Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zum ersten Punkt der Tagesordnung dieser letzten Sitzungswoche im laufenden Jahr:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}).
Der Finanzminister wird gleich im Einzelnen erläutern, was wir uns unter den einzelnen Artikeln vorzustellen haben. Jedenfalls steht er uns für den einleitenden
Bericht zur Verfügung.
Wer schon weiß, dass er dazu anschließend Fragen
stellen möchte, kann das vielleicht selber oder über die
Parlamentarischen Geschäftsführer schon einmal notieren lassen.
Herr Finanzminister Schäuble, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat heute mit dem Gesetzentwurf
zur Änderung des Grundgesetzes und - das will ich gleich
hinzufügen - mit einem Gesetzentwurf zur Neuregelung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem
Jahr 2020 umgesetzt, was wir nach langen Verhandlungen zwischen den Regierungen von Bund und Ländern
über die Neugestaltung der Finanzbeziehungen im bundesstaatlichen System am 14. Oktober vereinbart haben.
Im Wesentlichen beinhalten die vorgeschlagenen Änderungen des Grundgesetzes und die dazu entsprechend
parallel notwendigen einfachgesetzlichen Regelungen,
dass das bundesstaatliche Finanzausgleichssystem ein
Stück weit umgestellt wird. Der Umsatzsteuervorabausgleich entfällt durch die vorgeschlagene Änderung des
Artikels 107. Zugleich erfolgt die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer grundsätzlich nach der
Einwohnerzahl der Länder, aber modifiziert durch Zuund Abschläge zum angemessenen Ausgleich der Unterschiede in der Finanzkraft.
Darüber hinaus werden Sondertatbestände für die Einbeziehung der Einnahmen aus der bergrechtlichen Förderabgabe bei der Ermittlung der Finanzkraft sowie für
die Gewährung neuer Zuweisungen des Bundes geregelt.
Weiterhin schlagen wir vor, durch die Änderung des Artikels 125c die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen
für eine Fortführung der Finanzhilfen des Bundes für
Seehafenlasten und auch für die besonderen Programme
nach § 6 Absatz 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu schaffen.
Darüber hinaus schlagen wir mit dem Gesetzentwurf
vor, durch eine Änderung des Artikels 143d die Möglichkeit zu eröffnen, den Ländern Saarland und Freie Hansestadt Bremen angesichts ihrer schwierigen Haushaltssituation Sanierungshilfen des Bundes zu gewähren, damit
sie zukünftig in die Lage versetzt werden, die Vorgaben
des Artikels 109 Absatz 3 zur Kreditaufnahme eigenständig einzuhalten. Die Länder ergreifen in diesem Zusammenhang Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen
Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und
Finanzkraft. Die Einhaltung dieser Maßnahmen durch
die Länder wird einfachgesetzlich geregelt. Dies soll
durch die Bundesregierung überwacht werden.
Ich füge die Bemerkung hinzu, dass bisher diese beiden Haushaltsnotlagenländer Konsolidierungshilfen zur
Hälfte jeweils vom Bund und den Ländern bekommen.
Das gesamtstaatliche System wird in Zukunft, ab 1. Januar 2020, dahin gehend geändert, dass nur der Bund
in voller Höhe die Sanierungshilfen - so heißen sie in
Zukunft - für die beiden Länder bezahlen wird.
Die Kosten für den Bund aus diesen und einer Reihe
von weiteren Maßnahmen, die ich wegen der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Zeit nicht alle vortragen kann, belaufen sich ab 2020 auf 9,7 Milliarden Euro.
Diese Kosten werden im Laufe der Jahre ansteigen. Sie
haben vielleicht verfolgt, dass schon nach der jüngsten
Steuerschätzung, die am 14. Oktober 2016 angenommene Größenordnung von etwa 9,5 Milliarden Euro sich auf
9,7 Milliarden Euro in 2020 erhöht hat. Dieser Prozess
wird sich, je nachdem, wie sich die Steuereinnahmen von
Bund und Ländern in den nächsten Jahren entwickeln,
fortsetzen.
Wir haben im gesamtstaatlichen Bereich einige strukturelle Verbesserungen vereinbart. Das bedeutet, dass die
Bundesregierung für den Bund Gesetzentwürfe in den
Bundestag einbringt, die dann anschließend auch der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Dazu gehört, dass
wir die Verwaltung der Bundesautobahnen, die in Zukunft auch so heißen sollen - heute heißen sie im Grundgesetz noch „Reichsautobahnen“ -, auf den Bund übertragen und dass der Bund dazu eine Gesellschaft privaten
Rechts gründen kann, die allerdings im vollständigen
Eigentum des Bundes bleibt. Auch dies soll im Grundgesetz festgeschrieben werden.
Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass wir dem
Gesetzgeber vorschlagen, dass wir durch eine in Artikel 91c Grundgesetz einzufügende Gesetzgebungskompetenz die Einrichtung eines verbindlichen übergreifenden Portalverbundes ermöglichen. Das bedeutet, dass alle
Nutzer - alle Bürgerinnen und Bürger und auch sonstige
Personen, also auch Nichtstaatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland - einfach und sicher online auf die
Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern zugreifen
können. Dazu braucht der Bund eine entsprechende Gesetzgebungsbefugnis. Wir wollen auch für den Vollzug
der Steuergesetze, was die Vereinbarung einer einheitlichen Software für die Steuerverwaltungen der Länder
anbetrifft, dem Bund eine Kompetenz verschaffen.
Im Übrigen soll in Zukunft bei der Auslegung von
Fachfragen durch die Finanzministerien von Bund und
Ländern der Bund ein Weisungsrecht in allgemeinen
fachlichen Fragen haben, dem nur mit einer Mehrheit
von zwei Dritteln der Länder widersprochen werden
kann; bisher reicht ein Anteil von 50 Prozent für den Widerspruch aus.
Dem Bundesrechnungshof soll die Kompetenz übertragen werden, die Verwendung der Bundesmittel bei
Mischfinanzierungen im Benehmen - ich lege Wert auf
die Betonung des Wortes „Benehmen“; es heißt nicht „im
Einvernehmen“ - mit den Rechnungshöfen der Länder
zu überprüfen. Der Stabilitätsrat soll Befugnisse bekommen, in Zukunft die Einhaltung der Schuldenbremse, die
im Grundgesetz geregelt ist, auch in den einzelnen Ländern zu überwachen.
Das sind einige der grundlegenden Veränderungen
im Bund-Länder-Verhältnis, bezüglich derer wir mit den
Regierungschefs der Länder verabredet haben, dass wir
sie in die Gesetzgebung einbringen. Die entsprechenden
Gesetzentwürfe hat das Kabinett heute beschlossen.
Vielen Dank. - Ich rufe jetzt die dazu angemeldeten
Fragen auf. Zunächst erhält das Wort die Kollegin Anja
Hajduk.
Sehr geehrter Herr Minister, mit der Änderung des Artikels 107 Grundgesetz wird der Länderfinanzausgleich
in seiner jetzigen Form abgeschafft. Ich möchte dazu
noch ergänzen, dass es dann quasi formal unter den Ländern keine Geber und Nehmer mehr gibt. Man kann auch
sagen: Alle Länder werden Nehmer von Steueranteilen,
die das Bundesgesetz ihnen zuteilt.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie wie ich der Auffassung
sind, dass die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs
eine Schwächung des Föderalismus insgesamt darstellt,
weil die Solidarität der Länder untereinander, wie bisher
in Artikel 107 Grundgesetz gefordert, nicht mehr vorgesehen ist. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang
die Ausweitung der Bundesergänzungszuweisungen als
ein sicheres Indiz dafür, dass sich die Länder immer stärker vom Bund abhängig machen?
Frau Kollegin Hajduk, das Ergebnis der Gespräche
zwischen Bund und Ländern über die notwendige Neugestaltung der Finanzbeziehungen im bundesstaatlichen
Bereich ist nach langwierigen intensiven Verhandlungen
zustande gekommen. Dieses einvernehmlich erzielte Ergebnis setzen die Gesetzentwürfe um, die die Bundesregierung heute beschlossen hat.
Ich habe gesagt: Die bisherigen Konsolidierungshilfen für die Haushaltsnotlagenländer werden durch Sanierungshilfen ersetzt, die zu zahlen die Länder in dieser
Vereinbarung großzügig ausschließlich dem Bund überlassen haben.
({0})
- Ja, so war es. Ich habe auch von Ministerpräsidenten
gehört, dass es eine Stärkung der Solidarität der Länder
sei, dass sie gemeinsam den Bund auffordern, das in der
Zukunft zu leisten. - Ich gebe das so wieder.
Darüber hinaus ist es natürlich so: Die Gemeinschaftssteuern - die großen Steuerblöcke sind die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Mehrwertsteuer stehen nach dem Grundgesetz Bund und Ländern zu. Wie
sie verteilt werden, ist nun nicht eine Frage des Gebens
und Nehmens, sondern eine grundsätzliche Frage der Gestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen. Sie
wissen, dass das Grundgesetz den Bundesländern eine
zentrale Bedeutung beimisst. Das war eine Grundentscheidung schon im Parlamentarischen Rat. Das unterliegt der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Artikels 79
Absatz 3. Die Staatlichkeit ist nach dem Grundgesetz
zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, und dem entspricht diese Regelung.
Ich weiß, dass es gerade bei diesem Thema schwierig
ist, die Fragen in der vorgesehenen Zeitspanne - schon
gar vollständig - zu beantworten. Aber ich bitte noch
einmal, jedenfalls den Versuch zu unternehmen, sich an
die Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten zu
halten.
Nächste Frage ist von der Kollegin Heidrun Bluhm.
Herzlichen Dank, Herr Minister, für Ihre kurze Einführung. - Ich würde gern auf etwas eingehen, das Sie in Ihrem Vortrag dargestellt haben, und zwar darauf, dass der
Länderanteil an der Umsatzsteuer ab 2020 neu berechnet
werden soll, nämlich nach der Anzahl der Einwohner. Sie
haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass
es dabei Zu- und Abschläge geben soll. Können Sie in einer Minute näher erläutern, welche Kriterien für Zu- und
Abschläge mit den Ländern vereinbart sind? Es geht mir
darum, dass wir erfahren, welche Länder gegebenenfalls
doch anders behandelt werden, bei welchen Ländern es
also nicht nur nach der Einwohnerzahl geht.
Frau Kollegin, es wird die unterschiedliche Finanzkraft der Länder durch Zu- und Abschläge bei der Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt. Wir haben Kriterien für die Bemessung der Finanzkraft der Länder. Dabei
wird in Zukunft stärker als im bisherigen System auch
die kommunale Finanzkraft berücksichtigt. Sie wird im
jetzigen System, wenn ich es richtig im Kopf habe, mit
66 Prozent oder 67 Prozent berücksichtigt, in Zukunft
mit 75 Prozent. Das nicht ganz einfache, aber auch schon
jetzt nicht ganz einfache System der Verteilung - Umsatzsteuervorwegausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen - wird ein Stück weit komplettiert dadurch, dass
das im Grundgesetz geregelt und damit insbesondere für
finanzschwache Gemeinden festgeschrieben wird.
Sven Kindler.
Sehr geehrter Herr Minister Schäuble, ich habe eine
Frage zum Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft.
Können Sie mir sagen, wie die Planungen dazu sind, ob
diese Gesellschaft auch Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen soll und, falls das geplant ist, ob es dafür eine
Staatsgarantie, wie sie zum Beispiel bei der ASFINAG
in Österreich besteht, geben soll oder nicht? Wenn diese
Gesellschaft das Recht der Kreditaufnahme erhält, ist die
Frage, ob diese Kreditaufnahme bei den Regelungen zur
Schuldenbremse und den europäischen Schuldenregeln
im Rahmen der Maastricht-Kriterien einbezogen wird
oder nicht.
Herr Kollege Kindler, nach dem bisherigen Stand der
Gespräche auch innerhalb der Bundesregierung ist die
Ausgestaltung der Gesellschaft so, dass sie das Kriterium
der Staatsferne nicht erfüllt, sodass sie nicht die Möglichkeit zur Aufnahme von Krediten hat.
Tankred Schipanski hat die nächste Frage.
Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement nicht erwähnt, dass im Grundgesetz ein Artikel 104c eingeführt werden soll, und zwar mit dem
ungefähren Wortlaut: Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen
von finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbänden im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur
gewähren. - Da würde mich interessieren: Was ist mit
einer finanzschwachen Gemeinde gemeint, wer wird das
festlegen, und hat der Bund Einflussmöglichkeiten über
diesen Artikel 104c, zu sagen, in welche Bildungsinfrastruktur das Geld in dem entsprechenden Land bzw. in
der Kommune eingesetzt wird?
Herr Kollege Schipanski, der Bundestagspräsident hat
zu Recht darauf hingewiesen, dass der Regelungsgehalt
beider Gesetzentwürfe so umfassend ist, dass er in fünf
Minuten nicht darzustellen ist. Deswegen bitte ich um
Nachsicht, dass ich die vorgeschlagene Ergänzung in
Form von Artikel 104c nicht erwähnt habe.
Wir haben Anfang der Legislaturperiode im Deutschen
Bundestag einen Fonds für Investitionshilfen des Bundes für finanzschwache Gemeinden beschlossen. In dem
entsprechenden Gesetz haben wir auch einen Schlüssel
für die Verteilung vereinbart. Die Mittel müssen nach der
Struktur des Grundgesetzes, wie ich auf die Frage von
Frau Kollegin Hajduk bereits erwähnt habe, über die
Länder verteilt werden. Wir haben in der Vereinbarung
mit den Ministerpräsidenten am 14. Oktober dieses Jahres gesagt, dass wir die Verteilung der Mittel aus dem
Fonds nach dem bisherigen Schlüssel vornehmen wollen.
Aber das ist etwas, was wir in dem Begleitgesetz, zu dem
jetzt der Entwurf vorliegt, regeln müssen.
Es gibt ja das Struck’sche Gesetz, über das wir auch
bei den Haushaltsberatungen im November gesprochen
haben. Das ist Sache der Länder. Einige Länder, nämlich
die Stadtstaaten, sind mit dem bisherigen Schlüssel für
die Verteilung schon deswegen nicht einverstanden, weil
sie keine Kassenkredite haben, die bei der Ermittlung
der Finanzschwäche eine Rolle spielen. Anderen geht es
nicht nur um die Verteilung auf die Länder, sondern sie
möchten auch sichergestellt haben, dass das Geld in den
Ländern wirklich finanzschwachen Gemeinden zugutekommt, was allerdings aufgrund der Struktur des Grundgesetzes nicht ganz einfach sicherzustellen ist.
Wenn Sie zwei Fragen gestellt hätten, würde die rote
Lampe jetzt nicht leuchten. Zu der Zweckerweiterung
müssten Sie also eine weitere Frage stellen.
({0})
Es kommt nicht so häufig vor, dass Minister Zusatzfragen bestellen; aber diese will ich einmal ausdrücklich
registrieren. - Zunächst aber die Kollegin Rosemarie
Hein mit der nächsten Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, auch ich
frage nach dem Artikel 104c.
Vielen Dank.
Vielleicht gibt es da ja einen Synergieeffekt. - Auch
ich möchte gerne wissen, wie denn die finanzschwachen
Kommunen an die Kredite kommen sollen. Sie müssen
ja auch Kredite aufnehmen, um die Investitionsförderung
überhaupt zu bekommen. Ich würde Sie gerne danach
fragen, ob vorgesehen ist, dass eine solche Investitionsförderung auch für Projekte von öffentlich-privater Partnerschaft geöffnet wird.
Der Eigenanteil der Gemeinden ist so gering, dass er
kein Hindernis für die Inanspruchnahme dieser Mittel ist.
Das haben wir schon bei der bisherigen Bereitstellung
der 3,5 Milliarden Euro zu Beginn der Legislaturperiode
gesehen. Wir mussten allerdings die Laufzeit des Fonds
verlängern, weil die Mittel nicht schnell genug abgerufen worden sind. Das hat damit zu tun, dass der Bund
ohne die vorgeschlagene Änderung oder Ergänzung des
Grundgesetzes Finanzhilfen nur für Zwecke geben darf,
für die der Bund eine Förderkompetenz hat. Deswegen
schlagen wir jetzt vor, dass Mittel generell für die Bildungsinfrastruktur in einer finanzschwachen Kommune
bereitgestellt werden können. Insofern ist das sicherlich
eine Hilfe für finanzschwache Kommunen, um Bundeshilfen gezielt geben zu können.
Katja Dörner.
Vielen Dank. - Auch ich möchte zu Artikel 104c
fragen, ein bisschen grundsätzlicher vielleicht. Der Bildungsbericht 2016 hat uns sehr deutlich gemacht, dass
sich die regionalen Disparitäten mit Blick auf die Bildungseinrichtungen erweitern und es damit auch vermehrt ungleiche Chancen von Kindern und Jugendlichen
gibt. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie es für ausreichend halten, dass sich mit dem
Artikel 104c des Grundgesetzes, wie er jetzt vorgeschlagen wird, die Mitfinanzierungsmöglichkeiten bei der
Bildungsfinanzierung ausschließlich auf finanzschwache
Kommunen beziehen sollen.
Wir hatten bei den Gesprächen zwischen Bund und
Ländern von vornherein nicht die Absicht - weder die
Bundesregierung noch die Regierungschefinnen und
-chefs der Länder -, die grundsätzliche föderale Struktur, wie sie im Grundgesetz festgelegt ist, abzuschaffen.
Ich will in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam
machen, dass der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg - ich bin Baden-Württemberger, gehöre aber nicht derselben Partei wie Herr Kretschmann an ({0})
einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen diese Bestimmung
geäußert hat. Er hat gesagt, eigentlich sei die Zuständigkeit der Länder in der Bildungspolitik ein Punkt, an dem
er überhaupt keine Einschränkungen machen möchte.
Ich habe den Vorschlag gemacht, weil ich der Auffassung bin, dass es richtig ist, dass wir finanzschwachen
Gemeinden mit Investitionsmitteln helfen. Die enge
Zweckbegrenzung, die wir bisher im Programm hatten,
wird ein Stück weit erweitert, zum Beispiel dass man
nicht nur Wärmedämmung in Schulen machen kann,
sondern auch andere Sanierungsmaßnahmen durchführen kann. Das scheint mir richtig, um das Verständnis der
betroffenen Bürger für die Rationalität unserer Entscheidungen zu gewinnen.
Axel Troost.
Herr Minister, ich möchte noch einmal an die Frage
des Kollegen Kindler anknüpfen. Woraus finanziert sich
die Infrastrukturgesellschaft - aus der Maut und dann
ausschließlich aus Zuschüssen des Bundes? Oder wird
diese Gesellschaft Kredite aufnehmen können, auch
wenn sie dann im Rahmen der Schuldenbremse oder des
Fiskalpakts angerechnet werden?
Zweite Frage: Gibt es Abschätzungen, wenn Kredite
aufgenommen werden, wie viel mehr Zinsen diese Gesellschaft zahlen müsste, als das gegenwärtig der Bund
machen muss?
Herr Kollege Troost, wenn ich mich recht erinnere,
habe ich dem Kollegen Kindler auf die Frage, auf die Sie
Bezug nehmen, geantwortet, dass eine solche Kreditermächtigung nach dem derzeitigen Stand der Gespräche
zwischen den Ressorts nicht vorgesehen ist.
({0})
Franziska Brantner.
Sehr geehrter Herr Schäuble, ich möchte noch einmal
eine Frage zum Unterhaltsvorschuss stellen; denn das
ist Teil des ganzen Paketes. Ich glaube, wir sind uns alle
einig, dass die aktuell bestehenden zeitlichen Begrenzungen wegfallen müssen und nicht mehr rational begründbar gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sind.
Deswegen ist es umso weniger nachvollziehbar, wie groß
das Gerangel und Geschachere gerade bei diesem Thema
ist.
Der Unterhaltsvorschuss ist eines der effektivsten Mittel, um in diesem Land Kinderarmut zu bekämpfen. So
weit wir wissen, liegt der Streitwert bei 100 Millionen
Euro. Wir können nicht nachvollziehen, warum gerade
hier der Bund nicht bereit ist, diese Mittel bereitzustellen,
obwohl das effektiv wäre. Sie verhandeln über Milliarden. Warum müssen gerade, wenn es um Alleinerziehende und ihre Kinder geht, noch der größte Streit, Gerangel
und Geschachere herrschen? Das ist für viele Bürgerinnen und Bürger heute nicht mehr nachvollziehbar.
Frau Kollegin, am 14. Oktober haben die Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern einvernehmlich vereinbart, dass bei einem solchen Unterhaltsvorschussgesetz, das von der Bundesregierung,
insbesondere von der dafür zuständigen Frau Kollegin
Schwesig, vorgeschlagen wird und von der Bundesregierung insgesamt gemacht werden soll, die Finanzierung
so bleiben soll, wie sie ist. Der Bund hat ausdrücklich
zugesagt, dass darüber hinaus die Finanzierung in der
Zuständigkeit der Länder verbleibt.
Es gibt also kein Geschachere, sondern es gibt den
Versuch der Länder, in Abstimmung mit der Bundesregierung über diesen Punkt zu reden. Deshalb haben wir eine
Arbeitsgruppe vereinbart. Wir bringen dieses Gesetz, wie
es den Vorstellungen der Bundesregierung entspricht, in
dem Begleitgesetz ein und haben vereinbart, dass bis zur
ersten Lesung im Bundestag - bei Regierungsentwürfen
gibt es eine Stellungnahme des Bundesrates und eine Gegenäußerung der Bundesregierung - weitere Gespräche
geführt werden sollen, um sich über die Vorstellungen
der Länder in Bezug auf das Inkrafttreten, die Finanzierungslasten und dergleichen auszutauschen. Aber den
Vorwurf, dass es da ein Geschachere gibt, kann ich namens der Bundesregierung nicht akzeptieren.
Özcan Mutlu.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie wissen sicherlich wie auch ich, dass das Kooperationsverbot, das
wir haben, in der Welt einmalig ist. Ich freue mich, dass
mit der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern diese
Front jetzt wenigstens ein bisschen bröckelt und das Kooperationsverbot aufgeweicht wird.
Ich möchte, anknüpfend an die Frage von Kollegin Dörner, etwas in Bezug auf den neuen Artikel 104c
Grundgesetz fragen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir
bundesweit einen Sanierungsstau bei der Bildungsinfrastruktur - Schulgebäude etc. - von circa 34 Milliarden
Euro haben und die Vereinbarung die Bereitstellung von
Mitteln für diesen Bereich in Höhe von 3,5 Milliarden
Euro vorsieht, die auch noch degressiv gestaltet wird,
möchte ich Sie fragen: Finden Sie diese Mittel auskömmlich, oder meinen Sie nicht, dass man da mit den Ländern
gemeinsam mehr tun muss, um unsere Bildungsinfrastruktur endlich zeitgemäßer auszustatten?
Herr Kollege, ich beziehe mich ein wenig auf die Frage Ihrer Kollegin und meine Antwort darauf. Wir hatten
nicht die Absicht, das Grundgesetz grundsätzlich neu zu
gestalten. Ich weise darauf hin, dass wir, selbst wenn wir
die Absicht gehabt hätten, durch Artikel 79 Absatz 3 in
unserer Gestaltungskraft sehr eingeschränkt gewesen
wären. Darüber hinaus wiederhole ich den Hinweis des
baden-württembergischen Ministerpräsidenten - er ist
nicht in meiner Partei, aber ich bin Baden-Württemberger -, der gesagt hat, die Bildungspolitik sei tabu.
Wir wollen nicht das Kooperationsverbot aufheben.
Wir wollen lediglich die Zwecksetzung der Finanzhilfen
des Bundes für Investitionen finanzschwacher Gemeinden in diesen drei Jahren um Maßnahmen der Bildungsinfrastruktur ergänzen. Wenn ich die Tagesordnung des
Bundestages richtig im Kopf habe, soll morgen die erste Lesung des Nachtragshaushalts sein, mit dem wir die
Mittel von 3,5 auf 7 Milliarden Euro aufstocken wollen.
Sabine Leidig.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich
möchte auch auf die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft zu
sprechen kommen. Sie haben sich entschieden, mit der
Grundgesetzänderung hinsichtlich der Bundesautobahnen die Einrichtung einer Gesellschaft privaten Rechts
zu ermöglichen. Ich möchte gerne wissen, aus welchen
Gründen Sie sich für diese Form entschieden haben und
ob Sie alternativ öffentliche Rechtsformen untersucht haben. Wer hat gegebenenfalls die Untersuchungen durchgeführt, und nach welchen Kriterien und mit welchem
Ergebnis wurde geprüft? Ich frage deshalb, weil wir jetzt
gerade, was die Bahninfrastruktur angeht, feststellen,
dass es ein Problem mit der privatrechtlichen Gewinnorientierung einerseits und der Allgemeinwohlorientierung
einer auf lange Dauer angelegten Infrastruktur andererseits gibt.
Frau Kollegin, die vorgeschlagene Änderung des
Artikels 90 soll die Verwaltung der Bundesautobahnen
auf die Bundesverwaltung überführen; das ist der Regelungsgehalt. Darüber hinaus soll der Bund sich dazu
einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen können. Ob
sich der Bund einer solchen Gesellschaft privaten Rechts
bedient oder nicht, ist nicht Gegenstand der Grundgesetzänderung, sondern der einfachgesetzlichen Gestaltung.
In dem Begleitgesetz schlagen wir vonseiten der Bundesregierung in der Tat vor, eine solche einfachgesetzliche Regelung zu treffen und eine Gesellschaft privaten
Rechts zu gründen, weil der dafür zuständige BundesmiDr. Franziska Brantner
nister für Verkehr und digitale Infrastruktur der Überzeugung ist, dass damit - durch die Überführung in Bundesverwaltung und durch die Schaffung einer Gesellschaft
privaten Rechts - Planung, Bau und Betrieb der Bundesautobahnen effizienter gestaltet werden können, als es
heute der Fall ist. Sie wissen aus der Haushaltsdebatte,
dass wir keine weiteren baureifen Projekte für Bundesautobahnen haben; sie sind alle mit Mitteln belegt. Da
wir weiterhin einen großen Sanierungsbedarf haben - ich
kann allerdings die Zahlen, die genannt worden sind,
nicht bestätigen -, muss es irgendwo im Vollzug ein Problem geben.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Schäuble, meine
Frage bezieht sich auf das Thema Finanzschwäche und
die dafür im Begleitgesetz vorgesehenen Indikatoren. Im
Begleitgesetz ist ja vorgesehen, das Merkmal Finanzschwäche über drei Indikatoren zu definieren, und einer
davon ist der Umfang der Kassenkredite. Das finde ich
persönlich sehr richtig; denn die Kassenkredite der Kommunen haben bundesweit ein Volumen von rund 50 Milliarden Euro. Deshalb halte ich persönlich es für richtig
und angemessen, das Kriterium „Kassenkredite“ in die
Definition des Merkmals „Finanzschwäche“ einfließen
zu lassen. Nun haben vier Bundesländer gegenüber der
Bundesregierung erklärt - so ist mein Stand -, das abzulehnen. Wie werden Sie damit umgehen?
Wir haben heute im Kabinett einen entsprechenden
Gesetzentwurf beschlossen. Jetzt vertrauen wir auf die
gesetzgebenden Körperschaften, und das sind Bundestag
und Bundesrat.
Anja Hajduk.
Sehr geehrter Herr Minister, mit dem Gesetzespaket, das heute im Kabinett beschlossen wurde, sind ab
dem Jahr 2020 durchaus erhebliche strukturelle Mehrbelastungen des Bundes verbunden. Gerade vor dem
Hintergrund dieser strukturellen Mehrbelastungen des
Bundes und auch der Neuregelung an sich möchte ich
Sie fragen - zumal sich, wenn ich mich recht entsinne,
auch Ihr Staatssekretär Meister in dieser Richtung geäußert hat, dass mit den neuen Bundesergänzungszuweisungen möglicherweise eine neue Grundlage für eine
Fortführung des Solidaritätszuschlags geschaffen wird;
zumindest teilweise -, ob es sinnvoll ist, den Solidaritätszuschlag weiterzuführen und ob das Gegenstand der
Gespräche in der Großen Koalition gewesen ist.
In der Endphase der Verhandlungen über die Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat dieses
Thema keine Rolle gespielt; in der Anfangsphase der Gespräche in dieser Legislaturperiode sehr wohl. Sie wissen,
dass wir uns in der Großen Koalition dafür entschieden
haben, den Solidaritätszuschlag nicht ganz oder teilweise
in die Gemeinschaftsteuern, auf die er erhoben wird, einzubeziehen. Daraus folgt, dass irgendwann - man kann
darüber streiten, wie schnell - die verfassungsrechtliche
Grundlage für diese Sonderabgabe des Bundes obsolet
wird. Darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen.
Meine persönliche Meinung ist, dass wir den Solidaritätszuschlag, beginnend ab 2020, in Schritten abbauen
sollten, aber das ist nicht die Position der Bundesregierung. Über die unterschiedlichen Vorstellungen werden
die Wählerinnen und Wähler im kommenden Jahr entscheiden. Nach der nächsten Bundestagswahl wird es sicher eine neue Bundesregierung geben.
Thomas Feist.
Herr Minister, ich komme auf die Frage meines Kollegen Schipanski zurück. Es ging darum: Wenn der Bund
gerade bei der Bildungsinfrastruktur mit finanzschwachen Gemeinden zusammenwirken kann: Welche Einflussmöglichkeiten des Bundes zur Ausgestaltung dieser
Beziehungen gibt es? Ich frage deswegen, weil gerade
im Bildungsbereich das Zusammenwirken von Bund und
Ländern nicht immer ganz erfreulich war.
Die von uns vorgeschlagene Möglichkeit einer grundgesetzlichen Ergänzung durch Artikel 104c - Finanzhilfen
des Bundes für finanzschwache Gemeinden - ermöglicht
dem Bund keine weiter gehenden Gestaltungsmöglichkeiten in der Bildungspolitik. Sie ist Gegenstand der
grundgesetzlichen und sonstigen Regelungen zwischen
Bund und Ländern und wird dadurch nicht verändert.
Frau Bluhm.
Mit den Neuregelungen im Grundgesetz werden Aufgaben des Bundes und der Länder zum Teil neu organisiert. Ich möchte Sie fragen: Wofür hat der Bund ab
2020 definitiv keinerlei Gestaltungskompetenz mehr?
Ich frage das vor allem vor dem Hintergrund, dass wir
im Zuge der Föderalismusreform die soziale Wohnraumförderung in den vergangenen Jahren bis einschließlich
2017 mit jeweils weiteren 500 Millionen Euro als sogenannte Kompensationszahlungen versehen haben. Ist die
Wohnraumförderung dann komplett Aufgabe der Länder? Ich weiß, Sie haben sich bemüht, dass der Bund eine
gewisse Verantwortung behält. Aber müssen wir jetzt daBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
von ausgehen, dass es ab 2020 keinerlei Zweckbindung
für die Mittel des Bundes für sozialen Wohnungsbau in
Deutschland mehr geben wird?
Frau Kollegin, wenn ich es richtig in Erinnerung habe,
ist im Rahmen der Förderalismusreformen I und II vereinbart worden, dass die Zuständigkeit für den sozialen
Wohnungsbau schrittweise auf die Länder übergeht. Für
die Übergangszeit hat der Bund Mittel gewährt, wobei
der Bund keinerlei Kontrolle über die Verwendung dieser
Mittel hat. Der Kollege Rehberg hat in den Haushaltsdebatten gelegentlich kritisch angemerkt, dass man nicht
wisse, ob die Mittel von den Ländern auch tatsächlich für
den sozialen Wohnungsbau verwendet worden seien. Es
gibt wenig Anhaltspunkte dafür, dass das in allen Ländern so gewesen ist.
({0})
Im Zuge der starken Zuwanderung im vergangenen
Jahr haben wir gleichwohl die Mittel, die in den nächsten
Jahren hierfür zur Verfügung gestellt werden, noch einmal deutlich erhöht. Aber es gibt keinen Vorschlag, eine
Zuständigkeit des Bundes für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus ab dem 1. Januar 2020 im Grundgesetz festzuschreiben.
Sven Kindler.
Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte eine Frage zur
Verkehrsinfrastrukturgesellschaft stellen: Nach mündlichen Überlieferungen wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz gesagt, dass auch regionale Tochtergesellschaften zu 100 Prozent im unveräußerlichen Eigentum
des Bundes verbleiben sollen. Wie wollen Sie das sicherstellen? Wird das im Gesetzgebungsverfahren geregelt
werden, oder ist das schon im Gesetzentwurf enthalten?
Zweite Frage: Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht zu einer möglichen Neustrukturierung der
Auftragsverwaltung bzw. einer Bundesfernstraßengesellschaft vor einer „funktionalen Privatisierung“ durch öffentlich-private Partnerschaften gewarnt. Wird es einen
Ausschluss von öffentlich-privaten Partnerschaften bei
dieser Gesellschaft geben, oder sind öffentlich-private
Partnerschaften als Finanzierungsinstrument bzw. Beschaffungsinstrument ausdrücklich geplant?
Jedenfalls enthalten die Gesetzentwürfe, die wir heute
im Kabinett beschlossen haben, keine Einschränkung der
Möglichkeiten, Verkehrsinfrastrukturprojekte in öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekten umzusetzen. Das
machen wir ja auch bisher. Diese Möglichkeiten werden
in der Zukunft nicht eingeschränkt. Der Gesetzentwurf
sagt, die Verwaltung der Bundesautobahnen kann in eine
Gesellschaft privaten Rechts überführt werden; aber er
regelt auch, dass sie im 100-prozentigen Eigentum des
Bundes verbleibt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen,
dass sich diese Gesellschaft, wenn sie eingeführt wird,
oder ansonsten die Verwaltung des Bundes zur Finanzierung von einzelnen Projekten des Instruments der öffentlich-privaten Partnerschaften bedienen kann.
Zur Geschäftslage: Wir sind jetzt eigentlich am Ende
der üblicherweise vorgesehenen 30 Minuten der Regierungsbefragung. Ich habe noch sieben Wortmeldungen
zu diesem Komplex und dann noch einige Wortmeldungen zu anderen Themen der Kabinettssitzung bzw. sonstige Fragen an die Bundesregierung. Ich schlage vor, dass
wir diese jetzt aufrufen und die Regierungsbefragung
insoweit verlängern, zumal die Anzahl der verbliebenen
Fragen, die in der Fragestunde mündlich beantwortet
werden, so übersichtlich ist, dass das das weitere Programm des heutigen Nachmittags nicht sprengen wird. Ich stelle Ihr Einverständnis fest und rufe die Kollegin
Rosemarie Hein auf.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte eine vorhin
offengebliebene Frage zu Artikel 104c stellen: Ist vorgesehen, dass Investitionshilfen des Bundes für Bildungsinfrastruktur ausdrücklich auch dann gewährt werden,
wenn sich die Verwaltungen bei diesen Investitionsvorhaben öffentlich-privater Partnerschaften bedienen?
Frau Kollegin, ich glaube, der vorgeschlagene Artikel 104c trifft dazu keine Aussage. Das ist eine Frage des
Begleitgesetzes. Da bin ich im Moment überfordert. Da
kann ich Ihnen im Moment keine verlässliche Antwort
geben. Außerdem ist das Begleitgesetz noch nicht verabschiedet, sondern es wird erst noch beraten.
Katja Dörner.
Vielen Dank. - Auch ich komme auf die Bildungsfinanzierung zu sprechen. Sie haben jetzt mehrfach gesagt,
dass Sie nicht vorhatten, das Kooperationsverbot aufzuheben. Das finden wir bedauerlich; aber ich mache da
jetzt mal einen Strich drunter. Man muss trotzdem die
Frage stellen dürfen, ob die jetzt gefundene Lösung sinnvoll ist. Ich möchte an das anschließen, was mein Kollege
Mutlu eben gefragt hat - das ist meines Erachtens noch
nicht abschließend beantwortet -: Macht die degressive
Ausgestaltung, die in Artikel 104b Absatz 2 vorgesehen
ist, wirklich Sinn? Man muss sich ja vor Augen führen:
In 2017 würde die größte Summe zur Verfügung stehen,
in 2020 sozusagen nur noch Restmittel. Wenn ich an
Planungsabläufe und anderes in den Kommunen denke,
dann komme ich zu dem Schluss, dass diese degressive
Ausgestaltung aus meiner Sicht nicht unmittelbar Sinn
macht. Wie bewerten Sie das?
Dieser Fonds, durch den finanzschwache Gemeinden
Investitionshilfen des Bundes erhalten, den wir Anfang
der Legislaturperiode - ich weiß nicht mehr den genauen
Zeitpunkt, aber es war im ersten Teil der Legislaturperiode - eingerichtet haben und den wir jetzt durch den
Nachtragshaushalt aufstocken wollen, war in der Tat von
vornherein auf den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der
Neuregelungen des Bund-Länder-Finanzverhältnisses
angelegt. Denn ab 1. Januar 2020 erhalten die Länder
9,7 Milliarden Euro mehr - und dies ansteigend - aus der
Verteilung der Gesamtsteuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen ist dieser Fonds ausdrücklich für diese Übergangszeit bis zum Inkrafttreten
der Neuregelung ausgestaltet. Deswegen sind die 7 Milliarden Euro, wenn der Bundestag den Nachtragshaushalt so beschließen sollte, wie ihn die Bundesregierung
vorgeschlagen hat, auf die Zeit bis Ende 2019 befristet.
Axel Troost.
Herr Minister, wir haben uns heute im Finanzausschuss ausführlich mit der Frage der gefundenen Kompromisse bei der Grundgesetzänderung befasst. Dabei
ist deutlich geworden, dass es aufseiten der Bundestagsfraktion der CDU/CSU zumindest in einzelnen Punkten
noch erhebliche Bedenken oder auch Änderungsbedarfe
gibt; entsprechende Änderungsvorschläge sollen jetzt
eingebracht werden. Mich würde interessieren, wie Sie
das einschätzen und was das für den gefundenen Kompromiss und auch den Umgang mit den Länderchefs bedeutet.
Herr Kollege Troost, erstens konnte ich an der Sitzung
des Finanzausschusses nicht teilnehmen. Ich bedaure
dies.
Zweitens habe ich solche Einwendungen aus der
CDU/CSU-Fraktion in der Sitzung des Plenums seit
13 Uhr nicht vernehmen können.
Drittens gilt das Struck’sche Gesetz. Die Bundesregierung hat heute beschlossen, einen Gesetzentwurf einzubringen. Dazu wird es jetzt eine Stellungnahme des
Bundesrates geben und dann eine Gegenäußerung der
Bundesregierung. Dann bekommt der Bundestag den
Gesetzentwurf und ist Herr des Verfahrens.
Ich gehöre diesem Deutschen Bundestag übrigens
schon länger an als die meisten anderen Anwesenden, um
nicht zu sagen, als alle anderen Anwesenden.
({0})
Das haben alle jetzt als zusätzliche Ermutigung empfunden.
({0})
Nun hat die Kollegin Paus die nächste Frage.
Herr Minister, die derzeitige Organisation der Steuerverwaltung ist, glaube ich, nach allgemeinem Dafürhalten ineffizient. Am Wochenende mussten wir vernehmen,
dass der Präsident des Bundesrechnungshofs ganze Bereiche sieht, über die er sagt: Es ist eher Zufall, dass dort
Steuervollzug stattfindet, als dass es die Regel ist. - Ich
spreche über die Themen Onlineanwendungen und immaterielle Güter. Vor diesem Hintergrund wäre es jetzt
ein guter Zeitpunkt gewesen, zu einer größeren Einheitlichkeit beim Vollzug, bei der IT-Ausstattung etc. zu
kommen. Das ist nicht geschehen.
Jetzt werden Sie gleich sagen, dass das an den Ländern
liegt. Beim Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft war
es bei den Ländern ja ähnlich. Die Länder waren nicht
begeistert, ihre Kompetenz im Bereich der Verkehrsinfrastruktur abzugeben. Da haben Sie jetzt einen Schwerpunkt gelegt und haben das mit den entsprechenden Gesetzen durchgesetzt. Können Sie mir sagen, warum Sie
diesen Schwerpunkt gesetzt haben? Warum haben Sie
angesichts der nicht so guten, um nicht zu sagen, sehr
schlechten Situation im Bereich der Steuerverwaltung
nicht einen anderen Schwerpunkt gesetzt?
Ich glaube, Frau Kollegin, der Vergleich der beiden
Bereiche ist irrig. Was die Steuerverwaltung anbetrifft,
hat die Bundesseite mit viel Überzeugungskraft, aber
mit wenig Hoffnung für eine grundlegende Änderung argumentiert. Denn die Lage ist so: Sie werden vielleicht
wissen - wenn nicht, erfahren Sie es jetzt in diesem Augenblick -, dass es schon eine Vorgabe der drei Besatzungsmächte an den Parlamentarischen Rat war, dass es
keine einheitliche Bundessteuerverwaltung geben dürfe.
Aus diesem Grund sehen die Länder eine eigene Steuerverwaltung als Teil ihrer im Grundgesetz garantierten
unabänderlichen Staatlichkeit an. Das wird nicht in allen Ländern gleich gesehen, aber in den großen Ländern
mit leistungsstarker Steuerverwaltung wie zum Beispiel
dem schon genannten Baden-Württemberg - ich habe der
dortigen Steuerverwaltung einmal angehört - wird es so
gesehen. Es ist überhaupt nicht verhandlungsfähig. Deshalb ist das Ergebnis so. Es war ein mühsames Ringen,
die begrenzten Verbesserungen, die wir jetzt wenigstens
für die Software und auch beim Weisungsrecht erreicht
haben, zu erzielen. Dagegen gibt es übrigens auch noch
Protokollerklärungen, zum Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen, dass man das nicht akzeptieren will.
Franziska Brantner.
Eine kurze Nachfrage; denn Sie hatten das vorhin
nicht kommentiert. Liege ich deswegen richtig in der
Annahme, dass der Streitwert beim Unterhaltsvorschuss
zwischen Bund und Ländern 100 Millionen Euro beträgt?
Nein.
({0})
- Ihre Frage war, ob Sie in der Annahme richtigliegen.
Die Antwort lautet: Nein.
Ja, das haben wir auch alle so verstanden. - Kollegin
Leidig.
Ich wollte nur noch einmal nach der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft fragen. Wenn ich Sie vorhin richtig
verstanden habe, Herr Minister, war die Entscheidung,
eine privatrechtliche Gesellschaftsform für die Bundesautobahnverwaltung zu finden, der Tatsache geschuldet,
dass Verkehrsminister Dobrindt der Meinung ist, dass die
privatrechtliche Form dazu führt, dass besser schneller
mehr Autobahnen gebaut bzw. repariert werden können.
Meine Frage ist, ob andere, zusätzliche volkswirtschaftliche Kriterien in die Erwägungen eingeflossen
sind. Ich sage es deshalb, weil wir davon ausgehen müssen, dass - wenn die Klimaschutzpläne der Bundesregierung umgesetzt werden - der Verkehrssektor sich
erheblich wird verändern müssen und da natürlich volkswirtschaftlich ganz andere Maßstäbe angelegt werden
müssen, als schneller mehr Autobahnen zu bauen. Meine
Frage ist, ob zusätzliche Kriterien in Ihre Überlegungen
eingeflossen sind.
Frau Kollegin, am Anfang der Überlegungen, die jetzt
in diesen Vorschlag einer Grundgesetzänderung gemündet sind, standen unterschiedliche, zum Teil auch weiter
gehende Überlegungen. Das ist zutreffend. Sie werden
sich vielleicht erinnern, dass der Bundeswirtschaftsminister aufgrund der Vorschläge einer von Professor
Fratzscher geleiteten Kommission vor einem Jahr nachdrücklich gefordert hat, man müsse die Möglichkeiten
für Investitionen privater Investoren in öffentliche Infrastruktur deutlich verbessern. Davon ist in dem, was wir
Ihnen jetzt vorschlagen, nicht mehr die Rede.
Darüber hinaus haben wir, die einzelnen Teilnehmer,
sicher über vieles diskutiert. Wir haben übrigens heute
in unserer Kabinettssitzung auch den Klimaschutzbericht 2016 beraten. Aber einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung bezüglich der Verwaltung der Bundesautobahnen
und dem Klimaschutzbericht haben wir nicht hergestellt.
Kollege Mutlu.
Herr Minister, Sie haben immer wieder betont, woher
Sie kommen. Ich würde gern wieder anknüpfen an das
Thema Kooperationsverbot und möchte nicht bewerten, dass die Große Koalition diese Einführung des Artikels 104c ganz unterschiedlich interpretiert. Dennoch
die Frage in Richtung der Südländer: Die Südländer Hessen, Baden-Württemberg und Bayern haben Befürchtungen geäußert, dass mit der Einführung des Artikels 104c
Landeskompetenzen angegriffen werden; ich sage es mit
meinen Worten. Wie sehen Sie das? Wie bewerten Sie
das? Und sind Sie mit mir der Meinung, dass die Kooperation in Bildungsfragen zwischen Bund, Ländern und
Kommunen nicht unbedingt eine Aufhebung von Länderkompetenzen zu bedeuten hat?
Herr Kollege, es gibt zum Kooperationsverbot, das
wir im Zuge der Föderalismusreform II, wenn ich dies
recht erinnere, in das Grundgesetz eingeführt haben,
unterschiedliche Vorstellungen. Das ist weder neu noch
irgendetwas sonst. Ich habe dazu auch nicht weiter Kommentare abzugeben. Ich habe auf die Frage meines Kollegen gesagt: Eine Veränderung der Zuständigkeit des
Bundes in der Bildungspolitik ist mit der vorgeschlagenen Ergänzung durch Artikel 104c nicht vorgesehen.
Natürlich kann man sagen: Wenn der Bund Finanzhilfen für finanzschwache Gemeinden gibt, dann hat dies
immer auch eine Auswirkung. Aber eigentlich ist dies
doch für die Länder vielleicht auch eine Ermutigung,
sich selber stärker um ihre finanzschwachen Gemeinden
zu kümmern. Ich füge hinzu: Das Land Baden-Württemberg - ich bin stolz, ein Badener zu sein - hat relativ wenige finanzschwache Gemeinden. Andere Länder haben
mehr.
({0})
- Was ist? Haben Sie etwas dagegen?
({1})
- Gleich gibt es Ärger.
({2})
Dazu eröffne ich jetzt keine neue Fragerunde. Wir
schließen damit die Fragen zu dem vorgetragenen Bericht zu den beabsichtigten Grundgesetzänderungen ab.
Wir kommen nun zu weiteren Fragen zur Kabinettssitzung bzw. an die Bundesregierung.
Zunächst hat der Kollege Volker Beck das Wort.
Vielen Dank. - Heute stand ja auch der Migrationsbericht der Bundesregierung auf der Tagesordnung des Kabinetts. Darin wird auf Seite 236 auf die Optionspflicht
und ihre rechtlichen Voraussetzungen Bezug genommen.
Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der
Ereignisse der letzten Woche frage ich die Bundesregierung: Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag,
die Befreiung von der Optionspflicht für in Deutschland
geborene Kinder ausländischer Eltern wieder abzuschaffen, und welche Pläne und Entwürfe existieren hierzu in
den Ressorts der Bundesregierung?
Herr Kollege Beck, die Bundesregierung hat sich in
ihrer Sitzung heute
({0})
nicht mit Beschlüssen von Parteitagen - nicht einmal mit
solchen der Partei Die Grünen - beschäftigt. Deswegen
kann ich Ihnen zur Berichterstattung aus dem Kabinett
nur sagen, dass dieses Thema im Zusammenhang mit
dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Migrationsbericht, den der Bundesinnenminister vorgelegt hat, keine
Rolle gespielt hat.
({1})
Kollege Ströbele.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich habe
eine Frage zu einem Thema, bei dem ich davon ausgehe, dass sich die Bundesregierung damit beschäftigt
hat, möglicherweise oder wahrscheinlich auch heute in
der Sitzung - ich war nicht dabei; das weiß ich natürlich nicht -, nämlich: Welche Indizien oder gar Beweise
liegen der Bundesregierung dafür vor - das war in der
FAZ zu lesen -, dass der Cyberangriff auf den Deutschen
Bundestag vom Frühjahr 2015 und die Veröffentlichung
von Unterlagen aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss - es waren umfangreiche Unterlagen;
2 500 Seiten - von Russen bewerkstelligt worden sein
sollen? Da dies angeblich von den Nachrichtendiensten,
vom Bundesamt für Verfassungsschutz und vom BND, in
einem zusammenfassenden Gutachten festgehalten worden sein soll, frage ich Sie darüber hinaus: Bekommen
wir dieses Gutachten?
Herr Kollege Ströbele, diese Frage hat in der Kabinettssitzung heute keine Rolle gespielt. Ich kann Ihnen
Ihre Frage deswegen nicht beantworten, außer dass ich
sage: Das hat keine Rolle gespielt. Nach meiner Kenntnis
gibt es für die Unterrichtung des Parlaments über solche
Fragen ein spezielles Gremium. Mein Vorschlag ist, dass
Sie diese Fragen in diesem Gremium stellen. Dort werden sie von der Bundesregierung sicherlich beantwortet.
Kollege von Notz.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Schäuble, ich
kann meine Frage vielleicht auch an Herrn Schröder
richten. Denn wenn offensichtlich Mitglieder der Sicherheitsbehörden die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung informieren und keine Information des Parlaments
stattgefunden hat, stellt sich schon die Frage, was die
Bundesregierung über diesen Vorgang weiß. Es wäre ein
maximal empörender Vorgang, wenn im April/Mai 2015
tatsächlich der russischen Regierung nahestehende Hacker den Deutschen Bundestag angegriffen hätten und
diese jetzt auch für die genannten Veröffentlichungen
verantwortlich wären. Deswegen frage ich Sie: Haben
Sie Kenntnis von Fakten und Belegen für diese These,
oder sind das nebulöse, nicht greifbare Vermutungen?
Gibt es aufseiten der Bundesregierung also Fakten und
Belege für diesen Vorgang, über den am letzten Sonntag
in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet wurde?
Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten; denn sie ist im Kabinett heute nicht behandelt
worden.
({0})
Ich bin darüber hinaus für diese Frage nicht zuständig
und habe keine Kenntnis. Ob Herr Schröder eine Antwort
darauf geben kann und mag, kann ich nicht beurteilen;
das ist Sache des Bundestagspräsidenten und des Kollegen Schröder.
Dann fragen wir einmal, ob sich Herr Schröder in der
Lage sieht, dazu eine Auskunft zu geben.
({0})
Vielen Dank, dass Sie mir als Vertreter des Bundesministeriums des Innern die Möglichkeit geben, dazu etwas
zu sagen. - Im Mai und August dieses Jahres waren ja
erneut der Deutsche Bundestag sowie mehrere politische
Parteien Ziel von Cyberattacken, die der Angriffskampagne APT 28 zugerechnet werden. Was diese Angriffskampagne angeht, deutet eine Vielzahl von Indizien auf
eine russische staatliche Urheberschaft hin. Das sind aber
lediglich Indizien.
({0})
Können Sie die Frage vielleicht in einem für jeden
nachvollziehbaren Zusammenhang so stellen, dass sie
dann auch durch die Bundesregierung beantwortet werden kann?
Natürlich! Verzeihen Sie, Herr Präsident. - Im zweiten Teil der Frage ging es um die Aussage, dass die vertraulichen Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss
NSA/BND, die auf WikiLeaks veröffentlicht wurden, aus
diesem Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag stammen. Ist das Fakt, und haben Sie dafür Belege, oder ist
das eine These, die man einfach einmal so geäußert hat?
Vielen Dank.
Dieser Sachverhalt wird in einer Arbeitsgruppe im
Cyberabwehrzentrum ja weiterhin aufgeklärt. Es liegen
zurzeit keine Erkenntnisse vor, die das untermauern würden.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich
will doch noch einmal nachfragen: Was hat Sie veranlasst - nicht Sie persönlich, aber die Bundesregierung -,
auf diese Art und Weise Pressearbeit zu machen, wenn
doch keine Informationen vorliegen? Es liegt ja der Eindruck auf der Hand, dass hier die Presse besser informiert
ist als das Parlament, und wenn wir dann vom Finanzminister auch noch darauf hingewiesen werden, dass man
dafür schließlich Gremien hat, wie das PKGr, das geheim
tagt, dann verstehe ich die Welt nicht.
Die Bundesregierung hat hierzu keine Pressearbeit
gemacht.
Herr Beck, bitte schön.
Vielen Dank. - Wir haben gerade in der Sitzung des
Innenausschusses ja auch über die Berichte der Welt und
der Cumhuriyet über geheimdienstliche Tätigkeiten von
DITIB-Imamen in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Vor dem Hintergrund dieser Berichte und der
darin gegebenen Informationen frage ich die Bundesregierung, ob sie die DITIB im Rahmen der Spionageabwehr nach § 3 Absatz 1 Ziffer 2 Bundesverfassungsschutzgesetz nun zum Beobachtungsgegenstand macht
und welche weiteren Schritte die Bundesregierung plant,
um unser Land vor geheimdienstlichen Aktivitäten einer
nicht geheimdienstlichen Struktur in Deutschland besser
zu schützen.
Ich vermute, dass sich diese Frage auch an das Innenministerium richtet.
Ja, es sei denn, das Kanzleramt möchte antworten.
Bitte schön, Herr Schröder.
Ob eine Institution Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes wird oder nicht, ist keine Frage, die politisch zu beantworten ist oder die der politischen Opportunität obliegt, sondern eine reine Rechtsfrage. Das
heißt, die rechtlichen Voraussetzungen hierfür müssen
vorliegen. Selbstverständlich ist das Bundesamt für Verfassungsschutz aber auch ansonsten sehr wachsam.
({0})
Das kommt gelegentlich vor.
({0})
Ich schließe damit die Regierungsbefragung mit besonderem Dank an die Mitglieder der Bundesregierung,
die für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung gestanden haben.
Hiermit rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/10595
Die eingereichten Fragen werden in der Ihnen bekannten Reihenfolge der Ressorts beantwortet, soweit keine
schriftliche Beantwortung erbeten ist.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
Alle eingereichten Fragen zu diesem Geschäftsbereich - die Fragen 1 und 2 der Kollegin Sylvia KottingUhl und die Fragen 3 und 4 des Kollegen Christian
Kühn - sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Hier sind die Fragen 5 und 6 des Kollegen Uwe
Kekeritz zur schriftlichen Beantwortung angemeldet
worden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung steht freundlicherweise Staatsministerin Böhmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Höger auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus
dem aktuellen Bericht „Landmine Monitor“, aus dem für das
Jahr 2015 ein Anstieg von Unfällen mit Landminen und explosiven Kriegsresten um 75 Prozent hervorgeht, auch hinsichtlich des deutschen Beitrages zur internationalen humanitären
Minenräumung ({1})?
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Höger, ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die
Bundesregierung unterstützt weltweit Projekte der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung und ist einer
der wichtigsten internationalen Geber. Die Publikation
des „Landmine Monitors“ wird von der Bundesregierung
seit mehreren Jahren aus dem Haushaltstitel „Humanitäre Hilfe …“ gefördert. 2016 - darf ich Ihnen sagen - waren das 400 000 Euro.
Wie aus diesem „Landmine Monitor“ hervorgeht, sind
die hohen Opferzahlen fast ausschließlich auf die Konflikte in Libyen, Syrien, Ukraine und Jemen zurückzuführen. Teilweise ist der Anstieg auch durch eine bessere Datenlage zur Erfassung der Opfer zu erklären. Die
Bundesregierung plant, die Förderung des humanitären
Minenräumens in diesen Staaten fortzusetzen bzw. zu
erhöhen.
Ausschlaggebend für Projekte ist jedoch der verbesserte Zugang zu den betroffenen Gebieten für Räumorganisationen und eine geringere Wahrscheinlichkeit von
erneuter Kontaminierung durch anhaltende bewaffnete
Konflikte. Gleichzeitig strebt das Auswärtige Amt in Bezug auf die gestiegenen Opferzahlen eine stärkere Berücksichtigung der Opferfürsorge innerhalb des Bereichs
Minen- und Kampfmittelräumung an.
Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die
Räumung von Sprengfallen und improvisierten Landminen. Insbesondere die vom sogenannten „Islamischen
Staat“ befreiten Gebiete in Syrien und im Irak sind in hohem Maße kontaminiert. Dies stellt eine tödliche Gefahr
für Leib und Leben der zurückkehrenden Bevölkerung
dar. Die Räumung von Sprengfallen ist hier zudem eine
wichtige Vorbedingung für das Leisten der humanitären
Hilfe.
Frau Höger.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort. - Ich finde
es gut, dass die Bundesregierung ihr Engagement in Bezug auf Minenräumprojekte erhöht hat und mehr Geld
bereitstellt. Aber diese Mittel sind im Verhältnis zu denen
des Verteidigungsetats eher wenig. Es müsste meines Erachtens viel mehr in Konfliktvermeidung investiert werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass Minen erst
gar nicht gelegt und Kriege nicht geführt werden?
Frau Staatsministerin.
Frau Kollegin Höger, Sie stellen eine Frage, auf die
ich nur antworten kann: Wir alle wünschen uns, dass keine Minen gelegt und keine Kriege geführt werden.
Frau Höger.
Wir hatten schon in der letzten Legislaturperiode eine
lange Diskussion darüber, dass es Investitionen in Firmen gibt, die Landminen und Streumunition herstellen.
Wir sind der Ansicht, dass Investitionen in solche Firmen
verboten werden sollten. Wie steht die Bundesregierung
dazu?
Ich glaube, diesen Vorschlag muss man sich sehr genau anschauen. Ich verstehe sehr gut, wenn Sie sagen, es
müsse alles getan werden, damit solche Minen überhaupt
nicht erst hergestellt werden. Das ist eine wichtige Überlegung.
Vielen Dank. - Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten
Omid Nouripour sowie die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Andrej Hunko werden schriftlich beantwortet.
Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Niema Movassat
sowie die Frage 14 des Abgeordneten Alexander Neu
werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Alexander
Neu auf:
Was ist der Bundesregierung über das Verhältnis der Zahl
der nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligten zivilen
Opfer der US-Drohnenangriffe zur Zahl der getöteten Kombattanten bekannt, und welche Statistik ({0}) hält sie hierzu für glaubwürdig und aussagekräftig?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung verfügt hierzu über keine eigenen Erkenntnisse.
Die US-Regierung veröffentlichte im Juli 2016 erstmals
aus US-Antiterroreinsätzen resultierende Opferzahlen
außerhalb von aktiven Kampfgebieten. Diese betreffen
den Zeitraum zwischen dem 20. Januar 2009 und dem
31. Dezember 2015 und nicht notwendigerweise nur
Drohneneinsätze. Bei 473 Einsätzen wurden danach zwischen 2 372 und 2 581 Kombattanten getötet. Darüber hiPräsident Dr. Norbert Lammert
http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt
http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt
http://www.handicap-international.ch/de/neuigkeiten/landminenbericht-2016-zahl-der-neuen-unfaelle-mit-landminen-fast-verdoppelt
naus seien zwischen 64 und 116 Nichtkombattanten ums
Leben gekommen.
Der Bundesregierung ist bewusst, dass die Statistiken
anderer Quellen, zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen, teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen
führen. Es ist der Bundesregierung jedoch nicht möglich,
diese zu überprüfen.
Herr Kollege.
Vielen Dank. - Die Bundesregierung verlässt sich damit auf die Zahlen der US-Regierung. Es geht mir ein
bisschen um die Fehlerquote. Sie haben die Zahl der
angeblich getöteten Kombattanten und der ums Leben
gekommenen Zivilisten genannt. Was die Fehlerquote
angeht, hat die NGO Reprieve in einem Beitrag mit dem
Titel „You Never Die Twice“ - „Du stirbst nicht zweimal“ - zum Beispiel festgestellt, dass 41 Männer, die
angeblich getötet worden sind, zwischen drei- und siebenmal getötet worden sind. Das macht die Fehlerquote
deutlich. Diese Männer sind also namentlich immer wieder aufs Neue als getötet auf der Todesliste aufgeführt
worden. Können Sie das erklären?
Ich habe eben schon gesagt, dass es uns nicht möglich
ist, so etwas zu überprüfen. Ich kann es Ihnen auch nicht
erklären.
Herr Neu.
Das war alles. Danke.
Bitte.
Dann komme ich zur Frage 16 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele:
Warum nahm die Bundesregierung in Deutschland bisher
nicht gemäß der Bitte des US-Präsidenten Barack Obama außer meines Wissens bislang nur zwei - weitere Häftlinge
aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo auf, gegen die
US-Behörden keine strafrechtlichen Vorwürfe mehr erhoben,
und wird die Bundesregierung nunmehr auf Präsident Barack
Obamas Ankündigung hin, möglichst bis zum Ende seiner
Amtszeit alle Häftlinge aus Guantánamo zu entlassen, ebenso
wie die Republik Kap Verde ({0}) weitere Häftlinge aus Guantánamo in Deutschland aufnehmen bzw. hierum rasch die
Regierungen der Bundesländer bitten?
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.
Gerne. Danke schön. - Herr Kollege Ströbele, die
Bundesregierung setzt sich seit langem dafür ein, dass
das Gefangenenlager Guantánamo so bald wie möglich
geschlossen wird, und begrüßt die andauernden Bemühungen von US-Präsident Obama, Guantánamo dauerhaft zu schließen. Sie hat der US-Regierung diesbezüglich ihre Unterstützung angeboten.
Deutschland hat seit 2006 drei ehemalige Guantánamo-Insassen aufgenommen. Die Aufnahme weiterer
Guantánamo-Häftlinge setzt ein formales Ersuchen der
US-Behörden und eine genaue Prüfung der tatsächlichen
Hintergründe und des Sachverhaltes voraus. Zwingende
Voraussetzung für eine Aufnahme von Guantánamo-Insassen in Deutschland ist, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
dass von den Personen künftig eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands ausgeht.
Herr Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, das
befriedigt mich gar nicht, vor allen Dingen angesichts
dessen, dass die frühere Bundesregierung etwa den Gefangenen Murat Kurnaz vier Jahre lang in dem Foltergefängnis Guantánamo schmoren gelassen hat, obgleich ihr
genau das von den Amerikanern mitgeteilt worden war:
dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
keine Gefährdung bestand.
Wieso hat die Bundesregierung nicht dem Drängen
des Sonderbeauftragten des US-Präsidenten, der durch
Europa gereist ist - er war auch in Deutschland; ich kann
Ihnen die Daten heraussuchen - und händeringend darum gebeten hat, Gefangene aufzunehmen, nachgegeben,
bzw. warum ist sie nicht zumindest in die Prüfung einzelner Fälle eingetreten, um dann zu einer Entscheidung zu
kommen? Vielleicht wäre Guantánamo dann heute schon
geschlossen.
Frau Staatsministerin.
Herr Kollege Ströbele, ich glaube, die Frage der
Schließung von Guantánamo muss in den USA geklärt
werden. Sie waren, glaube ich, gerade in den USA, und
Sie wissen auch um die politischen Auseinandersetzungen dort.
Aber lassen Sie mich zu der Frage kommen, die Sie
mit Blick auf Deutschland gestellt haben. Ich habe verfolgt, dass Sie sich vor kurzem im Deutschlandfunk
geäußert haben, und heute Morgen wurde im Morgenmagazin ein Bericht über Guantánamo, den derzeitigen
Stand und das Bemühen des amerikanischen Präsidenten
gezeigt. Das, was Sie mit Blick auf den Fall Murat Kurnaz angesprochen haben, war Gegenstand eines Untersuchungsausschusses - wenn ich richtig orientiert bin,
haben Sie dort für die Grünen eine Funktion gehabt -,
und es besteht insofern Klarheit, als die Regierung dort
ihre Position dargelegt hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Herr Ströbele.
Wenn ich noch eine Frage stellen darf: Frau Staatsministerin, den Fall Kurnaz könnten wir noch einmal
aufrollen. Aber dazu fehlt hier die Zeit. Die Bundesregierung hat sich immer darum gedrückt, hier eine klare
Stellungnahme abzugeben, und hat die Bremer Behörden
sogar dazu veranlasst, den Aufenthalt von Herrn Kurnaz
in Deutschland - er kam aus Bremen - zu verunmöglichen. Dazu ist damals sogar eine Entscheidung zusammen mit dem damaligen Staatssekretär im Kanzleramt,
Herrn Steinmeier, gefallen.
In meiner Frage geht es aber um etwas anderes. Sie
haben gesagt, diese Frage müsse in den USA geklärt
werden. US-Präsident Obama, der sich dringend darum
bemüht, die Gefangenen loszuwerden, findet auf der
ganzen Welt nicht genügend Länder, die bereit sind, alle
betreffenden Gefangenen, gegen die nichts vorliegt, aufzunehmen. Mehrere Staaten haben mehr Gefangene aufgenommen als Deutschland. Sicherlich muss die Frage in
den USA geklärt werden. Wenn man ihm aber dabei nicht
hilft, dann darf man sich nicht darüber beschweren, dass
dieses Foltergefängnis nach wie vor besteht.
Herr Ströbele, ich habe Ihr Interview im Deutschlandfunk nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern
auch gelesen. Dort haben Sie selbst über die Beschlusslage berichtet und auch darüber, dass die Mehrheit des
Ausschusses gesagt hat, der Bundesregierung sei nichts
vorzuwerfen. Also: Ich halte mich daran. Wie ich Ihnen
eben sagte, hat die Bundesregierung alles gesagt. Dem ist
nichts hinzuzufügen.
Nun zu dem anderen Punkt. Wir haben drei Personen
in Deutschland aufgenommen. Wie ich Ihnen bereits sagte, muss ein formales Ersuchen gestellt werden. Wenn
kein formales Ersuchen vorhanden ist, kann das Bundesinnenministerium nicht prüfen. Aber der Sicherheitsaspekt muss geprüft werden. Insofern glaube ich, dass
solche pauschalen Vorwürfe nicht tragen.
Vielen Dank. - Damit komme ich zu einem anderen
Geschäftsbereich, dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Ströbele auf:
Hat anlässlich der WikiLeaks-Veröffentlichung ({0}) von Unterlagen, welche die Bundesregierung
bzw. Bundesbehörden erstellten und später dem 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode „NSA“ des Deutschen
Bundestages zuleiten ließen, die zuständige Staatsanwaltschaft - wohl Berlins - auch der Bundesregierung - ebenso
wie dem Bundestag - einen Antrag übermittelt, gemäß § 353b
Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 des Strafgesetzbuchs die nötige
Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen gegen Mitarbeiter der Bundesregierung bzw. von Bundesbehörden wegen des
Verdachts einer Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer
besonderen Geheimhaltungspflicht, und wird die Bundesregierung diese Ermächtigung - ebenso wie der Präsident des
Deutschen Bundestages bereits am 2. Dezember 2016 - erteilen bzw. hat sie dies schon getan?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele, mit Betrübnis stelle ich fest, dass wir unseren Austausch hier im Bundestag nicht mehr allzu lange fortsetzen können. Umso mehr
freue ich mich über Ihre Frage.
Sie haben in Ihrer Frage eine Veröffentlichung von
Unterlagen vom 24. November 2016 angesprochen. Eine
Veröffentlichung vom 24. November 2016 ist mir nicht
bekannt. Ich gehe davon aus, dass sich Ihre Frage auf
eine Veröffentlichung über WikiLeaks vom 1. Dezember
2016 bezieht. Es handelt sich um ein laufendes Verfahren in strafrechtlichen Angelegenheiten; das ist auch den
Medien zu entnehmen. Zu Einzelheiten eines solchen
Verfahrens äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht, wie Sie wissen. Stutzig gemacht hat mich
allerdings schon, dass Sie sich auf den 24. November
beziehen. Falls Sie über weiteres Wissen bzw. intime
Kenntnisse von Veröffentlichungen vor dem 1. Dezember verfügen sollten, wäre es natürlich interessant, wenn
Sie sozusagen als Zeuge zur Verfügung stehen könnten,
Herr Ströbele.
Herr Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich will Folgendes dazu fragen:
Dieser Vorgang ist öffentlich. Nach diesen Veröffentlichungen haben sich die Strafverfolgungsbehörden offenbar an den Bundestagspräsidenten oder das Präsidium
gewandt und haben gebeten, hier im Deutschen Bundestag ermitteln zu können. Diese Genehmigung ist offenbar
erteilt worden; so habe ich das jedenfalls den Medien
entnommen. Da stellt sich doch die Frage, ob eine solche
Bitte auch an die Bundesregierung und die verschiedenen Bundesbehörden herangetragen wurde; denn dieselben Unterlagen, die dort veröffentlicht wurden, sind nicht
nur im Untersuchungsausschuss, das heißt im Deutschen
Bundestag, sondern auch im Kanzleramt, im Bundesinnenministerium und in anderen Ministerien vorhanden.
Ist eine solche Anfrage an Sie gestellt worden, und wenn
ja, wie wurde sie beantwortet?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mich nur
auf das beziehen, was ich eben gesagt habe. Es geht um
ein laufendes Verfahren und die Möglichkeit strafrechtlicher Ermittlungen. Dazu äußern wir uns bekanntermaßen
nicht.
Herr Ströbele, haben Sie noch eine Nachfrage? - Nein.
Dann leite ich zu den nächsten Fragen über. Die Frage 18 des Abgeordneten Özcan Mutlu wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Beck auf:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus einer taz-Recherche vom 30. November
2016, dass Behörden weit mehr als 5 000 Leugner der Existenz
der Bundesrepublik Deutschland bekannt seien und Hunderte
legal Waffen besitzen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Beck,
meine Damen und Herren, ich möchte vorausschicken,
dass die Bundesregierung auf der alleinigen Grundlage
von Presserecherchen keine Schlussfolgerungen und
Konsequenzen zieht und auch einzelne in der Presse genannte Zahlen nicht kommentiert.
Das Bundesministerium des Innern beobachtet allerdings im Zusammenhang mit selbsternannten sogenannten Reichsbürgern nicht erst seit dem schrecklichen
Vorfall vom 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd eine
Verschärfung der Gefährdungslage. Die Szene ist zunehmend via Internet vernetzt. Der Besitz von Waffen ist bei
manchen Mitgliedern der Szene erheblich. Immer öfter
sind Einschüchterungsversuche bei staatlichen Bediensteten durch Szenemitglieder zu beobachten.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird daher die
Reichsbürger fortan bundesweit beobachten. Zusammen
mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz können
auf diese Weise Vernetzungen zwischen Gruppierungen
und Personen besser erkannt werden. Die Reichsbürger-Szene ist nach den bisherigen Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden ausgesprochen heterogen. Es
gibt zahlreiche einzelne Gruppierungen und Personen im
gesamten Bundesgebiet. Darunter sind eben auch viele
Rechtsextremisten, aber auch Personen, die keinem der
klassischen Phänomenbereiche Rechts- oder Linksextremismus zuzuordnen sind. Gemeinsames Merkmal aller
der Reichsbürger-Szene zuzuordnenden Personen ist
aber die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik
und ihrer Rechtsordnung. Die Verfassungsschutzbehörden gehen davon aus, dass das neue Beobachtungsobjekt
voraussichtlich mehrere Tausend Personen umfassen
wird. Einzelheiten werden zurzeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden abgestimmt.
Wir müssen dann auch dafür sorgen - das ist ein Teil
Ihrer Frage -, dass diese Reichsbürger - das gilt natürlich auch für alle anderen Extremisten - nicht in den Besitz von Waffen kommen bzw. vorhandene Waffen wieder entzogen werden. Solche Vorfälle wie im August in
Sachsen-Anhalt und im Oktober in Bayern dürfen sich
nicht wiederholen. Das Bundesministerium des Innern
hat deshalb schon in diesem Sommer die Übermittlung
aller relevanten Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter über das gesamte rechtsextremistische Personenpotenzial an die Waffenbehörden angestoßen.
Herr Beck.
Ich begrüße, dass Sie inzwischen, anders als auf frühere Anfragen, sagen, Sie wollten diese Szene beobachten.
Trotzdem würde mich eines interessieren: Sie sprechen
von mehreren Tausend. Haben Sie schon irgendeine valide Vorstellung, über welches Beobachtungsobjekt wir
da reden? Um wie viel Personen geht es insgesamt in der
Szene? Wie viele Personen sind nach Ihrer Schätzung im
Besitz von Waffen bzw. gewalttätig?
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann Ihnen zu beiden Punkten keine genauen Zahlen sagen. Man kann natürlich sagen, dass mehrere Tausend nur eine ungefähre
Angabe ist. Aber das hängt auch damit zusammen, dass
wir im Verfassungsschutzverbund der 16 Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundesamtes jetzt
eine genaue Abgrenzung vornehmen müssen. Wir haben
eine heterogene Szene. Nicht alle sind Extremisten, es
sind auch nicht alle Rechtsextremisten, aber einige davon schon. Jetzt muss man genau schauen, wie man die
Abgrenzung vornimmt.
Jemand, der mit dem deutschen Staat ein Problem hat,
ist nicht automatisch Reichsbürger. Man muss also genau schauen, wo die Abgrenzung ist. Die muss, auch im
Sinne des Rechtsstaates, klar definiert werden; denn das,
was beobachtet wird, muss klaren gesetzlichen Grundlagen gehorchen. Da werden Sie, glaube ich, der Erste sein,
der das verlangen würde. Insofern kann man genauere
Angaben noch nicht dazu machen.
Auch für den Bereich der Schusswaffenbesitzer können wir keine genauen Zahlen angeben. Wir gehen davon
aus, dass sich die Zahl im dreistelligen Bereich bewegt.
Auch der furchtbare Fall in Georgensgmünd hängt damit zusammen, dass man erkannt hat, dass jemand ein
Reichsbürger ist und Waffen hat, die er nicht haben sollte,
weil er aufgrund der konkreten Umstände nicht mehr als
zuverlässig gelten konnte. Bei mangelnder Zuverlässigkeit müssen Waffen abgegeben werden, sie sollten entzogen werden. Es kam zu diesem furchtbaren Vorfall, weil
er sich mit Waffengewalt gewehrt hat.
Herr Beck.
Besorgt macht mich schon die Unklarheit der Lageeinschätzung. Wenn wir vergleichen, welche Organisationen sonst vom Verfassungsschutz beobachtet werden,
dann ist die Angabe von einigen Tausend Reichsbürgern
schon erstaunlich hoch. Dass man in diesem Bereich so
unpräzise Vorstellungen hat, ist kein gutes Signal für die
Sicherheit in unserem Land.
Ich wollte Sie zu dem, was Sie gerade gesagt haben,
nämlich dass es Reichsbürger gibt, die die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland als nicht existent
und nicht legitim ablehnen, fragen, in welchen Fällen denen eine extremistische Haltung abzusprechen ist. Das
verstehe ich nicht.
Ich bedanke mich für die Klarstellung. Ich habe eben
gesagt, dass es eine heterogene Gruppe gibt, dass also
nicht alle Mitglieder dieser Gruppe rechtsextrem sind.
Insofern würde ich schon sagen, dass diejenigen, die diesen Staat komplett ablehnen, Anhänger von Extremismus
sind. Aber ich möchte präzisieren: Sie sind damit nicht
automatisch alle Rechtsextremisten.
({0})
Man kann auch davon ausgehen, dass es hier teilweise
um Extremismus sui generis geht. Dieser Extremismus
muss nicht in allen Fällen mit Rechtsextremismus identisch sein. Das ist, glaube ich, ganz wichtig festzustellen.
Extremismus müsste man wohl insgesamt - da haben Sie
recht - als Oberbegriff dafür anerkennen.
Ich weise noch einmal darauf hin: Seit Sommer wird
intensiv darüber diskutiert, ob diese Bewegung zum Beobachtungsobjekt wird. Wir haben mit den Landesverfassungsschutzämtern im November dieses Jahres eine
große Tagung durchgeführt. Das heißt, wir sind jetzt
noch in einem Prozess, in dem genau diese Abgrenzung
zu erfolgen hat. Dass wir noch keine genaue Zahl angeben können, beunruhigt mich nicht. Wenn wir das auch
in einigen Monaten noch nicht können, dann hätten Sie
Grund dazu, beunruhigt zu sein. Es muss jetzt gründlich
geprüft werden,
({1})
wie die Abgrenzung aussieht, um welche Personengruppe es also geht.
Es hat ja auch Entwicklungen gegeben. Die Militarisierung, die stärkere Gewaltbereitschaft ist eine Entwicklung, die vor Monaten und Jahren noch nicht so greifbar
war. Das heißt, wir haben auf eine zunehmende Gewaltbereitschaft zumindest in Teilen dieser Szene reagiert.
Damit komme ich zur nächsten Frage, zu Frage 20,
ebenfalls des Kollegen Volker Beck:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die erheblichen finanziellen Aufwendungen für die Beauftragung von McKinsey
mit der Beratung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, um „konsequentere Rückführungen“ durchzuführen
({0})?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege,
der Abschlussbericht „Prozessdarstellung und Aufzeigen
von Optimierungspotenzialen Rückkehr“ von McKinsey
wird voraussichtlich am 16. Dezember 2016, also übermorgen, fertiggestellt und soll dann auch den betroffenen
öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt werden. An
dem Projekt waren insbesondere die Länder Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Sachsen
beteiligt; es ist also nicht nur der Bund beteiligt.
Das Beratungsunternehmen hat den gesamten Rückkehrprozess einschließlich der freiwilligen Rückkehr untersucht. Der Bericht enthält zahlreiche Berechnungen,
beispielsweise zu den Kosten der Abschiebung, zu den
Kosten der freiwilligen Rückkehr und zu den monatlichen
Kosten für den Aufenthalt vollziehbar ausreisepflichtiger
Ausländer. Des Weiteren finden sich im Bericht umfangreiche Prozessdarstellungen zu Dublin-Überstellungen,
zu freiwilliger Rückkehr, zu an der Rückführung beteiligter Behörden usw.
Kernstück des Berichts sind die umfassende Darstellung der bestehenden Vollzugsdefizite im gesamten
Rückkehrbereich und, daraus resultierend, 14 Handlungsempfehlungen. Ziel ist es, zu einer deutlichen Effizienzsteigerung im Bereich Rückkehr zu kommen. Hierfür soll der Bericht wichtige Anstöße geben.
Herr Beck.
Wir reden hier über etwa 1,86 Millionen Euro Steuergelder. Das entspricht 678 Beratungstagen à 2 700 Euro.
So eine Ausgabe will ja gerechtfertigt sein. Welche der
14 Handlungsempfehlungen wären mit dem Sachverstand des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und
des Bundesinnenministeriums so nicht denkbar gewesen?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege, zunächst einmal kann und will ich zu Kosten nichts
kommentieren.
({0})
Ich will darauf hinweisen, dass es sich um einen Rahmenvertrag handelt, der übrigens ein viel größeres Volumen hat und im Rahmen dessen viele andere Dinge untersucht werden. In diesem Teilbereich können bestimmte
Beratertage - Sie haben dies angesprochen - abgerufen
werden. Es ist für mich noch gar nicht ersichtlich - weil
das Ergebnis noch nicht vorliegt -, wie viele davon tatsächlich abgerufen werden. Da wir noch kein Gesamtergebnis haben, kann ich auch die 14 Empfehlungen nicht
kommentieren.
Ich glaube, dass es unabhängig von den Inhalten solcher Empfehlungen oft hilfreich ist - das wissen wir aus
vielen anderen Bereichen, etwa aus Kommunalverwaltungen -, wenn neben dem internen Sachverstand eines
Ministeriums zusätzlich ein Beratungsunternehmen von
einer neutraleren Position aus Hinweise geben kann und
wenn Gewähr dafür gegeben ist, dass von außen ein
Blick auf etwas geworfen worden ist und dass manche
Dinge, die man in einer Behörde vorher vielleicht schon
in Betracht gezogen hat, mit einer weiteren Expertise unterlegt werden. Das ist ein Grund, warum Beratungsleistungen - übrigens in vielen Bereichen der öffentlichen
Verwaltung - durchaus Sinn machen.
Herr Beck.
Die Kostenfrage müssen wir als Haushaltsgesetzgeber
natürlich schon aufwerfen dürfen. Wir müssen schon fragen, ob ein effizienter Umgang mit Steuermitteln stattfindet. Ich frage Sie deshalb: Wäre das, was da vorgeschlagen wurde, nicht ohnehin von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des BAMF auch so leistbar gewesen? Oder:
Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF so
schlecht sind, weil sie so schlecht bezahlt werden, wäre
es dann nicht kosteneffizienter gewesen, man hätte dort
höher dotierte Stellen geschaffen, um eine solche Expertise im Haus vorzuhalten, um also nicht dauerhaft
solch hochdotierte Beratungsverträge zu schließen? Ich
vermute, dass die Kompetenz hinsichtlich dessen, wo es
klemmt, bei denen, die in der Sache damit zu tun haben,
wesentlich höher ist als bei denen, die beraten und dafür
horrende Honorare erhalten. Woher haben sie die Kenntnisse? Sie haben sie bei den Beamten abgefragt, die mit
diesen Prozessen befasst sind.
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, zunächst einmal würde ich Ihnen vollkommen recht geben, dass der Haushaltsgesetzgeber zu prüfen hat, wo sozusagen vielleicht
keine effiziente oder effektive Leistung für bestimmte
Steuergelder erfolgt ist; das ist gar keine Frage. Es geht
nur darum, ob man schon zum jetzigen Zeitpunkt zu allen
14 Punkten etwas sagen kann.
Es ist übrigens auch Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, zu schauen, ob die Bundesregierung bei der Stellenanmeldung vielleicht zu bescheiden ist. Wenn Sie Ihre
Kollegen im Haushaltsausschuss überzeugen wollen,
dass wir Stellen heben oder noch mehr Stellen für das
BAMF vorsehen: Wir sind wirklich immer zu einem Dialog bereit.
({0})
Allerdings würden wir beide uns überheben, Herr Kollege, wenn wir versuchen würden, die Grundsatzdiskussion zu führen, ob externe Beratung in Behörden Sinn
macht.
({1})
Es gibt Argumente, die sehr allgemein dagegen verwandt werden. Aber auch hier gilt das, was generell
gilt: dass wir beides brauchen, natürlich auch die interne
Expertise, also die Expertise von Beamten, die den Verwaltungsvorgang aus der täglichen Praxis kennen. Aber
Sie werden wissen, dass keine Bundesbehörde so stark
gewachsen ist wie das BAMF. Es ist selbstverständlich,
dass bei Tausenden von neuen Mitarbeitern Verwaltungsabläufe neu überprüft und neu organisiert werden müssen. Dazu ist es hilfreich, neben der internen Expertise
auch externe Expertise zu haben. Das genau ist hier erfolgt. Von daher ist das gut angelegtes Geld des Steuerzahlers.
({2})
Herr Kollege Beck, Sie haben leider nur zwei Fragen.
({0})
Das ist auch nur ein Kommentar und keine Frage. Das
war ein Stoßseufzer.
Besser organisieren! Herr Beck, wenn ich in der Frage
einen Rat geben darf: Es gibt auch noch Kollegen hinter
Ihnen.
Keine Anstiftung, Frau Präsidentin.
({0})
Ich bin ja auch Parlamentarier, Herr Staatssekretär.
Ich auch.
Sie auch.
Die Fragen 21 und 22 der Kollegin Ulla Jelpke werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Inwieweit trifft es zu, dass nach meiner Kenntnis das
Bundesinnenministerium ({0}) für das Bundesamt für Verfassungsschutz ({1}) bereits für das Jahr 2017 Mehrbedarfe an Planstellen und Mitteln für erforderlich hält, die unter
anderem dadurch gerechtfertigt würden, dass das BfV unter
anderem auch in die Lage versetzt werden soll, mögliche
nachrichtendienstliche Aktivitäten zur Einflussnahme bezogen
auf die Willensbildung in Deutschland seitens des türkischen
Geheimdienstes MIT aufzuklären, und wie hoch ist der Mehrbedarf für die nächsten drei Jahre für diesen Aufgabenbereich
({2})?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Frau Kollegin, darauf kann ich leider nur sehr
kurz antworten. Es geht um Fragen des Wirtschaftsplans
des Bundesamts für Verfassungsschutz. Der Wirtschaftsplan des Bundesamts für Verfassungsschutz unterliegt
der Geheimhaltung; das ist bekannt. Hierauf bezogene
Auskünfte erhält das in § 10a der Bundeshaushaltsordnung vorgesehene Gremium, also das Vertrauensgremium. Das können wir im Plenum des Deutschen Bundestages leider nicht diskutieren.
Frau Dağdelen.
Als Mitglied dieses Verfassungsorgans, das auch Kontrollrechte hat, Herr Staatssekretär, würde ich trotzdem
gern wissen, inwieweit die Bundesregierung bei Planstellen des Bundesamts für Verfassungsschutz Mehrbedarfe
für erforderlich hält. Letztendlich ist es die Umsetzung
einer Entscheidung, die auf der politischen Ebene getroffen wird. Deshalb denke ich schon, dass Sie uns, dem
Parlament, schuldig sind, zu sagen, ob die Bundesregierung Mehrbedarfe gesehen hat.
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Dağdelen, ich kann
den Wunsch nach Information verstehen, muss aber das
Gleiche antworten: Es ist eine geheimhaltungsbedürftige Information, die wir nicht im Plenum des Deutschen
Bundestages diskutieren können. Es ist auch ein Mitglied Ihrer Fraktion in diesem Gremium. Ich würde Ihnen empfehlen, sich an diesen Kollegen zu wenden. Ich
kann mir gut vorstellen, dass er Ihnen, im Rahmen der
Geheimhaltungspflicht natürlich, allgemeine Hinweise
geben kann, soweit er es mit seiner Rechtsauffassung
vereinbaren kann.
Aber noch einmal: Dieses Gremium ist aus guten
Gründen kein öffentlich tagendes Gremium. Von daher
wird - das gebe ich gern zu - die Informationsmöglichkeit des Kollegen gering sein. Wenn Sie schon da keine
Information bekommen haben, wie ich vermute, können
Sie nicht erwarten, dass ich sie im Plenum gebe.
Frau Dağdelen.
Herr Kollege, Sie wissen, dass die Information der
Geheimhaltung unterliegt.
Genau.
Insofern kann ich meinen Kollegen, der für die Linksfraktion Mitglied des Gremiums ist, gar nicht dazu fragen. Wenn ich ihn fragen würde, bekäme ich keine Antwort; das wissen Sie.
({0})
Ich möchte trotzdem gern wissen, ob es hier überhaupt
Aktivitäten seitens der Bundesregierung gegeben hat.
Als Mitglieder des Innenausschusses werden wir vom
Bundesamt für Verfassungsschutz informiert. Das war
in einer der letzten Sitzungen der Fall, aber in diesem
Zusammenhang nicht. Insofern bin ich gern bereit, Antworten unter dem Aspekt der Geheimhaltung in der Geheimschutzstelle einzusehen, wenn Sie denn bereit sind,
für mich als Mitglied des Parlaments diese Antwort dort
zu hinterlegen.
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, ich finde es schön,
dass Sie klargestellt haben, dass Sie von Ihren Kollegen
dazu keine Informationen bekommen können. Diese
Aussage wollte ich vielleicht auch ein wenig provozieren. Ich würde mich da auch der Rechtsauffassung Ihrer
Kollegen anschließen, dass es sich um geheimhaltungsbedürftige Informationen handelt.
Ich kann mir deshalb auch nicht vorstellen, dass es
außerhalb dieser Gremien an anderer Stelle, wie der Geheimschutzstelle, eine Möglichkeit gibt. Ich sage Ihnen
aber gern zu, im Hause noch einmal zu prüfen, was da
möglich ist. Ich will Ihnen aber keine allzu großen Hoffnungen machen.
Damit kommen wir zu Frage 24, ebenfalls von der Abgeordneten Sevim Dağdelen:
Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse ({0}), dass Imame der Türkisch-Islamischen
Union der Anstalt für Religion ({1}), des direkt von der
türkischen Regierung gesteuerten, mit 970 Moscheegemeinden größten islamischen Dachverbands in Deutschland, dafür
eingesetzt werden, türkische Staatsbürger im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT auszuspionieren, wobei Halife
Keskin, für Auslandsangelegenheiten zuständiger Vizechef
des Religionspräsidiums, die DITIB-Imame aufgefordert
haben soll, „detaillierte Berichte“ über alle Tätigkeiten, Einrichtungen und das Personal der Gülen-Organisation zu erstellen ({2}), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Frau Kollegin, zu der aktuellen Berichterstattung über ein mutmaßliches Ausspionieren von türkischen Staatsbürgern durch Imame der DITIB im Auftrag
des türkischen Nachrichtendienstes MIT liegen der Bundesregierung bisher keine eigenen Erkenntnisse vor. Die
Sicherheitsbehörden sind diesbezüglich allerdings sehr
sensibilisiert und gehen derartigen Verdachtshinweisen
im Einzelfall jeweils intensiv nach.
Frau Dağdelen.
Ganz herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Dazu
möchte ich eine Frage mit zwei Unterfragen stellen. Die
eine ist - Sie sagten, die Bundesregierung habe keine eigenen Erkenntnisse -: Gibt es denn von fremden Diensten Erkenntnisse, die Sie zur Kenntnis genommen haben?
Die andere ist: Inwieweit hat die Bundesregierung Erkenntnisse, gerne auch nachrichtendienstliche Erkenntnisse, dass bei den türkischen Konsulatslehrern, die nur
für fünf Jahre nach Deutschland abgeordnet sind, mit einem Austausch dergestalt gerechnet wird, dass analog zu
den Vorgängen in der Türkei - wo jetzt alle Lehrer einen
Fragebogen ausfüllen müssen, in dem sie Auskunft über
ihre Anschauungen und auch über ihre Herkunft geben,
und wo die Lehrkräfte seit dem 15. Juli dieses Jahres,
dem Tag des gescheiterten Militärputschversuchs, entlassen und durch regimetreue, loyale Lehrer ersetzt werden - auch hier AKP-loyale Personen als Konsulatslehrer
eingesetzt werden sollen?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, zu der ersten Frage: Natürlich tauschen
sich unsere Dienste in diesen und anderen Fragen mit
ausländischen Diensten aus. Auch dazu kann ich hier natürlich keine konkreten Auskünfte geben. Aber wir nehmen aufmerksam alles auf, was von dort an Hinweisen
erfolgt, und schauen im Einzelfall, wo es - das war ja
der Kern Ihrer Frage - sozusagen Spionageversuche geben könnte. Wir reden hier übrigens über eine strafbare
Handlung.
({0})
Außerdem müssen wir feststellen: Wer beispielsweise
als Imam oder vielleicht auch als Lehrer in Deutschland
ist und sich auf diese Weise betätigt, überschreitet die
Grenzen des Visums, das er bekommen hat; denn dieses
ist natürlich nicht ausgestellt worden, um hier Spionagetätigkeit zu entfalten. Also auch da können Konsequenzen erfolgen, nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht.
Was die Lehrer anbelangt - das war Ihre zweite Frage -, so habe ich jetzt keine konkreten Erkenntnisse präsent. Aber ich sage einmal - vielleicht ganz unvorsichtig -: Wenn man sieht, was in der Türkei passiert, würde
es mich persönlich nicht wundern, wenn hier ähnliche
Versuche unternommen würden. Das muss nicht sofort
die Grenzen der Strafbarkeit überschreiten; aber trotzdem sehen wir das natürlich mit Sorge.
Frau Dağdelen.
Herr Staatssekretär, das könnte ja auch andere Konsequenzen haben. Eine Alternative wäre, dass man die
Sonderstellung der Türkei aufkündigt, die darin besteht,
dass Imame durch eine fremde Regierung in unser Land
exportiert werden, die dann hier in den deutschen Schulen irgendetwas lehren, bei dem noch nicht einmal durch
die Schulaufsicht kontrolliert wird, was gelehrt wird. Ich
finde diese Praxis sehr fragwürdig.
https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html
https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html
https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html
Das verleitet mich zu der nächsten Frage, nämlich wie
viele Imame aus den DITIB-Moscheen seit dem 15. Juli
in Deutschland Asyl beantragt haben.
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, das ist zwar schon
Ihre dritte Frage; trotzdem würde ich sie gerne beantworten. Ich habe die Zahl aber nicht präsent. Ich kann aber
gerne mein Haus bitten, einmal zu schauen, ob wir Ihnen
zum Thema Imame und Asylanträge eine Zahl liefern
können.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz. Die Frage 25 der Abgeordneten Sabine Zimmermann wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 26
der Abgeordneten Brigitte Pothmer wird schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf. Die
Beantwortung übernimmt die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Flachsbarth.
Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Bärbel Höhn
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 29 des Abgeordneten Ebner auf. Hier
geht es darum, welche Konsequenzen das Thema Klimafolgen im Ministerium hat.
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, mit Verlaub: Die Frage 29 bezieht
sich auf den Bereich der Digitalisierung und die Frage 30
auf den Bereich Klimafolgenabschätzung. Also, ich beginne mit der Digitalisierung.
Dann rufe ich dazu die Frage 30 auf:
Wie ist der bzw. die in der Zukunftsstrategie „Aussaat 2017“ genannte künftige Digitalisierungsbeauftragte im
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im
Haushalt 2017 fixiert, und welche Themenfelder sollen hinsichtlich der Digitalisierung bearbeitet werden?
Herr Kollege Ebner, der Herr Bundesminister
Christian Schmidt hat am 7. Dezember 2016 in Bonn und
am 8. Dezember 2016 in Berlin den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern seines Ministeriums die Zukunftsstrategie
„Aussaat 2017“ vorgestellt. Sie umfasst die organisatorische und inhaltliche Schwerpunktsetzung im Bereich
der Zukunftsaufgaben seines Geschäftsbereichs. Hierzu
zählt auch die Etablierung der Funktion eines Digitalisierungsbeauftragten. Seine Aufgaben werden es sein,
als Ansprechpartner für die Gestaltung des Themenfelds
„Landwirtschaft 4.0“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu fungieren und die Aktivitäten zu diesem Thema zu bündeln. Eine gesonderte Fixierung im Haushalt des BMEL 2017 ist nicht erfolgt, da
keine neue Stelle eingerichtet werden muss.
Herr Ebner.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, im
Ausschuss wurde heute Morgen in Bezug auf diese Stelle gesagt, dass gemeinsam mit der Landtechnikindustrie
die Digitalisierung vorangebracht werden soll. Deshalb
möchte ich Sie fragen: Inwieweit ist für diese Stelle oder
für durch diese Stelle anzustoßende Projekte auch eine
PPP-Finanzierung durch die Wirtschaft angedacht? Ist
geplant, digitale Pflanzenschutzmaßnahmen aus dem
bisherigen Kapitel zur Förderung von Modellprojekten
beim integrierten Pflanzenschutz zu fördern? Irgendetwas muss diese Stelle ja tun.
Herr Kollege Ebner, der mit dieser Aufgabe beauftragte Mitarbeiter unseres Hauses wird all die Entwicklungen, die sich mehr und mehr als ein zukunftsweisendes, zukunftsträchtiges Feld auch in der Landwirtschaft
erweisen, zusammenführen und koordinieren. Wir sind
bereits jetzt in vielen verschiedenen Bereichen der Digitalisierung unterwegs. Die verschiedenen Aktivitäten,
die wir entwickeln, zusammenzuführen und auf den
Punkt zu bringen, das wird der Mitarbeiter dieser Stelle
tun. Sie wissen, dass wir zum Beispiel beim autonomen
Fahren in der Landwirtschaft schon wesentlich weiter
sind als im übrigen Verkehrssektor. Sie wissen, dass wir,
zum Beispiel beim ressourceneffizienten und -schonenden Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, ein enormes Potenzial im Bereich der Digitalisierung haben. Das alles
kann man unter den Begriff des Smart Farming fassen.
Sie wissen aber darüber hinaus auch, dass die Frage der
Datenverfügbarkeit und des Besitzes dieser Daten weiter
diskutiert werden muss. Deshalb ist es erforderlich und
macht Sinn, einen solchen eigenen Arbeitsbereich mit
diesen Aufgaben zu befassen.
Herr Ebner.
Frau Staatssekretärin, die Themen der von Ihnen gerade adressierten „Aussaat 2017“ - im Winter säen wir
bekanntlich eigentlich nichts aus; heute wurde schon
der Begriff „Projekt Abendsonne“ dafür verwendet Sevim Dağdelen
sind nicht neu. Sie gab es schon zu Beginn der Legislaturperiode. Deshalb stellt sich die Frage, warum diese Stellen, Referate und Abteilungen im Zuge dieser
„Aussaat 2017“ jetzt, zum Ende der Legislaturperiode,
geschaffen werden müssen. Es wurde schon heute Morgen im Ausschuss angesprochen, es sei ja ganz normal,
Büroleiter zu Abteilungsleitern zu machen. Wenn das alles so normal ist, möchte ich trotzdem fragen: Werden
diese Stellen, die neu geschaffen, umstrukturiert und neu
orientiert werden, öffentlich ausgeschrieben? Werden sie
tatsächlich noch vom alten Minister für die Tätigkeit des
dann folgenden neuen Ministers besetzt?
Herr Kollege Ebner, ich bin zwar Tierärztin und keine
gelernte Landwirtin, aber vielleicht ist auch Ihnen Wintergetreide ein Begriff. Das ist nämlich Getreide, das man
im Herbst aussät, damit es im Sommer und Herbst des
nächsten Jahres zur Ernte ansteht.
({0})
Von daher ist das in der Landwirtschaft eine völlig normale Vorgehensweise.
Nun zurück zu unserem Haus. Es ist doch - gerade
auch nach den Haushaltsverhandlungen, die wir in der
letzten Sitzungswoche abgeschlossen haben, erfreulicherweise mit einem Aufwuchs für den Haushalt des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft - gut erklärlich, dass neue Themenschwerpunkte
und neue fachliche Erfordernisse letztendlich von einer Umstrukturierung und Neuakzentuierung im Haus
begleitet werden. Da ergibt sich aus dem politischen
Wunsch des Parlaments auch das Handeln der Exekutive. Selbstverständlich werden diese Stellen ganz regulär
ausgeschrieben und besetzt.
Noch einmal fürs Protokoll: Das war jetzt die Beantwortung der Frage 30.
Damit rufe ich jetzt die Frage 29 auf:
Mit welchen Ressourcen soll eine Stärkung des Bereichs
Klimafolgen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gelingen, und wie wird dadurch sichergestellt, dass
die im Klimaschutzplan 2050 für die Landwirtschaft festgelegten Minderungsziele bis 2030 erreicht werden?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Sehr gerne, Frau Präsidentin. Ich versuche gleich noch
aufzuklären, welche Nummer nun was ist - macht aber
nichts.
Ist schon geklärt. Das ist nämlich hier die Bundestagsdrucksache, und die ist entscheidend. Es war so, wie ich
gesagt hatte.
Ah ja, okay. Sehr gut. Dann richte ich mich - in aller
Demut - selbstverständlich danach.
Herr Kollege Ebner, auch die Stärkung des Bereiches
Klimafolgen ist Bestandteil der organisatorischen und inhaltlichen Schwerpunktsetzung des Bundesministeriums
für Ernährung und Landwirtschaft.
Landwirtschaft ist zum einen unmittelbar vom Klimawandel betroffen. Zum anderen ist sie beim Klimaschutz
aber auch Teil der Lösung und leistet hierzu bereits einen
erheblichen Beitrag. Eine komplett emissionsfreie Produktion von Nahrungsmitteln ist - anders als die Produktion in anderen Branchen - aber nicht möglich. Um das
Klimaschutzpotenzial der Land- und Forstwirtschaft auszuschöpfen und sie auf den Klimawandel vorzubereiten,
wurden und werden von der Bundesregierung zahlreiche
Maßnahmen ergriffen.
In welcher Form die bislang vom BMEL ergriffenen Maßnahmen und Ressourcen im Detail ausgebaut
und intensiviert werden, wird das Bundesministerium
im Dialog mit den Beteiligten erörtern. Dazu wird unter anderem die Fachtagung zum Klimaschutzgutachten
„Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den
nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung“, die am vergangenen Montag stattgefunden hat,
einen Beitrag leisten.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist anzumerken, dass
Klimafolgen und daraus resultierende Anpassungsmaßnahmen nicht Gegenstand des Klimaschutzplans 2050
sind. Mit dem am 14. November verabschiedeten Klimaschutzplan 2050 liegt eine klimapolitische Langzeitstrategie der Bundesregierung vor, in der sektorale Ziele zur
Treibhausgasminderung für die Zwischenetappe bis 2030
und ein Transformationspfad mit dem Zieljahr 2050 beschrieben werden. Im Jahr 2018 soll der Klimaschutzplan 2050 dann mit einem qualifizierten Maßnahmenprogramm unterlegt werden.
Herr Ebner.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wir haben uns ja immerhin bezüglich der jeweiligen
Frage - wann welche Frage dran ist - schon einmal ganz
gut verstanden. Ich möchte Sie fragen, inwieweit die
„Aussaat 2017“ denn jetzt auch bei Fragen der Bewältigung von Klimafolgen und der Bearbeitung des Klimaschutzplanes zum Tragen kommt.
Es soll ja auch die Zukunftsstrategie Ökologischer
Landbau geben - eine gerne zitierte Strategie, für deren Umsetzung es viel Personal und viel Betreuung
braucht. Warum sind denn in der Zukunftsstrategie „Aussaat 2017“ für dieses wichtige Zukunftsfeld keine weiteren Stabs- oder verantwortlichen Stellen eingeplant? Hat
sich der Minister da jetzt doch schon von seiner Strategie
verabschiedet?
Herr Kollege Ebner, die Begleitung des ökologischen
Landbaus stellt bereits bislang einen Schwerpunkt des
Handelns des Bundesministeriums dar. Von daher war
in diesem Bereich jetzt keine weitere Stärkung erforderlich. Aber der Bereich des Klimaschutzplanes, in dem der
ökologische Landbau einen großen Anteil hat, zeigt, wie
wichtig die Vernetzung und die Verzahnung dieser beiden Themenbereiche in der Zukunft für das Ministerium
sind.
Herr Ebner.
Die Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau, Frau
Staatssekretärin, soll dem Vernehmen nach erst im Februar 2017 auf der BIOFACH vorgestellt werden, nachdem
man vorher drei Jahre lang beraten hat. Sie haben also
noch knapp ein halbes Jahr, um sozusagen in die Gänge
zu kommen. Insoweit ist es schon gerechtfertigt, da noch
einmal zu fragen - wenn es bisher schon Schwerpunkt
war und noch nicht einmal eine Zukunftsstrategie dabei
herausgekommen ist -: Wie soll das künftig eigentlich
umgesetzt werden? Wie wollen Sie die formulierten Ziele überhaupt erreichen?
Ich möchte auch etwas zum Thema „Aussaat 2017“
fragen. Der ländliche Raum ist hier ein ganz zentraler
Punkt. Mit wie vielen Referaten, mit wie vielen Stellen
wird die neue Abteilung „Ländliche Entwicklung“ im
BMEL geplant? Wie genau soll das aussehen?
Herr Kollege Ebner, ich hatte eben schon ausgeführt,
dass der Haushaltsgesetzgeber in der vergangenen Woche dankenswerterweise im Rahmen von GAK, also der
Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz, und im
Rahmen von BULE, also dem Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, erheblich mehr Mittel zur Verfügung gestellt hat, als das in den letzten Etats der Fall war.
Letztendlich stellt sich die kreative Verwendung, die zukunftsweisende Verwendung der Mittel auch in der Umorganisation unseres Hauses dar.
({0})
In wie vielen Referaten sich das niederschlagen wird, das
würde ich Ihnen sehr gerne schriftlich zukommen lassen;
ich kann es Ihnen im Moment nicht sagen, aber nicht,
weil wir es nicht wissen, sondern weil ich es jetzt nicht
weiß.
({1})
Vielen Dank. - Dann wird die Antwort nachgereicht.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 31 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer
wird schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 32 der
Kollegin Sabine Zimmermann zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle zur Verfügung.
Die Fragen 33 und 34 des Kollegen Stephan Kühn
werden schriftlich beantwortet, die Fragen 35 und 36 des
Kollegen Herbert Behrens werden entsprechend unserer
Geschäftsordnung ebenfalls schriftlich beantwortet, da er
nicht anwesend ist, und auch die Fragen 37 und 38 des
Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Matthias Gastel
auf:
Welche Tunnel, die durch Anhydritschichten führen, wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bislang nach dem von
Prof. Walter Wittke entwickelten Bauverfahren, das bei Stuttgart 21 Anwendung findet, in Betrieb genommen ({0}), und welche
Erkenntnisse gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich der Resistenz dieser Tunnelanlagen gegen die Risiken
aufquellender Anhydritschichten?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Kollege Gastel, für Schienenwegeprojekte sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG
Vorhabenträger und Bauherr. Nach Auskunft der Deutschen Bahn AG betrifft das im Projekt Stuttgart 21 für
Anhydritbereiche geänderte Bauverfahren die Tunnel
Feuerbach und Bad Cannstatt. Das neue Bauverfahren
erfüllt nach Angaben der Deutschen Bahn AG zum heutigen Tag die gestellten Erwartungen.
Herr Gastel.
Herr Staatssekretär, ich vermisse die Antwort auf
die Frage. Die Frage ist schlicht und ergreifend gewesen, ob der Bundesregierung bekannt ist, welche bereits
fertiggestellten Tunnelstrecken, die im Anhydrit liegen,
nach der Methodik von Herrn Professor Wittke gebaut
wurden. Wenn Sie diese Frage nicht beantworten, muss
ich daraus schlussfolgern, dass es solche Strecken nicht
gibt. Das bedeutet, dass die Deutsche Bahn erstmals eine
Technologie anwendet, die sich in der Praxis noch nicht
hat bewähren können. Anders kann ich Ihre Nichtantwort
nicht interpretieren.
Ich versuche es mit einer Nachfrage. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat ein Gutachten in Auftrag
gegeben, in dem unter anderem festgestellt wurde, das
Bauen im Anhydrit sei kritisch und dass nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden sei, dass diese Methodik nicht
nachträglich zu Problemen mit aufquellendem Gestein
führen könne. Professor Wittke, der die Deutsche Bahn
in Sachen „Bauen im Anhydrit“ berät, hat gegenüber verschiedenen Zeitungen geäußert, er kenne dieses Gutachten nicht. Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesregierung es beurteilt, dass die Deutsche Bahn ein Gutachten
in Auftrag gibt, das zu einem kritischen Ergebnis kommt,
dieses Gutachten aber dem Berater der Deutschen Bahn
überhaupt nicht zur Verfügung gestellt wird.
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Herr Kollege Gastel, ich will zunächst
einmal betonen, dass sich Ihre erste Frage explizit auf das
bei Stuttgart 21 zur Anwendung gekommene Bauverfahren bezieht. Darauf habe ich Ihnen geantwortet, dass dieses Verfahren bei den Tunneln Feuerbach und Bad Cannstatt zur Anwendung kommt. Das zu Ihrer ersten Frage.
Zu Ihrer Zusatzfrage will ich Ihnen sagen, dass es
durchaus Erfahrungen mit Tunneln in Anhydritschichten
gibt, und zwar beim Engelbergbasistunnel. Dieser Tunnel, der bereits 1995 gebaut wurde und im August 1999
vollständig für den Verkehr freigegeben wurde, wurde
zumindest in Teilen durch anhydritführende und unausgelaugte Gipskeuperstrecken geführt, auf insgesamt
430 Metern. Daraus resultieren Erfahrungen, die man bei
weiteren Bauvorhaben berücksichtigen kann.
Herr Gastel.
Herr Staatssekretär, ich weise darauf hin, dass in der
vorab schriftlich eingereichten Frage ausdrücklich Bezug
genommen wird auf bereits in Betrieb genommene Tunnel, also können Sie nicht auf Tunnel von Stuttgart 21
verweisen; denn die sind definitiv und nachweislich noch
nicht in Betrieb. Die Frage hat sich auf Erfahrungen in
der Praxis mit bereits in Betrieb genommenen Tunneln
bezogen, weil es nicht nur darum geht, ob man mit der
Methodik von Professor Wittke gute Tunnel bauen kann,
sondern vielmehr darum, wie sich diese Tunnel nach einigen Betriebsjahren bewähren. Die Frage ist also: Gibt
es dann Probleme, oder sind Probleme durch die Bautechnik abgewendet worden?
Ich versuche es jetzt trotzdem noch einmal mit einer
anderen Frage, die sich aber auch auf das Gutachten
bezieht. Das KPMG-Gutachten kam zu dem Ergebnis,
Stuttgart 21 würde ein, vielleicht auch drei Jahre später
fertig werden. Es handelt sich - ich sage es noch einmal - um ein Gutachten, das von der Deutschen Bahn in
Auftrag gegeben wurde. Die Bundesregierung sagt auf
Nachfrage immer wieder, sie geht nach wie vor davon
aus, dass Stuttgart 21 pünktlich fertig wird. Mit „pünktlich“ bezieht sie sich auf das Jahr 2021. Die Gutachter
der Bahn gehen von 2022, 2023 oder sogar später aus.
Ich möchte gerne wissen: Woher haben Sie Ihre Erkenntnisse? Warum gehen Sie von einer früheren Fertigstellung aus als der Gutachter der Deutschen Bahn?
Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung verlässt sich in diesem Zusammenhang immer auf die Aussagen der Deutschen Bahn.
Dieses Gutachten, das vom Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn in Auftrag gegeben wurde, ist uns inhaltlich nicht
bekannt.
({0})
Insofern verlassen wir uns auf die Aussagen der Bahn.
Ich kann es nochmals wiederholen: Es gibt Erfahrungen mit Tunnelbauten in anhydritführenden Schichten,
und zwar beim Engelbergbasistunnel. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Erfahrungen mit dem Engelbergtunnel nicht auf Schienentunnel übertragbar sind;
denn Straßentunnel haben einen wesentlich größeren
Querschnitt als ein Schienentunnel. Insofern kann man
davon ausgehen, dass die Verhältnisse durchaus unterschiedlich sind.
Beim Engelbergbasistunnel wurde nach zwei Verfahren vorgegangen, nach dem sogenannten Widerstandsprinzip und dem sogenannten Ausweichprinzip. Beim
Widerstandsprinzip geht man so vor, dass man die Gewölbeschichten deutlich verstärkt, um die entstehenden
Drücke auffangen zu können. Beim Ausweichprinzip
geht man so vor, dass man in die entsprechenden Gewölbe- oder Soleschichten eine komprimierbare Masse einfügt, die dann den entstehenden Druck auffangen kann.
Das sind die beiden Verfahren, die beim Engelbergbasistunnel zur Anwendung gekommen sind und sich insofern
auch bewährt haben.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Gastel auf:
Anhand welcher Kennzahl möchte die Bundesregierung
das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgeschriebene Zwischenziel zur Umrüstung von lauten Güterwagen ({0}) kontrollieren, und auf welcher
Datenbasis wird diese Kennzahl von der Bundesregierung
ermittelt?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
Vielen Dank. - Zu der Frage 40 darf ich sagen, dass wir
die Evaluierung des Umrüstungsstandes bis Ende 2016
derzeit vorbereiten. Dazu ist die Auswertung verschiedener Datenquellen erforderlich. Das nehmen wir mit
großer Ernsthaftigkeit in Angriff, weil - das wissen Sie,
Herr Gastel - uns die Minderung des Schienenlärms ein
großes Anliegen ist und wir klar zum Ausdruck gebracht
haben, dass wir uns, falls diese Evaluierung, die wir
demnächst fertigstellen wollen, zu dem Ergebnis kommt,
dass nicht mindestens die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet ist, ordnungsrechtliche Maßnahmen vorbehalten. Für diesen Fall bereiten
wir bereits einen Verordnungsentwurf vor.
Herr Kollege Gastel.
Das Problem ist ja, dass nicht alle Güterwagen, die in
Deutschland unterwegs sind, auch im nationalen Register
registriert sind. Das heißt, es sind auch Fahrzeuge, die in
anderen Ländern Europas registriert sind, auf deutschen
Gleisen unterwegs. Die tauchen dann in der Statistik, die
Ihnen ohne Weiteres zugänglich ist, nicht auf. Aber wenn
man das Ziel, also die Halbierung des Lärms durch Güterwagen bis 2020, tatsächlich erreichen möchte, dann
muss man natürlich auch die Wagen, die aus dem Ausland kommen, entsprechend berücksichtigen und darauf
schauen und drängen, dass sie auf leisere Bremssysteme
umgerüstet werden.
Deswegen ist meine Nachfrage an Sie, Herr Staatssekretär Barthle: Inwieweit hält die Bundesregierung
das nationale Fahrzeugeinstellungsregister überhaupt
für geeignet, um zu überprüfen, was auf den Gleisen in
Deutschland unterwegs ist? Müsste hier nicht eher die
Fahrleistung der Wagen zugrunde gelegt werden, um die
Entwicklung des Lärms auf der Schiene tatsächlich beobachten und beurteilen zu können?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Ich will als Ergänzung meiner Antwort hinzufügen, dass wir uns nicht nur auf das nationale
Fahrzeugeinstellungsregister des Eisenbahn-Bundesamtes verlassen, sondern dass wir zahlreiche weitere Datenquellen auswerten wollen. Dazu zählt zum Beispiel das
zentralisierte europäische Fahrzeugeinstellungsregister,
European Centralised Virtual Vehicle Register, ECVVR
abgekürzt. Dazu zählt das Umrüstregister für die Verwaltung des Förderprogrammes des Bundes. Dazu zählen die Daten des Statistischen Bundesamtes sowie die
statistischen Verkehrsdaten der europäischen Nachbarstaaten. Wir greifen auch auf Daten und Angaben der
DB Netz AG zurück und versuchen, Daten und Angaben
aus dem gesamten Sektor auszuwerten. Sie sehen, es gibt
eine Reihe von Daten, die wir auswerten, damit wir am
Ende des Jahres 2016 zu einem Ergebnis, zu dieser Evaluierung, kommen.
Herr Gastel.
Vielen Dank. - Dazu passt meine zweite Frage, glaube ich, ganz gut. Wir hatten in einer Kleinen Anfrage
gefragt, welche Laufleistung mit leisen Güterzügen
erbracht wird. Sie hatten für das Jahr 2015 den Anteil
von leise abgerechneten Trassenkilometern im Güterverkehr mit 16 Prozent angegeben. Jetzt ist die Frage: Aus
welchem Register stammen diese Angaben? Was ist die
Quelle für diese Zahl, die Sie uns genannt haben?
Das müsste ich Ihnen schriftlich nachreichen, Herr
Kollege Gastel. Mir liegt momentan nicht vor, aus welcher Quelle diese Zahl stammt.
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende unserer Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung. Wir nehmen die Sitzung
wieder um 15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde auf.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung und rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Herausforderungen für die internationale
Politik nach den Terroranschlägen in Kairo,
Istanbul und weiteren Orten vom vergangenen Wochenende
Als erste Rednerin in der Aktuellen Stunde hat
Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach
den Anschlägen im Istanbuler Stadtteil Besiktas hingen
in meiner Heimatstadt Herne, im Ruhrgebiet, die Flaggen vor dem Rathaus auf Halbmast. Besiktas und Herne
sind Partnerstädte; die Städtepartnerschaft wurde erst im
Sommer dieses Jahres beschlossen. In dieser Woche ist
eine Delegation des türkischen Ordnungsamtes in Herne.
In Besiktas arbeiten die Mitglieder eng zusammen mit
der Polizei, auch während der Fußballspiele. Wären sie
nicht nach Herne gekommen, sie wären vielleicht heute
tot. Ganz sicher wären sie mitten in die Terroranschläge
geraten. Sie sind es nicht. Andere mussten an diesem Tag
ihr Leben lassen, viele Polizisten darunter, auch Bekannte unserer Delegationsmitglieder.
In unserer Stadt waren viele geschockt über die Grausamkeit, besonders diejenigen, die die Orte kannten, die
Straßen und Plätze, an denen die Anschläge stattgefunParl. Staatssekretär Norbert Barthle
den haben. Es besteht keinerlei Zweifel an unserer Haltung: Terror ist durch nichts zu rechtfertigen.
({0})
Ob es die TAK, die PKK oder andere Extremisten sind:
Sie werden sich verantworten müssen, und sie müssen
von einem Rechtsstaat verurteilt werden.
Aber wie soll das gehen? Von einem Rechtsstaat hat
sich die Türkei leider immer weiter entfernt. Die Gewalt
hat wieder zugenommen, die Sicherheitslage hat sich
verschärft. Das war nicht immer so. In der Anfangszeit
der Regierung Erdogan wurden Reformen durchgesetzt,
auch für die kurdische Bevölkerung. Es wurden Friedensgespräche geführt. All das liegt aber längst in Scherben. Auch die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei
verschlechtert sich. Das Vertrauen von Unternehmen und
von Staaten in die Türkei sinkt. Das liegt auch an der Abwendung von der EU und am Demokratieabbau.
Die türkische Opposition, auch die prokurdische HDP,
hat die Terroranschläge klar verurteilt. Der Staatspräsident reagiert nun, indem er wieder viele ihrer Mitglieder
verhaften lässt. Die Verhältnismäßigkeit ist längst außer
Kraft. Der Kurdenkonflikt kann aber nur mit Verhandlungen beigelegt werden, nicht mit Gewalt.
({1})
Die Türkei wird entscheiden müssen, wie sie sich weiterentwickeln will. Wir sind gut beraten, es hier an klarer
Haltung nicht vermissen zu lassen und den Weg freizuhalten für eine Entwicklung in Richtung Demokratie,
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Abstimmung über die Todesstrafe wird auch eine Abstimmung
über die Beziehungen zur EU sein. Das weiß die Türkei.
Drohungen beeindrucken uns nicht. Im Gegenteil: Wir
schauen nicht weg, auch wenn unsere Handlungsspielräume begrenzt sind. Das haben wir in diesem Parlament
auch mit der Initiative „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ deutlich gemacht,
({2})
und ich danke den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen in diesem Hause für dieses starke Zeichen der Solidarität.
Deutschland hat ein Interesse an einer stabilen Türkei
samt ihrer territorialen Integrität; denn sie ist das Tor zum
Nahen und Mittleren Osten, direkter Nachbar Syriens.
Wir dürfen nicht zulassen, dass sich hier ein weiterer unüberbrückbarer Konflikt zuspitzt. Terrorismus führt nicht
an den Verhandlungstisch. Gespaltene Gesellschaften
jedoch begünstigen Gewalt, Extremismus und am Ende
eben auch den Terrorismus.
Erlauben Sie mir noch eine generelle Einlassung. Was
wir an vielen Stellen der Welt feststellen, ist, dass die Zahl
religiös überformter Konflikte zunimmt. Außenminister
Frank-Walter Steinmeier hat hier vor wenigen Monaten
einen Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit
vorgelegt, in dem auch auf die Verfolgung von Christen
eingegangen wird. Das ist ein wichtiger Schritt, um die
Dimensionen deutlich zu machen; denn auch Religionsgemeinschaften haben Verantwortung. Staaten müssen
sicherstellen, dass die Religionsfreiheit nicht nur auf
dem Papier garantiert wird, und sie müssen Minderheiten
aktiv schützen. Auch für unsere Außenpolitik muss das
Folgen haben. Es wäre gut, wenn das AA weiter darüber
nachdenkt, wie wir mit dieser andauernden Verletzung
der Menschenrechte umgehen und wie wir die Staaten,
die es aus eigener Kraft nicht schaffen, hier für Abhilfe
zu sorgen, unterstützen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bürgermeister
von Besiktas, der der CHP angehört, schrieb am Morgen
nach den Terroranschlägen: Es fällt mir schwer, „Guten
Morgen“ zu sagen. - Als verantwortliche Politiker mögen
wir uns gar nicht vorstellen, was es heißt, nach solchen
Anschlägen wieder auf die Marktplätze zu gehen und mit
den Menschen zu sprechen. Wir, Kolleginnen und Kollegen, wären aber alle nicht hier versammelt, wenn wir
nicht überzeugt wären: Wir können etwas bewegen, wir
müssen etwas besser machen, und wir dürfen uns vom
Terrorismus nicht einschüchtern lassen, um all der Menschen willen, die Angst haben, sich sorgen und sich auf
die Kraft der Demokratie verlassen.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Redner hat Dr. Bartsch von der Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion Die Linke
verurteile ich die Terroranschläge vom vergangenen Wochenende in Kairo, in Istanbul und an anderen Orten auf
das Schärfste.
({0})
Sie sind durch nichts, durch gar nichts zu rechtfertigen.
Sie sind auch durch nichts, durch gar nichts zu relativieren.
({1})
Es ist gut, dass die Parteien der Großen Koalition die
Herausforderungen für die internationale Politik nach
diesen Terroranschlägen hier in einer Aktuellen Stunde
debattieren lassen. Ich sehe es allerdings als problematisch an, dass nach dem Willen der Koalition die Lage
in der syrischen Stadt Aleppo in dieser Aktuellen Stunde
keine Rolle spielen soll. Ich glaube, wir sind am heutigen
Tag gefordert, auch dazu ein paar Sätze zu sagen; das ist
angesichts der dramatischen Situation notwendig.
Auch hier will ich ausdrücklich klarstellen, dass meine Fraktion die Waffenstillstandsvereinbarung ausdrücklich begrüßt.
({2})
Es ist ein denkbar schlechtes Zeichen, dass die Kämpfe
jetzt wieder aufflammen, weil sich Milizen weigern, sich
an die Vereinbarung zu halten, und stattdessen Stadtteile in Westaleppo beschießen. Wir hätten uns gewünscht,
dass der UN-Plan zur Evakuierung der Zivilisten und
zum Abzug der islamistischen Terrormilizen vonseiten
der Bundesregierung frühzeitig unterstützt worden wäre.
Wir möchten uns zugleich - auch wenn er nicht da ist bei Bundesaußenminister Steinmeier für seine diplomatischen Bemühungen ausdrücklich bedanken. Es bleibt
aber festzuhalten, dass diese Bemühungen des Bundesaußenministers im Gegensatz zu Teilen der Union stehen,
denen, wie Herrn Röttgen, nichts anderes einfällt als Säbelrasseln und Sanktionsdrohungen gegenüber Russland.
Wir wissen, dass das niemandem in Aleppo wirklich helfen kann.
Ich will noch einmal kurz auf die beiden Attentate eingehen. Es ist barbarisch, ein Fußballspiel für ein
Attentat zu nutzen; das macht einen nahezu sprachlos.
Als jemand, der selbst häufig in Fußballstadien ist, von
diesem Anschlag liest und dann unscharfe Bilder sieht,
kann ich die sehr, sehr unterschiedlichen Reaktionen
von Menschen in der Türkei, in Deutschland und auch
in Europa nachvollziehen. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten und müssen dabei bleiben: Trotz dieses
Wahnsinns dürfen wir unsere offene Gesellschaft nicht
kaputtmachen lassen; ansonsten würden die Terroristen
gewinnen. Auch deshalb muss im Übrigen völlig klar
sein, dass bei der Aufklärung dieser furchtbaren Taten die
Grundsätze von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten gewahrt bleiben müssen.
({3})
Das sehe ich, ganz vorsichtig gesagt, gefährdet. Herr
Erdogan instrumentalisiert diese nach den Terroranschlägen, um seine Macht weiter auszubauen; ich bin hier
voll bei Michelle Müntefering. Das können wir nicht
akzeptieren. Hier erwarte ich auch von der Bundesregierung klare Positionen. Es ist gut, dass Parlamentarier
aller Fraktionen - von der Union über die Grünen und
die Sozialdemokraten bis zu den Linken - auch gestern
noch einmal ihre Solidarität mit inhaftierten HDP-Abgeordneten gezeigt haben. Das ist ein richtiges Zeichen aus
diesem Haus.
({4})
Auch das Attentat in Kairo mit vielen toten koptischen
Christinnen und Christen - darunter Frauen und Kinder macht uns vermutlich alle sprachlos. Der IS hat sich dazu
bekannt und war es vielleicht auch. Das sagt ein weiteres Mal einiges über diese Wahnsinnigen. Ja, man muss
alles tun, um denen das Handwerk zu legen. Vor allen
Dingen müssen wir dafür sorgen, dass die Unterstützung
der sunnitischen Stämme und anderer Sympathisanten
schwindet. Dazu zählt aber auch, dass man mit Geistesverwandten nicht kooperiert. Deswegen kritisieren wir
die Sympathiereise der Verteidigungsministerin in die
Diktaturen am Golf.
({5})
Mit Ländern, die den islamistischen Terror exportieren,
wie Saudi-Arabien und Katar, soll jetzt enger kooperiert
werden. Das passt mit dem Bedauern über die Toten in
der Kirche nicht zusammen.
({6})
Niemand versteht, dass die Bundesregierung Waffen an
Staaten liefern lässt und aufs Engste sicherheitspolitisch
mit ihnen kooperiert, die auch hier in Deutschland radikal-islamistische, salafistische, antidemokratische Ideologien fördern. Damit gefährden Sie die Sicherheit der
Bevölkerung in Deutschland.
({7})
Wir brauchen hier eine veränderte Außenpolitik; das
ist eben schon gesagt worden. Europa muss ein glaubwürdiger, friedlicher Akteur in der Außenpolitik sein.
Wir müssen die Unterstützung der Förderer des islamistischen Terrors stoppen. Das ist das Mindeste, was Sie für
die Sicherheit der Bevölkerung in der Region und auch
hier in Deutschland tun können. Das ist eine riesige Herausforderung für die Diplomatie; aber sie darf nicht im
Interesse von Rüstungsunternehmen konterkariert werden.
({8})
Nicht zuletzt: Deutschland sollte seine Chance nutzen,
die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats dazu
zu bringen, die Verantwortung in der Region in anderer
Weise wahrzunehmen. Vielleicht eröffnet das neue Jahr
dafür Chancen.
Herzlichen Dank.
({9})
Clemens Binninger hat als nächster Redner das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Kairo, Istanbul - man könnte diese Liste - leider, muss
man sagen - weiter fortsetzen. Die Anschläge in Frankreich im abgelaufenen Jahr, auch auf ein Fußballstadion,
in Belgien und an vielen anderen Orten der Welt zeigen:
Terrorismus schreckt vor nichts zurück. Die begangenen
Anschläge sind Anschläge auf die freie Gesellschaft und
müssen - das tun wir heute auch - von allen Parlamenten dieser Welt aufs Schärfste verurteilt werden. Wer so
agiert, der hat nur die Spaltung der Gesellschaft im Sinn;
er nimmt keine Rücksicht auf Opfer. Deshalb ist es, glaube ich, mehr als wichtig, sich zu fragen, was die internationale Politik tun kann, um diesem Phänomen Herr zu
werden und es zu besiegen.
Nachdem meine Vorredner einige Facetten in den Mittelpunkt ihrer Reden gestellt haben, will ich eine weitere
hinzufügen, die auch dazugehört: Die Bekämpfung des
Terrorismus ist kein Problem eines Landes, sondern ein
internationales Problem. Kein Land kann mit den terroDr. Dietmar Bartsch
ristischen Bedrohungen alleine fertig werden. Deshalb
ist es umso wichtiger, dass wir uns fragen: Wie können
Länder bei der Bekämpfung des Terrorismus besser zusammenarbeiten? Über eines müssen wir uns nämlich
im Klaren sein: Mit einer nationalen Lösung wird dieses
Problem nicht gelöst. Im Interesse der Bürger überall auf
der Welt ist es notwendig, dass wir zusammenarbeiten
und alles daransetzen, dieses Phänomen zu bekämpfen
und zu besiegen, wo es nur geht.
({0})
Mit Blick auf die Lage möchte ich ein paar nüchterne Zahlen nennen: 700 Gefährder allein aus Deutschland
sind in der Krisenregion Syrien/Irak. Sie begehen dort
möglicherweise schwere Straftaten und kommen hierher
zurück, und begehen auch hier welche. Es gibt mehrere Tausend IS-Kämpfer in Europa und über 10 000, geschätzt, weltweit. Daran wird deutlich, dass es neben den
vielen Dingen, über die wir reden müssen, auch um die
Frage geht: Was können Sicherheitsbehörden leisten?
Ich will vorausschicken: Es gibt nicht die eine Antwort auf das Problem des Terrorismus. Sie setzt an vielen
Stellen an und reicht von der Entwicklungshilfe über die
Schaffung demokratischer Strukturen und die Bekämpfung von Korruption bis hin zum Austrocknen von Finanzströmen und vielerlei mehr.
Dazu gehört aber auch, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden bei der Strafverfolgung und bei der
Enttarnung der Attentäter zu verbessern. Deshalb möchte
ich darauf hinweisen, dass wir in der Großen Koalition
mit den Gesetzesänderungen, die wir beschlossen haben,
den Nachrichtendiensten unter engen Bedingungen Rechtsstaatlichkeit immer als Maßstab - erlauben, Informationen mit anderen Nachrichtendiensten auszutauschen. Das ist nicht unumstritten; die Linken sehen das
anders. Das wird auch nicht der Regelfall sein. Es wird
Fälle geben, in denen das aus guten Gründen nicht geht.
Aber daran, dass wir diese Instrumente brauchen, wird
wohl keiner zweifeln. Woher soll ein deutscher Nachrichtendienst Erkenntnisse über IS-Kämpfer aus Frankreich
haben, die vielleicht in Ägypten unterwegs sind? Woher
sollen diese kommen, wenn nicht durch Austausch? Ich
glaube, es war gut und richtig, diese Gesetzesänderun gen
zu beschließen, damit die Sicherheitsbehörden Instrumente haben, um gegen Terroristen vorzugehen.
Bei all dem, was man notwendigerweise tun kann,
geht es auch darum, die Täter dingfest zu machen. Es
geht darum, sie zu verfolgen, zu finden und zu bestrafen. Deshalb halte ich den Informationsaustausch für ein
ganz wichtiges Element im Kampf gegen den Terror. Er
muss unter klaren rechtlichen Regeln erfolgen; aber er
ist unverzichtbar. Das, was wir auf den Weg gebracht haben, ist nur ein Baustein. Diese Maßnahmen werden die
Probleme in einer unruhigen Welt mit immer komplexeren Krisenherden nicht alleine lösen. Aber sie versetzen
die Sicherheitsbehörden national und international in die
Lage, Terroristen zu enttarnen, zu verfolgen und zu bestrafen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag für die
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Das bitte ich
bei den Debatten, die man führen kann - außenpolitisch,
entwicklungspolitisch, verteidigungspolitisch -, nicht
ganz zu vergessen. Auf diesen Part kommt es auch sehr
an.
Herzlichen Dank.
({1})
Als nächster Redner spricht Omid Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
trauern um die Opfer der Terroranschläge in Istanbul, in
Kairo, in Falludscha. In Gedanken sind wir bei ihren Angehörigen.
Der Terrorismus ist brandgefährlich, nicht nur für
die Opfer; er ist auch brandgefährlich für den sozialen
Frieden. Der ehemalige Chef des hessischen Landesverfassungsschutzes, Alexander Eisvogel, hat stets gesagt:
Man kann den Islamismus nur bekämpfen, wenn man die
Rechten bekämpft; und man kann die Rechten nur bekämpfen, wenn man die Islamisten bekämpft. Sie brauchen einander, um Nachwuchs zu rekrutieren. - Dieses
gegenseitige Hochschaukeln zeigt, dass wir es hier mit
einem sehr ernsten Problem zu tun haben. Es zeigt aber
auch, dass wir die Trennlinie nicht zwischen den Religionen ziehen dürfen. Wir müssen sie zwischen den Demokraten auf der einen Seite und den Feinden der Demokratie auf der anderen Seite ziehen.
({0})
Der Kollege Binninger hat recht: Es gibt keine Masterpläne, erst recht nicht in der internationalen Politik.
Aber man muss natürlich immer versuchen, mit Augenmaß zu agieren und sich Partner zu suchen, gerade im internationalen Umfeld. Die Bundesregierung hat in dieser
Auseinandersetzung im Nahen Osten drei Hauptpartner,
über die ich gerne einige Sätze sagen möchte.
Ein Partner ist die Türkei. Die Anschläge waren grauenvoll. Die Kollegin Müntefering hat gerade die Verhältnismäßigkeit der Reaktionen angesprochen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat gesagt - ich
zitiere -: „Unsere dringendste Aufgabe ist, Rache zu nehmen“. So viel zum Stichwort „Augenmaß“. Ich glaube,
das ist der falscheste Ton, den man nach einer solchen
terroristischen Attacke anschlagen kann.
({1})
Egal über welchen Terrorismus wir sprechen: Eine
der vielen Quellen ist immer konstant, nämlich die identitätsstiftende kollektive Wahrnehmung einer Demütigung. Sie kann auch sehr subjektiv sein. In dem Zusammenhang zeigt sich, wie unglaublich falsch es war,
dass Erdogan den Friedensprozess mit den Kurdinnen
und Kurden aufgekündigt hat, und zwar ausschließlich
aus Wahlkampfgründen. Es zeigt sich aber auch, wie
unglaublich falsch es war, das Grenzmanagement so zu
betreiben, dass ISIS - im Gegensatz zu den humanitären
Lieferungen - die Grenze zu Syrien jederzeit passieren
konnte. Und es zeigt sich, wie unglaublich falsch es ist,
dass die Türkei zurzeit mit dem absoluten Schwerpunkt
der Bekämpfung der Kurdinnen und Kurden in Syrien
militärisch eingreift. Das verstärkt eher das Gefühl der
Demütigung bei den Minderheiten in der Türkei, und das
ist fatal. Am meisten zeigt sich das daran - das zeigen
neue Berichte -, dass die Kooperation zwischen ISIS ein Tiger, den Erdogan zu reiten versucht hat - und der
Türkei unter der AKP so weit ging, dass eine Waffenfabrik in Mosul tonnenweise Handfeuerwaffen produzieren konnte, und zwar die ganze Zeit, monatelang. Das
war ausschließlich möglich, weil die Türkei permanent
Nachschub für diese Fabrik geliefert hat. Dazu kann ich
nur sagen: Diesen Partner haben Sie sich vollkommen
falsch ausgesucht.
({2})
ISIS ist nur die Spitze des Eisberges, sie ist die sichtbarste dschihadistische Organisation, und die dahinterstehende Idee ist das Problem. Wenn wir aber über ISIS
reden, ist eindeutig: Das Stammland des ISIS ist der Irak.
Zurzeit gibt es die Schlacht um Mosul. Daran wird sich
zeigen, ob die Sunniten, die im Irak eine Minderheit sind,
das Gefühl haben können, dass sie in diesem Land eine
Zukunft haben werden. Dieses Gefühl wird sich sicher
nicht einstellen, wenn die zweite Partnergruppe, nämlich die Barzani-Regierung, laut Berichten von Amnesty
International und Human Rights Watch systematisch
sunnitische Dörfer zerstört. Das ist eine katastrophale
Fehlleistung. Genau so wird der Irak zerstört. Es ist aber
auch eine Fehleinschätzung der Bundesregierung. Diesen Partner haben Sie falsch ausgesucht.
({3})
Damit bin ich beim dritten Hauptpartner, den Saudis.
Der Kollege Bartsch hat zu der Reise der Frau Verteidigungsministerin bereits einiges gesagt. Die Saudis nehmen Waffen, die von Heckler & Koch lizenziert sind und
in einer Fabrik in Saudi-Arabien gebaut werden, packen
sie in Holzkisten und werfen sie über Al-Qaida-Gebiet
ab, damit al-Qaida in Jemen die Huthis bekämpft, die die
Feinde der Saudis sind. Ist das im Sinne unserer Art und
Weise der Terrorismusbekämpfung? Ich glaube, nicht.
({4})
Schauen Sie sich an, was nicht nur, aber vor allem
aus Saudi-Arabien an dschihadistischen Gruppierungen
weltweit finanziert wird, und vor allem, was in der Bundesrepublik finanziert wird! Gestern war eine große Reportage in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Ich möchte
mit einem Zitat aus dieser Reportage schließen - darin
wird aus einer Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes referiert -:
Für Saudi-Arabien sei „die weltweite Missionierung
unverändert Staatsräson und Teil der Außenpolitik.“
Man müsse damit rechnen, dass die Organisationen
- des Salafismus, die unsere Kinder in unseren Fußgängerzonen zum Dschihadismus verführen versuchen, „ihre Aktivitäten in Europa und Deutschland weiter auszubauen“.
Das ist der dritte große Partner der Bundesregierung im
Kampf gegen den Terrorismus. Auch diesen Partner haben Sie falsch ausgewählt.
Suchen Sie sich andere Partner! Gehen Sie an die Zivilgesellschaften heran! Es ist richtig, dass muslimische
Gesellschaften die besten Partner sind, die wir im Kampf
gegen den Dschihadismus haben können, aber nicht Diktatoren, denen Sie den roten Teppich ausrollen.
({5})
Als nächste Rednerin hat Dr. Dorothee Schlegel von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Frieden ist mehr als die Abwesenheit von
Krieg. Das sagte Willy Brandt, als er 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ostpolitik entgegennahm. Frieden
ist - so Brandt - kein Urzustand, sondern muss immer
wieder von Menschen geschaffen werden, heute wieder
mehr denn je. Wir müssen Frieden aktiv gestalten und
verteidigen, nach innen wie nach außen. Wir alle in diesem Hohen Haus bedauern die feigen, menschenverachtenden Anschläge vom vergangenen Wochenende.
Ob in der Türkei, in Syrien, in Ägypten oder anderswo,
Terror und Gewalt müssen ein Ende haben, gleichgültig
von welcher Seite. Die Anschläge etwa in Istanbul dürfen
jedoch nicht instrumentalisiert und als Rechtfertigung für
Rachefeldzüge missbraucht werden. Im Gegenteil: Die
Gewaltspirale muss endlich beendet werden. Die Einsetzung eines internationalen Vermittlers für die Beziehungen zwischen den türkischen Kurden und der Regierung
könnte ein hilfreicher erster Schritt sein.
Wir leben in einer Welt, die alles andere als friedlich
ist. Sie ist vielmehr geprägt von Konflikten und zunehmend von Hass. Daher wächst der Bedarf an humanitärer Unterstützung, diplomatischem Geschick und innenpolitischer Besonnenheit. In einer solchen Zeit, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU, stellen Sie die
doppelte Staatsbürgerschaft infrage und sprechen von
„derartigen Staatsangehörigkeiten“. Seit dem Putschversuch in der Türkei und jetzt nach den verheerenden Anschlägen nicht nur in Istanbul wächst die Verunsicherung
der vielen türkischen und türkischstämmigen Menschen
in Deutschland. Auch hier gilt es, Frieden zu stiften und
keine unnötigen Konflikte zu schüren.
({0})
Doppelstaatlichkeit ist bei uns millionenfach gelebte Realität. Sie ist eine gute Lösung und steht der Integration
nicht im Weg.
Vor 45 Jahren skizzierte Willy Brandt einen europäischen Friedenspakt. Viele seiner Vorschläge wurden
inzwischen umgesetzt und führten schließlich zur Gründung der Europäischen Union. In dieser Tradition stehen
wir als Sozialdemokratie. Wir wollen Europa. Wir wollen mehr Europa. Viele Menschen setzen im Zuge der
EU-Erweiterung ihre Hoffnung auf die europäische Perspektive. Dieses Europa hat auch Fehler. Aber dieses Europa ist unser Friedensgarant seit Jahrzehnten. Wir wollen ein soziales und solidarisches Europa. Gestern haben
wir als Fraktion ein Positionspapier zum sozialen Europa
beschlossen, weil soziale Gerechtigkeit eine entscheidende Grundlage für den Frieden ist. Wie Willy Brandt
sagte: „Materielle Not ist konkrete Unfreiheit.“
Als SPD-Fraktion positionieren wir uns klar gegen
die Euro-Skeptiker und Europaskeptiker. Unser Ziel ist,
die europäische Idee für die Menschen wieder sichtbar zu machen. Mehr denn je ist in der Flüchtlingsfrage Einigkeit notwendig und auch, dass die EU mit einer Stimme spricht; denn Solidarität ist das Gebot der
Stunde. Darum befürworte ich das Paket für kurzfristige
Schuldenerleichterungen zugunsten von Griechenland.
Wir alle profitieren davon, wenn es auf EU-Ebene keine
„Kurz-Schlüsse“ und keine kleinen Gruppen von Willigen oder Unwilligen mehr gibt. Nur vereint kann es Europa besser gelingen, international zu vermitteln, Krisen
zu bewältigen, Konflikte beizulegen und den Frieden zu
fördern.
Wir müssen aber selbstkritisch bleiben: Funktionieren denn unsere Maßnahmen? Sind unsere Wege erfolgreich? Haben wir die richtigen Gesprächspartner und
Gesprächsplattformen, um friedliche Lösungen zu erarbeiten? Schätzen wir die Handlungsweisen und Sorgen
unseres Gegenübers immer richtig ein? Wir sollten bei
aller Kritik an der türkischen Regierung deren proeuropäischen Signale nicht überhören.
({1})
Auch wenn wir uns in vielem uneinig sind, lud uns erst
heute Morgen der türkische EU-Minister Ömer Celik Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU waren ebenfalls dabei - bei einem Treffen dazu ein, über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU im Gespräch zu
bleiben.
Eigenverantwortung ist das Schlüsselwort im kleinen
Einmaleins des Friedens. Alle sind gefordert, Demokratie
und Menschenwürde im Alltag zu leben. Der 10. Dezember, an dem Willy Brandt vor 45 Jahren den Nobelpreis
erhielt, ist heute der Internationale Tag der Menschenrechte. Er mahnt uns, die einfachen Wahrheiten nicht zu
vergessen. Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte sind internationale Werte und im Interesse jedes
und jeder Einzelnen.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Dorothee Schlegel. - Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen Tag von mir. Nächste Rednerin: Sevim Dağdelen für die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für die Linke kann ich sagen, dass wir selbstverständlich die furchtbaren Anschläge in Istanbul gleichermaßen verurteilen. Für diese schrecklichen Gewaltakte gibt es wirklich keinerlei Rechtfertigungen. Dieses
sinnlose Töten von Menschen in der Türkei muss sofort aufhören. Unsere Gedanken sind jedenfalls bei den
Freunden und bei den Familienangehörigen der Opfer.
({0})
Es ist aber bezeichnend, dass nach diesen jüngsten
Anschlägen in Istanbul der Staatspräsident und auch die
Regierung frei nach dem Motto verfahren: Verhaften Sie
die üblichen Verdächtigen. - Mindestens 291 friedliche
Mitglieder der prokurdischen HDP wurden seit diesen
Anschlägen in den letzten zwei Tagen festgenommen.
Darunter sind auch zwei Abgeordnete. Eine von ihnen ist
die Fraktionsvorsitzende der prokurdischen HDP in der
türkischen Nationalversammlung.
Dass auch die HDP diese Anschläge wirklich scharf
verurteilte, spielte keinerlei Rolle. Das zeigt für uns, dass
die Regierungspartei und der Staatspräsident Erdogan
auf eine weitere Eskalation setzen. Wir stehen hier klar
an der Seite der inhaftierten und auch der verfolgten
HDP-Politikerinnen und -Politiker. Ich bin wirklich froh,
dass es uns gestern mit über 60 Mitgliedern des Deutschen Bundestages - von der CDU, der SPD, der Linken
und auch den Grünen - gelungen ist, ein starkes Zeichen der Solidarität mit den verfolgten Abgeordneten in
der Türkei im Rahmen des Patenschaftsprogramms des
Bundestages „Parlamentarier schützen Parlamentarier“
auszusenden. Dieses Signal ist bei den Menschen in der
Türkei angekommen.
({1})
Die Schlussfolgerung der Bundesregierung aus diesen
Anschlägen von Istanbul ist meiner Meinung nach allerdings verheerend; denn obwohl der türkische Präsident
öffentlich auf Vergeltung, auf Rache sinnt und in Reaktion auf die Anschläge nicht etwa die Täter, sondern friedliche Politiker einsperren lässt, hat die Bundesregierung
dem Staatspräsidenten Erdogan bei seinem Antiterrorkampf Hilfe zugesagt. Damit aber gießt die Bundesregierung nur noch mehr Öl ins Feuer.
Ich bitte Sie, wirklich einmal darüber nachzudenken.
Von dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan sagt die
Bundesregierung, dass sich in seiner Regierungszeit die
Türkei zu einem sicheren Hafen für den islamistischen
Terrorismus entwickelt hat und diese zu einer zentralen
Aktionsplattform für den ganzen Nahen und Mittleren
Osten geworden ist. Da müssen Sie doch einsehen: Mit
Erdogan bekämpft man nicht den Terror; denn Erdogan
befördert den Terror in der Region sowie in der Türkei.
({2})
Ich muss sagen: Die Bundesregierung sollte, statt sich
als Terrorismusbekämpfungsunterstützer von Erdogan
anzubieten, ernsthafte Initiativen ergreifen, um die Friedensverhandlungen in der Türkei in Sachen Kurdenkonflikt wieder anzuschieben. Sie darf sich nicht der Logik
der Gewalt unterordnen, die in der Türkei herrscht.
({3})
Es gibt keine militärische Lösung im Kurdenkonflikt.
Es kann nur eine politische Lösung geben. Kein internationaler Konflikt ist bis jetzt mit Gewalt gelöst worden. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, ihrer
Verantwortung nachzukommen und sich für Friedensverhandlungen starkzumachen und sich dafür einzusetzen,
dass die Konfliktparteien in der Türkei in der Kurdenfrage endlich wieder an den Tisch zurückkehren.
({4})
Aber wenn wir über die Schlussfolgerung aus den Anschlägen sprechen, muss es auch allgemein um die Frage
gehen, was wir tun können, um solche Anschläge nicht
weiter zu befördern. In der Tat, wenn wir uns anschauen,
dass die Umsturzpolitik der NATO-Staaten, an der Seite
von Golf-Diktaturen, eine ganze Region in Flammen hat
aufgehen lassen, müssen wir uns fragen: Ist es nicht Zeit,
diese Regime-Change-Politik zu beenden, die wirklich
ein so fruchtbarer Nährboden für den Terrorismus vor
Ort ist?
({5})
Müssen wir uns nicht auch fragen, ob es richtig ist, immer mehr deutsche Waffen in den Nahen und Mittleren
Osten zu liefern? Jeder, der Waffen in diese Region liefert, begeht schreckliche Verbrechen, und das gilt auch
für Deutschland - bedauerlicherweise.
Ich muss in diesem Zusammenhang sagen: Wir möchten, dass in der Außenpolitik eine radikale Wende eingeleitet wird, bei der drei Dinge im Vordergrund stehen
sollten: Stellen wir die Unterstützung von Despoten, Autokraten und Diktatoren ein! Beenden wir die verheerende Umsturzpolitik, die sogenannte Regime-Change-Politik! Hören wir endlich auf, die Konflikte dieser Welt mit
deutschen Waffen zu befördern! - Deutsche Außenpolitik
muss Friedenspolitik werden. Geschähe das, dann würde
sich auch die Sicherheit der eigenen Bevölkerung und
woanders erhöhen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Sevim Dağdelen. - Nächster Redner:
Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich verweise auf die schrecklichen Bilder der Terroranschläge der letzten Tage: In Nigeria rissen Grundschulkinder 17 Menschen in den Tod, weil sie als Selbstmordattentäter von mutmaßlichen Islamisten missbraucht
worden waren. In Somalia war die sunnitische Terrormiliz al-Schabab für mindestens 30 Tote verantwortlich.
Außerdem gab es die beiden Anschläge in Istanbul, über
die eben schon gesprochen wurde. Hinzu kam der Anschlag in Kairo gegen das Gotteshaus der koptischen
Christen und damit gegen die Religionsfreiheit in Ägypten. All das waren schreckliche Ereignisse, die uns immer wieder mahnen, dass der Terrorismus offensichtlich
die Geißel des 21. Jahrhunderts ist und dass wir alles dafür tun müssen, um dem Terrorismus und der terroristischen Bedrohung Herr zu werden. Deswegen ist es gut,
dass wir heute hier darüber reden.
Die Waffe des Terrors ist die Ausnutzung der Arglosigkeit des Opfers. Jeder Mensch hat das Gefühl, er könnte
theoretisch Opfer eines solchen Anschlags werden, egal
wo er steht und geht. Deswegen müssen wir viel tun, um
unseren Bürgerinnen und Bürgern, den Menschen in Europa und in der ganzen Welt die Angst vor diesem Terror
zu nehmen; denn das ist sozusagen die Entwaffnung derjenigen, die Terror ausüben.
Was können wir tun? Ich glaube, wir müssen in erster Linie verstärkt fünf Maßnahmen ergreifen, um Terror
einzudämmen und vielleicht sogar zu verhindern:
Erstens. Wir müssen im eigenen Land wachsam sein
gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmäntelchen
religiöser Überzeugung andere Menschen zu radikalen
Handlungen verführen wollen. Wenn ich mir anschaue,
was in unseren Städten passiert, namentlich in meiner
Heimatstadt Wuppertal - dort waren junge Männer als
sogenannte Scharia-Polizei unterwegs und lauerten jungen Frauen vor Diskotheken auf, um sie mahnend daran
zu erinnern, dass Diskothekenbesucher eigentlich nicht
der richtige Umgang für sie sind; diese jungen Männer
wurden wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot vor
Gericht gestellt; das Gericht hatte offensichtlich keine
Handhabe, sie zu verurteilen -, dann stellt sich schon die
Frage, ob wir in unserer Rechtsordnung möglicherweise
nachsteuern und nachbessern müssen. Ich gehe einmal
davon aus, dass die nächste Instanz ein Urteil trifft, durch
das die sogenannte Scharia-Polizei auf deutschen Straßen keinen Platz hat, also verboten wird.
({0})
Ein zweiter Aspekt - ihn hat der Kollege Binninger
bereits angesprochen - ist die Intensivierung der Polizeiund Geheimdienstzusammenarbeit. Es geht darum, dass
wir uns optimal austauschen mit befreundeten Regierungen, aber auch mit Regierungen von Ländern, mit denen
wir nicht so gute und intensive Beziehungen unterhalten,
sodass wir uns rechtzeitig warnen können, wenn irgendwo Terroristen unterwegs sind, etwa wenn sich Heimkehrer nach Europa auf den Weg machen oder wenn irgendwelche Schläfer hier in Europa aktiviert werden durch
Terrorführer im Ausland. Ich glaube, dass wir da bereits
eine Menge tun und dass das insbesondere unter NATOSevim Dağdelen
und EU-Partnern gut funktioniert. Aber wir müssen da
sicherlich noch mehr Geld und Kraft hineinstecken.
Wir müssen die Rekrutierung und die Hetze im Netz
wirksam unterbinden. Wenn man im Internet unterwegs
ist, erlebt man ja selbst, wie undifferenziert, wie unübersichtlich und vor allem wie polemisch und radikal dort
argumentiert wird. Das würde niemals in einer öffentlichen Versammlung stattfinden, wo man sein Gesicht zeigen muss. Im Netz fallen offensichtlich alle Hemmungen,
und es gibt ein enormes Potenzial an Verhetzung dort.
Wir müssen schauen, ob unsere Rechtsordnung wirklich
darauf vorbereitet ist.
Sprengstoff gibt es überall in der Welt in großen Mengen. Aber wenn jemand offensichtlich eine ganze Lastwagenladung in einer Großstadt wie Istanbul zusammenkarren kann, um sie dann in einem Terroranschlag
zu zünden, dann ist für mich die Frage, ob wir nicht die
Möglichkeit intensiver nutzen sollten, zum Beispiel die
Verbreitung oder den Vertrieb von Sprengstoff stärker
in den Blick zu nehmen, nicht deshalb, weil wir damit
das alles vielleicht verhindern, aber deshalb, weil wir
damit die Schwelle erhöhen, an solche Stoffe heranzukommen, es ein Stück weit schwerer machen, sich, wie
in Istanbul mutmaßlich geschehen, mit 400 Kilogramm
Sprengstoff - das ist immerhin die Beladung eines Kleinlasters - auszustatten.
Das Wichtigste ist, dass wir dem Terrorismus den
Nährboden entziehen. Omid Nouripour hat es richtig
gesagt. Immer dann, wenn Terrorismus sich ausbreiten
kann, gibt es irgendeinen Resonanzboden dafür, eine
Zivilbevölkerung, die sich benachteiligt fühlt, die sich
zurückgesetzt fühlt, die sich gedemütigt fühlt, die vielleicht nicht terroristisch wird, aber den Terroristen Rückzugsorte und Rückzugsgelegenheiten bietet. Das haben
wir im Norden des Irak erlebt. Das erleben wir in vielen
anderen Regionen, zum Beispiel auch im Norden Malis.
Durch vorausschauende und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik müssen wir einen Beitrag dazu leisten, dass dieser Nährboden ausgetrocknet wird. In diesem Sinne, glaube ich, sollten wir
das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, als Ansporn und Aufforderung nehmen, noch mehr gegen Terrorismus zu tun.
Danke schön.
({1})
Vielen Dank, Jürgen Hardt. - Nächste Rednerin:
Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Am vergangenen Wochenende haben Dutzende Unschuldige ihr Leben
verloren: in der Sankt-Peter-und-Paul-Kirche in Kairo
überwiegend Frauen, die beteten, in Istanbul vor allem
Polizisten, die ein Fußballspiel schützen wollten. Diese
Attentate sind furchtbar, verurteilenswert, durch nichts
zu rechtfertigen - genauso wie all jene, die vorher in Paris, Brüssel, Nizza passierten, oder all jene weltweit, von
denen wir hier kaum etwas mitbekommen.
Ich möchte heute hier vor allen Dingen über Ägypten
sprechen. Präsident el-Sisi hat von einem abscheulichen
Terrorakt gesprochen und Staatstrauer angeordnet, und
er hat von einem Angriff gesprochen, dessen Ziel es sei,
Christen und Muslime zu spalten, der aber die Einheit
Ägyptens weiter stärken solle. Das ist richtig; denn wir
dürfen die Religionen nicht gegeneinander ausspielen.
Das darf nicht passieren - egal wo Attentate verübt werden.
({0})
Das Attentat von Kairo war feige und widerwärtig.
Die Täter müssen unnachgiebig verfolgt werden und vor
Gericht gebracht werden. Aber leider bestehen in Ägypten Zweifel daran, dass dies geschieht. Human Rights
Watch hat nach dem jüngsten Attentat wieder daran erinnert, dass Polizisten und sogenannte Sicherheitsorgane
seit Jahren immer wieder tatenlos zuschauen, wenn Kopten Opfer von Übergriffen werden, und dass viele Fälle
bis heute nicht aufgeklärt sind und keine Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Kritik und
diese Appelle darf el-Sisi nicht vom Tisch wischen, wenn
ihm die Minderheitenrechte der Kopten wirklich wichtig
sind.
Heute hier muss man auch sagen, dass für el-Sisi und
seine Regierung in den letzten Jahren jeder, der nicht
ganz ins Konzept passt, sofort ein Terrorist geworden
ist. Viele von denen, die friedlich ihre Meinung sagen,
friedlich demonstrieren, kritische Zeitungsartikel schreiben, versuchen, ins Ausland zu reisen, um darüber zu
berichten, wurden einfach mit dem Stempel „Terrorist“
verurteilt. Aber alle zu Terroristen zu erklären, ist keine
effektive Terrorismusbekämpfung;
({1})
das ist einfach Unterdrückung und keine Terrorismusbekämpfung.
Dabei ist klar: Minderheitenrechte müssen gelten für Kopten in Ägypten, Muslime im Süden Nigerias oder
Christen im Norden Nigerias, für Hindus in Pakistan, für
Christen und Moslems in Myanmar und - eine andere
Minderheit, aber bei uns relevant - für Roma in vielen
Staaten Europas. Nur wenn wir uns für alle gleich einsetzen und alle gleich schützen wollen, sind wir glaubwürdig, wenn wir uns dann für eine Gruppe einsetzen.
Ansonsten kommt es wie eine Umarmung für eine Gruppe rüber. Dann sind wir nicht glaubwürdig. Minderheitenrechte gelten für alle, egal woher sie kommen, egal
welcher Religion sie angehören.
({2})
Denn was sie verbindet - und das ist für mich ein zentraler Punkt -, ist, dass Minderheitenrechte MenschenJürgen Hardt
rechte sind. Die Durchsetzung von Minderheitenrechten
ist immer nur so stark wie die Durchsetzung von Menschenrechten generell. Ein Mensch ist ein Mensch, und
wenn Menschenrechte nicht garantiert sind, sind auch
Minderheitenrechte nicht garantiert.
Momentan steht es in Ägypten leider schlecht um die
Situation der Menschenrechte an sich. Sie haben es mitbekommen: Das Gesetz zu den NGOs, den Nichtregierungsorganisationen, ist eines, das deren Leben, Arbeiten
und Wirken erheblich erschweren wird.
Gerade gab es auch gute News, zumindest News mit
Licht und Schatten, und zwar vom Supreme Court. Das
haben Sie vielleicht mitbekommen, aber manchmal geht
es ja auch unter. Es geht um die Frage, wie in Ägypten
mit Demonstrationen umgegangen werden darf. Der
Oberste Gerichtshof hat geurteilt, dass das Innenministerium nicht mehr willkürlich Demonstrationen verbieten
darf. Das sind gute News. Wir hoffen, dass el-Sisi dies
anerkennt und nicht dagegen vorgeht, dass er akzeptiert,
dass das Innenministerium nicht mehr die Macht hat,
Demonstrationen willkürlich zu verbieten. Das wäre ein
Fortschritt, auch wenn es schade ist, dass die Klausel,
dass man mindestens zwei Jahre ins Gefängnis kommt,
wenn man an einer nichtgenehmigten Demo teilnimmt,
nicht gekippt wurde. Aber immerhin, die komplette Willkür hat das Verfassungsgericht ausgehebelt. Vielleicht ist
das ein Appell, auch hier zu sagen: Die Menschenrechte
haben möglicherweise eine Chance in diesem Land - und
damit auch die Minderheitenrechte.
Aber auch der Westen ist ja nicht ohne Schuld. Westliche Regierungen lassen Minderheiten- und Menschenrechte immer wieder hängen, wenn es geopolitisch opportun erscheint. Das sieht man aktuell am Fall Aleppo.
Dass die syrische Regierungsseite wieder schießt, dass
wir keinerlei Möglichkeiten haben, Zivilisten endlich aus
dieser Hölle herauszubekommen, das sind Völkerrechtsbrüche; wir haben die Verbrechen benannt. Herr Bartsch,
dass das keine Konsequenzen hat und zum Beispiel nicht
weitere Sanktionen nach sich zieht, ist ein Signal, das unserer Meinung nach das Völkerrecht schwächt.
Dass Menschen das Vertrauen in den Westen verlieren, das Vertrauen in die Werte, dass sie den Glauben
an die internationalen und universellen Menschenrechte verlieren - wundern wir uns darüber? Und wenn sie
vielleicht sogar zu Feinden werden, müssen wir uns dann
nicht auch Fragen stellen? Ich glaube, wir kommen ohne
diese Fragen nicht weiter.
Ich danke Ihnen.
({3})
Vielen Dank, Franziska Brantner. - Nächste Rednerin
für die SPD: Dr. Ute Finckh-Krämer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!
Ich möchte einige Punkte nennen, die in der bisherigen
Debatte noch nicht angesprochen wurden.
Implizit wurde angesprochen, dass Militär keinen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus leistet. Ich möchte
das hier noch einmal ausdrücklich und explizit sagen.
Alle Versuche, sei es durch Russland in Tschetschenien, sei es durch die USA in Afghanistan, sei es durch
die türkische Regierung im Kurdengebiet, mit militärischen Mitteln Terrorismus zu bekämpfen, sind krachend
gescheitert. Ich glaube, darüber sollten wir uns alle im
Klaren sein.
Der Kampf gegen Terrorismus hat zwei Teile, die
funktionieren können: Das eine ist die Prävention, die
sehr vielseitig aussehen kann. Herr Hardt hat einen
Bereich genannt, nämlich dass man gegen soziale Ungerechtigkeiten in den Ländern, wo Terrorismus im Augenblick ein besonders dringendes Problem ist, vorgehen
sollte. Es gibt aber auch andere präventive Maßnahmen,
zum Beispiel Maßnahmen gegen die Radikalisierung von
Menschen im eigenen Land, nicht nur als Dschihadisten.
Denken wir an den Anschlag von Utoya in Norwegen.
Der Terrorist hatte nichts mit internationalem Dschihadismus zu tun. Es war keine diktatorische Regierung, die
ihn zum Terroristen gemacht hat, sondern eine verquere
Weltsicht. Die Prävention, die es im eigenen Land geben sollte, die es auch in demokratischen Ländern geben
muss, um zu verhindern, dass Menschen sich radikalisieren, sei es rechtsextremistisch, sei es dschihadistisch, sei
es auf andere Weise gewaltbereit, das ist etwas, was wir
ernst nehmen sollten und wo wir uns auch mit anderen
Ländern austauschen sollten.
Innerhalb der OSZE ist bei dem Abschlusstreffen der
deutschen Präsidentschaft in Hamburg genau dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt worden. Mehrere Staaten, von denen wir hier gesprochen haben - Russland und
die Türkei -, sind in derzeitigem Zustand keine demokratischen Länder, aber sie haben trotzdem ein Interesse
daran, dass sich Menschen in ihrem Land nicht radikalisieren und Terroranschläge machen, die so schrecklich
sind wie der am Wochenende in Istanbul.
Deswegen kann es eine Zusammenarbeit geben, indem
wir unsere Erfahrungen mit polizeilichen Maßnahmen,
Rechtsstaatlichkeit und Prävention, die die entscheidenden Mittel gegen Terrorismus sind, weitergeben können.
Wir haben auch im eigenen Land Erfahrungen mit Terrorismus gemacht, nicht nur mit Dschihadisten, die nach
Syrien ausgereist sind. Wir haben vor Jahrzehnten - ich
bin alt genug, um das als Studentin miterlebt zu haben die Anschläge der RAF gehabt. Wir hatten im Jahr 1980
den Oktoberfestanschlag. Wir hatten den NSU, bei dem
es lange gedauert hat, trotz Kontakte der Geheimdienste
in das Umfeld des NSU, bis entdeckt wurde, dass eine
Reihe von scheinbar isolierten Mordanschlägen eine terroristische Serie war. Insofern gibt es einiges, was wir an
Erfahrungen beisteuern können.
Wenn so schreckliche Ereignisse wie in Ägypten, in
Nigeria, in Somalia, in der Türkei dazu führen, dass ein
Raum entsteht, in dem wir argumentieren können, warum Rechtsstaatlichkeit, warum eine an den Interessen
der Bevölkerung und nicht der Machterhaltung eines
Staates orientierte Polizei so wichtig ist, dann besteht in
allem Unglück, in aller Trauer, in allem Mitgefühl mit
den Opfern und ihren Angehörigen eine winzige Chance,
um zu verhindern, dass es in Zukunft zu genauso viel
oder noch mehr schrecklichen Anschlägen kommt.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer. - Nächste Rednerin: Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Terroranschläge in Istanbul und Kairo vom vergangenen Wochenende sind geprägt von Hass, Zorn und
Feigheit. Kollegin Dağdelen, die NATO hat damit ganz
sicher nichts zu tun. Die NATO dafür auch noch verantwortlich zu machen, halte ich für gediegen abwegig.
({0})
Die Brutalität und menschenverachtende Grausamkeit erfüllen uns alle mit Entsetzen. Unsere Gedanken
sind bei den Opfern: Kinder, Frauen, Kranke und Alte.
Natürlich stehen wir im Kampf gegen den Terror auch
an der Seite der Türkei und Ägyptens, aber mit einem
großen Unterschied. Wir wollen mit rechtsstaatlichen
Mitteln den Terror bekämpfen und nicht mit einem Demokratieabbau, wie es in der Türkei der Fall ist. Es ist
schwer, Hass und Feigheit zu begegnen. Da versagen
nämlich unsere herkömmlichen Instrumente weitgehend.
Dennoch gibt es keinen Grund zur Mutlosigkeit. Frust,
Mutlosigkeit - das hat Kollegin Beck heute Morgen im
Ausschuss gesagt - oder gar Resignation stehen nicht im
Handbuch für Abgeordnete und sind keine Grundlage der
Diplomatie.
Im Hinblick auf Kairo ist klar: Dieser Anschlag auf
die koptischen Christen war ein Anschlag auf die Religionsfreiheit in Ägypten. Hier kann man natürlich fragen:
Gibt es überhaupt Hoffnung in dieser Situation? Einen
Hoffnungsschimmer will ich Ihnen nennen, weil ich ihn
gut finde. Der wichtigste Vertreter der Sunniten in Ägypten und Großimam der berühmten Al-Azhar-Moschee,
Ahmad Mohammad al-Tayyeb, verurteilte den Anschlag
auf Christen am Sonntag als schweres Verbrechen gegen alle Ägypter. Es ist wichtig, dass das von der Seite
kommt. Der Papst hat es verurteilt, die jüdischen Gemeinden haben es verurteilt; das ist auch wichtig. Aber
wenn es aus der eigenen Community kommt, ist es natürlich noch hilfreicher.
({1})
Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht - das ist hier angeklungen -, und wer Religionsfreiheit verletzt, verletzt Menschen: seelisch und physisch.
Was können wir tun, um dem Hass, dem Zorn der Terroristen entgegenzutreten? Dazu will ich hier einen neuen
Aspekt, einen anderen als meine Kollegen, vorbringen.
Natürlich müssen die politischen, diplomatischen Bemühungen in den Krisenländern auf allen Ebenen weitergehen. Diese Spitzengespräche sind unbestritten wichtig, und Herr Steinmeier macht da einen wirklich guten
und verantwortlichen Job. Aber die Spitzengespräche
sind eben nicht alles. Demokratische Kräfte müssen in
den Ländern gestärkt werden, wo immer demokratische
Strukturen zerstört sind. Der interreligiöse Dialog kommt
neben dem politischen Dialog oft zu kurz; und ich glaube, dass er sehr wichtig ist. Wir müssen den Jugend- und
Studentenaustausch, den Kulturaustausch, die Städtepartnerschaften fördern.
Mein schönstes Projekt als Kulturstaatsrätin von Bremen in dieser Hinsicht war Folgendes: Wir haben das
Brahms-Requiem in Izmir mit dem Domchor aus Bremen und dem Izmir State Symphony Orchestra aufgeführt; und das erste türkische Fernsehen hat es übertragen. Einen besseren Brückenbau als diesen kulturellen,
von diesen beiden Gruppen, dem Chor und dem Orchester, getragenen kann ich mir gar nicht vorstellen. Heute
meldet der Weser-Kurier, dass die Bremische Bürgerschaft - da habe ich mich dann doch mal gefreut - die
Städtepartnerschaft mit Izmir fortsetzt.
Wir brauchen natürlich weltweit einen besseren
Schutz von religiösen Minderheiten. Deshalb bin ich
dankbar, dass Volker Kauder sich dieses Themas so intensiv annimmt. Die Ereignisse von Kairo zeigen erneut,
wie bedroht Christen sind, auch koptische Christen aus
einer der ältesten Kirchen der Welt. Wir müssen leider
zur Kenntnis nehmen, dass es in vielen muslimisch geprägten Ländern erhebliche Verletzungen der Religionsfreiheit gibt. Diese Feststellung, die ehrlich ist, hat natürlich nichts damit zu tun, dass ich den Islam diffamieren
wollte. Aber viele Terroristen missbrauchen den Islam als
Begründung für ihre Terroranschläge. Der Kampf gegen
terroristische Fundamentalisten muss natürlich auch im
eigenen Land weitergehen. Meine Damen und Herren,
Hassprediger haben bei uns nichts zu suchen und müssen
ausgewiesen werden.
({2})
Die Präsidentin mahnt mich. Deshalb möchte ich
schließen, heute mal mit einem Zitat - das ist vielleicht
ungewöhnlich für mich, aber ich tue es - von Nelson
Mandela. Er hat gesagt:
Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen
wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder
Religion geboren. Hass wird gelernt. Und wenn man
Hass lernen kann, kann man auch lernen zu lieben.
Denn Liebe ist ein viel natürlicheres Empfinden im
Herzen eines Menschen als ihr Gegenteil.
So weit Nelson Mandela.
Ich glaube, diese Liebe und diese Freundschaft müssen wir in die Welt tragen. Dafür ist die Auswärtige Kulturpolitik ein wunderbarer Brückenbauer.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. - Nächster Redner: Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion - aus Augsburg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer des
schrecklichen Bombenanschlags am Rande eines Fußballspiels am vergangenen Samstag in Istanbul. Viele
junge Polizeibeamte haben den Schutz der öffentlichen
Ordnung mit ihrem Leben bezahlen müssen. Dieser Anschlag reiht sich ein in eine schreckliche Abfolge von
Katastrophen und Anschlägen, die die Türkei und insbesondere die Stadt Istanbul im letzten Jahr erdulden
mussten. Unser Mitgefühl gilt dem türkischen Volk und
den Menschen, die unter diesen barbarischen Anschlägen
leiden.
Richtig ist, dass wir als Bundesrepublik Deutschland zur Aufklärung von terroristischen Akten und zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus beitragen
müssen - auch, indem wir die Türkei unterstützen. Aber
bei dieser Zusammenarbeit muss gleichzeitig angemahnt
werden, dass die Aufklärung von terroristischen Akten
und der Kampf gegen Terrorismus nur im Rahmen von
Augenmaß, Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit
vonstattengehen können. Wenn 220 Mitglieder der HDP
verhaftet werden, wie wir gerade feststellen mussten,
dann ist das keine Maßnahme im Rahmen von Rechtsstaatlichkeit - das ist Willkür, die wir zu verurteilen haben.
({0})
Auch die Befriedigung von Rachedurst bekämpft Terrorismus nicht,
({1})
sondern Rache schafft das gesellschaftliche Klima, welches Terrorismus erst möglich macht. Deswegen sei klar
und deutlich formuliert: Die Türkei muss den Weg der
Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie gehen, und dort, wo sie einen falschen Weg eingeschlagen hat, hat sie umzukehren. Nur ein Klima von
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kann dauerhaft vor
Extremismus und Terrorismus schützen.
Meine Damen und Herren, unsere Blicke richten sich
mit traurigen Augen auch auf die Verhältnisse in Ägypten. Am vergangenen Sonntag hat wohl ein Selbstmordattentäter in der Petruskirche in Kairo, die neben der
Markuskathedrale steht, einen Sprengsatz gezündet,
durch den mehrere Dutzend Menschen, insbesondere
Frauen und Kinder, ums Leben kamen. Die Markuskathedrale ist nicht irgendeine Kirche; sie ist die zentrale
und wichtigste Kirche der koptischen Christenheit und
der Sitz des koptischen Papstes.
Dieser Anschlag war ein Stich ins Herz der koptischen
Christen und ein Anschlag auf die christliche Gemeinschaft im Orient insgesamt. Auch diese Tat wird von
uns auf das Schärfste verurteilt. Sie erinnert uns daran,
dass in so vielen Staaten des Nahen Ostens die Situation
der orientalischen Christen prekär ist, dass die Geltung
der Religionsfreiheit und der Schutz der Menschenrechte oftmals nur Lippenbekenntnisse sind und dass diese
Menschen um ihre Freiheit, ihren Glauben leben zu können, stark und hart kämpfen müssen.
In diesem Zusammenhang sei auch an die ägyptische Politik appelliert: Es darf nicht zu einer Spaltung
der ägyptischen Gesellschaft kommen. Insbesondere der
Schutz von Minderheiten in Ägypten muss auf der Tagesordnung stehen. Deswegen fordern wir, dass ein friedliches Zusammenleben der Religionen, auch in Ägypten,
in der Weise gewährleistet wird, dass die Menschen frei
von Angst Gottesdienste besuchen können. Das gilt für
Christen, aber auch für Muslime. Es gilt für jede Religion.
({2})
Lassen Sie mich bei dem Gedanken an Religionsfreiheit noch einen bangen Blick auf die Situation der Christen im Nordirak und in Syrien werfen. Die Verhältnisse
dort sind so, dass Städte, in denen über mehrere Jahrhunderte hinweg Christen gelebt haben und die die Wiege der
orientalischen Christen waren, mittlerweile - das ist ein
zynisches Wort - „befreit“ von Christen sind, weil hier
massiver Genozid an christlichen Minderheiten stattgefunden hat. Deswegen muss die Weltgemeinschaft beides
sehen: Sie muss das Morden in Aleppo bekämpfen - sie
muss es deutlich zur Sprache bringen -, sie ist aber auch
in der Pflicht, die christlichen Minderheiten zu schützen,
auch im Nordirak und in Syrien. Das muss ein wichtiger
Teil der Bemühungen unserer Außenpolitik sein.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Volker Ullrich. - Der nächste und letzte
Redner in dieser Debatte: Frank Heinrich für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Letzten Sonntag war dritter Advent. Das Wort
„Advent“ kommt von „advenire“; das ist wahrscheinlich den meisten bekannt. Es geht um Erwartung und
Ankunft. 14 Türen unseres Adventskalenders haben wir
schon geöffnet. Noch elf Tage, und Geduld und Vorfreude werden belohnt: Dann ist Weihnachten.
An diesem Adventswochenende gab es 44 Opfer in
Istanbul, 60 in Nigeria, 50 in Mogadischu, 25 in Kairo
und, wer weiß, wie viele noch. Ich habe hier eine Liste
der Opfer terroristischer Anschläge im Dezember dieses
Jahres: über 300 Tote. Näher sind uns vielleicht die Menschen, die im März dieses Jahres in Brüssel und im Juli
dieses Jahres in Nizza von Terroristen ermordet wurden.
Wie viele Unschuldige müssen denn noch sterben?
In Kairo starben Kinder und Frauen in einer Kirche, als
sie dabei waren, den dritten Advent zu feiern. In Nigeria
waren die „Terroristen“, die Täter, zwei Mädchen von
sechs und sieben Jahren - von Boko Haram instrumentalisiert. Viel zu viele sind da gestorben. Terror ist - das
haben schon mehrere so gesagt - eine Verachtung aller
humanitären Werte, und jedes Opfer des Terrors hat unser
Mitgefühl.
Die Fragen aber, die wir stellen müssen - deshalb diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema -, lauten: Was müssen wir tun, um dem Terror endgültig den Nährboden zu
entziehen, um ihn zu bekämpfen? Und wie können wir
weiter die Freiheit gewährleisten, die uns möglicherweise abhandenkommt, die für uns aber doch so existenziell
ist? Dazu ist vieles schon gesagt worden. Es gibt nicht
viel Neues, das ich dazu beitragen könnte. Aber es geht ja
darum: Bleiben wir bei Worten? Diese Aktuelle Stunde,
die etwas mehr als 60 Minuten dauert, besteht aus einigen Worten mehr. Von Beruf sind wir Parlamentarier; wir
reden. Aber was machen wir daraus?
Von den Gräueltaten geht die Gefahr aus - diese Befürchtung teilen wir -, dass wir die Terroristen in dem,
was sie bewirken wollen und oft schon bewirkt haben, zu
ernst nehmen. Nach den Anschlägen in Paris, in Brüssel
und in Nizza in diesem Sommer haben wir mit den Überlebenden getrauert. Aber gleichzeitig haben wir manches
Mal unsere eigene Freiheit infrage gestellt. Die Teilnahme an Solidaritätsdemonstrationen wurde verweigert.
Eltern haben sich gefragt, ob sie oder die Kinder nicht
lieber zu Hause bleiben sollten. Es gibt auf einmal neue
Ängste auf Flughäfen oder Bahnhöfen.
In Somalia wollten die al-Schabab-Milizen den Wahlvorgang verhindern. Die für den Anschlag auf die koptische Kathedrale Sankt Markus Verantwortlichen versuchen, das Zusammenleben der Religionen zu stören.
Wenn aus Angst vor Terroristen Kopten oder vielleicht
auch Menschen anderer Religionen nicht mehr zur Kirche gehen oder die Somali den Staatsaufbau nicht weiterführen oder - ein weiteres Beispiel - Franzosen aus
Angst vor Terroristen am Nationalfeiertag keine Feuerwerke mehr zulassen, dann haben die Terroristen ein
Stück weit gewonnen.
Vor ein paar Tagen sagte Präsident Obama zu dem
Ansatz, den er in den letzten acht Jahren verfolgt hat,
in einer Rede Folgendes - ich zitiere -: Diese Terroristen sind Verbrecher und Mörder und sollten als solche
auch behandelt werden. Und mögen sie auch unschuldige
Menschen töten, stellen sie trotzdem keine existenzielle
Bedrohung für unsere Nation dar, und wir sollten nicht
den Fehler begehen, sie so hoch zu heben, als ob das
doch so wäre; denn genau das ist ihr Ziel. Es lässt sie
wichtiger erscheinen und hilft ihnen am Schluss bei der
Rekrutierung.
Was sind also unsere Antworten? Was sollte auch mit
Blick auf die Türkei und auf Ägypten unsere Reaktion
sein? Zusammenarbeiten und Dialog führen. Gerade in
stürmischen Zeiten und nicht nur hier unter uns brauchen
wir Strukturen des Dialogs und der Zusammenarbeit.
Als Einzelstaat sind wir zu klein, um Terrorismus zu bewältigen. Die Resolution 2322 ({0}) vom vergangenen
Montag wurde am Anfang dieser Debatte schon genannt.
Es ist also wichtig, auch bei der Terrorismusbekämpfung
stärker zusammenzuarbeiten.
Das Motto unserer im Januar beginnenden G-20-Präsidentschaft - „Eine vernetzte Welt gestalten“ - beschreibt
genau das, was es nun braucht. Die G 20 hat die Aufgabe, die Globalisierung zum Nutzen aller zu gestalten.
Das ist richtig; denn eine ungerechte Globalisierung, eine
Globalisierung, die nur die einen bevorzugt, ist der Nährboden für Extremisten und Radikale. Das Wort „soziale
Ungerechtigkeit“ ist von Frau Finckh-Krämer und Herrn
Hardt schon genannt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kampf gegen
Terrorismus ist der Dialog mit den Partnern in Ländern,
die vielleicht nicht unbedingt wie Partner wirken, extrem wichtig. Daher ist es wichtig, auch mit der Türkei
im Gespräch zu bleiben - trotz der Einschränkungen der
Menschenrechte, die wir alle ansprechen müssen. Gerade
wegen Shrinking Spaces, wie wir es nennen, braucht es
gemeinsames Vorgehen mit der Opposition. Dies haben
wir gestern draußen deutlich gemacht; ich bin für diese
Aktion dankbar. Wir müssen aber auch mit den Staaten
zusammenarbeiten, die nicht in aller Hinsicht mit unseren Werten übereinstimmen. Auf der Basis des Generalverdachts vom Wochenende ist die Situation schlimmer
geworden. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht von
außen einbeziehen lassen in das Schwarz-Weiß-Denken,
das jetzt in der Türkei passiert.
Ich möchte zum Abschluss einen kurzen Satz aus der
Rede vorlesen, die der diesjährige Friedensnobelpreisträger letzte Woche gehalten hat. Er hat gesagt: Das Unmögliche kann möglich werden. Man müsse miteinander
sprechen und die Würde aller achten, und es sei unklug,
zu denken, dass zur Beendigung eines Konfliktes die
Auslöschung der Gegenseite notwendig ist.
Zusammenfassend: Erstens. Terror erteilen wir eine
ganz klare Absage. Zweitens müssen wir feststellen,
dass es in der Politik nicht mehr klassisch um links und
rechts geht, sondern um Demokraten und Antidemokraten, meist Terroristen; Kollege Nouripour hat darauf hingewiesen. Wir müssen Demokraten als politische Kräfte
stärken. Das haben wir auch in Syrien viel zu spät erkannt. Eines ist klar: Die friedlichen Kurden haben durch
die, die diese Anschläge verübt haben, einen Bärendienst
erwiesen bekommen. Die Reaktion von Erdogan macht
das deutlich.
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Wir befinden uns in einer Aktuellen Stunde.
Frank Heinrich ({0})
Genau, Redezeit darf nicht überzogen werden. - Ich
komme zum Schluss. Die Rede des Friedensnobelpreisträgers endete wie folgt: Jetzt ist endlich die Sonne des
Friedens über Kolumbien aufgegangen. - Und er wünscht
sich das für die ganze Welt. Ich wünsche mir, dass wir
das im Hinblick auf Weihnachten auch mit Syrien, der
Türkei und Kairo verbinden und nicht unsere Hände in
den Schoß legen, weil Weihnachten ist.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Frank Heinrich. - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Dezember, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen restlichen
Mittwochnachmittag.
Die Sitzung ist geschlossen.