nicht andere darüber entscheiden . Heute sprechen
wir über CETA, nicht über TTIP .
Die Fundamentalopposition der Linken und der Grünen schadet den Bürgerinnen und Bürgern Europas und
Deutschlands . Daher lehnen wir ihre Anträge ab, und wir
bitten um die Zustimmung zu dem Antrag der Koalition .
Danke für diesen gemeinsamen Antrag .
Danke schön fürs Zuhören .
({11})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nina Scheer
das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren haben wir
vermehrt über Freihandel diskutiert, und wir haben dabei erkannt, dass es eine Kehrtwende geben muss: dass
das Primat der Deregulierung keine Antwort auf die Herausforderungen des Welthandels sein kann und dass der
Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen für sich genommen nicht gemeinwohlfördernd ist . Es braucht also
immer ein Korrektiv, weil sonst der freie Markt eben
nicht die Gemeinwohlverpflichtung erfüllt.
Unter diesen Vorzeichen stehen die Diskussionen um
TTIP und CETA . TTIP hat die Diskussion nicht überlebt;
die Verhandlungen über CETA waren schon sehr weit
fortgeschritten . Aber wir haben gesehen, dass die Erwartungshaltung der Bevölkerung über die letzten Monate
zunehmend stärker wurde, einen gesunden Ausgleich
zwischen dem Interesse einer globalisierten Welt, die auf
Handel und Investitionen angewiesen ist, und den Gemeinwohlinteressen herzustellen .
({0})
Die Diskussionen um die Freihandelsabkommen gerade in Bezug auf TTIP und CETA haben aber auch gezeigt - damit möchte ich auch noch einmal an das Referendum der Briten erinnern -, dass wir dringend eine
Stärkung der repräsentativen Demokratie und der Parlamente brauchen .
Die Fortentwicklung von Freihandels- zu Handelsverträgen, zu Fairhandel statt Freihandel ist auch auf
strukturelle Änderungen angewiesen . Bei CETA wurde
dies bereits während der Rechtsförmlichkeitsprüfung
exerziert . Mit dem Diskurs in unserer Partei und den
breiten Forderungen aus der Zivilgesellschaft gab es bereits elementare Veränderungen, obwohl dies am Anfang
immer als ausgeschlossen galt . Strukturelle Änderungen
sind also möglich, wenn wir den demokratischen Diskurs
ernst nehmen .
Insofern möchte ich kurz auf den Konventbeschluss
meiner Partei eingehen . Mit dem Konventbeschluss der
SPD vom Montag dieser Woche hat meine Partei eine
Bewertung und Analyse von CETA in der heutigen Form
vorgenommen . Der Beschluss erklärt klipp und klar, an
welcher Stelle noch Handlungsbedarf gesehen wird, um
CETA fair auszugestalten und zukunftsfähig zu machen .
Das war die Arbeit der SPD, es war die Arbeit einer Partei . Parteien sind fester Bestandteil unserer Verfassung
und unserer Demokratie . Das müssen wir ernst nehmen,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Der Konventbeschluss setzt auf eine interessengerechte Einordnung des Investitionsschutzes . Er verlangt
die Wahrung des Vorsorgeprinzips . Das ist auch eine
Erwartung in der Stellungnahme der Regierungsfraktionen . Der Konventbeschluss setzt sich kritisch mit dem
Negativ listenansatz auseinander, der zu keiner unkontrollierten Liberalisierung führen darf . Weitere Punkte
werden auch noch genannt .
Mitnichten ist der Konventbeschluss vom Montag
eine Zustimmung zu CETA in der heutigen Form .
({2})
In diesem Lichte steht übrigens auch, sehr geehrter Herr
Fuchs - Herr Fuchs ist nicht mehr da -, unsere gemeinsame Stellungnahme . Es stimmt nicht, dass heute eine Zustimmung erfolgen würde, und es stimmt auch nicht, dass
dies ohne Wenn und Aber erfolgen würde . Das ist einfach
keine korrekte Darstellung der heutigen Situation .
({3})
Vor uns liegen Schritte, die für CETA formal erst einmal nicht vorgesehen waren, die es im bevorstehenden
Prozess erst noch zu entwickeln gilt . Aber eben das ist
doch die Veränderung, die wir auch für Europa brauchen,
insbesondere bei solch umfassenden Abkommen mit
solch weitreichenden Konsequenzen .
Wir mussten erkennen, dass die EU-Kommission allein nicht zu ratifizierungsfähigen Abkommen und Einigungen kam; auch das ist eine Erkenntnis aus diesem
Prozess . Ebendiesen Prozess, die Stimme der Parlamente
zu stärken, müssen wir in Europa und für Europa aktiv
einfordern . Von alleine passiert das nicht . Strukturell gesehen muss ich sagen: Hier ist der Weg das Ziel .
Ich komme zum Schluss . Wir sollten jede Gestaltungsoption, sowohl über rechtsverbindliche Vereinbarungen
als auch im anschließenden parlamentarischen Ratifikationsprozess, nutzen, um CETA an die heutigen handelspolitischen Aufgaben anzupassen, insbesondere in
Orientierung an den UN-Nachhaltigkeitszielen und den
Klimaschutzvereinbarungen von Paris . Übrigens: Heute
ratifizieren wir diese hier im Deutschen Bundestag.
Vielen Dank .
({4})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat
Dr . Matthias Miersch von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe im August dieses Jahres ein Papier vorgelegt, in dem ich fünf Punkte aufgezählt habe, bei denen
ich den Eindruck habe, dass wir mit CETA große Probleme haben .
({0})
Nichts von dem, was ich dort aufgeschrieben habe, nehme ich heute zurück .
({1})
Aber ich weise darauf hin: All diejenigen, die dieses Papier zitieren, müssen es vollständig zitieren . Denn ich
habe in diesem Papier auch einen Brückenschlag zwischen den Gegnern und den Befürwortern vorgeschlagen, indem ich auf das parlamentarische Verfahren verwiesen habe .
Warum? Weil ich glaube, lieber Klaus Ernst und liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass wir hier
aufpassen müssen . Denn was ihr nicht erwähnt, ist die
augenblickliche Ausgangslage in der Europäischen Union . Mit Ausnahme von Österreich, Belgien und Deutschland - und vielleicht noch einigen kleinen Ländern - sind
momentan alle Staaten für das CETA-Abkommen . Was
haben wir in diesem Parlament für Debatten geführt, weil
Sie von den Linken und den Grünen der Bundeskanzlerin
vorgeworfen haben, Europa mit ihrer Austeritätspolitik
kaputtzumachen! Ich finde, diese Sensibilität sollten wir
auch bei diesen Themen walten lassen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({2})
Uns muss klar sein: Wenn wir in der Demokratie etwas verändern wollen, dann müssen wir werben . Das
geht nicht, indem man nur Ja und Nein sagt, sondern
man muss in den vorhandenen Diskurs eintreten . Liebe
Annalena Baerbock, ich empfehle dir den guten Aufsatz
von Herta Däubler-Gmelin, der ehemaligen Bundesjustizministerin, der vor drei Wochen in der Wochenendbeilage der taz erschienen ist, in dem sie geschrieben
hat: Es ist eine Chance für die Parlamente, sich jetzt zu
emanzipieren, gerade eine Chance für das Europäische
Parlament .
({3})
Deswegen sage ich: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg .
Mein Papier habe ich umsonst angefertigt . Wenn jemand Tipps haben will, wie das im Europäischen Parlament gehen könnte, gebe ich nächstes Mal eine Honorarnote aus .
Zum Konvent . Herr Ulrich, wenn Sie hier behaupten,
wir hätten zugestimmt, sage ich Ihnen: Lesen Sie bitte
dieses Papier! Der Konvent hat eindeutige Bedingungen
gestellt .
({4})
Er hat vor allen Dingen einen Weg aufgezeigt, von dem
ich jetzt ausgehe . Dankenswerterweise ergibt sich auch
aus der Stellungnahme, die wir heute verabschieden, dass
das Europäische Parlament mit der Zivilgesellschaft und
den nationalen Parlamenten in einen Diskurs eintreten
kann, um Lösungsansätze zu entwickeln und Konfliktthemen auszuräumen . Warum haben wir nicht den Mumm,
das zu tun? Campact ist schon viel weiter; denn dort hat
man alle Parlamentarier angeschrieben . Insofern: Setzen
wir doch auf die Kraft der Parlamente, liebe Kolleginnen
und Kollegen!
({5})
Weil wir dem Europäischen Parlament noch eine Stellungnahme werden übermitteln müssen, ist meine Bitte,
dass wir ab Oktober dieses Jahres überlegen: Warum
bilden wir nicht eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, die
diese Stellungnahme themenübergreifend und ausschussübergreifend vorbereitet? Dann können wir schon einmal
hier im Diskurs miteinander ringen und vielleicht fraktionsübergreifend eine starke Stimme in diesem parlamentarischen Verfahren erheben .
({6})
Am Ende - auch das sage ich hier eindeutig - wird ein
Ergebnis stehen, und wir werden an ihm messen können,
ob unsere Erwartungen erfüllt wurden oder andere sich
durchgesetzt haben . Danach hat jeder Parlamentarier egal ob im Europäischen Parlament oder im Deutschen
Bundestag - die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen . Bis
dahin, finde ich, sollten wir aber miteinander um den besten Weg ringen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu-
nächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/9665 mit dem Titel „Ge-
meinwohl vor Konzerninteressen - CETA stoppen - hier:
Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß
Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes“ . Die Fraktion
Die Linke hat namentliche Abstimmung beantragt .
Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch
auf zwei Sachverhalte hinweisen:
Zum einen möchte ich darauf hinweisen, dass mir eine
ganze Reihe von Erklärungen zur Abstimmung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vorliegt . Diese Erklärungen
beziehen sich zum Teil auf alle drei folgenden Abstim-
mungen, zum Teil aber auch nur auf eine Abstimmung .1)
Zum Zweiten möchte ich Sie darauf hinweisen, dass
wir im Anschluss noch weitere einfache und zwei na-
mentliche Abstimmungen durchführen werden .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer jetzt,
ihre Plätze einzunehmen, und es wäre schön, wenn die
anderen Kollegen sich noch einen Moment gedulden
würden, weil wir dann ganz schnell sehen können, ob
alle Schriftführerinnen und Schriftführer schon an ihren
Plätzen sind . Ansonsten wird das ein bisschen schwie-
rig . - Hinten links ist die Urne noch nicht besetzt, und
hier rechts, neben der Regierungsbank, fehlt noch die
Opposition . Daran, dorthin eine Vertreterin bzw . einen
Vertreter zu schicken, sollte gerade sie ein besonderes In-
teresse haben, wenn ich das einmal so sagen darf . - Nun
sind alle Plätze besetzt . Dann eröffne ich hiermit die Ab-
stimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses hier im Plenarsaal,
das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich
später bekannt .2)
Jetzt darf ich um Aufmerksamkeit bitten . Wir kommen
zum Tagesordnungspunkt 6 b . Dabei geht es zunächst um
eine Abstimmung im üblichen Verfahren . Später haben
wir wieder namentliche Abstimmungen . Deshalb bitte
ich darum, die Plätze wieder einzunehmen, damit wir
vom Präsidium aus einen Überblick gewinnen können,
wie die einzelnen Fraktionen sich beim Abstimmen ver-
halten .
1) Anlagen 2 bis 10
2) Ergebnis Seite 18800 C
Beim Tagesordnungspunkt 6 b geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens
verweigern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9697, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8391
abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt,
den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 6 c . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9703, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/9030 abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist damit mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die Unterzeichnung - im Namen der Europäischen Union - des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({0}) zwischen Kanada
einerseits und der Europäischen Union
und ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({1}) 444 endg.; Ratsdokument
10968/16
und
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die vorläufige Anwendung des
umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({2}) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({3}) 470 endg.; Ratsdokument
10969/16
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Comprehensive Economic and Trade Agreement ({4}) - Für freien und fairen Handel
Drucksache 18/9663
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/9663 . Es ist namentliche Abstimmung verlangt .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
schon eingenommenen Plätze beizubehalten bzw . noch
einmal einzunehmen . Ich bitte darum, mir einen Hinweis
zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsurnen alle
besetzt sind . - Darf ich fragen, ob alle Abstimmungsur-
nen besetzt sind? - Das ist der Fall . Dann eröffne ich die
Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/9663 .
Gibt es jemanden im Hohen Hause, der seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? - Ich sehe niemanden
mehr . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte auch
hier die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird, wie üblich,
später bekannt gegeben .1)
Wir kommen jetzt zu einer weiteren namentlichen
Abstimmung und dann zu einer Reihe weiterer Abstim-
mungen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 c
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die Unterzeichnung - im Namen der Europäischen Union - des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({5}) zwischen Kanada
einerseits und der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({6}) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16
und
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des
Rates über die vorläufige Anwendung
des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens ({7}) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union
und ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM({8}) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Comprehensive Economic and Trade Agreement ({9}) ablehnen
Drucksache 18/9621
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({10}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1) Ergebnis Seite 18803 A
Vizepräsident Johannes Singhammer
Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen
Drucksachen 18/6201, 18/9701
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen . Ich darf um
Ihre Aufmerksamkeit bitten . Wie alle wissen, sind das
sehr wichtige Abstimmungen .
Tagesordnungspunkt 39 a . Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/9621 mit dem eben genannten Titel . Wir stimmen
über diesen Antrag auf Verlangen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentlich ab .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen, soweit sie nicht ohnehin eingenom-
men sind . - Alle Plätze sind besetzt . Dann eröffne ich die
Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/9621 .
Gibt es noch jemanden, der seine Stimme nicht abge-
geben hat? - Ich sehe niemanden und schließe daraus,
dass alle ihre Stimme abgegeben haben . Ich schließe die
Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis werden wir später bekannt geben .1)
Ich bitte, Platz zu nehmen .
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 39 c .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Dem
CETA-Abkommen so nicht zustimmen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9701, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/6201 abzulehnen . Wer für
diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke .
Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Tagesordnungs-
punkten mit Abstimmungen . Ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 43 a bis 43 i sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 e
auf . Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen - das sind die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 i
sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d -:
43 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes und zur Änderung weiterer Gesetze
Drucksache 18/9231
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({11})
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Strafrechtsübereinkommen
des Europarats vom 27. Januar 1999 über
1) Ergebnis Seite 18806 A
Korruption und dem Zusatzprotokoll
vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption
Drucksache 18/9234
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({12})
Innenausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche
sowie Ermittlung, Beschlagnahme und
Einziehung von Erträgen aus Straftaten
und über die Finanzierung des Terrorismus
Drucksache 18/9235
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({13})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur
Beherrschung der Gefahren schwerer
Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung
der Richtlinie 96/82/EG des Rates
Drucksache 18/9417
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({14})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes
Drucksache 18/9466
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung
des Bundesnachrichtendienstes
Drucksache 18/9529
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({16})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes
Drucksache 18/9531
Vizepräsident Johannes Singhammer
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({17})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke - Die Brennelementesteuer muss
bleiben
Drucksache 18/9124
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({18})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Längere Lebensdauer für technische Geräte
Drucksache 18/9179
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({19})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ({20}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken
Drucksache 18/7654
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({21})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz bei vegetarischen und
veganen Produkten schaffen
Drucksache 18/9057
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr
öffentliche Sicherheit
Drucksache 18/9674
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Renate Künast, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Internationale rechtliche Zusammenarbeit
stärken und ausbauen
Drucksache 18/9675
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({22})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Jedenfalls
gibt es niemanden, der dagegen wäre . Dann ist das der
Fall . Die Überweisungen sind so beschlossen .
Wir kommen jetzt zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist, zu Zusatzpunkt 4 e:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Omid Nouripour, Dr . Franziska Brantner,
Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Syrien - Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern
Drucksache 18/9687
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({23})
Auswärtiger Ausschuss ({24})
Federführung strittig
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9687 mit dem Titel „Syrien - Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern“ an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Fraktionen
von CDU/CSU und SPD wünschen aber Federführung
beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss .
Ich lasse zunächst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Ziel: Federführung beim Auswärtigen Ausschuss .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . - Der
Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem
Ziel: Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen
Vizepräsident Johannes Singhammer
sehe ich keine . - Dieser Überweisungsvorschlag ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 g
sowie den Zusatzpunkt 5 auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 44 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung
Drucksache 18/8497
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({25})
Drucksache 18/9692
Der Gesetzentwurf dient der Einbeziehung der musealen und wissenschaftlichen Betreuung des Bismarck-Museums Schönhausen in den Geltungsbereich des Gesetzes
über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung .
Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9692,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8497 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und dem
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen sehe ich keine . - Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke .
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 44 b bis 44 g .
Tagesordnungspunkt 44 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 351 zu Petitionen
Drucksache 18/9578
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 351 ist damit mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 352 zu Petitionen
Drucksache 18/9579
Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand . Die Sammelübersicht 352 ist mit allen Stimmen
des Hohen Hauses angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 353 zu Petitionen
Drucksache 18/9580
Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 353 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 354 zu Petitionen
Drucksache 18/9581
Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand . Die Sammelübersicht 354 ist mit allen Stimmen
des Hohen Hauses angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 355 zu Petitionen
Drucksache 18/9582
Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 355 ist mit den Stimmen der CDU/CSU und
der SPD sowie von Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 356 zu Petitionen
Drucksache 18/9583
Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand .
Die Sammelübersicht 356 ist mit den Stimmen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke sowie von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({32})
Vizepräsident Johannes Singhammer
zu dem Streitverfahren 2 BvE 2/16 vor
dem Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/9691
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellung-
nahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen
Prozessbevollmächtigten zu bestellen . Wer für diese Be-
schlussempfehlung stimmt, den bitte ich um das Hand-
zeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von
Menschen mit Behinderungen ({33})
Drucksache 18/9522
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({34})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna
Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Mit dem Bundesteilhabegesetz volle Teilhabe
ermöglichen
Drucksache 18/9672
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({35})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
({36})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn dieser Aussprache der Bundesministerin Andrea Nahles das
Wort .
({37})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Bundesteilhabegesetz wollen wir nicht mehr
und nicht weniger als einen Quantensprung schaffen .
Wir gehen den Schritt von der Fürsorge zur Teilhabe und
auch ein Stück von der Politik für Menschen mit Behinderungen zur Politik mit Menschen mit Behinderungen .
({0})
Ein deutliches Anzeichen dafür ist die öffentliche Debatte, die in den letzten Wochen und Monaten rund um
den Entwurf der Bundesregierung geführt worden ist . Ich
sehe darin den Beleg für das gewachsene Selbstbewusstsein, für politisches Engagement und für den Willen, für
die eigenen Interessen vernehmlich und nachdrücklich
einzutreten . Ich nehme darin aber auch Unsicherheit
wahr: die Sorge betroffener Menschen und ihrer Familien, sie könnten durch das Gesetz etwas verlieren, was
sie sich vielleicht über Jahre von Behörden oder Trägern
hart erkämpft und mit viel Einsatz durchgesetzt haben,
das ihnen im Alltag unverzichtbar ist . Dazu möchte ich
allen, die uns heute zusehen oder zuhören und sich Sorgen machen, deutlich sagen: Niemandem soll es mit dem
Bundesteilhabegesetz schlechter gehen . Im Gegenteil:
Den meisten wird es - dessen bin ich mir sicher - besser
gehen .
({1})
Das ist nicht nur unser Ziel, sondern dafür werden auch
700 Millionen Euro an zusätzlichen Haushaltsmitteln zur
Verfügung gestellt .
Wenn sie fragen, wo es einfacher wird, dann können
wir den betroffenen Menschen klar die Punkte nennen,
wo sich ihr Leben im Alltag verbessert und wo es einfacher wird:
Erstens . Wer weiß, durch welchen Dschungel an unterschiedlichen Zuständigkeiten man sich bisher schlagen und hangeln musste,
({2})
um zu seinem Recht zu kommen, der weiß auch, welch
großer Schritt es ist und welch große Erleichterung es
für viele Menschen bedeutet, wenn künftig ein Antrag
reicht . Auch wenn Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialamt, Unfall-, Kranken- und Pflegekasse
weiter für unterschiedliche Leistungen zuständig sind: Es
braucht nur noch einen Antrag .
Bei Leistungen der Teilhabe stehen künftig die Menschen im Mittelpunkt . Es wird darum gehen, welche
Unterstützung sie brauchen und wollen . Wie es dann die
Träger hintereinander oder untereinander organisieren,
darum müssen sich die betroffenen Menschen nicht mehr
kümmern .
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, der vielen, die auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, auf den
Vizepräsident Johannes Singhammer
Nägeln brennt, der bis tief in das alltägliche Leben und
bis tief in die Beziehungen hineinreicht, in denen sie leben . Die Einkommen und Vermögen von Ehe- und Lebenspartnern werden künftig nicht mehr herangezogen .
Diese lebensfremde Regelung, die nicht nur bei der Aufnahme einer Arbeit hemmt, sondern von vielen schlicht
auch als Heiratshindernis empfunden wird, schaffen wir
ab .
({3})
Auch für eigenes Einkommen und Vermögen werden
die Freiräume um ein Vielfaches größer . In Zukunft wird
zudem ein Blick in den Einkommensteuer- oder Rentenbescheid ausreichen, um zu ermitteln, ob und in welcher
Höhe ein Eigenbetrag vonnöten ist . Sie müssen nicht
mehr und nicht weniger darlegen als jeder andere Steuerzahler .
Die dritte wichtige Verbesserung besteht in neuen
Chancen auf Arbeit, vor allem auch auf Arbeit im allgemeinen Arbeitsmarkt . Wir wollen mit den Budgets für
Arbeit Arbeitgeber dafür gewinnen, sich für Menschen
mit Behinderung zu entscheiden, ihnen eine Chance zu
geben . Außerdem bauen wir weitere Schranken zwischen
Werkstätten für behinderte Menschen und dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab . Damit wird es den Menschen, die
es wollen und können, möglich gemacht, den Schritt aus
der Werkstatt zu wagen . Wichtig ist aber, dass das auch
mit dem Recht verbunden ist, wieder in die Werkstatt zurückkehren zu können, wenn er nicht gelingt .
({4})
Wir wollen, um das klar zu sagen, Brücken bauen .
Auch wollen wir an dieser Stelle die Werkstätten nicht
grundsätzlich in Frage stellen . Für viele Menschen ist
das der richtige Ort . Für sie ist die Arbeit dort wichtig
und bedeutet Teilhabe . Deswegen haben wir gerade im
Bereich der Werkstätten für behinderte Menschen dafür
gesorgt, dass hier die Mitbestimmung deutlich verbessert und aufgewertet wird . Die Werkstatträte bekommen
neue Rechte . Sie können künftig in besonders wichtigen
Angelegenheiten - etwa wenn es um die Grundsätze der
Entlohnung geht - mitbestimmen . Und wir werden in
Werkstätten die Position einer Frauenbeauftragten schaffen, um Diskriminierung besser entgegentreten zu können . Leider ist das notwendig .
({5})
Außerdem wird es - das ist ein weiterer wichtiger
Punkt - ein vom Bund finanziertes Netzwerk unabhängiger Beratung geben . Das haben sich sehr viele gewünscht . Wir lösen es ein . Menschen mit Behinderungen
und ihre Angehörigen werden dort insbesondere durch
Menschen mit Behinderung beraten, also von Experten
in eigener Sache .
Viele Menschen mit Behinderungen und ihre Familien werden im Alltag wirklich spürbar entlastet . Dass das
möglich wird, war keine Selbstverständlichkeit . Die Formulierungen im Koalitionsvertrag sind an anderer Stelle
präziser und klarer gewesen - und die zusätzlichen Mittel, die 700 Millionen Euro, lagen auch nicht irgendwo
herum . Auch dafür mussten wir intensiv kämpfen, und
wir mussten gleichzeitig die Entlastungen der Kommunen um 5 Milliarden Euro unangetastet lassen .
Insofern bin ich sehr froh, dass wir das schaffen können; denn es ist wichtig, dass das ein Bundesgesetz ist .
Es ist genau wie bei allen anderen Gesetzen: Es ist ein
wichtiger Basispunkt, von dem aus sich das Ganze in den
nächsten Jahrzehnten hoffentlich weiterentwickelt und es
weiter vorangehen kann,
({6})
so wie es bei allen Sozialgesetzen war, die in dieser Republik und seit über 120 Jahren in Deutschland auf den Weg
gebracht worden sind . Wir können es wirklich schaffen,
weniger zu behindern und mehr möglich zu machen .
({7})
Das ist der Kern dieses Gesetzes . Es ist ein bundeseinheitliches Gesetz . Ich freue mich, dass es viele neue
Chancen geben wird .
Wenn nun viele Fragen und auch Sorgen im Raum
stehen - das ist ja wahr -, dann gibt es natürlich zwei
Möglichkeiten, mit Unsicherheit umzugehen: Die eine
ist, man macht aus Unsicherheit Angst und schürt die
Sorgen . Die andere Möglichkeit ist, man macht
({8})
aus Unsicherheit Sicherheit und schafft Zuversicht . Dafür möchte ich bei allen, die sich an dieser Debatte beteiligen, heute ausdrücklich werben .
({9})
Es ist ganz besonders in diesem Bereich sehr leicht, Menschen, die existenziell betroffen sind, mit fehlerhaften
oder unvollständigen Informationen sehr viel Angst zu
machen und sie zu verunsichern .
({10})
Ich jedenfalls sehe, dass die Menschen mit Behinderungen hier eine Tür öffnen können, hinter der vieles anders wird . Es gibt aber vor allem viele Chancen,
vieles wird möglich, was bisher nicht möglich war . Den
Blick darauf sollten wir uns nicht selbst verstellen . Das
parlamentarische Verfahren wird sicher intensiv genutzt
werden - das ist auch gut so -, und es wird zu intensiven Diskussionen und vielleicht auch zu weiteren Verbesserungen kommen . Das werde ich gerne aktiv begleiBundesministerin Andrea Nahles
ten . Ich bin überzeugt: Wir können wieder einen großen
Schritt vorankommen .
Vor 15 Jahren haben wir mit dem SGB IX den ersten
Schritt getan . Nun passieren wir mit dem Bundesteilhabegesetz wieder eine wichtige Wegmarke . Mit einem
modernen Teilhaberecht leisten wir einen wesentlichen
Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft .
Vielen Dank .
({11})
Bevor wir in der Aussprache fortfahren, möchte ich
die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmungen bekannt geben .
Zunächst kommen wir zum Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung, Drucksache 18/9665: abgegebene Stimmen 590 . Mit Ja haben gestimmt 60, mit Nein
haben gestimmt 516, Enthaltungen 14 . Der Antrag ist
damit abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon
ja: 60
nein: 516
enthalten: 14
Ja
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({0})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({1})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({2})
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({3})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({4})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({5})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({6})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({7})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({8})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({9})
Stefan Müller ({10})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({11})
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({12})
Ronja Schmitt
Nadine Schön ({13})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({14})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({15})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({19})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({21})
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({23})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({24})
Michelle Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({25})
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({26})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({28})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({29})
Matthias Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({33})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({34})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Volker Beck ({35})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({36})
Christian Kühn ({37})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({38})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Dirk Heidenblut
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Ulli Nissen
Detlev Pilger
Dr . Sascha Raabe
Gerold Reichenbach
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Harald Ebner
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Hans-Christian Ströbele
Wir kommen jetzt zum Ergebnis der zweiten nament-
lichen Abstimmung, Drucksache 18/9663: abgegebene
Stimmen 588 . Mit Ja haben gestimmt 449, mit Nein ha-
ben gestimmt 126, Enthaltungen 13 . Der Antrag ist damit
angenommen .1)
1) Anlage 11
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 450
nein: 126
enthalten: 13
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({39})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({40})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({41})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({42})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({43})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({44})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({45})
Stefan Müller ({46})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Vizepräsident Johannes Singhammer
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({47})
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({48})
Ronja Schmitt
Nadine Schön ({49})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({50})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({51})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({52})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({53})
Sabine Weiss ({54})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({55})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({56})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({57})
Hubertus Heil ({58})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({59})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Detlef Müller ({60})
Michelle Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({61})
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({62})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({63})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({64})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({65})
Matthias Schmidt ({66})
Dagmar Schmidt ({67})
Carsten Schneider ({68})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({69})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr . Thomas Gambke
Nein
SPD
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Rita Hagl-Kehl
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({70})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({71})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({72})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Volker Beck ({73})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({74})
Christian Kühn ({75})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({76})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Ulrike Bahr
Dirk Heidenblut
Klaus Mindrup
Bettina Müller
Ulli Nissen
Detlev Pilger
Dr . Sascha Raabe
Gerold Reichenbach
Swen Schulz ({77})
Ewald Schurer
Gülistan Yüksel
Ergebnis der dritten und letzten namentlichen Abstimmung, Drucksache 18/9621: abgegebene Stimmen 587 .
Mit Ja haben gestimmt 120 . Mit Nein haben gestimmt
459, Enthaltungen 8 . Der Antrag ist damit abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 120
nein: 459
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Josef Göppel
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({78})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({79})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Volker Beck ({80})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({81})
Christian Kühn ({82})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({83})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({84})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({85})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({86})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Vizepräsident Johannes Singhammer
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({87})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({88})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({89})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({90})
Stefan Müller ({91})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({92})
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({93})
Ronja Schmitt
Nadine Schön ({94})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({95})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({96})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({97})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({98})
Sabine Weiss ({99})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({100})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({101})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({102})
Hubertus Heil ({103})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({104})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({105})
Michelle Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({106})
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({107})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({108})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({109})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({110})
Matthias Schmidt ({111})
Dagmar Schmidt ({112})
Carsten Schneider ({113})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({114})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
({115})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Dirk Heidenblut
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Ulli Nissen
Detlev Pilger
Dr . Sascha Raabe
Gerold Reichenbach
Wir fahren jetzt in der Aussprache zum Bundesteilhabegesetz fort . Ich darf das Wort der Kollegin Katrin
Werner für die Fraktion Die Linke erteilen .
({116})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! 2013 hat die Bundesregierung einen Koalitionsvertrag vorgelegt und versprochen, Menschen mit
Behinderungen aus dem Fürsorgesystem herauszuführen und die Eingliederungshilfe in ein modernes Teilhabesystem zu überführen . Nach Jahrzehnten des Kampfes
von Menschen mit Behinderungen, Verbänden und Organisationen für ihre Rechte waren die Erwartungen und
Hoffnungen dementsprechend groß .
Es folgte ein riesiger Beteiligungsprozess - Sie haben ihn erwähnt, Frau Nahles -, der die Hoffnung auf
ein selbstbestimmtes Leben erblühen ließ . Alle warteten
praktisch wie die Katze vor dem Loch der Maus . Und
dann? Nachdem bereits Ende letzten Jahres rein zufällig,
sozusagen in der Straßenbahn, ein erster Arbeitsentwurf
gefunden wurde, ging mit der Veröffentlichung des Referentenentwurfs eine riesige Enttäuschung, ja sogar eine
halbe Schockstarre durchs Land . Unzählige Gespräche
und Anhörungen fanden sich in diesem Entwurf nicht
wieder . Man sprach von einer Pseudobeteiligung und
einem versuchten Betrug an Menschen mit Behinderungen . Es folgte eine Welle des Protests, die seit der Veröffentlichung des heute hier vorliegenden Gesetzentwurfs
kein Ende mehr nimmt . Betroffene und Aktivisten äußern
seit Monaten in der ganzen Bundesrepublik ihren Unmut .
Sie bezeichnen diesen Gesetzentwurf als Schlag ins Gesicht von Menschen mit Behinderungen . Selbst aus Reihen der SPD kommt Kritik . Die Behindertenbeauftragte
Verena Bentele meint:
Damit das Gesetz diesem Ziel auch gerecht wird,
müssen aber noch mehr Schritte gegangen werden,
damit wir am Ende wirklich auf dem Gipfel stehen und nicht irgendwo am Hang kleben bleiben .
Ulla Schmidt befürchtet sogar, dass Menschen mit
dem neuen Gesetz ihr Zuhause verlieren .
Wie im Mai dieses Jahres bei der Debatte zum Thema Behindertenpolitik, als parallel Proteste stattfanden
und ich gesagt habe, wir würden diese Debatte besser
draußen führen, möchte ich auch an dieser Stelle wieder zwei Vertreterinnen begrüßen, stellvertretend für den
Protest, der heute am Brandenburger Tor stattfindet. Ich
möchte vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen
Christiane Möller und Nancy Poser begrüßen und viele
mehr, die oben auf der Tribüne sitzen .
({0})
Nancy Poser ist Initiatorin einer Petition an den Deutschen Bundestag, in der sie ein Bundesteilhabegesetz
fordert, das eine selbstbestimmte Lebensführung und die
volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gewährleistet . Dies ist nur eine Petition von
Dutzenden, in der Betroffene ihre Kritik am Bundesteilhabegesetz zum Ausdruck bringen .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten
den Betroffenen in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses die Möglichkeit geben, ihre Kritik und
ihre Forderungen laut zu formulieren . Ich bitte die Mitglieder des Petitionsausschusses darum, mit ihrer Stimme dafür zu sorgen, dass es zu dieser Anhörung kommt .
({1})
Es ist doch absolut verständlich, wenn die Betroffenen wütend, ja sogar verzweifelt sind . Gestern sprangen
Menschen mit Sehbehinderung wegen des hier vorgelegten Gesetzentwurfs sogar in die Spree, um zu zeigen, wie
die zukünftige Teilhabe von Menschen mit Behinderung
baden geht . Während wir hier in diesem Moment, während diese Debatte live übertragen wird, über ein „Spargesetz“ debattieren, gibt es Proteste vor dem Brandenburger Tor. Ich finde einfach, angesichts dieser Proteste
sollten wir einmal innehalten und genau nachdenken .
Viele Betroffene befürchten einfach Verschlechterungen
und sind verzweifelt über die neuen Regelungen . Eine
Studentin mit Sehbehinderung erzählte gestern beim
Parlamentarischen Frühstück, dass sie mit dem neuen
Gesetz keinen Anspruch mehr auf die benötigte Vorlesekraft hat . Andere berichten, dass aufgrund nicht mehr
bezahlter Eingliederungshilfe ihre Kinder mit dem neuen
Gesetz keine Chance mehr hätten, mit Kindern ohne Behinderung gemeinsam zu lernen .
({2})
Menschen mit Behinderungen, die derzeit noch Anspruch
auf Leistungen haben, werden zukünftig mit diesem Gesetz von Teilhabeleistungen ausgeschlossen .
({3})
- Das können Sie doch gleich in Ihren Redebeiträgen
dementsprechend darstellen .
({4})
Ich war in den letzten Monaten viel unterwegs, habe vielen Leuten zugehört und gebe Ihnen gerade einfach nur
eins wieder: die Empfindungen der Menschen mit Behinderung, die Empfindungen der Menschen, die betroffen
sind, der Organisationen und Verbände .
({5})
Meine Bitte ist einzig und allein: Denken Sie über diesen
Gesetzentwurf nach .
({6})
Die Bundesregierung hat zwar in einer Fragestunde
mitgeteilt, dass es weder eine Erweiterung noch eine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises
geben soll, doch letztlich lassen die im jetzt vorgelegten
Gesetzentwurf festgeschriebenen Regeln eben anderes
befürchten . Eine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises dient nur der Einsparung von Kosten
zulasten der Betroffenen .
({7})
Kippen Sie diese Einschränkungen, meine Damen und
Herren der Regierung! Die Betroffenen haben Angst, ihr
Zuhause zu verlieren .
({8})
Zwangspooling wird das gemeinsame Erbringen von
Leistungen mittlerweile genannt . Es bedeutet, dass sich
Menschen mit Behinderungen beispielsweise eine Assistenz teilen müssen . Sie befürchten, dass sie somit nicht
mehr selbstbestimmt über ihre Tagesplanung entscheiden
können .
({9})
Möchte der eine ins Kino gehen, kann der andere vielleicht nicht mehr zum Sport gehen . Diese Beschneidung
eines selbstbestimmten Lebens darf es einfach nicht geben .
({10})
Teilhabeleistungen dürfen auf keinen Fall abhängig
vom Geldbeutel der Betroffenen sein . Jeder muss sie bedingungslos erhalten . Alle Menschen haben das Recht
auf Sparen und eine gute Alterssicherung .
({11})
Wir alle haben das Recht auf ein würdevolles Leben .
Teilhabeleistungen in die Hände von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern zu legen, die nach Ermessen
oder Angemessenheit und sicherlich nach einem finanziellen Spielraum entscheiden, ob sie einem bedürftigen
Menschen die ihm zustehende Leistung gewähren oder
nicht, darf es nicht geben .
({12})
Meine Damen und Herren, Menschen mit Behinderungen werden mit dieser Gesetzesvorlage weiter diskriminiert . Sie werden weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und sie werden auch weiterhin um ihre
Menschenrechte betrogen . Deshalb darf dieses Gesetz in
seiner jetzigen Form auf keinen Fall verabschiedet werden . Ignorieren Sie nicht die Kritik, ignorieren Sie nicht
weiterhin diese massive Kritik . Greifen Sie sie einfach
auf, machen Sie Ihre Hausaufgaben und überarbeiten
diesen Gesetzentwurf grundlegend, damit es tatsächlich
ein gutes Gesetz wird, das eine selbstbestimmte Teilhabe ohne Wenn und Aber möglich macht . Hören Sie auf,
dieses Gesetz in nur drei Monaten durch dieses Haus zu
peitschen .
({13})
Nehmen sie sich Zeit und überarbeiten Sie es gründlich .
({14})
Hören Sie auf, Menschen aufgrund dieses Gesetzes
in Heime zu stecken . Wir brauchen ein Gesetz, das allen
Betroffenen die freie Wahl von Wohnform und Wohnort
garantiert . Jeder Mensch muss das Recht haben, frei zu
wählen wo, wie, ob und mit wem er zusammenwohnt . Jeder muss seinen Tagesablauf selber bestimmen können .
({15})
Oder wie würden Sie es finden, wenn andere darüber
entscheiden, wie Sie in Zukunft leben? Ich finde, es ist
beschämend wie man hier mit Menschenrechten umgeht .
Das Versprechen, mit einem modernen Teilhabegesetz
Menschen mit Behinderungen aus dem Fürsorgesystem
herauszuführen, ist mit dieser Gesetzesvorlage nicht erfüllt, es ist gebrochen worden .
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist als Rückschritt zu bewerten, er entspricht nicht
der UN-Behindertenrechtskonvention . Greifen Sie die
sechs Kernforderungen für ein gutes Bundesteilhabegesetz auf, die inzwischen von 140 Organisationen, Verbänden und Gewerkschaften unterstützt werden .
({16})
Reichen Sie den Betroffenen endlich die Hand . Helfen
Sie ihnen aus dem Bittstellertum und dem täglichen
Kampf um Teilhabe heraus . Frau Nahles, um es in Ihren Worten zu sagen: Helfen Sie ihnen beim Kampf aus
diesem Dschungel . Überarbeiten Sie dieses Bundesteilhabegesetz,
({17})
damit jeder ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben hat . Wir brauchen ein Gesetz, das keine Bedrohung
für Menschen mit Behinderungen ist . Wir brauchen ein
Gesetz, von dem die Menschen nicht sagen: Nicht mein
Gesetz .
Danke .
({18})
Bevor gleich der Kollege Karl Schiewerling für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort erteilt bekommt, möchte
ich darauf hinweisen, dass in diesem Fall aus besonders
gutem Grund ein Livestream dieser Debatte des Deutschen Bundestages mit Gebärdendolmetscher übertragen
wird .
({0})
Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling das Wort .
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Werner, ich habe
die Debatten über die Behindertenpolitik im Deutschen
Bundestag immer so verstanden, dass wir uns bemüht haben, möglichst viele Gemeinsamkeiten zu finden, um den
Menschen zu dienen .
({0})
Das Thema eignet sich nicht zur Skandalisierung,
({1})
weil Sie die Menschen in die Irre führen .
({2})
Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre es dann besser?
Würden wir dann den vielen Menschen, die Verbesserungen erfahren, die Verbesserung nicht geben?
({3})
Was glauben Sie denn, welche Konsequenzen es für die
Menschen hätte, wenn wir gar nichts tun würden?
({4})
Wissen Sie, auch wenn Sie in der Opposition sind,
wünsche ich mir von Ihnen, dass Sie nicht die Lebenssituation der Menschen skandalisieren - bitte nicht so! ({5})
und nicht mit den Emotionen von Menschen mit Behinderungen spielen und sie in die falsche Richtung lenken .
({6})
Kein Mensch hier in diesem Haus will die Situation der
Menschen mit Behinderungen verschlechtern .
Lassen Sie mich in aller Kürze darauf hinweisen, dass
es sich nicht - wie Sie es hier falsch dargestellt haben um ein Spargesetz handelt . Aufwachsend und ab 2020
dann jährlich geben wir 700 bis 800 Millionen Euro .
({7})
Die Kommunen haben wir um 5 Milliarden Euro entlastet, und wir werden sie weiter entlasten . Sie können beim
besten Willen nicht sagen, dass wir hier ein Spargesetz
machen .
({8})
Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht
darum, dass wir die Behindertenpolitik modernisieren .
Wir wollen gesellschaftliche Teilhabe fördern und mehr
Selbstbestimmung ermöglichen . Wir wollen weiter die
UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen, über das
hinaus, was Deutschland bereits - weltweit vorbildlich leistet .
Meine Damen und Herren, wer ist eigentlich von den
Neuregelungen betroffen? 10 Millionen Menschen haben
einen Schwerbehindertenausweis . Darunter sind körperlich Behinderte, Menschen, die im Hören und im Sehen
beeinträchtigt sind, Sprachbehinderte, seelisch Behinderte und geistig Behinderte, psychisch Behinderte, denen
man die Behinderung oft übrigens nicht ansieht, Menschen mit angeborenen oder erworbenen Behinderungen,
mehrfach Behinderte, Behinderte, die weitestgehend
auch finanziell selbst für sich sorgen können, wenn auch
mit technischer Hilfe, zum Beispiel einem Rollstuhl, Behinderte, die das nicht können und permanent auf stationäre oder ambulante Hilfen angewiesen sind, Behinderte, die in ihren Familien oder in den unterschiedlichsten
Wohnangeboten leben, Behinderte, die - etwa 300 000
sind es - in Werkstätten oder Integrationsbetrieben arbeiten . Sie alle sind betroffen . Das macht deutlich: Es ist
nicht eine homogene Zielgruppe . Die Lebenssituation
der Menschen ist höchst unterschiedlich, und sie alle erwarten von uns, dass wir ihnen in ihrer jeweiligen, spezifischen Lebenssituation helfen.
Die Diskussion, die wir jetzt haben, ist davon geprägt,
dass nahezu jede einzelne Gruppe zu uns kommt und
ihre Partikularinteressen durchsetzen will . Sie kommen
mit ihren eigenen Interessen zu uns und wollen eine individuelle Lösung . Da gerät der Staat - übrigens auch
in seinem Organisationsvermögen - oft leicht an seine
Grenzen . Unsere Aufgabe in der Politik besteht darin, die
Dinge zu einem Ausgleich zu bringen und zusammenzuführen . Das ist wahrhaft mühsam genug, wenn wir den
Menschen gerecht werden wollen .
({9})
In dieser höchst komplexen Situation möchte ich zunächst einmal einen ganz herzlichen Dank an das Bundesarbeitsministerium, an die Bundesarbeitsministerin
richten, vor allem aber auch an die Parlamentarische
Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller, die den bisherigen Dialog sowohl innerhalb der Parteien und Fraktionen als auch mit den Betroffenen mit einer hohen Sensibilität organisiert und gestaltet hat,
({10})
und zwar ohne marktschreierische Aussagen . Dafür bin
ich dankbar . Wir erleben einen Prozess, der im Internet darauf hat Frau Werner richtigerweise hingewiesen - in
der Tat in der breitesten Form, auch durch die Darstellung auf der entsprechenden Homepage des Bundesarbeitsministeriums, stattfindet.
Ich will gar nicht verheimlichen, dass ein solcher breiter Dialogprozess die Erwartung weckt, alle Wünsche,
die dort geäußert würden, könnten auch alle befriedigt
werden . Das funktioniert so nicht . Deswegen glaube ich,
dass es vielleicht Enttäuschungen gibt - ja, die wird es
geben -, weil die Wünsche, die man hat, nicht in dem
Maße erfüllt werden können, wie man es gerne hätte .
Wir können nicht alle Wünsche zu 100 Prozent umsetzen, und es ist auch nicht alles Mist, wenn wir nicht alle
Wünsche zu 100 Prozent umsetzen können .
Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen,
miteinander zu kommunizieren, dass das, was wir hier
tun, für die Menschen mit Behinderungen ein wichtiger
Schritt ist . Keinem soll es schlechter gehen .
({11})
Sollte das Gesetz so sein, dass an irgendeiner Stelle Verschlechterungen auftreten, werden wir uns das ansehen .
Vielen wird es besser gehen . Ich werbe sehr dafür, darauf
zu vertrauen, dass in diesem Hohen Hause niemand ein
Interesse daran hat, dass es Menschen mit Behinderungen schlechter geht . Wir wollen Integration und Teilhabe,
und dafür werden wir kämpfen .
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Nahles, Herr Schiewerling, Sie behaupten, wir, die Opposition, machten Menschen mit Behinderungen Angst . Aus der Reihe der Sozialdemokratie hörte ich, wir trieben die Leute auf die Bäume . Wer
glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Wer glauben Sie
eigentlich, wer wir sind? Glauben Sie, wir wären in der
Lage, Menschen solche Angst zu machen, dass sie auf
Bäume zu treiben seien? Glauben Sie eigentlich wirklich
das, was Sie sagen? Menschen mit Behinderungen sind
selbstbestimmte Menschen, und sehr viele Fachleute mit
Behinderungen haben Angst vor Ihrem Gesetz . Nehmen
Sie das endlich zur Kenntnis!
({0})
Herr Schiewerling, zum Thema Partikularinteressen .
Sie sagten: Es kommen viele unterschiedliche Gruppen,
die irgendwie ihre Kleinigkeiten durchsetzen wollen . Alle diese Gruppen haben sich zusammengeschlossen
und erheben sechs Kernforderungen . Sie sagen ganz
dezidiert, was sie wollen . Wir als gesamtes Parlament
könnten beschließen, das gemeinschaftliche Projekt
umsetzen . Dann könnten wir in zweiter Lesung ganz in
Ruhe miteinander reden und gemeinsam ein Gesetz verabschieden . Aber so, wie es jetzt ist, geht es nicht; denn
der Entwurf, den Sie hier vorgelegt haben, ist schlicht
eine Unverschämtheit .
Über Jahre hinweg haben Sie ausgiebig mit Menschen
mit Behinderungen zusammengesessen und sich beraten . Jetzt zeigt sich: Sie haben all diese Jahre anscheinend nicht zugehört . Dazu kommt noch: Sie legen ein
schlechtes Gesetz vor . Das Vertrauen behinderter Menschen, ihrer Angehörigen und ihrer Unterstützer haben
Sie verspielt .
({1})
Das merken wir an den vielen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf, mit denen wir überschüttet werden, und wir
wissen: Sie auch . Das sehen wir daran, dass heute Menschen mit Behinderungen vor dem Brandenburger Tor
protestieren und das, was heute hier vor sich geht, ganz
genau beobachten; da bin ich sicher . Sie verfolgen unsere
Debatte auf einer Videoleinwand . Ich und meine Fraktion haben sehr viel Verständnis für das Misstrauen, das
die Menschen zu Recht haben;
({2})
denn wer sich den Gesetzentwurf genauer ansieht, der
wird feststellen, dass sich die Situation von Menschen
mit Behinderungen nicht verbessern wird .
Sie sind gut darin, ein schlechtes Gesetz gut zu verpacken . Liebe Sozialdemokratie, Sie haben sich bei jeder
Gelegenheit mit großen Worten für Teilhabe und Inklusion ausgesprochen, aber im Detail sieht es dann plötzlich
ganz anders aus . Es droht, dass diejenigen, die Teilhabeleistungen benötigen, diese in Zukunft nicht bekommen werden . Zu Recht steht die Sorge im Raum, dass
Menschen, die dringend Leistungen brauchen, sie nicht
bekommen werden . Ich sage Ihnen jetzt auch konkret,
warum .
Sie haben neue Kriterien definiert, die man zukünftig
erfüllen muss, um Unterstützung zu bekommen . Es sind
genau neun Lebensbereiche, die Sie beschreiben, und
man muss nachweisen, dass man in mindestens fünf dieser Lebensbereiche Unterstützung braucht . Warum sollen
Menschen, die in vier Lebensbereichen Unterstützungsbedarf haben, die Unterstützung zukünftig nicht bekommen? Warum soll es so sein, dass nicht drei oder sechs,
sondern nur ein Lebensbereich ausreicht - ein Mensch,
der nur in einem Lebensbereich Unterstützungsbedarf
hat, braucht die Unterstützung doch trotzdem -, um den
Menschen die Unterstützung zu versagen? Das verstehe
ich nicht . Ich habe diese Frage viele Male gestellt, aber
ich habe bisher keine befriedigende Antwort darauf bekommen .
Überlegen Sie einmal, was das beispielsweise für
Menschen mit psychischer Beeinträchtigung bedeutet .
Das sind Menschen, die heute Unterstützung brauchen,
morgen sehr gut zurechtkommen, aber in der nächsten
Woche vielleicht wieder erheblichen Unterstützungsbedarf haben . In Zukunft werden sie aus dem System herausfallen .
({3})
Auch wenn Sie Bestandsschutz für die heutige Gruppe
garantieren, wird das in Zukunft Probleme schaffen . Das
wissen Sie selber ganz genau . Das steht in allen Stellungnahmen, mit denen Sie überflutet wurden.
({4})
Sie würden gut daran tun, diese Stellungnahmen endlich
einmal zur Kenntnis zu nehmen .
({5})
- Jetzt halten Sie einmal die Luft an, Herr Rosemann .
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat heute
Morgen eine Stellungnahme herausgegeben, in der vernichtende Kritik geübt wird . Es heißt, mit dem Kriterium
der fünf Lebensbereiche öffnen Sie einer Einspardynamik Tür und Tor . Ja, Sie verscherbeln hier die Menschenrechte, weil Sie Geld einsparen wollen . Insofern hat die
Kollegin Werner vollkommen recht, wenn sie sagt: Das
hier ist ein Spargesetz und nichts anderes .
({6})
Damit aber nicht genug . Wenn Sie den Menschen nur
den Zugang zu Leistungen verwehren würden, wäre es
ziemlich leicht, das zu korrigieren - ich habe einen Vorschlag gemacht: Unterstützungsbedarf in einem Lebensbereich muss für den Anspruch ausreichen -; aber Sie
haben auch an den Leistungen selbst Raubbau betrieben .
Nur ein Beispiel: Der Druck, aus der eigenen Wohnung
oder einer Wohngemeinschaft in ein Heim umzuziehen,
wird künftig steigen . Wir werden junge Menschen mit
Behinderungen haben, die in Altenpflegeheimen wohnen
müssen . Das passiert jetzt schon . Für diejenigen, die das
nicht wissen: Es passiert jetzt schon, dass Leute, die jung
sind, in Altenpflegeheime kommen. - Aber zukünftig
werden die Fallzahlen steigen . Stellen Sie sich einmal
vor, zum Beispiel Ihnen, Frau Freudenstein, würde man
sagen: Ziehen Sie in ein Altenpflegeheim! - Ich glaube,
Sie würden sich bedanken .
({7})
Die Schutzmechanismen, die heute noch bestehen,
werden in diesem Gesetz gestrichen . Kein Mensch kann
sich vorstellen, dass Sie wirklich so grausam sein wollen - ich sage: grausam -, den Menschen so etwas zuzumuten . Wenn Sie das nicht wollen, dann stellen Sie das
gefälligst in dem Gesetz klar . Dann brauchen die Leute
nicht mehr auf Bäume zu klettern und keine Angst mehr
zu haben .
({8})
Das machen Sie, um Geld zu sparen . Das ist die Katastrophe . Was Sie mit diesem Gesetz machen, das kann
man sich eigentlich gar nicht vorstellen . Wir leben in
einem reichen Land . Die Einnahmen der öffentlichen
Haushalte liegen über ihren Ausgaben, und Sie sind sich
nicht zu schade, Menschen mit Behinderungen diese
Leistungen zu nehmen, die sie so dringend brauchen . Ich
glaube nicht, dass Ihnen irgendjemand hier ernsthaft zutraut, dass Sie so hart vorgehen .
({9})
Genau das nutzen Sie aus: das Grundvertrauen der Menschen, dass sich der Staat mindestens um diejenigen gut
kümmert, die am stärksten darauf angewiesen sind . - Das
ist schlicht eine Sauerei .
Ich möchte daran erinnern, dass die Vereinten Nationen vor etwas mehr als einem Jahr sehr deutliche Worte gefunden haben, was die Situation behinderter Menschen in Deutschland angeht . Weil ich gerade schon über
Wohnmöglichkeiten sprach, bleibe ich bei dem Thema .
Ganz kurz und knapp: Die Expertinnen und Experten
bei den UN weisen darauf hin, dass es zu viele Wohnheime gibt und zu wenige Alternativen in Deutschland .
Verbunden war die Kritik mit der unmissverständlichen
Aufforderung, ausreichende Finanzmittel verfügbar zu
machen, um die unabhängige Lebensführung zu fördern .
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen mit Ihrem
Gesetz leider genau das Gegenteil: Sie nehmen kein Geld
in die Hand; Sie lassen Länder und Kommunen im Regen
stehen .
({10})
Frau Kollegin Rüffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolff?
Ja, na klar .
Frau Kollegin Rüffer, herzlichen Dank . - Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Bund die Kommunen um 5 Milliarden Euro entlastet - Punkt eins - und
wir 700 Millionen Euro in die Hand nehmen, um das
Bundesteilhabegesetz in Gang zu setzen, dass es also
kein Spargesetz ist? Sind Sie auch bereit, anzuerkennen,
dass wir beim Leistungszugang - bei dem Thema wollte
ich mich vorhin schon melden - erstens Bestandsschutz
haben, zweitens Unterstützungsbedarf in fünf aus neun
Lebensbereichen als Voraussetzung haben, drittens Unterstützungsbedarf in drei aus neun Lebensbereichen als
Voraussetzung haben, wenn jemand auf Assistenz angewiesen ist, viertens es einen Ermessensspielraum gibt,
dass wir also vier Möglichkeiten haben, dass wir Geld in
die Hand nehmen und keine Einsparungen vornehmen?
Bitte erklären Sie mir, was Sie hier erzählen!
({0})
Das mache ich gerne, Frau Wolff, um zur Erhellung
beizutragen . Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben,
Sie würden die Kommunen um 5 Milliarden Euro bei der
Eingliederungshilfe entlasten .
({0})
Dieses Versprechen haben Sie vor mehr als einem Jahr
gebrochen .
({1})
Alle Kommunen und alle Länder gingen bis vor kurzem
davon aus, dass Sie Ihr Versprechen halten .
({2})
- Sie müssen sich die Wahrheit schon anhören . - Die
Entlastung um 5 Milliarden Euro findet nicht im Bereich
der Eingliederungshilfe statt und wird nicht in das LeisCorinna Rüffer
tungssystem vor Ort fließen. Das ist Punkt eins. Da kommen Sie nicht drum herum .
({3})
Das können Sie im Haushalt nachlesen . Das Zweite ist,
dass die 700 Millionen Euro nicht insgesamt in den Bereich der Eingliederungshilfe fließen, sondern das meiste von diesem Geld - in der Tat - für Entlastungen bei
der Anrechnung von Einkommen und Vermögen genutzt
wird .
({4})
Das hat aber nichts mit dem zu tun, worüber ich hier
rede: dem Vorrang der Pflege vor der Eingliederungshilfe, der zu diesen massiven Problemen führt, die ich
gerade skizziert habe, nämlich: Rein ins Heim! - Frau
Ulla Schmidt ist, glaube ich, nicht mehr anwesend; sie
saß vorhin hier . Das war sehr gut . Sie steht an der Spitze
der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die an genau diesem
Punkt massive Kritik übt . Sie war vorgestern dabei, als
ein Gutachten vorgestellt wurde, das zeigt, dass die Ausweitung des § 43a SGB XI nicht nur Mist ist, sondern
dass der Paragraf an sich auch verfassungswidrig ist . Auf
diesen Punkt kann ich jetzt nicht im Detail eingehen,
aber Ihre Kollegin Ulla Schmidt kann Ihnen da ganz viel
erklären . Sie wird Ihnen ganz konkrete Hinweise darauf
geben, was an diesem Gesetzentwurf geändert werden
muss, damit wir ein gutes Gesetz bekommen, wozu ja
die Chance besteht, wenn Sie die sechs Kernforderungen
der Verbände umsetzen würden .
({5})
Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage ausreichend beantwortet .
({6})
Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung, und zwar
des Kollegen Birkwald .
Ja, gerne . - Ich musste erst einmal schauen, wo er
sitzt .
Hier sitze ich .
Ich hatte nicht mit einer Frage von der Linken gerechnet .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Vielen Dank, Frau
Kollegin Rüffer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen .
Ich frage Sie, ob es aus Ihrer Sicht in Ordnung ist, dass
ich Ihre Antwort, die Sie der Kollegin Wolff gegeben haben, ergänze .
Gerne .
Ich will das wie folgt ergänzen: Ich habe hier die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, in dem Fall
des Ausschusses für Frauen und Jugend, des Finanzausschusses, des Gesundheitsausschusses, des Ausschusses
für Innere Angelegenheiten, des Ausschusses für Kulturfragen und des Rechtsausschusses . Diese Ausschüsse
empfehlen, zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung zu
nehmen - daraus will ich zitieren -:
Es ist gleichwohl daran zu erinnern, dass die Zusagen des Bundes auch beinhalteten, dass aus dem
Bundesteilhabegesetz keine zusätzlichen Ausgaben
für Länder und Kommunen erwachsen dürfen und
die Reform einen Beitrag dazu leistet, die bestehende Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe zu
stoppen . Diese Ziele
- Frau Kollegin Wolff werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf klar
verfehlt . Denn der Gesetzentwurf geht nicht von
einer finanziellen Entlastung, sondern von einer Belastung der Länder und Kommunen durch die Reform der Eingliederungshilfe aus .
({0})
Insofern ist Ihr Verweis auf die Entlastung der Kommunen schon durch verschiedene Ausschüsse des Bundesrates ad absurdum geführt . Ich bitte, das allgemein
zur Kenntnis zu nehmen .
Danke schön .
({1})
Wir sind jetzt bei der Beantwortung .
({0})
Ich weise darauf hin: Wir sind hier bei einer Frage
oder Zwischenbemerkung, die jeder machen kann, aber
nicht in Form einer Debattenverlängerung . Ich lasse jetzt
noch die Antwort der Kollegin Rüffer zu, werde aber
dann darauf achten, dass wir die Debatte geordnet weiterführen können . - Frau Kollegin Rüffer, Sie haben jetzt
die Möglichkeit, diese Frage oder diese Bemerkung zu
kommentieren, zu beantworten .
Ich muss das, glaube ich, gar nicht weiter kommentieren . Es reicht, zu sagen, dass der Kollege Birkwald einfach einen guten Beitrag geliefert hat . Herzlichen Dank
für die Nachfrage .
({0})
- Da ist noch eine Meldung .
Ich lasse jetzt, wenn Sie einverstanden sind, Frau Kollegin Rüffer, noch eine Zwischenfrage zu . Dann allerdings belassen wir es dabei . - Frau Kollegin Rawert, Sie
haben das Wort für eine Zwischenfrage .
Ich wollte mich ja eigentlich nicht mehr melden, aber
jetzt habe ich es doch getan . Herzlichen Dank für die
Ausführungen, die Sie jetzt hier gerade gemacht haben .
Sie zeigen, dass die Bundesländerfarbenlehre, egal ob
rot, links, grün oder schwarz, davon ausgeht, kein weiteres eigenes Geld zu investieren, und fordert, dass die
Ausgabendynamik seitens der Länder und der Kommunen - das ist ja der Punkt - gestoppt werden soll .
Der Bund gibt 700 Millionen Euro .
({0})
Frau Rüffer, ich hoffe, Sie bestätigen mir das: Zur Entlastung und Unterstützung in den einzelnen Bundesländern,
in den einzelnen Kommunen braucht es, weil es ungleiche Sachverhalte gibt, tatsächlich gleichwertige qualitativ hochwertige Standards . Daher: Die Bundesländer,
unabhängig von der Farbenlehre, wünschen Bundesgeld .
({1})
Sie haben noch die Möglichkeit, darauf zu antworten,
müssen es aber nicht .
Ich glaube, das war jetzt als Hinweis wenig hilfreich .
Herr Birkwald und ich haben viel dazu gesagt . Es ist so,
dass die Länder in diesem Bereich nicht ausreichend entlastet werden, und das kritisieren die Länder auch .
({0})
Sie lassen die Länder und die Kommunen im Regen stehen .
({1})
Ich habe gerade gesagt, wozu diese 700 Millionen Euro
dienen werden . Sie sind nicht dazu da, einheitliche Lebensverhältnisse zu schaffen . Das Gesetz für die einheitlichen Lebensverhältnisse heißt Bundesteilhabegesetz .
Dieses Gesetz hier wird aber keine einheitlichen Lebensverhältnisse schaffen, sondern den Flickenteppich noch
schwieriger machen . - Ich bin mit der Antwort zu Ende,
Sie können sich gern wieder hinsetzen .
({2})
Ich will Ihnen aber einmal erklären, was eigentlich die
Herausforderung ist, die vor uns liegt: die inklusive Gesellschaft . Dabei geht es um mehr als um dieses Gesetz .
Es geht darum, dass wir in einer alternden Gesellschaft
leben. Wir sprechen immer wieder über den demografischen Wandel . Das heißt, wir müssen diese Gesellschaft
fundamental umgestalten, damit sie für Alte, Junge, Behinderte und alle Menschen funktioniert .
({3})
Das ist ein Riesending, das wir vor uns haben . Sie hätten
einen Beitrag dazu leisten können, aber das tun Sie nicht .
Es geht hier nicht um ein Wolkenkuckucksheim, um goldene Rollstühle oder irgendetwas, sondern um nachvollziehbare Dinge, die die Menschen haben wollen und auf
die sie ein Recht haben .
Fast alle Menschen möchten in der eigenen Wohnung
alt werden . Wer einen Unfall hatte und danach plötzlich
im Rollstuhl sitzt, möchte natürlich trotzdem weiterhin
am Leben in der Gesellschaft teilnehmen, und wer ein
behindertes Kind hat, der möchte natürlich, dass auch
dieses Kind gute Bildungschancen hat und später einen
Arbeitsplatz findet, der zu seinen Interessen passt. Daran
müssen wir arbeiten . All dies sind Rechte, die die Menschen haben, und wir müssen das ermöglichen .
({4})
Aber anstatt diese große Aufgabe beherzt anzugehen,
haben Sie sich drei Jahre im Hinterzimmer versteckt und
legen jetzt ein Gesetz vor, das darauf zielt, möglichst viel
Geld zu sparen .
({5})
Bitte schauen Sie sich alle noch einmal die zahlreichen
Stellungnahmen an . Sprechen Sie mit der SPD, sprechen
Sie bitte mit Ulla Schmidt, Mitglied Ihrer Fraktion und
bei der Lebenshilfe ganz an der Spitze . Dann können wir,
glaube ich, am Ende gemeinsam - auch Herr Schummer
wäre dabei - ein gutes Gesetz schaffen . Aber die Grundlagen liegen heute einfach nicht auf dem Tisch .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr . Carola Reimann
für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine menschliche Gesellschaft kann nur eine inkluCorinna Rüffer
sive Gesellschaft sein . Daher haben wir seit 1998 einen
grundsätzlichen Wechsel vollzogen - weg von der Fürsorge, hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe . Das,
Kolleginnen und Kollegen, haben wir nicht zuletzt unserem damaligen Behindertenbeauftragten Karl Hermann
Haack zu verdanken . Durch sein Engagement gab es
wichtige Erfolge in der Politik für und mit Menschen
mit Behinderung . Seitdem hat der Gesetzgeber - bis auf
die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention wenig getan .
Mit der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes vor einigen Monaten und jetzt mit dem Bundesteilhabegesetz greifen wir diesen roten Faden von
Karl Hermann Haack wieder auf . Das verdanken wir
zwei Menschen: Andrea Nahles und Gabriele LösekrugMöller .
({0})
Vielen Dank für euer Engagement und eure Beharrlichkeit! Diesen beiden ist auch zu verdanken, dass das Bundesteilhabegesetz neben der Reform der Eingliederungshilfe auch die Leistungsseite der Betroffenen einbezieht .
Die deutliche Verbesserung der Einkommens- und
Vermögensanrechnung wird ermöglicht durch die Herausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem . Das heißt ganz praktisch: Damit entfällt auch
die Anrechnung von Einkommen und Vermögen der
Partner .
Wir werden im SGB IX neue Verfahren einführen .
Damit werden Rehabilitationsmaßnahmen wie aus einer
Hand erbracht - dies wurde bereits angesprochen -, damit man den gesamten individuellen Bedarf passgenau
abdecken kann . Die Ministerin hat es gesagt . Der Mensch
soll im Mittelpunkt stehen .
In den unabhängigen neuen Beratungsstellen - sie waren ein Wunsch von ganz, ganz vielen - werden die Betroffenen von Menschen mit Behinderungen beraten . Das
alles wird auch dazu führen, dass die Leistungsberechtigten stärker als Experten in eigener Sache wahrgenommen
werden und mehr mit ihnen statt über sie geredet wird .
({1})
Kollegin Rüffer, nix mit „Hinterzimmer“! Noch nie
war ein Beteiligungsverfahren hinsichtlich Umfang und
Transparenz so vorbildlich wie dieses . Dadurch ist erstmalig für alle offenkundig geworden, welche Herausforderungen noch vor uns liegen . Denn es ist ja wahr: Viele
Wünsche und Forderungen liegen noch auf dem Tisch .
Das Bundesteilhabegesetz ist ein wichtiger Schritt auf
diesem Weg . Die im Gesetz enthaltenen Regelungen sind
naturgemäß ganz schön kompliziert und anspruchsvoll .
Deswegen werden wir sie stufenweise einführen; sie werden erst 2020 vollständig wirken . Für die Untersuchung
der Auswirkungen und die Begleitung der praktischen
Umsetzung sind jährlich 3 Millionen Euro eingeplant .
Kolleginnen und Kollegen, zurzeit werden viele Bedenken von Betroffenen an uns herangetragen . Diese
nehmen wir ernst . Aber das ist etwas anderes, als in unverantwortbarer Art Ängste zu schüren .
({2})
Die Betroffenen fürchten, dass die geplanten Neuerungen ihre hart erkämpften Ansprüche infrage stellen . Auch
wenn ich diese Befürchtungen in vielen Fällen für unbegründet halte, so sind sie für mich doch nachvollziehbar . Die Menschen haben ihre Rechte oft in jahrelangem,
mühsamem Kampf erstreiten müssen, und jetzt sollen die
Rahmenbedingungen geändert werden . Da gibt es natürlich die Befürchtung, dass Leistungsträger dies zum Anlass nehmen, die erstrittenen Ansprüche wieder infrage
zu stellen . Aber ich halte es für unredlich, diese Ängste
zu schüren .
({3})
Wir werden sicherstellen, dass das nicht geschieht . Es
wird keine Verschlechterungen geben . Niemand wird
seine Ansprüche verlieren . Hierfür haben wir einen Bestandsschutz vorgesehen .
({4})
Kolleginnen und Kollegen - ich will darauf eingehen -, eine weitere Befürchtung ist, dass der Kreis der
Leistungsberechtigten eingeschränkt wird . Die grundlegend neuen Zugangskriterien sind aber notwendig . Wir
wissen, dass die heutigen Beurteilungskriterien und Beurteilungsverfahren mannigfaltig sind; man kann auch
„vielfältig“, aber auch „ungerecht“ und „uneinheitlich“
dazu sagen . Ein einheitliches Verfahren war von allen
gewünscht . Es muss ein Verfahren sein, das einem modernen Teilhaberecht gerecht wird: weg vom defizitorientierten Blick auf Menschen mit Behinderung . Das neue
Teilhaberecht orientiert sich bei Beachtung der Vorgaben
der UN-Behindertenrechtskonvention und der internationalen Kriterien an der WHO . Ich halte das für richtig .
({5})
Es ist unser ausdrückliches Ziel, den Kreis der Leistungsberechtigten nicht einzuschränken .
({6})
Daher wird diese Regelung erst in einem weiteren Schritt
der Reform im Jahr 2020 eingeführt, und zwar mit einem Begleitverfahren . Dieses gibt auch den Trägern genügend Zeit für die Umsetzung und genügend Zeit für
mögliche Erprobungsphasen .
({7})
Kolleginnen und Kollegen, in den parlamentarischen
Beratungen werden wir uns genau ansehen, ob alle Regelungen wirklich ausreichend sind, um unsere Ziele zu
erreichen . Auch beim Bundesteilhabegesetz gilt ja das
Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist . - Ich
freue mich in diesem Sinne auf konstruktive Beratungen,
aber bitte mit mehr fachlich-sachlichen Argumenten und
weniger lauter moralischer Empörung .
Danke schön .
({8})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Dr . Astrid
Freudenstein .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen! Meine Herren! Wissen Sie, Frau Werner
und Frau Rüffer: Sie bringen eine Schärfe in die Debatte,
die uns nicht weiterhilft .
({0})
Ich glaube, dass es unangemessen ist, sich zum Sprachrohr der Behinderten zu machen . Die können das ganz
gut selber .
({1})
Ich glaube auch, dass es da sehr unterschiedliche Interessen gibt . Viele würden sich dagegen verwahren, von
Ihnen in dieser Art vertreten zu werden .
({2})
Es geht nicht darum, Protest möglichst laut zu formulieren .
({3})
Es geht darum, ein besonders gutes Gesetz zu schaffen .
Es wird hier ein Bild gezeichnet, als würden überall in
den Ministerien und Parlamenten Menschen sitzen, die
nichts anderes im Sinn haben, als Menschen mit Behinderungen das Leben schwer zu machen . In welcher Welt
leben Sie denn? Was haben Sie denn für ein Menschenbild?
({4})
Es ist völlig unbestritten, dass wir es hier mit einem
schwierigen Gesetz zu tun haben . Es ist ein sehr großes
und umfangreiches Gesetz, und es gibt viele Betroffene . Wir haben in Deutschland zum Beispiel mehr als
700 000 Empfänger von Eingliederungshilfe . Es geht
also um eine ausgesprochen wichtige Sache, und sie ist
auch zu wichtig, als dass man sie dafür nutzen sollte, einfach nur politischen Profit daraus zu schlagen.
({5})
Was wollen wir mit unserem Gesetz erreichen? Eine
ganze Menge: Wir wollen den inklusiven Arbeitsmarkt
vorantreiben, wir wollen Bürokratie abbauen, wir wollen
gleichberechtigte Teilhabe sicherstellen, wir wollen den
Zugang zu Leistungen ebnen, wir wollen die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung garantieren
und die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben
stärken . - Das alles sind im Übrigen völlig berechtigte
Erwartungen, weil es auch keine Sonderwünsche sind,
sondern sie betreffen viele Dinge, die für Menschen ohne
Behinderung der Normalfall sind .
Trotzdem ist es ein schwieriger Gesetzentwurf . Die
Gründe dafür kennen wir; sie wurden hier in der Debatte ja auch schon diskutiert . Es geht um Geld und um
Zuständigkeiten und eben nicht einfach um den Behinderten oder die Behinderten, sondern um Menschen mit
sehr spezifischen Bedürfnissen und viele Einzelfälle. Das
macht es im Übrigen den Sachbearbeitern in den Ämtern
und in den Sozialverwaltungen, die auch keine bösen
Menschen sind, oft so schwer . Ermessensentscheidungen
sind keine Willkürentscheidungen, sondern sie werden
immer auch mit Blick auf den Menschen getroffen .
({6})
Viele reden bei diesem Gesetzentwurf völlig zu Recht
mit: der Bund, die Betroffenen, die Länder, die Leistungserbringer, die Kommunen und die kirchlichen Verbände .
Die Aufgabe ist eine wirklich schwierige, aber ich bin
mir ganz sicher: Wir werden sie lösen . Wenn wir dieses
Gesetz verabschiedet haben, wird vieles besser werden,
weil vieles besser werden muss .
Was sind die Themen, die uns beschäftigen? Das ist
zum einen der Begriff der Behinderung . Was ist eigentlich eine Behinderung? Diesen Begriff wollen wir im
Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention neu definieren . Damit zusammenhängend wollen wir zum anderen auch definieren, wer eigentlich Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe bekommen soll . Es soll
ausdrücklich - das wurde schon erwähnt - keine Ausweitung des Personenkreises geben, gleichzeitig soll es
aber auch ausdrücklich keine Einschränkung des Personenkreises geben . Die stoische Wiederholung macht eine
Behauptung nicht wahr .
Im Gesetzentwurf steht momentan die Fünf-aus-neunRegelung . Sie ist heftig umstritten; das entgeht niemandem . Wir müssen im parlamentarischen Verfahren
überlegen, wie wir diesen Befürchtungen entgegentreten
können; denn wir alle wollen, dass jeder, der EingliedeDr. Carola Reimann
rungshilfe braucht, diese Eingliederungshilfe in Zukunft
auch bekommt .
({7})
Die Kollegin Reimann hat schon darauf hingewiesen:
Das muss erst 2020 letztlich wirklich festgezurrt sein .
Deswegen haben wir auch noch Zeit, das alte und das
neue System möglicherweise parallel laufen zu lassen,
zu evaluieren und zu schauen, wo es Verwerfungen geben könnte . Bisher waren die Erfahrungen so, dass diese Fünf-aus-neun-Regelung eigentlich funktioniert, aber
wir werden den Befürchtungen dort auch entgegentreten
und alles tun, um die Ängste an diesem Punkt auszuräumen .
Ein ganz wichtiger Punkt im Gesetz - ich meine, er
wird weithin unterschätzt - ist das Teilhabeplanverfahren . Das ist vielleicht sogar eine der wichtigsten Errungenschaften . In Fällen, in denen mehrere Rehaträger mit
einem Betroffenen befasst sind, müssen sie sich untereinander einigen, sodass der Antragsteller die Leistungen
zwar nicht aus einer Hand, aber wie aus einer Hand bekommen kann .
Es ist ein Kernanliegen vieler Betroffener, die Bürokratie einzudämmen und auf Augenhöhe mit den Leistungsträgern ins Gespräch zu kommen . Auf Wunsch
kann es auch Teilhabekonferenzen geben . Ich meine,
das ist ein ganz großer Schritt hin zu mehr Selbstbestimmungsrecht und dahin, das Wunsch- und Wahlrecht der
Betroffenen sicherzustellen .
({8})
Wir werden auch die unabhängige Beratung stärken,
weil dieses Gesetz auch mehr Beratung erfordert . Hier
gibt es mancherorts - das ist in den Ländern sehr unterschiedlich - Nachholbedarf .
Wir wollen auch darauf achten, dass wir die Kompetenz der Betroffenen selber nutzen . Wir wollen also mehr
Peer-to-Peer-Beratung und gleichzeitig verhindern, dass
es Doppelstrukturen gibt . Dort, wo die Beratung schon
sehr gut funktioniert, wollen wir darauf aufbauen, damit
in Zukunft jeder Betroffene weiß, worauf er Anspruch
hat und wie er an seine Rechte kommt .
Ein wichtiges Anliegen ist uns, die Teilhabe am Arbeitsleben vielfältiger zu gestalten . Hier gibt es viele
Neuerungen und sehr viele Verbesserungen . Auch hier
reagieren wir auf die UN-Behindertenrechtskonvention
und die Staatenprüfung . Dabei wollen wir ausdrücklich
bewährte Strukturen erhalten und damit auch zum Beispiel den Menschen in den Werkstätten Sicherheit geben .
Aber wir wollen auch das Spektrum erweitern und neben den bewährten Werkstätten alternative Leistungsanbieter mit einer größeren Angebotsvielfalt zulassen . Das
soll den Leistungsberechtigten Wahlfreiheit eröffnen . Es
ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass diese Angebotsvielfalt nicht zu einer qualitativen Verschlechterung
führt . Darauf werden wir im parlamentarischen Verfahren achten .
({9})
Gute Erfahrungen wurden in einigen Bundesländern
schon mit dem Budget für Arbeit gemacht, einem dauerhaften Lohnkostenzuschuss, mit dem der Mensch mit
Behinderung zu seinem Arbeitgeber gehen kann . So wird
der Schritt in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert . Dieses
Budget für Arbeit wollen wir bundesweit verankern .
Ein Thema, das von Anfang an im Zentrum der Debatte stand, war die Anrechnung von Einkommen und Vermögen, wenngleich dieser Teil, der der teuerste bei dem
Gesetz wird, gar nicht besonders viele Menschen betrifft;
aber er hat hohen Symbolwert . „Raus aus dem Fürsorgesystem“, das ist eine Kernforderung . Ab 2020 werden
wir in der Tat ein völlig neues Finanzierungsmodell einführen, das keine detaillierte Darlegung der finanziellen
Verhältnisse mehr erfordert . Betroffene können dann
ohne großen Aufwand erkennen, was sie selber, abhängig vom Gesamteinkommen, zu der Eingliederungshilfe
beitragen müssen . Dann müssen nur noch die einen Eigenbeitrag leisten, die mindestens ein durchschnittliches
Arbeitseinkommen oder mehr erzielen . Beim Vermögen
wird der Deckel von heute 2 600 Euro auf 50 000 Euro
angehoben - ein Riesenschritt .
({10})
Dass das von vielen als Heiratshindernis empfundene Heranziehen des Partner- oder Ehegatteneinkommens
wegfällt, wurde ebenfalls schon erwähnt .
Die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben
sollen mit dem Bundesteilhabegesetz gestärkt werden . Es
soll mehr Ansprüche auf Fortbildungen und auf Freistellungen geben . Auch die Werkstatträte werden in ihrer
Arbeit gestärkt .
Ein mir ganz wichtiger Punkt ist die jetzt bundesweite Verankerung der Komplexleistung Frühförderung: ein
Riesenfortschritt für betroffene Familien, die gerade,
wenn sie ein Kind mit Behinderung haben, andere Sorgen haben, als zu verschiedenen Rehaträgern zu laufen .
In Bayern wird das seit vielen Jahren sehr erfolgreich
praktiziert . Das ist ein wirklich guter Punkt im Bundesteilhabegesetz .
Mit Modellvorhaben zur Prävention wollen wir darauf
hinwirken, dass überhaupt nicht mehr so viele Menschen
in die Eingliederungshilfe rutschen . Dann gibt es, viel
diskutiert, die Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe
und Pflege, die auf uns im Wesentlichen deswegen zukam, weil es durch das Pflegestärkungsgesetz III in der
Pflege Teilhabeelemente gibt und sich die Leistungen
von Eingliederungshilfe und Pflege so weit annähern
können, dass man eine Abgrenzung vornehmen muss .
Ich weiß auch um die Befürchtung, dass junge Menschen dann nicht mehr in der Eingliederungshilfe behandelt werden, sondern womöglich in der Pflege landen wo sie natürlich nicht hingehören, Frau Rüffer, und das
will auch keiner . Deswegen werden wir das auch klarstellen .
({11})
- Das brauchen Sie auch nicht mehr zu wiederholen . Das
will kein Mensch .
({12})
Das Poolen von Leistungen ist auch ein sehr wichtiger
Punkt, über den wir reden können . Es geht um Zumutbarkeit und um Zustimmung . Wann dürfen Leistungen für
mehrere Personen gebündelt erbracht werden? Das ist
ein Knackpunkt in der Debatte, weil es hier tatsächlich
um Geld geht und weil die Betroffenen völlig zu Recht
sagen: Hier ist auch mein Selbstbestimmungsrecht tangiert . - Deswegen ist es ein wirklich wichtiger Punkt . Es
geht um das Wunsch- und Wahlrecht . Auch wenn stoisch
behauptet wird, es würde da ums Wohnen gehen - es
reicht ein eindringlicher Blick in den Gesetzentwurf, um
zu sehen: Nein, es geht nicht um Poolen im Bereich des
Wohnens .
({13})
Das ist nicht die Absicht des Gesetzgebers .
({14})
Dieser kleine Einblick macht vielleicht deutlich: Es
gibt im vorliegenden Gesetzentwurf viele Neuerungen,
viele Verbesserungen und, weil es so viele Neuerungen
sind, auch viele Unsicherheiten . Ich habe im diesjährigen
Prozess - das mögen Sie anders wahrgenommen haben allerorten den guten Willen zur Kenntnis genommen, ein
wirklich gutes Gesetz auf den Weg zu bringen, das den
Menschen mit Behinderung das Leben in unserem Land
leichter macht . Ich persönlich habe das große Anliegen,
dass wir diejenigen, die sich nicht nur nicht laut, sondern
möglicherweise überhaupt nicht artikulieren können, die
vielleicht auch nicht in der Lage sind, zu demonstrieren,
in diesem Gesetzgebungsprozess besonders im Auge behalten .
({15})
Meine Damen, meine Herren, ich freue mich auf die
Beratungen . Ich bleibe zuversichtlich und bin ganz sicher: Wir kriegen das hin .
Danke schön .
({16})
Die Kollegin Kerstin Tack spricht als Nächste für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die allermeisten derer,
die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen und
deshalb heute ganz genau auf diese Debatte schauen, erwarten vor allen Dingen, dass wir uns mit diesem Gesetz
fachlich und qualifiziert auseinandersetzen.
({0})
Sie erwarten ganz sicher nicht, dass wir uns hierhinstellen und uns gegenseitig beschimpfen und Vorhaltungen
machen, ohne einen einzigen eigenen Vorschlag in diese
Debatte einzubringen .
({1})
Ich glaube, die Erwartungshaltung ist, dass wir dieses
Gesetz ernst nehmen und sehr deutlich formulieren, wie
wir uns der fachlichen Debatte, die jetzt im parlamentarischen Verfahren ansteht, widmen, und zwar mit Knowhow, Ernsthaftigkeit und Klarheit . Ich möchte sehr darum
bitten, sich dieser fachlichen Auseinandersetzung nicht
zu verweigern, sondern sie mitzugestalten, mitzumachen
oder aber sie uns alleine machen zu lassen . So ginge es
natürlich auch .
Im parlamentarischen Verfahren, in das wir heute einsteigen, gibt es Punkte, auf die wir ein besonderes Augenmerk legen wollen . Ich möchte diese Punkte benennen - einige sind schon genannt worden; das freut mich
besonders -: Wir werden uns insbesondere die Schnittstelle zwischen der Eingliederungshilfe, den Hilfen zur
Pflege und der Pflegekasse ansehen und die Frage klären,
wie wir die Neuordnung angehen, immer klar am Bedarf
orientiert . Auch die Regelung in § 43a SGB XI zur pauschalen Geldleistung für Menschen in vollstationären
Einrichtungen gehört aus unserer Sicht mittelfristig einer
Lösung zugeführt .
({2})
Kurzfristig wollen wir keine Ausweitung .
({3})
Den heute schon vielfach angesprochenen Zugang
zur Eingliederungshilfe wollen wir nicht versperren und
auch nicht einschränken . Deshalb werden wir die Zeit
bis 2020 nutzen, um hinreichend Erkenntnisse zu dieser
Thematik zu sammeln .
Wir haben uns ebenfalls vorgenommen, uns besonders
für die Zielgruppe der geistig behinderten Menschen, die
ganz häufig in den Werkstätten für behinderte Menschen
zu finden sind, einzusetzen und miteinander zu klären,
ob und wie wir sie in Bezug auf die Einkommens- und
Vermögensbildung von den Regelungen dieses Gesetzes
noch stärker als heute profitieren lassen können.
({4})
Es ist uns wichtig, auch auf den Bereich der Teilhabe
an Bildung zu schauen und zu prüfen, ob wir alle Bildungszusammenhänge und Bildungsverläufe sinnhaft
unterstützen .
Die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung ist für
uns ein wesentliches Anliegen . Über die erreichten Ziele
freuen wir uns . Aber wir wollen darüber hinaus noch einmal über die Wirksamkeit diskutieren . Wir sind hier für
Vorschläge offen .
Für uns, die wir im Saal und auf den Zuschauertribünen sitzen, und viele andere, die nun zuschauen, ist
es selbstverständlich, selbst zu wählen, wo und wie wir
leben wollen . Die gleiche Selbstverständlichkeit muss
auch Menschen mit Behinderung zugestanden werden,
die Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen . Dafür wollen wir uns gerne einsetzen . Ich freue
mich auf intensive und emotionale, aber auch fachlich
versierte Debatten, die wir in den nächsten Wochen sicherlich noch führen werden .
Herzlichen Dank .
({5})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Uwe Schummer für die CDU/CSU das Wort .
({0})
Verehrtes Präsidium! Obwohl die Opposition nur aus
zwei Fraktionen besteht, sollte sie sich in der Argumentation einig sein, wenn sie sich gegenseitig beklatscht .
Wenn vonseiten der Grünen gesagt wird, es gebe kaum
Verbesserungen, und alles werde schlechter, es drohe die
große Sahelzone, und es handele sich um ein reines Spargesetz, dann klatschen Sie von der Linken . Wenn aber
dann jemand von der Linken sagt, dass sich die Kommunen und Länder beschweren, weil sie bei den Verbesserungen, die sie finanzieren müssen, vom Bund im Regen
stehen gelassen werden, dann klatschen Sie von den Grünen . Gibt es nun Verbesserungen, oder gibt es keine?
({0})
Wenn es Verbesserungen gibt, dann werden sie auch finanziert .
Bei der Finanzierung wurden zwei Aspekte eindeutig thematisiert . Der erste ist: Der Bund gibt ab 2020 im
Rahmen des Bundesteilhabegesetzes jedes Jahr zusätzlich 700 Millionen Euro für Verbesserungen .
({1})
Herr Kollege Schummer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rüffer?
Ja, selbstverständlich . - Frau Rüffer, Sie haben eben
geklatscht, als es um die Frage ging, warum die Verbesserungen von den Ländern angeblich alleine finanziert
werden müssen .
Herr Schummer, das war ein netter Versuch . Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass im Koalitionsvertrag steht,
die Kommunen seien bei der Eingliederungshilfe um
5 Milliarden Euro zu entlasten; das haben Sie ständig
wiederholt . Das hat nichts damit zu tun, dass Verbesserungen mehr Geld kosten werden - der Gesetzentwurf
liegt uns erst jetzt vor -, sondern damit, dass die Mehrkosten innerhalb der Eingliederungshilfe auf eine strukturelle Ursache zurückzuführen sind . Das liegt schlicht
an den steigenden Fallzahlen und hat viel mit dem demografischen Wandel zu tun. Als wir damals über eine
Entlastung von 5 Milliarden Euro geredet haben, ging es
nicht um Verbesserungen, sondern darum, dass der Bund
Länder und Kommunen bei ihren Aufwendungen unterstützt . Sehen Sie das genauso, oder worüber reden wir
nun?
({0})
Der Bund entlastet ab 2020 Länder und Kommunen
jährlich um 700 Millionen Euro . Der Bund hat auf Bitten
der Länder und Kommunen ebenfalls vereinbart - das
wollte ich gerade hinzufügen, als Sie sich zu Ihrer Zwischenfrage meldeten -, dass die Entlastung von 5 Milliarden Euro nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe
vorgenommen werden soll; denn sonst profitierten die
Bezirksregierungen in Bayern, die 44 Kommunen in
Baden-Württemberg, die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen und die Landesregierung im Saarland .
Das heißt, man erreicht die Kommunen in der Breite
nicht . Aber die 5 Milliarden Euro sind nun einmal vorgesehen . Deshalb gibt es die Vereinbarung zwischen Bund
und Ländern - diese sollten Sie durch Ihren Ministerpräsidenten eigentlich kennen -, dass 2018 die Entlastung
in Höhe von 5 Milliarden Euro im Rahmen der Kosten
der Unterkunft und der Grundsicherung sowie durch
Einnahmen aus Umsatzsteuerpunkten erfolgen soll . Das
heißt, die Länder und Kommunen bekommen diese Entlastung um 5 Milliarden Euro . Meine Erwartung ist, dass
Sie, Kollegin Rüffer, mit dafür sorgen, dass - so wie wir
700 Millionen Euro zusätzlich für die Eingliederungshilfe aufbringen - auch von den Ländern, aber zumindest
von den Kommunen 10 Prozent ihrer Entlastung um
5 Milliarden Euro ab 2018 in die Eingliederungshilfe
weitergeleitet werden . Dafür kämpfen wir miteinander .
Das muss unsere Zielsetzung sein .
({0})
Herr Kollege Schummer, gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Krellmann?
Wenn es nicht zu verhindern ist .
Sie können es entscheiden .
Dann fragen Sie .
Herr Schummer, es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie
meine Frage zulassen . - Mein Wunsch als Opposition ist,
den Menschen draußen, die Kritik an einem Gesetz haben, eine Stimme zu geben . Das ist es, was die Grünen
und was wir als Linke gemacht haben .
Was ich Ihnen auch noch sagen möchte: In Hannover - ich komme aus Niedersachsen - demonstrieren
derzeit 8 000 Menschen auf dem Opernplatz und zeigen
uns in Berlin die Rote Karte, weil sie mit vielen Punkten
nicht einverstanden sind. Von daher besteht, wie ich finde, kein Anlass, alles zu loben, auch wenn es vielleicht
an der einen oder anderen Stelle gut ist . Es kommt doch
darauf an, die Kritik ernst zu nehmen und sie entsprechend aufzugreifen . Von daher ist meine Frage: Sind Sie
bereit, wahrzunehmen, dass viele Menschen auch außerhalb dieses Parlaments so viel Kritik haben, um dann die
Kritikpunkte aus allen Richtungen aufzugreifen und entsprechend nachzubessern?
({0})
Liebe Kollegin, ich habe mir das parlamentarische
Recht genommen, die Debatte zwischen der Linken und
den Grünen als Oppositionsfraktionen, die ich mitverfolgt habe, zu bewerten . Das waren meine ersten drei
oder vier Sätze . Jetzt habe ich Zwischenfragen beantwortet; ich bin auch gerne dazu bereit . Ich sehe ebenfalls
Kritikpunkte und würde jetzt gerne auf die Inhalte kommen, wenn Sie mich denn lassen . Ich sehe Punkte, die
ich inhaltlich mit Ihnen diskutieren möchte . Dafür gibt es
das parlamentarische Verfahren, und ich bin dankbar und
froh, dass dieses parlamentarische Verfahren jetzt gestartet wird und dass die Inklusion, die Teilhabe behinderter
Menschen, aus den Spartenthemen heraus ins Zentrum
der politischen Auseinandersetzung kommt, mit allen
Demonstrationen und Konflikten, die damit verbunden
sind . Darauf bin ich stolz . Das ist richtig so, und es zeigt,
dass Inklusion in der politischen Gesellschaft angekommen ist .
({0})
Nun zum bestgehüteten Geheimnis in der Sozialpolitik der letzten Jahre . Was müssen wir für ein tolles Recht
haben, das die Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft angeht . Das hat man mir vor einem Jahr noch
weitgehend verschwiegen . Wenn all das, was wir vorhaben, im Bundesteilhabegesetz zu Verschlechterungen
führt, dann muss doch die Konsequenz sein, dass zurzeit
alles ungeheuer positiv ist .
({1})
Das würde mir, glaube ich, niemand unterschreiben . Es
ist eine klare Differenzierung notwendig: Was sind Verbesserungen, und wo gibt es Punkte, die wir miteinander
zu diskutieren haben?
Wenn bisher Erwerbstätigen, die auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, nur bei hohem Assistenzbedarf
der doppelte Hartz-IV-Satz plus ein Zuschuss zum Wohnen als Freibetrag vom monatlichen Einkommen gewährt
wird, dann ist, glaube ich, die jährliche Freistellung von
30 000 Euro für weit über 90 Prozent der Betroffenen
eine Verbesserung . Wenn bisher bei Erwerbstätigkeit behinderter Menschen mit Assistenz- und Hilfebedarf nur
2 600 Euro als Vermögen angespart werden durften und
das in der Zielsetzung bis 2020 auf 50 000 Euro angehoben wird, dann ist das wohl eine klare Verbesserung .
({2})
Selbst wenn ich mehr gefordert habe, ist das ist eine klare
und eindeutige Verbesserung .
Wenn man, was uns insgesamt wichtig war und was
auch von den betroffenen Menschen immer wieder eingebracht wurde, endlich das faktische Heiratsverbot beseitigt und die Ehepartner oder andere Partner bei der
Mitfinanzierung außen vor lässt, sodass in der Eingliederungshilfe Liebe und Armut nicht mehr Hand in Hand
gehen, dann ist auch dies eine zentrale und wesentliche
Verbesserung .
({3})
Dass es bei dem Thema des Zugangs zur Eingliederungshilfe richtig ist, von einer Defizitbewertung medizinische Diagnose - zu wechseln und die neuen
Lebensbereiche nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation zu definieren - Mobilität, Kommunikation -, ist offensichtlich . Wenn man sieht, dass Behinderung durch im Menschen angelegte Verhaltensweisen in
Wechselwirkung mit dem Lebensumfeld entsteht, dann
ist es im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention,
diesen Systemwechsel zu vollziehen .
Aber meine Frage ist dann auch - da sind wir bei den
kritischen Punkten; Astrid Freudenstein hat das ausgeführt -, wie man auf fünf Punkte kommt . Die Zahl Fünf
kann man mathematisch erklären, aber fachlich werden
wir das prüfen müssen .
Wir müssen miteinander überlegen, wie wir es inhaltlich und sachlich so organisieren, dass nicht am Anfang
der Systemwechsel steht und man schaut, was passiert,
sondern dass man, wie es auch im Gesetz angelegt ist,
das jetzige System weiterlaufen lässt, um dann in drei
oder vier Jahren, wenn das neue System erprobt ist und
valide Zahlen vorhanden sind, den Systemwechsel zu
vollziehen . Es ist richtig, dass man sagt, es dürften keine
Experimente gemacht werden . Wir müssen miteinander
vernünftige Lösungen entwickeln .
Die Abgrenzungsproblematik der aktivierenden Pflege, die sich neu aufstellt, zur Eingliederungshilfe ist ein
Thema, das wir intensiv im parlamentarischen Verfahren diskutieren werden . Mehrere Kolleginnen und Kollegen, von der Ministerin angefangen bis hin zu Astrid
Freudenstein und Kerstin Tack, haben gesagt, dass auch
bei der gemeinsamen Leistungserbringung niemand aus
seinem privaten Wohnumfeld herausgedrängt wird . Das
wird auch klargestellt werden . Dass ein Zwangspoolen
dazu führen könnte, dass man aus seinem selbstständigen
Haushalt verdrängt würde, wird überhaupt nicht passieren . Auch das ist etwas, das wir klarstellen werden .
({4})
Die Kostendynamik stellt sich heute wie folgt dar: Wir
haben jedes Jahr nach wie vor 15 000 neue Zugänge in
die Werkstätten in Deutschland, die finanziert werden.
Davon sind 13 000 Werkstattplätze für psychisch behinderte Arbeitnehmer, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen . Allein das trägt erheblich zur Kostendynamik bei
der Eingliederungshilfe bei, und zwar bundesweit in einer Größenordnung von 250 Millionen Euro .
Schauen wir uns einmal die Kosten, die psychische
Erkrankungen in den Unternehmen verursachen, an .
42,4 Prozent aller Frühverrentungen erfolgen aufgrund
psychischer Erkrankungen . Diese Menschen kommen
aus den Betrieben, aus den Verwaltungen . Das geht in die
Milliarden . Deshalb ist es wichtig, dass im engen Verbund mit dem Bundesteilhabegesetz auch die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben und Verwaltungen gestärkt werden .
({5})
Sie sind Komanager; sie wissen, wie die Humanisierung
der Arbeitswelt aussieht, sie wissen, wie nach chronischen Erkrankungen das Eingliederungsmanagement in
den Unternehmen stattfinden kann, sie wissen, wie Integrationsabteilungen in den Betrieben aufgebaut werden
können, und sie wissen, wie mit einem Frühwarnsystem
das wichtigste Potenzial in den Betrieben und Verwaltungen, der Mensch mit seiner produktiven Kraft, vor Burnout und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschützt
werden kann . Deshalb wollen wir die Schwerbehindertenvertretungen auch im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes stärken .
Die Schwerbehindertenvertreter nennen mir immer
wieder - das war am Montag bei der IG Metall wieder
der Fall - drei Dinge, die wir beachten sollten . Die erste
Forderung ist: Gebt uns mehr Zeit . Es wird immer komplizierter . Die Mitarbeiter werden älter und krankheitsanfälliger . - Deshalb ist es gut, richtig und wichtig, dass
die Regelung, wonach eine Vertrauensperson freigestellt
wird, wenn wenigstens 200 anerkannt schwerbehinderte
Mitarbeiter beschäftigt sind, verbessert wird, sodass in
den Betrieben und Verwaltungen jetzt die Mindestzahl
nur noch 100 beträgt . Die Forderung nach mehr Zeit
bedeutet auch, dass wir die Vertrauensleute bei den Verwaltungsaufgaben entlasten, zum Beispiel wenn eine
Kur beantragt werden muss oder wenn bürokratische
Aktivitäten zu erledigen sind . Wir müssen ihnen eine
Verwaltungsfachkraft zur Seite stellen, die dafür sorgt,
dass die Vertrauensleute stärker für die Menschen in den
Betrieben zur Verfügung stehen, weil sie weniger in der
Verwaltung tätig sein müssen . Das ist in dem Gesetz verankert .
Die zweite Forderung lautet: Lasst uns nicht allein .
Wir wollen nicht Einzelkämpfer sein, wir wollen im
Team arbeiten können . - Auch die stellvertretenden
Schwerbehindertenvertreter und die anderen Vertrauensleute sollen differenziert Aufgaben übernehmen sowie
Qualifizierungsmaßnahmen besuchen können. Sie sollen
dann im Team in der Lage sein, diese schwierige Aufgabe im Interesse des Unternehmens und der Wirtschaft zu
bewältigen .
Ihre dritte Forderung ist: Nehmt uns ernst . - Das bedeutet, dass die Informationsrechte, welche Schwerbehindertenvertretungen haben, auch genutzt werden . Es
soll miteinander geredet werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird . Da geht es nicht um Mitbestimmung, sondern um reine Information . Bevor jemand
frühverrentet wird, sollte man im Betrieb miteinander
überlegen: Wie kann durch Eingliederungsmanagement
die Arbeitsfähigkeit auch nach chronischen Erkrankungen wiederhergestellt werden? Das belastet die Wirtschaft nicht; das entlastet sie, weil das Potenzial, das wir
haben, die Menschen, in den Betrieben gehalten werden .
Dafür sorgen in besonderer Weise die Schwerbehindertenvertretungen . Deshalb ist uns auch das ein zentrales
Anliegen .
Wir drücken jetzt nicht auf einen Knopf und sagen, ab
morgen sei die Welt schön . Es wird aber anders sein als
2001, als das Sozialgesetzbuch IX formuliert wurde . Danach ging es 15 oder 16 Jahre nach dem Motto „Still ruht
der See“ zu . Jetzt wird ein Prozess gestartet, und dieser
Prozess muss in die richtige Richtung gehen . Es darf keine Verschlechterungen geben, es muss Verbesserungen
geben . Nicht alle Wünsche werden am Ende des Tages
erfüllt sein . Aber natürlich können wir das, was wir parlamentarisch miteinander bewegen, nur auf der Grundlage dessen bewerten, was heute real an Teilhabe möglich
ist . Dabei geht es nicht um all die Wünsche - man könnte
sie auf 1 000 Seiten zusammenfassen -, die man so hat .
Man kann sie nicht politisch-parlamentarisch mit einem
Gesetzentwurf erfüllen .
({6})
Der Prozess aber wird starten, und er wird auch in der
nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden .
({7})
Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem
Tagesordnungspunkt, die ich deshalb auch schließe .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/9522 und 18/9672 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlaUwe Schummer
gen . - Widerspruch dagegen ist nicht erkennbar . Dann
sind diese Überweisungen auch so beschlossen .
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Die Situation in Syrien nach dem Angriff auf
den VN-Hilfskonvoi
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Niels Annen für die SPD das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Angriff auf den Hilfskonvoi der Vereinten Nationen und des Roten Halbmondes am 19 . September südwestlich von Aleppo war ein abscheuliches
Kriegsverbrechen . Damit wurde ein neuer Tiefpunkt im
Syrien-Krieg erreicht, obwohl wir wahrscheinlich alle
eigentlich dachten, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte . Deswegen, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, muss unsere Botschaft - auch und vor allem
denjenigen gegenüber, die das Regime in Damaskus unterstützen - klar sein . Ich will das hier in aller Deutlichkeit sagen: Diese systematische Verletzung humanitären
Völkerrechts ist nicht hinnehmbar .
({0})
Wenn wir es als internationale Gemeinschaft zulassen,
dass in militärischen Auseinandersetzungen die Grundregeln, die wir uns als Weltgemeinschaft selber gegeben
haben und die auch und gerade für diese Konflikte gelten
müssen, bewusst und - ich füge hinzu - systematisch gebrochen werden, dann ist das nicht nur eine humanitäre Katastrophe für die betroffenen Menschen in diesem
Krieg, sondern dann stellt das auch das System insgesamt infrage . Es gibt ein Minimum an Regeln, ein Minimum an Humanität und Menschlichkeit, die auch im
Krieg gelten müssen . Das darf nicht verloren gehen, das
darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({1})
Deswegen muss dieser Vorfall aufgeklärt werden, und
die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen
werden .
Ich will an eine Situation erinnern, die, obwohl sie
noch gar nicht lange her ist, schon fast wieder aus unserem Gedächtnis verschwunden ist . Nachdem sich die
Vereinigten Staaten und Russland nach langen Verhandlungen und Bemühungen auf diese Waffenruhe verständigt hatten, gab es einen der ganz seltenen öffentlichen
Auftritte von Präsident Assad . Dieser Auftritt fand nicht
im Präsidentenpalast in Damaskus statt; er fand in Daraa
statt, einer Stadt, die monate- und jahrelang systematisch
ausgehungert und bombardiert wurde und eingekesselt
war . Die Bewohnerinnen und Bewohner und die Verteidiger von Daraa haben aufgegeben; am Ende gab es einen Deal mit dem Regime . In dieser Stadt hat Präsident
Assad als Reaktion auf den Waffenstillstand gesagt, seine Truppen würden die Kontrolle über das gesamte Land
zurückerobern .
Wir wissen nicht ganz genau, was passiert ist; deswegen müssen wir die Aufklärung abwarten . Aber auf eines
will ich hinweisen: Die systematische Aushungerung von
Gebieten, die dem Feind zugeordnet werden, wird von
allen Kriegsparteien angewandt; aber nur eine Kriegspartei in diesem Konflikt verfügt über eine Luftwaffe.
Deswegen darf man schon darauf hinweisen, dass in dem
Gebiet, in dem die Bombardierung stattgefunden hat, im
Moment die sogenannten oppositionellen Rebellen operieren, und in der Luft operieren syrische und russische
Flugzeuge . Man darf auch darauf hinweisen, dass die
Regierung von Präsident Assad offensichtlich keinerlei
Interesse daran hat, das Instrument der systematischen
Aushungerung, der Belagerung von feindlichen Kräften
aufzugeben . Aus dieser Logik ergibt sich, dass ein humanitärer Konvoi zu einem Ziel in einem Krieg wird .
Genau das dürfen wir nicht zulassen . Wir als Sozialdemokraten unterstützen deswegen die laufenden Bemühungen von Außenminister Steinmeier in New York . Es
hat erste Treffen der Kontaktgruppe gegeben . Ich denke, das ist ein wichtiges Signal . Alle Parteien haben sich
zumindest formal zu diesem Waffenstillstand bekannt,
und es bleibt zu hoffen, dass es bei den nächsten Treffen
dann endlich auch zu konkreten Ergebnissen kommt . Ich
erwähne das hier auch, weil es die aktuelle Debatte im
Moment zu Recht, wie ich meine, bestimmt .
Die von Frank-Walter Steinmeier erhobene Forderung nach einem zeitlich begrenzten, aber vollständigen
Verbot von Flügen über Syrien unterstützen wir, weil
ein solches Verbot vielleicht die Möglichkeit schafft, ein
Momentum zu kreieren, diesen fragilen Waffenstillstand
doch noch einmal mit Leben zu erfüllen . Ein zeitlich begrenztes Verbot von militärischen Luftoperationen würde
ja auch dazu führen, dass es in dem vereinbarten Zeitraum nicht zu solchen dramatischen Missverständnissen
wie die Bombardierung von syrischen Truppen durch
amerikanische Streitkräfte kommen kann, was natürlich
auch dazu beigetragen hat, dass dieser Waffenstillstand
wieder fragiler geworden ist . Solche Fehler dürfen wir
uns in dieser Situation einfach nicht leisten .
Ich bitte Sie, den konkreten Vorschlag, zeitlich begrenzt militärische Luftoperationen zu verbieten, zu unterstützen . Unsere Unterstützung, auch hier im Hause,
für die humanitäre Hilfe sollten wir fortsetzen . Ich bin all
denjenigen in allen Fraktionen dankbar, die sich im Moment dafür einsetzen, dass wir die finanziellen Mittel für
die humanitäre Hilfe in Syrien nicht nur aufrechterhalten,
sondern auch ausbauen können .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({2})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Heike Hänsel .
({0})
Vizepräsident Johannes Singhammer
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Angriff auf den UN-Hilfskonvoi in Syrien war ein
schweres Kriegsverbrechen, das wir ohne Wenn und
Aber verurteilen . 21 Menschen, die helfen wollten, wurden hinterrücks getötet . Bisher gibt es keine verlässlichen Beweise, wer dafür verantwortlich ist .
({0})
Dass Sie von der Regierungskoalition so tun - Herr
Röttgen heute Morgen im Morgenmagazin; auch Sie,
Herr Annen, haben das angedeutet -, als wüssten Sie
schon, wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist,
nämlich die syrischen Regierungstruppen und vor allem
Russland, ist inakzeptabel und unverantwortlich .
({1})
Sie übernehmen völlig einseitig die Anschuldigungen
der USA und machen bereits jetzt Syrien und vor allem
Russland - heute Morgen; O-Ton von Ihnen - für diesen
Angriff verantwortlich . Ich fordere Sie auf: Nennen Sie
uns bitte hier Ihre Beweise! Nennen Sie uns die Belege! Sie wissen anscheinend mehr als die UNO und die
NATO zusammen . NATO-Generalsekretär Stoltenberg
selbst hat gesagt: Ich spekuliere nicht . Wir wissen nicht,
wer dafür verantwortlich ist .
({2})
Wir wissen bisher, Herr Annen, noch nicht einmal genau, ob der Angriff aus der Luft kam . Aber Sie wissen
anscheinend schon, wer es war . Der Rote Halbmond hat
nämlich die Feststellung, dass der Angriff aus der Luft
gekommen sei, zurückgenommen . Es ist nicht klar, was
vor Ort passiert ist . Mit Ihrer Voreingenommenheit, vor
allem der von Herrn Röttgen, sind Sie ein Teil des Problems und nicht der Lösung .
({3})
Es gibt keine gesicherten Informationen, nur gegenseitige Beschuldigungen . Die USA beschuldigen Russland, Russland wiederum gibt an, in der Nähe des Konvois hätte sich eine US-Kampfdrohne befunden .
({4})
Es ist eine unübersichtliche Gemengelage . In dieser Situation jetzt die Forderung nach einer Flugverbotszone aufzustellen, wie es Minister Steinmeier getan hat, die Sie,
Herr Annen, hier wiederholen, lehnen wir kategorisch ab .
({5})
Flugverbotszone heißt: noch mehr Krieg und noch mehr
Tote . Das haben wir leidvoll in Libyen erlebt .
({6})
Wir haben es erlebt mit Zehntausenden Toten in Libyen .
Das wird den Krieg verschärfen, und Sie riskieren real wer soll denn die Flugverbotszone durchsetzen? - ein
Aufeinandertreffen von US-amerikanischen und russischen Flugzeugen . Das wäre ein total großer Krieg . Das
ist unverantwortlich . Wir lehnen solche Forderungen ab .
({7})
Wir unterstützen die Initiative der Vereinten Nationen und Russlands für eine internationale, unabhängige
Untersuchung dieses Kriegsverbrechens . Wir fordern
die Bundesregierung auf - hier könnten Sie einen konstruktiven, aufklärerischen Beitrag leisten -, dass sie
ihre Informationen, die sie über die Region hat, veröffentlicht, sowohl Geheimdienstinformationen als auch
Aufklärungsdaten der in Syrien im Einsatz befindlichen
Tornados . Das wäre ein erster Schritt, um zu mehr Aufklärung beizutragen .
({8})
Entscheidend ist aber für die Menschen in Syrien,
dass die humanitäre Hilfe für die Menschen in den eingeschlossenen Gebieten so schnell wie möglich wiederaufgenommen wird . Das betrifft sowohl Gebiete, die von
islamistischen Terrorgruppen eingeschlossen sind, als
auch den Osten Aleppos, der von der syrischen Armee
abgeriegelt ist . Hier braucht es die Verhandlungen, um
den Zugang zu allen zu organisieren .
({9})
Wir brauchen außerdem eine möglichst schnelle Wiederbelebung der Waffenruhe . Dazu gibt es keine Alternative; denn dieses Verbrechen ist ja nach dem Ende der
Waffenruhe passiert . Übrigens gab es während der Waffenruhe - das wissen wir auch; das haben Sie nicht erwähnt - einen angeblichen US-Angriff auf die Stellungen
der syrischen Armee .
({10})
Auch das ist natürlich eine Katastrophe und ein Verbrechen und hat dazu geführt, dass die Waffenruhe aufgekündigt wurde . Der Druck muss jetzt auf alle Akteure vor
Ort erhöht werden, damit eine Waffenruhe auch hält . Da
ist Russland gefragt mit Druck auf Assad, und da sind
die USA und ihre Verbündeten gefragt, dass sie endlich
Druck ausüben auf islamistische Terrorgruppen, die sie
teilweise nach wie vor unterstützen, wie zum Beispiel
Ahrar al-Scham, und die sich erklärtermaßen nicht an die
Waffenruhe gehalten haben . Hier würde ich mir auch von
der Bundesregierung wünschen, dass sie endlich Ahrar
al-Scham als Terrorgruppe einstuft und dass es hier keine
zweifelhaften Positionen gibt .
({11})
Benennen Sie endlich islamistischen Terror als das,
was er ist, und üben Sie Druck aus auf Ihre Partner, auf
die Türkei und auf Saudi-Arabien, dass sie diese Gruppen
nicht länger unterstützen! Sie dürfen diese Gruppen nicht
länger unterstützen. Sie haben sehr viel Einfluss auf die
Türkei und auf Saudi-Arabien . Wir setzen uns auch dafür
ein, dass endlich auch die Menschen im Norden Syriens,
in Rojava, Zugang zu Hilfslieferungen bekommen . Auch
sie brauchen unsere Unterstützung, und die Türkei muss
den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung beenden .
Das Menschenrecht auf Frieden ist nämlich unteilbar .
({12})
Vielen Dank, Heike Hänsel . - Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nächste Redner in der Debatte:
Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Danke schön . - Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich den Äußerungen von Niels Annen zu diesem absoluten Tiefpunkt der
bisherigen Situation in Syrien, der Bombardierung des
UN-Hilfskonvois, vollumfänglich anschließen . Natürlich
warten wir gespannt darauf, welche Ergebnisse eine internationale Untersuchung liefert . Es gibt Stimmen von
allen Seiten, die sagen, dass es eine solche Untersuchung
geben soll . Aber es gibt auch ein paar Indizien . Mich
macht es zum Beispiel skeptisch, dass Russland zunächst
behauptet hat, sie wüssten nicht, wo sich dieser Konvoi
befindet. Aber dann tauchen im russischen Fernsehen Videos, Drohnenaufnahmen, auf, die diesen Konvoi an diesem Ort filmten. Da passt das eine nicht mit dem anderen
zusammen .
Jenseits dessen, was in den letzten Tagen passiert ist,
möchte ich einige Fragen aufwerfen und Gedanken äußern . Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Wie
geht es jetzt in dieser Situation weiter? Wir haben die
guten Bemühungen der beiden Außenminister von Russland und Amerika erlebt, einen Waffenstillstand zu erreichen, und damit humanitäre Hilfe, die dringend notwendig ist, zu ermöglichen . Das hängt auch zusammen mit
den ins Stocken geratenen Friedensgesprächen, die wir
im letzten November in Wien recht erfolgversprechend
überraschend positiv begonnen haben, wo Akteure der
Region, aber auch Russland und Amerika und sogar Iran
und Saudi-Arabien sowie die Oppositionskräfte in Syrien
in der Lage waren, sich eine Roadmap zu überlegen, wie
man zu einem Frieden in diesem Land kommen kann .
Die Friedensgespräche sind im Wesentlichen deswegen
ins Stocken geraten, weil die Opposition völlig zu Recht
gesagt hat: Wenn Assad weiterhin mit russischer Unterstützung unsere Städte bombardiert und humanitäre Hilfe nicht möglich ist - beides sind Forderungen der Vereinten Nationen, die es zu erfüllen gilt -, dann macht es
keinen Sinn, zu verhandeln . Deswegen ist und bleibt es
enorm wichtig, dass es zu einem Waffenstillstand und zur
Ermöglichung humanitärer Hilfe kommt: zum einen aus
der Situation der Menschen vor Ort heraus, zum anderen
aber auch, weil eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses anders nicht möglich ist .
Dann muss man mit Blick auf das, was in dieser Woche passiert ist, fragen: Wer hat ein Interesse daran, diesen Weg zu sabotieren? Hier kann man mächtig spekulieren, aber es gibt eindeutig eine ganze Reihe von Punkten,
die mich dazu veranlassen, dass die Hauptverantwortung
leider nicht von Russland weggenommen werden kann .
Angefangen von diesem Luftangriff, unabhängig von der
Frage, ob Russland selbst aktiv daran beteiligt war oder
nicht: Russland hat den Einfluss auf Assad. Russland
hätte zumindest die Pflicht gehabt, zu verhindern, dass
das Ergebnis von Kerry und Lawrow, dass es einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe gibt, auf diese Weise
sabotiert wird .
({0})
Versetzt man sich einmal in die russische Rolle: Putin
ist angetreten in diesem Kampf an der Seite Assads mit
dem Ziel, Assad die Möglichkeit der Herrschaft über das
Land zurückzugeben, und zwar mit militärischen Mitteln .
Das ist die Strategie, die dahintersteht . Die Entwicklung
der letzten Monate zeigt, dass dieser Kampf mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist: weder für Assad mit
russischer Unterstützung noch von der Opposition, die
im Zweifel die eine oder andere Terrorgruppe auf ihrer
Seite kämpfen lässt .
({1})
Wenn man in einer besetzten Stadt sitzt, dann wird man
im Zweifel erst hinterher fragen, wer das ist, der die Waffe in der Hand hat und einen verteidigt .
Diese unglaubliche Einsicht, dass der Kampf militärisch nicht zu gewinnen ist, bedeutet auch, dass Putin
einsehen muss: Trotz seiner massiven Unterstützung gelingt es Assad nicht, die Herrschaft über das Land zurückzugewinnen . Dann wäre natürlich ein Verzicht auf
weitere militärische Unterstützung ein Stück weit ein
Eingeständnis, dass die Annahme, man könnte auf diese
Weise den Verbündeten Assad stützen und stärken, fehlgegangen ist . Ich glaube, über diese weite Brücke muss
Putin, muss die russische Führung gehen, damit wir tatsächlich an den Punkt kommen, dass Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden können, weil es
einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe gibt .
Ich sehe gegenwärtig keine andere Alternative als die,
dass wir uns weiter darum bemühen, einen Waffenstillstand herzustellen, dass wir im Bereich der humanitären
Hilfe einen Zustand herstellen, dass diese Konvois sicher
fahren können, dass wir zur Not auch andere Überlegungen anstellen, wie wir den Menschen, die am dringendsten auf humanitäre Hilfe warten, helfen können und dass
wir ganz konkret an der Fortsetzung des Friedensprozesses festhalten, wie er in Wien begonnen hat und wie er
sich in Genf fortsetzen muss .
Das ist meine Hoffnung am heutigen Tag . Ich glaube,
der Schlüssel zur Lösung zahlreicher Probleme liegt tatsächlich leider in Moskau .
({2})
Vielen Dank, Jürgen Hardt . - Der nächste Redner:
Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
grauenvollen Bilder aus Syrien sind kaum zu ertragen .
Im Übrigen ist es gerade mit Blick auf die innerdeutsche
Diskussion nicht häufig genug zu wiederholen: Das, was
wir auf diesen Bildern sehen, sollte uns immer wieder daran erinnern, wovor eigentlich so viele Menschen fliehen.
Ich glaube, dass das in der deutschen Debatte manchmal
verloren geht .
({0})
Es gibt viel Ratlosigkeit; aber diese Ratlosigkeit sollte nicht zu Untätigkeit führen . Ich will mal ein Beispiel
dafür anführen . Andrea Böhm schrieb am 1 . September
in der Zeit:
EU-Staaten machen derzeit Millionengeschäfte mit
Waffenlieferungen, die über Saudi-Arabien oder die
Türkei in das Kriegsland Syrien gelangen . Allen voran Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Kroatien und
die Slowakei, die sich gleichzeitig heftigst gegen
die Aufnahme syrischer Flüchtlinge wehren .
Ich finde, die Bundesregierung sollte dazu einmal etwas
sagen . Das wäre eine große Hilfe .
({1})
Es ist ein Krieg gegen Kinder . Das sieht man schon
allein daran, dass zurzeit 6 Millionen Kinder täglich
Zugang zu humanitärer Hilfe bräuchten . Die Vereinten
Nationen hatten im Juni noch zu 18 belagerten Gebieten Zugang, im August waren es nur noch drei . Wir alle
wissen, was in Ost-Aleppo seit Monaten los ist . Es gab
eine annoncierte Waffenruhe, die eigentlich keine war
und während der vor allem keine Hilfe für die Menschen
in den belagerten Gebieten gekommen ist . Gestern hatte Aleppo die schlimmste Bombennacht seit über einem
halben Jahr . Das ist hochdramatisch .
Ja, es ist ein großes Kriegsverbrechen, was dort mit
dem UN-Konvoi passiert ist, und ja, wir brauchen die
Aufklärung . Aber mindestens genauso wichtig - wenn
nicht viel wichtiger - ist die Frage, wie man den Menschen helfen kann . Jenseits der Aufklärung muss man
wirklich Hilfe leisten . Die Sätze, die mich, ehrlich gesagt,
am meisten aufregen, sind jene, in denen „man müsste“
vorkommt . Das höre ich seit fünf Jahren: Man müsste
dort helfen, man müsste mal, und wenn es schlimmer
wird, müsste man - - Der Außenminister hat am 13 . August gesagt, man müsste prüfen, ob man eine Luftbrücke
einrichten könne . Ich glaube, dass die Situation so ist,
dass man nicht mehr prüfen sollte und auch nicht müsste,
sondern darüber nachdenken muss, wie man sie installieren kann . Die Vereinten Nationen betteln seit Monaten
darum, dass die Weltgemeinschaft Kapazitäten zur Verfügung stellt, damit die Luftbrücke eingerichtet werden
kann . Man müsste nicht prüfen - die Bundesregierung
muss einfach etwas auf den Tisch legen, damit die Luftbrücke kommen kann .
({2})
Man müsste auch eine Flugverbotszone einrichten das stimmt; es ist richtig . Alle wünschen sich, dass keine
Bomben mehr fliegen, aber alle, die hinschauen, wissen
auch, dass dies angesichts der Machtverhältnisse nur im
Konsens geht . Deshalb ist das, was der Herr Außenminister heute ausgeführt hat, eher ein Wunschkonzert . Er
streut Sand in die Augen der Öffentlichkeit, anstatt endlich das, was zu tun ist, anzupacken . Er muss, was die
Machtverhältnisse angeht, reinen Wein einschenken und
das leisten, was am besten geht, und das ist derzeit in
erster Linie humanitäre Hilfe .
Es gibt UN-Resolutionen noch und nöcher, die mit
den Stimmen Russlands beschlossen wurden, zum Beispiel zum Thema Chemiewaffen . Wir wissen, dass es
auch danach viele Einsätze von Chemiewaffen gegeben
hat. Wir wissen, dass Fassbomben weiterhin geflogen
sind, obwohl die Russen zugestimmt haben, dass das
nicht mehr passieren soll . Wir wissen auch - da gibt es
mehrere Resolutionen der Vereinten Nationen -, dass
alle, die bedürftig sind, humanitäre Hilfe erhalten sollen .
Auch das hat in den letzten Monaten nicht geklappt .
Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir fordern, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass
es eine Luftbrücke gibt .
({3})
- Wir haben den Antrag nicht zurückgezogen . Der Antrag
ist vorhin in die Ausschüsse überwiesen worden . - Wenn
der Außenminister es mit der Prüfung der Möglichkeit
einer Luftbrücke ernst meint, gehen wir davon aus, dass
unser Antrag dann auch angenommen wird . Mir wäre es
ehrlich gesagt noch lieber, dass wir gar nicht auf die Ausschussberatungen warten, sondern die Bundesregierung
jetzt handelt, nicht erst, wenn wir diskutiert haben .
({4})
Das Problem ist nur: Wenn man mit den Ministerien
redet, dann sagen sie: Ja aber wir machen doch schon
etwas, wir haben doch einen Beitrag geleistet, wir haben
30 Millionen Euro bereitgestellt, damit es eine Luftbrücke in den Südosten des Landes geben kann . - Das ist
gut, dafür sind wir dankbar, aber das reicht nicht . Ehrlich
gesagt, wenn ich mir den Etatansatz für das nächste Jahr
anschaue - die Mittel für die humanitäre Hilfe sollen um
fast 400 Millionen Euro gekürzt werden -, dann fehlt mir
der Glaube, dass man ernsthaft helfen will . Ich glaube,
dass es notwendig ist, dass wir die Bundesregierung in
den Haushaltsberatungen bei diesem Thema stellen .
({5})
Es reicht nicht, immer nur zu formulieren, was passieren
muss, man muss es auch einmal machen . Exekutive heißt
vollziehende Macht und nicht fabulierende Macht .
({6})
Deshalb werden wir Sie nicht an dem messen, was Sie in
Interviews sagen, sondern an dem, was Sie am Ende des
Tages tun werden .
({7})
Vielen Dank, Omid Nouripour . - Die nächste Rednerin: Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Schönen Dank . - Frau Präsidentin! Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die CNN-Reporterin Clarissa Ward hat im August vor den Vereinten
Nationen das Leben in Aleppo als „Hölle“ bezeichnet .
Schlimmer könne es nicht werden, und diesen Eindruck
habe sie bereits im Jahr 2012 bei ihrer ersten Reise gehabt . Aber es wurde schlimmer, sagte sie nun nach einem
Besuch im Februar dieses Jahres . Als Kriegsreporterin
habe sie schon viel Schreckliches in der Welt gesehen,
nichts jedoch sei so schlimm gewesen wie die Zerstörungen in Aleppo . Wohnhäuser sind weitgehend zerstört,
Krankenhäuser sind bevorzugte Bombenziele . Aus anderen Berichten hören wir, dass viele Menschen in Syrien
kurz vor dem Verhungern sind, Hilfslieferungen kommen
nicht an, die eigene Produktion ist zusammengebrochen .
2,1 Millionen Kinder gehen derzeit nicht in die Schule,
1,4 Millionen weiteren Kindern droht der Verlust des Zugangs zu ihren Schulen . Aus einer verlorenen Generation
werden bald zwei .
Den Menschen in Aleppo ist jede Lebensgrundlage
entzogen, aber nicht nur dort: 80 Prozent der Syrer leben unter der Armutsgrenze, und das ist offenbar Absicht .
Sie, die sich gegen die Diktatur von Assad gewandt haben, sollen fliehen und möglichst nie wieder zurückkommen . Dazu passt traurigerweise das Ereignis vom Montag . Der Luftangriff russischer oder syrischer Kräfte auf
einen UN-Hilfskonvoi im belagerten Aleppo stellt einen
neuen Tiefpunkt im Syrien-Krieg dar .
({0})
Neben der Vernichtung der Hilfsgüter für die hungernde,
leidende Bevölkerung in Aleppo hat der Angriff auch viele Menschenleben gekostet . So kamen der örtliche Leiter
des Roten Halbmondes sowie viele aus seinem Team,
Fahrer und Helfer, ums Leben . Meine und auch unsere zumindest der Koalition und meiner Fraktion - besondere Hochachtung gilt Menschen wie diesen, nämlich jenen, die ihr eigenes Leben riskieren, um solche Konvois
mitten ins Kriegsgebiet zu bringen . Diesen Menschen
müssen wir ein Denkmal setzen .
({1})
Sogar nach diesem Ereignis wollen die UN die Hilfslieferungen so schnell wie möglich wieder aufnehmen . Das,
meine Damen und Herren, ist eben der Unterschied zwischen einer wertegebundenen Außen- und Entwicklungspolitik, wie wir sie betreiben, und einer auf Machtinteressen ausgerichteten Politik von Menschen wie Putin und
Assad .
Wir wollen das Leid der Menschen vor Ort mildern .
Wir leisten dazu humanitäre und andere Hilfen in großem Umfang . 2,3 Milliarden US-Dollar beträgt der von
Angela Merkel zugesagte Anteil Deutschlands an den
9 Milliarden US-Dollar, die Anfang des Jahres in London
für Syrien zusammengekommen sind . Putin und Assad
interessiert das gar nicht . Russland sucht man übrigens,
Frau Hänsel, vergeblich auf der Liste der 47 Staaten, die
Hilfsgelder zugesagt haben . Nach langen Verhandlungen
erlauben sie wenigstens einen Korridor für einen Hilfskonvoi, um ihn dann zu bombardieren .
({2})
Beiden, Assad und Putin, sind aus meiner Sicht die Menschen offensichtlich völlig egal . Sie nutzen sie nur als
Schachfiguren, um an der Macht zu bleiben, wie Assad,
oder um als regionale Macht im Nahen Osten angesehen zu werden, wie Putin; und wenn Europa durch den
Flüchtlingszuzug auch noch destabilisiert wird, mag ihm
das auch zupasskommen .
({3})
Der Syrien-Krieg dauert jetzt fünfeinhalb Jahre: fünfeinhalb Jahre Bombenterror, fünfeinhalb Jahre katastrophale Versorgungslage für viele Menschen, fünfeinhalb
Jahre Angst um das eigene Leben und das Leben der Familie . Trotz aller Tiefschläge und gescheiterten Ansätze
für eine diplomatische Lösung dürfen wir nicht nachlassen, diese weiterhin anzustreben . Ebenso wenig werden
wir nachlassen, vor Ort in Syrien und in den Nachbarländern Hilfen für die Menschen zu leisten . Das Auswärtige Amt, unser Bundesentwicklungsministerium und die
jeweiligen Durchführungsorganisationen und Hilfswerke
leisten unter schwersten Bedingungen hervorragende Arbeit . Deutschland läuft vor seiner Verantwortung nicht
weg .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Sabine Weiss . - Nächste Rednerin:
Sevim Dağdelen für die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unser aller Pflicht ist es jetzt, alles dafür zu
tun, dass der Waffenstillstand in Syrien wieder wirksam
wird . Der Angriff auf den UN-Konvoi ist selbstverständlich ein Kriegsverbrechen - das wurde heute oft hier gesagt -; aber, Herr Röttgen und Herr Annen, jetzt nach einer Flugverbotszone zu rufen, bedeutet nichts als Krieg .
({0})
Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein . Das Beispiel
Libyen, wo der NATO-Krieg dazu führte, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ starkzumachen - das zeigt
ein Untersuchungsbericht des britischen Unterhauses -,
sollte uns alle davor hüten, den Krieg in Syrien weiter zu
befeuern . Der Ruf nach einer Flugverbotszone ist - das
wissen Sie - nichts weiter als der Ruf nach einer Ausweitung des Krieges vor Ort; denn wer eine solche Zone
einrichtet, der muss bereit sein, Flugzeuge, die sich nicht
an die Flugverbotszone halten, abzuschießen . Das birgt
ganz konkret die Gefahr - das wissen Sie alle -, dass es
zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA auf
der einen Seite und Russland und vielleicht eben auch
der syrischen Armee auf der anderen Seite kommt . Deshalb ist diese Forderung falsch und gefährlich .
({1})
Am Ende heißt das nämlich auch freie Fahrt für die Pickups des „Islamischen Staats“ . Deshalb lehnen wir eine
Flugverbotszone ab . Wir lehnen eine Ausweitung dieses
Krieges ab . Wir brauchen eine politische Lösung .
({2})
Ich warne davor, jetzt, wie die Bundesregierung das
öffentlich getan hat, die Schuldigen zu präsentieren,
ohne dafür Beweise zu haben . Warum unterstützen Sie
nicht die Forderung der UNO nach einer internationalen
Untersuchungskommission? Herr Röttgen, das erinnert
wirklich an die Haltung der Union am Vorabend des Irakkriegs 2003 . Die Massenvernichtungswaffen, aufgrund
derer Sie an der Seite der USA in den Krieg ziehen wollten, wurden niemals gefunden . Diese einseitigen Schuldzuweisungen, ohne auch nur einen einzigen Beweis zu
präsentieren, sind unverantwortlich .
({3})
Die Erfahrung des syrischen Krieges lehrt, dass sich dies
verbietet .
Ich erinnere hier nur an das Massaker an Zivilisten
in al-Hula 2012, das syrischen Regierungsmilizen zugeschrieben wurde, und in dessen Folge Deutschland die
diplomatischen Beziehungen zu Syrien abgebrochen
hat . Später kamen erhebliche Zweifel auf, ob diese Version der Wahrheit entsprach . Die FAZ, die Frankfurter
Allgemeine Zeitung, eine Zeitung, die nun wirklich der
Komplizenschaft mit dem Assad-Regime unverdächtig
ist, schrieb:
Das Massaker von Hula ist ein Wendepunkt im
syrischen Konflikt. Die westliche Öffentlichkeit
beschuldigt, gestützt auf die UN-Beobachter, die
syrische Armee . Diese Version kann auf Grundlage von Augenzeugenberichten bezweifelt werden .
Demnach wurden die Zivilisten von sunnitischen
Aufständischen getötet .
Ich finde, allein das sollte uns Mahnung genug sein, was
vorschnelle Schuldzuweisungen betrifft .
({4})
Der Waffenstillstand in Syrien war immer prekär . Islamistische Terrorbanden wie die Ahrar al-Scham - von
Ihrem Premiumpartner Türkei, dem NATO-Land Türkei
bewaffnet, hochgezüchtet und unterstützt - haben von
Anfang an erklärt, sich nicht an diesen Waffenstillstand
halten zu wollen . Der eigentliche Bruch kam aber durch
den US-Angriff auf Anti-IS-Einheiten in der vom IS belagerten Stadt Deir al-Sor . Dutzende Menschen wurden
bei diesem Angriff getötet . Die IS-Mörderbanden konnten vorrücken . Tausende Menschen haben jetzt durch das
Vorrücken des IS Massaker zu befürchten . Herr Annen,
Sie sagten, das sei ein Fehler. Ich finde, Sie könnten hier
konkreter werden: Dieser Luftangriff der USA ist ein
Verbrechen gewesen .
({5})
Die USA haben sich natürlich entschuldigt . Sie haben
davon gesprochen, dass es ein Versehen war . Aber ist es
nicht seltsam, dass die USA selbst angaben, zum ersten
Mal seit vier Jahren aufseiten der Truppen des Assad-Regimes ins Kriegsgeschehen eingreifen zu wollen? Viele
fragen sich deshalb, ob diese Version, dass es ein Versehen war, tatsächlich glaubwürdig ist .
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir
begrüßen es ausdrücklich, dass die UNO die Vorbereitungen für weitere humanitäre Konvois wieder aufnimmt .
Wir sollten alles dafür tun, dies zu unterstützen .
({6})
Nicht Säbelrasseln ist das Gebot der Stunde, Herr
Röttgen, sondern ein wirklicher Einsatz für den Waffenstillstand. Dazu gehört, dass Sie Ihren Einfluss auf
Ihren Terrorpaten Erdogan geltend machen und ihn auffordern, seinen Einmarsch und persönlichen Krieg und
Rachefeldzug gegen die Kurden im Norden Syriens zu
beenden. Das wäre ein Schritt zur Lösung des Konfliktes
statt weitere Flugverbotszonen, was eine Ausweitung des
Krieges bedeutet .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Sevim Dağdelen. - Nächster Redner
in der Debatte: für die Bundesregierung Staatsminister
Michael Roth .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In meiner nordhessischen Heimat treffe ich regelmäßig Sherzad . Er und seine Frau haben in
Bad Hersfeld, in meiner Heimatstadt, Zuflucht vor dem
furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien gefunden und sind inzwischen Eltern einer acht Monate alten Tochter . Vieles
von dem, was mir die junge Familie über den Alltag in einem Bürgerkriegsland berichtet, bleibt mir unbegreiflich.
Sherzad war kürzlich zu Besuch in Dresden . Nach
seiner Rückkehr berichtete er mir: So ähnlich sah Aleppo einmal aus, bevor die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde . Als ich Sherzad erklärte, dass Dresden vor
70 Jahren auch einmal so wie Aleppo heute in Trümmern
lag, wollte er das überhaupt nicht glauben . Mit Blick auf
die barbarischen Ereignisse der vergangenen Tage fällt
es uns allen derzeit schwer, daran zu glauben, dass Menschen in Sherzads Heimat schon bald wieder ohne Angst
leben können . Aber das Beispiel Dresden macht uns auch
Hoffnung . Frieden und Wiederaufbau nach Krieg und
Zerstörung sind möglich . Aber davon sind wir derzeit in
Syrien Lichtjahre entfernt . Es ist einfach nur furchtbar .
Der abscheuliche Angriff auf einen VN-Hilfskonvoi
in der Provinz Aleppo mit mindestens zwölf, wenn nicht
noch gar mehr Todesopfern und vielen, vielen Verletzten ist ein Kriegsverbrechen schlimmster Art . Wir wissen
noch nicht abschließend, wer letztlich die Verantwortung
für diesen grausamen Angriff trägt, ob das syrische Regime mit oder ohne Unterstützung der russischen Armee
oder vielleicht doch andere . Deshalb ist eine unabhängige Untersuchung völlig richtig . Ich sehe hier niemanden,
der dies in Zweifel zieht, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Linken . Klar ist aber auch: Diejenigen, die so
etwas getan haben, sind zynische Taktiker der Macht und
erbärmliche Terroristen . Zumindest darüber sollten wir
uns einig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Was tun wir in dieser verzweifelten, verfahrenen Situation? Das ist ja nicht nur die bohrende Frage, die mir
Sherzad zu Hause in Bad Hersfeld stellt - Ihnen sicherlich auch, denn Sie haben ja alle Kontakte zu syrischen
Flüchtlingsfamilien . Sie sorgen sich alle um ihre Verwandten und Freunde in ihrer alten Heimat .
Das ist auch die Frage, die wir uns heute im Bundestag stellen . Das ist mehr als legitim, und es ist unsere
Pflicht. Was tun wir? Ich kann mich doch nicht hinstellen
und sagen, wir hätten einen Masterplan, den wir einfach
mal so aus der Schublade ziehen könnten . Niemand hier
sollte selbstgerecht sein und behaupten, er oder sie hätte
einen . Gleichwohl gilt: Trotz der hoffnungslos erscheinenden Lage müssen wir uns mit unseren europäischen
Partnern und der internationalen Gemeinschaft weiterhin
bemühen, jede noch so kleine Chance der Deeskalation
zu ergreifen .
Das tun wir auch, und Sie können die Bundesregierung konkret beim Wort nehmen, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Außenminister Frank-Walter Steinmeier führt
zurzeit unzählige Gespräche bei den Vereinten Nationen
in New York . Heute Nachmittag tagt abermals die Internationale Syrien-Unterstützungsgruppe .
Dass der Waffenstillstand schon nach wenigen Tagen
wieder vor dem Aus steht, hat maßgeblich das Assad-Regime zu verantworten . Wer allen Ernstes noch darüber
verhandeln will, ob und welche Nahrung bei den Menschen ankommt, der zeigt seine perverse Gleichgültigkeit
für die blanke Not seiner eigenen Bevölkerung .
({1})
Wer Schulen und Krankenhäuser mit Fassbomben bombardiert, der bekämpft keine Terroristen, der ist selbst ein
Terrorist .
({2})
Die syrische Opposition hat ihre Bereitschaft zu
ernsthaften Verhandlungen immer wieder unter Beweis
gestellt . Das Assad-Regime ist diesen Beweis bis heute schuldig geblieben, und letztlich werden beide Seiten
bereit sein müssen, schmerzhafte Kompromisse einzugehen .
({3})
Wir sehen dabei alle in der Pflicht, ihren Einfluss auf
das syrische Regime geltend zu machen, um endlich die
Waffen zum Schweigen zu bringen und den Weg für eine
politische Lösung freizumachen .
Russland ist als Unterstützer des Assad-Regimes besonders in diese Tragödie verstrickt und muss noch viel
mehr tun und entsprechend auf das Assad-Regime einwirken . Das ist unsere klare Erwartung, die wir Russland
auch immer wieder vortragen .
({4})
Und wenn nicht nur die Opposition fragt, wo und wie
die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht wird,
dann kann ich darauf nur sagen: Wir unterstützen im
Rahmen der Internationalen Syrien-Unterstützungsgruppe alle Bemühungen, eine landesweite Waffenruhe wiederherzustellen .
Ja, diese Vereinbarung ist brüchig, aber sie bietet nach
wie vor die beste Chance, die Gewalt in Syrien erst einmal einzudämmen . So vermag sich auch wieder die Tür
für eine politische Lösung der Krise zu öffnen . Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat jetzt in New York
mit der Forderung nach einer zeitlich befristeten Flugverbotszone einen neuen Vorschlag unterbreitet, um aus
dem Teufelskreis der Gewalt herauszukommen, und wir
sind uns der Risiken bewusst: Die Forderung der Luftbrücke ist von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen nochmals erhoben worden . Wir alle wissen auch,
dass eine Luftbrücke ein sicheres Umfeld benötigt, und
wenn die Syrer eines haben, dann ist es eine hoch aufgerüstete Luftabwehr . Das muss abgewogen werden, und
dies wägen wir alle ab . Deshalb will ich Ihren Vorschlag
überhaupt nicht kritisieren, aber Sie dürfen uns nicht dafür kritisieren, dass wir uns in diesem fortwährenden Abwägungsprozess befinden. Außenminister Frank-Walter
Steinmeier führt - ({5})
- Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht . Sie haben uns eben
erklärt, was wir alles nicht tun sollen, haben aber keinen einzigen substanziellen Vorschlag gemacht, was wir
denn tun könnten .
({6})
Wir sind uns doch völlig einig: Die humanitäre Katastrophe in Syrien muss gestoppt werden . Hunderttausende Menschen sind derzeit von jeglicher Versorgung
abgeschnitten . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Bundesregierung, Sie, wir alle sind in diesem Jahr
der größte Geber humanitärer Hilfe für Syrien . Dass das
noch nicht reicht, ist uns doch bewusst . Aber wir tun
etwas im Rahmen dessen, was uns auch der Bundestag
gewährt . Wir unterstützen insbesondere das Welternährungsprogramm . Das VN-Flüchtlingshilfswerk hilft bei
der Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln, Unterkünften, dringend benötigten Hilfsgütern . UNICEF
haben wir 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt,
um die Wasserversorgung in Aleppo aufrechtzuerhalten .
Daneben fördern wir eine Reihe humanitärer Nichtregierungsorganisationen, die grenzüberschreitende Hilfe für
die Menschen in und um Aleppo leisten . Wir arbeiten
auch eng mit der Syria Civil Defense, den sogenannten
Weißhelmen, zusammen . Sie wurden in diesem Jahr für
ihren mutigen und engagierten Einsatz mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet . Dazu gratuliere ich dieser Organisation sehr herzlich .
({7})
Aber auch die rund 5 Millionen Menschen in den anderen belagerten, teils schwer oder gar nicht erreichbaren
Gebieten Syriens dürfen wir nicht aus den Augen verlieren . Wir alle sehen das Leid . Wir haben schon viel zu oft
in den Abgrund geschaut . Das lässt auch niemanden von
uns kalt . Aber wir wissen eben auch: Die Lösung dieses
Konflikts wird viel Geduld erfordern. Wir werden mit
Menschen, mit Politikerinnen und Politikern, zu sprechen
haben, von denen wir wissen, dass ihre Glaubwürdigkeit
nicht gerade die allergrößte ist . Wir wissen auch: Es dürfte weitere Rückschläge geben; das ist vorprogrammiert .
Aber das darf doch nicht bedeuten, dass wir es nicht immer wieder aufs Neue versuchen . Syrier wie Sherzad, die
bei uns Zuflucht und eine neue Heimat gefunden haben
und derzeit in unserer Nachbarschaft leben, mahnen und
verpflichten uns dazu. Wir dürfen niemals aufgeben. Wir
dürfen auch nicht resignieren . Frieden ist möglich . Diesem Frieden fühlen wir uns verpflichtet, auch wenn es ich gebe das zu - in diesen Zeiten verdammt schwierig
ist .
Danke schön .
({8})
Vielen Dank, Michael Roth . - Nächste Rednerin in
der Debatte: Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die
Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich möchte anfangen mit einer Gratulation an die
Weißhelme, die White Helmets, die heute den Alternativen Friedensnobelpreis erhalten haben . Die White Helmets setzen sich in Syrien unglaublich mutig und tapfer
dafür ein, dass Menschen auf allen Seiten, die unter den
Bombardements, die unter der Aushungerungsstrategie
leiden, geholfen werden kann .
Sie haben in den letzten Tagen immer wieder gesagt:
Wir sind „courageous“ - wir sind ganz mutig . Dann haben sie angefügt: Aber wir sind nicht „suicidal“ - wir
wollen nicht in den Selbstmord gehen . Ja, wir sind mutig; aber wir gehen nicht zum Sterben, wir gehen zum
Helfen . Wenn die internationale Gemeinschaft nicht
mehr respektiert und nicht mehr garantiert, dass diejenigen Menschen, die helfen wollen, nicht zum Angriffsziel
werden, dann haben wir viel von dem aufgegeben, was
die internationale Gemeinschaft ausgemacht hat . Es ist
ein unglaublich hoher Preis, den wir zahlen, wenn wir
die Sicherheit derjenigen, die helfen wollen, nicht mehr
garantieren können .
({0})
Es ist richtig, dass die Vereinten Nationen wieder
helfen . Denn wenn sie die Hilfslieferungen eingestellt
hätten, hätte Assad ja sein Ziel erreicht: keine Hilfslieferungen mehr in die besetzten Gebiete . Aber wir müssen auch klarstellen - da zähle ich auf die Bundesregierung -, dass es endlich auch Lieferungen „cross-border“,
also über die Grenze hinweg, geben muss . Das ist im Sicherheitsrat mehrfach verabschiedet worden, immer mit
der Zustimmung Russlands, aber es wird vor Ort einfach
nicht umgesetzt . Das ist ein Unding . Wir müssen endlich
stärker darauf hinwirken, dass die Lieferungen bei den
Menschen ankommen .
({1})
Herr Annen, Sie haben vorhin zu Recht Daraa angesprochen, aber Sie haben das Ende der Geschichte leider
nicht erzählt . Das Ende der Geschichte ist: Diese Stadt
gibt auf, die Zivilisten verlassen die Stadt, und seither
hat sie keiner mehr gesehen . Keiner weiß, wo die Tausenden von Menschen sind . Es gibt Vermutungen, dass
sie in Lagern oder vielleicht auch schon gestorben sind;
keiner weiß, wo sie sind . Wir haben die Bundesregierung
gefragt: Haben Sie eine Ahnung davon, was mit diesen
Menschen passiert ist? - Die Antwort war Nein . Das
heißt, die Strategie von Assad ist nicht nur die des Aushungerns, sondern auch die der Vertreibung . Das ist noch
einmal eine neue Ebene des Assad-Krieges gegen seine
eigene Bevölkerung: das Aushungern und am Ende die
Vertreibung in Lager oder zu anderen Stellen, von denen wir nichts wissen . - Wir müssen hier doch wesentlich klarer und deutlicher ansprechen, dass das eine neue
Schärfe des Konfliktes ist, die von Assad ausgeht und die
wir alle ganz klar zu kritisieren haben .
({2})
Zur Forderung nach einer Flugverbotszone: Frau
Hänsel, Sie haben vorhin gesagt, das würde nur Krieg
fördern . Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört, was
Herr Steinmeier gesagt hat . Er hat gesagt: für alle - das
heißt, das geht nur, wenn Russland dabei ist - und zeitlich begrenzt . - Es wäre ja wunderbar, wenn das passieren und keiner mehr bomben würde . Die Frage ist aber:
Wie wird das durchgesetzt? Diese berechtigte Frage haben Sie und auch wir gestellt .
Das Ziel, dass alle mit dem Bombardieren aufhören,
ist doch absolut richtig . Auch Sie, die Linke, können
doch nicht sagen: Das ist eine Fortsetzung des Krieges .
({3})
Vielmehr erreichen wir dadurch eine No-Bombing-Zone, in der niemand mehr bombt . Das müssen wir doch
erreichen .
Auf unsere Frage an die Regierung, was denn der
Beitrag Deutschlands dazu ist, dass das erreicht wird,
und wie sie das durchsetzen würde - da wird es ja spannend -, habe ich bis jetzt von den Regierungsfraktionen
leider noch nichts gehört . Vielleicht können die Redner,
die noch kommen, einmal etwas dazu sagen, wie Sie das
durchsetzen wollen und wie das ausschauen soll .
Noch einmal zur Luftbrücke: Herr Roth, Sie haben
gesagt, das sei nicht so einfach . Das stimmt . Natürlich
haben alle recht, die sagen: Besser wäre es, wir könnten
über den Landweg gehen . Besser wäre es, wir hätten eine
Waffenruhe . Besser wäre es, wir hätten Verhandlungen .
Besser wäre es, wir hätten Frieden .
({4})
Wir haben aber nichts davon . Dann können wir nicht sagen, dass wir das, was wir tun könnten, auch nicht tun .
Das ist doch keine Begründung und keine Logik .
Es geht momentan nicht mehr darum, was besser ist,
sondern darum, wie wir sicherstellen können, dass mehr
als eine Viertelmillion Menschen nicht verhungert . Das
und nicht die Definition dessen, was besser wäre, ist die
Aufgabe .
Ich möchte von Ihnen gerne wissen: Wie können Sie
dort zuschauen? Die UN sagen, sie bräuchten Unterstützung für Luftbrücken . Wo ist unsere Unterstützung? Sie
fehlt . Ich hätte sie gerne deutlich . Hier hilft es mir nicht,
wenn Sie sagen, was alles besser wäre . Das könnten wir
als Opposition tun, aber nicht Sie als Regierung .
Lassen Sie mich kurz noch etwas zur humanitären
Hilfe sagen: In diesem Jahr haben wir schon 1,1 Milliarden Euro dafür ausgegeben, und das Jahr ist noch nicht
vorbei . Für 2017 setzen Sie 750 Millionen Euro an, also
weniger, als wir jetzt schon ausgegeben haben . Wenn wir
davon ausgehen, dass der Krieg in Syrien bis Januar nicht
vorbei ist, dann werden wir aller Voraussicht nach mehr
Geld als das brauchen, was im Haushalt veranschlagt ist .
Warum planen wir nicht endlich realistisch? Warum
geben wir den Vereinten Nationen keine Sicherheit für
ihr World Food Programme, damit sie wissen, dass sie
auf dieses Geld zählen können?
({5})
Warum müssen sie Nachtragshaushalte beantragen? Lassen Sie uns das geben, was für die Menschen notwendig
ist, wenn wir ihnen schon nicht anderweitig helfen .
Ich danke Ihnen .
({6})
Vielen Dank, Franziska Brantner . - Nächster Redner:
Dr . Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ausgangspunkt unserer Debatte heute
hier - und damit möchte ich auch beginnen - ist in der
Tat der schreckliche Angriff auf einen Hilfskonvoi . Es
gibt kein Bekenntnis derjenigen mit militärischer Macht,
die ihn ausgeübt haben, und es gibt auch keine abschließenden Beweise, also Luftaufnahmen, Satellitenaufnahmen oder etwas Ähnliches, die das definitiv klarlegen. Es
gibt aber zahlreiche Augenzeugenberichte von Opfern,
von Beobachtern der Szenerie .
Diese hat uns das Auswärtige Amt gestern im Auswärtigen Ausschuss dargestellt, und es ist zu dem Ergebnis
gekommen - ({0})
- Herr Kollege Gehrcke, natürlich soll noch eine Untersuchung stattfinden, aber trotzdem gibt es schon eine ganze
Menge Aussagen dazu . Sie können das im Internet und
auf Twitter nachlesen . - Alle, die darüber berichten, sagen, es war erstens ein Luftangriff, und es gibt zweitens darauf hat der Kollege Röttgen in der Ausschusssitzung
gestern, aber auch noch einmal öffentlich hingewiesen zwei Akteure, die dort Luftkrieg führen, nämlich Assad
und Russland . In dieser Situation zu sagen, dass es starke
Indizien, dass es einen starken Verdacht gibt, dass die den
Angriff ausgeführt haben: Dazu muss man doch hier im
Deutschen Bundestag bereit und in der Lage sein, ohne
sich von Ihnen Angriffe anzuhören .
({1})
Warum sind Sie denn nicht bereit, sich dieser Geschichte zu öffnen? Die Frage muss man schon stellen,
und das fällt in der Tat auf .
({2})
Niemand würde den Angriff auf die Assad-Truppen, der
jetzt versehentlich geschehen ist, relativieren . Das ist in
der Tat ein Versehen gewesen . Aber die zahlreichen russischen Angriffe auf Aleppo sind kein Versehen gewesen .
Sie sind Absicht gewesen, und dazu gibt es von Ihnen
kein einziges Wort in diesem Hause . Das ist ein Skandal .
Das ist ein wirklicher Skandal .
({3})
Wenn Sie in diesem Zusammenhang eine Flugverbotszone, die der Außenminister angeregt hat, als Kriegstreiberei oder als den Krieg eher noch anfeuernd bezeichnen,
dann frage ich: In welcher Welt leben Sie denn eigentlich? Die Flugzeuge, die da herumfliegen, bringen Tod
und Gewalt; und jedes Flugzeug und jeder Hubschrauber
weniger ist ein Flugzeug oder Hubschrauber mit Bomben
weniger, mit Fassbomben weniger und bedeutet weniger
Tod . Deswegen wäre eine Flugverbotszone gut, und deswegen kann man die Initiative insgesamt nur unterstützen .
({4})
Natürlich ist sie nicht die Lösung sämtlicher Probleme;
aber sie wäre insgesamt gut . Und wenn Sie sagen, das
müsste durchgesetzt werden - ({5})
- Hören Sie mir doch einfach mal zu; ich habe Ihnen
auch zugehört . Es ist nicht immer ganz leicht gewesen,
ruhig dabei zu bleiben; aber vielleicht bemühen Sie sich
jetzt mal in ähnlicher Weise um Gelassenheit .
({6})
Wenn Sie sagen, es müsste gewaltmäßig durchgesetzt
werden, kommen wir doch zum Punkt der ganzen Angelegenheit . Das heißt also, Sie gehen davon aus, Russland
ist nicht freiwillig bereit, sich an so eine Flugverbotszone
zu halten . - Herr Kollege Gehrcke nickt . Sie haben ja
optimale Kontakte nach Moskau . Dass Sie das hier so
bestätigen, ist ja für uns alle erhellend . - Nein, dazu muss
man nur mal eines sagen - das ist doch das Problem des
ganzen Konfliktes -: dass Russland zumindest hier in anderen Bereichen haben wir es anders erlebt, siehe
Iran - ebenso wie beim Ukraine-Konflikt nicht bereit ist,
innerhalb der internationalen Völkergemeinschaft für
Frieden, für Freiheit und für Humanität zu sorgen . Das
muss man doch ansprechen, meine sehr verehrten Damen
und Herren .
({7})
Deswegen ist man doch kein Gegner Russlands, sondern dazu muss man doch in der Lage sein, und dafür
muss man immer wieder werben . Daraus darf man Russland nicht entlassen . Russland hat diesem Regime überhaupt das Überleben ermöglicht; darauf hat die Kollegin
Brantner gerade noch einmal hingewiesen. Diese perfide
Strategie des Aushungerns und mittlerweile der Vertreibungspolitik muss man zur Kenntnis nehmen . Da werden
Konvois abgefangen .
({8})
- Frau Kollegin Hänsel, Ihnen geht es doch immer um
Humanität . Ja, Sie kämpfen doch für das Menschenrecht,
international, als Internationale . Das ist Ihr Kernanliegen . Und jetzt werden dort Hilfskonvois abgefangen, und
die syrischen Truppen haben nichts anderes zu tun, als
diesen Hilfskonvois Babymilch und Medikamente wegzunehmen und dafür zu sorgen, dass in Daraa das passiert
ist, was die Kollegin Brantner erwähnt hat .
({9})
Was hat das noch mit Menschlichkeit zu tun? Zu einem
sollten wir, der Deutsche Bundestag, in der Lage sein aber dazu kann ich, Herr Kollege Roth, in der Tat nur
die Bundesregierung auffordern -: Wir müssen an dieser
Stelle Russland stellen und an seine Verantwortung erinnern . Wir kommen nur dann zu einer internationalen
Lösung, wenn wir im UN-Sicherheitsrat mit russischer
positiver Mitwirkung, auch mit chinesischer Mitwirkung, zu einem Vorschlag kommen, der umsetzbar ist .
Nationale Alleingänge helfen uns auch hier nicht weiter .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank, Dr . Wadephul . - Nächster Redner:
Achim Post für die SPD-Fraktion .
({0})
Danke . - Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur wenige Tage liegen zwischen
dem Beginn der Waffenruhe, ausgehandelt von den USA
und Russland, und der Zerstörung des UN-Hilfskonvois:
ein Akt des Tötens und ein Akt der Unmenschlichkeit .
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schwanken
doch seit Jahr und Tag genau zwischen diesen Polen:
zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen kleinen
diplomatischen Fortschritten und Ohnmachtsgefühlen,
zwischen Möglichkeiten und Misserfolg . Deshalb - viele
Kolleginnen und Kollegen haben das angesprochen - ist
es jetzt auch unsere Pflicht, nicht aufzugeben. Die Waffenruhe und das russisch-amerikanische Abkommen sind
noch nicht gescheitert, trotz der Zerstörung des Hilfskonvois, trotz der Bombardierung des Stützpunktes der
syrischen Armee im Nordosten . Kerry und Lawrow versuchen doch gerade, die Waffenruhe wiederherzustellen .
Die Außenminister der Kontaktgruppe treffen sich bereits
heute erneut in New York . Deutschland tut weiter alles
für die Beibehaltung und Umsetzung des Abkommens .
({0})
Ich will damit keine naive Zuversicht verbreiten .
Niemand hier im Haus hat und hatte Illusionen bei der
Einigung Russlands und Amerikas . Niemand hatte Illusionen bei Beginn der landesweiten Waffenruhe . Wir
alle wussten, dass von Anfang an mehr Fragen als Gewissheiten auf dem Tisch lagen . Wird sich Assad an die
Vereinbarungen halten? Ist die Entflechtung der Oppositionstruppen von al-Nusra machbar? Haben die Regionalmächte überhaupt ein Interesse an einer Waffenruhe?
Und schließlich: Wollen und können beide Großmächte
das Abkommen überhaupt garantieren? Das sind nur vier
Fragen, vier von vielen .
Dennoch haben vermutlich viele gedacht - ich gebe
zu, ich auch -: Vielleicht kann man mit dem AbkomDr. Johann Wadephul
men doch den Weg in Richtung einer politischen Lösung
beschreiten . Vielleicht kann mit dem Abkommen mehr
humanitäre Hilfe möglich werden, um die verzweifelte
Lage der Frauen und Männer, der Mädchen und Jungen
in Syrien zu verbessern, Schritt für Schritt, Hilfskonvoi
für Hilfskonvoi . Ehrlich gesagt, diese Hoffnung sollte
unser Ansporn bleiben, um das Abkommen auch jetzt
nicht aufzugeben .
({1})
Die Lage in Aleppo ist dramatischer denn je . Die Lage
in Syrien ist dramatischer denn je . Der humanitäre Bedarf
ist größer denn je . Deshalb müssen wir jede Möglichkeit
für humanitäre Zugänge nutzen . Deshalb brauchen wir
endlich Sicherheitsgarantien . Deshalb brauchen wir so
schnell wie möglich ein militärisches Flugverbot - vollständig, sofort und mindestens für drei Tage .
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn
wir nach vielen Jahren Krieg, nach Hunderttausenden
von Toten und Verletzten, nach Millionen von menschlichen Schicksalen auf dieses geschundene Land blicken,
vermag jedenfalls ich mir kein sicheres Urteil mehr zu
erlauben, wer die Guten und die Bösen sind, wer die
Schuldigen und die Unschuldigen,
({2})
wer unterstützt werden sollte und wer nicht . Damit bin
ich in diesem Hause und in unserem Lande vermutlich
nicht allein .
Aber drei Dinge weiß ich. Alle Konfliktparteien begehen Menschenrechtsverletzungen, und zwar ständig .
Aber die Hauptschuldigen sind für mich Baschar al-Assad, sein Regime und seine Helfershelfer .
({3})
Wer sein eigenes Volk tötet, foltert, aushungert und
vertreibt, begeht systematische Verbrechen gegen die
Menschlichkeit .
({4})
Der Kollege Post hat das Wort . Daran will ich Sie nur
erinnern .
Ich habe interessiert zugehört . Wir reden, glaube ich,
über Syrien . Wir können gerne über die Türkei reden .
({0})
Auch dazu gibt es viel zu sagen .
Auch deshalb, Frau Kollegin, dürfen wir uns nicht
zu sehr und zu oft von anderen, ach so wichtigen politischen Fragen ablenken lassen . Auch deshalb dürfen wir
uns nicht entmutigen lassen, niemals . Mein besonderes
Vertrauen gilt hier unserem Außenminister Frank-Walter
Steinmeier, gilt der Bundesregierung und gilt dem Deutschen Bundestag .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Achim Post . - Der nächste Redner in der
Debatte: Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Debatte heute Vormittag zum Thema Leiharbeit und Zeitarbeit hat Sahra Wagenknecht dazu aufgefordert, doch
die Verhältnisse im Haus zu ändern und für eine Mehrheit
von Rot-Rot-Grün hier im Haus zu sorgen . - Meine Damen und Herren, ich war noch nie so sehr wie nach dieser
Debatte davon überzeugt, dass dies wahrscheinlich einer
der gefährlichsten Schritte für die Republik wäre .
({0})
Ich habe größte Bedenken - ich meine nicht Sie, Herr
Nouripour -:
({1})
Stellen Sie sich vor, Ihrer Fraktion würde in der jetzigen
Zeit als größter Oppositionsfraktion in einer neuen Bundesregierung das Außenministerium zufallen . Gnade uns
Gott!
({2})
Gestern war Weltfriedenstag . Es war kein guter Tag .
Wir erleben momentan Konflikte um uns herum, in unserer engsten Nachbarschaft bzw . in unserem Umfeld .
Vor zwei Tagen wurde in Syrien das Kriegsrecht bzw .
das Völkerrecht gebrochen . 1949 wurde das erste Genfer
Abkommen überarbeitet und unterschrieben . Mittlerweile haben 196 Staaten die Genfer Abkommen und die Zusatzprotokolle ratifiziert, darunter die Vereinigten Staaten
von Amerika, die Russische Föderation und Syrien . In
diesen Abkommen ist festgeschrieben, dass es keinerlei
Angriffe auf Zivilisten geben darf; in diesen Abkommen
ist festgeschrieben, dass Sendungen von unentbehrlichen
Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten von allen
Kriegsparteien freier Durchlass zu gewähren ist . Der Angriff auf den Hilfstransport der Vereinten Nationen gestern war ein Angriff auf ein nicht militärisches, war ein
Achim Post ({3})
Angriff auf ein neutrales Ziel und war ein Angriff auf ein
unparteiisches Objekt . Das war kein Angriff, das war ein
terroristischer Akt .
({4})
Ein Angriff auf Hilfsorganisationen ist das Verachtenswerteste, was es gibt .
Wir haben viel über den Syrien-Konflikt diskutiert.
Dieser Konflikt, der sich lokal entwickelt hat, hat mittlerweile eine geopolitische Bedeutung erreicht . Eine
Vielzahl von Gruppen fällt hier übereinander her . Zudem
ist die Einflussnahme aus den Nachbarstaaten sehr groß.
Aber eines eint alle vor Ort und hoffentlich auch hier
im Haus, nämlich unser Vorgehen zur Verbesserung der
humanitären Lage der Menschen vor Ort . In Syrien gibt
es 13,5 Millionen Hilfsbedürftige; fast die Hälfte sind
Kinder. Über die 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge reden
wir in Europa fast gar nicht mehr . Jede Stunde werden in
Syrien circa 50 Menschen vertrieben, 50 Menschen, die
dort, wo sie sich aufhalten, nicht mehr überleben können, nicht weil die Infrastruktur nicht gut ist oder weil es
keine Arbeit gibt, sondern weil sie sonst erschossen werden oder weil sie verhungern . 80 Prozent der syrischen
Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze . Die Kämpfe
haben bereits über 280 000 Tote und 1,2 Millionen Verletzte gefordert . Mehrere Hunderttausend Menschen sind
von Hilfslieferungen abgeschnitten; sie sind völlig isoliert . Das betrifft nicht nur die Menschen, die rund um
Damaskus und Aleppo im Regimegebiet leben . Vielmehr
gibt es Gebiete, um die sich überhaupt niemand mehr
kümmert, weder die Opposition noch das Regime noch
die terroristischen Gruppen . Wir können keine Hilfslieferungen vor Ort mehr durchführen . Die Vereinten Nationen mussten zeitweilig ihre Hilfslieferungen einstellen .
Sie haben sie nun wieder aufgenommen .
Es gibt neben den großen Hilfsorganisationen viele
kleine, die nicht über die notwendige Logistik verfügen,
um noch in das Land vorzudringen . Ich habe gestern mit
dem Vorsitzenden der „Orienthelfer“, Christian Springer, telefoniert . Er schilderte mir, dass ein Konvoi mit
50 000 Rationen Babynahrung in Mersin aufgrund der
Sicherheitslage in Syrien gestoppt werden musste . Diese 50 000 Rationen waren für Babys in Aleppo gedacht .
Diese haben nun nichts mehr zu essen . Das ist die Situation . Helfer wurden aber nicht nur bei dem gestrigen
Angriff auf den Konvoi der Vereinten Nationen, sondern
auch in der Vergangenheit regelmäßig angegriffen . Zudem wird das, was bereits nach Syrien gebracht wurde Feuerwehrautos und Hilfsgüter -, immer wieder zerstört
oder zweckentfremdet . Aber die Helfer werden nicht
aufgeben . Was zerstört wurde, wird wieder aufgebaut .
Was vernichtet wurde, wird neu beschafft und ans Ziel
gebracht .
Wir können von dieser Stelle aus nur den Menschen
danken, die sich in Syrien noch immer für die Opfer des
Krieges - egal wer schießt, die Opfer sind immer die
gleichen - einsetzen . Unsere Aufgabe ist, denjenigen, die
helfen, Schutz und Hilfe zu gewähren . Deswegen ist der
Ansatz des Außenministers richtig . Wir unterstützen ihn .
Wir sind auf einem richtigen Weg . Allein werden wir es
nicht schaffen . Die Zeit läuft uns davon . Bald kommt der
Winter . Nun ist auch meine Zeit abgelaufen .
({5})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank, Tobias Zech . - Nächster Redner: Frank
Schwabe für die Sozialdemokraten .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In den
letzten Tagen konnte man im Spiegel noch einmal nachlesen, wie es seinerzeit mit dem Internationalen Roten
Kreuz und Henry Dunant begann, der 1859 während des
Kriegs zwischen Österreich und Sardinien-Piemont im
italienischen Solferino war und Tausende verletzte Soldaten krepieren - man muss es so sagen - gesehen hat .
Als Lehre daraus wurde 1864 die erste Genfer Konvention ins Leben gerufen . Sie legte fest, dass Krankenhäuser
und ärztliches Personal unter besonderen Schutz gestellt
sind .
Ein Teil der SPD-Fraktion, die Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe, war am Montag in
Genf, und wir haben uns mit Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes getroffen und erfahren, dass mittlerweile das Rote Kreuz, aber auch der Rote Halbmond
oft gar nicht mehr verwendet werden, weil sie eher als
Zielmarke dienen denn als Schutz für diese Organisation .
Das ist in der Tat eine dramatische Entwicklung .
Wir haben uns auch mit Vertretern von UN-OCHA getroffen, also denjenigen, die für die Organisation der humanitären Hilfe zuständig sind . Ich glaube, wir sind auch
deswegen in besonderer Weise emotional betroffen, weil
wir mitbekommen haben, welches Ringen es um genau
diesen einen Transport gab, bei dem es um 78 000 Menschen ging, denen geholfen werden sollte, ein ganzes
Fußballstadion voll . Wir haben nachts erfahren, dass der
Konvoi losgefahren ist, und am nächsten Morgen mussten wir dann erfahren, dass der Konvoi zerstört wurde
und es dabei 21 Tote gab, die in barbarischer Art und
Weise ums Leben gekommen sind . Deswegen ist, denke ich, unsere Trauer mit den Mitarbeitern des syrischen
Roten Halbmonds und den türkischen Fahrern, die dort
unterwegs waren, besonders angebracht .
Leider war das nur der absolut traurige Tiefpunkt einer Verrohung der Sitten und der Aufkündigung des humanitären Völkerrechts durch viele Kriegsparteien, im
Übrigen weltweit, aber insbesondere in Syrien . Da muss
man nicht uns oder die Regierung fragen; vielmehr geht
aus den Zahlen von Ärzte ohne Grenzen hervor, dass es
im letzten Jahr allein in Syrien 94 Angriffe auf medizinische Einrichtungen gegeben hat . Die Weltgesundheitsorganisation spricht davon, dass es fast täglich Angriffe
gegeben hat . Allein zwischen dem 19 . und 29 . August
dieses Jahres gab es elf Angriffe auf Krankenhäuser . Da
muss man also nicht uns fragen, und das hat auch nichts
damit zu tun, wer schlimmer ist . Man muss aber schon
sagen, wo die Hauptverantwortung liegt . Deswegen rege
ich mich darüber so auf . Wir können über ganz viele andere Konflikte weltweit reden. Aber wenn wir über diesen Konflikt reden, kann man ja mal Ärzte ohne Grenzen
fragen, wer hauptverantwortlich ist . Und wenn man als
Antwort erhält: „Das hat ganz viel mit Russland zu tun“,
dann muss man das hier auch sagen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({0})
An der Stelle überkommt, glaube ich, uns alle ein Gefühl der Hilflosigkeit. Aber dem dürfen wir uns nicht hingeben . Die Frage ist: Was ist jetzt zu tun? Ich denke, es
gibt vier Dinge, die man tun kann .
Erstens sollte man in der Tat - das ist vielfach angesprochen worden - alle diplomatischen Möglichkeiten
nutzen . Frank-Walter Steinmeier - das muss man wirklich sagen - tut das in vorbildlicher Art und Weise: dafür zu kämpfen, dass es einen Waffenstillstand gibt und
damit eng verbunden eine Flugverbotszone, die gemeinschaftlich verabredet werden muss - anders wird es nicht
funktionieren -, damit Transporte auf dem Landweg und
möglichst auch auf dem Luftweg möglich sind .
Zweitens müssen wir die Fälle immer wieder benennen . Wir dürfen nicht aufgeben, wir dürfen nicht gleichgültig werden . Die Koalition plant, noch in diesem Jahr
einen Antrag zu dem Thema „Angriffe auf humanitäre
Einrichtungen“ in den Deutschen Bundestag einzubringen . Dann gibt es noch einmal die Gelegenheit, darüber
und auch über andere Fälle entsprechend zu diskutieren .
Wir müssen Organisationen wie Geneva Call unterstützen, die versuchen, bewaffnete nichtstaatliche Akteure an
das humanitäre Völkerrecht heranzuführen .
Wir müssen drittens alle Möglichkeiten der Strafverfolgung und internationalen Aufklärung nutzen - darin
sind wir uns völlig einig -, aber auch deutlich machen:
Es gibt einen Internationalen Strafgerichtshof, dem leider noch nicht alle Länder angehören, der für so etwas
zuständig ist, und es gibt das Völkerstrafrecht in den einzelnen Nationalstaaten . Die Menschen müssen wissen:
Wenn sie solche Kriegsverbrechen begehen, kommen sie
in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres davon .
Viertens - das ist heute wieder gesagt worden, und
wir müssen es jetzt umsetzen, liebe Kolleginnen und
Kollegen - reden wir über Hunderttausende, wenn nicht
Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind . Es ist ganz schwierig, etwas zu tun, aber was
wir auf jeden Fall tun können, ist, wenigstens die Mittel bereitzustellen, damit dann, wenn die humanitären
Transporte stattfinden können, auch ausreichend Güter
vorhanden sind, die zu den Menschen gebracht werden
können . Deutschland ist mittlerweile führend in der Syrien-Hilfe . Wir sind weltweit auf Platz 3, was humanitäre
Hilfe angeht . Das kann man auch mal lobend sagen . Das
hat mit uns allen zu tun . Mein Appell ist - Frau Steinbach
wird noch nach mir reden -, in den Haushaltsberatungen gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mittel am Ende
nicht nur überplanmäßig zur Verfügung gestellt werden,
sondern so, dass die Hilfsorganisationen wirklich planen
können . Dafür müssen in diesem Haushalt mindestens
Mittel in dem Umfang wie im letzten Haushalt eingestellt
werden .
Zum Schluss - auch darauf haben viele hingewiesen -: Der kleine Junge in dem erwähnten Wahlkreis oder
auch woanders und der kleine Junge in Aleppo, den wir
im Fernsehen gesehen haben, die haben etwas miteinander zu tun . Deswegen ist es gut, dass die Empörung in
Deutschland über das, was in Aleppo passiert, groß ist .
Ich finde aber, mit derselben Empathie sollten wir jeden
Tag alles tun, um den Menschen, die aus Aleppo zu uns
geflohen sind, hier bei uns vor Ort zu helfen.
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Frank Schwabe . - Die letzte Rednerin
in der Aktuellen Stunde: Erika Steinbach für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor den Augen der ganzen Welt wird in Syrien ein
Kriegsverbrechen nach dem anderen begangen - und das
nicht jetzt zum ersten Mal, sondern seit vielen Jahren .
Nahezu hilflos steht die internationale Staatengemeinschaft trotz guten Willens - der ist vorhanden - diesem
entsetzlichen Treiben doch relativ machtlos gegenüber .
Der unfassbare, brutale Angriff auf den Hilfskonvoi der
Vereinten Nationen in der Nähe von Aleppo hat uns das
ja wieder drastisch vor Augen geführt .
Die UNO hatte alle Konfliktparteien im Vorfeld darüber informiert, dass es diesen Konvoi mit Hilfsgütern
geben wird . An den Fahrzeugen war auch eindeutig zu
erkennen, dass es sich um einen humanitären Transport
handelt . Aber - das wurde auch schon gesagt - zum Teil
ist es fast eine Aufforderung, etwas zu bombardieren oder
zu zerstören, wenn man weiß, dass sich Hilfsgüter darin
befinden. Das ist eine Entartung, eine Menschenrechtsdeformation, die wir eigentlich so noch nie in den letzten
Jahren und Jahrzehnten erlebt haben . Ich jedenfalls kann
mich nicht erinnern . Obwohl die Lastwagen also gut gekennzeichnet waren, wurden sie nach ihrer Ankunft am
Zielort bombardiert .
Es verdichten sich schon die Hinweise, dass Russland für diesen Terrorangriff eine Verantwortung hat . Ich
weiß, Ihnen von der Linksfraktion gefällt diese Feststellung nicht .
({0})
Aber mir - das muss ich sagen - gefällt Ihre Haltung
nicht, also dass Sie im Grunde genommen Putin unterstützen, der einem blutrünstigen Diktator zur Seite steht
und dazu beiträgt, diese Eskalation in Syrien auf Dauer
fortzuschreiben . Das ist eine ungute Entwicklung .
({1})
Von den 31 Wagen sind 18 zerstört worden, 18 Wagen mit Hilfsgütern für Menschen, die diese Hilfsgüter
dringend brauchten . Ein Lager des syrischen Roten Halbmonds wurde zerstört, eine Klinik wurde zerstört, und
21 Menschen haben ihr Leben verloren, darunter auch
Omar Barakat, der lokale Direktor des Roten Halbmondes .
Kurzzeitig hatte es ja die Hoffnung gegeben, den bereits so lange eingeschlossenen 78 000 Menschen die
dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten - vorbei
mit einem Bombenangriff! Die Vereinten Nationen wollen nicht aufgeben, sie wollen weiter helfen . Wir müssen
das alles unterstützen, mit all unseren Möglichkeiten .
Das, was wir sehen, ist eine Tragödie für die dringend
hilfsbedürftigen Menschen, und es ist ein Armutszeugnis für die gesamte zivilisierte Welt . Alle Redner hier im
Hause haben im Grunde genommen deutlich gemacht,
dass uns das sehr berührt, dass es uns sehr betrifft und
dass wir eigentlich in einem gewissen Ausmaß dem wirklich hilflos gegenüberstehen.
Der Angriff auf den Hilfskonvoi reiht sich ja in eine
ganz lange Kette von Verstößen gegen das humanitäre
Völkerrecht in Syrien ein; denn immer schon wurden
medizinische Einrichtungen attackiert, bombardiert, und
humanitäre Helfer wurden ermordet, umgebracht . Ärzte ohne Grenzen haben alleine in Syrien 94 Angriffe auf
medizinische Einrichtungen gut dokumentiert . Man kann
das nachlesen . Diese rapide zunehmende Erosion des
Völkerrechts, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
ist eine Schande für die zivilisierte Menschheit .
Flugverbotszonen und Luftbrücke: Ich glaube, man
kann das nicht einfach so wegwischen . Wir müssen uns
ja Möglichkeiten überlegen . Und wenn es friedliche
Möglichkeiten gibt, dann sind, glaube ich, Flugverbote
und auch eine Art von Luftbrücke der Weg, den zu gehen
man versuchen muss . Ob es dann am Ende zu einem Erfolg wird, wissen wir noch nicht . Wir müssen es aber auf
jeden Fall probieren, diesen Weg zu beschreiten . Dazu
gehört viel Diplomatie und viel Überzeugungskraft . Und
es hängt - das müssen wir alle wissen; da bin natürlich
auch ich skeptisch - vieles von Putin ab, wie das umzusetzen ist . Man darf aber nicht aufgeben, alles zu versuchen, um es umzusetzen .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die vergangenen sechs Jahre des Sterbens in Syrien haben eines gezeigt, nämlich dass dieser Krieg militärisch vermutlich
nicht zu gewinnen ist . Also müssen wir sehen, dass wir
auf diplomatischem Wege alle Möglichkeiten ausschöpfen . Es ist ein wenig eine Sisyphusarbeit, aber etwas anderes bleibt uns nicht übrig .
Dafür, dass wir von deutscher Seite aus alles tun, was
möglich ist - lieber Kollege Schwabe, wir sind uns da
sehr einig -, dass wir humanitäre Hilfe in dem Umfang
leisten, in dem uns das möglich ist, kämpfen wir gemeinsam .
Danke .
({2})
Vielen Dank, Erika Steinbach . - Die Aktuelle Stunde
ist beendet .
Ich rufe - ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die
Plätze einzunehmen - den Tagesordnungspunkt 8 sowie
den Zusatzpunkt 7 auf:
8 . Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember
Drucksache 18/9650
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/9704
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens - Klimaschutz wirksam verankern
und Klimaziele einhalten
Drucksachen 18/8080, 18/9702
Ich begrüße in unser aller Namen - da bin ich sicher auf der Ehrentribüne den französischen Botschafter .
Bienvenue, Philippe Etienne! Diese Begrüßung verbinden wir mit dem Dank für das außerordentliche Engagement Frankreichs, das dazu geführt hat, dass dieses
Abkommen tatsächlich zu einem Erfolg werden konnte .
Herzlich willkommen im Bundestag, Herr Botschafter
Etienne .
({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks das Wort .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter, schön dass Sie da
sind . - Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht . Aber in einer
Zeit, in der die Nachrichten voll sind von Krieg und Gewalt, erscheint mir das Pariser Abkommen als ein großes
Hoffnungszeichen . Bei einem der wichtigsten Probleme
unserer Zeit haben die Staaten dieser Erde erkannt, dass
es in ihrem eigenen Interesse ist, gemeinsam zu handeln .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 12 . Dezember
2015 wird als das Datum in die Geschichte eingehen,
an dem sich 195 Staaten der Erde auf einen gemeinsamen Weg zum Schutz unseres Klimas verständigt haben . Wir werden die Erderwärmung auf maximal 2 Grad
begrenzen, möglichst auf 1,5 Grad . Wir werden unsere
Weltwirtschaft im Laufe des Jahrhunderts klimaneutral
machen . Und wir werden die armen Länder dabei unterstützen, den Weg in Richtung Treibhausgasneutralität
gemeinsam mit uns zu gehen, damit diese Länder sich
umweltfreundlich entwickeln können und damit die neuen Technologien allen Menschen zugutekommen; denn
der Klimaschutz ist schon heute ein ökonomisches Erfolgsmodell .
Wir haben im vergangenen Dezember das Jahr 2020
ins Auge gefasst, ab dem das Abkommen gelten sollte .
Die Unterschriften von 55 Staaten, die zudem mindestens 55 Prozent der Treibhausgase emittieren, sind dafür
notwendig .
Gemessen am Kioto-Protokoll, das über sieben Jahre von der Vereinbarung bis zum Inkrafttreten gebraucht
hatte, erschien das durchaus ehrgeizig . Jetzt hat sich gezeigt: Wir werden das Quorum voraussichtlich schon in
den kommenden Wochen erreichen . Anfang des Monats
haben China und die USA ratifiziert. Gestern sind in New
York 31 weitere Staaten hinzugekommen . Bislang liegen
damit 60 Ratifizierungen vor. Diese umfassen schon
knapp 48 Prozent der globalen Emissionen . Das zeigt:
Das Übereinkommen von Paris ist alles andere als nur
geduldiges Papier . Im Gegenteil: Weite Teile der Staatengemeinschaft sind bereit, ihren Versprechen jetzt auch
Taten folgen zu lassen . Wir sollten diese Bereitschaft nutzen, um in Marrakesch die nächsten Schritte zu gehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unser gemeinsamer Anspruch, dass das Abkommen so schnell wie
möglich in Kraft tritt und dass Deutschland von Anfang
an dabei ist . Wir haben viele Jahre für dieses Abkommen
gekämpft . Lassen Sie uns jetzt einen Beitrag dazu leisten,
dass es auch wirklich unumkehrbar wird .
({0})
Ich danke Ihnen allen, den Kolleginnen und Kollegen
der Koalition genauso wie den Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass Sie bereits heute über diesen
Gesetzentwurf beschließen und damit den Weg dafür
freimachen, dass Deutschland seine Ratifikationsurkunde rechtzeitig hinterlegen kann . Auch der Bundesrat
wirkt bei der Beschleunigung mit, indem er das von uns
zu beschließende Gesetz auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung gesetzt hat . Sie sehen: Der Klimaschutz
ist uns mindestens so wichtig wie die Stabilisierung des
Weltfinanzsystems; denn nur in Ausnahmefällen können
wir ja so rasch agieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten weiterhin leidenschaftlich über unsere nationale Klimaschutzpolitik diskutieren und, wo nötig, dann auch streiten .
Wir sollten aber mit der gleichen Leidenschaft heute ein
entschlossenes Signal an unsere internationalen Partner
senden . Der Klimaschutz in Deutschland steht auf dem
breiten Fundament aller Parteien in diesem Hohen Haus .
Ich bin zuversichtlich, dass auch die Europäische
Union ihre Ratifikation in den kommenden Wochen bei
der UN wird hinterlegen können . Ich bin dazu in enger
Abstimmung mit meinen europäischen Kolleginnen und
Kollegen und mit Kommissar Cañete . Wir werden auf
einem Sonder-Umweltrat am 30 . September 2016 die rasche Ratifizierung vereinbaren und hoffen in der darauffolgenden Woche auf die Zustimmung des Europäischen
Parlaments .
Das Pariser Abkommen ist ja nicht das Ende, es ist
der Beginn eines langen Weges . Die Geschwindigkeit,
mit der es jetzt in Kraft tritt, zeigt aber, dass der Wandel
schneller kommt, als wir uns das lange Zeit vorstellen
konnten . Wir sollten uns deshalb zu Hause nicht ausruhen . Wir sollten weiter vorangehen . Der Klimaschutzplan 2050, den ich meinen Kolleginnen und Kollegen
im Kabinett zur Abstimmung zugeleitet habe, ist dafür
die richtige Gelegenheit . Und ich füge hinzu: Es ist auch
ein Test für unsere Glaubwürdigkeit. Die Ratifikation des
Pariser Übereinkommens bedeutet die Verpflichtung, es
auch im eigenen Land umzusetzen . Kritik am Klimaschutzplan ist selbstverständlich in Ordnung . Allerdings
ändert man die Realität nicht dadurch, dass man sie ignoriert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lange Jahre haben
die Kritiker unserer Klimaschutzpolitik gerufen, wir gingen zu schnell voran, uns folge ja niemand . - Nach Paris
ist klar: Alle folgen uns, oder sie gehen uns sogar voraus .
Viele holen jedenfalls auf .
({1})
Was für einen Grund gibt es also noch, langsamer zu laufen? Oder wollen wir warten, bis wir überholt werden?
Das kann sich niemand für unsere starke Volkswirtschaft
wünschen . Die Menschen in unserem Land erwarten von
uns, dass wir eine klare Orientierung geben, dass wir sagen, wo die Reise hingeht .
Am Beispiel Chinas und der USA sehen wir, wie sich
das Bewusstsein wandelt: Zwei ehemalige Bremser gehören zu den größten Unterstützern des Abkommens .
Und wir sollten nicht glauben, dass das Engagement der
beiden größten Volkswirtschaften der Welt keinen Einfluss auf unsere wirtschaftliche Entwicklung haben wird.
Wir sollten nicht so tun, als sei Strom aus fossilen Brennstoffen auf Dauer zukunftsfähig oder als würden Autos
noch lange von Diesel und Benzin angetrieben werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Erfolg unserer
Volkswirtschaft liegt seit jeher in ihrer Kraft, Neues zu
entwickeln . Wir haben nicht die billigsten, wir haben
die besten, die hochwertigsten und die innovativsten
Produkte . Darin wird auch unsere Zukunft in einer dann
klimaneutralen Welt liegen . Lassen Sie uns diskutieren,
wie diese Zukunft aussehen kann, nicht, wie wir sie hinauszögern können .
Das Abkommen der 195 Staaten von Paris war ein
großes Geschenk, ein Geschenk für uns, weil Paris geBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
zeigt hat, dass Stillstand und Streit eben nicht die letzten
Worte sind, ein Geschenk für die, die nach uns kommen,
weil es ihnen die Hoffnung auf ein besseres Leben gibt .
Ich bitte Sie, lassen Sie uns gemeinsam dieses Geschenk
annehmen .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank, Barbara Hendricks . - Nächste Rednerin:
Eva Bulling-Schröter für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Botschafter!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen hier
heute den Beitritt Deutschlands zum Übereinkommen
von Paris . Es ist ein Weltvertrag, der historisch genannt
werden kann, und ein Vertrag, der in die Geschichte eingehen wird, ein Abkommen, das erstmals alle Staaten der
Erde verpflichtet, die menschengemachte Erderwärmung
aufzuhalten, und das den weltweiten Ausstieg aus Öl,
Kohle und Gas besiegelt, um katastrophale Folgen für
die Menschheit abzuwenden, ein globaler Klimavertrag,
der internationale Solidarität bringen soll, auch durch
Hunderte von Milliarden an Klimageldern vom reichen
Norden in den benachteiligten Süden. Wir finden, die
Annahme so wichtigen Völkerrechts hat mehr Aufmerksamkeit verdient .
({0})
Leider hat die Bundesregierung ein bisschen getrödelt . Sogar China und die USA waren schneller . Darum
ist der Schweinsgalopp heute im Bundestag im abgekürzten Eilverfahren und morgen im Bundesrat nötig, um bei
der nächsten Klimakonferenz in Marokko mit am Verhandlungstisch sitzen zu können . Wie auch immer: Der
Beitritt Deutschlands zum Pariser Klimavertrag muss
jetzt in Sack und Tüten . Trotz vieler Schwachstellen und
blinder Punkte haben wir zum ersten Mal einen Klimakonsens aller Länder der Erde . Er ist aktuell wirklich
ohne Alternative, und er ist ein Startschuss . Darum stimmen wir Linken für die Annahme des Klimaabkommens .
({1})
Nun muss, wie bei jedem Vertrag, auch das Paris-Abkommen mit Leben gefüllt werden . Mahatma Gandhi hat
einmal gesagt:
Der Mensch kann nicht in einem einzelnen Lebensbereich recht tun, während er in irgendeinem
anderen unrecht tut . Das Leben ist ein unteilbares
Ganzes .
Das gilt natürlich auch für das Völkerrecht . Jeder von Ihnen wird mir zustimmen, dass es nicht angeht, morgens
ein Ehegelübde einzugehen und Treue zu schwören, aber
abends den Geliebten zu treffen . Das macht man eher
nicht .
({2})
Aber genau das macht die Regierung . Da bringt Wirtschaftsminister Gabriel seine SPD morgens auf CETA-Kurs und will mehr Freihandel, und abends kommt
dann seine Parteikollegin, Umweltministerin Hendricks,
mit dem Paris-Abkommen und will mehr Klimaschutz .
Heute, also am selben Tag, an dem das Klimaabkommen
verhandelt wird, wurde auch für CETA im Bundestag
grünes Licht gegeben. Ich finde, das passt nicht zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Heute CETA und Paris-Abkommen, morgen TTIP .
Ich sage: Das ist Verrat am Klimaschutz und an dem Abkommen . Und warum? Artikel 2 legt ja fest, dass die Bedrohung durch den Klimawandel nur dann abgewendet
werden kann, wenn der Anstieg der durchschnittlichen
Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber
dem vorindustriellen Niveau bleibt und Anstrengungen
unternommen werden, diesen Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen . Um diese Temperaturziele nicht zu überschreiten, werden die Vertragsparteien in Artikel 4 aufgefordert, „so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt
der Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen“ . Jetzt
kann man sich darüber streiten, was „so bald wie möglich“ genau heißt, wann also der Höhepunkt der weltweiten Emissionen erreicht sein muss . Worüber wir aber ganz
genau Bescheid wissen, ist die schädliche Klimawir kung
von noch mehr Profithandel und noch mehr Profitwachstum . Studien sagen uns ja, dass der internationale Handel
mit Gütern und Dienstleistungen über ein Viertel aller
Klimagase weltweit verursacht . Von 1950 bis 2010 ist
der Welthandel um den Faktor 32 gewachsen, allein von
1990 bis 2014 um das Vierfache - Tendenz steigend .
Wir Linke haben nichts gegen Handel, aber wir wollen
einen vernünftigen Handel .
({4})
Da frage ich mich: Warum müssen Blumen aus Kenia
eingeflogen werden? Warum müssen Fische von Kanada
nach Russland und dann nach China gebracht werden,
dort von Tagelöhnerinnen zu Fischstäbchen verarbeitet
werden, wieder einmal um den Globus nach Deutschland
gebracht werden, damit es hier billiges und schlechtes
Essen gibt? Wir brauchen auch keine Handelserleichterungen für Fracking-Gas und Teersande . Und wir brauchen keine Klagerechte für schmutzige Energiekonzerne .
({5})
Das alles ist klimapolitisch der falsche Weg . CETA und
TTIP heißt: mehr Handel, mehr Klimagase, mehr Erderwärmung und kein „so bald wie möglich“, das genaue
Gegenteil von Paris .
Das sind die Gründe, warum wir Linke beim Völkerrecht genau hinschauen . Wir sind gegen TTIP und haben
gegen CETA gestimmt . Aber wir sind für mehr internationales Recht im Klimaschutz . Wir nehmen das Paris-AbBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
kommen ernst, statt es zu verraten, bevor die Tinte auf
dem Papier trocken ist .
Danke schön .
({6})
Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter . - Nächste Rednerin: Dr . Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Vor einem Jahr haben wir in einer Debatte zur
Klimaschutzpolitik unsere Forderungen an Paris formuliert . Heute können wir sagen: Gemeinsam haben wir
einen Riesenerfolg erzielt . Knapp 200 Staaten der Welt
haben sich auf ein verbindliches Klimaschutzabkommen
geeinigt mit dem Ziel, die Erderwärmung auf weit unter
2 Grad zu begrenzen, wenn möglich 1,5 Grad . Alle Staaten müssen ambitionierte Klimaschutzpläne vorlegen .
Vor allen Dingen ist ein völkerrechtlich verbindlicher
Überprüfungsmechanismus vorgesehen . Das war auch
uns immer sehr wichtig .
({0})
Bei der Unterzeichnungszeremonie im April in New
York waren 175 Staaten beteiligt - so viele wie nie zuvor -, darunter auch Deutschland . Das zeigt, dass die
Weltgemeinschaft den Klimaschutz sehr ernst nimmt und
Paris auch keine Momentaufnahme ist .
In dieser Woche fand im Rahmen der UN-Vollversammlung der erste Flüchtlingsgipfel statt . Er endete
ohne konkrete Ergebnisse . Das zeigt: Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen müssen wir weltweit besser zusammenarbeiten . Beim Klimaschutz ist es gelungen, dass
sich alle Staaten der Welt auf ein Ziel verständigt haben .
Daran sieht man, was möglich ist, wenn alle an einem
Strang ziehen . Daran sieht man auch, was wir international beim Thema Klimaschutz erreicht haben . Meine
Damen und Herren, darauf sollten wir auch an einem solchen Tag einmal stolz sein .
({1})
Am Rande des G-20-Gipfels Anfang September in
China haben die USA und China die Ratifikation verkündet . Ein weiterer historischer Moment in der internationalen Klimapolitik, weil die USA - wohlgemerkt - noch
nie zuvor ein Klimaabkommen ratifiziert hatten. Die
Amerikaner und Chinesen haben es sehr schnell ratifiziert, was alle positiv überrascht hat; vom Verfahren her
sicher auch das BMUB ein wenig . Ich mache keinen
Hehl daraus, dass wir Klimapolitiker uns grundsätzlich
ein ausführlicheres Verfahren gewünscht hätten . Aber,
meine Damen und Herren, wir sind uns doch einig: Wir
müssen dabei sein, wenn dieser Ratifikationsprozess jetzt
so schnell an Fahrt gewinnt . Das Abkommen tritt eben
erst in Kraft, wenn mindestens 55 Staaten, die für 55 Prozent der Treibhausgasemissionen stehen, dabei sind . Jetzt
geht es darum, das zu schaffen . Wir wollen mit unserer
schnellen Ratifikation jetzt unseren Beitrag dazu leisten
und schnell ein Zeichen setzen .
Zur Erinnerung: Das Kioto-Protokoll wurde 1997
beschlossen, und die Ratifizierung hat ganze acht Jahre gedauert . Beim Paris-Abkommen sind wir nur neun
Monate, nachdem das Abkommen verabschiedet wurde,
eigentlich schon, wie es die Ministerin gerade formuliert
hat, auf der Zielgeraden . Damit das Abkommen schnell
in Kraft treten kann, hat auch Ban Ki-moon am Rande
der UN-Vollversammlung zu einem Special Event geladen, damit es klappt mit den mindestens 55 Staaten, die
für 55 Prozent der Treibhausgasemissionen stehen . Wenn
das dann gelingt, meine Damen und Herren, dann schreiben wir erneut Geschichte; denn dann ist das Paris-Abkommen der völkerrechtliche Vertrag, der bislang am
schnellsten in Kraft getreten ist . Dafür setzen wir uns ein .
({2})
So viel zur Ratifikation.
Jetzt zur Umsetzung . Da müssen wir auf allen Ebenen ansetzen: auf internationaler, auf europäischer und
auf nationaler Ebene . International unterstützen wir viele
Projekte . Das BMZ ist für die Förderung vieler Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern verantwortlich,
und die Gelder wurden in den letzten zehn Jahren sage
und schreibe vervierfacht . Das möchte ich an der Stelle
einmal positiv herausheben, meine Damen und Herren .
({3})
Auch in Europa wurde einiges auf den Weg gebracht .
Europa hat das Klimaschutzziel, die Emissionen bis 2030
um 40 Prozent zu senken - wir in Deutschland wollen
das schon 2020 schaffen -, und dafür gibt es auf europäischer Ebene die verschiedensten Instrumente, über die
wir auch schon oft diskutiert haben .
Der Emissionshandel ist das Herzstück des europäischen Klimaschutzes . Zum Emissionshandel muss man
sagen: Nach zwei sehr schnellen Reformen - Backloading, Marktstabilitätsreserve - hat jetzt die Kommission
im letzten Jahr erneut einen Reformvorschlag vorgelegt .
Auch da arbeiten wir an einer guten Reform, die uns an
der Stelle voranbringt .
Die EU-Kommission hat zwei weitere Vorschläge
vorgelegt . Der Vorschlag zur Lastenteilung beinhaltet,
dass festgelegt wird, welchen Klimaschutzbeitrag die
Mitgliedstaaten in den Sektoren leisten müssen, die nicht
unter den Emissionshandel fallen .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Dr . Verlinden?
Ja, erlaube ich, aber ich würde gerne den einen Gedanken noch zu Ende führen .
Ja, okay .
Der dritte Vorschlag auf europäischer Ebene bezieht
sich auf die Landnutzung . Hier geht es um Beiträge der
Mitgliedstaaten zum Beispiel hinsichtlich der Aufforstung und der Waldbewirtschaftung . - Bevor ich zur nationalen Ebene komme, lasse ich gerne die Zwischenfrage
zu .
Vielen Dank . - Dann Frau Dr . Verlinden, bitte .
Ich hatte mich schon gefragt, ob Sie noch zur nationalen Ebene kommen . - Sie haben jetzt sehr viele Punkte genannt, deren Umsetzung auf internationaler Ebene
wünschenswert wäre, und haben hervorgehoben, wie
wichtig es ist, das Abkommen schnell zu ratifizieren. Ich
hoffe, es ist nicht der einzige Erfolg beim Klimaschutz,
den Sie am Ende dieser Legislaturperiode benennen können, dass man schnell ein internationales Abkommen ratifiziert hat.
Frau Weisgerber, Sie sitzen ja im Umweltausschuss,
Sie sind für das Thema Klimapolitik zuständig, und wir
laufen uns immer wieder bei Veranstaltungen zu diesen
Themen über den Weg . Ich möchte von Ihnen wissen:
Für welche drei ganz konkreten Instrumente und politischen Maßnahmen, die hier im Bundestag beschlossen
werden könnten, werden Sie sich noch in dieser Legislaturperiode einsetzen, damit wir eine substanziell große
Menge CO2 einsparen können?
Werte Kollegin Verlinden, genau zu diesem nationalen
Beitrag wäre ich in den letzten vier Minuten meiner Redezeit gerne noch gekommen .
({0})
Aber ich kann auch die Frage beantworten .
Wir haben auf nationaler Ebene ein ehrgeiziges Klimaschutzziel - Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2020 . Um das zu erreichen, haben
wir ein Maßnahmenprogramm, ein Klimaschutzaktionsprogramm aufgelegt, an dem wir als Fraktionen mitgearbeitet haben; die Bundesregierung hat es verabschiedet .
Jetzt geht es um die konkrete Umsetzung der Maßnahmen .
({1})
Zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 ist zu sagen,
dass es sich auf die verschiedensten Sektoren bezieht,
zum Beispiel auf den Verkehr, die Landwirtschaft, den
Gebäudesektor und die Industrie .
Beim Verkehr kann man auf das verweisen, was wir
schon verabschiedet haben . Dort wurde ein Maßnahmenpaket zur Elektromobilität verabschiedet: eine Sonderabschreibung für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge,
der Ausbau der Ladesäulen und die Kaufprämie . Da geht
es natürlich auch darum, die Elektromobilität weiter voranzubringen . Diese sehr innovative Technologie ist zum
Beispiel auch im Klimaschutzplan enthalten .
Wir haben im Bereich der Landwirtschaft die Düngeverordnung - dort stehen wir vor dem Abschluss - und
eine Energieberatung auf den Weg gebracht . Bezogen
auf die kommunale Ebene setzen wir die Kommunalrichtlinie um . Dabei geht es zum Beispiel - Sie fragten
mich nach konkreten Maßnahmen - um den Austausch
der Straßenbeleuchtung, um die LED-Technik voranzubringen, und um den Einsatz von effizienten Heiz- und
Kühlsystemen .
Ich würde mir konkrete Maßnahmen im Gebäudebereich wünschen; denn es gibt hier ein enormes Potenzial,
das es zu heben gilt . Es gibt KfW-Programme . Es gibt
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, dessen Mittel
wir aufgestockt haben, das aber noch stärker genutzt
werden müsste; vielleicht sollten wir über eine stärkere
Aufstockung nachdenken, damit wir mehr in die Breite
gehen können . Wir müssen letztendlich Anreize verstärken, sodass im Bestand mehr Energieeffizienzmaßnahmen getätigt werden; wir waren heute Vormittag zu einem Frühstück eingeladen, wo es auch darum ging, mehr
Dämmsysteme einzusetzen .
({2})
Im Industriebereich gibt es den Emissionshandel . Ich
habe darauf hingewiesen, dass wir bereits zwei Reformen hinter uns haben und jetzt an einer umfassenderen
Reform arbeiten . So viel zu den Maßnahmen .
Jetzt komme ich zum Klimaschutzplan, wenn Sie mir
das erlauben . Wie gesagt: Im Klimaschutzprogramm sind
konkrete Maßnahmen enthalten, die konsequent abgearbeitet werden . Neben dem mittelfristigen Ziel bis 2020
arbeiten wir auch an einem Klimaschutzplan 2050 .
({3})
Ich habe mich kundig gemacht: Es gibt sowohl in Europa als auch international kaum ein Land - mir ist keines bekannt -, das schon jetzt einen so langfristigen Plan
vorlegt . So weit wollen wir gehen, um unsere Klimaziele
zu erreichen . Aber unser Ansatz, der Ansatz der Union,
ist - das sage ich auch in Richtung der Ministerin -, dass
wir die technologischen Entwicklungen berücksichtigen
müssen, dass wir unsere Maßnahmen technologie- und
innovationsoffen festlegen müssen,
({4})
und - das ist das Allerwichtigste - dass wir dabei auch
den Kosten-Nutzen-Effekt berücksichtigen müssen; denn
die sehr ehrgeizigen Ziele können wir letztendlich nur
erreichen, wenn wir mit dem Geldbetrag, den wir einsetzen, möglichst viel CO2 reduzieren .
({5})
Das ist unser Ansatz . Ihn werden wir bei der Erarbeitung
des Klimaschutzplans verfolgen .
Uns geht es immer um das Zieldreieck „Ökonomie,
Ökologie und Soziales“ . Bei all den Klimaschutzmaßnahmen, die wir auflegen, achten wir auch darauf, dass
keine Arbeitsplätze gefährdet werden . Im Gegenteil: Klimapolitik soll als Chance genutzt werden .
({6})
Und ich bin stolz auf Unternehmen aus meinem Wahlkreis - damit möchte ich schließen -, die diese Chance
begriffen haben, seien es die Automobilzulieferer, seien
es Unternehmen aus den Bereichen Elektromobilität,
Batteriespeicher oder die Kugellagerindustrie mit ihren
ressourcen- und energieschonenden Verfahren; ich komme aus Schweinfurt .
Die Klimapolitik bietet durchaus Chancen, die wir nutzen sollten, weil wir mit der Entwicklung der Ökoinnovationen Arbeitsplätze halten und Arbeitsplätze schaffen
können . Das ist unser Ansatz . Auf internationaler Ebene
sagen wir allerdings: Alleine können wir das Klima nicht
retten . Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt . Daher bitte ich Sie: Lassen Sie uns das Abkommen heute
einstimmig ratifizieren und ein klares Zeichen setzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Kollegin Weisgerber . - Nächste Rednerin: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Herr Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich werden wir heute das Klimaschutzabkommen von Paris einstimmig ratifizieren,
({0})
weil wir alle wissen, dass man an bestehenden völkerrechtlichen Verträgen später im Parlament nichts mehr
ändern kann - selbst wenn das in Bezug auf CETA noch
nicht bei allen angekommen ist . Deswegen freuen wir
uns auch, dass die Ratifizierung so schnell über die Bühne gebracht wird .
Allerdings ist heute nicht nur ein Freudentag, sondern
auch ein Trauertag; denn wir müssen leider feststellen,
dass wir in der Klimapolitik nicht mehr tonangebend
sind . Denn: Warum ist jetzt diese Eile geboten? Weil China und die USA das Abkommen schon ratifiziert haben.
Offensichtlich hat man davon auf deutscher Seite nicht
viel mitbekommen . Sonst hätte man den Zeitplan ja nicht
verschärfen müssen . Das zeigt, dass man bei diesen Themen offensichtlich nicht in engem Austausch mit diesen
Staaten steht, und das ist doch etwas bedenklich .
({1})
Das passt zu dem, was Sie, Frau Hendricks, gesagt haben . Sie sagten, der Plan sei ein Geschenk . Das Ganze ist
doch keine Passivveranstaltung nach dem Motto: „Wir
schenken uns was“, sondern wir, die nationalen Staaten,
müssen aktiv dazu beitragen, dass wir dieses Ziel von
deutlich unter 2 Grad, wenn nicht gar 1,5 Grad, einhalten . Dazu bedarf es auf höchster Ebene unseres Landes
entsprechender Ambitionen in diesem Bereich . Wir brauchen kein Geholpere über die Ziellinie, damit wir auch
in Marrakesch noch mit am Verhandlungstisch sitzen
können .
({2})
Das Traurige ist, dass man in Marrakesch außer der Ratifikationsurkunde nichts in den Händen haben wird, weil
die Nationalstaaten noch liefern müssen . Frau Hendricks,
auch wenn Sie sich jetzt lieber unterhalten, muss ich Ihnen sagen: Sie hatten in Paris angekündigt, das Übereinkommen von Paris durch den Klimaschutzplan 2050 mit
Leben füllen zu wollen . Sie hatten ganz konkret gesagt,
der Klimaschutzplan 2050 solle dazu dienen, die Ziele
des Abkommens mit wirksamen Maßnahmen zu unterfüttern, und er solle im Sommer 2016 vorliegen . Sie sind als
Tiger gestartet, aber leider als Bettvorleger gelandet . Und
warum? Weil das Wirtschaftsministerium, namentlich
Sigmar Gabriel, und das Kanzleramt, namentlich Peter
Altmaier, dem Klimaschutzplan das wenige Fleisch, das
dieser überhaupt hatte, auch noch abgenagt haben . Das
ist wirklich beschämend, weil in dem Übereinkommen
von Paris nicht steht: „Bitte ratifiziert das Übereinkommen und wartet ab, was passiert“, sondern darin steht:
Jedes Land muss nationale Klimaschutzbeiträge leisten,
die sogenannten NDCs .
Schauen wir uns einmal das an, was, wie Sie angekündigt haben, unser nationaler Beitrag ist: den Klimaschutzplan 2050 . Als Allererstes erkennen wir die Änderung bei
dem entscheidenden Faktor, von dem Sie ursprünglich
immer gesprochen haben, nämlich beim Kohleausstieg .
Der Kohleausstieg stand in dem ursprünglichen Entwurf
noch drin . Ich zitiere:
Um das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen, wird
die Stromerzeugung und damit die Energiewirtschaft bis dahin vollständig dekarbonisiert, um insgesamt das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen . Da
die Kernenergie ab 2022 wegfällt, muss die Stromerzeugung bis 2050 auf erneuerbare Energien umgestellt werden . . . Die Stromerzeugung auf Basis von
Kohle muss somit schon deutlich vor 2050 beendet
werden .
Richtig .
({3})
Nur, was ist davon übrig geblieben? Die Kohleverstromung nimmt in diesem Prozess schrittweise an Bedeutung ab, und die Erneuerbaren werden schrittweise
zunehmen . - Meine sehr verehrten Damen und Herrn,
was für eine Erkenntnis, dass bei der Energiewende der
eine Bereich ab- und der andere Bereich zunimmt . Aber
das ist doch nicht das, was Sie in Paris unterschrieben
haben, liebe Frau Hendricks .
({4})
An einer anderen Stelle des ursprünglichen Entwurfs
vom 20 . April 2016 heißt es:
Spätestens seit Paris ist klar, dass diese Ziele Mindestziele darstellen, die schon früher erreicht werden müssen . Das gilt auch für die Zwischenziele der
Bundesregierung für die Treibhausgasminderung in
den Jahren 2030 und 2040 .
Dann hat Ihr Kollege Sigmar Gabriel im Wirtschaftsministerium den Rotstift angesetzt und gesagt: Zwischenziele brauchen wir nicht; wir konzentrieren uns lieber auf
das Jahr 2050 . - Dann sind aber alle, die hier Verantwortung tragen, weg . Er sagt nur noch: Klimaschutzziele
sind irgendwie Mindestziele .
Und dann ging das Ganze ins Bundeskanzleramt . Danach ist von diesem ganzen Passus, dass es um Mindestziele geht, gar nichts mehr zu lesen, sondern man sagt
einfach nur noch: Wir machen weiter wie bisher, als hätte
es Paris nicht gegeben . - Das ist aber nicht das, was wir
nach der heutigen Ratifikation tun sollten.
({5})
Wir können das fortführen . Im Verkehrsbereich ist
nicht mehr die Rede von einem überproportionalen Anteil des Verkehrsbereichs, sondern nur noch davon, dass
man das Thema ambitioniert angehen will . Im Landwirtschaftsbereich - Sie haben es angesprochen - will man
überhaupt nicht mehr davon reden, um wie viele Tonnen
der CO2-Ausstoß bis 2030 reduziert werden soll . Das
Ganze ist am Ende ein schöner Lückentext, in dem überhaupt gar nichts mehr drinsteht .
Frau Weisgerber, Sie haben gesagt, warum das so ist,
warum man das machen muss, denn man müsse ja auch
auf die Wirtschaft schauen . Diejenigen von Ihnen, die
das per Brief geäußert haben, sind nicht mehr anwesend;
aber ich muss trotzdem sagen: Bloß weil die Vertreter des
BDI es nicht verkraften können, in einem Workshop des
Umweltministeriums mit NGO-Vertretern zusammensitzen zu müssen, müssen Sie sich die Argumente, nach denen der Klimaschutzplan gar nichts wert ist und wir noch
einmal ganz von vorne anfangen müssen, doch nicht zu
eigen machen . Das ist einfach ein Armutszeugnis .
({6})
Es gibt auch andere Argumente . Ambitionierter Klimaschutz und internationale Wettbewerbsfähigkeit sind
zwei Seiten derselben Medaille . Das sagen nicht nur wir
Grünen, sondern das sagte zum Beispiel auch Bahnchef
Rüdiger Grube:
Mit dem Abkommen steht die Weltgemeinschaft vor
einer gewaltigen Aufgabe . Aber sie ist machbar .
Nun sind die Länder am Zug und ganz konkret die Unternehmen. Sie stehen in der Pflicht, jetzt ihren Beitrag
zu leisten .
Darf ich Sie an die Redezeit erinnern?
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin .
Ja .
Die Bundeskanzlerin hatte in Paris sehr richtig gesagt:
Wir müssen heute handeln . Das muss der Anspruch
dieser Konferenz sein .
Ich möchte am heutigen Tage, an dem wir Paris ratifizieren, sagen: Sie müssen heute handeln. Das muss der
Anspruch Ihrer Politik sein . Hauchen Sie dem Klimaschutzplan wieder Leben ein. Ansonsten ist die Ratifikation am Ende nichts wert .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Annalena Baerbock . - Nächster Redner:
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In der
Tat, viele von uns - einige waren ja da - erinnern sich
gern zurück an das, was in Paris erfolgreich beschlossen
wurde . Wir haben eventuell gleich noch die Gelegenheit,
miteinander anzustoßen; dazu sagt Herr Jung vielleicht
noch etwas .
({0})
Seit gestern - Ministerin Barbara Hendricks hat es
gesagt - haben wir die Situation, dass 60 Staaten - inklusive China und den USA -, die knapp 50 Prozent der
Emissionen verursachen, die Ratifizierungsurkunde hinterlegt haben. Ich finde, man kann ruhig einmal darüber
nachdenken . Denn das zeigt zwei Dinge . Das zeigt auf
der einen Seite die Veränderungen in der Welt, dass alles
viel schneller geht und dass viele Länder nicht mehr zum
Jagen getragen werden müssen, sondern aus Eigeninteresse, aus eigenem Antrieb handeln . Das zeigt auf der anderen Seite auch ein bisschen, wie schwierig es in Europa
in den letzten Jahren geworden ist, sich auf gemeinsame
Positionen zu einigen .
Gerade ist darauf hingewiesen worden, dass einige
Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner Briefe zu diesem Thema schreiben; sie sind jetzt allerdings
nicht anwesend . Ich glaube, wir müssen aufhören mit
dem Gerede, dass die Welt nichts tut, sondern bloß Europa und Deutschland . Die Welt ist auf dem Weg . Die Welt
ist schnell . Wir müssen in der Tat aufpassen, dass wir in
den nächsten Jahren nicht abgehängt werden .
Es ist höchste Zeit, Paris zu ratifizieren. Deutschland das wissen Sie ganz genau, Frau Baerbock - muss das im
Gleichklang mit der Europäischen Union tun . Deswegen
liegt es nun wirklich nicht an Deutschland, wenn es ein
bisschen länger dauert . Vielmehr gab es eine Debatte darüber, ob es vor der Ratifizierung sozusagen eine Verabredung darüber geben soll, wer bei der Erreichung der
Ziele was zu leisten hat . Jetzt haben wir uns darauf verständigt, dass wir erst ratifizieren und danach über diese
Frage reden; das wird noch schwierig genug werden . Es
liegt also bestimmt nicht an Deutschland und auch nicht
an der Kommission, sondern an einzelnen Ländern .
Wir werden das heute einstimmig verabschieden;
daran besteht, glaube ich, kein Zweifel . Wir müssen
allerdings aufpassen, dass wir nicht einer politischen
Schizophrenie anheimfallen, nämlich auf der einen Seite international Dinge zu verabschieden und auf der anderen Seite auf europäischer und nationaler Ebene dem
nicht gerecht zu werden .
({1})
Ich will auch hier noch einmal sagen, dass wir in der
Arbeitsgruppe „Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit“ der SPD-Fraktion eine spannende Begegnung
mit Professor Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hatten, der noch einmal sehr nachvollziehbar dargelegt hat, was eigentlich das 2-Grad-Ziel
und möglicherweise sogar das 1,5-Grad-Ziel für die Europäische Union und für Deutschland bedeutet . Es ist
vollkommen klar, dass dieses Geschacher um den Klimaschutzplan an mancher Stelle der internationalen Verantwortung, der wir heute gerecht werden wollen, eigentlich
nicht gerecht wird .
Es ist völlig klar, dass das, was wir gemeinsam im
Deutschen Bundestag aufgeschrieben haben, nämlich
eine Reduzierung des CO2-Ausstosses um 80 bis 95 Prozent bis 2050, ein richtiges Ziel ist . Aber vor dem Hintergrund von Paris müssen wir natürlich sagen: Wir werden
uns eher am höheren Rand dieses Zieles bewegen müssen
und eventuell sogar darüber hinausgehen müssen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden . Es ist völlig klar,
dass das europäische Ziel von mindestens 40 Prozent Realität werden muss . Da wir über mindestens 40 Prozent
reden, müssen wir alle Kraft darauf verwenden, dieses
europäische Ziel entsprechend höher zu hängen .
({2})
Mit Blick auf die Reduktion des Treibhausgasausstoßes müssen wir sagen, dass wir im Bereich der Energie,
der Industrie, des Verkehrs, der Gebäude und der Landwirtschaft gegen null gehen müssen. Ich finde, es muss
schon möglich sein - wie es auch die Umweltministerin
geplant hatte -, dass sich zumindest die Empfehlungen
der Fachleute für gesunde Ernährung in einem solchen
Klimaschutzplan wiederfinden.
Wer das alles nicht sagt und wer das nicht aufschreiben will, lügt sich am Ende in die Tasche, und schlimmer
noch: Er verpasst die klare Ansage an die Gesellschaft
und die Wirtschaft, Innovationen anzureizen und ihnen
freien Lauf zu lassen . Diesen Vorwurf kann man dem
BDI und der BDA nicht ersparen . Viele dieser Positionen
sind wirklich von gestern, und ich habe den Eindruck,
dass, wenn sich Unternehmen daran orientieren, diese in
ein Schicksal getrieben werden, wie wir es leider zurzeit
bei RWE, Eon, Vattenfall und EnBW sehen, die nämlich
nicht zum richtigen Zeitpunkt erkannt haben, was eigentlich die Maßgabe einer modernen Klima- und Energiepolitik ist .
Es ist das Verdienst von Barbara Hendricks - ich habe
es hier mehrfach betont -, dass wir uns ehrlich gemacht
haben und endlich dabei sind, genau zu wissen, auf welchem Weg der Zielerreichung wir sind . Dazu hat Barbara
Hendricks eine ambitionierte Politik vorgeschlagen, und
es ist jetzt die Aufgabe der gesamten Bundesregierung,
diese auch umzusetzen .
Was wir heute tun, ist die Pflicht. Das werden wir gemeinsam erledigen . Aber die Kür und die schwierigere
Aufgabe ist am Ende, das Ganze in nationale Gesetzgebung umzusetzen . Das ist die Aufgabe des nächsten Jahres und der Jahre darüber hinaus .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Frank Schwabe . - Letzter Redner in dieser Debatte ist Andreas Jung .
({0})
Nun sind wir ganz gespannt, zu erfahren, wer mit wem
wo anstößt .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wie oft haben wir in diesem Hause über
die Notwendigkeit eines Weltklimavertrages debattiert?
Wie oft mussten wir uns entgegenhalten lassen, das werde überhaupt nie etwas, es werde immer nur diskutiert,
man komme einmal im Jahr auf Klimakonferenzen zusammen, am Ende komme aber allenfalls ein ganz kleiner Schritt heraus, im Ergebnis würden sich insbesondere
die USA und China blockieren und es werde dabei bleiben, dass wir international einen solchen Vertrag nicht
gemeinsam hinbekämen?
Deshalb war unsere Freude groß, als im letzten Jahr
in Paris dieser Vertrag zustande gekommen ist, und es
ist - damit möchte ich unterstreichen, was die Vorredner
sagten - heute ein Tag der Freude, dass wir im Bundestag
über die Ratifizierung abstimmen können. Ich finde, es ist
ein Quantensprung für den internationalen Klimaschutz
und darüber hinaus als Zeichen der Handlungsfähigkeit
der internationalen Gemeinschaft auch ein Signal, das
über die Klimapolitik hinausgeht und uns angesichts aktueller Krisen, wie etwa der Flüchtlingskrise, Mut macht,
dass sich die internationale Gemeinschaft zusammenraufen und handeln kann . Darauf können wir aufbauen .
({0})
Nun hat der Erfolg immer viele Väter, in diesem Fall
aber auch eine Mutter, nämlich die Gastgebernation der
Konferenz Frankreich unter der Präsidentschaft von Laurent Fabius; auch dies wurde bereits in Anwesenheit des
französischen Botschafters gewürdigt . Hier müssen wir
dazusagen, dass wir in der Vergangenheit schon erlebt
haben, dass eine Präsidentschaft den Erfolg einer solchen
Konferenz auch gefährden kann .
Die Bundeskanzlerin hat beim Petersberger Klimadialog die französische Gastgeberrolle gewürdigt und
gesagt, es seien eine exzellente Vorbereitung und ein exzellenter Einsatz gewesen, die Diplomatie sei exzellent
gewesen . Und damit, Herr Botschafter, ist es ein Erfolg
für die französischen Gastgeber . Deshalb freuen wir uns,
nachher noch mit Ihnen in der Lobby zusammenzukommen, um gemeinsam darüber nachzudenken, was Deutsche und Franzosen in Zukunft noch anstoßen können .
({1})
Ich will unterstreichen: Wie in vielen anderen Bereichen gab es auch in der Klimapolitik in den vergangenen
Monaten eine sehr enge Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich . Eine der Vorlagen, die den Weg
nach Paris geebnet hat, entstammte der G-7-Konferenz
in Elmau, auf der die Bundeskanzlerin mit den anderen
Staats- und Regierungschefs zusammengekommen ist
und auf der das Ziel einer Dekarbonisierung der Volkswirtschaften der Industriestaaten in diesem Jahrhundert - genauer: schon deutlich zuvor, nämlich zur Mitte
dieses Jahrhunderts - in den Blick genommen wurde .
Das war ein Meilenstein . So konnte Deutschland in Abstimmung mit den Franzosen und dann innerhalb der Europäischen Union seinen Beitrag leisten .
Jetzt geht es darum, die Vereinbarung, die in Paris getroffen wurde, mit demselben Nachdruck und derselben
Ambition umzusetzen . Deutschland hat in Paris zu der
sogenannten - ich sage es auf Deutsch - Hochambitionskoalition gehört, also zu den Staaten, die sich in besonderer Weise und mit großen Ambitionen - ich darf dazusagen: auch mit großer Glaubwürdigkeit, die über viele
Jahre von den unterschiedlichen Bundesregierungen aufgebaut und aufrechterhalten wurde - für ein ehrgeiziges
Abkommen eingesetzt haben .
Jetzt ist es unsere Aufgabe, das Abkommen mit Ambition und Ehrgeiz umzusetzen . Da geht der Blick nach Europa. Hier müssen wir unsere Ziele, wie ich finde, nach
oben korrigieren . In der Formulierung des europäischen
2030-Ziels findet man das Wort „mindestens“. Jetzt ist es
an der Zeit, dieses Wort „mindestens“ zu streichen und
auf europäischer Ebene mit größeren Ambitionen voranzugehen . Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung müssen ihre Beiträge dazu leisten, dass die formulierten Ziele erreicht werden . Dazu gehört die Erreichung
des kurzfristigen 2020-Ziels mit weiteren Maßnahmen,
wie zum Beispiel einem neuen Anlauf zur steuerlichen
Förderung der Gebäudesanierung, um durch eine Steigerung der Effizienz den Klimaschutz zu stärken.
({2})
Selbstverständlich müssen wir auch unsere Ziele im
Hinblick auf den Klimaschutzplan mit Leben füllen . Ich
glaube, es ist normal, dass über ein so ambitioniertes und
weitreichendes Vorhaben diskutiert wird, sowohl in den
Fraktionen als auch zwischen den Fraktionen . Aber am
Ende muss ein ambitionierter und möglichst konkreter
Fahrplan stehen, der festlegt, wie wir in Deutschland die
in Paris formulierten Ziele in den nächsten Jahrzehnten
erreichen wollen . Dabei werden alle Sektoren ihren Beitrag leisten müssen; so führen wir diese Diskussion .
({3})
Wir wollen unsere Ziele durch den Einsatz von Technologie und durch Effizienz erreichen. So wollen wir - da
spreche ich für meine Fraktion - den Klimaschutzplan
gestalten und zu einem Erfolg machen .
({4})
Ich bin der letzte Redner vor der Abstimmung . Ich
freue mich, den Weg für die Ratifizierung freimachen
und der Präsidentin wieder das Wort übergeben zu dürfen .
({5})
Wir wollen mit anstoßen .
({0})
Ich finde, es ist ein starkes Signal, dass wir - bei allem
Streit, den wir im Detail haben mögen - durch die Zustimmung aller Fraktionen und aller Abgeordneten dieses
Hauses eine einstimmige Ratifizierung erreichen. Das ist
nach der Konferenz von Marrakesch ein starkes Signal
für den Klimaschutz .
In diesem Sinne: Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Andreas Jung . - Dann schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen von Paris vom
12 . Dezember 2015 . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9704, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/9650 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Das
sind alle .
({0})
Dann brauche ich nicht zu fragen: „Wer stimmt dagegen?“ oder „Wer enthält sich?“ Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen . Vielen herzlichen Dank, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Zusatzpunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zur Unterzeichnung des Pariser
Klimaabkommens - Klimaschutz wirksam verankern
und Klimaziele einhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9702,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8080 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist nicht einstimmig angenommen, sondern zugestimmt haben die
CDU/CSU und die SPD, und dagegen waren das Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Jetzt wünsche ich Ihnen draußen gemeinsam mit dem
Herrn Botschafter in puncto Klima noch ein gutes Nachschwingen dieser Debatte und viel Engagement, das Klimaabkommen dann auch tatsächlich umzusetzen . - Vielen Dank für diese Debatte .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({2}), Volker Beck ({3}),
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
10. Jahrestag der Ermordung Anna Politkowskajas - Menschenrechtsverteidigerinnen und
Menschenrechtsverteidigern in Russland zur
Seite stehen
Drucksache 18/9673
Ich warte noch, bis die Plätze getauscht sind . - Nach
einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Rednerin in der
Debatte gebe ich Marieluise Beck für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 7 . Oktober 2006 wurde die Journalistin
und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja im Fahrstuhl ihres Hauses mit vier Schüssen ermordet . Anna
Politkowskaja war eine sehr mutige Frau . Sie gab keine
Ruhe, um die Verbrechen des Geheimdienstes, des russischen Militärs und des von Präsident Putin eingesetzten
Statthalters Kadyrow in Tschetschenien aufzuklären . Sie
tat das, obwohl sie wusste, dass sie sich damit in Todesgefahr begab .
Zwar hat die russische Justiz inzwischen mehrere Männer wegen des Mordes verurteilt, aber niemand
glaubt ernsthaft, dass sie eigenständig gehandelt haben .
Somit bleiben die Drahtzieher dieses feigen Verbrechens
straflos.
Anna Politkowskaja ist nicht die Einzige, die die Beharrlichkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen, mit ihrem
Leben bezahlte . Natalja Estemirowa, auch eine unbeugsame Menschen- und Frauenrechtlerin von MEMORIAL, die von Ramzan Kadyrow persönlich bedroht wurde,
wurde im Sommer 2009 nach Inguschetien entführt und
dort grausam ermordet . Auch dieser Mord ist unaufgeklärt .
In der Redaktion von Nowaja Gazeta, für die Anna
Politkowskaja gearbeitet hat, hängen insgesamt sechs
Fotos von mutigen Kolleginnen und Kollegen, die sich
der Schweigeforderung des Kremls nicht gebeugt haben . Ihre Namen sind nicht so bekannt wie der von Boris
Nemzow, der am 27 . Februar 2015 in unmittelbarer Nähe
des Kremls ermordet wurde . Alle diese mutigen Menschenrechtler haben mit ihrem Leben bezahlt .
Ich hoffe, dass Swetlana Gannuschkina, mit der ich
viele Reisen in den Nordkaukasus unternommen habe,
diese aufrechte und mutige Frau, die zusammen mit anderen den Alternativen Nobelpreis bekommt, durch diesen Preis wenigstens ein bisschen Schutz erhält .
({0})
Schauen wir nach Russland heute: Die Duma-Wahlen
waren so orchestriert, dass sie nach außen einigermaßen
korrekt ausgesehen haben . Das Ergebnis führt im Parlament zu einer hundertprozentigen Unterstützung der
Putin’schen Politik und zu einer verfassungsändernden
Mehrheit für „Einiges Russland“ . Die eigentliche Botschaft dieser Wahlen haben allerdings die Nichtwähler
vermittelt . Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten russischen Bevölkerung glaubt nicht mehr daran, dass sie
mit ihrer Wahlstimme Einfluss nehmen kann.
In Moskau und Sankt Petersburg, den modernsten
Städten Russlands, stimmten nur 35 und 32 Prozent der
Wahlberechtigten überhaupt ab . Selbst in der ländlich
geprägten Region Perm, die etwa die Größe Griechenlands hat, gibt es ähnlich niedrige Abstimmungsquoten .
Aus solch einer Wahl lässt sich keine überwältigende Zustimmung für Putins Kurs in der russischen Bevölkerung
ableiten .
Offenbar wurde dieser Ausgang im Kreml vorausgesehen . Denn am Tag nach der Wahl legte Kommersant
die Zukunftspläne für die Neugestaltung des Sicherheitsapparates auf den Tisch . Der Personenschutz von Präsident und Regierung, der Auslandsgeheimdienst und das
Katastrophenschutzministerium sollen auf der Basis des
Geheimdienstes FSB zusammengeführt werden . Es soll
wieder ein übermächtiges Ministerium für Staatssicherheit geben . Das erinnert fatal an die Strukturen des KGB,
von dem 1990 die russische Bevölkerung glaubte, seine
Zeiten seien endlich überwunden .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Unser Antrag soll eines klarmachen: Wir sind der russischen Bevölkerung freundschaftlich verbunden . Wir
sind besonders denen nahe, die trotz der extremen Bedingungen für eine offene Gesellschaft kämpfen . Kritik am
Kreml bedeutet nicht Kritik an Russland .
({1})
Die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung haben einen Trumpf in der Hand, mit dem sie
diese der russischen Bevölkerung zugewandte Haltung
unmissverständlich klarmachen könnten: Liberalisieren
Sie endlich das Visumsregime! Moskau und Sankt Petersburg haben bei den Wahlen gezeigt: Begegnungen
mit Demokratien, mit dem Ausland und mit Freiheit sind
die stärksten Kräfte gegen diktatorische Entwicklungen .
Wer wirklich ein Freund Russlands sein möchte, der sollte die Möglichkeit des Reisens für die russische Bevölkerung endlich einfach und unkompliziert machen . Wir
sollten der russischen Bevölkerung zeigen: Wir warten
auf euch, und wir freuen uns auf euch .
Schönen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zehn Jahre ist es her, dass die Journalistin
und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja ermordet
wurde . Sie hatte es sich zeitlebens nicht nehmen lassen,
unabhängig und kritisch über Korruption, im Tschetschenien-Krieg begangene Verbrechen sowie Menschenrechtsverletzungen zu berichten . Für ihre Arbeit wurde
Politkowskaja vielfach ausgezeichnet; sie galt als Ikone
des investigativen Journalismus in Russland .
Leider macht man sich mit solch einem Engagement
auch Feinde . Die entscheidende Frage ist, zu welchen
Mitteln diese Feinde greifen . Halten sie sich an die Normen der Meinungsfreiheit? Oder kommt es zu Repressionen und Verfolgung? An den Antworten auf diese Fragen kann man früh erkennen, wie es um die Wahrung der
Menschenrechte in einem Land bestellt ist .
Anna Politkowskaja wurde auf dem Höhepunkt ihres
kritischen Schaffens direkt vor ihrer Moskauer Wohnung
durch mehrere Schüsse getötet . Im Verlauf der Jahre wurden mehrere Verdächtige zu Haftstrafen verurteilt . Die
eigentlichen Nutznießer dieses Verbrechens - Sie, Frau
Kollegin Beck, haben das schon betont -, die Hintermänner der Tat, sind aber bis heute nicht ermittelt; und das
wird vermutlich für immer so bleiben .
Politkowskajas Tod reiht sich in eine ganze Serie von
Mordfällen ein, denen ausschließlich Kreml-Kritiker
zum Opfer fielen. Aleksandr Litwinenko, Stanislaw Markelow, Boris Nemzow - das sind nur einige der Namen
auf einer viel zu langen Liste der Opfer von Verbrechen
aus Gründen reinen Machterhalts, aus Ideologie, wegen
inhaltlicher Positionen . Bei allen handelt es sich um
politische Morde, die oftmals mit Straflosigkeit für die
Auftraggeber einhergehen, und das mit einer Regelmäßigkeit, dass manch einer bisweilen vergisst, wie ungeheuerlich es eigentlich ist, was sich da mitten in Europa
abspielt .
Gerade die Straflosigkeit ist ein sehr gefährlicher und
oft unterschätzter Faktor . Sie ermuntert Machthaber und
ihre Schergen geradezu, mit ihrem Treiben fortzufahren,
weil sie ihnen die Sicherheit gibt, für ihre Taten auch
in Zukunft nicht belangt zu werden. Wo Straflosigkeit
nach Verbrechen herrscht, ist der Rechtsstaat abwesend .
Grundlegende Prinzipien sind komplett aufgegeben worden . Gerade bei einem Mitgliedstaat des Europarates
dürfen wir das auf keinen Fall akzeptieren .
({0})
Ermordete oder verschwundene Kritiker sind jedoch
nicht die einzige Erscheinungsform von Repression in
Russland . Journalisten, Oppositionelle, Menschenrechtsverteidiger: Sie alle erfahren dort die ganze Bandbreite
von Behinderung, Drangsalierung und Willkür . Über die
NGO-Gesetzgebung Russlands ist in vergangenen Debatten an dieser Stelle schon einiges gesagt worden, ebenso
über die bedauerliche Entscheidung des Landes, Urteile
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht
mehr als verbindlich anzuerkennen .
Auch über die Situation von LGBT in Russland haben wir hier bereits debattiert . Dort gelten Gesetze gegen
Propaganda von Homosexualität, als ob das ein propagandaabhängiges gesellschaftliches Phänomen wäre . All
das wird im vorliegenden Antrag erneut und zu Recht
aufgegriffen .
Vor einiger Zeit war ich selbst in Moskau und habe
mich im dortigen Sacharow-Zentrum mit Vertretern der
Zivilgesellschaft über ihre Probleme ausgetauscht . Es ist
eine Sache, über die Menschenrechtslage eines Landes
aus der Ferne in Berichten und Briefings zu erfahren. Es
ist eine ganz andere Sache, vor Ort mit Betroffenen zu
sprechen und die Verzweiflung zu erleben, die sich mittlerweile unter den Menschen dort breitmacht .
Wir müssen uns in solchen Situationen leider eingestehen, dass unser Einfluss naturgemäß begrenzt ist. Dennoch sind es gerade solche Begegnungen, die uns anspornen sollten, in unseren Unterstützungsbemühungen für
Menschenrechtsverteidiger auch in Russland nicht nachzulassen . Wir müssen tun, was in unserer Macht steht,
damit die Verzweiflung, die ich im Sacharow-Zentrum
beobachten konnte, nicht Raum greift .
Wir müssen klarmachen, dass der Einsatz für Menschenrechte und das Anprangern unerträglicher Missstände kein Vaterlands-Bashing sind, sondern ganz im
Gegenteil ausgeprägte Vaterlandsliebe . So, meine Damen und Herren, möchte ich auch meine Ausführungen
verstanden wissen . Sie sind nicht Russland-Bashing, sonMarieluise Beck ({1})
dern eine Beistandsbekundung und ein Schulterschluss
mit der russischen Zivilgesellschaft .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie Oleg
Senzow in Ihrem Antrag erwähnen . Dieser hat sich friedlich gegen die Annexion der Krim eingesetzt und wurde
dafür von den russischen Behörden in einem Schauprozess zu 20 Jahren Haft verurteilt . Ich habe im vergangenen Jahr eine politische Patenschaft für Oleg Senzow
übernommen, um auf sein Schicksal und das ihm widerfahrene Unrecht aufmerksam zu machen . Öffentlichkeitsarbeit ist meist das einzige Mittel, das uns gegen solches
Unrecht zur Verfügung steht . Wir alle sollten es intensiv
nutzen; denn genau diese Art von Öffentlichkeitsarbeit
mögen repressive Staaten nicht .
Einen weiteren Klassiker der Scheindemokratie konnten wir bei der russischen Parlamentswahl am vergangenen Wochenende beobachten . In 203 von 206 Wahlkreisen, in denen ein Kandidat der Partei Einiges Russland
angetreten war, gewann dieser . Es gibt daher eine satte
Dreiviertelmehrheit zum Schalten und Walten . Damit
nicht genug . Die anderen drei Parteien, die in die Duma
einziehen konnten, unterstützen ausnahms- und kritiklos
die Politik Putins . Demokratische Opposition? Totale
Fehlanzeige!
({2})
Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage würde
man eigentlich eine kritischere Haltung der Bevölkerung
gegenüber der Regierung erwarten .
Interessanterweise haben Wahlbeobachter der OSZE
diesmal über weniger Unregelmäßigkeiten am Wahltag
selbst berichtet . Offensichtliche Wahlfälschung war gar
nicht mehr nötig . Für das richtige Ergebnis wurde laut
OSZE bereits im Vorfeld gesorgt . Die Wahlbeobachter
nennen dabei an erster Stelle die totale Kontrolle der Regierung über die Medien .
Putins mediale Suppression ist derart massiv, dass es
kein Wunder ist, wenn dabei am Ende Wahlergebnisse
herauskommen, die an SED-Zeiten erinnern und der
DDR würdig gewesen wären . Putin hat natürlich erkannt,
wie viel Macht ihm das Instrument gefügiger Medien beschert . In seinem eigenen Land sind diese längst Realität,
doch damit gibt er sich nicht zufrieden .
In jüngster Zeit gab es verstärkt russische Propaganda
und Desinformationskampagnen in Deutschland und der
EU . Es ist schon bezeichnend, wie sich die russischen
Propagandisten bei uns genau auf jene Meinungsfreiheit berufen, die in ihrem eigenen Land so konsequent
unterdrückt wird. Wir müssen diese Einflussnahme sehr
ernst nehmen und dringend aufpassen, dass wir sie nicht
aus Naivität unterschätzen . Gleichzeitig steht außer Frage, dass wir nicht - wie in Russland - mit Zensur oder
gar Repressionen darauf reagieren dürfen . Wenn wir das
täten, würde das Ziel der Propaganda nämlich erreicht:
die Untergrabung unserer erfolgreichen freiheitlichen
demokratischen Grundordnung . Bei uns werden die
Grundrechte nicht eingeschränkt . Das genau ist der Unterschied .
Lassen Sie mich bei all dieser Kritik an Putins Russlandpolitik betonen: Trotz der Menschenrechtsverletzungen und offenkundigen Demokratiedefizite ist uns allen
klar, dass wir mit dem schwierigen Partner Russland weiterhin im Dialog bleiben müssen . Dies gilt schon allein
wegen der Feststellung, dass wir sehr schnell sehr einsam
auf der Welt wären, wenn wir den Kontakt zu all unseren
internationalen Partnern abbrechen würden, deren Werte
und Ziele nicht zu 100 Prozent mit unseren übereinstimmen . In der Politik kann man sich Verhandlungspartner
nicht nach Sympathie aussuchen .
Deutschland bzw . die EU und Russland sind in den
verschiedensten Bereichen aufeinander angewiesen .
Russland braucht uns dringend, schon allein um die Wirtschaftskrise im eigenen Land zu überwinden . Auch wir
brauchen Russland . Die anstehenden Aufgaben - von der
Ukraine bis Syrien - können wir nur gemeinsam bewältigen . Diese Feststellung besagt jedoch nicht, dass an der
Annexion der Krim, an der Destabilisierung in der Ostukraine oder an der menschenrechtlichen Situation innerhalb Russlands irgendetwas beschönigt werden darf .
Gerade wir Menschenrechtspolitiker dürfen und können
es Menschenrechtsverletzern - auch denen in Russland nicht leicht machen . Probleme sprechen wir auch bei
Russland öffentlich an .
Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern ist seit
langem zentraler Bestandteil unserer Menschenrechtspolitik . Ich erinnere an unseren letzten Antrag in dieser Sache, in dem auch die Situation in Russland ganz deutlich
zur Sprache kam .
Wie bereits dargelegt, gibt es allein in Russland, aber
auch in anderen Staaten, eine Vielzahl ähnlicher Schicksale wie das von Frau Politkowskaja, und alle verdienen
Beachtung . Nicht nur aus Gründen der Praktikabilität
ist es bei uns allerdings längst erprobte Praxis, keine
Bundestagsentschließungen zu Einzelschicksalen zu
verabschieden . Damit soll auch verhindert werden, dass
einzelne Fälle gegeneinander aufgewogen werden können . Deshalb können wir dem vorliegenden Antrag nicht
zustimmen, auch wenn wir viele der darin enthaltenen
Positionen ausdrücklich teilen .
Danke .
({3})
Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Die
Linke der Kollege Stefan Liebich .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Anna Politkowskaja, eine engagierte russische Journalistin, wurde vor zehn Jahren im Alter von 48 Jahren
erschossen . Dieser Mord sollte auf brutale Weise einschüchtern, er sollte Journalistinnen und Journalisten
daran hindern, ihre Meinung zu sagen . Das dürfen wir
niemals und nirgendwo akzeptieren .
({0})
Presse- und Meinungsfreiheit können nicht hoch genug angesehen werden und sind in Russland - aber nicht
nur dort, mein Vorredner hat das gesagt - bedroht . Wir
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen dem,
wann und wo es auch immer geschieht, entgegentreten .
Ohne den Mut von Anna Politkowskaja hätten wir
über den zehn Jahre andauernden schmutzigen Krieg in
der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien hier
noch weniger erfahren . Sie berichtete von den Gräueltaten der russischen Militärs und der verbündeten paramilitärischen Gruppen . Sie berichtete über Folter, Mord und
Korruption, unabhängig von der Kritik, die sie damit auf
sich zog . Sie bezahlte diesen Einsatz mit ihrem Leben .
Die Umstände, unter denen der Mord geschah, sind
bis heute ungeklärt . Wer auch immer letztlich die Schuld
daran trägt, eines ist schwer zu leugnen: Das Klima, das
einen solchen Mord möglich machte, wurde auch von der
russischen Regierung geschaffen .
Russland wird in der Länderliste von Reporter ohne
Grenzen auf Platz 148 von 180 geführt . Gerade in Tschetschenien landen immer wieder kritische Journalisten im
Gefängnis, wie vor wenigen Tagen der junge Journalist
Zhalaudi Geriyev .
Solche Beispiele - Frau Beck hat das getan - müssen
wir laut und deutlich benennen . Öffentlichkeit ist die beste Antwort, wenn Despoten versuchen, Menschen zum
Schweigen zu bringen .
({1})
Das gilt auch für Länder, zu denen ich leider weniger
Kritik von den Regierungsfraktionen höre . Wir messen
nicht mit zweierlei Maß, Herr Fabritius .
Die Länderliste von Reporter ohne Grenzen umfasst
viele Länder . Ich will noch auf einige andere Bezug nehmen . Auf Platz 178 - also dem vorvorletzten Platz von
180 - befindet sich Turkmenistan. Dessen bizarrer Präsident Berdymuchammedow war kürzlich bei der Bundeskanzlerin zum Mittagessen eingeladen .
({2})
Auf Platz 164 befindet sich Saudi-Arabien, auf Platz 163
Bahrain, auf Platz 158 Ägypten und auf Platz 156 Irak .
Das sind alles Länder, in die Wirtschaftsminister Gabriel
weiter Waffen exportieren lässt . Der Umgang mit LGBT,
also mit Lesben und Schwulen, in diesen Ländern lässt
sehr zu wünschen übrig . Wer hier ein Auge zudrückt, ist
in seiner Kritik nicht glaubwürdig .
({3})
Leider überzeugt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht wirklich . Es geht hier weniger, wie der Titel
suggeriert, um die Unterstützung mutiger Russinnen und
Russen, die sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzen, sondern es scheint Ihnen mit diesem
Antrag mehr um eine Generalabrechnung mit der Politik
der russischen Regierung zu gehen . Ich gebe Ihnen sogar
in weiten Teilen Ihrer Kritik recht, Frau Beck . Auch wir
kritisieren die Einschränkungen von Menschenrechten
und Demokratie, die Beschneidung der Zivilgesellschaft
und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim .
Nur - und da widerspreche ich meinen Vorrednern ein
bisschen -, die Wahl zur Duma sagt noch etwas anderes .
Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass es
in Russland eine ganze Reihe Menschen gibt, die diese
Politik unterstützt. Das müssen wir nicht richtig finden,
aber damit müssen wir uns auseinandersetzen . So wie Sie
Ihren Antrag formulieren, kommen wir in dieser Frage
keinen Schritt weiter . So schwer es ist: Das Ziel einer
Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und
Russland können wir trotz alledem nicht aufgeben .
Wenn wir Veränderungen wollen, müssen wir mehr
statt weniger miteinander reden . Insofern unterstütze ich
den Vorschlag zur Visaliberalisierung und finde es schade, dass die Regierungsfraktionen sich immer noch nicht
darauf einlassen können .
Aber vor diesem Hintergrund - das muss ich an der
Stelle auch ansprechen - ist es bedauerlich, dass es in
dieser Wahlperiode erstmals nicht gelungen ist, dass der
Auswärtige Ausschuss der Duma und der Auswärtige
Ausschuss des Bundestages zu ihrem traditionellen Treffen zusammengekommen sind . Das waren nie schöne
Termine - wir haben uns dort gestritten -, aber es war
wichtig und sinnvoll, dass diese Treffen stattgefunden
haben, und ich bedaure es, dass das in dieser Wahlperiode nicht gelungen ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anna Politkowskaja
gebühren Dank und Anerkennung für ihr Streben nach einem demokratischen Russland . Trotz aller Drohungen ist
sie immer wieder zurückgekehrt und hat nie aufgegeben,
das Land durch ihre Berichte und ihre Beobachtungen zu
verändern . Würdigen wir sie und ihr Andenken, indem
wir weltweit Menschenrechte verteidigen .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächstes spricht Ute FinckhKrämer, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! Über die Leistungen von Anna Politkowskaja als
Journalistin, über ihren Mut und ihre hohe Professionalität ist schon viel gesagt worden . Insofern möchte ich
mich jetzt in meiner Rede auf das konzentrieren, was wir
tun können - nicht nur durch direkten Protest, sondern
auch indirekt durch Kontakte und Angebote an diejenigen in Russland, die gerne mit Deutschland und mit der
Europäischen Union zusammenarbeiten -, um etwas zu
verändern .
Ich möchte zunächst daran erinnern, dass nicht nur,
was mich sehr freut, heute Swetlana Gannuschkina als
eine der diesjährigen Preisträgerinnen des Right Livelihood Award, also des Alternativen Nobelpreises, benannt wurde, sondern dass letztes Jahr der Europarat
den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis ebenfalls einer
Russin verliehen hat . Die Rede von Ludmilla Alexejewa letztes Jahr in Straßburg hat mich sehr beeindruckt,
weil sie nämlich in einem guten Teil ihrer Rede darüber
gesprochen hat, warum für sie Russland ein europäisches
Land ist und warum sie sich als Europäerin fühlt .
Swetlana Gannuschkina wird für etwas geehrt,
was auch im besten Sinne eine europäische Leistung
ist . Sie wird dafür geehrt, dass sie seit 1990 mehr als
50 000 Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingen und
Binnenvertriebenen in Russland geholfen hat . Damit
fühlen sich, glaube ich, diejenigen von uns, die hier in
Deutschland für eine Unterstützungskultur und für Willkommensbündnisse eintreten, ihr sehr nahe . Deswegen
freut es mich besonders, dass sie diesen Preis erhalten
hat .
({0})
Russland ist seit vielen Jahrhunderten zweifellos Teil
des europäischen Kulturraums . Es gibt viele Menschen
dort, die sich wie Anna Politkowskaja, Ludmilla Alexejewa oder Swetlana Gannuschkina als Europäerinnen und
Europäer fühlen . Wir haben große Werke der russischen
Kultur, auf die wir uns ganz selbstverständlich hier beziehen . Ich möchte als ein Beispiel den großen Roman
Krieg und Frieden von Lew Tolstoi nennen, der Pazifist
war und sich damit jedenfalls in einer europäischen Tradition des Pazifismus sah und der in der russischen Originalausgabe ganze Textteile auf Französisch, auf Englisch
und auf Deutsch geschrieben hat, weil er diese drei europäischen Sprachen fließend beherrschte. Ich finde das
sehr eindrücklich und würde mir wünschen, dass jemand
den Mut hat, ein deutsches Buch zu schreiben, das mit
russischen Textteilen versehen ist .
Die Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs hat den
Raum für die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geöffnet . Die Schlussakte von Helsinki
hat drei Körbe, den Korb „Gemeinsame Sicherheit“, den
Korb „Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ und den Korb
„Menschenrechte“ . Sie gehören zusammen, und deswegen begrüße ich es besonders, dass unser Außenminister
Frank-Walter Steinmeier gerade eine neue Initiative für
Gespräche über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa angeboten hat . Ich glaube, damit können und wollen
wir im Rahmen der deutschen OSZE-Präsidentschaft ein
Angebot machen, das auch russische Gesprächspartner
interessieren könnte .
In der Menschenrechtssäule haben wir uns in Deutschland sehr oft stärker auf die klassischen Menschenrechte des Zivilpaktes konzentriert und manchmal etwas
weniger die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen
Menschenrechte des Sozialpaktes in den Vordergrund
gerückt . Es könnte eine Möglichkeit sein, im Dialog mit
Russland neben den Menschenrechten, die in dem Antrag
der Grünen angesprochen sind, auch die sozialen Menschenrechte zu einem neuen Ansatzpunkt für Dialoge
zu machen, auch und gerade wegen der Dinge, die zur
gewachsenen Armutsquote in Russland genannt wurden .
Interessant finde ich auch, dass kürzlich die Vorsitzende des Föderationsrates der Russischen Republik,
Valentina Iwanowna Matwijenko, angekündigt hat, dass
Russland gerne in die Parlamentarische Versammlung
des Europarates zurückkehren würde . Das ist ein Gesprächsangebot - so verstehe ich das - an die, die in der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit darüber entscheiden, ob im Januar die Credentials der Russen anerkannt werden oder nicht .
({1})
Diejenigen von uns, die in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aktiv sind, sollten das wiederum zum Anknüpfungspunkt nehmen, um mit denjenigen
aus der Duma, die eine Rückkehr der Russen wünschen,
ins Gespräch über Menschenrechte zu kommen; denn das
ist eines der Kernthemen des Europarates .
({2})
Auch Kultur ist ein verbindendes Element . Es war daher aus meiner Sicht gut und richtig, dass 2014/2015 in
dieser angespannten Situation Deutschland das Jahr der
deutschen Sprache und Literatur in Russland nicht abgesagt hat und umgekehrt das Jahr der russischen Sprache und Literatur in Deutschland parallel geführt wurde;
denn das ergab genau einen Teil der Dialogmöglichkeiten, die wir suchen und wünschen .
Das gilt auch für die Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . Aus meinem eigenen Wahlkreis kann ich als Beispiel das Deutsche
Archäologische Institut anführen, das mit russischen Archäologen zusammenarbeitet . Es gibt aber auch trilaterale Formate der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern
aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken . Des Weiteren gibt es die Arbeit des Goethe-Institutes in Russland und die der russischen Kulturzentren
in Deutschland . In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel - das ist nicht weit weg von hier - das Russische
Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße zu nennen . Außerdem gibt es Schulen mit vertieftem
Deutschunterricht in Russland, zwei Auslandsschulen
sowie 84 Schulen, die das deutsche Sprachdiplom verleihen können . Umgekehrt gibt es in Deutschland Schulen
mit vertieftem Russischunterricht . Diese tragen genauso
zur Vertrauensbildung zwischen Menschen aus beiden
Ländern bei wie die Einrichtungen für russischsprachige
Menschen in Deutschland, von denen es auch in meinem
Wahlkreis welche gibt . Das Gleiche gilt auch für das
Deutsch-Russische Haus in Moskau, das Angebote für
die deutschsprachige Minderheit in Russland bereithält .
Auch Städtepartnerschaften spielen für die Beziehungen zu Russland eine wichtige Rolle . 98 Städte und
Gemeinden in Deutschland haben Partnerschaften mit
Städten oder Gemeinden in Russland . Es haben aber auch
29 Städte und Gemeinden Partnerschaften zu Städten
oder Gemeinden in der Ukraine . Die Zahl der Partnerschaften zu Städten und Gemeinden in Belarus beträgt
24 . Damit machen wir deutlich, dass das nicht ein Instrument der einseitigen Ausrichtung auf Russland ist,
sondern dass wir auch die europäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion in ihrer ganzen Verschiedenheit im
Blick haben .
Ich werde von denjenigen in meinem Wahlkreis, die
russischsprachig sind - sie sind aus unterschiedlichen
Gründen aus dem heutigen Russland nach Deutschland
gekommen -, gelegentlich darauf angesprochen, dass es
in Deutschland in der Mehrheit der Medien ein pauschal
negatives Russlandbild gibt . Wir müssen daher aufpassen, dass sich alte Vorurteile nicht in neuem Gewand einschleichen, und wir müssen darauf achten, dass wir die
über 140 Millionen Menschen in Russland als Individuen
betrachten . Mit vielen von ihnen gibt es - je nachdem,
wie ihr kultureller, bildungsmäßiger, politischer oder anderweitiger Hintergrund ist - eine Gemeinsamkeit . Wir
dürfen nicht so tun, als ob die Russinnen und Russen eine
einheitliche Masse sind .
So gesehen war es aus meiner Sicht auch ein Fehler,
dass in den 90er-Jahren russische oder ältere sowjetische
Abschlüsse derer, die nach Deutschland gekommen sind,
nicht anerkannt wurden . Denn damit wurde - über Verwandte und Freunde - auch ein Signal nach Russland gegeben, dass wir das, was in Russland im Bildungs- bzw .
Wissenschaftssystem geleistet wird, nicht voll anerkennen .
Über das Internationale Parlaments-Stipendium des
Deutschen Bundestages haben einige von uns auch russische Stipendiatinnen und Stipendiaten kennen gelernt .
Auch das ist, glaube ich, ein Beitrag des Deutschen Bundestages zum Dialog bzw . zur Verständigung mit den
Menschen in Russland .
Als Sozialdemokraten lehnen wir den Antrag ein Stück
weit ab, weil in den Forderungen eben nur das Kritische
angesprochen wird . Insofern schließen wir uns dem Ansatz an, den der Kollege von der CDU vorgetragen hat .
Trotzdem aber bin ich dankbar, dass es diese Diskussion
heute hier gibt . Ich möchte den Grünen dafür danken .
({3})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr . Christoph Bergner, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Frau Beck! Es ist verdienstvoll, anlässlich des
zehnten Jahrestages der brutalen Ermordung von Anna
Politkowskaja diesen Antrag einzubringen . Es ist verdienstvoll, weil diese tapfere Frau Würdigung verdient
und ihr Schicksal auch eine exemplarische Bedeutung
hat . Seit 1992 - so das International Committee to Protect
Journalists - sind in der Russischen Föderation 54 Journalisten ermordet worden .
Ihr Antrag ist auch deshalb verdienstvoll, weil er ein
ungeschminktes, wenn auch bedrückendes Bild der politischen und gesellschaftlichen Situation in Russland
zeichnet . Sein Verdienst besteht vor allen Dingen darin,
zu zeigen, dass die deutsche Öffentlichkeit und leider
nicht selten auch die Politik verdrängen und verschweigen, wie die tatsächliche gesellschaftliche Situation in
der Russischen Föderation inzwischen geworden ist .
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte meine Redezeit
nach alldem, was über Menschenrechte und Menschenrechtsaktivitäten in Russland gesagt wurde, nutzen, um
mich zwei Fragen zu widmen: Erstens . Wo liegen die
Ursachen für die fatalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Russlands? Ich möchte nicht nur
anklagen, sondern ich möchte verstehen . Zweitens . Welche Bedeutung haben die prekären Entwicklungen der
russischen Gesellschaft für uns in der deutschen Politik?
Zu erstens, meinem Versuch einer Ursachensuche: Ich
sehe die Ursachen für die gegenwärtige gesellschaftliche
und politische Situation Russlands in einem mindestens
dreifachen Scheitern der Transformation während der
letzten 25 Jahre .
Erstens . Die wirtschaftliche Transformation Russlands
hat keine freiheitliche Wirtschaftsordnung, sondern Oligarchen hervorgebracht und damit illegitime politische
Machtzentren geschaffen, die im Übrigen ein Nährboden
für Korruption sind und somit jeder Entwicklung einer
freiheitlichen Wirtschaftsordnung im Wege stehen . Die
Ukraine ist im Moment dabei, sich aus diesen Fehlentwicklungen und Fesseln zu befreien .
({1})
Zweitens . Es hat in der Russischen Föderation, aber
leider auch in anderen postsowjetischen Staaten an einer
Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit gefehlt . Sie
wurde oft genug angegangen und immer wieder verhindert . So ist heute viel mehr Kontinuität alter Machtstrukturen anzutreffen als demokratischer Neubeginn . Auch
dies ist eine Hypothek, die die gegenwärtige gesellschaftliche Situation in Russland kennzeichnet .
Drittens . Bedauerlicherweise hat Russland in den vergangenen 25 Jahren, vor allen Dingen in den 1990er-Jahren, sehr viele interne Konflikte durchstehen müssen,
insbesondere die beiden Tschetschenien-Kriege . Jeder
dieser Konflikte hat die Rolle der sogenannten Silowiki,
der Machtzentren und Machtinstitutionen, gestärkt . Ständig wurden staatlichen und nichtstaatlichen Machtstrukturen zusätzliche totalitäre Mandate verliehen . Auch dies
hat zur gegenwärtigen Situation geführt . So haben wir es
heute mit einer Situation zu tun, in der nicht das Gemeinwohl, sondern das Staatswohl und damit verbunden das
Wohl einer privilegierten Elite die Antriebsfedern des gegenwärtigen gesellschaftlichen Konzepts der russischen
Führung sind . Wir haben es mit einer Situation zu tun, in
der systematisch Macht vor Recht steht . Wir haben es mit
einer Situation zu tun, in der der politische Diskurs regelmäßig staatlichen Machtinteressen untergeordnet wird .
Damit bin ich bei dem Versuch, die zweite Frage zu
beantworten . Ich sehe das Problem der Putin’schen Politik nicht darin, dass diese Situation eingetreten ist . Dafür
muss ich angesichts der Transformationsprobleme sogar
Empathie haben . Das Problem der Putin’schen Politik
sehe ich vielmehr darin, dass dieser fatale Zustand des
eigenen Landes als Normalfall, ja als Vorbild für andere
deklariert wird . Mir scheint geradezu charakteristisch zu
sein, dass es ideologische Ausformungen dieses gesellschaftlichen Zustandes in Gestalt des Eurasismus, der
„Russkij Mir“ oder anderer Vorstellungen gibt und dass
damit die freie und offene Gesellschaft des Westens als
der eigentliche Unnormalfall, als der kranke Fall - „Gayropa“; um nur ein Stichwort aus Putins Vokabular zu
nennen - benannt wird . Das heißt: Hinter diesen Menschenrechtsfragen, mit denen wir es hier zu tun haben,
hat sich inzwischen ein gesellschaftspolitischer Konflikt
entwickelt, den wir ernst nehmen sollten, weil unserer
freien Gesellschaft eingeredet wird, dass wir die eigentlich Kranken in Europa sind,
({2})
und weil man sich extremistischer Kräfte des rechten und
linken Randes bedient, um unsere Gesellschaft zu infiltrieren und unsere Gesellschaft subversiv zu schädigen .
({3})
Diesen Punkt müssen wir ernst nehmen . Damit rede
ich ausdrücklich nicht gegen all die Forderungen nach
Dialog mit Russland . Ich halte es für außerordentlich
wichtig, dass wir jede Gelegenheit des Dialoges nutzen .
Aber ich möchte drei Bedingungen für diesen Dialog
nennen .
Erstens . Wir sollten uns im Rahmen dieses Dialoges
nicht belügen lassen . Es hat immer wieder Versuche gegeben, uns zu belügen, von den grünen Männchen auf
der Krim bis zu dem Umstand, dass gar keine russischen
Kräfte im Donbass und andernorts beteiligt sind .
Zweitens . Wir sollten nicht zulassen, dass Georgien,
die Ukraine und andere postsowjetische Staaten gewissermaßen zur Verhandlungsmasse des Verhältnisses zwischen der EU und Russland werden . Das ist kein ehrlicher Dialog .
({4})
Drittens . Wir sollten uns bei diesem Dialog immer
klar darüber sein - deshalb habe ich diese Analyse angestellt -, dass die Schwächung der Einigung Europas eines
der Ziele der gegenwärtigen russischen Politik ist . Ich
empfehle, in dieser Hinsicht keine Illusionen zu haben .
Ehrlicher Dialog bedeutet, dass wir auch die Ausgangsbasis richtig einschätzen .
Wenn ich vielleicht noch eine Bemerkung zu einer
Forderung Ihres Antrages, verehrte Frau Beck, machen
darf .
Aber nur noch eine, Herr Kollege .
Ein Punkt, zu dem mir die Zustimmung besonders
schwer fiele, ist die Visaliberalisierung für Russland. Ich
möchte, dass wir wenigstens erst einmal für Georgien,
die Ukraine und andere eine Visaliberalisierung anstreben .
({0})
Dann können wir über manches andere reden .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/9673 mit dem Titel „10 . Jahrestag der Ermordung
Anna Politkowskajas - Menschenrechtsverteidigerinnen
und Menschenrechtsverteidigern in Russland zur Seite
stehen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen
Gewinnkürzungen und -verlagerungen
Drucksache 18/9536
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom
27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener
Berichte
Drucksache 18/8841
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/9695
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Michael Meister .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem Sie eben den Titel des Gesetzesvorhabens benannt haben, kann ich mir die Rede fast sparen . Damit
ist alles gesagt . Wir haben heute die Situation, dass Wirtschaft, Handel, Produktion und Dienstleistungen auf globaler Ebene ablaufen, dass aber die Frage der Steuergesetzgebung nach wie vor der nationalen Hoheit obliegt .
Damit haben wir ein Auseinanderfallen der Prozesse und
der Kompetenz des Regelns . Deshalb haben wir hier ein
Projekt gestartet gegen Base Erosion and Profit Shifting,
gegen Steuervermeidung und -verschiebung, mit dem
wir versuchen, uns auf internationale Steuerstandards zu
verständigen und diese Steuerstandards dann auch durchzusetzen, um diese Praktiken des Verschiebens und Vermeidens zu unterbinden . Ich glaube, es ist zunächst ein
riesiger Erfolg, dass wir den Kampf gegen diese Praktiken gemeinsam aufnehmen und ein politisches Commitment sowohl bei OECD als auch bei G 20 haben .
({0})
Jetzt geht es um die Umsetzung . Bei der Umsetzung
ist es gut, dass Deutschland nicht allein national vorangeht, sondern dass wir zu den einzelnen Elementen
zunächst einmal EU-Recht schaffen und damit dafür
sorgen, dass innerhalb der Europäischen Union dieser
Gedanke gemeinsam harmonisch umgesetzt wird . Deshalb diskutieren wir an dieser Stelle zunächst einmal die
EU-Amtshilferichtlinie und deren Änderung .
In dieser EU-Amtshilferichtlinie werden zwei wesentliche Elemente zum Thema „Kampf gegen Steuervermeidung“ aufgegriffen . Das alles ist unter der Überschrift zu
sehen: Wir wollen mehr Transparenz schaffen, Transparenz in dem Sinne, dass unser Wissen als Steuergesetzgeber und Steuererheber nicht an der Grenze endet, sondern
dass wir von Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig
sind, die Information haben, was an anderen Standorten
passiert . Wenn Transparenz herrscht, so ist unsere Hoffnung, dass dann Steuervermeidungspraktiken unterbunden werden können . Deshalb legen wir hier einen Gesetzentwurf vor, der zu mehr Transparenz an dieser Stelle
führen soll .
Er hat zwei wesentliche Elemente . Das eine ist, sich
mit sogenannten Tax Rulings zu befassen . Tax Rulings
sind zunächst einmal nichts Schlimmes . Wenn ein Unternehmen Rechtssicherheit durch eine verbindliche Auskunft zu Verrechnungspreisen - zum Beispiel bei einem
Gebot, dass man auch Dritten diesen Preis einräumen
würde - bekommt und alles dem allgemeinen Steuerrecht
entspricht, dann ist dagegen nichts einzuwenden . Aber
bedauerlicherweise stellen wir fest, dass es auch andere
verbindliche Auskünfte und andere Verrechnungspreise
gibt . Das haben wir im Zusammenhang mit Lux-Leaks
gemerkt . Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt festlegen,
dass in Zukunft solche Tax Rulings für die betreffenden
Steuerverwaltungen transparent gemacht werden . Die
Transparenz betrifft die Fragen: Entspricht das tatsächlich eins zu eins dem Steuerrecht? Entsprechen die Verrechnungspreise gegebenenfalls den tatsächlichen Werten, die man auch einem Dritten einräumen würde?
({1})
Ich glaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung .
Zum Zweiten haben wir das Country-by-Country Reporting . Dort geht es um die Erfassung von wirtschaftlichen Aktivitäten multinationaler Konzerne . Auch hier
wollen wir Transparenz schaffen . Aber man muss natürlich die Frage stellen: Für wen will man Transparenz
schaffen? Wir wollen Transparenz für die Behörden
schaffen, die für die Steuererhebung zuständig sind .
({2})
Deshalb sprechen wir uns in diesem Gesetzentwurf und
bei der Richtlinienumsetzung für Transparenz zwischen
Steuerbehörden aus .
Wir müssen sehr aufpassen, wenn wir unter Transparenz etwas anderes verstehen, nämlich Öffentlichkeit im
allgemeinen Sinne herstellen, dass diejenigen, die sich
politisch zu diesem Projekt bekannt haben, an Bord bleiben . Es kann natürlich nicht sein, dass wir Informationen an andere liefern und gleichzeitig nicht in der Lage
sind, die Informationen, die wir benötigen, zu beziehen .
Deshalb sind wir der Meinung, dass wir diese internationale Absprache umsetzen sollten, dass wir Vorbild sein
sollten, dass wir uns aber auch an die Absprache halten
sollten und nichts anderes tun sollten, meine Damen und
Herren .
({3})
Wir werden im Kontext des Projektes gegen Base Erosion and Profit Shifting weitere Aktionspunkte umsetzen
müssen, die über das, was heute in der Umsetzung der
EU-Amtshilferichtlinie angesprochen ist, hinausgehen .
Ich nenne als Beispiele die Themen „Abzugsfähigkeit
von übermäßigen Zinszahlungen“, „Hinzurechnungsbesteuerung“ und viele andere mehr . Das ist nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs, wird aber auf uns zukommen . Wir werden in Deutschland klug analysieren
müssen: Was ist die politische Absprache, die wir getroffen haben? Wie passt sie zu dem, was wir bereits heute
im Steuerrecht haben? Wo gibt es konkreten Handlungsbedarf? Sobald wir konkreten Handlungsbedarf festgestellt haben, werden wir auch dazu gesetzgeberische Vorschläge machen .
({4})
Ich wünsche mir eine möglichst sachbezogene Beratung und hoffe, dass das Ganze bald im Gesetzblatt steht .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . Das war eine Punktlandung . Herzlichen
Glückwunsch! - Jetzt hat der Kollege Richard Pitterle,
Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Heute beraten
wir einen Gesetzentwurf, der den Begriff „multinationale
Unternehmensgruppe“ erstmalig in die Abgabenordnung
und überhaupt in ein deutsches Gesetz einführt .
Der Hintergrund ist durchaus ernst . Erst kürzlich
machte ein Konzern Schlagzeilen, der sonst in der Öffentlichkeit für technologischen Fortschritt bewundert
wird . Doch diesmal ging es um dessen Finanzgebaren .
Die EU-Kommission verlangt von Apple Irland, 13 Milliarden Euro Steuern nachzuzahlen . Apple wird vorgeworfen, durch Steuertricks nur noch 0,005 Prozent Steuern auf Gewinne gezahlt zu haben . Auf 1 Million Euro
Gewinn waren also 50 Euro Steuern zu zahlen . Auf der
schwarzen Liste der EU-Kommission finden sich auch
andere Konzerne, die uns bekannt sind, wie Facebook,
Google und Amazon .
Allein 2015 erzielte Apple weltweit einen Umsatz von
einer Viertelbillion Dollar und einen Gewinn von 50 Milliarden Dollar . Apple hat Bargeldreserven in Höhe von
200 Milliarden Dollar gehortet . Das muss man sich mal
vorstellen: Eine Überweisung von Apple aus der Portokasse, und Griechenland wäre praktisch schuldenfrei .
({0})
Wie ist so etwas möglich? Mit BEPS . Das klingt wie
ein Erfrischungsgetränk, ist aber eher das steuerrechtliche Gegenstück zu Karies . BEPS steht für Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung . BEPS ist im Kern nichts
anderes, als sich gegenüber dem Fiskus so lange kleinzurechnen, bis kaum noch Steuern zu zahlen sind . Und wie
Karies Zähne ruiniert, ruiniert BEPS ganze Staaten durch
Steuerausfälle . Vor allem Entwicklungsländer leiden unter der Steuerflucht. Jährlich entgehen ihnen nach Schätzungen circa 100 Milliarden Dollar Steuereinnahmen .
Wie Karies ist BEPS aber auch eine Zivilisationskrankheit . 195 Staaten haben 195 verschiedene Steuersysteme . Sie sind nur lose durch Doppelbesteuerungsabkommen verzahnt . Multinationale Konzerne nutzen
diese Unterschiede im Steuerrecht aus . Sie schieben die
Gewinne zwischen den Staaten so lange hin und her,
bis sie faktisch keine Steuern mehr zahlen müssen . Der
Chefsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, Angel Gurría,
sagte einst passend dazu:
Wir wollten verhindern, dass Unternehmen doppelt
besteuert werden . Nun sind wir im Zustand doppelter Nichtbesteuerung angekommen .
Konzerne wie Apple betreiben dieses Geschäft seit
Jahrzehnten unbehelligt . Erst 2015 konnten sich die
G-20- und die OECD-Staaten auf einen Aktionsplan gegen BEPS einigen . Das heute von uns beratene Gesetz
setzt erste Maßnahmen dieses Plans um . Ein zentraler
Punkt ist die Stärkung der Steuerverwaltung durch mehr
Informationen . Konzerne müssen detaillierter Rechenschaft über ihre Aktivitäten in verschiedenen Ländern
ablegen und Auskunft geben, damit sich Steuergestaltungen leichter identifizieren lassen. Das ist zweifellos
richtig und notwendig . Aber das eigentliche Problem
sind nicht fehlende Informationen, sondern die Unterschiede im materiellen Steuerrecht . Ohne einheitliche
Besteuerungsgrundlagen oder eine Mindestbesteuerung
sind internationale Steuervermeidung und aggressiver
Steuerwettbewerb nicht in den Griff zu bekommen .
({1})
Bisher ist es nicht einmal innerhalb der EU gelungen, aggressiven Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern . Mehr als 700 amerikanische
Konzerne wie Apple haben ihren Sitz in Irland . Das liegt
nicht an der reizvollen Landschaft, sondern an Steuergeschenken Irlands - Steuergeschenke, die Irland jetzt auch
nicht zurückfordert, aus Angst, die Konzerne könnten
sich eine andere Steueroase suchen, frei nach dem auch
bei uns bekannten Motto: lieber 0,005 Prozent von X als
20 Prozent von nix .
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich frage Sie: Wenn es schon innerhalb der EU nicht
klappt, wie groß sind dann wohl die Aussichten, international Erfolg zu haben? Und der Bundesregierung ins
Stammbuch geschrieben: Fachleute erklären seit vielen
Jahren, dass Deutschland durch nationale Maßnahmen
wie Quellensteuern auf alle Zins-, Patent- und Lizenzzahlungen wirksame Maßnahmen gegen BEPS ergreifen
kann . Die Bundesregierung verweigert sich und predigt
stattdessen nur den internationalen Ansatz . So lange Entwicklungs- und Schwellenländer den größten Schaden
haben, lebt es sich bei uns mit Aktionsplänen und Ankündigungen eben noch sehr bequem .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Als Nächster spricht der Kollege
Lothar Binding für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat das Gefühl,
es nimmt kein Ende . Seit Jahren arbeiten wir daran, klug
und intensiv zu regulieren . Wir wollen die Ehrlichen stärken, die Kriminellen stellen und den Staatsfeinden das
Leben schwer machen . Und dann? Dann gibt es ständig
diese Nackenschläge . Wer schon lange im Parlament ist,
weiß, dass wir alle paar Jahre trotz Erfolgen Rückschläge erleben, die wir uns vorher gar nicht haben vorstellen
können .
Unternehmen wie Apple nutzen es im Grunde aus - das
hat Herr Dr . Meister ausgeführt -, dass unterschiedliche
Staaten unterschiedliche Regeln haben, sogar miteinander in Konkurrenz stehen . Aufgrund dieser Konkurrenz
können die Privaten die Gewinne abziehen . Im Fall Apple wurden die Gewinne einer Verwaltungsgesellschaft
in den USA zugeordnet, und weil sie dort zugeordnet
waren, wurden die Gewinne nicht in Irland versteuert;
aber die Verwaltungsgesellschaft in den USA ist auch
steuerfrei . Daher ist die doppelte Nichtbesteuerung ein
Bestandteil des Anti-BEPS-Programms . Es geht darum,
solche Machenschaften zu verhindern .
Als ob der Fall Apple noch nicht genug wäre . Heute
haben wir von 175 000 Briefkastenfirmen auf den Bahamas erfahren, und wir müssen uns bei Journalisten der
Süddeutschen Zeitung dafür bedanken, dass sie das aufgedeckt haben .
({0})
Es ist ein großes Problem, dem wir uns gegenübersehen, und das hat etwas damit zu tun, dass wir Gesetze
in Deutschland machen, aber die Konzerne weltweit gestalten . Diesen Widerspruch bekommen wir auch nicht
gelöst .
Wir waren über Luxemburg-Leaks, über Swiss-Leaks
und über Offshore-Leaks erschrocken, über Panama und
nun über die Bahamas . Wir sehen: Es nimmt kein Ende .
Und wer war dabei? Das muss man sich einmal überlegen . In solchen Fällen ist auch immer etwas faul von
innen . Wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dann war
auch Neelie Kroes, die ehemalige EU-Kommissarin, die
Direktorin einer Briefkastengesellschaft auf den Bahamas gewesen . Das muss einen wundern . Auch ein ehemaliger bayerischer Finanzminister, Freiherr von Waldenfels, war dort Direktor einer Briefkastengesellschaft .
Da fragt man sich: Was geht in den Menschen, die für
ihre Arbeit Geld vom Staat, von den Steuerbürgern erhalten, eigentlich vor, wenn sie solche Gestaltungen organisieren? Das ist ein Skandal von außen und von innen .
({1})
Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns um
die Gestaltung internationaler Konzerne kümmern .
Jetzt komme ich zum guten Teil; denn das Anti-BEPS-Programm, also ein Programm gegen die Gewinnverlagerung zum Zwecke der Steuerersparnis, ist
der erste international abgestimmte Ansatz, sogar über
die EU hinausgehend, um Gewinnverschiebung und
Steuervermeidung zu bekämpfen . Das halte ich in gewisser Weise für einen Durchbruch, wenn man zurückblickt
und überlegt, wie lange es gedauert hat, um an diesen
Punkt zu kommen .
({2})
Das ist sehr gut .
Natürlich üben wir Kritik im Detail . Es gibt noch eine
Menge zu tun, es gibt auch viele Aspekte, die fehlen, und
trotzdem ist es der richtige Ansatz . Denn wir wissen:
Wir haben nur die Chance, grenzüberschreitende Steuergestaltung zu bekämpfen, wenn wir international abgestimmt vorgehen, wenn wir uns auf internationaler Ebene
mit anderen Staaten verabreden und Verantwortung für
alle Staaten erzeugen .
({3})
Wir packen mit dem Anti-BEPS-Programm noch
nicht alle Übel an der Wurzel, das ist klar . Denn auch
wenn wir uns komplett dafür eingesetzt hätten, wäre es
immer noch möglich, dass man durch Niedrigsteuersätze
Konkurrenz betreibt . Mit BEPS wäre es möglich, dass Irland 12 Prozent Körperschaftsteuer beibehält, weil diese
Verabredung noch nicht getroffen ist . Man merkt: Wir haben auf internationaler Ebene noch große Aufgaben vor
uns, es gibt noch viel zu verhandeln .
Nun hat die EU mit ihrer Richtlinie gute Schritte
unternommen . Man muss sagen: Heute geht es um die
nationalstaatliche Umsetzung der Richtlinie . Der Hauptpunkt ist hier die Schaffung von Transparenz und ganz
konkret: der automatische Informationsaustausch über
Tax Rulings . Was ist eigentlich ein Ruling? Das ist eine
Regel . So ein Ruling, eine Steuerregel, beschreibt die
Ausnahme vom geltenden Steuerrecht, und zwar für einzelne Unternehmen . Das ist das Besondere . Es gibt Länder, die ein Steuerrecht haben, aber mit einzelnen Unternehmen Extrawürste verabreden, nämlich dass diese
Unternehmen weniger Steuern zahlen müssen . Das gibt
es in Deutschland Gott sei Dank nicht .
({4})
Wir haben die verbindliche Auskunft . Die verbindliche
Auskunft interpretiert das bestehende Gesetz, die gültigen Steuerregeln für alle Unternehmen und gibt Einzelnen keine Extrawurst . Daran merkt man, dass es ein
unterschiedliches Verständnis, unterschiedliche Kulturen
gibt . - Ich gucke gelegentlich zum BMF, weil es eine
wichtige Sache ist, dass die Exekutive und das Parlament
hier eine Sprache sprechen . Das ist bei uns der Fall, und
das ist sehr gut . In anderen Ländern beobachten wir diesbezüglich mitunter das Schlimmste .
({5})
Durch den Austausch von Informationen über diese
speziellen Regeln soll deutlich werden, welche Praktiken
wo angewandt werden und was man tun kann .
Ferner wollen wir im Rahmen des Informationsaustausches Widersprüche aufdecken . Indem die Unternehmen länderweise ihre Gewinne, ihre Steuerzahlungen,
ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten offenlegen, können die
Finanzbehörden aus den Widersprüchen oder Inkonsistenzen bei diesen Angaben ableiten, ob Steuergestaltung
vorliegt . Mit solchen Angaben kann die Steuerverwaltung natürlich ganz anders umgehen, als wenn alles im
Dunkeln, im Anonymen bleibt . Wir sind sehr dafür, diese
Maßnahmen so umzusetzen .
Natürlich beruht der Erfolg, den wir uns vom BEPSPlan versprechen, nicht nur darauf, dass wir Transparenz
schaffen . Wir brauchen mit Sicherheit zwischen den einzelnen Nationalstaaten Abstimmungen im Bereich der
Steuergesetzgebung . Wir müssen mit Sicherheit auch den
unfairen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten in den
Blick nehmen; denn - das muss man sagen - in diesem
Sumpf gedeihen die Steuergestaltungsmodelle sehr gut,
und wir erkennen sie nicht . Deshalb ist es wichtig, dass
wir uns hier international besser abstimmen .
({6})
Lothar Binding ({7})
Ich sehe soeben, dass ich zum Ende meiner Rede kommen muss . - Die EU hat in ihrer Richtlinie zur Steuervermeidung auch die Wegzugsbesteuerung, die Hinzurechnungsbesteuerung, die Einschränkung unangemessener
Transferleistungen und die Ausnutzung von Besteuerungsrechten zwischen den nationalen Systemen in den
Blick genommen . Diese Aufgaben stehen uns noch bevor . Ich glaube, die packen wir gemeinsam an .
Schönen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Für die Fraktion der Grünen spricht
jetzt der Kollege Dr . Thomas Gambke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer auf den Rängen und möglicherweise auch
außerhalb dieses Saales! Herr Staatssekretär Meister, Sie
haben Ihre Rede begonnen mit dem Hinweis, dass mit
der Verlesung des Titels schon genug gesagt sei . Gott sei
Dank haben Sie sich korrigiert . Wir müssen hier wirklich
etwas tun - der Kollege Binding hat das sehr eindrucksvoll gesagt -; denn das Thema Steuervermeidung durch
Steuergestaltung - das gilt auch für Steuerhinterziehung
und -betrug - ist wirklich ein ernstes Thema .
Vorab will ich sagen: Wir wollen gerne konstruktiv
mitarbeiten; aber wir müssen das Thema auch wirklich
ernst nehmen .
({0})
In diesem Sinne ist der vorgelegte Gesetzentwurf aber das muss ich Ihnen ehrlich sagen - an mehreren Stellen
unzureichend . Das möchte ich hier darlegen .
Er ist unzureichend, weil das Thema „länderbezogene Offenlegungspflichten“ - darüber haben wir schon oft
diskutiert - viel zu eng gesehen wird . Ich kann nur noch
einmal sagen: Sie haben im Finanzministerium vor vier
Jahren genau gewusst, wie Apple und andere amerikanische Konzerne insgesamt 1,6 Billionen nichtversteuerte
Gewinne in den berühmten Steueroasen parkten . Das war
bekannt, aber nichts ist passiert . Das müssen wir ändern .
Jetzt ist der Druck da, weil die Dinge öffentlich gemacht
wurden, und zwar nicht durch das Bundesfinanzministerium, nicht durch irgendwelche Finanzämter in der Welt,
sondern durch die Medien, die das aufgedeckt haben,
oder durch die EU-Kommission, die wettbewerbliche
Gründe sieht, dagegen vorzugehen . Die Herstellung von
Öffentlichkeit, von Transparenz ist wichtig . Länderbezogene Offenlegungspflichten sind notwendig; das darf
nicht hinter verschlossenen Türen bleiben, weil sonst,
wie ich befürchte, nichts passiert .
({1})
Herr Michelbach, ich glaube, Sie waren gestern nicht
im Finanzausschuss .
({2})
Deshalb will ich an dieser Stelle das wiederholen, was
ich dort gesagt habe . Ich habe gesagt: Es geht nicht darum, Steuerdaten zu veröffentlichen . Es geht darum - das
fordert die EU, das EU-Parlament -, Informationen über
die Wertschöpfung des Unternehmens, den Umsatz des
Unternehmens und seinen Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge - das sind die Steuern - für die Bürger öffentlich zu machen; denn wenn das bei den Konzernen,
über die wir heute reden, der Fall gewesen wäre, wäre
der öffentliche Druck schon viel früher entstanden . Der
Druck auf die Finanzbehörden, sich auszutauschen und
die Dinge zu korrigieren, wäre vorhanden, und wir hätten
nicht die Situation, die wir heute haben, dass eben diese
Konzerne nach wie vor keine Steuern zahlen . Die Zahlen
sind genannt worden . Das müssen wir ändern .
({3})
Neben der Transparenz noch eine technische Frage .
Tatsache ist, dass wir heute in Deutschland nach dem
Außensteuergesetz nur eingreifen können, wenn die Verrechnungspreise nicht stimmen . Wir können aber nicht
eingreifen, wenn Konstruktionen gewählt werden, bei
denen Geld von einem Staat in einen anderen gebracht
wird, aber dort einer besonderen Besteuerung unterliegt,
nämlich einer sehr geringen Besteuerung; da geht es noch
nicht einmal um 12,5 Prozent, sondern um 5 Prozent oder
0 Prozent . Ich bitte Sie darum, ich bitte alle Kollegen,
noch einmal in das Außensteuergesetz zu gucken . Wir
brauchen da eine Änderung . So, wie Sie es in der Vorlage
vorgeschlagen haben, können wir nicht eingreifen . Das
muss korrigiert werden .
({4})
Ich möchte noch einmal auf die Aussagen von Staatssekretär Meister zurückkommen - auch Herr Binding hat
darüber gesprochen -, der gesagt hat: Wir müssen das
natürlich global und europäisch angehen . - Aber ist es
europäisch, wenn die Iren als Ausgleich für doppelten
Steuersitz eine Patentbox machen? Ist es europäisch,
wenn mittlerweile zwölf Länder in Europa Lizenzboxen
haben?
({5})
Herr Schäuble hat gestern im Ausschuss gesagt: Ja, es
ist ein Riesenproblem, dass wir das, was die Fachleute Intellectual Property nennen - Stichwort „Handelsrecht“ -,
nicht mehr genau lokalisieren können, und deswegen
brauchen wir Instrumente, um dagegen vorzugehen . Herr Meister nickt; das freut mich . Ich hoffe, Sie nicken
auch dann, wenn Sie unseren Antrag dazu gelesen haben,
den wir im Juli eingebracht haben . Der hessische Finanzminister, ein Kollege von Ihnen, was die Parteizugehörigkeit anbelangt, hat den gleichen Vorschlag gemacht .
Wir brauchen endlich eine Lizenzschranke, um uns gegen das zu wehren, was mit den Lizenzboxen passiert,
Lothar Binding ({6})
nämlich dass ohne Besteuerung wesentliche Gewinne in
anderen Ländern sozusagen geparkt werden .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal: Wir
wollen konstruktiv daran mitarbeiten, aber wir müssen
auch dorthin gehen, wo es manchmal ein bisschen weh
tut, wo wir uns gegenüber anderen durchsetzen müssen .
Dazu bekommen Sie mit Sicherheit unsere Unterstützung . Ich hoffe, dass wir bei den Punkten, die ich genannt
habe, zu guten Ergebnissen kommen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Mathias
Middelberg, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst würde ich gern auf die Rede von Herrn Pitterle eingehen .
({0})
- Ach so, ich dachte, er wäre beim Zahnarzt oder so .
({1})
- Okay . Gut . Dann spreche ich ihn nicht direkt an . - Die
Linken haben hier eben vorgetragen, wir seien immer
noch bei Ankündigungspapieren und irgendwelchen
hoffnungsfrohen Geschichten . Ich glaube, wir sind jetzt
wirklich deutlich darüber hinausgekommen . Der Kollege
Binding hat eben zu Recht gesagt, das BEPS-Programm
sei ein Durchbruch, was den Kampf gegen internationale Steuervermeidung und Steuerverkürzung angeht, also
gegen diese legale Steuervermeidung durch Unternehmen, die sich durch alle möglichen cleveren Tricks durch
die Welt bewegen und damit ihre Gewinne so lange verschleiern, bis am Ende nichts mehr besteuert wird .
Jetzt muss man aber fragen: Wer hat das Ganze in
Bewegung gebracht? Das war unser Finanzminister
Wolfgang Schäuble .
({2})
Das muss man ehrlicherweise dazusagen . Er hat das
BEPS-Programm mit George Osborne und Moscovici
im Wesentlichen auf die Beine gestellt . Wir haben dieses
Programm dann mit insgesamt 15 Aktionspunkten auf
G-20- und OECD-Ebene beschlossen . Wesentlicher Antreiber ist auch diese Bundesregierung; sie steht dahinter .
Das kann man ruhig einmal deutlich sagen .
({3})
Wir sind im Übrigen auch, was das ganze Thema
Informationsaustausch angeht - das sage ich auch den
Linken -, deutlich weiter . Wenn wir im privaten Bereich
einmal den Kontenabgleich nehmen, den wir jetzt auch
international, zumindest in Europa, haben - im nächsten
Jahr steigen die allermeisten Länder ein -: Alle diese Fälle wie Hoeneß oder Alice Schwarzer, mit der Schweiz,
mit Liechtenstein oder Luxemburg, wird es nicht mehr
geben . Und auch dort können Sie fragen: Wer hat es gemacht? Wer hat die Dinge mit initiiert? Es war auch diese
Bundesregierung . Damit haben wir in Zukunft all diese
Fälle - dabei geht es ja um illegale Steuervermeidung
von Privatleuten - in dieser Form nicht mehr .
Wir haben international immer noch Probleme mit
Steueroasen; das darf man gar nicht kleinreden . Aber,
ich sage einmal, die Problemlage ist kleiner geworden,
und wir sind, was gerade die legale Steuervermeidung
der Konzerne betrifft, glaube ich, mit diesem Vorhaben
an des Pudels Kern gelangt . Dies gilt es jetzt konsequent
umzusetzen .
Nun kann man sich über die verschiedenen Aspekte
im Detail unterhalten. Interessant finde ich vor allem die
Debatte - das wird Sie nicht wundern - über das Country-by-Country Reporting . Machen wir es zielgerichtet,
das heißt, tauschen wir die Daten über Umsätze, Beschäftigtenzahlen, Gewinne und Steuerzahlung unter den
beteiligten Steuerbehörden aus, oder machen wir das einfach alles öffentlich?
Wenn wir diese Daten öffentlich machen, könnte man
ja zunächst ganz begeistert davon sein, sodass man sagt:
Super, wir machen alles transparent . Wir sind alle für
Transparenz - Transparenz finden heute alle ganz toll und sagen: Das ist der entscheidende Weg, um die Dinge zu verbessern . - Das Problem ist nur: Glauben Sie
ernsthaft, dass, wenn wir Europäer es einseitig machen,
andere dann freiwillig bereit sind, ihre Daten ebenfalls
zur Verfügung zu stellen?
({4})
Ich glaube, die Sache wird nur dann effektiv funktionieren, wenn wir das in einem Geben und Nehmen tun .
({5})
Das heißt, die Leute, die uns ihre Daten geben, bekommen auch unsere Daten . Dann wird es für immer mehr
Länder einen Anreiz geben, in diesem Spiel mitzuspielen und sich an dem Datenaustausch zu beteiligen . Wenn
wir einfach so die Hosen herunterlassen - um das einmal
ganz locker zu sagen -, werden die anderen sagen: Ist ja
nett, was ich da zu sehen bekomme .
({6})
Vielleicht sind sie auch enttäuscht, aber sie werden ihrerseits dann gar nichts mehr unternehmen . Sie haben auch
keinerlei Anlass dazu .
Ich finde es gerade interessant, dass die Linken und
die Grünen in der gestrigen Ausschusssitzung problematisiert haben, wie bitter es sei, dass die USA noch gar
nicht richtig dabei seien; sie würden auch nicht richtig
mitmachen, und wir wüssten noch nicht, ob sie nachher
wirklich bei diesem Programm mitspielen .
Gerade wenn wir als Europäer die Daten einseitig freigeben, gibt es - der festen Überzeugung bin ich - viel weniger Anreiz, dass andere mitspielen . Wenn ich das Pfand
aus der Hand gebe, mit dem ich die Mitarbeit der anderen
erreichen kann, mache ich den ersten großen Fehler . Deswegen bin ich dafür, dass wir sagen: Wir setzen es ganz
zielgerichtet um . Unsere Daten bekommt derjenige, der
uns seinerseits die Daten gibt . Wir sollten uns dringend
an das halten, was wir im BEPS-Programm auf OECDund G-20-Ebene vereinbart haben, und es auch wirklich
nur so weit umsetzen und nur mit jenen spielen - ich sage
das einmal so locker -, die auch mit uns spielen .
({7})
Ein Punkt, der gestern auch in der Ausschussberatung
angesprochen worden ist, ist mir dabei noch wichtig .
Das war das Stichwort „Streitbeilegungsmechanismus“ .
Ich fand es sehr wichtig, dass Sie ihn angesprochen haben, Herr Kollege Gambke . Wir haben keinen effektiven
Streitbeilegungsmechanismus . Wenn wir einmal einen
Steuerstreit zwischen den verschiedenen Staaten, zwischen den verschiedenen Finanzbehörden haben, dann
haben wir die veritable Gefahr der Doppelbesteuerung .
Das kann gerade für unsere Unternehmen, die sehr viel
exportieren und viel im Ausland tätig sind, ein ganz gewaltiges Problem sein . Das sind jahrelange Verfahren,
die häufig nicht zu Ende gebracht werden, bei denen man
dann irgendwie zahlt, damit das Verfahren endlich einmal zum Ende kommt .
Diese Gefahr der Doppelbesteuerung potenzieren wir
aber, wenn wir jetzt einfach ein öffentliches Reporting
machen . Dann wird es viel mehr Streitfälle und viel mehr
Probleme mit der Doppelbesteuerung geben . Deswegen
bin ich stringent der Meinung: Wir sollten das eine mit
dem anderen verbinden: Daten an jene, die uns Daten
geben, und Zusammenarbeit mit denjenigen, mit denen
wir auch auf Dauer zu effektiven Streitbeilegungsmechanismen kommen . Dann können wir das internationale Steuerrecht wirklich effizient machen. Dann sind wir
effizient gegen Steuervermeidung und Steuerverkürzung
unterwegs . Die ersten Schritte dazu machen wir heute,
und ich wünsche uns allen noch gute und konstruktive
Beratungen dazu .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Dr . Jens Zimmermann, SPD-Fraktion,
ist der nächste Redner .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im
Herbst 2015 hat die OECD Empfehlungen zur Bekämpfung von Gewinnverlagerungen und Gewinnverkürzungen für international tätige Unternehmen vorgelegt . Bei
dem jetzt zur ersten Beratung vorliegenden Paket geht
es um die Umsetzung hier in Deutschland . Es geht darum, Steuertricks zu verhindern, und es geht darum, die
Steuerbehörden besser zu informieren und, ja, man könnte fast sagen: ein bisschen Waffengleichheit zu schaffen .
Denn eines wissen wir: Es gibt eine Unzahl international
und sogar global agierender Unternehmen; aber mein Finanzamt sitzt immer noch im kleinen Dieburg in Südhessen . Da müssen wir ran . Wir müssen auf diese Entwicklung in der internationalen Wirtschaft reagieren und die
entsprechenden Informationen zugänglich machen .
Ich habe eben sehr genau zugehört und freue mich
sehr, dass die Bundesregierung und das Finanzministerium mit Minister Schäuble an der Spitze dieses Vorhaben
jetzt auf internationaler Ebene vorantreiben . Ich will aber
nicht vergessen, dass es auch einmal das Modell eines
Abkommens mit der Schweiz gab . Da haben dann mutige Finanzminister mit dem Ankauf von Steuer-CDs auf
einen anderen Weg gesetzt . Auch das gehört zu der ganzen Entwicklung irgendwie mit dazu .
({0})
Für viele Menschen ist das Thema, über das wir heute
diskutieren, ein Buch mit sieben Siegeln . BEPS, Tax Rulings, Country-by-country Reporting, da weiß eigentlich
kein Mensch, worum es geht . Aber die Menschen haben
ein ziemlich feines Gespür dafür, dass irgendetwas schiefläuft, dass nicht mehr für alle Unternehmen das Gleiche
gilt wie für jeden von uns: dass man fair besteuert wird .
Das ist ein Thema, das uns alle umtreiben muss und das
weit über das Wirtschaftsleben hinausgeht . Denn wenn
der Eindruck entsteht, dass es in unserem Land Gleichere
als Gleiche gibt, dann führt das am Ende noch zu ganz
anderen Problemen .
Die entsprechenden Themen sind heute schon angesprochen worden . Die Bahamas Papers sind jetzt neu dazugekommen; die Panama Papers und LuxLeaks hatten
wir schon . Das alles ist aber nichts Neues . Diese Regionen nennt man ja nicht umsonst „Steueroasen“ . Eigentlich hat man das immer schon gewusst oder vermutet . Da
müssen wir endlich ran . Wir müssen jetzt dafür sorgen,
dass Unternehmen wie Apple - zu Recht - in die Hall
of Shame der Steuertrickser kommen, und wir müssen
ganz klar sagen: Nein, das lassen wir uns nicht länger
gefallen . - Denn am Ende des Tages verlangen wir ja eigentlich nicht viel . Wir verlangen von Unternehmen, die
in Deutschland und Europa Geschäfte machen, dass sie
auf ihre Gewinne ihren fairen Teil Steuern zahlen . Ich
glaube, das ist nicht zu viel verlangt, meine Damen und
Herren .
({1})
Wir als SPD sind schon seit langer Zeit im Kampf gegen Steuertricks, Steuerhinterziehung und Geldwäsche .
Deswegen werden wir nicht müde, darauf hinzuweisen,
dass auch der Unterbietungswettbewerb bei den Steuersätzen ein Ende haben muss . So schön Irland auch ist
und so gerne ich mich dort mit den Verantwortlichen unterhalte - ich muss sagen: Ein effektiver Steuersatz von
0,03 Prozent ist das eine . Aber das andere ist - das ist das
Problem -, dass ein regulärer Steuersatz von 12,5 Prozent auch schon sehr niedrig ist . Wenn von uns erwartet
wird, dass wir einem Land wie Irland in einer KrisensiDr. Mathias Middelberg
tuation solidarisch zur Seite stehen - das haben wir gemacht, und das war am Ende auch erfolgreich -, dann
müssen der Deutsche Bundestag und Deutschland insgesamt auch einmal klarmachen: Irgendwoher muss dieses
Geld kommen, und irgendwo muss besteuert werden .
Wenn wir uns da innerhalb Europas einen Unterbietungswettbewerb liefern, dann schadet das am Ende uns allen .
({2})
Mit dem BEPS-Programm auf OECD-Ebene haben
wir nicht nur einen europäischen, sondern auch einen internationalen Ansatz . Mehr als 40 Staaten sind jetzt mit
dabei . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Es ist
heute aber auch schon angesprochen worden, dass noch
nicht alles umgesetzt worden ist, was in den Vereinbarungen steht . Deutschland wird im Dezember - und damit
komme ich auch wieder zur Bundesregierung zurück aber die G-20-Präsidentschaft übernehmen, und ich glaube, das ist ein sehr guter Zeitpunkt und Anlass, dieses
Thema weiter überzeugend und aktiv voranzutreiben . Ich
denke, dann können wir das BEPS-Verfahren auch noch
schneller zum Erfolg führen .
In diesem Sinne: Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dr . Hans
Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich gleich zu Beginn auch als Vorsitzender
der Mittelstands-Union der CSU in aller Deutlichkeit
sagen: Die Steuervermeidungs- und Null-Steuer-Strategien einiger internationaler Großkonzerne sind für mich
inakzeptabel und auch hochgradig asozial; denn das ist
ein Anschlag auf unsere freiheitliche Gesellschaft, die
letzten Endes auch dem einzelnen Individuum eine Verantwortung gibt . Da ist ein Verlust von Verantwortungswahrnehmung .
({0})
Die ehrlichen Bürger und rechtschaffenen Unternehmen tragen umso höhere Steueranteile, je mehr multinationale Konzerne oder Großanleger ihre Gewinne verkürzen oder verlagern .
({1})
Diese Steuermoral einiger multinationaler Konzerne
wurde enthüllt . Sie ist auch für uns hier ein Skandal und
geradezu ein Schlag ins Gesicht der vielen ehrlichen
Steuerzahler in unserem Land
Uns wird immer wieder vor Augen geführt, dass wir in
Bezug auf Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen leider noch lange nicht am Ende unserer Bemühungen sind . Deshalb sind unsere gemeinsamen Initiativen
notwendig . Deshalb erfolgen unsere intensiven Beratungen - auch im Finanzausschuss . Deshalb müssen wir federführend handeln . Wir dürfen hier nicht aufgeben .
Es ist zwar geradezu ein Kampf gegen Windmühlen in
Steueroasen, aber wir kommen Schritt für Schritt voran,
und es bleibt heute festzuhalten: Mit den heute zu beratenden Gesetzentwürfen leisten wir einen weiteren wichtigen Beitrag zur Beendigung von Steuervermeidungsstrategien; denn wir werden dadurch weitere Missstände
im internationalen Steuerrecht beseitigen . Wir sagen einzelnen großen Konzernen damit den Kampf an, die durch
die Ausnutzung unterschiedlichster Steuersysteme ihre
Steuerlast auf ein Minimum drücken wollen .
Einerseits wird der Staat zukünftig wieder die Einnahmen erhalten, die ihm zustehen - daraus ergeben sich
dann auch finanzielle Spielräume, die für das Gemeinwohl genutzt werden -, andererseits werden mittelständische Unternehmen im Wettbewerb nicht weiter gegenüber international agierenden Konzernen benachteiligt,
die die unterschiedlichen Steuergesetzgebungen der Länder ausnutzen und den Ländern letzten Endes auch den
ihnen zustehenden Steuerkuchen vorenthalten .
Die heute zu beratenden Gesetzentwürfe enthalten einige wichtige Punkte - das sind die wesentlichen Ziele -:
Erstens. Die Informationsdefizite der Steuerverwaltungen sollen abgebaut werden .
Zweitens . Das Ausmaß und der Ort der Besteuerung
werden stärker an die wirtschaftliche Substanz gekoppelt
werden müssen .
Drittens . Die Kohärenz der nationalen Steuersysteme
wird vergrößert werden .
Viertens . Der international unfaire Steuerwettbewerb
wird wesentlich eingedämmt werden, wenn die Gesetzentwürfe verabschiedet worden sind .
Ich glaube, wir sind uns heute hier im Hohen Hause
darüber einig, dass diese Ziele sehr wichtig sind und erreicht werden müssen . Wir haben aber noch unterschiedliche Auffassungen, wenn es um die Unternehmensdaten
geht, die zur Bekämpfung der Steuerpraktiken genutzt
werden sollen .
Die Finanzverwaltungen sind eindeutig der Ort, wohin
letzten Endes diese Daten gehören . Das Steuergeheimnis
in einer Demokratie ist eine wichtige Errungenschaft,
und das Steuergeheimnis muss auch bleiben .
({2})
Deshalb ist es ein wichtiger Kernpunkt, dass es in der
Vereinbarung den Schutz der Vertraulichkeit und Datenschutzvorkehrungen gibt . Nur die Finanzverwaltungen
haben die Befugnisse, um Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung effizient zu bekämpfen. Die haben doch
nicht wir im Finanzausschuss, die hat nicht die Journaille, die haben nicht die Bürger; diese Befugnisse gehören
in die Finanzverwaltung, die wir stärken müssen, die wir
unterstützen müssen, dass sie ihre Aufgaben letzten Endes durchführen kann . Die Veröffentlichung von solchen
Steuerdaten in der breiten Öffentlichkeit weckt natürlich
Begehrlichkeiten auch in anderen Ländern, in denen sich
mitunter nur Teilunternehmen befinden. Es ist also wichDr. Jens Zimmermann
tig, dass wir das gemeinsame Ziel mit der Diskussion um
die Veröffentlichung von Daten nicht untergraben . Wir
wollen, dass das Steuergeheimnis auch in der Zukunft
Steuergeheimnis bleibt .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen jetzt zu einigen Abstimmungen, zunächst zum Tagesordnungspunkt 10 a . Interfraktionell
wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9536 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 10 b . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom
27 . Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden
über den Austausch länderbezogener Berichte . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9695, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/8841 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in der zweiten
Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann ({0}), Norbert Müller ({1}), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Jedes Kind ist gleich viel wert - Aktionsplan
gegen Kinderarmut
Drucksache 18/9666
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte jetzt die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke .
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es ist traurig, dass bei der CDU/CSU bei
diesem wichtigen Thema so viele Leute gehen .
({0})
Aber es ist für Sie wahrscheinlich auch nicht ganz so
wichtig .
Es gibt ein helles und ein dunkles Deutschland . In dem
einen glitzert es . Eltern fahren mit den Kindern in den
Urlaub . Zum Geburtstag gibt es ein iPhone und zu Weihnachten ein neues Fahrrad . Und das andere Deutschland?
Das spielt in den Plattenbauten, in Sozialwohnungen und
Suppenküchen, wo Kinder nach der Schule ein warmes
Mittagessen bekommen . Das hat sogar die Bild am Sonntag erkannt . Das, meine Damen und Herren, ist die knallharte Realität in Deutschland 2016 .
Diese Bundesregierung kennt alle Zahlen, aber das interessiert sie nicht . Wissen Sie, was der Hohn ist? Hohn
ist, dass die Bundesregierung 2 Euro Kindergelderhöhung spendiert . Das reicht noch nicht einmal für ein Paket Windeln. Sie sollten sich schämen. Ich finde, das ist
wirklich ein Skandal .
({1})
- Es geht noch weiter, Kollege Bartke . - Im Jahr 2015
war rund jedes siebte Kind auf Hartz IV angewiesen; das
sind über 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren, und es
werden jährlich immer mehr . 2,3 Millionen Mädchen
und Jungen sind laut dem Statistischen Amt Eurostat in
Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht; das ist fast jedes fünfte Kind . Für 350 000 Kinder
und Jugendliche sind die Tafeln die einzige Chance, ein
Frühstück oder ein warmes Mittagessen zu bekommen .
Diese springen für den von der CDU/CSU und der SPD
abgebauten Sozialstaat ein und müssen sehen, wie sie
dafür die Mittel zusammenbekommen . Die Bekämpfung
der Armut verlagern Sie so auf das Ehrenamt .
Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, hier etwas
zu tun . Ja, da kann man nichts verdienen, wie zum Beispiel in der Rüstungsindustrie . Dafür ist immer Geld da .
Das ist das Resultat Ihrer langjährigen Politik . Das, meine Damen und Herren, macht die Linke nicht mit .
({2})
Die sozialen Leistungen müssen Armut verhindern
und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen . Um Kinderarbeit zu bekämpfen, fordern wir einen umfassenden
Aktionsplan . Die sozialen Sicherungssysteme müssen
Armut von Kindern und Jugendlichen ausschließen . Dafür brauchen wir eine eigenständige Kindergrundsicherung . Ganz wesentlich ist, dass es auch um die Bekämpfung der Armut der Eltern geht . Wenn Frau Nahles sagt,
dass gute Arbeit der Schlüssel dafür sei, dann möchte ich
Sie daran erinnern, dass insbesondere die SPD mit der
Agenda 2010 die vielen prekären Arbeitsverhältnisse erst
ermöglicht und so die soziale Schieflage vorangetrieben
hat . Dadurch ist in diesem Land ein Strudel entstanden,
der mit seinem Sog immer mehr Menschen in den sozialen Abstieg herunterzieht . Das ist die Wahrheit, meine
Damen und Herren .
({3})
Statt in Demut die Richtung zu korrigieren - Kollege
Bartke, hören Sie schön zu -, heimst Ihr Altkanzler diese
Woche den mit 10 000 Euro hochdotierten Ludwig-Erhard-Preis ein, weil er mit seiner Agendareform alles auf
eine Karte gesetzt hat .
({4})
Da wundern Sie sich, dass Politik ihre Glaubwürdigkeit
verliert? Statt der Agenda 2010 braucht es gute Arbeit
mit guten Löhnen . Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs müssen
der Vergangenheit angehören .
({5})
Wir brauchen einen Mindestlohn von 12 Euro . Das wäre
der richtige Weg .
({6})
- Nein, wir sind bei 12 Euro, Kollege Bartke . - Das erreichen wir nur durch einen Politikwechsel . Sozial, meine
Damen und Herren, geht anders . Dafür steht die Linke .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Jutta Eckenbach,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass
viele, zu viele Kinder in Deutschland in schwierigen familiären Verhältnissen aufwachsen, ist, glaube ich, hier
im Hause unbestritten. Dass die finanziellen Sorgen einen hohen Rang einnehmen, ist ebenso klar . Mütter und
Väter haben oft finanzielle Probleme, weil sie keinen Arbeitsplatz haben, nur Teilzeit arbeiten können oder, aus
welchen Gründen auch immer, das Familieneinkommen
nicht ausreichend ist . Möglicherweise sind sie schlecht
ausgebildet, möglicherweise haben Scheidung, Verschuldung oder Jobverlust dazu geführt, dass sie den Boden
unter den Füßen verloren haben . Viele Kinder erleben
den Verzicht, den familiären Stress, das Schamgefühl
gegenüber ihren Mitschülern, die Aggression oder die
empfundene Ungerechtigkeit als vollkommen normal das ist ihr Alltag und scheinbar unveränderbar . Ich sage
Ihnen eines: Die bescheidenen Zukunftsträume und
Wünsche dieser Kinder sind für uns und unsere gesamte
Gesellschaft beschämend .
({0})
Aber das, was Sie hier gerade ausgeführt haben, Frau
Zimmermann, hatte mit dem Thema überhaupt nichts zu
tun . Sie verquicken Armut immer mit der Hartz-IV-Reform . Ich sage Ihnen: Hartz IV verhindert Armut .
({1})
Wir haben Hartz IV eingeführt, um die Menschen nicht
in Armut leben zu lassen .
({2})
Es gibt eine neue Bertelsmann-Studie - sie ist erst wenige Tage alt -, die darauf hinweist, dass es in Deutschland 59 Gutachten gibt, die sich mit dem Thema Kinderarmut beschäftigen . Jeder geht anders an das Thema
heran . Wir beschäftigen uns damit seit 1983 . Viele Kommunen setzen ihre Prioritäten so, dass etwas für Kinder
getan wird . Ich kann das für meine eigene Kommune in
Nordrhein-Westfalen sagen . Wir beschäftigen uns mit
Familienschulen, damit die Eltern vielleicht auch einmal
zu Elternabenden in die Schulen kommen, in denen ihre
Kinder morgens um 8 Uhr sein sollten, um Bildung zu
erfahren. Ich finde, zum Thema „Armut in Deutschland“
gehört auch, dass die Kinder ein Recht auf Bildung haben und Bildung so ausgestaltet wird, dass die Kinder
diese Angebote auch wahrnehmen können und gefördert
werden .
Wenn ich mir mein eigenes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, anschaue, dann sehe ich dort große
Schwierigkeiten, die Teilhabe von Kindern aus Verhältnissen, die vielleicht nicht ganz so gut sind, wirklich zu
gewährleisten und dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft sie auffängt .
({3})
Wenn wir immer darüber reden, dass wir - auch in Nordrhein-Westfalen - kein Kind zurücklassen wollen, dann
müssen wir auch darüber reden, was nach den Studien,
die Sie kennen, von den Vorsätzen übrig geblieben ist .
({4})
Ich glaube, wir müssen uns einmal darüber klar werden,
dass wir hier einen ganzheitlichen Ansatz für die Kinder
fordern müssen .
Ich sage Ihnen: Seitens der Bundesregierung ist eine
ganze Menge getan worden . Wir haben ein Bildungs- und
Teilhabepaket eingerichtet . Sie tun in Ihrem Antrag so,
als gäbe es das nicht, als würden wir Kindern keine Möglichkeit geben, Nachhilfeunterricht zu bekommen . Das
haben wir mit dem Bildungs- und Teilhabepaket getan .
({5})
Wir haben zuletzt das Programm „Kultur macht stark .
Bündnisse für Bildung“ aufgelegt und es jetzt noch einSabine Zimmermann ({6})
mal verlängert . Auch das ist ein Ansatz, noch einmal über
das Thema nachzudenken .
Ich komme noch einmal auf die Bertelsmann-Studie
zurück . Sie weist uns darauf hin, dass Armut nicht nur ein
finanzielles Problem ist. Frau Zimmermann, Sie haben
das gerade in den Kontext mit Leiharbeit gesetzt und gesagt, dass all diese Maßnahmen Kinderarmut verursachten . Nein, wir sollten die Priorität auf die Kinder legen
und einmal wissenschaftlich betrachten, was die Kinder
wirklich benötigen .
({7})
Wir sind auf einem guten Weg . Das beweist auch diese
Studie .
({8})
- Ich sage Ihnen an dieser Stelle eines: Eine Kindergrundsicherung wäre für mich nur machbar, wenn diese
Gelder auch beim Kind ankämen, und das ist nicht gewährleistet .
Für mich ist wichtig, dass ich das Kind in Deutschland
stärke .
({9})
Das werden wir auch in Zukunft tun müssen . Wir werden
die Kinder stärken müssen, werden dafür sorgen müssen,
dass sie Bildung und Erziehung erhalten und ihre Teilhabe am Leben gewährleistet ist und sie nicht ins Abseits
gestellt werden . Das bedeutet für mich, Kinder auf Augenhöhe zu sehen, Eltern auf Augenhöhe zu begegnen,
wirklich Teilhabe zu gewährleisten . Dazu brauchen wir
eine Reihe von Instrumenten und nicht nur mehr Geld .
Dazu müssen wir auch über Stadtentwicklung nachdenken . Ich habe das beim letzten Mal schon gesagt: Kinder
in Ghettos werden wieder in ghettoisierte Schulen gehen .
Wir werden also vernünftigerweise dafür sorgen müssen,
dass diese Kinder auch ein vernünftiges Bildungssystem
vorfinden.
({10})
- Dafür sind doch bitte die Länder zuständig .
({11})
Sie sind doch in der Lage, jetzt überall in den Ländern
daran mitzuwirken . Machen Sie es doch!
({12})
Machen Sie es doch, damit wir vernünftig darüber reden
können, und sagen Sie nicht: Der Bund soll es tun!
({13})
Wir können Hilfestellungen geben,
({14})
und ich denke, wir haben das getan, indem wir die Länder und Kommunen entlastet haben .
Wir sollten aber nicht so tun, als wäre ganz Deutschland in Armut verfallen . Ich weise noch einmal darauf
hin, dass wir in Deutschland eine verdammt gute Konjunktur haben
({15})
und dass mehr Menschen denn je in Arbeit sind . Ich appelliere auch daran - ich denke, das gehört für die CDU/
CSU dazu -, die Verantwortung nie an die Gesellschaft
abzugeben . Es sind auch immer die Eltern in der Verantwortung .
({16})
Wenn 350 000 Kinder von der Tafel leben müssen,
Frau Zimmermann, dann sind das nicht alles Kinder, die
keine Eltern zu Hause haben .
({17})
Wenn mich eine Mutter morgens früh um 8 Uhr anruft
und fragt, wie man den Sohn in die Schule bringen kann,
weil er nicht aufsteht, dann haben wir die Verpflichtung,
die Eltern zu stärken; wir haben aber auch dafür zu sorgen, dass das Kind wirklich in die Schule kommt . Wenn
es diesen Weg nicht geht, dann wird es später als Jugendlicher auch nie in die Ausbildung gehen und nie seinen
eigenen Lebensweg finden können. Diese Kausalkette
müssen wir unterbrechen .
({18})
Wir wissen, dass Kinderarmut vererbbar ist, und ich denke, dass wir uns das in Deutschland nicht länger erlauben
können .
({19})
Ich appelliere noch einmal an Sie, das gemeinsam anzugehen, und mit „gemeinsam“ meine ich die Kommunen, das Land, den Bund, die Unternehmer, die Familie,
um in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens dafür
Sorge zu tragen, dass wir in Deutschland nicht weiterhin
eine Debatte darüber führen müssen, dass wir nur arme
Kinder haben . Ich möchte, dass jedes Kind Zugang zu
sozialer Teilhabe hat und dass jedes Kind die gleichen
Chancen hat . Man sollte nicht immer die Mär verbreiten,
dass es nur Steuervorteile für Menschen gibt, die mehr
Leistung erbringen und dadurch auch mehr finanzielle
Möglichkeiten haben . Alle Kinder sind für uns gleich .
({20})
Insofern werden wir hier keinen Unterschied machen,
wenn es um steuerliche Auswirkungen geht . Das entspricht auch Ihrem Antrag .
({21})
Ich sage noch einmal ganz klar: Wir sind alle gefordert, auch die ausbildenden Betriebe; denn es geht nicht
nur um Kinder, sondern auch um Jugendliche . Jeder ist
gefordert . Gefordert sind vor allen Dingen auch die Familien selbst; ich habe das schon betont . Eltern sind in
der Verantwortung, sie sind gefordert - darin müssen wir
sie stärken -, ihren Kindern einen guten Start ins Leben
zu ermöglichen . Dazu gehören auch Eigenverantwortung, Erziehung und aktives Streben nach Bildung .
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit .
({22})
Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Eckenbach, an zwei Stellen muss ich Ihnen
recht geben . Erstens . Wir haben in der Tat eine gute
Konjunktur, und ich will gerne hinzufügen: Wir haben
ein Rekordmaß an Beschäftigung, und wir haben eine
supergute demografische Entwicklung, weil die ganzen
Babyboomer wie ich jetzt alle beschäftigt und am Schaffen sind . Gerade deswegen ist der zweite Punkt, den Sie
genannt haben und in dem ich Ihnen zustimme, umso
schlimmer . Es ist beschämend, welches Maß an Kinderarmut es bei uns gibt .
({0})
Sie aber haben den Kopf in den Sand gesteckt und
über alles Mögliche geredet . Sie haben über die Eltern
und die Bundesländer geschimpft .
({1})
Sie haben aber nicht über die bundespolitische Verantwortung geredet . Armut misst sich in erster Linie am Einkommen . Das Statistische Bundesamt hat gerade heute
die neuesten Zahlen vorgelegt . Daran sieht man, welchen
Erfolg die Bundesregierung bisher gehabt hat . 2010 lag
die Armutsquote bei Kindern noch bei 18,2 Prozent,
2012 bei 18,7 Prozent, 2014 bei 19 Prozent und 2015 bei
19,7 Prozent . Die Armut nimmt zu, und das ist die Folge
Ihrer Nichtpolitik gegen Armut .
({2})
19,7 Prozent klingen abstrakt . Das sind in absoluten
Zahlen mehr als 2,5 Millionen Kinder, genauer gesagt
2 530 000 und damit fast jedes fünfte Kind in Deutschland, und sie haben nicht alle solche Eltern, wie Sie sie
gerade beschrieben haben . Bei ihnen müssen wir darauf
achten, dass sie eine vernünftige Grundsicherung bekommen, damit wir die Armut in Deutschland tatsächlich beseitigen . Da reicht es nicht, sich wegzuducken, wie es die
Bundesregierung bei Armutsfragen immer macht .
Wie die Bundesregierung mit Kindern und Armutsbekämpfung umgeht, sieht man an den aktuellen Berechnungsvorschlägen der Bundesregierung zum Kinderregelsatz . Sie haben von sozialer Teilhabe der Kinder
geredet und davon, wie wichtig diese sei . In dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung gestern verabschiedet
hat, werden die Ausgaben von einkommensschwachen
Familien betrachtet, und daraus wird der Regelsatz berechnet . Was die Bundesregierung macht, ist, aus diesen
Ausgaben alle möglichen Dinge herauszurechnen, die
Kinder, die im Hartz-IV-Bezug sind, angeblich nicht
brauchen. Dazu gehören Zimmerpflanzen, Haustiere, der
Weihnachtsbaum, Campinggeräte, weil sie ja angeblich
keinen Urlaub machen müssen, Malstifte für die Freizeit - so viel zum Thema Bildung -; auch Handykosten
werden nicht angerechnet . Sie gönnen den Kindern nicht
einmal ein Speiseeis im Sommer oder eine Portion Pommes zusammen mit Freundinnen und Freunden an der
Imbissbude . Sie gefährden soziale Teilhabe von Kindern,
anstatt die soziale Teilhabe zu stärken . Das wäre das, was
eigentlich nötig ist .
({3})
Dadurch entsteht nämlich das, was Sie, Frau
Eckenbach, gerade erwähnt haben: Vererbung von Kinderarmut . Das ist ein soziologischer Begriff . Vererbung
von Kinderarmut hat nichts mit Genetik oder so etwas
zu tun . Wenn Kinder nicht an der Gesellschaft teilhaben
können, wenn sie ausgegrenzt werden, dann führt das zur
Vererbung von Armut . Ihre Politik führt dazu, dass Kinderarmut vererbt wird, nicht die Armut der Eltern .
({4})
Wir hätten die Möglichkeit, daran etwas zu ändern .
Dazu muss man an zwei Punkten ansetzen . Wir haben
einerseits die Eltern, deren Existenzminimum gedeckt
werden muss, und wir haben andererseits die Kinder,
deren Existenzminimum gedeckt werden muss . Bei den
Eltern müssen wir beim Arbeitsmarkt ansetzen . Wir müssen schauen, dass die Kinderbetreuung so organisiert ist,
dass die Eltern auch arbeiten können .
({5})
Wir müssen einen sozialen Arbeitsmarkt einrichten, damit die arbeitslosen Eltern auch arbeiten können . Aber
die meisten Eltern von armen Kindern sind erwerbstätig . Auch daran müssen wir denken . Wir müssen schauen, dass deren Existenz gesichert ist . Auch da macht die
Bundesregierung nichts. Ich finde, dass es wichtig ist,
dass neben dem Mindestlohn weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Existenzminimum von Erwerbstätigen zu sichern .
({6})
Darüber hinaus müssen wir endlich die Familienförderung ändern . Wir geben unglaublich viel für Familien
in Deutschland aus . Aber wir fokussieren auf die Ehe,
anstatt die vielen Leistungen, die es für die Eheförderung
gibt, endlich auf das Kind in Form einer Kindergrundsicherung zu konzentrieren .
({7})
Die Kindergrundsicherung muss so ausgestaltet sein, dass
sie einerseits das Existenzminimum der Kinder deckt,
und zwar nicht so, dass die Eltern zum Jobcenter müssen, sondern so, dass das Existenzminimum tatsächlich
abgedeckt wird, unbürokratisch, am besten zusammen
mit dem Kindergeld . Der zweite Punkt ist: Wir müssen
die Kinderförderung endlich so ausgestalten, dass uns jedes Kind gleich viel wert ist . Unsere Kinder bekommen
mehr vom Staat als Normalverdiener . Auch das ist eine
Ungerechtigkeit, die wir beseitigen müssen .
({8})
Meine Redezeit ist um . Ich könnte noch viel über Infrastrukturleistungen reden . Das Bildungs- und Teilhabepaket, das Sie erwähnt haben, kommt bei den Kindern
nicht an .
({9})
Da müssen wir mehr in die Bildungsinfrastruktur vor Ort
investieren, und wir müssen die Finanzierung sicherstellen . Das ist das, was wir als Bund tun könnten . Wir könnten Kinderarmut drastisch verringern oder sogar beseitigen, wenn der politische Wille dazu da wäre . Der ist bei
Ihnen leider nicht vorhanden .
({10})
Vielen Dank . - Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Dagmar Schmidt .
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Armut ist
kein abstraktes Phänomen, das sich allein in Zahlen und
Prozenten ausdrücken lässt . Die Folgen der Armut sind
vielfältig, für die betroffenen Kinder sehr konkret und
machen ihnen das Leben schwer . Beengter Wohnraum
und geringe Rückzugsmöglichkeiten belasten Familien und erschweren den sozialen Kontakt . Mehr familiäre Sorgen und weniger Möglichkeiten, gemeinsam als
Familie etwas zu erleben und zu erfahren, belasten das
Alltagsleben . Arme Kinder leiden mehr unter familiärem
Stress, Armut wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus,
auch auf die psychische Gesundheit . Arme Kinder haben
im Durchschnitt schlechtere Noten, und das unabhängig vom Bildungsstand ihrer Eltern . Ihr Bildungsweg ist
durchweg steiniger .
Um Chancengleichheit herzustellen, reicht es nicht,
nur einen Hebel umzulegen . Viele große und kleine Räder müssen in Bewegung gesetzt werden . Vieles davon
ist schon auf den Weg gebracht worden, anderes muss
noch folgen . Einiges betrifft uns als Bund, anderes müssen Länder und Kommunen leisten .
Ein erster wichtiger Punkt - er ist schon genannt worden - ist, die Elternarmut zu bekämpfen . Da haben wir
mit dem Mindestlohn und der Stärkung der Tarifpartnerschaft für gute Löhne für die, die Arbeit haben, schon
viel erreicht .
({0})
Es gibt aber auch mehr Mittel für Langzeitarbeitslose .
Wir haben mit dem Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ den Schwerpunkt auf Familien mit Kindern
gelegt und die Mittel verdoppelt . Besonders von Armut
betroffen sind oftmals Alleinerziehende . Wir haben ihre
materielle Absicherung verbessert und die Kinderbetreuung ausgebaut . Des Weiteren haben wir im Rahmen der
SGB-II-Rechtsvereinfachung die Möglichkeit geschaffen, neben einer Ausbildung, deren Vergütung oftmals
nicht reicht, die Familie zu ernähren, Arbeitslosengeld II
zu beziehen . Damit haben wir es möglich gemacht, dass
diejenigen eine Ausbildung oder Teilzeitausbildung
aufnehmen können, die das bisher nicht konnten . Ausbildung ist und bleibt die beste Voraussetzung für einen
guten Job .
({1})
Wir haben uns für diese Legislatur noch mehr vorgenommen . Zum Beispiel wollen wir den sogenannten Umgangsmehrbedarf für getrenntlebende Eltern beschließen
und den Unterhaltsvorschuss ausbauen .
({2})
Zweitens müssen wir die Kinder direkt in den Blick
nehmen . Es reicht nicht, den Blick allein auf die Eltern
zu richten . Kinder haben eigenständige Rechte, und wir
haben die Verantwortung, sie ihnen zu gewähren - unabhängig von der sozialen Lage der Eltern -, gerade auch,
weil Kinder eben nicht in der Lage sind, selbstständig
etwas an ihrer sozialen Lage zu ändern .
An dieser Stelle möchte ich mit einem beliebten Vorurteil aufräumen, nämlich dem, dass die Eltern, wenn
man ihnen mehr Geld gäbe, es für sich ausgeben würden .
Am beliebtesten sind die Unterstellungen, es würde versoffen oder in Glücksspiel investiert . Genau das Gegenteil ist der Fall . Das ist wissenschaftlich bewiesen .
({3})
Es ist belegt, dass arme Eltern zuallererst selbst Verzicht
üben, bevor sie ihren Kindern etwas vorenthalten . Arme
Eltern geben, prozentual gesehen, für die Bildung ihrer
Kinder genauso viel aus wie Eltern mit höherem EinDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
kommen . Arme Eltern lieben ihre Kinder genauso wie
alle anderen Eltern - nur sind ihre Sorgen größer .
({4})
Deswegen sage ich: Je mehr wir uns um die Chancen
armer Kinder und ihre Unterstützung kümmern, desto
mehr Last nehmen wir auch von den Familien insgesamt .
Auch da haben wir schon einiges getan . Wir haben den
Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende, den Kinderfreibetrag, das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht,
und wir erhöhen mit der Neuberechnung der Regelsätze
die Leistungen für die 6- bis 13-Jährigen um immerhin
21 Euro . Wir haben also - zusammengenommen mit all
dem, was wir den Ländern und Kommunen für Bildung
und Betreuung zur Verfügung stellen - richtig viel geschafft .
({5})
Perspektivisch müssen wir aus meiner Sicht aber noch
einmal grundsätzlicher über unsere Familienleistungen
und die Leistungen für Kinder nachdenken . In unserem
Regierungsprogramm 2013 haben wir ein sozial gestaffeltes Kindergeld vorgeschlagen . Hier müssen wir,
glaube ich, weiterdenken . Ich könnte mir auch gut eine
Kindergrundsicherung vorstellen, die alle bisherigen
Kinderleistungen zusammenfasst .
({6})
Mindestens so wichtig aber ist die strukturelle Versorgung von Kindern . Mehr Geld allein nutzt nichts, wenn
die Schule soziale Ungleichheit reproduziert, wenn es
keine Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung
oder zu wenig Unterstützung, Beratung und Hilfe für die
Familien gibt . Hier sind insbesondere die Länder und
Kommunen in der Verantwortung; aber der Bund muss
seinen Beitrag auch hier leisten, und das haben wir getan . Wir haben zum Beispiel das Programm „Soziale
Stadt“ wieder in Gang gesetzt und um die Programme
„JUGEND STÄRKEN im Quartier“, „Soziale Integration im Quartier“ und vieles andere ergänzt . Wir haben
Sprachkita-Programme aufgelegt . Wenn es nach mir ginge, würden wir das Kooperationsverbot abschaffen und
endlich die Schulsozialarbeit weiter finanzieren.
({7})
Alle Kinder, die in unserem Land aufwachsen - egal
wo und bei wem, welche Muttersprache sie sprechen
oder welche Hautfarbe sie haben, ob sie Fußball spielen,
Ministranten sind oder beides -,
({8})
müssen die Sicherheit, die Freiheit und die Unterstützung erfahren, damit sie ihr Leben nach ihren Wünschen
selbstständig in die Hand nehmen können . Alle Kinder
sollen die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben .
Daran wollen wir weiter arbeiten .
({9})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Tobias
Zech, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte in diesem Haus, seitdem ich hier Mitglied bin, nicht zum ersten Mal . Wir werden sie heute
auch nicht zum letzten Mal führen . Das ist auch richtig
so; denn solange in einem der reichsten Länder der Welt
Kinder in Armut leben, dürfen wir nicht aufhören, darüber zu debattieren, wie wir diesen Kindern helfen können .
({0})
Somit ist diese Debatte auf jeden Fall richtig . Verstehen
Sie diese Äußerung als Friedensangebot, als etwas, worüber wir uns alle einig sind .
Unterschiedlich ist die Verteilung der Kinderarmut
im Land . In Bayern liegt die Kinderarmut bei knapp
7 Prozent . Aber auch hier gab es seit 2011 - Kollege
Strengmann-Kuhn hat das ausgeführt - einen Anstieg
von fast einem halben Prozent . In meinem Landkreis sind
es 1 100 Kinder, die in Armut leben . Jedes Kind, das in
Armut lebt, ist eines zu viel .
({1})
Wir sprechen hier natürlich auch über die Schwächsten
in der Gesellschaft . Kein Kind sucht sich aus, in Armut
zu leben . Die Kollegin Eckenbach hat es hervorragend
analysiert und ausgeführt: Kinderarmut ist automatisch
Elternarmut . - Das ist der Punkt, an dem wir anzusetzen
haben, und wir haben in dieser Legislatur richtigerweise
bei den Eltern angesetzt . Die Bertelsmann-Studie - sie
wurde heute schon diskutiert - besagt: Das größte Armutsrisiko bei Kindern liegt bei den Alleinerziehenden .
Alleinerziehende und ihre Kinder sind in Deutschland
eine Gruppe von ganz schwachen Familiengebilden . Sie
haben viel mehr Lasten zu tragen als Familien mit zwei
Elternteilen . Es gibt bei uns 1,7 Millionen Alleinerziehende mit 2,3 Millionen minderjährigen Kindern . Zum
größten Teil handelt es sich dabei natürlich um alleinerziehende Mütter . Dabei darf aber nicht vergessen werden,
dass nicht nur die Kinder von SGB-II-Beziehern von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind . Vielmehr gibt
es über 1 Million Kinder, die ebenso betroffen sind .
Ich darf mich der Kollegin anschließen und vielleicht
noch ein paar Themen, die wir hier schon behandelt haben, in Erinnerung bringen:
Mit dem Familienpaket, das wir im vergangenen Jahr
beschlossen haben, werden Alleinerziehende und Familien noch besser unterstützt . Allein darin haben wir 5 Milliarden Euro investiert .
Dagmar Schmidt ({2})
Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde
rückwirkend zum 1 . Januar 2015 auf 1 908 Euro erhöht .
Das ist ein Plus von 600 Euro pro Jahr . Die Kosten hierfür liegen bei rund 100 Millionen Euro .
({3})
- Ich bin noch gar nicht fertig, Herr Strengmann-Kuhn .
Darüber hinaus wurde der Unterhaltsvorschuss angehoben . Das Kindergeld wurde erhöht ebenso wie der
Kinderzuschlag . Das Elterngeld Plus und KitaPlus wurden eingeführt, um den Eltern noch mehr Flexibilität für
die Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen . Die
Anzahl der Betreuungsplätze wurde erhöht; es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter
Dreijährige . Wir haben die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten verbessert, und wir haben das Bildungsund Teilhabepaket weiter ausgebaut .
({4})
Damit haben wir die Kinderarmut natürlich nicht beseitigt; das ist uns auch klar . Wir gehen aber Schritt für
Schritt nach vorne,
({5})
und zwar finanzpolitisch, arbeitsmarktpolitisch und familienpolitisch . Neben der Bundesregierung sind es natürlich auch die Kommunen und die Länder, die hier mit
an Bord sind und sich mit einbringen müssen .
Liebe Kollegen von der Linken, wenn ich mir die
Länder Brandenburg und Thüringen anschaue, wo Sie
mit an der Regierung sind, und diese Länder mit anderen
Ländern vergleiche, dann stelle ich fest, dass die Kinderarmut in Brandenburg und Thüringen über dem bundesweiten Durchschnitt liegt . Das heißt für mich: Überall,
wo Sie regieren, geht es den Menschen schlechter . Übrigens ist die Kinderarmut in Brandenburg und Thüringen
fast dreimal so hoch wie in Bayern .
({6})
Vielleicht wäre es einmal an der Zeit, hier keine klugen
Anträge zu stellen, sondern vor Ort, wo Sie gewählt sind
und Regierungsverantwortung tragen, Politik für die
Kinder zu machen .
({7})
Da können Sie sich beweisen . Wenn das geschehen ist,
können wir noch einmal darüber sprechen, ob Ihre Ideen mehr Erfolg haben als unsere . Wir haben in Bayern
den Erfolg unserer Politik bewiesen . Dort, wo die Linken mitregieren, liegt die Kinderarmut dreimal höher .
Ändern Sie Ihre Politik . Machen Sie einmal etwas für
die Menschen, und erklären Sie uns hier nicht, wie wir
Politik für die Menschen, die uns mehrheitlich gewählt
haben, zu machen haben .
({8})
- Das ist keine verzerrte Wahrnehmung; das sind einfach
die Fakten . Ich möchte Ihnen anbieten, sich einmal die
Zahlen anzuschauen . Anschließend sprechen wir noch
einmal miteinander .
({9})
Die Grundsicherung für Kinder ist etwas, was ich kritisch sehe . Es gibt ein differenziertes Leistungspaket für
Kinder . Ich halte das für klug . Ich denke, wir sollten diese Aufteilung von Leistungen beibehalten . Diskutieren
kann man über alles . Zum Schluss kommt es darauf an,
dass man ein Ergebnis hat, das den Menschen vor Ort
hilft, und nicht irgendwelchen Systemideen gerecht wird .
Wichtig ist, dass wir, wie es Dagmar Schmidt auch
schon erwähnt hat, weiter in die Arbeitsmarktpolitik investieren . Da geht es nicht nur um Geld, sondern auch um
Betreuungsplätze, um Flexibilität, um Teilzeitmodelle,
um neue Tarifmodelle und um flexible Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel Home Office oder Lebensarbeitszeitkonten . Wir haben das hier schon mehrmals diskutiert .
Aber ich sage Ihnen auch: Wir können natürlich nicht auf
der einen Seite Flexibilität ermöglichen und einfordern
und auf der anderen Seite die ständige Erreichbarkeit
verbieten wollen . Das funktioniert nicht . Die Eigenständigkeit der Arbeitnehmer und die Flexibilität mit Verantwortung zu verbinden, das gehört dann auch mit hinzu .
Ich kann Ihnen versichern, dass für uns, für die CDU/
CSU-Fraktion, das Thema Kinderarmut nie abgeschlossen sein wird . Das ist für uns ein ständiger Vorgang, bei
dem wir versuchen, das Beste zu machen . Wir haben heute ausgetauscht, was unsere Ideen sind . Wir haben Ihnen
dargestellt, was wir schon alles getan haben . Ich schaue
mit einer gewissen Skepsis auf die Regierungsbildung in
Berlin . Sollten Sie da tatsächlich nach Brandenburg und
Thüringen an der Regierung beteiligt sein, dann lassen
Sie das doch mit den Aktionsplänen bleiben . Arbeiten Sie
einfach einmal für die Menschen, die Sie gewählt haben .
Dann wird es auch besser .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Als Nächster hat jetzt der Kollege
Norbert Müller, Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Bis zu 2,9 Millionen Kinder in Deutschland
sind arm, 1,9 Millionen davon leben in Grundsicherung,
und mehr als die Hälfte von ihnen wohnt in Haushalten von Alleinerziehenden . Ich sage Ihnen deutlich: Ich
möchte in einer Republik leben, in der diese Kinder nicht
mehr arm sind .
({0})
Ich möchte in einer Republik leben, in der die
Hartz-IV-Regelsätze für Kinder durch diese Bundesregierung nicht mehr künstlich kleingerechnet werden der Kollege Strengmann-Kuhn hat alles Nötige dazu
gesagt -,
({1})
in der der Kinderzuschlag endlich so ausgebaut ist, dass
Familien, dass junge Paare, nur weil sie ein Kind bekommen, nicht mehr in Armut abstürzen,
({2})
in der der Unterhaltsvorschuss endlich so ausgebaut ist,
dass Alleinerziehende nicht mehr nahezu automatisch
arm werden, und in der das Kindergeld meiner Nachbarn, die Handwerker und einfache Arbeiter sind, genauso hoch ausfällt wie die steuerliche Entlastung aus dem
Kinderfreibetrag, von dem ich für meine zwei Kinder
profitiere. Das wäre sozial gerecht. In einer solchen Republik möchte ich gerne leben .
({3})
Ich möchte in einem Land leben, in dem Kinder
gleichberechtigt teilhaben können, auch wenn sie aus armen Familien kommen . Das heißt zunächst, dass der Bildungserfolg eines Kindes nicht mehr vom Einkommen
der Eltern abhängen darf, weil das am Ende dazu führt,
dass dieses Kind einen schlechteren Schulabschluss bekommt, selbst wenn es ähnliche Veranlagungen und Begabungen hat, dass es eine schlechtere Ausbildung bekommt, dass es später arm bleiben wird und dass es arme
Kinder kriegen wird . Am Ende werden diese Menschen
nicht einmal so alt wie die, die im Kreißsaal drei Zimmer
weiter zur selben Zeit in reiche Familien geboren wurden, weil wir wissen, dass Armut auch noch lebensverkürzend wirkt . Ich möchte in einer Republik leben, in der
nicht entscheidend ist, wie reich die Eltern sind und wie
gut ihr Einkommen ist, in der nicht entscheidend ist, ob
das Kind sechs, acht oder zehn Stunden in eine Kinderbetreuung gehen kann, in der Kinder mit ihren Möglichkeiten, an Gesellschaft teilzuhaben, gleichgestellt sind, egal
wie vermögend die Eltern sind .
({4})
Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Armut vererbt
sich . Das haben wir heute festgehalten . Aber Reichtum
vererbt sich in diesem Land auch . Sie haben heute Nacht
im Vermittlungsausschuss, bedauerlicherweise mit Zustimmung von Baden-Württemberg, aber zumindest
unter Ablehnung unserer Fraktion von Thüringen und
Brandenburg sowie der grünen Bundestagsfraktion, die
neue Erbschaftsteuer durchgesetzt, die Sie jetzt durch
das parlamentarische Verfahren prügeln wollen . Das Erbschaftsteuergesetz wird dazu führen, dass in Deutschland
vielleicht noch 50 Unternehmen überhaupt erbschaftsteuerpflichtig sind. Sie haben kein Problem damit, dass
Reichtum sich vererbt . Dann tun Sie aber endlich auch
etwas dafür, dass Armut sich nicht mehr vererbt - und
das zulasten der Kinder . Da helfen keine milden Worte,
sondern nur Taten .
Herr Kollege .
Ich sage Ihnen deutlich: Wenn wir hier beim Thema Kinderarmut bis zu den nächsten Bundestagswahlen nicht vorankommen, dann werden wir als Linke die
Abstimmung über Arm und Reich auch zu einer bei den
nächsten Bundestagswahlen machen .
Vielen Dank .
({0})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was
können wir tun, damit alle Kinder gute Chancen haben,
damit alle Kinder gleiche Chancen haben? Ganz wichtig ist, wenn wir über Kinderarmut, über Familienarmut
sprechen, dass wir die Ursachen in den Blick nehmen,
um konkrete Lösungsansätze zu entwickeln .
Von Armut betroffen oder - wie es richtig heißen
muss - armutsgefährdet sind vor allem Kinder aus Familien mit drei oder mehr Kindern, aus Familien mit
Migrationshintergrund, Kinder von Alleinerziehenden
und ganz besonders - das zieht sich wie ein roter Faden
durch alle Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte - die
Kinder, deren Eltern arbeitslos sind . Das wissen wir,
und deshalb ist es eine ganz wichtige Stellschraube, an
der wir ansetzen, dass die Eltern dieser Kinder in Arbeit
kommen, damit Armut gar nicht erst entsteht .
Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir das
Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ganz
besonders ausgerichtet auf Bedarfsgemeinschaften, wo
Kinder sind, damit dort die Eltern in Arbeit kommen . Das
hilft nicht nur den langzeitarbeitslosen Eltern, sondern es
hilft auch den Kindern . Es ist wichtig, dass Kinder erfahren, dass ihre Eltern morgens aufstehen, einen geregelten
Tagesablauf haben, stolz von der Arbeit wiederkommen,
ihren Kindern davon erzählen können, dass sie erleben,
dass Arbeit eine wichtige Rolle im Leben spielen kann .
Deswegen ist dieses Programm wichtig, damit Kinder
nicht die Erstaufsteher in der Familie sind, die sich um
Norbert Müller ({0})
alles kümmern müssen, sondern damit ihre Eltern gut für
sie sorgen können .
({1})
Das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ wir verdoppeln übrigens gerade die Mittel, also wir tun
wirklich etwas - ist genau dazu da, um diesen Familien Perspektiven zu eröffnen, damit keine Hartz-IV-Vererbung stattfindet, sondern damit Kinder gute Chancen
bekommen .
Zweiter Punkt . Ganz besonders betroffen sind Alleinerziehende . 120 000 Langzeitarbeitslose sind alleinerziehend . Sie sind die Gruppe, die es am schwersten hat, Berufstätigkeit, Familie, Haushalt, Freundeskreis, die ganze
Organisation des Lebens unter einen Hut zu bekommen .
Deshalb ist diese Gruppe auch am stärksten von Armutsgefährdung betroffen .
({2})
Von den Kindern, die in Hartz IV sind, lebt mehr als die
Hälfte bei einem alleinerziehenden Elternteil . Deshalb ist
es wichtig, dass wir da schon viel getan haben und gerne
noch mehr tun müssen und sollen .
Der Ausbau der Kinderbetreuung, der Ausbau der
Ganztagsschulen: Hier geht es um frühe Bildungschancen - wenn es nach mir ginge, gerne auch flächendeckend und gebührenfrei -, damit alle Kinder von Anfang
an eine gute Chance haben .
({3})
Wir haben heute in den Regelsätzen des SGB II schon
den Mehrbedarf für Alleinerziehende geregelt, aber wir
haben in der Diskussion gerade in den letzten Monaten
noch einmal festgestellt, dass wir mehr dafür tun müssen, damit Kinder aus diesen Familien Umgang mit beiden Elternteilen haben . Deshalb haben wir die Idee eines
Umgangsmehrbedarfes entwickelt
({4})
und bringen ihn auch in die aktuellen Beratungen ein;
denn es ist ja gerade vom Kind her gedacht gut - darum
muss es gehen -, wenn sich beide Eltern um das Kind
kümmern können . Ein solcher Umgangsmehrbedarf
wäre eine konkrete Verbesserung für die Kinder . Dafür
werbe ich hier .
({5})
- Zum Beispiel .
Noch ein Wort zu Nordrhein-Westfalen, das haben Sie
ja extra erwähnt . Es ist eine statistische Weisheit, wenn
ein Viertel der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen lebt,
dass dann auch ein Viertel der von Armut betroffenen
Kinder in Nordrhein-Westfalen lebt . Aber ich will das
Thema wirklich ernst nehmen . Im Ruhrgebiet, mehr noch
in Düsseldorf und Köln ist die Armutsgefährdung von
Kindern größer, weil wir dort unterschiedliche Stadtteile haben: prosperierende und abgehängte Stadtteile . Das
macht die relative Armut sehr augenfällig . Deshalb ist es
gerade richtig und gut, dass die nordrhein-westfälische
Landesregierung Investitionen in öffentliche Bildungsund Betreuungsinfrastruktur so hoch hängt und eine so
große Priorität gibt . Das ist die richtige Politik für Kinder .
({6})
Nur so kann man den Folgen von Armut begegnen .
Nur so kann man präventiv wirken . Nordrhein-Westfalen
macht das mit dem Ausbau der frühkindlichen Bildung,
insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen . Wir
vom Bund fördern die Sprachkitas, Nordrhein-Westfalen
fördert noch einmal in Stadtteilen mit sozialer Benachteiligung durch mehr Kräfte in Kitas, weil man Ungleiches auch ungleich behandeln muss, weil man besonders
da fördern muss, wo der Bedarf vorhanden ist . Gerade
der Ausbau der Infrastruktur, der Hilfs- und Beratungsleistungen, der Ganztagsangebote ist ein Markenzeichen
einer vorbeugenden Politik, wie sie Nordrhein-Westfalen
macht .
({7})
Das Programm „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ wurde schon erwähnt . Damit
wurden in 18 Modellkommunen kommunale Präventionsketten aufgebaut, wo Gesundheit, Bildung, Kinderund Jugendhilfe und Soziales zusammenwirken, damit
lückenlos von der Schwangerschaft bis zum Eintritt in
das Berufsleben Unterstützung und Hilfe für Kinder da
ist . Diese Bilanz fällt positiv aus . Das ist ein guter Ansatz
von guter Bildung und Betreuung von Anfang an .
Deshalb lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten,
dass wir alles, was möglich ist, in Prävention, in gute
Bildungschancen für Kinder investieren . Das ist unsere
Politik schon seit Jahren . Wir werden daran auch noch
weiter arbeiten müssen . Ich hoffe, das können wir gemeinsam tun . Wir dürfen hier nicht nachlassen, damit
kein Kind von der Gesellschaft zurückgelassen wird .
Vielen Dank .
({8})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/9666 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
({0})
- Das wollte ich hören . - Darf ich einmal fragen, ob es
auch noch andere gibt, die damit einverstanden sind? Das sieht so aus . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 12:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer
Drucksache 18/9632
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch das ist
offensichtlich nicht umstritten . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Ralf
Brauksiepe .
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Seit dem 11 . September 2001 haben wir
an dieser Stelle oft über unsere Beteiligung an der Operation Active Endeavour diskutiert . Es war eine wichtige,
eine erfolgreiche Operation, die nach den terroristischen
Angriffen auf die USA mit Artikel 5 des Washingtoner
Vertrages begründet war . Diese Begründung ist mittlerweile nicht mehr zielführend . Die Aufgaben indes bleiben; denn wie wir alle wissen, gehört das Mittelmeer zu
den wichtigsten interkontinentalen Seewegen weltweit,
und als Transport- und Handelsweg ist es von überragender Bedeutung . Es grenzt ebenso an Krisengebiete wie
an die Küsten unserer NATO-Allianz, also an unsere europäische Haustür . Die vielschichtige Sicherheitslage in
diesen Gewässern und ihre Entwicklung erfordern nach
wie vor erhöhte internationale Aufmerksamkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist das Mittelmeer auch Schauplatz von Schmuggelaktivitäten, illegaler Waffenverbreitung und Schleuserkriminalität; gerade
Letzteres führt immer wieder zu schlimmen Vorfällen
und dem Verlust von Menschenleben . Um diesen Gefahren zu begegnen, engagieren wir uns mit der Bundeswehr, mit der Marine, mit unseren Partnern bereits bei
der Aktivität in der Ägäis und bei EUNAVFOR MED
Operation Sophia sowie bislang bei der NATO-geführten
Operation Active Endeavour .
Die Neuausrichtung dieser Operation, insbesondere
das Lösen vom Selbstverteidigungsrecht der VN-Charta
und vom Bündnisfall, den die NATO im Jahr 2001 erklärt
hatte, war der Wunsch dieses Hohen Hauses und ist das
Ergebnis intensiver Verhandlungen der Bundesregierung
im Rahmen der Allianz . Der für Oktober dieses Jahres
vorgesehene Beginn der von der NATO beschlossenen
maritimen Sicherheitsoperation Sea Guardian ist ein Erfolg ebendieser unserer Bemühungen .
Die neue Operation benötigt nicht mehr den Rückgriff auf Artikel 5 des Washingtoner Vertrages, wie er
nach den Angriffen des 11 . September vorgenommenen
wurde . Sie basiert vielmehr auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, einschlägigen internationalen Vereinbarungen zur Sicherheit der Seeschifffahrt
und anwendbaren Resolutionen des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen, insbesondere der Resolution 2292
aus diesem Jahr .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Operation Sea
Guardian wird in erster Linie kontinuierlich ein umfassendes Lagebild im Mittelmeer ermöglichen, um damit
Bedrohungen in der Mittelmeerregion erkennen zu können . Weder das Mittelmeer noch andere Teile der Welt
können wir uns malen, wie wir sie gerne hätten . Es gibt
dort Gefahren, es gibt dort Bedrohungen, und wir können
uns bei einem Meer, das so nah vor unserer Haustür liegt,
nicht darauf verlassen, dass andere für uns die Arbeit machen . Wir sind gefordert, uns hier einzubringen, und das
wollen wir auch weiterhin tun .
({0})
Hierzu werden, wie es bereits im Rahmen der Operation Active Endeavour der Fall war, seegehende und luftgestützte Einheiten und insbesondere auch AWACS-Flugzeuge eingesetzt werden können . Es wird gleichzeitig
im Rahmen der Operation Sea Guardian möglich sein,
mit Zustimmung des Flaggenstaats Schiffe, die im Verdacht stehen, eine Verbindung zu terroristischen Organisationen zu haben, zu kontrollieren und zu durchsuchen .
Zugleich bietet diese Operation die Möglichkeit, Anrainer- und Partnerstaaten auf deren Anfrage hin beim maritimen Kapazitätenaufbau zu unterstützen .
Allein durch die Präsenz der Einsatzkräfte wird die
Operation Sea Guardian zudem - wie bereits Active Endeavour zuvor - als präventiver Ordnungsfaktor wirken .
Deutschland hat sich bereits kontinuierlich an der mit
sehr ähnlichen Aufgaben betrauten Operation Active Endeavour beteiligt . Dabei haben wir mitgewirkt, dass sich
diese in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Kooperations- und Austauschplattform entwickelt hat . Die
Operation Sea Guardian soll genau diesen erfolgreichen
Ansatz fortsetzen und insbesondere die Kooperation mit
der Europäischen Union, aber auch mit den NATO-Partnerstaaten fortführen und verbessern . Wir haben viel erreicht, und wir sind weiterhin gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Lassen Sie mich an dieser Stelle besonders die bereits
von der NATO auf dem Gipfel in Warschau im Juli dieses Jahres im Grundsatz beschlossene enge Kooperation
mit EUNAVFOR MED Operation Sophia hervorheben .
Neben einer allgemeinen Unterstützung durch einen
Austausch des Lagebildes, von Logistik und gegebenenfalls auch Schutz, soll die Operation Sea Guardian die
EU-Mission auch bei der Durchsetzung des Waffenembargos gemäß der Resolution des VN-Sicherheitsrates
2292 unterstützen und ergänzen, ohne dabei Aufgaben
der EU-Mission zu doppeln .
Ein sichtbares Beispiel für eine enge NATO-EU-Kooperation bietet bereits heute die NATO-Aktivität in der
Ägäis . Es ist uns wichtig, dass bei den Engagements der
Präsident Dr. Norbert Lammert
NATO und der EU im Mittelmeer möglichst viel Synergie erzielt wird . Darum geht es, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
Herr Kollege Nouripour, Sie haben eine Frage für
die Fragestunde gestellt . Leider hat mir die Geschäftsordnung nicht die Chance gegeben, sie Ihnen in Abwesenheit zu beantworten . Deswegen möchte ich bei dieser
Gelegenheit das auch noch einmal sagen: Es geht bei
der Operation Sea Guardian nicht um ein Eindringen
in Hoheitsgewässer irgendeines Landes durch die Hintertür . Das ist hier nicht vorgesehen . Wenn es in einem
Einzelfall gewünscht ist seitens der NATO, bedarf es
selbstverständlich der Zustimmung des entsprechenden
Küstenstaates . Seien Sie also unbesorgt: Wir werden
nicht durch die Hintertür hier zu einer Ausweitung von
EUNAVFOR MED oder irgendeines anderen Mandates
kommen . Unsere militärische Beteiligung wird vielmehr
im Rahmen unserer maritimen Kapazitäten sowie mit
den AWACS-Besatzungen erfolgen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Bedeutung der Mittelmeerregion für den internationalen
Seeverkehr ist ein deutscher militärischer Beitrag zur
maritimen Sicherheit im Mittelmeer weiterhin national,
aber selbstverständlich auch bündnispolitisch sinnvoll
und erforderlich; auch um diesen Beitrag im Bündnis
und für das Bündnis geht es . Deswegen bitte ich Sie im
Namen der Bundesregierung um Ihre Unterstützung für
den heute vorliegenden Antrag, unser militärisches Engagement im Mittelmeer, das erfolgreich ist, durch die
Beteiligung an dieser neuen NATO-Operation fortzusetzen . - Herr Präsident, ich schenke Ihnen die letzten
20 Sekunden .
({1})
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Also, erstens sind es mit dem Anlauf zu dieser Schlussbemerkung noch 14 Sekunden gewesen, zweitens wüsste
ich nicht, was ich damit machen soll, und drittens sind
Geschenke an Abgeordnete im Übrigen eine komplizierte Angelegenheit,
({0})
woran ich bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrücklich erinnern möchte .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für
die Fraktion Die Linke .
({1})
Verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen veröffentlichte eine parlamentarische Untersuchungskommission in Großbritannien einen Bericht zum NATO-Einsatz, zum NATO-Krieg
in Libyen, zu den Folgen und der Verantwortung der
britischen Regierung bei diesem Einsatz . Dieser Untersuchungsbericht des britischen Parlaments kam zu dem
Schluss, der Krieg der NATO habe dazu geführt, dass der
„Islamische Staat“ weite Teile des Landes übernehmen
konnte . Die sonstigen Folgen seien der politische und
wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes, Kämpfe
zwischen rivalisierenden Milizen, eine Flüchtlingskrise
und der unkontrollierte Umlauf von Waffen des Regimes
gewesen . Zudem sei das Völkerrecht gebrochen worden .
Nun gibt die NATO mit der neuen Mission vor, das
von ihr angerichtete Unrecht in Libyen lindern zu wollen . Aber mit neuen Militäreinsätzen wie Sea Guardian
werden sich die NATO und auch die Bundesregierung
noch stärker als in der Vergangenheit im libyschen Bürgerkrieg, der eben Folge dieser erwähnten NATO-Intervention war, engagieren . Nachdem man sozusagen eine
Katastrophe angerichtet hat und es jetzt lichterloh in
Libyen brennt, versucht man, das Ganze mit Benzin zu
löschen . Das ist keine Strategie für den Frieden, sondern
eine Ausweitung der Kriegszone . Das kann zu einem
Flächenbrand führen . Im Englischen gibt es ein schönes
Wort für das, was Sie hier anrichten . Es heißt „quagmire“, „Schlamassel“ auf gut Deutsch . Jeder vernünftige
Mensch dürfte dieser Strategie des Schlamassels nicht
zustimmen . Deshalb wird die Linke diesem Einsatz nicht
zustimmen .
({0})
Dieser Einsatz soll zudem in Kooperation mit den Mittelmeeranrainerstaaten - zwar nur auf deren Anfrage hin,
wie es in Ihrem Antrag heißt - dem Ausbau von militärischen Kapazitäten durch Ausbildung und gemeinsame
Übung dienen . Das heißt, Mittelmeeranrainerstaaten sollen unter Anleitung der NATO offenkundig militärische
Operationen durchführen, um die NATO-Streitkräfte zu
entlasten . Auch hier setzen Sie offenbar darauf, Despoten, Warlords und Autokraten am südlichen Mittelmeer
aufzurüsten . Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein . Sie
sollten doch aus dem Libyen-Krieg gelernt haben . Wir
lehnen diesen Einsatz deshalb ab, denn er wird zu einer
Eskalation führen .
({1})
Auch bei der Kooperation zwischen diesem Einsatz
und dem Einsatz EUNAVFOR MED geht es der NATO
nicht nur um die Kontrolle von Flucht- und Handelswegen im Mittelmeer . Sie ist daran nicht nur beteiligt,
sondern sie wird auch militärisch vor der libyschen Küste involviert sein . Das Mandat der Operation Sea Guardian ist sowohl räumlich als auch thematisch äußerst
breit gefasst. Offiziell soll es dazu dienen, das gesamte
Mittelmeer zu überwachen und damit Waffen- und Menschenschmuggel und Terrorismus einschließlich des „Islamischen Staats“ einzudämmen . Dies ist allerdings vor
dem Hintergrund, dass die Konfliktparteien in Libyen
nach wie vor von NATO-Staaten mit Waffen beliefert
werden, nicht nur grotesk, sondern das lässt auch darauf
schließen, dass es eigentlich darum gehen soll, selbst zu
kontrollieren, dass die Waffen in die Hände der mit den
NATO-Staaten verbündeten Warlords und Milizen in Libyen gelangen .
Angesichts dieser Militarisierung des Mittelmeeres
hielt es die Bundesregierung noch nicht einmal für nöParl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
tig, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die
schließlich schon nächste Woche in einer namentlichen
Abstimmung über diesen Einsatz abstimmen sollen,
den Operationsplan zur Verfügung zu stellen . Dass die
Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, scheint bei dieser
Bundesregierung offenbar völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Jedenfalls scheinen Sie es als überflüssig zu
erachten, den Abgeordneten diesen Operationsplan zu
geben und uns Abgeordnete ordnungsgemäß zu informieren . Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass die
Abgeordneten dieses Hauses über etwas abstimmen sollen, was den Abgeordneten nicht vorliegt .
({2})
Ich finde, Parlamentarismus ist etwas anderes.
({3})
Wir haben als Fraktion die ganze Woche nach diesem
Operationsplan gefragt . Er stand uns nicht zur Verfügung,
({4})
und er steht auch bis zur abschließenden Beratung in
der nächsten Woche nicht allen Abgeordneten zur Verfügung . Aber alle Abgeordneten dieses Hauses müssen
über diesen Einsatz abstimmen . Ich halte diese Informationspolitik der Bundesregierung für nicht haltbar, meine
Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Das sollten auch Sie als Parlamentarier vor dem Hintergrund Ihres Parlamentsverständnisses als nicht akzeptabel ansehen .
({6})
Sie sollten als Abgeordnete dafür eintreten, dass Abgeordnete ordnungsgemäß informiert werden, und zwar
alle Abgeordneten, meine Damen und Herren, und nicht
nur diejenigen, die den Regierungsfraktionen oder irgendwelchen Ausschüssen angehören .
Frau Kollegin .
Letztendlich müssen alle Abgeordneten hier namentlich abstimmen .
Auch vor diesem Hintergrund halten wir diesen Antrag für nicht zustimmungsfähig .
Vielen Dank .
({0})
Niels Annen erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 15 Jahre - das ist eine ganz schön lange Zeit nach den schrecklichen Anschlägen vom 11 . September
2001 wird nun die Operation Active Endeavour mit ihrer
Nachfolgeoperation endlich - ich sage das wirklich aus
vollem Herzen: endlich -, was die Einsatzrealitäten angeht, auch in zeitlicher Hinsicht auf ein angemessenes
Maß zurückgeführt . Wir stellen diese Operation auf eine
andere rechtliche Basis . Ich glaube, dass das eine wichtige Botschaft ist .
Wenn man sich anschaut, was Ihnen vorliegt, worüber das Haus jetzt diskutieren wird, dann sieht man,
dass bei der neuen Operation Sea Guardian der Bezug
auf Artikel 5 des NATO-Vertrags wegfällt . Es fällt aber
auch der Bezug auf Artikel 51 der VN-Charta, Selbstverteidigungsrecht, weg. Frau Dağdelen, es geht gar nicht in
erster Linie um den Libyen-Krieg - es ist ja immer etwas
schwierig, diesen Gedankengängen in Gänze zu folgen -,
sondern diese Operation war sozusagen ein Teil des sogenannten Kampfes gegen den Terrorismus .
Wir haben immer gesagt, dass man sich nicht unendlich auf ein solches Mandat beziehen kann . Das ist eine
schwierige Diskussion . Wir haben sie als sozialdemokratische Fraktion geführt, unseren Koalitionspartner davon
überzeugt und unsere Regierung sozusagen auf die Reise
geschickt . Ich freue mich deswegen - ich will am heutigen Abend die Gelegenheit nutzen, das zu sagen - über
den Beschluss des NATO-Gipfels, die Mission Active
Endeavour durch diese neue maritime Sicherheitsoperation zu ersetzen . Es war ein längst überfälliger Schritt .
Ich glaube auch, dass diese Entscheidung eine politische
Botschaft beinhaltet . Denn die Entkoppelung von Artikel 5 ist ja am Ende nicht nur eine technische Frage, sondern sie macht auch klar - das habe ich eben gesagt -,
dass man sich eben nicht unendlich auf eine solche Legitimation beziehen kann . Das bedeutet auch, dass wir ein
bisschen Neuland betreten haben .
Es war damals richtig von Bundeskanzler Gerhard
Schröder, den amerikanischen Präsidenten nach diesem
Angriff auf Amerika nicht nur mit Worten, sondern auch
mit Taten zu unterstützen, um zu zeigen, dass wir an der
Seite unseres wichtigsten Verbündeten stehen . Die Reaktion der europäischen NATO-Mitglieder war, zu sagen:
Wir rufen den Bündnisfall aus . - Wenn ich das einmal in
Erinnerung rufen darf: Nicht jeder in Washington fand
das damals übrigens richtig . Denn Gerhard Schröder hatte damit auch die Idee verbunden: Wenn wir diese Solidarität durch einen Beschluss unterstreichen, dann erwarten wir natürlich auch, dass es eine Art Konsultation
gibt, dass man Einfluss nehmen kann. - Denn wir hatten
nicht viel Vertrauen in diesen damaligen amerikanischen
Präsidenten . Ich sage heute: Wir hatten es zu Recht nicht .
Aber die Entscheidung hat das Bündnis gestärkt . Sie war
richtig, aber sie kann nicht noch nach 15 Jahren gelten .
({0})
Wir beenden jetzt ein Kapitel und schlagen ein neues auf . Ich weiß, es hat sehr lange gedauert . Ich bin mir
ziemlich sicher, dass das hier sicherlich auch noch zum
Thema gemacht werden wird - deswegen sage ich es
jetzt schon einmal, Kollege Nouripour -: Vielleicht hat
es sogar zu lange gedauert; aber es ist auch ein komplizierter Weg gewesen . Ich will dem Bundesaußenminister
ausdrücklich danken . Ich will der Verteidigungsministerin und auch unserer Vertretung bei der NATO danken .
Denn es war nicht ganz einfach . Wir hier im Deutschen
Bundestag führen darüber eine Debatte . Aber unsere Verbündeten haben solch eine Debatte erstens nicht geführt,
und zweitens haben die meisten diese Diskussion nicht
verstanden . Für uns als SPD ist es immer wichtig gewesen - das wird auch weiterhin unsere Richtschnur sein -,
dass wir solche Entscheidungen, die manchmal kompliziert sind, die Zeit brauchen, nicht alleine fällen, sondern
im Bündnis; wir wollen dabei die anderen überzeugen .
Das hat Zeit benötigt . Ich bin froh, dass wir dies geschafft
haben . Deswegen will ich allen, die sich daran beteiligt
haben, hier ausdrücklich Dank aussprechen .
({1})
Wenn ich das noch hinzufügen darf: Es zeigt doch
auch - ich erinnere mich an die Debatten über den Parlamentsvorbehalt -, dass dieser Bundestag, wenn er sich
zu Wort meldet, wenn er sich einmischt, auch Einfluss
nehmen kann
({2})
auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik . Wir sind nicht die Exekutive, aber wir sind in der
Lage - das haben wir mit diesem neuen Mandat bewiesen -, dass das, was hier debattiert wird, die Erwartungen, die wir formulieren, auf der europäischen Ebene
einfließen, und zwar auch in ein solches Mandat. Ich
glaube, das zeigt auch, dass die Idee der Parlamentsarmee, die wir haben, die Debattenkultur, die wir haben,
etwas Lebendiges sind, das sich auswirkt, aber eben nicht
von heute auf morgen . Das ist richtig .
Zur Debatte selber, zu dem, was die Soldatinnen und
Soldaten der Deutschen Marine dort leisten werden, ist
bereits vom Staatssekretär einiges gesagt worden . Die Sicherheitslage im Mittelmeer ist weiterhin sehr labil .
Der Name hat sich verändert, aber die Mission, die
wir jetzt beschließen wollen, bleibt wichtig, und sie ist
übrigens auch ein Zeichen der Solidarität, gerade an unsere südlichen Nachbarn und Bündnispartner, dass wir
uns nicht hinstellen und sagen: Wir überlassen das einfach einem Teil der Verbündeten . Deswegen darf ich Sie,
meine sehr geehrten Damen und Herren, einladen, dieser
Entscheidung der Bundesregierung, diesem Antrag zuzustimmen . Ich denke, die Debatte, die wir heute sowie
in der zweiten Lesung führen, kann eigentlich nur dazu
beitragen, noch einmal zu unterstreichen, welche zentrale Rolle der Deutsche Bundestag in einer stärker zusammenwachsenden europäischen Sicherheitsarchitektur
einnimmt .
Dass dies manchmal Zeit braucht, ist richtig . Das gilt
aber für Demokratie . Es braucht manchmal Zeit, Partner
zu überzeugen . Ich denke, es war richtig, diese Arbeit zu
investieren . Ich bitte um Zustimmung .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Nun hat der Kollege Nouripour das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier
Mandate neu eingebracht werden, ist das eine sehr ernsthafte Angelegenheit, und so muss man sie auch behandeln . Ich muss zugeben, das fällt mir bei dem Text, der
uns vorliegt, nicht besonders leicht . Sie haben sich Zeit
genommen . Das ist manchmal notwendig, das hat der
Kollege Annen gerade gesagt . Aber je länger es dauert,
umso wichtiger ist es, dass auch das Ergebnis stimmt und das ist das Problem .
Die Bundesregierung hat ein Kunststück vollbracht .
Es gab jahrelang ein Possenspiel . Wir waren uns einig,
Sozialdemokraten und Grüne, dass die Operation Active
Endeavour keine völkerrechtliche Legitimität mehr hat .
Die SPD hat damals dagegen gestimmt . Dann ist sehr
lange verhandelt worden, und das ist das Ergebnis . Ich
schenke Ihnen die Zeit und hoffe, Sie haben sie genossen . Aber das Ergebnis, das Sie uns vorlegen - das ist
das Kunststück -, ist ein Multifunktionsmandat, nach der
Maxime „Viel hilft viel“ . Es ist so etwas wie ein Schweizer Taschenmesser, was wir hier haben .
Was ist alles darin? Ich könnte in den fünf Minuten gar
nicht aufzählen, was alles an Unbestimmtem in diesem
Mandat steht: Sammeln von Informationen, Aufdeckung
von Bedrohungen in der Mittelmeerregion, Unterstützung der Sicherheitskräfte von Anrainerstaaten in der
Mittelmeerregion, zum Beispiel durch Kapazitätsaufbau; Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen,
Unterstützung von EUNAVFOR MED usw ., usw . - und
das in einem Operationsgebiet der Größenordnung von
2,5 Millionen Quadratkilometern, und gratis gibt es noch
den Luftraum obendrauf .
Wir haben ein Mandat namens UNIFIL . Sie könnten
alles, was UNIFIL macht, alles, was in diesem Mandat
steht, ohne Probleme, ohne dass sich jemand Gedanken
machen muss, in die abstrakten Formeln dieses neuen
Mandates integrieren . Das hat mit Präzision überhaupt
nichts mehr zu tun; denn wir wissen gar nicht, was hier
vorliegt .
({0})
Sie haben bei den ganzen Werkzeugen im Übrigen ein
Werkzeug bei den Verhandlungen verloren, nämlich die
deutsche Sprache . Ich möchte Ihnen einmal einen Satz
aus diesem Mandat vorlesen:
Unterstützen sowie Durchführen von Maßnahmen
auf Hoher See zur Durchsetzung des VN-Waffenembargos durch Überprüfen von Schiffen und Booten, die des Waffenschmuggels bzw . der Terrorismusunterstützung verdächtigt werden,
- das war die erste Hälfte des Satzes unter Nutzung von Eingriffsbefugnissen zur Durchsetzung des Waffenembargos der Vereinten Nationen von und nach Libyen mit entsprechenden Fähigkeiten im Einklang mit dem Völkerrecht, …
Es gibt im Übrigen auch noch ganze Sätze, die beginnen mit Formulierungen wie „Die regionale Instabilität
in der Region“ . Ich glaube, dass sich der Kollege Annen
da wirklich in einen Rausch verhandelt hat, und hoffe,
dass der Rausch noch ein bisschen anhält .
Aber das Ganze ist eigentlich sehr ernst . Deshalb will
ich auch noch etwas Ernsthaftes zitieren: Das ist das Parlamentsbeteiligungsgesetz . Darin steht:
. . ., wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen
sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist .
Das ist die Grundlage, auf der wir dann entscheiden,
ob wir einem Mandat zustimmen oder nicht . Auf Deutsch,
im Klartext, heißt das: Das Parlament soll abschätzen,
ob es bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen,
Soldatinnen und Soldaten in eine Situation zu schicken,
in der sie möglicherweise ihr Leben riskieren müssen .
Es tut mir leid, ich kann für meine Fraktion sagen:
Wir sind nicht imstande, diese Verantwortung zu übernehmen, bei einem Text, bei dem wir am Ende des Tages
überhaupt nicht wissen, was diese neue Operation denn
eigentlich für die Soldatinnen und Soldaten bedeutet . An
Konkretion fehlt es komplett .
({1})
Da Sie gerade Sophia angesprochen haben, Herr
Staatssekretär: Sie haben gerade gesagt, es ist nicht völkerrechtswidrig, was dort passiert, denn wir werden nicht
ohne Einverständnis der jeweiligen Länder in die Hoheitsgewässer eindringen . Okay, aber es gibt ja nicht nur
die Möglichkeit der Doppelung von Sophia, sondern auch
die Möglichkeit, dass die nächsten Stufen von Sophia
jetzt einfach umgesetzt werden, wie uns schon einmal
angedroht wurde; aber da hieß es, man wisse nicht, ob
das passieren werde oder nicht . Auch das könnte man auf
Grundlage des Textes, der hier vorliegt, einfach machen .
Das ist das, was mich wirklich rasend macht: Theoretisch
könnten Sie auf Basis dessen, was Sie uns vorlegen, die
syrische Marine ausbilden . Die einzige Bedingung, die
nach einem Beschluss des Bundestages erfüllt sein müsste, wäre, dass die Syrer das auch wollen . Ist das ernsthaft
Konkretion? Ist das ernsthaft eine politische Botschaft,
die Sie aussenden wollen? Die einzige politische Botschaft, die wir hier haben, ist doch die Missachtung der
Rolle des Parlaments durch einen Mandatstext, in dem
eigentlich alles und nichts zugleich steht . Da können wir
leider nicht mitmachen .
({2})
Zum Operationsplan hat die Kollegin Dağdelen alles Notwendige gesagt . Er liegt nicht vor . Im Übrigen:
Wenn der Operationsplan, auf den man sich ja auch bezieht, vorliegt und wir ihn uns angeschaut haben, dann
ist er trotzdem keine Referenzgröße für das Parlament .
Denn den Operationsplan kann die Exekutive verändern,
während wir durch die Zustimmung zu einem solchen
Mandat einen Blankoscheck ausgestellt haben . Dafür ist
das Parlamentsbeteiligungsgesetz aber nicht geschrieben
worden . Wir sind nicht dafür da, um der Bundesregierung
zu sagen: Macht einfach, was ihr wollt . - Das ist nicht
der Sinn des Parlamentsvorbehalts . Deshalb werden wir
Ihnen ganz sicher keinen Blankoscheck ausstellen .
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Ilgen für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nouripour, das war ja wieder einmal eine spannende
Oppositionsrede, wie ich finde. Sie kritisierten die deutsche Sprache, die Texte, das ganze Drumherum, und Sie
stellten ganz viele Fragen . Nur, konkret am Mandat hatten Sie eigentlich nichts auszusetzen .
({0})
- Dann müssen Sie es aber auch einmal lesen . Wenn Sie
sagen, da steht nichts Konkretes drin, will ich Ihnen Ihre
Fragen gerne beantworten .
Kollege Annen hat es beschrieben: Die Sicherheitslage im Mittelmeerraum hat sich seit 9/11 nicht verändert
und schon gar nicht verbessert . Das heißt, eine Nachfolgemission von Active Endeavour war nötig; diese bringen wir auf den Weg . Denn immer noch haben wir es zu
tun mit Flüchtlingsschleusern, mit Waffenschmugglern,
mit Failed States, mit Terrorismus im Allgemeinen und
im Besonderen . Dieses Mandat wird dabei helfen, die
Verbündeten an der Südflanke Europas in die Lage zu
versetzen, die Herausforderungen, die vor uns liegen, zu
meistern .
({1})
Jetzt konkret zu dem Einsatz - um Ihnen das einmal
zu verdeutlichen .
({2})
Die Ziele sind: Lagebilderstellung und Austausch mit
Verbündeten, Informationsgewinnung im Kampf gegen
den Terrorismus,
({3})
die Durchsetzung - jetzt ganz konkret - des UN-Waffenembargos - was vonseiten der Linken kritisiert worden ist -, die Unterstützung der EUNAVFOR MED
Operation Sophia - wir haben es gehört -, die Kontrolle von Schiffen auf Wunsch des jeweiligen Staates auch
in seinen Territorialgewässern; das gibt es bisher nicht .
Ein konkreter Fall wäre, dass man, wenn man da längs
schifft, in der Lage wäre, diesen Einsatz durchzuführen .
Natürlich muss man vorher fragen; dann kann man unterstützen . Das ist nach dem alten Mandat bisher nicht
der Fall .
Weitere ganz konkrete Ziele sind die Rettung von in
Seenot geratenen Menschen - ich hoffe, dass Sie wenigstens dieses konkrete Anliegen unterstützen können - und
die Unterstützung von Anrainerstaaten, im Zweifel auch
in Form von Ausbildung und gemeinsamen Übungen,
aber auf Wunsch .
({4})
Dass diese Fragestellung natürlich immer im Rahmen
der Gesamtpolitik der Bundesregierung zu betrachten
ist - das gilt auch für die Frage, mit welchen Staaten man
kooperiert oder nicht -, ist doch selbstverständlich .
({5})
Deswegen ist das ein Schein- und Kunstargument, das
Sie hier aufgerufen haben .
({6})
Konkret wird Deutschland bis zu 650 Soldaten in diesen Einsatz schicken . Wir beteiligen uns natürlich auch
entsprechend bei den Kräften für Führung, Überwachung, Sanitätsdienst und anderes . Aber das Gros wird
abermals von der deutschen Marine gestellt; darauf will
ich besonders hinweisen .
({7})
Zwar erlauben die Rahmenbedingungen dieses Einsatzes, die Teilnahme an Sea Guardian mit der Teilnahme an EUNAVFOR MED Operation Sophia und der
NATO-Ägäis-Mission zu verbinden . Allerdings steht
fest: Die deutsche Marine wird als kleinste Teilstreitkraft
wieder einen gewaltigen Beitrag leisten müssen, und sie
gerät an ihre Kapazitätsgrenzen . Deswegen wollen wir,
die SPD-Fraktion, in der Zukunft hier ansetzen, um die
Marine weiter auf stabilere Füße zu stellen . Denn wir erkennen ja, dass die Anzahl der Einsätze in den letzten
Jahren nicht geringer geworden ist und insbesondere die
Personaldecke oft an Grenzen stößt .
({8})
Sea Guardian wird bei der Schaffung und der Erhaltung von Sicherheit im ganzen Mittelmeerraum ein wichtiges Element sein . Es schließt nämlich die Lücken, die
bisher da waren, und dagegen kann nun wirklich keiner
etwas haben, es sei denn, man begründet das mit kunstvollen Argumenten .
Wir, die SPD-Fraktion, werden diesem Einsatz deshalb zustimmen .
({9})
Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die
CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir
wünschen, dass alle Teile dieses Hauses anerkennen,
dass wir heute einen Einsatz beraten, der auch auf eine
Initiative aus dem Bundestag heraus angepasst wurde . Es
ist ein Einsatz, der von Europa aus verändert wurde .
Wenn wir Europa betrachten, so müssen wir schon
feststellen, dass in der Umgebung Europas ganze Nachbarschaftsregionen von Zeichen des Zerfalls geprägt
sind . Umgekehrt ist der innere Zusammenhalt Europas
durch Flucht und ungeklärte, ungelöste Fluchtursachen
gefährdet . Wir sollten nicht den Kräften in die Hände
spielen, die von einem Zerfall Europas profitieren - und
schon gar nicht den Kräften, die vom Zerfall der europäischen Nachbarschaft profitieren. Genau hier setzt die
Mission Sea Guardian an .
Was ist das Besondere? Wir handeln hier nicht einseitig mit militärischem Interventionismus oder absoluter
Zurückhaltung, sondern hier wird wohlüberlegt ein vierfacher Ansatz gewählt:
Erstens . Lagebilderstellung auf bekannter Ebene,
Überblick, was im Mittelmeerraum auf 2,5 Millionen
Quadratkilometern geschieht .
Zweitens . Durchsetzung des UN-Waffenembargos
nicht nur vor der libyschen Küste .
Die beiden folgenden Bereiche - drittens und viertens - sollten gerade uns als Bundesrepublik Deutschland
am Herzen liegen:
Drittens . Eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union . Wir haben dort eine verzahnte Operation unserer überdehnten Kräfte der Bundeswehr mit den
militärischen und auch den zivilen Sicherheitskräften in
Europa . Auch die zivilen Instrumente der Europäischen
Union werden dadurch gestärkt, und das Militär wird
entlastet .
Viertens . Wir schlagen eine Brücke über das Mittelmeer hin zu Ländern wie Jordanien und Libanon oder
aber auch Libyen und Tunesien . Diesen Aspekt halte ich
für den entscheidenden . Herr Kollege Nouripour, das ist
ja genau das, worum es geht - und nicht um die syrische
Marine .
Warum ist das so entscheidend? Das sind Staaten, die
mit Mühe und Not versuchen, ihre Staatlichkeit aufrechtzuerhalten, die gefährdet ist . Sie helfen teilweise mit, die
Fluchtursachen zu bekämpfen, leiden aber insbesondere
durch die Transitmigration erheblich und brauchen europäische Hilfe und Unterstützung .
Wir alle, die in diese Regionen reisen - sei es nach
Tunesien, in den Libanon oder nach Jordanien -, wissen,
wie stark diese Länder auf Unterstützung und Stabilisierung angewiesen sind - nicht nur in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheit und Wasser sowie in Bezug auf eine gute Lebensführung, sondern eben
auch zur Ertüchtigung der Küstenwachen und der Marine
und im Hinblick auf die Schleuserbekämpfung .
Wenn es um die Schleuserbekämpfung geht, ist das
Beispiel von Griechenland und der Türkei in der einen
Richtung vorbildlich . Wir sollten das in der Zukunft auch
mit Blick auf Libyen wagen .
Ich möchte deshalb Werbung für diese Operation machen, die sicherlich noch mit ganz klaren operativen Zielen zu füllen ist . Das ist abzuleiten und wird bis Ende des
Monats ja auch in der NATO endgültig beraten .
Frühzeitig beteiligt zu werden, an solch einer Operation mitzuwirken und nicht erst im Nachgang irgendwann
etwas zu billigen, ist ein Zeichen, dass unser Parlament
handlungsfähig ist . Ich hätte mir auch gewünscht, dass
wir schon vor 14 Tagen in den Operationsplan hätten
schauen können, aber uns wurde vom Auswärtigen Amt
zugesichert - und so ist es wohl auch -, dass er seit gestern in der Geheimschutzstelle liegt .
({0})
- Das ist doch schön; dann hast du ihn ja lesen können .
({1})
- Gut Ding will Weile haben . Entscheidend ist, dass wir
heute in der ersten Lesung die einzelnen Punkte betrachten .
Ich möchte noch einmal deutlich machen: Das ist keine klassische Militäroperation, die mit Robustheit im
Mittelmeer „Show of Force“ betreibt oder ganz gezielt
über Artikel 5 des Nordatlantikvertrages alle Instrumente
der NATO bewegt, sondern eine enge, gemeinsam zwischen der NATO und der EU abgestimmte Operation, die
die Hand denjenigen Partnern reicht, die die Unterstützung wollen . Das ist die eigentliche Neuigkeit, die wir
leisten sollten .
Das bedeutet, mit dieser Operation bauen wir nicht nur
eine Brücke über das Mittelmeer, sondern zeigen wir den
Mittelmeeranrainerstaaten auch, dass wir einer Sicherheitsgemeinschaft angehören, und das ist des Schweißes
der Edlen wert . Ich werbe deshalb um Zustimmung zu
diesem Mandat .
Herzlichen Dank .
({2})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat Herr
Kollege Florian Hahn das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa und damit auch Deutschland stehen zurzeit vor einer
ganzen Reihe von großen Herausforderungen - der Kollege Kiesewetter hat sie schon beschrieben -: die Krise
im Inneren der EU, die Folgen des Brexit, im Osten die
weiter kritische Lage in der Ukraine . Aber viel unmittelbarer haben wir in den letzten Monaten die Herausforderung aus dem Süden erleben müssen . Migration und
Massenflucht sind sichtbare Anzeichen der Krise südlich
unseres Kontinents . Kriege, Bürgerkriege, Klimawandel
und Perspektivlosigkeit treiben Menschen nach Europa . Sie kommen ganz wesentlich auch über das Mittelmeer - allein 2016 über 300 000 Menschen . Dabei haben
sich unsagbare Tragödien abgespielt, mit geschätzten
3 000 Toten allein in diesem Jahr . Aber zu sehen war auch
das häufige Versagen Europas bei Grenzkontrolle, Registrierung, Unterbringung und Verteilung der Migranten
und Flüchtlinge . Hier wurde enormer Handlungsbedarf
deutlich .
Hinzu kommen sicherheitspolitische Aufgaben durch
die gestiegenen terroristischen Bedrohungen für unsere freiheitlichen Gesellschaften, die vor allem vom sogenannten „Islamischen Staat“ ausgehen . Wir haben
durchaus erfolgreich begonnen, viele Aspekte dieser
Herausforderungen anzugehen, angefangen bei uns in
Deutschland mit unserer Gesetzgebung zu Asyl, Integration und innerer Sicherheit . Auf der europäischen und
internationalen Ebene steht das Mittelmeer derzeit für
die vielen Baustellen, an denen wir dort gleichzeitig weiterarbeiten müssen . Viele kleinere und größere Aufgaben
warten hier auf eine Lösung, wenn wir Europa stärker
und sicherer machen wollen, wenn wir das Mittelmeer
perspektivisch wieder zu dem machen wollen, was es
lange Jahrhunderte war: kein Raum des Massensterbens,
des Versagens und des Aufeinanderprallens von zwei
Welten, sondern ein Raum der gemeinsamen Zivilisation und des florierenden kulturellen und wirtschaftlichen
Austauschs .
Ich will diese vor uns stehenden Aufgaben nur anreißen . Wir brauchen eine Befriedung der Anrainerstaaten,
in erster Linie natürlich Syriens und Libyens - eine wahre Herkulesaufgabe, wie sich das jeden Tag zeigt . Nötig
ist aber auch eine energische und konsequente Sicherung
der europäischen Außengrenzen . Wir brauchen dann einen Aufbau der Mittelmeeranrainer, eine Befähigung
dieser Länder zum Beispiel im Sicherheitsbereich, bei
der Terrorismusbekämpfung und beim Grenzschutz, damit sie perspektivisch selbst für ihre Sicherheit sorgen
können . Schließlich brauchen wir eine umfassende Zusammenarbeit mit diesen Ländern in allen anderen Bereichen, sei es in der Kultur, sei es in der Wirtschaft oder der
Bildung, damit die Kluft der Lebensstandards zwischen
den Ufern des Mittelmeers nicht noch tiefer wird .
Auch das Militär trägt jetzt schon einen Teil dazu bei,
dass sich die Situation im Süden verbessert . Verschiedene bestehende Operationen sind bereits angesprochen
worden . EUNAVFOR MED Operation Sophia haben
wir zuletzt im Juli eingehend debattiert und um ein Jahr
verlängert . Die NATO unterstützt mit Aufklärungskapazitäten diese Mission in der Ägäis . Die deutsche Fregatte
„Augsburg“ bietet aktuell dem französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ Geleitschutz beim Einsatz gegen den IS . Und auch UNIFIL vor der Küste Libanons ist
als vorbildliche Mission zu nennen, an der sich Deutschland beteiligt . Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in
diesen Einsätzen übrigens Großartiges .
Die maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian
kommt nun hinzu, ergänzt die vorhandenen Missionen
sinnvoll und hilft mit Vernetzung und Informationsaustausch . Sie ist damit ein weiterer wichtiger Baustein unserer Mittelmeerpolitik . Sea Guardian ist ein Nachfolgemandat für die Operation Active Endeavour . Auftrag der
Mission ist zunächst wie bei Active Endeavour die Seeraumüberwachung . NATO-Einheiten erhalten nach dem
Sea-Guardian-Mandat jetzt auch die Möglichkeit, mit
Zustimmung des Flaggenstaates Schiffe zu kontrollieren,
zu durchsuchen, sowohl bei Terrorverdacht als auch im
Rahmen der Bekämpfung von Waffenschmuggel .
Darüber hinaus wollen wir mit der Mission auch Partnern helfen . Im Rahmen von Sea Guardian werden wir
intensiver mit den Anrainerstaaten kooperieren, vor allem
beim Aufbau eigener maritimer Sicherheitskapazitäten .
Das entspricht einem durchgängigen deutschen Ansatz in
der Sicherheitspolitik: Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe,
etwa durch Ausbildung und gemeinsame Übungen .
Zusammenfassend ist festzustellen: Sea Guardian erstellt ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum, koordiniert und vernetzt die Aktivitäten der
NATO mit denen anderer Organisationen wie der EU,
kann bei der Bekämpfung von Schmuggleraktivitäten
helfen, damit die Stabilisierung beispielsweise Libyens
fördern und hilft Partnernationen beim Aufbau eigener
maritimer Kapazitäten .
Schließlich trägt die Präsenz der Einsatzverbände als
präventiver Ordnungsfaktor zur maritimen Sicherheit im
Mittelmeer bei . Diese rundum sinnvolle Mission verdient
unsere uneingeschränkte Unterstützung .
Vielen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 18/9632 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Darüber gibt es offenkundig keine Meinungsverschiedenheiten . Also ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 17:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Stephan Kühn ({0}), Markus Tressel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutschland-Takt jetzt umsetzen - Weichen
in der Bundesverkehrswegeplanung richtig
stellen
Drucksache 18/7554
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
ist nicht erkennbar . Also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen . - Könnte vielleicht einmal, insbesondere in
der Unionsfraktion, die nachwirkende Beschäftigung mit
dem gerade behandelten Thema der Aufmerksamkeit für
den neuen Redner Platz machen? - Sehr gut . - Bitte, Herr
Gastel .
Vielen Dank . - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Anteil der Schiene am
Personenverkehr liegt bei nur 8 Prozent . Das heißt, die
allermeisten Wege und die allermeisten Kilometer werden per Auto zurückgelegt .
Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, wenn
wir es damit ernst meinen, die endlichen Ressourcen dieses einen Planeten schonen zu wollen, dann müssen wir
den Anteil des Schienenverkehrs, sowohl im Güterbereich als auch im Personenbereich, deutlich erhöhen .
({0})
Wir müssen aber leider feststellen, dass all die milliardenschweren Investitionen in Hochgeschwindigkeitsstrecken bei der Erreichung dieses Zieles weitgehend
wirkungslos geblieben sind . In Reiseketten ist dadurch
weiterhin oft keine Reisezeitverkürzung möglich . Ich
nenne einmal das Beispiel Verkehrsprojekt „Deutsche
Einheit 8“ von Berlin nach Nürnberg . Wer heute von
Chemnitz nach Berlin fahren möchte, muss in Leipzig
umsteigen und dort 53 Minuten warten . Der Bahnhof in
Leipzig ist sehr schön, aber so lange zu warten, ist eben
doch nicht schön .
Was wir brauchen, ist eine Vertaktung von Fern- und
Regionalverkehr in den Knotenbahnhöfen . Dafür brauchen wir, bezogen auf die Strecken, eine Infrastruktur,
die entsprechende Zeitvorgaben ermöglicht . Wir brauchen aber auch die Infrastruktur in den Bahnhöfen mit
den notwendigen Kapazitäten, damit die Züge einmal
warten können, um die Fahrgäste umsteigen zu lassen .
Da muss ich leider auf ein Thema, das gerade wieder
hochkocht, zu sprechen kommen: Stuttgart 21 .
({1})
- Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen . - Aber gerade, wenn es um das Thema Deutschland-Takt geht, dann
muss man auch über Stuttgart 21 reden, weil es dafür das
schlechteste Beispiel aller Zeiten ist .
({2})
Acht Bahnsteige reichen nicht aus, wenn Züge auf die
Fahrgäste verspäteter Züge warten sollen . Das funktioniert eben nicht . Das wird ein Bahnhof, in den die Züge
schnell reinfahren und schnell wieder weiterfahren müssen, weil sonst die Kapazität für die nachfolgenden Züge
nicht reichen wird .
Auch bei den Zulaufstrecken für dieses neue Projekt
haben wir Engpässe . Ich nenne einmal ein Beispiel: Die
Wendlinger Kurve soll neu gebaut werden . Das Gutachten zum Deutschland-Takt, in Auftrag gegeben von der
Bundesregierung, besagt: Man braucht an dieser Kurve
zwei Gleise . Der Bund aber hält an der Eingleisigkeit fest
und schafft damit einen Engpass .
Stuttgart 21 ist ein Murks mit Engpass, der dazu noch
immer teurer wird, wie es der Bundesrechnungshof festgestellt hat . So lässt sich kein Deutschland-Takt realisieren . So lassen sich auch keine zusätzlichen Fahrgäste
gewinnen .
({3})
Wir brauchen eine Infrastruktur mit abgestimmten
Fahrplänen und optimierten Umsteigemöglichkeiten .
Der Bundesverkehrswegeplan bzw . das entsprechende
Ausbaugesetz wären dafür eine super Chance gewesen .
Aber die Entscheidungen über große Umsteigeknoten,
beispielsweise in Köln, sind im Bundesverkehrswegeplan noch nicht einmal bewertet worden . Entscheidende Engpassbehebungen auf Strecken, beispielsweise bei
Fürth, sind ebenfalls noch nicht bewertet worden . Meist
sind es kleine Maßnahmen, die aber für den integralen
Taktfahrplan notwendig sind . Die haben Sie ebenfalls
noch nicht bewertet . Leider haben Sie es da nicht so eilig,
den Deutschland-Takt als Chance zu begreifen und auch
in Angriff zu nehmen .
Was wir fordern, ist eine Wachstumsstrategie für die
Schiene . Dazu gehören niedrigere Trassenpreise, damit
die Schiene überhaupt wettbewerbsfähig ist .
({4})
Zu dieser Wachstumsstrategie gehören faire Wettbewerbsbedingungen für die Schiene gegenüber Straße und
Flugzeug . Auch da haben Sie viele Chancen vertan .
Wir fordern Sie auf: Treten Sie mit den Bundesländern in Verhandlungen über Langfristfahrpläne, damit
die entsprechende Infrastruktur entwickelt werden kann .
Sorgen Sie dafür, dass das Thema Deutschland-Takt endlich zum Zuge kommt für attraktive Fahrpläne, für verlässliche Umsteigezeiten, damit mehr Fahrgäste mit dem
Zug unterwegs sind, damit das Klima geschont wird und
die Ressourcen nicht mehr so verschwendet werden wie
bisher .
({5})
Alexander Funk ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich
mit etwas Positivem beginnen: Ihr Antrag liest sich gut,
({0})
und es steht auch viel Richtiges darin . Ich glaube, es
gibt auch hier im Hause niemanden, der nicht für den
Deutschland-Takt ist, dem es nicht einleuchtet, dass Regional- und Fernverkehr verbunden werden muss, damit
man nicht unnötige Wartezeiten auf Bahnhöfen verbringt,
damit die Reisezeit kürzer, die Reisekette schneller wird .
Ich glaube, das ist ein Ziel, das wir alle verfolgen .
Trotzdem ist Ihr Antrag unnötig und auch widersprüchlich, zumindest was Ihr Handeln betrifft .
({1})
Warum ist Ihr Antrag unnötig? Zum einen erwecken Sie
ein wenig den Eindruck, als sei der Deutschland-Takt
Ihre Idee, als sei er eine Erfindung der Grünen. Fakt ist,
dass er auf eine Privatinitiative aus dem Jahr 2008 zurückgeht . Ich bedanke mich - auch im Namen meiner
Fraktion - ausdrücklich bei den Initiatoren der Initiative
Deutschland-Takt . Sie haben da sehr gute Arbeit geleistet, und weil das eine sehr gute Arbeit ist, haben wir es
auch in den Koalitionsvertrag 2013 aufgenommen .
({2})
In unserem Koalitionsvertrag steht:
Die Planung der Schienenwege werden wir am Ziel
eines Deutschland-Takts mit bundesweit aufeinanMatthias Gastel
der abgestimmten Anschlüssen sowie leistungsfähigen Güterverkehrstrassen ausrichten .
Wir haben das nicht nur in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern auch die Grundlagen dafür geschaffen . Ausgerechnet am heutigen Tage der Einbringung des
Bundesverkehrswegeplanes wird nämlich die Grundlage
für den Deutschland-Takt gelegt,
({3})
und an dieser Stelle ist Ihr Antrag widersprüchlich . Denn
dass man morgens am Bundesverkehrswegeplan kein gutes Haar lässt und alles, was darin steht, kritisiert, abends
aber den Deutschland-Takt fordert, ist ein Widerspruch
in sich . Das ist unseriös, und an dieser Stelle sollten Sie
einmal mehr Ihren Zettelkasten neu sortieren .
({4})
Wir haben allein 750 Millionen Euro für kleinere
Maßnahmen zur Verfügung gestellt, um den Deutschland-Takt zu implementieren . Das, was Sie in Ihrer Rede
angesprochen haben, steht also im Bundesverkehrswegeplan . Er enthält darüber hinaus aber auch große Strecken,
um die Fernverbindungen, zum Beispiel in die Schweiz,
taktgenau anzupassen . Auch das steht im Bundesverkehrswegeplan . Wir investieren in den nächsten Jahren
über 120 Milliarden Euro in die Schiene und schaffen so
die Grundlage für den Deutschland-Takt .
Wenn Sie es mit Ihrem Deutschland-Takt wirklich
ernst meinen, sollten Sie Ihren Antrag jetzt zurückziehen,
dem Bundesverkehrswegeplan zustimmen
({5})
und vor Ort für die einzelnen Projekte werben . Dann bin
ich davon überzeugt, dass wir im Jahr 2030 im Takt fahren .
({6})
Sabine Leidig erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke .
Guten Abend, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Man braucht keinen Antrag zurückzuziehen, der Richtiges fordert . Wir unterstützen schon
lange den Plan, in Deutschland vertaktete Zugfahrten
möglich zu machen, das Bahnnetz so auszubauen, dass
die Leute keine Dreiviertelstunde am Bahnhof warten
müssen, bis sie weiterfahren können, und ein Netz zu
entwickeln, das auch die Fläche im Blick hat, statt nur
auf einige Hochgeschwindigkeitsstrecken zu setzen, die
sehr teuer sind und nur relativ wenigen Reisenden nützen . Deshalb ist es gut und richtig, das Eisenbahnnetz so
auszubauen, dass es in der Fläche den vertakteten Bahnverkehr möglich macht .
({0})
Es ist auch überhaupt kein Problem, finde ich, wenn
Parteien, die hier im Parlament vertreten sind, die entsprechende Forderung einer Bürgerinitiative aufnehmen .
Ich finde, es ist auch ein Stück weit unsere Aufgabe, das,
was in der Bürgerschaft entsteht, im Parlament zum Thema zu machen und zur Durchsetzung zu bringen .
Ich möchte zwei Punkte nennen, die mir wichtig sind .
Der erste betrifft den Bundesverkehrswegeplan . Ja, es
ist richtig: Darin werden jetzt sozusagen die Ausbauvorhaben für die verschiedenen Verkehrsträger festgelegt .
Wir haben heute Morgen ausführlich darüber diskutiert,
wie viel Sinn oder Unsinn darin steckt . Fakt ist: Es sollen
drei verschiedene Ausbauvorhaben auf den Weg gebracht
werden . Davon wird eines den Schienenausbau betreffen .
Man kann selbstverständlich den Bundesverkehrswegeplan insgesamt ablehnen und trotzdem die sinnvollen
Schienenprojekte voranbringen .
Was man aber nicht machen sollte - das ist, finde ich,
ein wichtiger Punkt, der leider auch in dem Antrag der
Grünen ein bisschen kurz kommt -, ist, zusätzlich zu
den sinnvollen Schienenprojekten auch noch jede Menge
unsinnige Straßenbauprojekte voranzutreiben . Denn die
Milliarden, die jetzt in neue Autobahnen fließen sollen,
braucht man dringend für den Ausbau des Eisenbahnnetzes im Land, um den Deutschland-Takt zu ermöglichen .
Deshalb geht es darum, wirklich umzusteuern, statt auf
mehr Straße und mehr Schiene zu setzen . Wir wollen
erreichen, dass der Straßenverkehr tatsächlich reduziert
werden kann .
Auf einen zweiten Punkt möchte ich noch eingehen .
Matthias Gastel hat das Projekt Stuttgart 21 angesprochen .
({1})
Alle wissen, dass dieses Projekt überhaupt nicht in ein
Deutschland-Takt-Konzept hineinpasst . Alles andere
wissen wir auch,
({2})
zum Beispiel, dass es ultrateuer ist . Aber - und das ist
jetzt eine kritische Anmerkung - es ist nicht nur so, dass
der Bund Verantwortung für dieses Projekt hat, sondern
es gibt noch andere Projektpartner . Dazu gehören das
Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart . Ich
finde, dass es ein Stück weit in der Verantwortung der
Grünen liegt,
({3})
die dort den Ministerpräsidenten und den Oberbürgermeister stellen, das Ende dieses unsinnigen Projektes
voranzutreiben und sich nicht wegzuducken und nur zu
sagen: Wir begleiten es kritisch .
({4})
Ihr habt mehr Möglichkeiten, da endlich ein Stoppschild
aufzustellen, weil ja alle Vereinbarungen nicht eingehalten werden . Das ist Grund genug für jeden Projektpartner, den Ausstieg aus diesem Unsinn zu fordern . Das
würde den Antrag wirklich gut ergänzen .
({5})
Kirsten Lühmann hat das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Anwesende! Ich bin über den Verlauf
der Debatte etwas verwirrt . Ich dachte, der Bundesverkehrswegeplan hätte schon heute Morgen auf der Tagesordnung gestanden und Stuttgart 21 würde später auf der
Tagesordnung stehen . Ich habe eine Rede zu dem Antragsthema Deutschland-Takt im Schienenverkehr vorbereitet, und die will ich auch halten .
({0})
Die Frage ist: Worüber reden wir eigentlich? Ziel des
Deutschland-Taktes - zumindest so, wie wir es verstehen - ist, mit einem bundesweit vertakteten und verknüpften Schienenverkehrsangebot die Attraktivität des
Schienenverkehrs zu erhöhen, indem wir die Reisezeit
verkürzen und die Umsteigemöglichkeiten optimieren .
Damit wollen wir mehr Fahrgäste für das System gewinnen .
({1})
Laut Koalitionsvertrag soll nämlich die „Planung der
Schienenwege … am Ziel eines Deutschland-Takts mit
bundesweit aufeinander abgestimmten Anschlüssen sowie leistungsfähigen Güterverkehrstrassen“ ausgerichtet
werden . Genau das haben wir festgelegt . Und wir haben
gesagt, wir wollen das in mehreren Schritten machen .
Von daher möchte ich Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen vom Bündnis 90/Die Grünen, erst einmal beglückwünschen . Sie setzen mit Ihrem Antrag auf das
richtige Pferd und fahren im Fahrwasser der Großen Koalition . So etwas haben wir natürlich gerne .
({2})
Wenn wir also jetzt grundsätzlich in dem Ziel übereinstimmen, wäre es vielleicht von Vorteil, wenn wir an
einem Strang ziehen und konstruktiv zusammenarbeiten
würden . Frau Leidig, Sie haben es angesprochen: Die
Bevölkerung will den Deutschland-Takt . Er steht im Koalitionsvertrag .
({3})
Auch Sie wollen ihn . Dann lassen Sie ihn uns doch gemeinsam umsetzen .
Wo stehen wir denn bei diesem Deutschland-Takt?
({4})
Es ist zu berücksichtigen, dass solch ein Projekt nicht
von heute auf morgen zu verwirklichen ist . Wenn wir
uns die Schweiz anschauen, die Sie immer gern als Beispiel nennen, dann sehen wir: Auch in der Schweiz ist
der integrale Taktfahrplan nicht von heute auf morgen
gekommen . Es gab auch sehr viele Irrtümer, die gemacht
worden sind . Sie sind behoben worden . Nur so konnte
die Schweiz heute zu einem Musterland des Schienenverkehrs werden .
Bei uns in Deutschland wurde in dieser Legislaturperiode im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums die
Machbarkeitsstudie als erster Schritt fertiggestellt .
({5})
Darin wurde eine Variante, nämlich das Konzept „60-Minuten-Takt, 30-Minuten-Takt“ der Fernverkehrszüge
verschiedener Linien ausgearbeitet und von den Gutachtern empfohlen . Derzeit werden Details in einem Folgegutachten erklärt .
Fest steht für uns von der SPD: Wir unterstützen erst
einmal das Konzept der Deutschen Bahn AG, die Anzahl
der Kunden und der gefahrenen Kilometer im Schienenpersonenverkehr bis 2030 wesentlich zu erhöhen; denn
wenn das Angebot stimmt, dann fahren auch mehr Personen mit dem Zug . Das sieht man im ersten Halbjahr
dieses Jahres sehr deutlich .
Dem langen Warten auf den Bahnsteigen muss dann
ein Ende gemacht werden . Die Menschen erhalten optimale Möglichkeiten zum Umsteigen, und es gilt das Versprechen: In allen Großstädten und wichtigen Mittelzentren sowie in den für den Tourismus wichtigen Regionen
fahren die Züge unabhängig von ihrer Fahrtrichtung zur
gleichen Zeit ein und wieder ab . - So entstehen verlässliche Reiseketten, richtig, aber wir müssen mit kleinen
Schritten anfangen . Das haben wir mit dem Gutachten
getan, und das tun wir mit einem weiteren Gutachten, in
dem Kernpunkte ausgearbeitet werden . Wir tun das auch
mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan; denn wir müssen jetzt anfangen, die Infrastruktur zu bauen, die dann
einen Deutschland-Takt erst ermöglicht . Die haben wir
nämlich noch nicht .
({6})
Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan stellen wir
für den Schienenverkehr über 112 Milliarden Euro zur
Verfügung. Die Investitionsmittel werden dort hinfließen,
wo die größten verkehrlichen Gesamtwirkungen zu entfalten sind . Rund 700 Kilometer Engpässe an Hauptachsen und Knoten werden im Bereich der Schiene beseitigt
werden, und das ist etwas, was sich sehen lassen kann,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Ja, Herr Gastel, es ist noch nicht alles gerechnet worden . Aber wenn es gerechnet wird und es den haushalterischen Anforderungen entspricht, wird es auch in den
Vordringlichen Bedarf kommen und gebaut werden .
Übrigens werden wir das nicht anders handhaben als im
letzten Bundesverkehrswegeplan von Rot-Grün . Da war
das nämlich genauso . Da hat es auch funktioniert .
({8})
Die Anbindungen aller wichtigen Oberzentren an den
Schienenpersonenfernverkehr bis 2030 ist zentrale Voraussetzung und unser Ziel auch mit diesem Bundesverkehrswegeplan .
Infolge der schlechten Zahlen startet die Deutsche
Bahn AG bereits von selbst eine Qualitätsoffensive, ohne
dass wir etwas dazu tun müssen . Mit 25 Prozent mehr
Angebot sollen jährlich 50 Millionen Reisende mehr in
die Bahnen gebracht werden . Neue Städte werden in das
Flächennetz der DB AG aufgenommen, darunter Mönchengladbach, Chemnitz, Krefeld, Potsdam, Fürth, Heilbronn, Trier, Cottbus, Siegen . Insgesamt bekommen über
30 Städte eine verbesserte Anbindung . Der Fernverkehr
in der Fläche soll im Zweistundentakt bedient werden .
Das ist ein Anfang .
Wir als SPD haben die Ergreifung der notwendigen
Maßnahmen hierzu von Anfang an als Schritt in die richtige Richtung begrüßt . In diesem Zusammenhang hat
jetzt der Bund auch vor, seiner Verantwortung als Eigentümer der Deutschen Bahn AG nachzukommen und die
Bahn in den kommenden Jahren mit insgesamt 2,4 Milliarden Euro zu unterstützen . Diese Mittel können in die
Qualitätsoffensive und in die Ausweitung des Angebotes
einfließen. Ich glaube, das ist eine bedeutende Summe.
Sie wird hervorragende Auswirkungen zeigen . Auch das
ist ein Schritt hin auf dem Weg zum Deutschland-Takt,
ein Schritt unseres Planes, den wir in der Großen Koalition beschlossen haben .
({9})
Für uns ist aber auch klar: Den nach Kundenwünschen
optimierten Zeitfahrplan muss die Politik bestimmen .
Das Bundesverkehrsministerium hat dafür einen integralen Taktfahrplan zu erarbeiten . Dabei müssen neben
dem Schienenpersonenfernverkehr gemeinsam mit den
Aufgabenträgern in den Ländern der Schienenpersonennahverkehr sowie die Bedürfnisse des Schienengüterverkehrs mit einbezogen werden . Das Ganze ergibt
nur einen Sinn, wenn wir es als Netz betrachten . Für die
Umsetzung des Deutschland-Taktes bis 2030 müssen im
Vorfeld gemeinsam mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen, den Bundesländern und der DB Netz AG realistische Zwischenschritte definiert werden.
Es gibt noch etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen, was mir in Ihrem Antrag fehlt . Als Sprecherin der
AG Verkehr der SPD-Bundestagsfraktion bin ich nach
wie vor mit den Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen
des Verkehrsträgers Schiene unzufrieden . Es stellt sich
mir unter anderem die Frage, inwiefern eine Mautfreiheit für Fernbusse noch zeitgemäß ist . Weiter stellt sich
die Frage, ob es zur Stärkung des umweltfreundlichen
Systems Schiene nicht auch wichtig ist, den Schienenverkehr von der Stromsteuer zu befreien .
({10})
Die EU-Kommission sieht das ausdrücklich so vor . Auch
das Thema „Senkung der Trassenpreise“ steht zeitnah auf
unserer Agenda .
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also vieles,
was wir auf politischer Ebene erledigen müssen . Es gilt,
viel Überzeugungsarbeit zu leisten . Wir sind dazu bereit .
Herzlichen Dank .
({12})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Dirk Fischer auch eine hoffentlich nicht
länger als fünfminütige Rede zum Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes vorbereitet .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Am morgigen Freitag ist es ein Jahr her, dass wir uns im
Verkehrsausschuss mit der Machbarkeitsstudie für den
Deutschland-Takt befasst haben . Die Studie hat schon
die vormalige Bundesregierung 2013 in Auftrag gegeben . Wir haben ja bereits vom Kollegen Funk die gute
Nachricht gehört, dass dieses Thema im Bundesverkehrswegeplan voll Berücksichtigung gefunden hat . Dabei
wollen die Antragsteller den Bundesverkehrswegeplan ja
stoppen; auch das ist ja ein merkwürdiger Widerspruch .
Ich will ein Zitat liefern . Im Bundesverkehrswegeplan
steht,
. . . dass ein integrierter Taktfahrplan für den Personenverkehr auf dem deutschen Schienennetz beKirsten Lühmann
trieblich, technisch und rechtlich realisierbar ist . Zu
dessen Umsetzung schlägt die Studie eine fahrplanbasierte Infrastrukturentwicklung mit fokussierten
Aus- und Neubaumaßnahmen mit dem Ziel einer
bestmöglichen Lösung für den Taktverkehr vor .
Zugleich sind 3,3 Milliarden Euro für den Ausbau von
Schienenknoten und für „ergänzende Maßnahmen
Deutschland-Takt“ eingeplant worden . Weiter steht wörtlich im Bundesverkehrswegeplan:
Alle Maßnahmenvorschläge der Machbarkeitsstudie Deutschland-Takt wurden in das mehrstufige
Bewertungsverfahren für den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen . Die großräumig wirksamen infrastrukturellen Maßnahmenvorschläge der
Machbarkeitsstudie zum Deutschland-Takt sind dabei Teil der Vorhaben, die zum BVWP 2030 in der
1 . Phase detailliert untersucht wurden . Diese Maßnahmen haben sich dabei als wirtschaftlich erwiesen
und sind in den VB
- Vordringlichen Bedarf eingestuft worden .
Daraus gewinnen wir doch wohl alle den Eindruck, dass
wir voll am Thema dran sind . Wir wollen, und wir treiben
voran . Und darüber haben wir nicht nur geredet, sondern
wir haben bereits getan .
({0})
Im Potenziellen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes sind weitere Maßnahmen zum Ausbau von Strecken
und Knoten vorgesehen, die nach fertiger Planung in den
Vordringlichen Bedarf hochgestuft werden können . Damit sind also die Grundlagen zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen durch den Bund, um einen deutschlandweiten Takt zu ermöglichen, vorhanden .
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den Verkehrsträger Schiene zu stärken und auszubauen . Dafür
aber ist die Erweiterung der Schienenkapazitäten grundlegende Voraussetzung . Wer dieses nicht in den Mittelpunkt seiner Anstrengungen stellt, der redet daher und
bringt nichts voran .
({1})
Ich möchte da ganz deutlich sagen: Wer in Berlin für
einen Deutschland-Takt und die Verlagerung von der
Straße auf die Schiene wirbt, der muss auch vor Ort die
notwendigen Baumaßnahmen fördern und dafür einstehen . Er sollte nicht etwa Bürgerinitiativen gründen oder
unterstützen, die den Bau von Schieneninfrastruktur verhindern wollen .
({2})
Wir werden also genau hinsehen müssen und die großen
Worte in Berlin einem örtlichen Glaubwürdigkeitstest
unterziehen .
({3})
Der Schienenverkehr hat sich seit der Bahnreform
1994 stets positiv entwickelt . 2014 wurden 129 Millionen Fahrgäste mit Eisenbahnen im Linienfernverkehr
befördert . 2015 werden es über 131 Millionen sein . Das
Verkehrsangebot ist die eine, die dafür notwendige Infrastruktur ist die andere Seite einer erfolgreichen Eisenbahnpolitik .
Mit einer Gesamtlänge des Netzes von 34 000 Kilometern, davon 2 200 Kilometer Hochgeschwindigkeitstrassen, besitzt Deutschland gemessen an seiner
Landesgröße das dichteste Schienennetz der Welt . Diese
Eisenbahninfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge muss daher in staatlicher Hand und Verantwortung bleiben, weil damit die Voraussetzungen für einen
attraktiven, nachhaltigen und an den Kundenbedürfnissen ausgerichteten Schienenverkehr gegeben sind .
Unsere Herausforderung wird in den nächsten Jahren
sein - auch das ist schon erwähnt worden -, bis 2030 die
infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, dass in
Deutschland konkrete Taktfahrpläne für den Personenfernverkehr eingeführt werden können . Die Machbarkeitsstudie erwartet, dass der Deutschland-Takt zu einer
erheblichen Steigerung der Nachfrage nach Verkehrsleistungen auf der Schiene führt . Gut erreichbare Anschlüsse, kurze Reisezeiten und eine hohe Verlässlichkeit der
Fahrzeiten sind gerade im Personenverkehr existenzielle
Ziele .
({4})
Wir müssen uns auch mit der Frage der Flexibilität
eines Deutschland-Taktes befassen; denn die Studie geht
von störungsfreien Fahrten und langfristig planbaren
Anmeldungen von Trassen aus . Unvorhergesehene Ereignisse, Verspätungen, die durch grenzüberschreitende
Verkehre in das Haupttransitland Deutschland hineingetragen werden, und kurzfristige Bedarfe sind jedoch auch
Teil der Realität . Im Ausschuss müssen wir auch darüber
sprechen, wie der Deutschland-Takt so flexibel gestaltet
werden kann, dass man auch mit solchen Ereignissen
umgehen kann .
Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf, im Ausschuss eine weitere gute Fachdebatte erleben
zu können .
({5})
Diese Freude ist bei diesem Thema offenkundig ganz
außergewöhnlich stark ausgeprägt, setzt aber voraus, dass
wir überhaupt die Vorlage auf der Drucksache 18/7554
an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
überweisen . Das stelle ich hiermit zur Abstimmung . Ist
jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . Dann stelle ich
Dirk Fischer ({0})
dazu Einvernehmen fest und wünsche für die jetzt schon
im Vorhinein hochgelobten Beratungen viel Erfolg .
Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunk-
ten 14 a und 14 b:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2016/2017 ({1})
Drucksache 18/9533
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes und
weiterer dienstrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/9532
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache 25 Minuten dauern . - Einwände
sehe ich nicht . Dann verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings .
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Präsident hat es bereits gesagt: Es geht um zwei
von der Bundesregierung heute eingebrachte Gesetzentwürfe: einmal zur Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassung für die Jahre 2016/2017 und zum anderen um
eine wichtige Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes .
Ich glaube, wir sind uns einig - das darf ich am Anfang hoffentlich feststellen -, dass Deutschland in den
vergangenen Monaten vor enormen Herausforderungen
stand und noch weiter stehen wird . Die Flüchtlingskrise
bildet hierfür nur das größte Beispiel . Von ihr betroffen
waren und sind die Zivilgesellschaft und der öffentliche
Dienst . Wir sind stolz und froh über das, was das Ehrenamt in dieser Situation geleistet hat . Aber mehr denn je
hat sich auch gezeigt, wie wichtig eine verlässliche und
funktionsfähige öffentliche Verwaltung in diesem Lande
ist .
({0})
Gerade in dieser besonderen Situation hat der öffentliche Dienst seine Qualität und Professionalität eindrucksvoll unter Beweis gestellt . Dies verdient Anerkennung - natürlich nicht nur in finanzieller Hinsicht. Nicht
nur, aber auch wegen dieser Wertschätzung für den öffentlichen Dienst ist es richtig und wichtig, dass wir die
Ergebnisse der Tarifverhandlungen für den öffentlichen
Dienst, also für die Angestellten und Arbeiter, aus dem
Frühjahr 2016 mit einer Erhöhung um 2,2 Prozent für
2016 und um 2,35 Prozent für 2017 jetzt auf die Beamtenbesoldung übertragen .
Die Versorgung der Beamten darf hierbei nicht außen
vor bleiben . Sie gehört zum Paket Besoldung dazu; denn
will der öffentliche Dienst im Wettbewerb um die besten
Köpfe bestehen, muss er, auch vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels, insgesamt attraktive Rahmenbedingungen bieten . Die Versorgung der Beamten ist ein
Baustein in diesem System . Der Erhalt der Beamtenversorgung als eigenständiges Alterssicherungssystem dient
der Funktionsfähigkeit der Verwaltung . Meine Damen
und Herren, sie ist kein Privileg, sondern liegt im allgemeinen öffentlichen und gesellschaftlichen Interesse in
diesem Land .
({1})
Gleichzeitig dürfen die Lasten der Versorgungsausgaben aber nicht vollständig den zukünftigen Generationen
aufgebürdet werden . Zur nachhaltigen Finanzierung der
Beamtenversorgung wurden daher schon mit der Versorgungsrücklage und dem Versorgungsfonds Sondervermögen geschaffen, mit denen die Versorgung der Beamten zukunftsfest und generationengerecht gemacht wird .
Dazu leisten sowohl die Dienstherren mit den Zuführungen zum Versorgungsfonds als auch die Beamtinnen und
Beamten selbst ihren Beitrag; denn die Minderungen der
Besoldungs- und Versorgungsanpassungen um 0,2 Prozentpunkte fließen in diese Versorgungsrücklage.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes geht ein Bekenntnis zu dieser nachhaltigen
Finanzierung der Versorgungskosten einher . Anders als
ursprünglich geplant, wird der Entnahmebeginn nun auf
das Jahr 2032 verschoben und die Minderung der Bezügeanpassungen noch bis 2024 fortgeführt, in Zukunft
jedoch nur noch einmal pro Anpassungsrunde . Warum
tun wir das? Anders als bei Einführung der Versorgungsrücklage im Jahr 1999 für Bund und Länder gemeinsam
prognostiziert, wird der Höchststand der Versorgungsempfänger nach jetziger Prognose beim Bund erst um
das Jahr 2035 erreicht sein . Es wäre also töricht, wenn
man schon vorher dieses System abschaffen würde . Angesichts der demografischen Entwicklung und des Ziels
der generationengerechten Finanzierung ist es daher
sachgerecht, ja geboten, diesen Mechanismus moderat
fortzuführen .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beitrag der Beamtinnen und Beamten zur Versorgungsrücklage ist mit
entscheidend dafür, um die Akzeptanz der Öffentlichkeit
für das System der Beamtenversorgung zu erhalten . Die
Gesamtheit der Ihnen von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen trägt dazu bei, den öffentlichen
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dienst des Bundes so zu stärken, dass er aktuelle und
auch zukünftige Herausforderungen gut meistern kann .
Vielen Dank .
({3})
Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz regeln Sie jetzt die zeit- und inhaltsgleiche Übernahme
der Ergebnisse der Tarifverhandlungen des öffentlichen
Dienstes . Das begrüßt die Linke ausdrücklich . Denn es
gab auch schon Jahre, in denen den Beamten Sonderopfer für die Sanierung des Haushalts abverlangt wurden .
Jetzt sollten Sie unserer Meinung nach noch die Wochenarbeitszeit der Beamten von 41 Stunden der des Tarifbereichs von 39 Stunden anpassen . Das wäre jedenfalls ein
überzeugender Schritt, um der Fürsorgepflicht gegenüber
den Beamten nachzukommen, denken wir .
({0})
Die beabsichtigte Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes in der vorliegenden Form weist die Linke
hingegen mit aller Deutlichkeit zurück . Zwar unterstützen wir die Bemühungen, mehr Einnahmen aus dem
kapitalgedeckten Versorgungsfonds für die seit 2007 in
ein Dienstverhältnis gekommenen Beamten, Richter und
Berufssoldaten zu holen . Aber der beschriebene Weg ist
inakzeptabel; denn er geht unverhältnismäßig zulasten
der Beamten .
Die Speisung des Sondervermögens aus der um
0,2 Prozentpunkte verminderten Besoldungs- und Versorgungsanpassung war eigentlich eine Übergangsregelung, die bis 2018 gelten sollte . Doch jetzt - wir haben es
eben gehört - soll dies bis 2032 festgeschrieben werden .
Das bedeutet in der Praxis eine reale Besoldungskürzung . Der DGB hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf sehr schön dargelegt, dass das allein für 2018 bis
2032 in der Summe eine Kürzung in Höhe von 3,6 Prozent bedeuten würde . Diese ungerechte Politik wird die
Linke auf jeden Fall nicht mittragen .
({1})
Meine Damen und Herren, vor allem aber kritisieren
wir das Vorhaben, mit dem Sondervermögen der Beamten zu spekulieren . Darüber haben Sie eben nicht gesprochen, Herr Krings . Sie wollen genau das Geld, das Sie
den Beamten abgeknöpft haben, zur Renditensteigerung
in risikoreiche Anlagen investieren .
({2})
Völlig unverständlich ist es, dass Sie nach dem Börsencrash von 2008 und den Erfahrungen mit der Hypo Real
Estate wieder zu neoliberalen Finanzierungskonzepten
zurückkehren, die offensichtlich schon längst gescheitert
sind . Damit riskieren Sie einen Totalverlust von öffentlichen Geldern . Das ist zutiefst unverantwortlich .
Unglaublich finde ich auch, dass Sie der Deutschen
Bundesbank die Verwaltung der Sondervermögen entziehen und privaten Investmentgesellschaften übergeben
wollen . Die Kosten dafür sollen aus dem Sondervermögen selbst beglichen werden, das Risiko hingegen liegt
natürlich allein beim Bund . Ich weiß nicht, welcher Lobbyist wem in der Bundesregierung dieses Schnäppchen
abgerungen hat . Auf jeden Fall reiben sich einige Investmentgesellschaften schon die Hände .
Meine Damen und Herren, es ist nachvollziehbar, dass
die Fonds in der aktuellen Niedrigzinsphase nicht die geplanten Erträge abwerfen und man versucht, diese anders
zu erzielen . Wir sagen aber ganz klar: Eine Ertragssteigerung kann ohne Risiko und ohne private Mitverdiener
durch eine Erhöhung der Einlagen erreicht werden . Das
ist angesichts der positiven Haushaltslage unseres Erachtens zu bewerkstelligen . Aber gegen ein neoliberales
Roulettespiel mit Versorgungsrücklagen der Beamten
wehrt sich die Linke eindeutig .
({3})
Deswegen sind wir gespannt auf die Debatte im Ausschuss .
({4})
Das Wort erhält nun Mahmut Özdemir für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz wird der Tarifabschluss 2016/2017
zeit- und inhaltsgleich auf die Bezüge der Beamtinnen
und der Beamten des Bundes übertragen . Das ist kein
Geschenk des Dienstherren, sondern redlich verdient von
dem Teil des öffentlichen Dienstes, der nach bislang herrschender Rechtsauffassung für sich selbst nicht kämpfen
darf . Diese Übertragung wurde und wird gekürzt . Ob
dies in Zukunft so bleiben darf, haben wir nunmehr zu
entscheiden .
Gestatten Sie einen Rückblick: 1997 wurde die Versorgungsrücklage gesetzlich geschaffen . Ausdrücklicher
Zweck war es, das Niveau von Besoldung und Versorgung in gleichmäßigen Schritten von durchschnittlich
0,2 Prozentpunkte um insgesamt 3 Prozent abzusenken .
Anfang 1999 begann diese Entwicklung und sollte planmäßig 2013 enden .
Nach drei Anpassungsschritten entstand allerdings
eine neue Situation . Mit der Einführung der sogenannten
Riester-Rente sollte das Niveau der gesetzlichen Rente über acht Jahre um 4,33 Prozent abgesenkt werden .
Die Übertragung auf die Beamtenversorgung war folgerichtig, hätte aber zu einer zusätzlichen Überlagerung
von Absenkungen geführt, weshalb die Abzüge für die
Versorgungsrücklage ausgesetzt wurden . Diese setzten
deshalb erst wieder ein, nachdem die sogenannte Riester-Treppe mit dem Jahr 2011 abgearbeitet worden war .
In § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes wurde
das 3-Prozent-Ziel gestrichen und das Jahresende 2017
als Endzeitpunkt festgelegt . Ende 2010 berichtete dann
der damalige wie heutige Innenminister Dr . Thomas de
Maizière schriftlich dem Innenausschuss - ich zitiere -:
Mit der Reduzierung des Minderungsziels von
ursprünglich 3 Prozent auf 2 Prozent trug der Gesetzgeber der durch das Versorgungsänderungsgesetz 2001 beschlossenen ({0}) Absenkung
des Versorgungsniveaus um 4,33 Prozent Rechnung .
Auch der Fünfte Versorgungsbericht von 2013 offenbarte keinen zusätzlichen Kürzungsbedarf . Die ursprüngliche Absicht des Bundesinnenministeriums, die Kürzungen bis in die 2030er-Jahre festzusetzen - wenn auch im
Zweijahresrhythmus -, ist deshalb völlig zu Recht auf
Widerstand gestoßen . Die Abzüge für die Versorgungsrücklage und auch deren Verwendung waren von vornherein befristet, im Gegensatz zum Versorgungsfonds für
neueingestellte Beamte .
Der Regierungsentwurf schlägt jetzt nur noch eine
weitere Absenkung um insgesamt 0,8 Prozent vor . Das
ist ein großer Erfolg gegenüber dem Referentenentwurf .
Hinzu kommt, dass im Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz für 2016, nicht aber für 2017 ein
Abzug vorgesehen ist, also nur einmal pro zweijähriger
Besoldungsanpassungsrunde . Damit kämen wir also jetzt
zunächst auf Abzüge von 2,0 Prozent und bis 2024 dann
auf 2,8 Prozent . Das ist auch nicht selbstverständlich,
sondern insbesondere an der Entwicklung in der Rentenversicherung zu messen . Denn es kann nicht angehen,
dass man strukturelle Unterschiede vertieft, um sich am
Ende von einer parallelen Entwicklung völlig abzusetzen .
Wohlgemerkt, es geht gerade uns Sozialdemokraten
um Gerechtigkeit - also, bitte schön, keine Vorteile, aber
auch keine Nachteile für die Beamtinnen und Beamten .
Mehr noch: Wir beabsichtigen, die gesellschaftliche Akzeptanz der Beamtenversorgung zu erhöhen . Dies gelingt sicherlich nur durch die Abschaffung struktureller
Besserstellungen gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern . Konkret formuliert heißt das: Die grundsätzliche, ungekürzte Übernahme von Tariferhöhungen
können Beamtinnen und Beamte ebenso erwarten, wie
von ihnen erwartet werden konnte, die Übernahme nachteiliger Veränderungen des Rentenrechts in die Versorgung zu akzeptieren .
Im Verhältnis zur gesetzlichen Rente ist bemerkenswert, dass der Nachhaltigkeitsfaktor seit seiner Einführung 2005 bis heute völlig unterschiedlich gewirkt hat . In
der Summe ist das Rentenniveau jedoch nicht gesunken .
Eine nicht durchdachte Fortsetzung der Regelungen zur
Versorgungsrücklage verhindert allerdings auch für die
Dauer der Befristung die Debatte darüber, eventuelle Reformen im Rentenrecht wirkungsgleich in die Beamtenversorgung zu übernehmen . Nicht nur aus diesem Grund
sind sicherlich die Gewerkschaften gegen die Fortsetzung dieser Abzüge . Der DGB und unter anderem auch
der BDZ lehnen diesen Vorstoß aus gutem Grunde sogar
ab .
Bei einer Gesamtbetrachtung darf man die Wirkung
der sogenannten Riester-Treppe auch nicht vergessen .
Sie hat übrigens den Vorteil, dass zum einen die Bezüge der Aktiven nicht betroffen waren und zum anderen
das Versorgungsniveau im Höchstsatz erkennbar wurde:
nicht mehr 75 Prozent, sondern nur noch 71,75 Prozent .
Lobend erwähnen möchte ich, dass die Verwaltung
der Sondervermögen bei der Bundesbank verbleibt . Dieses Finanzvolumen in der Versorgungsrücklage, dessen
Verwaltung einige Finanzdienstleister mit glänzenden
Augen sicher erwarteten, ist nichts für - höflich formuliert - offensiv anlegende Finanzmarktstrategen .
Schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Professorenbesoldung hat
die notwendige parlamentarische Selbstvergewisserung
eine besondere Rolle gespielt . Ich erinnere hier noch mal
an den Kollegen Wiefelspütz . Daran darf man auch gerne
erinnern, zumal der Sechste Versorgungsbericht der Bundesregierung noch nicht vorliegt .
Wir sollten uns mit einer Anhörung im Innenausschuss
auch wissenschaftlichen Sachverstandes versichern,
({1})
wofür ich bei allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen
in diesem Haus werbe . Die Notwendigkeit einer allzu oft
angemahnten Eile sehe ich bei diesen beiden Gesetzesverfahren ebenfalls nicht . Es sind also ideale Voraussetzungen für gesetzgeberische Meisterleistungen .
In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und verbleibe mit einem herzlichen
Glückauf .
({2})
Vielen Dank, Mahmut Özdemir . - Guten Abend, liebe
Kolleginnen und Kollegen! - Nächste Rednerin: Irene
Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Herr Özdemir, ich nehme erst mal überrascht zur Kenntnis, dass Sie offensichtlich doch eine
Anhörung zu diesem Gesetz machen wollen,
({0})
weil wir da eine andere Information aus der Obleuterunde hatten . Aber ich bin dem durchaus nicht abgeneigt,
weil es bei diesem Gesetzesvorhaben ja doch zumindest
ein paar Punkte zu diskutieren gibt .
Grundsätzlich sei gesagt, dass die Gestaltung angemessener Dienst- und Versorgungsbezüge ein wesentlicher Teil jeder guten Personalpolitik ist . Dabei versteht
es sich von selbst, dass die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zur amtsangemessenen Besoldung auch
Mahmut Özdemir ({1})
umgesetzt werden, und natürlich ist die vorgelegte Anpassung im Sinne einer Übertragung des Tarifabschlusses des öffentlichen Dienstes in diesem Rahmen richtig .
Dass die Beamtenbesoldung nicht von der Einkommensentwicklung abgekoppelt wird, ist insbesondere für
die Einstiegsämter ein wichtiges Signal; denn schließlich
haben wir alle ein Interesse daran, dass der öffentliche
Dienst auch im Beamtenbereich attraktiv ist . Das spielt
gerade jetzt eine große Rolle, wo wir in den Haushaltsberatungen große Personalaufstockungen vornehmen und
wir alle ein Interesse daran haben, möglichst viele geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Da ist die
Frage der Bezahlung nicht ganz unwesentlich .
({2})
In vielen Bereichen gibt es hohen personellen Nachholbedarf . Teilweise werden neue Stellen im dreistelligen, manchmal sogar im vierstelligen Bereich geschaffen . Das betrifft den Sicherheitsbereich, aber eben nicht
nur . Dieser personalpolitische Richtungswechsel beschäftigt uns nicht nur jetzt in den Haushaltsberatungen,
sondern er wird auch die zukünftigen Haushalte stark
prägen . Deshalb ist es wichtig, sich über eine zukunftsund generationengerechte Finanzierung des öffentlichen
Dienstes Gedanken zu machen .
Dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf zur Anpassung der Besoldung gemeinsam mit dem Gesetzentwurf
zur Anpassung der Versorgungsrücklage diskutieren, ist
kein Zufall . Gleichzeitig gibt es bei beiden Vorlagen noch
wichtige Detailaspekte, die wir uns genauer anschauen
müssen . Ich will mich an dieser Stelle aber nur auf einen Punkt konzentrieren, den die Kollegin Jelpke vorhin
schon angesprochen hat . Er betrifft die Anlagestrategie
im Rahmen der Versorgungsrücklage .
Ich will eines vorwegschicken: Es ist richtig, dass bei
anhaltenden Niedrigzinsen auch nach alternativen Anlageformen gesucht wird . Dabei darf jedoch der Zweck
der Rücklage nicht unbeachtet bleiben . Wenn schon über
die Kapitalmärkte investiert werden soll, so brauchen wir
doch zumindest auch inhaltliche Regelungen, um sicherzustellen, dass die einzelnen Investments zukunftssicher,
nachhaltig und sozial verträglich sind .
({3})
- Na ja, die bisherige Anlagepraxis hatte leider große Defizite, und ich habe die Befürchtung, dass diese Fehler
nun wiederholt oder sogar vertieft werden - wenn man
bedenkt, dass in der Vergangenheit in erheblichem Maße
in Aktien von Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche
investiert wurde, obwohl allen Beteiligten längst hätte
klar sein müssen, dass das keine guten Investitionen in
die Zukunft sind .
Unserer Auffassung nach brauchen wir auf jeden Fall
strikte Anlagevorgaben, die sich an Umwelt- und Klimaverträglichkeit, an Nachhaltigkeit und an sozialen
Kriterien orientieren . Mit anderen Worten: Wir müssen
auch bei diesen Anlagestrategien raus aus Kohle, Öl und
Gas; wir wollen keine Aktien von Atomkonzernen oder
Kriegswaffenherstellern . Die Anlagestrategie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auf jeden Fall ein Punkt, der
dringend zukunftstauglicher werden muss .
({4})
In diesem Sinne freue ich mich auf die Anhörung,
wenn wir die Meinung der Expertinnen und Experten
dazu hören .
Ganz herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Irene Mihalic . - Der letzte Redner in
dieser Debatte: Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die vollbesetzten Reihen sagen etwas über die
Attraktivität des Tagesordnungspunktes aus . In Anbetracht der FDP-Ergebnisse kann man mal wieder Graf
Lambsdorff zitieren, der sagte: Das Parlament ist mal
voller und mal leerer, meistens ist es voller Lehrer . Jeden Einzelnen davon schätzen wir persönlich, das ist
überhaupt keine Frage . Dieses Plenum hat nun einmal
115 Beamte . Ich als selbstständiger Anwalt tue mich deshalb etwas leichter, objektiv über dieses Thema zu reden .
Klar ist, dass wir heute in dieser Debatte vor lauter
Fachbegriffen und Ähnlichem manchmal ein bisschen
aus den Augen verlieren, worum es im Wesentlichen
geht . Dem Kollegen Krings bin ich sehr dankbar, dass er
die entscheidenden Punkte herausgearbeitet hat .
Wir wissen, dass derzeit so viele Beamte wie noch nie
in den Ruhestand gehen. Als demografiepolitischer Sprecher der Union bin ich besorgt . Denn es stellt sich die
Frage: Wie sieht es eigentlich mit qualifiziertem Nachwuchs aus? In diesem Bereich stehen wir in der Tat besonderen Herausforderungen gegenüber .
Dass der Tarifabschluss übernommen wird, dass Beamte, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger die
Ansprüche übertragen bekommen, das ist selbstredend .
Es ist nicht ganz einfach, das in der öffentlichen Diskussion zu vertreten . Tun wir nicht so, als sei das eine Selbstverständlichkeit . Das ist keine Selbstverständlichkeit,
letztendlich aber eine gerechte, eine richtige und eine
notwendige Entscheidung der Politik . Der gesellschaftlichen Debatte, die hierüber geführt wird, muss sich der
Deutsche Bundestag natürlich stellen . Angesichts von
1,7 Millionen Beamten in diesem Land ist dies notwendig .
Die Beamten sind - das will ich noch einmal deutlich
sagen - eine Säule dieses Rechtsstaats .
({0})
In den letzten Monaten hat sich gezeigt, wie wichtig neben all den Menschen, die ihr Menschenmöglichstes tun,
ein organisierter und schlagkräftiger Staat mit Beamten
ist, die eben nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt den
Stift oder Ähnliches fallen lassen, sondern mehr tun,
als sie eigentlich tun müssten . Es gehört aber eben auch
dazu, dass man diesen Beamtinnen und Beamten eine
Perspektive gibt . Nur wer eine Perspektive hat, gerade
was die Versorgung, was den Ruhestand anbetrifft, ist bereit, sich einzubringen .
Wir haben in unmittelbarer Nachbarschaft, auch in
Europa, erlebt, wie es Ländern geht, die sich nicht auf
einen schlagkräftigen, handlungsfähigen und effektiven
Rechtsstaat verlassen können . Deshalb geht es darum,
dass wir diesen Einsatz nicht nur wahrnehmen, sondern
auch honorieren und letztendlich auch die Versorgungszusagen aus den Tarifabschlüssen übernehmen .
Wir sind trotzdem gut beraten, die politische Realität
nicht ganz aus dem Blick zu verlieren . Wir müssen zum
Beispiel wissen, dass eine gestiegene Lebenserwartung
eine demografische Herausforderung darstellt. Das kann
nicht unberücksichtigt bleiben . Deshalb ist es notwendig,
dass die Versorgungsrücklage tatsächlich ein Stück weit
verändert wird . Wir wissen - diesem Fakt ist heute von
keinem der Redner widersprochen worden -, dass der
Peak, also der höchste Berg derer, die als Versorgungsempfänger in den Ruhestand gehen, 2035 erreicht wird .
Daher muss klar sein, dass der Zeitpunkt der Erstentnahme nach hinten verschoben wird .
({1})
Dieses Mittel ist notwendig, es ist angemessen, und es
ist geeignet .
Jetzt hören wir plötzlich, das sei Verrat, das sei ein
Vertrauensbruch . Dieser Vorwurf ist nicht geeignet, nicht
angemessen und letztendlich auch nicht verhältnismäßig;
denn jeder weiß, dass die Argumentation auf Zahlen basiert und wir auch den nachfolgenden Generationen etwas schuldig sind .
({2})
Wer solche Argumente vorbringt, dem ist entweder der
Rechenschieber kaputtgegangen oder er argumentiert
politisch einseitig . Alles andere passt meines Erachtens
nicht ganz .
Damit sind wir bei der Niedrigzinsphase . Unser
Hauptargument für die Einführung dieses Versorgungsfonds war, dass er eine wirklich sichere Säule der Altersvorsorge sein sollte . Liebe Frau Kollegin Jelpke, wenn
Sie sich über etwas aufregen wollen, dann regen Sie sich
über die Niedrigzinspolitik Europas auf; denn die treibt
uns zu diesen Entscheidungen . Wir müssen verantwortungsvoll und nachhaltig mit diesen Finanzmitteln umgehen, damit wir am Ende des Tages sagen können: Wir
werden der Herausforderung gerecht . - Man kann nicht
einfach zuschauen, sondern man muss auf die politischen
Realitäten Einfluss nehmen. Deshalb kann ich nur sagen:
Wenn Sie über etwas reden wollen, dann reden Sie darüber . Das ist etwas, was die Linken bisher leider Gottes
nicht getan haben . Da haben Sie noch etwas Nachholbedarf .
Ansonsten glaube ich, dass die Regierung und wir gut
beraten sind, diese Anpassungen vorzunehmen . Deshalb
sind wir froh, dass es wahrscheinlich eine ziemlich breite
Mehrheit für dieses Gesetzespaket geben wird .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Michael Frieser . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/9533 und 18/9532 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das
frage ich immer, aber es hat noch nie jemand einen anderen Vorschlag gemacht . Ich habe es noch nie erlebt .
Herr Straubinger, haben Sie das schon einmal erlebt? Das
müssten wir einmal testen . - Also, das ist nicht der Fall .
Es gibt keine anderen Vorschläge . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
durchsetzen
Drucksache 18/9667
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ich weiß nicht, ob alle hierbleiben wollen . Das ist ein
spannendes Thema . Es wäre gut, wenn nicht alle Männer
jetzt rausgehen würden .
({1})
Ich freue mich, dass viele Männer an dieser Debatte teilnehmen .
Interfraktionell sind 25 Minuten für die Aussprache
vorgesehen . - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch .
Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Nicole
Gohlke für die Linke .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich 1996 angefangen habe, zu studieren, habe ich mir
nicht träumen lassen, dass sich innerhalb von 20 Jahren
so wenig in Sachen Gleichstellung tun würde und dass
man heute immer noch derart gegen die Diskriminierung
von Frauen in der Wissenschaft kämpfen muss . Das muss
sich endlich ändern . Deswegen hat die Linke heute diesen Antrag vorgelegt .
({0})
Das Problem ist nicht etwa, dass es zu wenig qualifizierte Frauen in der Wissenschaft gibt, sondern das Problem ist, dass die Frauen an eine gläserne Decke stoßen,
dass sie behindert werden . Da muss man endlich politisch ran .
({1})
Frauen absolvieren über die Hälfte aller Studienabschlüsse . Bei den Promotionen gibt es fächerübergreifend mittlerweile einen Frauenanteil von einem Drittel
bis 40 Prozent, aber dort, wo es um die Karriere geht,
bei den Habilitationen, bei den Professuren, bricht es ab;
da verlassen die Frauen das Wissenschaftssystem . Eine
Zahl macht sehr deutlich, wie unfassbar langsam sich
hier etwas tut: Zwischen 2003 und 2013 ist der Anteil
von Professorinnen pro Jahr trotz des aufgelegten Professorinnenprogramms um weniger als 1 Prozentpunkt angestiegen . Diese Zahl ist einfach nur blamabel und sonst
gar nichts .
({2})
In der Wissenschaft gelten leider die gleichen sexistischen Stereotypen wie im Rest der Gesellschaft auch .
Das Klischee des wissenschaftlichen Genies wird typischerweise mit Männern assoziiert . Nach wie vor kämpfen wir mit dem auf die Mutterrolle fixierten weiblichen
Rollenbild in der Gesellschaft . Wir haben es natürlich
auch mit der Tatsache zu tun, dass Führungskräfte dazu
neigen, ihresgleichen zu rekrutieren . All das macht es
Frauen heute immer noch schwer, auf feste Stellen oder
in Leitungsfunktionen zu kommen . Das muss sich endlich ändern . Wir sind im Jahr 2016 und nicht mehr im
vorigen Jahrhundert .
({3})
Dazu kommt die elende prekäre Beschäftigung in der
Wissenschaft. Frauen sind noch häufiger befristet beschäftigt als Männer, weil ihnen der Zugang zu den wenigen Professuren oft verwehrt ist und weil es schlicht viel
zu wenig unbefristete Stellen in der Wissenschaft gibt .
Über 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen
an Hochschulen waren 2012 nur befristet beschäftigt . Solange nicht auch die Bundesregierung endlich engagierte
Impulse zur Schaffung von unbefristeten Stellen gibt, ändert das geänderte Wissenschaftszeitvertragsgesetz daran
nur wenig . Deswegen kann ich nur sagen: Werden Sie
hier endlich aktiv!
({4})
Fatal wirkt sich auch die wettbewerbliche Organisation
des Wissenschaftssystems aus . Wissenschaftlicher Erfolg
wird quasi nur noch an eingeworbenen Drittmitteln oder
an der Anzahl der Publikationen festgemacht . Das fördert
eine ganz ungesunde Kultur von unbegrenzter Verfügbarkeit . In der Wissenschaft zu arbeiten, bedeutet heute doch
meistens, befristet zu arbeiten, unbezahlte Überstunden
zu machen und den Arbeitsort regelmäßig zu wechseln .
Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ein
Leben mit Kindern planen, sind in diesem System nahezu chancenlos . Das darf so nicht bleiben .
({5})
Was hat die Bundesregierung in den letzten Jahren
unternommen? Ich sage einmal: das Übliche . Sie haben
sich im Wesentlichen auf Appelle und auf Selbstverpflichtungen beschränkt, obwohl Sie ganz genau - auch
aus den Beispielen aus der Wirtschaft - wissen, dass das
kaum wirkt . Sie haben auf feste Vorgaben oder Sanktionsmechanismen verzichtet. Mir ist echt unbegreiflich,
wie die Bundesregierung bei der Verabschiedung neuer
Programme, zum Beispiel jetzt beim Programm „Innovative Hochschule“ oder beim Programm zur Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses, wieder darauf
verzichten kann, feste Quoten oder Geschlechtergerechtigkeit als Programmziel zu verankern . Das kann doch
wirklich nicht wahr sein .
({6})
Wir wollen, dass die Bundesregierung endlich Verantwortung übernimmt und zusammen mit der GWK
ein Gesamtkonzept zur Geschlechtergerechtigkeit in der
Wissenschaft erarbeitet, und zwar mit sanktionsfähigen
Zielquoten . Nur so lässt sich in den nächsten fünf bis
zehn Jahren etwas erreichen . Mit Ihren Vorschlägen dauert es eher 50 bis 100 Jahre . Diese Zeit haben wir nicht .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Nicole Gohlke . - Die nächste Rednerin
ist Dr . Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Blick auf die Stellenbesetzungen in unserer Forschungs- und Hochschullandschaft zeigt: Wir haben ein
Problem . Frauen sind viel zu oft unterrepräsentiert, und
immer gilt: Je höher die Karrierestufen und je höher die
Besoldung, desto niedriger der Anteil der Frauen . Diese
Situation - darin stimme ich Ihnen vollkommen zu - ist
nicht akzeptabel . So weit gebe ich Ihnen recht .
({0})
Die Gründe für diese Situation sind allerdings absolut
vielfältig, und wer etwas dagegen tun will, muss entsprechend vielfältig - mit verschiedenen Instrumenten - ansetzen . Vieles geschieht auch schon . Deswegen ziehe ich
aus der wahrlich nicht erfreulichen Situation ganz andere
Schlüsse als Sie in Ihrem Antrag .
Gleich der erste Satz Ihres Antrages ist eine, wie ich
finde, einseitige Beurteilung; denn Sie ignorieren all die
Aktivitäten, die weit über Appelle und Selbstverpflichtungen hinausgehen und die an Hochschulen und Forschungseinrichtungen mittlerweile stattfinden, um die
Chancengerechtigkeit für alle, auch und gerade für Frauen, zu verbessern .
({1})
Leitungsebene und Gleichstellungsbeauftragte ziehen in
der Regel an einem Strang .
Im zweiten Satz des Antrags geht es gleich weiter: Sie
behaupten pauschal, dass Frauen in ganzen Fachrichtungen diskriminiert würden . Wahrscheinlich meinen Sie
die MINT-Fächer und meinen, dass der Frauenanteil hier
in den Führungspositionen immer noch viel langsamer
steigt als anderswo . Sie erwähnen allerdings nicht, dass
nach wie vor viel weniger Frauen ein Studium in diesen
Fächern aufnehmen. Erst recht findet sich mit keinem
Wort, was die Bundesregierung gegen die Studienfachwahl im Sinne der klassischen Rollenbilder mittlerweile auch schon unternimmt . Das beginnt beim Girls’
Day und geht weiter zum Nationalen Pakt für Frauen in
MINT-Berufen . Diese Initiativen wirken . Die Zahl der
Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern ist von rund
45 000 im Jahr 2000 auf immerhin 105 000 im Jahr 2014
gestiegen - mehr als doppelt so viele .
Ich stelle das so ausführlich dar, weil ich erklären
möchte, warum wir von den geforderten fixen Quoten
für Frauen, die bei Ihnen an verschiedenen Stellen vorkommen, nicht viel halten. Man muss, so finde ich, die
konkreten Zahlenverhältnisse berücksichtigen . Deshalb
kommt man auf die Idee des sogenannten Kaskadenmodells .
({2})
Es trägt den Gegebenheiten der jeweiligen Fachrichtung
und Institution nämlich Rechnung und - das ist mir wichtig - setzt das Prinzip der Bestenauslese gerade nicht außer Kraft, nutzt aber die Potenziale und die Verpflichtungen zum Nutzen der bisherigen Karrierestufe in vollem
Umfang .
({3})
Ich erinnere - Sie erwähnten sie als „echte Wegmarke“, und ich finde, das sind sie auch - an die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, auf die sich die
DFG verpflichtet hat - immerhin schon 2008. Ein solcher Kulturwandel, der mit diesen Gleichstellungsstandards eingeleitet wurde, braucht Zeit - sicher mehr, als
uns lieb ist, aber immerhin. Ich finde, wir sind auf dem
richtigen Weg .
Wenn Politik etwas tun soll, dann gehört dazu, mehr
Anreize und verbindlichere Standards zu setzen . Wir
sollten also Institutionen, Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die hier besonders gut
abschneiden, belohnen . Dabei könnten wir auch bei den
Maßnahmen noch viel kreativer werden .
({4})
Ich nenne die Anerkennung von gendersensibler Rekrutierung, die Förderung von Mentoring-Programmen,
den Aufbau von Netzwerken und auch den Gedanken,
Dienstleistungen für Doppelkarrierepaare auszubauen .
({5})
Schließlich schlage ich einen verpflichtenden Berichtspunkt Familienquote vor, um nicht nur die Familienfreundlichkeit der verschiedenen Einrichtungen klarer
erfassen zu können, sondern auch, um da einen Negativwettbewerb auszuschließen . Professorinnenprogramm,
Personalentwicklungs- und Gleichstellungskonzepte als
Kriterium für Exzellenzstrategie und Tenure-Track-Programme: Da passiert doch etwas . Das sind wirksame Anreizsysteme .
({6})
Viele der Überlegungen in Ihrem Antrag sind dagegen, wie ich finde, Ladenhüter; über sie haben wir schon
an so vielen Stellen miteinander diskutiert . Dazu gehört
die Forderung nach Bundesfinanzierung von Aufgaben in
Länderzuständigkeit oder die ständig wiederholte Kritik
am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das wir doch gerade
erst novelliert haben .
({7})
Zum Schluss sei gesagt, dass auch in der Wissenschaft - aus purem Eigeninteresse - längst angekommen
ist: Gleiche Zugangschancen zu Spitzenfunktionen für
alle sind nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern
auch eine Frage der Exzellenzsicherung . Diversität von
Fragestellungen und Forschungsansätzen ist Bedingung
für echte Spitzenforschung . In einem Punkt sind wir uns
hoffentlich einig: Wir brauchen die Kreativität von allen,
die Talente der besten Männer und vor allen Dingen der
besten Frauen .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Nächster
Redner: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wie steht es hierzulande im Jahr 2016 um die Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft? Die Antwort ist eindeutig: Obwohl es viele erfolgreiche Frauen gibt, sind Wissenschaftlerinnen noch
immer unterrepräsentiert und strukturell benachteiligt .
Wir brauchen einen deutlichen Kulturwandel zugunsten
von Frauenkarrieren . Das sage ich als männlicher Feminist in dieser Runde sehr klar .
({0})
Denn es gilt: Je höher die Hierarchieebene und die Besoldungsstufe, desto dünner die Luft für qualifizierte Frauen . Nur 17 Prozent der C-4-Professuren sind in Frauenhand . Das ist eindeutig zu wenig .
({1})
Old Boy’s Networks, männlich geprägte Leistungsdefinitionen und Verhaltenscodes haben noch immer zu
viel Einfluss. Die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern ist im Wissenschaftssystem nach wie vor ziemlich
mühsam . Infolgedessen verabschieden sich viele kluge
Frauen meist nach der Promotion aus der Wissenschaft .
Das ist schlecht für die Kreativität und schlecht für unsere Volkswirtschaft .
({2})
Dabei gab es vor zehn Jahren eine vielversprechende
Aufbruchsstimmung . Die internationale Gutachtergruppe in der Exzellenzinitiative war über die mangelnde
Gleichstellung an deutschen Universitäten entsetzt . Davon aufgeschreckt mahnte der damalige DFG-Präsident
Winnacker 2006 in einem Brief an die Universitäten, ihre
Gleichstellungsziele und -maßnahmen zu konkretisieren .
Er und der damalige Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Rietschel brachten sogar Quoten ins Gespräch, um der
Unterrepräsentanz von Frauen im Wissenschaftssystem
endlich beizukommen .
Immer stärker - später auch durch die DFG-Gleichstellungsstandards - wurde Gleichstellung explizit zum
Exzellenzkriterium, und sie galt als Voraussetzung für
gute Forschung . Besonders wirksam war die Ankündigung der DFG, dass eine schlechte Gleichstellungsperformance die Förderchancen schmälert . Das alles war
gut; denn exzellente Forschung fußt auf Vielfalt .
({3})
Chancengleichheit ist elementar für Qualität und Gerechtigkeit; da sollten wir uns doch alle einig sein .
({4})
Was ist aus den Aufbruchssignalen geworden? Die
Aufholdynamik bleibt noch immer weit hinter dem
Notwendigen zurück . Um besser voranzukommen, ist
die Antwort vielerorts die Kaskade . Ihre verbindliche
Verankerung hat meine Fraktion schon gefordert, als so
etwas wie ein Pakt für Forschung und Innovation noch
gar nicht denkbar war . Aber handelt es sich dort, wo die
Kaskade herangezogen wird, um ein verbindlich ausgestaltetes Instrument? Nein, leider Fehlanzeige . Das muss
sich ändern .
({5})
Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage an die Bundesregierung dokumentiert, dass diese Koalition keinen
einzigen neuen Impuls zur Gleichstellung in der Wissenschaft initiiert hat . Für eine geschlechtergerechte Wissenschaft ist diese Legislatur eine der verpassten Chancen .
Beispiel eins . Bei der neuen Vereinbarung zur Exzellenzstrategie wurde das Thema Gleichstellung nicht stärker berücksichtigt .
Beispiel zwei . Das Professorinnenprogramm war in
der zweiten Runde völlig überzeichnet . Nachsteuerung
und Nachfinanzierung: völlige Fehlanzeige. Wir meinen,
bei der anstehenden Verlängerung sind die Mittel für das
Professorinnenprogramm klar aufzustocken .
({6})
Beispiel drei . Die familienpolitische Komponente bei
der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war
halbherzig .
Beispiel vier . Trotz des sehr ungünstigen Frauenanteils wurden in der letzten Dekade weder verbindliche
Steigerungsquoten eingeführt, noch gibt es wirksame
Anreize oder Sanktionen, wenn selbstgesetzte Gleichstellungsziele verfehlt werden .
Wir können es nicht länger hinnehmen, dass die
fortdauernde Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftssystem Ungleichheiten reproduziert und exzellente Leistungen behindert . Deshalb brauchen wir eine
systematische und stärker institutionenübergreifende
integrierte Steuerung der Gleichstellung, verbindliche
Zielquoten, Anreize und Sanktionsmechanismen, aber
auch mehr Wirksamkeitsforschung .
({7})
In der letzten Legislaturperiode gab es eine sehr gute
gemeinsame Initiative der damaligen Oppositionsfraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
({8})
Als es zu Regierungszeiten um die Umsetzung ging, Herr
Röspel, war wieder einmal Fehlanzeige bei den Sozialdemokraten, und das ist schade .
Ich freue mich, dass die Linksfraktion mit ihrem Antrag die Debatte darüber heute erneut angestoßen hat .
Lassen Sie uns über Ihre und unsere Forderungen im
Ausschuss weiter diskutieren . Echte Gleichstellung ist
überfällig .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Kai Gehring . - Nächste Rednerin - jetzt
ist sie dran -: Marianne Schieder für die SPD .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren
von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich .
Das sagte Max Weber in seinem Vortrag „Politik
als Beruf“ . Ich weiß nicht, ob er damals - es war das
Jahr 1919 - schon an die Geschlechtergerechtigkeit in
der Wissenschaft gedacht hat, aber seine Worte passen
jedenfalls ganz besonders gut zu diesem Feld der Politik .
Wir unterhalten uns hier nicht zum ersten Mal über das
Thema „Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung“
und ganz sicher auch nicht zum letzten Mal . Gerade uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das Thema ein Herzensanliegen, und daher war und ist es für uns
auch immer ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit .
Es ist schon viel auf den Weg gebracht worden; bei
null fangen wir nicht an . Unser Bemühen zeigt auch Wirkungen . Ja, es gibt Verbesserungen, aber dennoch sind
wir sehr weit von einer echten Gleichstellung von Männern und Frauen in Wissenschaft und Forschung entfernt .
({0})
Ja, in Zukunft muss es mit diesen Verbesserungen schneller gehen, weil wir nicht 100 Jahre lang warten können,
bis wir wirklich bei der Gleichstellung angelangt sind .
Das Interessante ist ja, dass wir bei den Studierendenzahlen eigentlich schon ganz gut nach vorne gekommen
sind; denn von den nicht ganz 2,7 Millionen Studierenden sind die Hälfte Frauen . Mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften und einiger naturwissenschaftlicher
Disziplinen haben wir überall ein recht ausgeglichenes
Verhältnis von Männern und Frauen erreicht, und die
Frauen machen meistens die besseren Abschlüsse .
Dann tut sich aber die Schere auf . Nur noch etwa jede
dritte Stelle des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals ist mit einer Frau besetzt, und bei den Professuren
schaut es noch schlechter aus .
({1})
Einer Professorin stehen mehr als vier Professoren gegenüber . Schaut man sich die C-4- und die W-3-Professuren an, dann sieht man, dass der Frauenanteil dort noch
geringer ist . Das ist echt kein Zustand, mit dem wir zufrieden sein können .
({2})
Egal ob man nun ein Kaskadenmodell will oder feste Quoten bevorzugt: Wenn man die Schere schließen
will, dann muss man mehr Frauen fördern und es ihnen
ermöglichen, zu promovieren, dann zu habilitieren und
schließlich berufen zu werden - und das alles natürlich in
einem planbaren Rahmen ohne Aneinanderreihung von
befristeten Arbeitsverhältnissen .
Es ist heute schon erwähnt worden, aber auch ich
möchte es betonen: 2017 läuft eines der wichtigsten Instrumente im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit an
Hochschulen aus, nämlich das Professorinnenprogramm .
Es muss beibehalten und nach unserem Dafürhalten auch
entsprechend ausgebaut werden;
({3})
denn es ist nicht zuletzt wegen dieses Programms immerhin gelungen, den Frauenanteil von 2005 bis 2015 um
circa 10 Prozent anzuheben . Es gibt jetzt 10 000 Professorinnen bei insgesamt 46 000 Professuren . Ich sage es
noch einmal: Das ist eine positive Entwicklung, aber natürlich noch viel zu wenig .
Die große Errungenschaft dieses Programms ist aber
auch, dass sich wirklich flächendeckend die Hochschulen
mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit auseinandergesetzt und Strategien entwickelt haben, die die komplette Hochschule in den Blick nehmen . Das Ganze war
also nicht nur wieder irgendein Frauenförderprogramm,
das man vorschieben konnte, um sich in allen anderen
Bereichen nicht mehr kümmern zu müssen . Daher werden auch wir für die Weiterführung dieses Programms
kämpfen .
Aber ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon noch etwas zu Ihrem Antrag sagen . Ja, in diesem Antrag steht viel Wahres und Unterstützenswertes;
aber, ehrlich gesagt, kommt mir dieser Antrag so vor wie
das Schreiben unserer Kinder ans Christkind, alle Jahre
wieder an Weihnachten: Man schreibt wirklich alles auf,
was man sich so für die nächsten Jahre und Jahrzehnte
wünschen kann, und wartet dann, bis an Weihnachten alles geliefert wird .
({4})
Für Wünsche ans Christkind ist es natürlich egal, wie das
alles bezahlt werden kann und wer dafür zuständig ist .
Aber mit solchen Wunschzetteln, meine ich, sollte man
sich hier nicht beschäftigen .
({5})
- Frau Kollegin, lesen Sie sich einmal diesen Antrag ohne
die Brille der Linken wirklich durch . Dann sehen Sie Seiten voll mit allem, was man sich nur irgendwie vorstellen kann, ob der Bund zuständig ist oder auch nicht, und
keine Aussagen darüber, wie man das alles leisten kann .
Im Ausschuss werden wir sicher Gelegenheit haben,
noch weiter und intensiver zu diskutieren .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Danke, Marianne Schieder . - Jetzt war ich auch gerade Christkind und habe Ihnen eine Minute geschenkt .
({0})
Alexandra Dinges-Dierig ist die Nächste für die CDU/
CSU-Fraktion .
({1})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Gäste zu so später Stunde! Geschlechtergerechtigkeit und Personalentwicklung in der
Wissenschaft ist wirklich ein extrem wichtiges Thema .
Aber für Sie, liebe Nicole Gohlke, ist es vielleicht nicht
wichtig genug . Jetzt muss ich da fortfahren, wo Marianne
Schieder gerade aufgehört hat: Warum haben Sie in Ihrem Antrag dieses Thema nicht wirklich in den Mittelpunkt gestellt und darauf fokussiert?
({0})
Das haben Sie vergessen .
Als Statistikerin begrüße ich es natürlich, dass Sie die
Fakten mit viel Zahlenmaterial unterlegen. Das finde ich
richtig gut . Und dann wieder bleiben Sie auf halber Strecke stehen . Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Überproportional viele Frauen verlassen nach der Promotion die
Wissenschaft . Das ist per se weder positiv noch negativ .
({1})
Aber warum sie die Wissenschaft verlassen, das verschweigen Sie in Ihrem Antrag, und das verschweigt
auch die zitierte Studie . Bei der Studie ist es klar; die
hatte einen völlig anderen Auftrag . Die sollte die Zahlen
zum heutigen Iststand liefern . Aber Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hätten jetzt die Chance gehabt, aus
den anderen Studien, die es gibt, uns ein wenig Material
zu geben und zu sagen: Was führt denn überhaupt dazu,
dass jemand nach der Promotion abbricht? Wo stimmt
etwas nicht?
Die Frage nach dem Warum hat zum Beispiel eine
CHE-Studie aufgegriffen und auch viele andere Studien,
in denen Professoren und Professorinnen befragt wurden .
Eins ist eindeutig - es ist völlig egal, welche Studie Sie
nehmen -, und das ist nämlich das Interessante: Auf Platz
eins der Gründe für das frühe Ausscheiden von Wissenschaftlerinnen steht die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das finden Sie überall, und das muss
uns einfach zu denken geben .
({2})
Unabhängig von den Forschungsfeldern ist festzustellen, dass Brüche in den beruflichen Biografien immer
dann entstehen, wenn eine Familie gegründet wird . Dieses Hindernis abzustellen, das müssen wir uns wirklich
vornehmen, und wir können prüfen, was Politik dazu
beitragen kann .
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass wir
die klügsten Köpfe der Wissenschaft nur dann bekommen, wenn wir uns die Gesamtheit aller Männer und
Frauen anschauen . Es muss sich unser aller Denken ändern .
({3})
Vor diesem Hintergrund nützt uns auch die nächste und
die übernächste Gesprächsrunde nichts; da bin ich ganz
bei Ihnen . Aber es stimmt auch nicht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, dass, wie Sie meinen,
durch Abschaffung der projektbezogenen Förderung, wie
Sie schreiben, oder der befristeten Stellen hier auch nur
irgendwas für die Gleichberechtigung getan wird . Das ist
gerade nicht der Fall .
({4})
Wir müssen nicht nur Vorbilder schaffen; die fehlen
nämlich auch, und zwar nicht nur in der Wissenschaft,
sondern zum Beispiel auch in der Politik oder in der
Wirtschaft, sondern wir müssen auch genau darauf achten, wie die Bedingungen im öffentlichen Dienst sind .
Denn Wissenschaftseinrichtungen gehören zum öffentlichen Dienst . Durch das Zuwendungsrecht haben wir beispielsweise ein Problem bzw . weniger Flexibilität bei der
Unterstützung von Familien mit Schulkindern . Das kann
zwar die Wirtschaft machen, aber das kann eine Wissenschaftseinrichtung nicht machen . Das hat etwas mit unserem Zuwendungsrecht zu tun . Da sollten wir einfach
einmal hinschauen .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben diesen Dingen gilt es natürlich auch, tradierte Verhaltensmuster
irgendwann einmal zu überwinden . Das dauert ein bisschen, leider nicht nur in der Wissenschaft . Durch politische Veränderung hat sich etwas getan . Ich denke, wenn
wir das Heute mit dem Gestern vergleichen, sieht man
schon, was sich verändert hat .
Wir müssen auch sagen: Genauso wie wir bei Kindern
den Lernzuwachs bewerten, sollten wir auch hier den
Zuwachs bewerten . Ich komme gerade von der Helmholtz-Tagung . Zwischen 2005 und heute - ich habe die
Zahlen extra mitgeschrieben - ist der Frauenanteil von
4,7 auf 13,4 Prozent gestiegen . Das sind kleine Zahlen .
Aber der Zuwachs beträgt 185 Prozent . Das sagt etwas
über Entwicklung aus . Deshalb sollten wir da weitermachen und vonseiten der Politik strukturelle Änderungen
weiter vorantreiben. Da sage ich nur eins: flexible Laufbahnen, Betreuung von Schulkindern, Berichte über Familienquoten . All dies dient dazu, Probleme bewusst zu
machen .
Was gilt es vor Ort zu tun? Die Leitungsebenen müssen eine andere Haltung vorleben . Karrieren müssen
anders beschrieben und anders vereinbart werden . Wir
müssen Personalentwicklungskonzepte einfordern . Es
stimmt eben nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode nichts getan haben . Die neue Exzellenzstrategie und
das Tenure-Track-Programm sind beides Vorhaben mit
enormer Strahlkraft, ausgestattet mit vielen Millionen .
In diesen Papieren steht, dass bei Bewerbungen um Fördermittel eine Voraussetzung erfüllt sein muss: Es muss
ein Personalentwicklungskonzept geben, und ein Personalentwicklungskonzept hat ein Gleichstellungskonzept .
({6})
Das haben wir gefordert, das werden wir auch in Zukunft fordern; denn nur dann gibt es etwas von den Millionen für die großen Programme . Gelder für wichtige
Projekte zu geben, ist das eine . Aber den echten Wandel
einzufordern, ist das andere . Das wollen wir auch in Zukunft tun .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Alexandra Dinges-Dierig . - Die letzte
Rednerin in dieser Debatte: Dr . Daniela De Ridder für
die SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, soweit noch einige da sind! Liebe Frau Gohlke! Ich war lange Jahre
Gleichstellungsbeauftragte an verschiedenen Hochschulen in Niedersachsen . Das, was Sie in Ihrem Antrag aufgeführt haben, habe ich deshalb mit dem größten Wohlwollen gelesen .
Ich habe in Ihrer Analyse viele Punkte entdeckt, bei
denen ich gesagt habe: Ja, da haben Sie völlig recht . Sie
gehen auf die Hochschulen ein, die Universitäten und die
Fachhochschulen . Sie haben deutlich gemacht: In den
Forschungseinrichtungen muss einiges passieren; völlig
d’accord . Sie erwähnen - das ist angesichts der vielen
Ausblendungen, die in Ihrer Partei sonst üblich sind,
produktiv; jedenfalls habe ich es so interpretiert - das
Professorinnenprogramm . Sie erwähnen das Kaskadenmodell; alles richtig und wichtig .
({0})
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz findet Anerkennung, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel . Aber auch
hier habe ich Wohlwollen herausgelesen . Sie haben bemerkenswerterweise - das hat mich besonders gefreut auch die schwierigen Arbeitsbedingungen der Gleichstellungsbeauftragten angesprochen . Das ist alles gut und
richtig und auch kritisch zu würdigen .
Dann aber haben Sie mich mit Ihren Widersprüchen
und Ihrem Wankelmut irritiert .
({1})
Ich habe nicht erkennen können, wohin die Reise geht,
liebe Frau Gohlke. Mal reden Sie von mehr Grundfinanzierung, mal wollen Sie mehr Programmförderung . Einerseits reden Sie von Kaskaden, andererseits aber wollen Sie starre Quoten. Ich finde, Sie müssten sich einmal
entscheiden, was Sie genau wollen .
({2})
Dann haben Sie mit Zahlen operiert, die ich überhaupt
nicht nachvollziehen konnte . Sie sind weder konsistent
hergeleitet noch irgendwie nachvollziehbar . Sie reden
von 100 000 unbefristeten Stellen .
({3})
Marianne Schieder hat schon gesagt: Im Himmel ist nicht
Jahrmarkt, und Weihnachten haben wir auch noch nicht .
({4})
Dann wiederum wollen Sie 44 000 Vollzeitäquivalente . Woher kommen sie? Warum? Wie sind sie eingebunden? Ich finde, das könnten Sie ruhig begründen. Dazu
werden Sie sicher Gelegenheit haben .
Dann wird es ärgerlich, Frau Gohlke . Dann machen
Sie in Ihrem Antrag richtig dicke Fehler . Das ist handwerklich wirklich schlecht gemacht und zeigt, dass Ihr
Antrag mit heißer Nadel gestrickt ist . Sie fordern, dass
die Fachhochschulen im Professorinnenprogramm einen
anderen Stellenwert bekommen sollen und tun geradewegs so, als wäre das Programm für Fachhochschulen
nicht gedacht . Das Gegenteil ist der Fall: Die Fachhochschulen profitieren im Verhältnis zu den Universitäten
überproportional vom Professorinnenprogramm . Gehen
Sie einfach auf die Internetseite des BMBF und schauen
dort nach . Das ist der einfachste Weg, das zu prüfen . Sie
tun so, als würden wir eine ganze Hochschulgruppe aussparen . Das ist schlicht falsch .
({5})
Dann will ich Ihnen noch sagen: Sie wollen, dass
überall konsistent Gleichstellungspläne entwickelt werden . Ja, liebe Frau Gohlke, dann schauen Sie sich das
Professorinnenprogramm noch einmal ganz genau an .
Die Hochschulen bekommen gar keine Antragsbewilligung, wenn sie keinen Gleichstellungsplan vorlegen . Das
muss man einmal zur Kenntnis nehmen . Die Hochschulen bewegen sich .
({6})
Ich mache Ihnen einen Vorschlag zur Güte: Wir gehen
noch einmal in den Ausschuss und schauen, wie konkrete
Maßnahmen aussehen könnten .
({7})
Und dann adressieren wir das auch, denn beim Thema
Geschlechtergerechtigkeit geht es nicht nur um Frauen,
sondern auch um Männer .
({8})
Das machen wir aber nicht mehr heute Abend!
Das machen wir, liebe Frau Präsidentin, genau an der
richtigen Stelle zur richtigen Zeit .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Daniela De Ridder . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9667 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz
vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
Drucksache 18/9535
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/9535 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich brauche gar
nicht zu fragen, ob es andere Vorschläge gibt . Dann ist es
so beschlossen .
Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Tabea
Rößner, Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian
Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht
der Presse gegenüber Bundesbehörden ({1})
Drucksache 18/8246
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Kultur und Medien ({3})
Sportausschuss
1) Anlage 12
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Sie sind damit
einverstanden . - Ich bitte Sie alle, Ihre Plätze einzunehmen und den Kolleginnen und Kollegen zuzuhören oder
draußen weiterzureden .
Ich eröffne die Debatte und gebe Tabea Rößner für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Seit 2013 haben Bundesbehörden ziemlich leichtes Spiel,
wenn sie unliebsame Anfragen von Journalisten abblocken wollen, denn da urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass die Landespressegesetze nicht auf Bundesministerien oder Bundesbehörden anwendbar sind, und
warf so eine jahrzehntelange Rechtspraxis kurzerhand
über Bord . Journalisten bewegen sich seitdem auf unsicherer Rechtsgrundlage, und Behörden können bei ihren
Ausreden sehr kreativ sein, wenn sie Auskünfte verwehren wollen . Das betrachten wir als unhaltbaren Zustand .
({0})
Gerade gestern hatten die Leipziger Richter wieder einen solchen Fall auf dem Tisch . Der Axel-Springer-Verlag möchte endlich wissen, wer in seinem Haus in den
50er- bis 70er-Jahren vom BND bespitzelt wurde . Der
Fall wird nicht zum ersten Mal verhandelt . Bisher haben
die Geheimdienstler die Akten aber nur geschwärzt herausgerückt . Jetzt wollen sich die Richter all das noch
einmal genau anschauen, bevor sie dann entscheiden .
Das Hickhack um die Akten zeigt aber, wie mühsam
es für Journalisten ist, an Informationen zu gelangen,
und warum wir dieses Gesetz endlich brauchen . Bei den
vielen Fällen, die mittlerweile streitig auf den Gerichtstischen liegen, geht es nicht um Firlefanz, sondern um
Fragen, deren Beantwortung uns alle sehr interessieren
dürfte . Wie etwa steht es um die NS-Verstrickung von
BND-Mitarbeitern in der Nachkriegszeit? Warum hält
man über 50 Jahre nach der Hinrichtung des NS-Verbrechers Adolf Eichmann eine Geheimhaltung „zum Wohle
der Nation“ noch für erforderlich?
({1})
Und auch die rund 5 000 Seiten dicke Barschel-Akte
dürfte viel Erhellendes zutage fördern . Hier wird geblockt, was das Zeug hält, und das sind nur einige der
Fälle, bei denen Verlage und Journalisten hartnäckig
blieben und tatsächlich vor Gericht zogen .
Liebe Kollegen von der SPD - Sie sind nur noch in
geringer Zahl vertreten -,
({2})
Ihre Fraktion hat sich doch mehrfach für dieses Presseauskunftsgesetz eingesetzt .
({3})
Haken Sie doch einfach Ihre Unionskollegen unter, und
versuchen Sie, diese Blockade zu überwinden!
Immerhin habe ich inzwischen auch aus Richtung der
Union Zeichen bekommen, dass ein solches Gesetz auf
den Weg gebracht werden könnte . Daher bitte ich Sie:
Lassen Sie uns das endlich gemeinsam anpacken .
({4})
Ich gebe Ihnen auch gerne noch ein paar Entscheidungshilfen . In einer Anhörung im Bundestag haben dju
von Verdi, DJV und Verleger allesamt ein solches Gesetz
begrüßt, ebenso wie die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit .
Gerade vergangene Woche hat sich auch der Deutsche
Juristentag mit dem Thema befasst und empfohlen, einen
Auskunftsanspruch für Medien gegenüber der Strafjustiz
zu verankern . Das ist vorbildlich . Allerdings sollte man
das Problem nicht nur in Teilbereichen lösen . Es braucht
einen Auskunftsanspruch, der für alle Institutionen auf
Bundesebene gilt .
({5})
Und nein, der Mindestanspruch, den das Bundesverfassungsgericht für diese Fälle aus Artikel 5 des Grundgesetzes abgeleitet hat, diszipliniert die Behörden eben
nicht . Das sieht man alleine an den vielen Rechtsstreitigkeiten, die auflaufen. Es ist daher dringend notwendig,
Rechtssicherheit für die Medienschaffenden herzustellen .
Diese und die angefragten Behörden müssen Klarheit darüber haben, wie weit der verfassungsrechtlich verwirkte
Auskunftsanspruch reicht und welche Ablehnungsgründe gelten dürfen .
Von Pressefreiheit reden in letzter Zeit viele, aber
etwas dafür tun wollen nur wenige . Sehr geehrte Damen und Herren, der öffentliche Auftrag der Presse ist
verfassungsrechtlich geschützt . Es darf nicht sein, dass
Journalisten ihr Recht erst durch die Instanzen einklagen
müssen . Lassen Sie uns deshalb gemeinsam den Auskunftsanspruch für Journalisten auf Bundesebene verbessern und damit auch die Pressefreiheit stärken .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Tabea Rößner . - Nächster Redner:
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Lassen Sie mich bitte
eines vorausschicken: Es ist vollkommen unstreitig, dass
die Pressefreiheit elementar ist und dass sie ein zentrales Grundrecht ist . Ich glaube, gerade auch im Lichte der
deutschen Geschichte und des Umstands, dass im letzten
Jahrhundert in zwei schrecklichen Diktaturen die Presseund die Meinungsfreiheit unterminiert wurden und damit
auch die perfide Diktatur jeweils aufrechterhalten wurde,
ist es umso wichtiger, dass wir uns nachdrücklich für die
Pressefreiheit einsetzen und sie schützen .
Ich möchte an dieser Stelle das Bundesverfassungsgericht zitieren, das schon vor 50 Jahren festgehalten hat,
dass die Pressefreiheit „schlechthin konstitutiv“ für den
demokratischen Rechtsstaat ist . An diesem Befund hat
sich bis zum heutigen Tage nichts geändert .
Aber - jetzt kommen wir zum Thema, sehr verehrte
Frau Kollegin Rößner - nicht jedes Gesetz, das den Titel
„Presseauskunftsgesetz“ trägt, würde die Presse wirklich
stärken . Das Gegenteil ist der Fall . Der Gesetzentwurf,
den Sie heute in erster Lesung vorlegen, wäre genau kontraproduktiv .
({0})
- Lassen Sie mich das bitte erläutern .
Zur Vorgeschichte: Es gibt eine Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2013, die mit
der bisher geltenden Rechtspraxis aufgeräumt hat, dass
die Pressegesetze der Länder ausreichten, um einen Anspruch der Presse auch gegenüber den Bundesbehörden
zu begründen .
({1})
Das war bis zu dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur die geübte Rechtspraxis, sondern
auch die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft,
und meines Erachtens auch mit guten Gründen, weil es
keines einfachgesetzlichen Anspruchs bedarf, weil es
vielmehr nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes einen verfassungsunmittelbaren Anspruch der Presse
auch gegenüber den Bundesbehörden gibt .
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat dann im Juli 2015
dies sogar noch einmal präzisiert, indem es deutlich
gemacht hat, dass dieser verfassungsunmittelbare Anspruch, der sich allein schon aus dem Grundgesetz ergibt,
nicht nur ein Mindestmaß an Auskunft gewährleistet,
sondern einen Anspruch auf dem gleichen Niveau, wie
ihn die Landesgesetze gewährleisten . Der Anspruch gegenüber den Bundesbehörden darf also nicht hinter dem
Anspruch, den die Landesgesetze vermitteln, zurückbleiben .
Sie haben erwähnt, dass die SPD in der letzten Legislaturperiode selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt hat,
der dann interessanterweise Gegenstand einer Anhörung
war . Anders als bei Anhörungen üblich, in denen sich
die Sachverständigen durchaus auch widersprechen und
miteinander streiten, waren sich die Sachverständigen in
dieser Anhörung vollkommen einig, dass dieser Gesetzentwurf verfassungswidrig ist, da er schon allein die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt,
({3})
weil es eben keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes
gibt .
({4})
Der Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorlegen, ist nicht
nur formell, sondern auch materiell verfassungswidrig,
weil er hinter der Qualität und der Quantität der Ansprüche zurückbleibt, die durch die Ländergesetze vermittelt
werden . Es gibt eben im Gegensatz zu Ihrer Darstellung
keine Gesetzgebungslücke .
({5})
Abgesehen davon weist Ihr Gesetzentwurf auch erhebliche inhaltliche Schwächen auf . Nur ein Punkt: Der
Titel des Gesetzentwurfs lautet „Presseauskunftsgesetz“ .
Sie sprechen dann aber im Gesetz von den Medien . Allein schon was die Terminologie anbelangt, offenbart
sich hier ein Widerspruch .
Des Weiteren ist anzumerken, dass der Auskunftsanspruch nicht nur zu ermittelnde, sondern auch zu beschaffende Informationen umfasst . Sie gehen sogar über
alle Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der
Länder hinaus, indem Sie den Journalisten nicht nur den
Anspruch gewähren, Auskunft zu erlangen, sondern auch
einen Anspruch gegenüber den Behörden vermitteln,
dass diese die Informationen auch zu beschaffen haben .
Sie machen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes
zu Erfüllungsgehilfen - ich möchte sogar sagen: zu Beschaffungsgehilfen - der Journalisten . Dafür ist die öffentliche Hand wirklich nicht zuständig .
({6})
Es gibt hier keine Rechercheverpflichtung der öffentlichen Hand gegenüber Journalisten, es gibt keine Pflicht
zur Beschaffung von Informationen . Vor diesem Hintergrund ist Ihr Gesetzentwurf vom Grundsatz her abzulehnen .
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen . Sie sprechen in § 1 Absatz 4 Ihres Gesetzentwurfs davon, dass
der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten ist . Es
ist, sehr geehrte Frau Kollegin Rößner, eine Selbstverständlichkeit, dass die Verwaltung an den Grundsatz der
Gleichbehandlung gebunden ist .
Viele Gründe sprechen also gegen diesen Gesetzentwurf . Ein Zitat von Charles Baron de Montesquieu wird
hier häufiger vorgetragen. Ich glaube, es findet auf keinen Gesetzentwurf eine so gute und treffende Anwendung wie auf diesen Gesetzentwurf:
Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,
dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .
({7})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank, Stephan Mayer . - Dann haben wir den
Nächsten in der Debatte: Harald Petzold für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste - auch wenn es nur noch wenige sind - auf den Besuchertribünen! Das war schon eine
ganz gewaltige Pirouette, die hier in der Debatte über das
Presseauskunftsgesetz gedreht worden ist,
({0})
nämlich zum einen die Übereinstimmung aller Fraktionen in der Frage der Pressefreiheit zu betonen, aber zum
anderen Frau Rößner derart das Wort im Munde herumzudrehen, wie das hier durch den Kollegen Mayer passiert ist . Aber egal .
({1})
Das zeigt leider, dass es mit dem Unter-die-Arme-Greifen wahrscheinlich nicht so einfach sein wird, selbst
wenn die SPD guten Willen aufbringen sollte .
({2})
Aber vielleicht sollten wir uns auf den Kern, um den
es geht, zurückbesinnen . Es geht nämlich nicht nur um
die Pressefreiheit, sondern es geht eigentlich auch um ein
urdemokratisches Recht, nämlich das Recht der Öffentlichkeit auf Information und Transparenz . Das sollten wir
vielleicht nicht ganz unter den Teppich kehren .
({3})
Denn dieses Recht wird immer wieder auf eine sehr
harte Probe gestellt, nicht nur weil Geheimdienste nicht
besonders auskunftsfreudig sind, sondern auch weil
Geheimniskrämerei, was öffentliche Verwaltungen anbelangt, offenbar sehr oft vor Demokratie geht und vor
Transparenz allemal . Deswegen sind wir sehr froh, dass
Bündnis 90/Die Grünen heute diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben - auch wenn ich ein bisschen sauer darüber bin, dass er heute früh noch in die Tagesordnung gedrückt wurde, sodass wir zu fast nachtschlafender Stunde
darüber reden müssen . Aber sei es drum, wichtig ist, dass
wir darüber reden . Sie haben die Genesis, die Umstände,
wie es zustande gekommen ist - dabei ging es um das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes -, genannt, Frau
Kollegin Rößner . Auch der Kollege Mayer hat darauf BeStephan Mayer ({4})
zug genommen . Insofern bin ich also ganz froh, dass wir
das hier gemeinsam öffentlich besprechen .
Es wäre eigentlich ein ganz einfacher Akt, die bestehende Rechtsunsicherheit, die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt worden ist, abzustellen . Sie wurde
bislang auch in den Diskussionen über die Föderalismusreform bzw . die Zuweisung des Gegenstandes an
die Länder festgestellt . Dafür bräuchte es aber natürlich
einen entsprechenden politischen Willen . Da will ich zumindest die SPD noch einmal auf den Kollegen Dörmann
verweisen, der in der Debatte am 27 . Juni 2013 richtigerweise gesagt hat:
Es geht der Bundesregierung darum, die verfassungsrechtlich zugesicherten Auskunftsansprüche
für die Medien so klein wie möglich zu halten .
Das ist nämlich das Problem, vor dem wir stehen . Die
Einschätzung ist richtig . Leider hat er sie seitdem nicht
wiederholt .
Ich will hoffen, dass wir die Zusage des Kollegen
Hartmann, dass Sie dem Koalitionspartner an der Stelle
durchaus unter die Arme greifen wollen, um hier weiter
voranzukommen, ernstnehmen können . Sehr optimistisch bin ich nicht, weil nämlich im Bundesarchivgesetz
Regelungen getroffen werden, die im Grunde genommen
das Recht auf Informationsfreiheit, das im entsprechenden Informationsfreiheitsgesetz geregelt ist, schon wieder konterkarieren, wenn dort geschrieben steht, dass
es den Geheimdiensten praktisch selbst überlassen ist,
welche Informationen sie an die Presse bzw . die Öffentlichkeit geben und welche Unterlagen ans Bundesarchiv
übergeben werden . Das kann uns nicht befriedigen, und
das kann so nicht bleiben . An der Stelle müssen wir eben
auch bei anderen Gesetzen nachbessern . Es ist nicht so,
dass wir nur ein Presseauskunftsgesetz brauchen .
({5})
Wir haben nicht zuletzt durch den NSU-Skandal und
die NSA-Massenbespitzelung gelernt: Geheimdienste
neigen dazu, sich zu verselbstständigen und der demokratischen Kontrolle zu entziehen . Die offene Gesellschaft
muss sich dagegen wehren . Mit einem Presseauskunftsgesetz würden wir ein Instrument schaffen, um diesem
gefährlichen Prozess zumindest ein Stück Widerstand
entgegensetzen zu können . Insofern wird meine Fraktion
diesen Gesetzentwurf unterstützen und ihm auch zustimmen .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank, Harald Petzold . - Nächster Redner ist
Sebastian Hartmann für die SPD .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Gäste, die zu diesem Zeitpunkt noch anwesend sind und uns hier an dieser Stelle folgen! In der
Tat ist es so, Frau Rößner, dass wir das relativ einfach
machen könnten . Jetzt haben auch Sie es sich ja relativ
einfach gemacht, indem Sie einen sehr guten Gesetzentwurf, den die SPD in der vergangenen Legislaturperiode
vorgelegt hat, einfach kopiert und um bestimmte Punkte
ergänzt und daraus den Entwurf eines eigenen Informationsfreiheitsgesetzes gemacht haben .
({0})
- Ja, das könnte man aber relativ einfach nachvollziehen,
wenn man die beiden Drucksachen vergleicht .
({1})
- Regen Sie sich doch nicht so auf, Sie wissen doch noch
gar nicht, was ich dazu sagen werde .
({2})
Oder können Sie in die Zukunft schauen?
An der Stelle will ich Ihnen eindeutig versichern, dass
die SPD-Fraktion nicht von ihrer Position abrückt, vielmehr sind wir - mehr noch - tatsächlich der Auffassung,
dass es Zeit ist, einen solchen Anspruch auch zu bekräftigen, dass man so etwas gesetzlich normieren kann . Wir
haben uns damals für ein Presseauskunftsgesetz oder ein
entsprechendes Pressefreiheitsgesetz eingesetzt . Es gab
im Innenausschuss eine sehr umfassende Anhörung, aus
der auch schon zitiert worden ist . Damals hatte Kollege Bosbach dem anderen Kollegen Hartmann noch ganz
herzlich zum Geburtstag gratuliert . Und danach setzte es
sich fort, dass einmütig die Auffassung vertreten wurde,
dass man einen solchen Anspruch auch normieren kann .
Deswegen sollten Sie sich also nicht aufregen . Sie haben diesem Gesetzentwurf damals nur nicht die nötige
Zustimmung geschenkt . Sie haben sich enthalten, als es
um ihn ging .
({3})
- Man muss da schon bei den Fakten bleiben .
Zweitens hat der Kollege Mayer ausgeführt, dass es
vielleicht nicht notwendig ist, ein solches Gesetz zu erlassen . Wir waren damals anderer Auffassung und bleiben bei dieser Auffassung . Wir haben nach dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichtes im Jahre 2013 eine
bestimmte Rechtslage zur Kenntnis nehmen müssen . Es
wurde festgestellt, dass in der Annexkompetenz die Länder das nicht für den Bund mitregeln können, sondern
dass sich der Bund selbst darum zu kümmern hat .
Jetzt stelle ich aber die Gegenfrage: Selbst wenn es
nicht notwendig wäre, dieses Gesetz zu erlassen, stünde
es uns denn nicht gut zu Gesicht, einen solchen umfasHarald Petzold ({4})
senden Informationsanspruch einmal gesetzlich zu normieren,
({5})
um deutlich zu machen, dass wir im demokratischen Miteinander, in einem demokratischen Staat, darauf setzen,
dass die Medien ihrer unabhängigen, keiner Zensur unterworfenen Rolle auch nachkommen können?
({6})
Das stellen wir in keiner Weise in Abrede .
Daher sage ich Ihnen eins - da muss man dann auch
an ein anderes Miteinander in der Demokratie erinnern -:
Wir haben mit der CDU/CSU-Fraktion einen Koalitionsvertrag geschlossen .
({7})
Wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag auch dafür
eingesetzt, dass man dieses Presseauskunftsgesetz entsprechend gesetzlich normiert und dass man auf etwas
eingeht, was wir in der vergangenen Legislaturperiode
als Opposition gegen die schwarz-gelbe Koalition nicht
durchsetzen konnten .
Es ist nicht falsch, sich nach wie vor dafür einzusetzen; aber es ist in einer Koalition nun einmal absolut unüblich, unterschiedlich abzustimmen . Man erkennt eben
an, was man in einer Koalition gemeinsam vereinbart
hat; das wird gemeinsam durchgesetzt . Sie haben selber
angesprochen, dass eine gewisse Bewegung in die Diskussion hineingekommen ist .
Vielleicht können die heutige Diskussion und die weitere Befassung mit diesem Punkt dazu beitragen, dass
wir in großer Einmütigkeit feststellen, dass zu einem demokratischen Rechtsstaat auch ein umfassender Informationsanspruch gehört . Man kann das, was in der Debatte
kritisiert worden ist, etwa dass das Ganze bis hin zu einer
Informationsbeschaffung gehen könnte, vielleicht abstellen . Aber wir könnten die Frage neu aufnehmen - in welcher Breite und in welcher Tiefe sie sich stellt, wäre zu
klären -, ob es eine Rechtsunsicherheit gibt, ob die Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nicht nachkommen können und was wir dazu beitragen können, dass
auch Bundesbehörden in die Position versetzt werden,
dass sie genau wissen, welchen Beitrag sie dazu leisten
können, Journalistinnen und Journalisten in ihrer so notwendigen Arbeit in einem demokratischen Rechtsstaat zu
unterstützen .
({8})
Ich würde an dieser Stelle mit der Sozialdemokratie
gar nicht so kritisch umgehen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen und auch von den Linken .
Man muss doch vielleicht den Mut der Sozialdemokratie
anerkennen, Verantwortung in diesem Land zu übernehmen und sich als Opposition nicht einfach vom Acker zu
machen . Vielmehr sollte man anerkennen: Die SPD hat
einen Koalitionsvertrag geschlossen und setzt viel von
dem durch, was sie im Wahlkampf versprochen hat .
({9})
Aber wenn man nicht die absolute Mehrheit gewinnt,
sondern knapp verpasst, dann muss man eben auch Kompromisse in der Sache schließen . Wir haben diesen Ansatz im Koalitionsvertrag nicht vereinbart . Gleichwohl
werden wir nichts von dem zurücknehmen, was wir in
der vergangenen Legislaturperiode so deutlich gemacht
haben .
({10})
Ich habe ausgeführt, dass das Ganze auf etwas fußt,
was wir als SPD-Fraktion angestoßen haben . Wir waren damals, übrigens als Oppositionsfraktion, die erste
Fraktion, die einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat .
Sie von den Grünen haben sich damals in der Abstimmung enthalten . Sie haben einen gewissen Beitrag in der
Anhörung im Innenausschuss geleistet . Wir haben die
Argumente der Sachverständigen aufgenommen . Die
Argumente der Sachverständigen haben uns in unserer Auffassung bestärkt . Es sind zwischenzeitlich keine
anderen Erkenntnisse ermittelt worden, sondern unsere
Auffassung ist bestätigt worden . Ich kann mich den Kollegen, die damals in der Plenardebatte gesprochen haben,
nur anschließen . Sie haben nämlich gesagt, dass Bundesbehörden bedingt auskunftsbereit sind und dass sie
glauben, dass wir die volle Auskunftsbereitschaft alsbald
herstellen sollten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank, Sebastian Hartmann . - Der letzte Redner in dieser Debatte und voraussichtlich an diesem Pult
heute Abend: Dr . Tim Ostermann .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
es stimmt: Es gibt kein Bundesgesetz zur Erteilung von
Auskunft durch Bundesbehörden gegenüber der Presse .
Aber nur weil es zu einem bestimmten Sachverhalt kein
Gesetz gibt, heißt das nicht, dass dieser Sachverhalt nicht
geregelt ist . Der Kollege Mayer hat schon darauf hingewiesen: Es gibt zwar kein Bundesgesetz, aber es gibt einen Auskunftsanspruch der Presse, und dieser Anspruch
leitet sich direkt aus dem im Grundgesetz verankerten
Grundrecht der Pressefreiheit ab . Er entspricht übrigens
dem Niveau, das auch in den Bundesländern vorhanden
ist .
Sie schreiben, dass der Umfang des Presseauskunftsrechts gegenüber Bundesbehörden im Ungewissen bleibe, zitieren in Ihrem Gesetzentwurf aber nur wenige
Sätze vorher das Bundesverfassungsgericht . Es ist meistens gut, das Bundesverfassungsgericht zu zitieren . Das
Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zu diesem
konkreten Fall festgestellt, dass den Presseangehörigen
in der Praxis auch auf Bundesebene ein Auskunftsanspruch eingeräumt wird,
({0})
der den Auskunftsansprüchen der Landespressegesetze
entspricht . Ich habe mir dieses Urteil heute einmal angeschaut; die Zeit war ja recht kurz, weil dieser Gesetzentwurf kurzfristig auf die Tagesordnung kam . Und darauf
kommt es an . Der Presse steht gegenüber den Bundesbehörden ein Auskunftsrecht zu, und zwar im gleichen
Umfang, wie es den Pressevertretern gegenüber Landesbehörden zusteht .
Das ist auch richtig so; denn natürlich setzt eine effektive Tätigkeit der Presse voraus, dass ihre Vertreter von
staatlichen Stellen Auskunft über öffentlich bedeutsame
Angelegenheiten erhalten . Den Medien muss ermöglicht
werden, ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion zu erfüllen . Dies ist für jedes demokratische und plurale System unerlässlich . Die aus dem Grundgesetz abgeleitete
Auskunftspflicht von Bundesbehörden ist selbstverständlich justiziabel und vor Gericht einklagbar . Daher gilt:
Wenn Sie in den Prosateil Ihres Gesetzentwurfs pathetisch hineinformulieren, dass derzeit „keine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende eindeutige, transparente und Willkürfreiheit gewährleistende Regelung“
existiere, so entspricht dies schlicht und ergreifend nicht
den Tatsachen .
Noch unverständlicher ist aber für mich, wenn Sie
dem Bundestag mit Ihrem Gesetzentwurf auch noch Regelungen unterjubeln wollen, die über die in den von Ihnen als Vorbilder genannten Landespressegesetzen weit
hinausgehen . Stephan Mayer hat es angesprochen, dass
Sie gerne erreichen wollen, das Auskunftsrecht auch für
die Fälle zu etablieren, in denen es um zu ermittelnde
oder zu beschaffende Informationen geht . Eine solch
weite Ausgestaltung des Auskunftsrechts gibt es in keinem einzigen Landespressegesetz, übrigens auch nicht
in den Landespressegesetzen, die Sie selbst mitgestaltet
haben; Sie sind ja in einigen Ländern an der Regierung
beteiligt . Die Landespressegesetze gewähren allesamt
lediglich Zugang zu den vorhandenen amtlichen Informationen .
Ihre Forderung nach einem Recht auf Beschaffung
von Informationen, über die die Behörden selbst überhaupt nicht verfügen, ist umso unverständlicher, weil
Sie an anderer Stelle fordern, den presserechtlichen Auskunftsanspruch auf Augenhöhe mit den Ansprüchen aus
den Landespressegesetzen festzuschreiben . Die Augenhöhe würde hier aber deutlich überschritten .
Ein weiteres Beispiel: Sie schreiben, Auskünfte sollten
nur dann verweigert werden können, wenn „berechtigte
öffentliche Interessen ausnahmsweise überwiegen“ . Das
berechtigte öffentliche Interesse wäre also ein Ausnahmetatbestand . Auch hier können wir nicht mitgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Sie wollen mit
Ihrem Gesetzentwurf den Eindruck vermitteln, die Praxis
der Auskunftserteilung durch den Bund entspräche nicht
den verfassungsrechtlichen Anforderungen . Eine nähere Analyse zeigt jedoch: Der Pressefreiheit ist bereits
jetzt vollumfänglich Genüge getan . Sie versuchen, einen
Sachverhalt zu regeln, der schon ausreichend geregelt ist .
Dabei können wir leider nicht mitmachen .
Schönen Dank .
({1})
Danke schön, kurz und bündig . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8246 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Federführung
ist allerdings strittig . Die Fraktionen der CDU/CSU und
SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Kultur und Medien .
Ich lasse zuerst einmal über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen:
Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/
Die Grünen und die Linken, abgelehnt haben CDU/CSU
und SPD .
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Innenausschuss . Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung bewachungsrechtlicher
Vorschriften
Drucksache 18/8558
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/9707
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Alle sind damit einverstanden .1)
Dann kommen wir jetzt sofort zur Abstimmung . Der
Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9707,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/8558 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
1) Anlage 13
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten
haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, Enthaltung bei Bündnis 90/Die
Grünen und der Linken .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr . Axel Troost,
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebens-
verhältnisse in ganz Deutschland verwenden
Drucksachen 18/5221, 18/9694
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind alle einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9694, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/5221 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen
war die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen
und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs
Drucksache 18/9416
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Innenausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9416 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Keine
anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur steuerlichen Förderung von
Elektromobilität im Straßenverkehr
1) Anlage 14
2) Anlage 15
Drucksachen 18/8828, 18/9239, 18/9596
Nr. 1.7
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
Drucksache 18/9688
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/9689
Die Reden gehen zu Protokoll. - Sie sind einverstan-
den .3)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9688, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/8828 und 18/9239 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen war die Linke, Enthaltung Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen war die Linke, Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische
Leistungen ({5})
Drucksache 18/9528
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({6})
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen - Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln
Drucksache 18/9671
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({7})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden gehen zu Protokoll. - Sie sind einverstan-
den .4)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9528 und 18/9671 an die in der Ta-
3) Anlage 16
4) Anlage 17
Vizepräsidentin Claudia Roth
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . -
Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Stärkung der Verfahrensrechte von Be-
schuldigten im Strafverfahren und zur Ände-
rung des Schöffenrechts
Drucksache 18/9534
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/9534 an den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz vorgeschlagen . Keine anderen Vorschläge? - Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes
Drucksache 18/9440
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Alle Reden werden zu Protokoll gegeben . - Sie sind
einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9440 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für
Finanzmarktstabilisierung ({9})
Drucksache 18/9530
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Auch da gehen die Reden zu Protokoll.3)
1) Anlage 18
2) Anlage 19
3) Anlage 20
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/9530 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Keine weiteren
Vorschläge? - Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über
das Schulprogramm für Obst, Gemüse und
Milch ({11})
Drucksache 18/9519
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({12})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Die Reden gehen zu Protokoll.4)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/9519 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Keine weiteren
Vorschläge? - Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung neuer
psychoaktiver Stoffe
Drucksachen 18/8579, 18/8964, 18/9129 Nr. 1.1
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({13})
Drucksache 18/9699
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank
Tempel, Kathrin Vogler, Matthias W . Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Für eine zeitgemäße Antwort auf neue psy-
choaktive Substanzen
Drucksachen 18/8459, 18/9699
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor .
Die Reden gehen zu Protokoll.5)
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe .
Tagesordnungspunkt 28 a . Der Ausschuss für Gesund-
heit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/9699, den Gesetzentwurf der
4) Anlage 21
5) Anlage 22
Vizepräsidentin Claudia Roth
Bundesregierung auf Drucksachen 18/8579 und 18/8964
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Wer zustimmen will, möge
sich erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9708 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen, dagegengestimmt haben CDU/CSU
und SPD, enthalten hat sich die Linke .
Tagesordnungspunkt 28 b . Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Für eine zeitgemäße Antwort
auf neue psychoaktive Substanzen“ . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9699, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/8459 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD angenommen . Dagegengestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/8961
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({15})
Drucksache 18/9706
Die Reden gehen zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9706, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8961 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten
haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
1) Anlage 23
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat niemand, und enthalten haben sich die Linken
und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({16})
Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften ({17})
Drucksache 18/7560
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({18})
Drucksache 18/9698
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz auch Änderungen grundbuchrechtlicher
und vermögensrechtlicher Vorschriften sowie der Justiz-
beitreibungsordnung .
Die Reden gehen zu Protokoll.2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9698, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7560 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat die Linke,
und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, enthalten hat
sich Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({19}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung der Chemikali-
en-Klimaschutzverordnung
Drucksachen 18/8959, 18/9129 Nr. 2.2, 18/9705
Die Reden gehen zu Protokoll.3)
2) Anlage 24
3) Anlage 25
Vizepräsidentin Claudia Roth
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9705 der Verordnung auf Drucksache 18/8959
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, und
enthalten haben sich die Linken .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({20})
zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutsch-indische Bildungs- und Wissen-
schaftskooperation ausbauen
Drucksachen 18/8708, 18/9661
Die Reden gehen zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9661, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8708 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen . Enthalten hat sich die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung
weiterer Statistikgesetze
Drucksache 18/9418
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({21})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Die Reden gehen zu Protokoll.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/9418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? - Nein . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts
Drucksache 18/9633
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({22})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
1) Anlage 26
2) Anlage 27
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Die Reden gehen zu Protokoll.3)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9633 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich
des Bundes
Drucksache 18/9441
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({23})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden gehen zu Protokoll.4)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9441 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und
zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe
Drucksache 18/9521
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({24})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Die Reden gehen zu Protokoll.5)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9521 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men vom 15. Oktober 2008 zwischen den
CARIFORUM-Staaten einerseits und der Eu-
ropäischen Gemeinschaft und ihren Mitglied-
staaten andererseits
3) Anlage 28
4) Anlage 29
5) Anlage 30
Vizepräsidentin Claudia Roth
Drucksache 18/8297
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({25})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden gehen zu Protokoll.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8297 an die in der Tagesord-
1) Anlage 31
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt
keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Damit ist die heutige Tagesordnung vollumfänglich
erschöpft .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 23 . September 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Restabend .