Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es
eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Entwurf
des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes auf der Drucksache 18/1307 dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur Mitberatung zu überweisen.
Darüber hinaus sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu Stellungnahmen des Bundesrates und
Gegenäußerungen der Bundesregierung auf den Drucksache 18/1574, 18/1575, 18/1577, 18/1579 und 18/1586
zu den bereits überwiesenen Gesetzentwürfen auf den
Drucksachen 18/1305, 18/1306, 18/1307, 18/1308 und
18/1311 an die entsprechenden federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden.
Die meisten von Ihnen werden mit den Ziffern vermutlich keine konkreten Texte verbinden. Aber da es
sich hier erkennbar um eine technische Erweiterung der
bereits vorgenommenen Überweisungen sowie stärkere
Mitberatung auch anderer Ausschüsse handelt, ist das
vermutlich vereinbarungsfähig. Darf ich zu diesen Vorschlägen also Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist der
Fall. Dann können wir so verfahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute vor 25 Jahren
fanden zwei Ereignisse statt, die unterschiedlicher nicht
sein könnten und doch eines gemeinsam haben: den Willen der Menschen zu freier Selbstbestimmung. Am
4. Juni 1989 wurde in Peking der Platz des Himmlischen
Friedens zum Schauplatz eines blutigen Massakers.
Gleichzeitig fanden in Polen die ersten Wahlen statt, die
diesen Namen tatsächlich verdienen. Die brutale Gewalt,
mit der die chinesische Staatsmacht die friedliche Kundgebung Zehntausender Demonstranten niederschlagen
ließ, zerstörte alle Hoffnungen auf ein sich demokratisch
wandelndes China. Die Bilder vom Tiananmen-Platz
- junge Menschen von Panzern niedergewalzt und zusammengeschossen - gingen 1989 um die Welt, und es
gab immer wieder Nachrichten von Folter und langer
Haft, die für viele folgte. Sie schockierten im damals
noch geteilten Europa all jene, die auf friedlichen politischen Wandel überall in der Welt hofften - nicht zuletzt
durch die gleichzeitige Entwicklung in Polen; denn am
selben Tag, am 4. Juni 1989, errang in unserem Nachbarland die Solidarnosc einen überwältigenden Wahlsieg.
Zum ersten Mal stand in der Folge ein nicht kommunistischer Ministerpräsident an der Spitze eines Landes des
Warschauer Paktes.
Der friedliche Machtwechsel in Polen gab den Bürgerbewegungen in den anderen Staaten des Ostblocks,
auch in der DDR, Auftrieb. Er beförderte einen politischen Prozess, an dessen Ende der Fall der Berliner
Mauer und des Eisernen Vorhangs in Europa stand.
Während die Polen heute dieses herausragende Ereignis ihrer eigenen wie der europäischen Geschichte feierlich würdigen, wird in China jedes Gedenken an das
Blutbad vom 4. Juni 1989 rigoros unterbunden. Doch Erinnerung lässt sich nicht verbieten, und sie lässt sich in
unserer Zeit auch nicht mehr tilgen. Wir vergessen nicht.
({0})
Wir freuen uns heute mit unseren polnischen Nachbarn.
Aber unsere Gedanken sind auch bei den 1989 in China
Ermordeten und ihren Angehörigen, bei denen, die in
Haft leiden mussten und noch immer leiden müssen.
Die Polen und wir Europäer haben vor 25 Jahren erfahren, dass sich der Freiheitswille der Menschen auf
Dauer nicht unterdrücken lässt. Deshalb gilt unsere Ermutigung und Solidarität all denen, die in diesen Tagen
und Stunden, in welchem Land auch immer, mutig für
Demokratie und Menschenrechte kämpfen.
({1})
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Ergebnissen des Informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs der
EU-Mitgliedstaaten am 27. Mai 2014 in Brüssel sowie zum G-7-Gipfel am 4./5. Juni 2014 in
Brüssel
Präsident Dr. Norbert Lammert
Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. - Auch dies ist offenkundig einvernehmlich. Dann verfahren wir so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der heute beginnende G-7Gipfel wird das letzte Zusammentreffen der G-7-Staatsund Regierungschefs sein, bevor Deutschland die Präsidentschaft dieser Gruppe übernimmt. Damit kommt
große Verantwortung auf unser Land zu. Zuvor wird
aber die G 7 heute und morgen in Brüssel viele Beratungen gerade auch mit Blick auf den G-20-Gipfel führen,
der im November im australischen Brisbane stattfinden
wird. Dazu legen wir für uns als G 7 eine gemeinsame
Linie fest.
Uns leitet das gemeinsame Verständnis, dass ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wirtschaftswachstum nur mit durchgreifenden Strukturreformen und einer
wachstumsorientierten Haushaltskonsolidierung zu erreichen ist. Deshalb werden wir unter anderem über Arbeitsmarktreformen sprechen, zum Beispiel über Möglichkeiten, wie wir Investitionen effizient fördern, kleine
und mittlere Unternehmen gezielt stärken oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen in den G-20-Ländern erhöhen können.
Die Entwicklung der Weltkonjunktur ist insgesamt ermutigend. So liegt die IWF-Prognose für das globale
Wachstum mit 3,6 Prozent in diesem Jahr auf der Höhe
des Durchschnittswertes der Jahre 2000 bis 2013. Für
2015 wird mit 3,9 Prozent sogar ein Wachstum über diesem Durchschnittswert erwartet.
Zugleich dürfen wir aber nicht übersehen, dass jedes
noch so gute Wachstum auf tönernen Füßen stehen
würde, wenn wir nicht weiter konsequent daran arbeiteten, die Lehre aus der verheerenden weltweiten Finanzkrise von 2008 und 2009 zu ziehen. Damit sich eine
solche Krise nicht wiederholt, müssen wir die beschlossenen Finanzmarktreformen international entschlossen
umsetzen und da, wo es Lücken gibt, weitere beschließen. Hier ist manches erreicht, aber längst noch nicht alles, was dringend notwendig ist. Und mit der Entfernung
von der akuten Krise - auch das muss man sagen - wird
es eher beschwerlicher als leichter, entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Wir haben bereits starke Regulierungen, zum Beispiel
für globale systemrelevante Banken, erreicht. Aber jetzt
- das wird ein Schwerpunkt in Brisbane sein - geht es
vor allen Dingen auch darum, dass die Schattenbanken
einer strengen Regulierung unterworfen werden. Ansonsten wird es Ausweichbewegungen von den Banken
auf die Schattenbanken geben, und die Finanzmarktregulierung wäre wieder außerordentlich lückenhaft.
Die G-7-Staaten teilen die gemeinsame Überzeugung,
dass ein offenes und freies Wirtschaftssystem Voraussetzung für Wachstum und Stabilität ist. Der freie Welthandel ist hierbei Wachstumsmotor und leistet einen wichtigen Beitrag zu mehr Wachstum, vor allen Dingen aber
zu mehr Beschäftigung, ohne dass die öffentliche Haushalte zusätzlich belastet werden. Wir wollen die internationalen Märkte weiter öffnen und Handelsbarrieren
abbauen. Wir hören immer wieder - so steht es in den
Berichten der OECD -, dass die Handelsschranken in
den letzten Jahren eher mehr geworden sind.
Wenn wir über freien Handel sprechen, dann geht es
sowohl um Fortschritte bei der Welthandelsorganisation,
also bei der WTO, als auch um bilaterale Freihandelsabkommen wie zum Beispiel das der Europäischen Union
mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden
als G 7 deutlich machen, dass wir die Welthandelsorganisation auf dem Weg zum Abschluss der Verhandlungen der Doha-Entwicklungsrunde mit Nachdruck unterstützen.
Einen breiten Raum werden heute und morgen selbstverständlich auch Fragen der Energiepolitik einnehmen.
Bereits vor einem Monat haben die G-7-Energieminister
in Rom die sogenannte Initiative für Energieversorgungssicherheit der G 7 von Rom beschlossen. Mit ihr
haben sie sich auf kurzfristige Maßnahmen zur Stärkung
der Energiesicherheit verständigt wie zum Beispiel auf
Notfallpläne, Gefährdungsanalysen und technische Hilfen. Bis 2015 wollen sie einen umfassenden langfristigen Aktionsplan erarbeiten, mit dem verhindert werden
soll, dass Energie als politisches Zwangsmittel eingesetzt wird - ein brisantes Thema, wie wir zum Beispiel
an den gegenwärtigen Diskussionen zwischen Russland
und der Ukraine um den Gaspreis sehen.
Es ist natürlich von hoher ökonomisch-ökologischer
Bedeutung, gleichzeitig die Märkte transparenter zu machen, die Versorgung zu diversifizieren und vor allen
Dingen auch die Energieeffizienz zu steigern. Denn dies
ist zwingend erforderlich, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Dabei spielt auch die Umstellung von
fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien eine
wesentliche Rolle.
({0})
Nur wenn wir die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von
fossilen Brennstoffen reduzieren, können wir eine nachhaltige Energieversorgung erreichen.
({1})
Wir werden dies auf dem G-7-Gipfel in Brüssel erneut
deutlich machen. Deutschland ist mit seiner Energiewende und einem Anteil der erneuerbaren Energien an
der Stromerzeugung von 25 Prozent einer der Vorreiter
einer nachhaltigen Energieversorgung, meine Damen
und Herren.
({2})
Dies ist auch mit Blick auf den VN-Klimagipfel Ende
2015 in Paris wichtig, für dessen Gelingen Deutschland
als G-7-Präsidentschaft eine wichtige Rolle zukommen
wird. Es ist kein Geheimnis, dass die Staatengemeinschaft deutlich mehr Anstrengungen unternehmen muss,
um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wir wollen bis 2015
eine umfassende und international bindende Vereinbarung abschließen, die dann 2020 in Kraft tritt. Wir müssen alles daransetzen, dass der Gipfel von Paris ein
Erfolg wird; denn ein zweites Scheitern wie in Kopenhagen können wir uns nicht leisten.
({3})
Eng verbunden mit der Klima- und Energiepolitik ist
ohne Zweifel die Entwicklungspolitik. Wir werden in
Brüssel vor allem die Umsetzung bestehender Initiativen
voranbringen. Dies betrifft zum Beispiel die Anfang
2015 in Deutschland stattfindende Konferenz zur Wiederauffüllung des Impffonds GAVI, die kanadische
Initiative zur Verbesserung der Mütter- und Kindergesundheit und die amerikanische Initiative zur Ernährungssicherung. Notwendig sind auch weitere Schritte
bei vertraglichen Rohstoffpartnerschaften, um Entwicklungsländern bessere Möglichkeiten zu verschaffen, von
ihrem Rohstoffreichtum auch wirklich nachhaltig zu
profitieren. Wir setzen uns besonders für die Initiative
CONNEX ein, die die Länder bei den Vertragsverhandlungen im Rohstoffbereich rechtlich und auch mit geologischer Expertise beraten soll.
Die G-7-Staaten sind sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst, eine ambitionierte Agenda für die Zeit
nach 2015, das heißt die sogenannte Post-2015-Agenda
für nachhaltige Entwicklung, zu erarbeiten. Sie wissen:
Die Millenniumsentwicklungsziele laufen dann aus, und
wir brauchen eine Nachfolge. Alle Menschen auf der Welt
sollen ein Leben in Würde führen können, und gleichzeitig müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen und uns an der Regenerationsfähigkeit der Erde ausrichten - nichts anderes bedeutet Nachhaltigkeit. Das muss
uns gelingen. Ich bin unserem Bundespräsidenten a. D.
Horst Köhler sehr dankbar, dass er bei der Vorbereitung
der zukünftigen Ziele eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat.
({4})
Wir setzen uns für eine globale Partnerschaft ein, die
bisheriges Denken in Kategorien wie Geber hier und
Nehmer dort, Nord hier und Süd dort überwindet.
({5})
Während der deutschen G-7-Präsidentschaft wird dies
eine herausgehobene Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns all diese
Themen des G-7-Gipfels vor Augen führen, mit denen
wir uns heute und morgen in Brüssel beschäftigen werden, so könnte man fast meinen, es handele sich um einen ganz normalen Gipfel. Das ist aber natürlich in keiner Weise so. Das wird schon daran deutlich, dass sich
seit 16 Jahren die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen - genauso wie heute die
Finanzminister - erstmals wieder im G-7-Format, also
ohne Russland, und nicht mehr im G-8-Format treffen
werden.
Das Vorgehen Russlands bei der Annexion der Krim
hat diesen Schritt unumgänglich gemacht; denn die G 8
ist eben nicht nur eine ökonomische Gemeinschaft, sondern sie ist auch eine Gemeinschaft, die Werte teilt.
Dazu gehört zwingend die Achtung des Völkerrechts,
des Rechts souveräner Staaten, ihre Zukunft selbst zu
bestimmen. Die Ukraine ist ein solcher völkerrechtlich
anerkannter souveräner Staat, dessen territoriale Unversehrtheit Russland verletzt hat. Die Lage in der Ukraine
wird deshalb einen breiten Raum in den Beratungen der
G 7 einnehmen. Dies war schon beim Informellen
Abendessen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel vor einer Woche der Fall, das ja eigentlich zur Beratung der Ergebnisse der Europawahlen angesetzt war.
Bei den ebenfalls am 25. Mai abgehaltenen ukrainischen Präsidentschaftswahlen wurde Petro Poroschenko
zum Präsidenten gewählt, und zwar bereits im ersten
Wahlgang mit einer beeindruckenden Mehrheit. Die
OSZE hat diese Wahl anerkannt. Noch Tage vorher gab
es Zweifel, ob die Wahl überhaupt durchgeführt werden
könnte; aber die große Mehrheit der Ukrainer hat sich
nicht einschüchtern lassen, sondern ihre eigene entschlossene Antwort gegeben. Das Wahlergebnis verdeutlicht auch, dass die Kräfte in der Ukraine, die sich nationalistisch radikal präsentieren, glücklicherweise nur sehr
geringen Zulauf bekamen.
Bis zu diesen Präsidentschaftswahlen hat die Übergangsregierung von Ministerpräsident Jazenjuk in einer
äußerst schwierigen Situation viel auf den Weg gebracht:
den Beginn eines Verfassungsreformprozesses, der neben rechtsstaatlichen Reformen auch die Fragen von Dezentralisierung und Sprachengebrauch in den Mittelpunkt stellt, die Runden Tische zum Nationalen Dialog
für alle Kräfte, die sich von Gewalt distanzieren - ich
möchte an dieser Stelle dem Botschafter Ischinger ein
ganz herzliches Dankeschön sagen, der sich in diesem
Prozess ganz herausragend eingebracht hat -,
({6})
und die Verabschiedung wirtschaftlicher Reformgesetze,
um eine wirtschaftliche Gesundheit zu ermöglichen. All
dies waren unter den gegebenen Umständen ganz wesentliche Beiträge. Aber, meine Damen und Herren, dieser Weg muss fortgesetzt werden. Er verdient unsere Unterstützung. Ein solches Signal der Unterstützung ging
auch vom Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in der letzten Woche aus, und ein solches Signal wollen wir auch vom G-7-Treffen aussenden.
Als Bundesregierung verfolgen wir seit Beginn der
Ukraine-Krise eine Politik des Dreiklangs. Neben dem
ersten Punkt dieses Dreiklangs, der gezielten Unterstützung der Ukraine, steht zweitens das unablässige Bemühen, im Dialog mit Russland eine diplomatische Lösung
der Krise zu finden. In unseren Gesprächen - des Außenministers mit dem Außenminister Lawrow, auch in
meinen Gesprächen mit Präsident Putin - machen wir
deutlich, dass Russland von der Konfrontation zur
Kooperation zurückkehren muss.
Was wir aktuell sehen, ist allenfalls ein gemischtes
Bild. So gibt es ermutigende Zeichen der Respektierung
der Wahl und zur Rolle der OSZE, auch der Rückzug eines Teils der russischen Truppen von der ukrainischen
Grenze ist ein positives Zeichen. Aber gleichzeitig
spricht die Lage in der Ukraine auch noch eine andere
Sprache. Die Annexion der Krim hält an. Berichte der
Vereinten Nationen und der OSZE verdeutlichen, dass
sich die Menschenrechtssituation auf der Krim vor allem
für die Krim-Tataren deutlich verschlechtert hat. Die Situation in der Ostukraine hat sich nach einem ähnlichen
Muster, wie wir es schon vorher auf der Krim gesehen
haben, dramatisch verschlechtert. Die Berichte der Vereinten Nationen und der OSZE enthalten besorgniserregende Aussagen zu systematischen Übernahmen von
offiziellen Gebäuden und von Infrastruktur, zu den Pseudoreferenden in einer Atmosphäre der Gewalt und der
Einschüchterung, die meist von prorussischen Separatisten ausgeht. Russlands Föderationsrat hält die Autorisierung militärischer Gewalt gegen die Ukraine aufrecht
und bekundet Respekt für die verfassungswidrigen Referenden. Hinzu kommen noch die mehrfachen gewaltsamen Geiselnahmen von Beobachtern der OSZE durch
prorussische Separatisten.
Angesichts dieser Lage ist es unverändert entscheidend, von einer Tendenz der Destabilisierung zu einer
Deeskalation der Lage vor Ort zu kommen. Dabei
kommt Russland eine entscheidende Rolle zu. Wir bemühen uns deshalb darum, dass es alsbald zu Kontakten
zwischen dem neugewählten Präsidenten in der Ukraine
und dem russischen Präsidenten kommt. Ganz entscheidend ist es, dass Präsident Putin seinen Einfluss auf die
Separatisten geltend macht, damit sie von Gewalt und
Einschüchterung Abstand nehmen, die Waffen abgeben
und die Besetzungen beenden. Nur so können wir wieder
zu einer friedlichen Situation auf allen Seiten zurückkehren.
({7})
Indem Russland seine Grenzen jedoch nicht oder
nicht ausreichend kontrolliert, sodass in großem Umfang
Kämpfer und Munition in den Südosten der Ukraine gelangen können, trägt es weiter zur Destabilisierung des
Nachbarn bei. Wenn dies nicht aufhört, dann - das ist der
dritte Punkt des Dreiklangs unseres Handelns - werden
wir uns nicht scheuen, weitere Sanktionen zu verhängen,
Sanktionen der im März beschlossenen Stufe 3. Dies hat
der Europäische Rat in der letzten Woche bekräftigt. Darüber sind wir uns auch in der G 7 einig. Ich sage es aber
noch einmal: Sanktionen sind kein Selbstzweck. Wir
wollen sie nicht. Wir wollen eine enge Partnerschaft mit
Russland. Aber wenn sie unvermeidlich sein sollten,
dann werden wir auch einmütig über sie befinden.
Meine Damen und Herren, wir haben einen langen
Atem, wenn es darum geht, Freiheit, Recht und Selbstbestimmung auf dem europäischen Kontinent durchzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine auf ihrem
selbstbestimmten Weg zu schützen und altem Denken in
Einflusssphären aus dem 19. und 20. Jahrhundert mit
Antworten des globalen 21. Jahrhunderts zu begegnen.
Im Übrigen: Gemeinsame Geschichte begründet
keine Gebietsansprüche gegenüber einem souveränen
Staat. Gerade Staaten mit gemeinsamer Geschichte sollten mit Respekt und unter Wahrung des Rechts eng zusammenarbeiten und zusammenleben.
({8})
Das ist ja gerade die Grundlage, die uns in weiten Teilen
Europas in den letzten Jahrzehnten eine einzigartige Zeit
des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands ermöglicht hat. Gemeinsame Geschichte, so schwierig sie auch
im Verlaufe der Jahrhunderte immer wieder war, wurde
zum Fundament von Gemeinsamkeit und europäischem
Zusammenwachsen.
Wie glücklich wir in Europa über das europäische
Friedenswerk sein können, zeigt ja nicht nur die Lage in
der Ukraine, sondern das zeigt auch und vor allem das
Elend vieler Menschen anderswo auf der Welt. So werden auf dem G-7-Gipfel auch andere Themen eine Rolle
spielen: Der Bürgerkrieg in Syrien hat inzwischen über
160 000 Todesopfer gefordert und destabilisiert die Länder um Syrien herum; Libyen befindet sich in einer instabilen Lage; in Nigeria wütet die schreckliche Terrororganisation Boko Haram. Deshalb müssen wir auch
alles daransetzen, in diesen Krisenbereichen das zu tun,
was möglich ist, um den Menschen dort wieder ein vernünftiges Leben zu ermöglichen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund zeigt sich: Wir können eigentlich gar nicht dankbar genug sein, dass vor anderthalb Wochen, am
25. Mai, gut 400 Millionen Europäerinnen und Europäer
ihr nächstes Europäisches Parlament frei, geheim und
fair wählen konnten. Ich freue mich sehr, dass in
Deutschland die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2009
von 43 Prozent auf immerhin fast 48 Prozent gestiegen
ist und dass sich in Deutschland die überwiegende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler eindeutig für Europa
ausgesprochen hat.
({10})
Dies ist Ausdruck der Überzeugung, dass Europa unsere
gemeinsame Zukunft ist.
In den vergangenen Wochen habe ich bei vielen Veranstaltungen im ganzen Land viel Zuspruch und Wertschätzung für Europa erfahren, aber eben auch Sorge
und Kritik gehört. Unzufriedenheit und Unsicherheit
sind in anderen Ländern der Europäischen Union noch
viel weiter verbreitet als in Deutschland, wie wir an vielen Wahlergebnissen sehen können. In einigen Ländern
gibt es teilweise dramatische Tendenzen der Europaskepsis und des Populismus. Die Ursachen für die
Zustimmung zu diesen Parteien sind sicher auch im nationalen Umfeld zu suchen. Dennoch lassen diese Ergebnisse auch den Schluss zu, dass die Bürgerinnen und
Bürger bessere Antworten von Europa erwarten.
Das verlangt konkret: Wir können und müssen die
Europäische Union noch besser machen. Wir müssen alles dafür tun, die Stärkung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und vor allem Beschäftigung in das Zentrum
unserer Arbeit zu stellen. Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren, und dabei muss es sich an die
selbst gegebenen Regeln und Verträge halten. Wenn wir
das verstehen, dann ziehen wir im Übrigen auch die richtige Lehre aus der europäischen Staatsschuldenkrise und
verhindern, dass sich eine solche Krise wiederholen
kann.
Deshalb haben wir beim Informellen Abendessen der
Staats- und Regierungschefs der EU in der vergangenen
Woche darüber beraten, welche politischen Prioritäten
die Arbeit der Europäischen Union und ihrer Institutionen in den nächsten fünf Jahren bestimmen sollten. Alle
Staats- und Regierungschefs der EU stimmen darin überein, dass sich das Handeln der Europäischen Union in
den kommenden Jahren inhaltlich wie organisatorisch
auf die zentralen Zukunftsfragen konzentrieren muss:
auf eine Agenda für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit
und Beschäftigung, die auch die soziale Dimension zum
Tragen bringt; auf eine funktionierende und vertiefte
Wirtschafts- und Währungsunion, die den Zusammenhalt der EU-28 wahrt; auf gemeinsame Antworten zum
Klimawandel und in der Energiepolitik einschließlich
des Abbaus der Energieabhängigkeit; auf die Stärkung
des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts;
auf ein geeintes Außenhandeln der Europäischen Union.
Wir wollen unser europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell im globalen Wettbewerb zum Erfolg führen.
Dafür müssen wir in den Feldern stark sein, auf denen in
Zukunft die globale Wertschöpfung stattfindet. Wir müssen die Potenziale und Möglichkeiten des Freihandels
und des Binnenmarkts ausschöpfen und für eine stärkere
Dynamik in Forschung, Innovation und Schlüsseltechnologien sorgen. Gerade für Europa und da insbesondere
für Deutschland als starkes Industrieland bietet die Verbindung klassischer Industriekompetenz mit Informationstechnologien große Chancen. Mit dem Begriff
„Industrie 4.0“ wird die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten beschrieben. Wenn die Europäische Union
ihr Handeln auf Schwerpunkte wie diese konzentriert,
dann - davon bin ich überzeugt - wird Europa zu neuer
Stärke und Stabilität finden und werden die Bürgerinnen
und Bürger neues Vertrauen schöpfen.
({11})
Meine Damen und Herren, politische Prioritäten brauchen das Personal, das diese Prioritäten vertreten und
umsetzen kann. Das gilt in diesen Wochen vorneweg für
die Wahl des nächsten Präsidenten der Europäischen
Kommission. Der Vertrag von Lissabon sieht hierfür vor,
dass der Europäische Rat dem Europäischen Parlament
unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Europawahl
mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das
Amt des Kommissionspräsidenten vorschlägt, über den
dann das Europäische Parlament abstimmt. Das steht in
Artikel 17 Absatz 7 der EU-Verträge. Dementsprechend
haben wir bei unseren Treffen den Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, beauftragt, die
vertraglich vorgesehenen notwendigen Konsultationen
zu führen. Er wird dem Europäischen Rat im Juni über
die Ergebnisse seiner Konsultationen berichten.
Herman Van Rompuy hat angekündigt, die Konsultationen mit den neu gebildeten politischen Gruppierungen
des Europäischen Parlaments und ihren neu gewählten
Vorsitzenden aufzunehmen. Er wird zudem bilaterale
Gespräche mit den Mitgliedern des Europäischen Rates
führen. Auch ich führe natürlich viele Gespräche mit
meinen europäischen Kollegen über die politischen Inhalte wie auch darüber, dass ich mich für die Wahl des
Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei bei der
Europawahl, Jean-Claude Juncker, zum nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit einsetze, und so tut dies auch
die ganze Bundesregierung, meine Damen und Herren.
({12})
Wir alle kennen die Vorbehalte mancher Mitgliedstaaten, zum Beispiel die Großbritanniens. Damit das klar
ist: Ich teile diese Vorbehalte nicht. Aber ebenso klar
sage ich auch: Ich halte es für grob fahrlässig, ja eigentlich für inakzeptabel, mit welcher Lockerheit manche
darüber sprechen, dass es doch eigentlich gleichgültig
sei, ob Großbritannien nun zustimme oder nicht, mehr
noch: ob Großbritannien Mitglied der Europäischen
Union bleibe oder nicht, nach dem Motto: Reisende soll
man nicht aufhalten. Meine Damen und Herren, das ist
alles andere als gleichgültig, unwichtig, egal.
({13})
Großbritannien ist wahrlich kein bequemer Partner.
Großbritannien hat schon viel von Europa profitiert und
bekommen. Doch umgekehrt hat Großbritannien Europa
auch schon viel gegeben. Dazu lohnt es sich, in diesem
großen Gedenkjahr aus der berühmten Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor beiden Häusern des britischen Parlaments vor fast 30 Jahren zu zitieren. Damals sagte Richard von Weizsäcker mit Blick
auf Großbritanniens Widerstand gegen Deutschland im
Nationalsozialismus - ich zitiere ihn -:
Was wäre aus Europa heute geworden … wenn es
- also das britische Volk nicht die Kraft gefunden hätte, seine Existenz aufs
Spiel zu setzen …, um die Hoffnung aller europäischen Völker auf eine bessere Zukunft in Freiheit
zu bewahren? Großbritannien braucht seine europäische Berufung nicht zu beweisen.
Ende des Zitats.
({14})
Bei allen Unterschieden, die schon dadurch deutlich
werden, dass Großbritannien am Britischen Pfund festhält und Deutschland aus tiefer Überzeugung für die gemeinsame Währung, den Euro, eintritt, gilt:
({15})
Deutschland und Großbritannien teilen gemeinsame
Werte und Interessen. Wir verfolgen gemeinsam wesentliche Ziele, vorneweg das Ziel einer starken, wettbewerbsfähigen Europäischen Union, die ihre Kräfte bündelt. Deshalb führe ich meine Gespräche gerade auch
mit Großbritannien in dem europäischen Geist, der uns
Europäern über mehr als fünf Jahrzehnte immer wieder
geholfen hat, bestmögliche Ergebnisse für alle zu finden.
Das erfolgt nicht immer einstimmig. Vor allem ist es
manchmal mühsam und anstrengend; es dauert auch.
Doch wie schon bei der Überwindung der europäischen
Staatsschuldenkrise oder bei der Verabschiedung des europäischen Haushalts bis 2020, so folge ich auch hier
dem Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Gute
Ergebnisse in Brüssel, die alles bedenken, sind selten
überstürzt zustande gekommen. Sie brauchen Zeit. Die
haben wir, und deshalb nutze ich sie.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt
sich mit aller Kraft dafür ein, dass die Europäische Union
verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnt, indem sie
ihre Prioritäten zum Wohle der Menschen setzt: für
Wachstum, für Beschäftigung und für Wettbewerbsfähigkeit. Nur mit einer starken und stabilen Europäischen
Union können wir gemeinsam unsere Interessen und
Werte selbstbewusst in der Welt vertreten und behaupten. Denn wir werden nie vergessen: Wir Europäer sind
zu unserem Glück vereint. Gleichzeitig setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern in der G 7 alles daran,
Frieden, Freiheit und Wohlstand in der Welt zu festigen.
Dieser großen Aufgabe sind wir uns gerade in diesem
Jahr der bedeutenden Gedenktage besonders bewusst.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, es ist ja neuerdings in der deutschen Debatte zu einem Vorwurf geworden, wenn jemand versucht, etwas zu verstehen. Ich glaube, zumindest das kann man Ihnen, Frau Merkel, nicht vorwerfen:
Sie sind wirklich keine Versteherin - weder von Russland noch von Frankreich noch von anderen Ländern -,
Sie glauben offenbar eher, die Probleme von oben herab
lösen zu können.
({0})
Wir müssen aufhören, eine hochgefährliche halbhegemoniale Stellung, in die die Bundesrepublik wieder hineingerutscht ist, in alter deutscher Manier
rücksichtslos auszuspielen.
Das schreibt Ihnen und der gesamten Bundesregierung
der Philosoph Jürgen Habermas ins Stammbuch. Er
meint damit vor allem, aber nicht nur den demütigenden
Umgang mit Frankreich.
Am 25. Mai ist bei den Europawahlen in Frankreich
der Front National von Marine Le Pen stärkste politische
Kraft geworden. Auch in anderen europäischen Ländern
haben nationalistische, rechtspopulistische, teils offen
faschistische Kräfte - wie die Goldene Morgenröte in
Griechenland - kräftig zugelegt. Wenn das nicht als
Weckruf taugt, dass es in Europa nicht so weitergehen
kann wie bisher, worauf wollen Sie dann noch warten?
({1})
Darauf, dass Frau Le Pen französische Präsidentin wird?
Und jetzt sagen Sie nicht, Deutschland habe mit der
wirtschaftlichen Misere in Frankreich nichts zu tun. Die
Agenda 2010 war nicht nur eine massenhafte Enteignung deutscher Arbeitnehmer, die heute im Schnitt
3,6 Prozent weniger Lohn bekommen als im Jahr 2000,
sondern das durch Leiharbeit, Werkverträge, Minijobs,
sachgrundlose Befristung ermöglichte Lohndumping
deutscher Unternehmen war natürlich auch ein massiver
Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Konkurrenten, denen solche Knebelinstrumente zur Erpressung ihrer Arbeitnehmer nicht zur Verfügung standen.
({2})
Auch damit hängt zusammen, dass zum Beispiel Länder
wie Frankreich und Italien seit Einführung des Euro einen erheblichen Teil ihrer industriellen Kapazitäten verloren haben.
Der französische Mindestlohn liegt mit 9,53 Euro
über 1 Euro höher als der Mindestlohn, den Sie jetzt mit
dem Gestus einer sozialen Heldentat endlich in Deutschland einführen wollen und den Sie auch noch durch Ausnahmen durchlöchern werden.
Sicher, nach Ihrer Logik könnte Frankreich seinen
Mindestlohn natürlich auch absenken. Wahrscheinlich
sehen Sie es sogar als Erfolg Ihrer Politik an, dass mittlerweile unter dem Druck der Krise die Löhne europaweit sinken; dass ein Großangriff auf Arbeitnehmerrechte gleich der Agenda 2010 jetzt in ganz Europa läuft;
dass überall die Ausgaben für Bildung, für Gesundheit,
für Renten zusammengestrichen und die Sozialsysteme
zerstört werden.
Aber finden Sie es wirklich so erstaunlich, dass sich
immer mehr Menschen von einem Europa abwenden,
das sie als Lobbyistenklub für Banken und große Unternehmen empfinden und das sie verantwortlich machen für
die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, für die Zerstörung ihDr. Sahra Wagenknecht
rer sozialen Sicherheit und ihres Wohlstands; dass immer
mehr Menschen eine EU als Bedrohung empfinden, die
nichts mehr zu tun hat mit den großen Ideen der Freiheit,
der Demokratie, der Solidarität und der Sozialstaatlichkeit, die sie stattdessen entmündigt und ihre demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten einschränkt, eine
EU, die unter Solidarität nur noch den perversen Vorgang versteht, Hunderte Milliarden für Rettungsschirme
zu verpulvern, die am Ende nur reichen Anlegern und
Banken etwas nützen, eine EU, die mit ihrem Marktfanatismus und ihrer Wirtschaftshörigkeit die Kluft zwischen
Arm und Reich in Europa immer tiefer aufreißt?
({3})
Wer sich wundert, dass auf einem solchen Boden die nationalistische und rechtspopulistische Saat gedeiht, der
hat nichts, aber auch wirklich gar nichts verstanden.
({4})
Das ist auch Ihre Saat, Frau Merkel, das ist auch das Ergebnis der von Ihnen verantworteten Politik.
({5})
Wer glaubt, eine Lösung der Euro-Krise sei auf den
Weg gebracht, weil Hedgefonds inzwischen wieder griechische Staatsanleihen kaufen, der verwechselt die Welt
der Finanzzocker mit dem realen Leben.
({6})
Ein arbeitsloser Jugendlicher in Spanien, der auf absehbare Zeit keine realistische Chance auf einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben hat, oder ein diabeteskranker Grieche, der nicht mehr weiß, wie er sein Insulin bezahlen
soll, die haben den Luxus einer solchen Verwechslung
nicht; ihr Leben spielt in der realen Welt, und sie spüren,
dass diese ihnen kaum noch eine Zukunft bietet.
Wenn sich das nicht ändert, wenn die Krisenlasten
nicht endlich von denen getragen werden, die von der
ganzen Party profitiert haben, wenn die Armut in Europa
weiter wächst und wenn der soziale Ausgleich scheitert,
dann scheitert Europa, und das ist dann auch Ihre Mitverantwortung, Frau Bundeskanzlerin.
({7})
In der Ukraine ist Europa schon gescheitert. Das Land
versinkt in einem blutigen Bürgerkrieg. Wie schön klangen doch die blumigen Versprechungen, die Sie den
Ukrainern noch vor wenigen Monaten gemacht haben.
Angeblich wollte die deutsche Regierung die Kräfte, die
für Demokratie, für Freiheit und für Europa sind, gegen
jene unterstützen, die für Oligarchie, für Armut und für
Korruption stehen. Heute unterstützen Sie eine Regierung, der vier Minister einer offen antisemitischen und
antirussischen Nazipartei angehören, eine Regierung, die
den Konflikt erst richtig angeheizt hat und heute brutal
Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.
({8})
Sie stützen einen Präsidenten, der seine Wahlkampagne
mit seinem milliardenschweren Raubvermögen und einem eigenen Fernsehsender betrieben hat, einen Oligarchen, der dem früheren Staatschef Janukowitsch an Korruption, Gangstertum und krummen Geschäften in nichts
nachsteht und der übrigens auch einmal sein Minister
war.
Damit es nicht zu peinlich wird, belügen Sie die Öffentlichkeit hinsichtlich der wahren Situation in der
Ukraine, zu der eben gehört, dass schwerreiche Oligarchen wie afghanische Warlords eigene Privatarmeen finanzieren und das Land schamlos ausplündern, während
ein Großteil der Ukrainer in drückender Armut lebt, einer Armut, die sich infolge der jetzt dem Land von der
EU und vom IWF diktierten Kürzungen weiter verschärfen wird. Sie verschweigen, dass bewaffnete Schlägertrupps des Rechten Sektors nach wie vor auf dem
Maidan kampieren, dass sich Linke in vielen Teilen der
Ukraine nicht mehr ohne Gefahr für Leib und Leben frei
bewegen können und dass die Regierung statt einer Entwaffnung dieser marodierenden Nazibanden lieber ein
Parteiverbot der Kommunistischen Partei betreibt.
Der Mord an über 40 Zivilisten in einem Gewerkschaftshaus in Odessa, das von diesem rechten Mob angezündet wurde und in dem die Opfer lebendig verbrannten, ist leider keine russische Propaganda, sondern
grausame Realität,
({9})
eine Realität, die mit dem von Ihnen gemalten Bild einer
weltoffenen proeuropäischen Ukraine nichts zu tun hat.
({10})
Ist es nicht geradezu verantwortungslos, einer Regierung, die so offenkundig elementarste demokratische
Maßstäbe verletzt, auch noch mit Milliarden an EU-Geld
unter die Arme zu greifen? Wäre es nicht sehr viel naheliegender, sich dafür einzusetzen, dass die Raubvermögen der Oligarchen endlich der ukrainischen Bevölkerung zurückgegeben werden? Da liegt genug Geld, um
die Finanzprobleme der Ukraine zu lösen.
({11})
Schluss mit Oligarchie und Korruption! Demokratie
und bessere soziale Absicherung: Das waren die Anliegen der ursprünglichen Maidan-Bewegung. Sie wurden
von den aktuellen Machthabern in Kiew komplett verraten - auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, indem Sie
diese Machthaber unterstützen.
({12})
Was für die EU gilt, das gilt genauso für die Ukraine.
Nur wenn die Menschen eine soziale Perspektive haben,
wird auch das Land eine haben.
Die erste Bedingung dafür ist ein Ende des Bürgerkriegs. Der neue Präsident unternimmt noch nicht einmal den Versuch, die Lage zu deeskalieren. Er will keine
Gespräche und keine Verhandlungen, sondern den gnadenlosen Einsatz militärischer Gewalt, obwohl jede Erfahrung lehrt, dass es in Bürgerkriegen keine schnellen
Siege gibt, sondern nur endloses Blutvergießen.
Frau Merkel und Herr Steinmeier, wenn Sie nach all
den Fehlschlägen Ihrer Ukraine-Diplomatie zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik zurückkehren wollen,
dann setzen Sie Poroschenko unter Druck, den Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen
({13})
und den Weg zu Verhandlungen und einem Waffenstillstand zu eröffnen. Dann können Sie das Putin auch
glaubwürdig sagen und ihn entsprechend unter Druck
setzen.
({14})
Dazu gehört es aber eben, die legitimen Interessen aller Seiten ernst zu nehmen. Genau das hat der Westen
gegenüber Russland über Jahre sträflich vernachlässigt.
Heute sieht es doch selbst der frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates so, dass die NATO-Osterweiterung ein Fehler war, ein Fehler, der - so Gates wörtlich „die Ziele der Allianz untergrub und das, was die Russen
als ihre nationalen Lebensinteressen betrachteten, verantwortungslos ignorierte“.
Genauso verantwortungslos ist es, über Artikel 10 des
EU-Assoziierungsabkommens die Ukraine in eine gemeinsame Verteidigungspolitik mit der EU und damit
faktisch in eine Kooperation mit der NATO einbinden zu
wollen. Genauso verantwortungslos ist die absurde
Sanktionsdebatte, die das Klima weiter verschlechtert
({15})
und die das Potenzial hat, der deutschen und der europäischen Wirtschaft massiv zu schaden, während sich USamerikanische Gas- und Ölkonzerne ins Fäustchen lachen.
Es gibt keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa
ohne oder gegen Russland.
({16})
Es liegt deshalb in der unbedingten Verantwortung der
Bundesregierung, sich klar und entschieden gegen
Obamas erschreckende Kriegsrhetorik und die angekündigte Truppenstationierung in Osteuropa auszusprechen.
Wir brauchen keine weitere militärische Provokation.
({17})
Wir brauchen auch nicht noch mehr Waffen in dieser
waffenstarrenden Welt.
({18})
Wer genau 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten
Weltkrieges und nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges immer noch über führbare Kriege inmitten von
Europa nachdenkt und fantasiert,
({19})
der ist, muss ich sagen, krank im Kopf und der muss in
die Schranken gewiesen werden, egal ob er Obama,
Rasmussen oder sonst wie heißt.
({20})
Deshalb, Frau Merkel: Lösen Sie sich endlich aus
dem Schlepptau dieser US-Kriegspolitik.
({21})
Setzen Sie sich - möglichst gemeinsam mit Frankreich dafür ein, dass Europa sich diesem Eskalationskurs verweigert.
Der französische Historiker Emmanuel Todd hat
Deutschland ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt.
({22})
- Emmanuel Todd. Falls Sie den Namen noch nicht gehört haben, sollten Sie sich einmal belesen.
({23})
Ich zitiere ihn:
Unbewusst … sind die Deutschen heute dabei, ihre
Katastrophen bringende Rolle für die anderen Europäer - und eines Tages auch für sich selbst - wieder
einzunehmen.
({24})
Wenn Ihnen das nicht zu denken gibt, wenn Sie das als
Frechheit denunzieren, dann tut es mir wirklich leid.
({25})
Frau Bundeskanzlerin, die deutsche Europapolitik
stand einmal in einer anderen Tradition. Sie stand in einer Tradition, die begründet wurde durch den Bruderkuss Charles de Gaulles und Adenauers im Elysée, durch
den Händedruck Mitterrands und Helmut Kohls über den
Gräbern von Verdun und durch den Kniefall Willy
Brandts in Warschau, mit dem er Deutschland für immer
verpflichtete, gegen Judenhass und Rassismus in aller
Welt vorzugehen, und der den Geist seiner Ost- und Entspannungspolitik symbolisch zum Ausdruck brachte.
Knüpfen Sie endlich wieder an diese Tradition der deutschen Außen- und Europapolitik an!
({26})
Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie
tragenden Minister und all das, was in diesem Zusammenhang insbesondere der deutsche Außenminister
Frank Steinmeier in den letzten Tagen und Wochen getan
hat.
({0})
Da meine Redezeit begrenzt ist, liebe Kollegin
Wagenknecht, nur zwei Hinweise: Erstens. Es ist unakzeptabel, das, was wir hier in Deutschland politisch umsetzen und was wir auch kontrovers diskutieren, in irgendeiner Weise mit dem Erstarken faschistischer und
fremdenfeindlicher Kräfte in einen Zusammenhang zu
bringen. Das ist weder die Politik der Union noch die
Politik der Grünen noch die Politik der Sozialdemokraten.
({1})
Zweitens. Es ist genauso unakzeptabel und unredlich,
hier ständig über die Frage eines Krieges zu reden, während die Mitglieder aller Fraktionen und der Regierung
- die Kanzlerin hat das noch einmal deutlich gemacht sich klar gegen militärische Lösungen ausgesprochen
haben. Das müssen Sie doch irgendwann einmal zur
Kenntnis nehmen.
({2})
Reden wir jetzt einmal darüber, was uns in Europa
verbindet. Ich finde, es ist ein wichtiger Punkt, dass am
D-Day auch Deutsche in Tradition dessen, was Richard
von Weizsäcker am 8. Mai 1985 zur Befreiung von der
nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und in
Europa und zu der besonderen Verantwortung, die wir
haben, erklärt hat, den Alliierten danken. Deshalb ist es
wichtig, dass die Bundeskanzlerin an diesem Tag auch
mit Präsident Putin redet. Sie hat unser volles Vertrauen
dafür, diesen Dialog mit Russland fortzusetzen.
({3})
Es gibt einen zweiten Punkt. Ich danke allen Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachtern
({4})
der CSU, der CDU, der Grünen, der SPD und der Linkspartei, die als Vertreter der OSZE und anderer internationaler Organisationen in die Ukraine gereist sind, um dort
nicht nur in Worten, sondern auch durch Präsenz und demokratisches Handeln für faire, gerechte und freie Wahlen einzustehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür
gilt ihnen, hoffe ich, der Dank des ganzen Hauses. Das
war eine richtige und mutige Tat.
Ich selbst durfte vor zehn Jahren bei der Orangen Revolution in Donezk, der Partnerstadt meiner Heimatstadt
Bochum, mit dabei sein. Das war diesmal leider nicht
möglich. Diesen Weg der Partnerschaft und des Einstehens für Demokratie durch das ganze Haus müssen wir
auch gemeinsam weitergehen.
({5})
Der dritte Punkt. Wir haben am 25. Mai die Direktwahl zum Europäischen Parlament durchgeführt. Es ist
ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Parlamentarisierung der Gemeinschaft, dass die Fraktionen der Europäischen Volkspartei - dazu gehören die Christdemokraten
mit ihrem künftigen Vorsitzenden Manfred Weber -, der
Grünen mit ihrer Vorsitzenden Rebecca Harms, der Sozialdemokraten mit ihrem künftigen Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz sowie der Linkspartei mit ihrer Fraktionsvorsitzenden Gabi Zimmer und, nicht zu vergessen,
die liberale Fraktion, die zusammen über 500 Mitglieder
des neugewählten Parlaments repräsentieren und auch
alle hier im Bundestag vertreten sind, direkt nach der
Wahl gesagt haben: Ja, wir stehen mit unseren Parteifamilien dazu, dass der Sieger der Europawahl zuerst die
Möglichkeit bekommt, als Präsident gewählt zu werden.
Das ist Jean-Claude Juncker, ein Christdemokrat aus
Luxemburg. Wir alle wünschen Jean-Claude Juncker alles Gute, dass es ihm gelingt, eine Mehrheit zu finden.
Wir erwarten von den Staats- und Regierungschefs, dass
sie dies akzeptieren. Sie sind nicht mehr Formateur einer
europäischen Regierung, der Kommission, sondern sie
sind der politische Notar, der Dinge voranbringen muss,
und wir werden sie dabei unterstützen.
({6})
Ich sage das auch, weil das ein Stück Geschichte des
Deutschen Bundestages ist. Unsere Vorgängerinnen und
Vorgänger haben schon in den 60er-Jahren dafür gekämpft, dass das Europäische Parlament direkt gewählt
wird. Das war noch zu Adenauers Zeiten.
Wir haben als Zweites durchgesetzt, dass es eine parlamentarische Frauenquote gibt, was auch in der SPD
nicht ganz einfach war. Das war in der Zeit von Willy
Brandt und Helmut Schmidt.
Wir haben drittens im Europäischen Parlament ein
kommunales Wahlrecht durchgesetzt und erreicht, dass
das Europäische Parlament gleichberechtigt mit entscheidet. Das war schon zur Zeit Helmut Kohls. Das
Ganze ist dann mit dem Vertrag von Lissabon vollendet
worden.
Axel Schäfer ({7})
Und wir haben viertens mit einer Initiative des Deutschen Bundestages und des SPD-Abgeordneten Professor Dr. Jürgen Meyer, Ulm, erreicht, dass wir eine europäische Bürgerinitiative, das heißt die Möglichkeit der
direkten Demokratie, in die europäischen Verträge aufnehmen. Das ist ein gemeinsamer parlamentarischer Erfolg in Europa. Aber das ist auch das Ergebnis aller proeuropäischen Kräfte, die im Bundestag wirken. Damit
sollten wir gerade nach dem 25. Mai stolz und selbstbewusst umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Der 25. Mai war leider auch ein Tag der Erstarkung
von antieuropäischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen bis hin zu rechtsextremistischen Kräften. Diese
sollten wir hier in diesem Haus gemeinsam bekämpfen.
Wir gehen keinen Schritt zurück. Wir stehen zu dem,
was in Hunderten Verträgen in allen Mitgliedstaaten seit
über 60 Jahren mit verfassungsgebenden Mehrheiten an
Europa bzw. an Gemeinschaft geschaffen worden ist.
Wir brauchen uns für nichts, was in Europa als Gemeinschaft vorangebracht worden ist, zu entschuldigen, für
absolut nichts und bei niemandem. Wir machen das mit
geradem Rücken und mit klarem Blick, und wir führen
diese Auseinandersetzung mit offenem Visier.
({9})
Das heißt gleichzeitig: Wir stellen uns jeder Kritik,
die an konkreten europäischen Problemen wie der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, der Bankenkontrolle und Maßnahmen zur Antidiskriminierung geübt
wird.
({10})
Aber wir werden nicht zulassen, dass diejenigen, die die
Europäische Union in Wort und Tat zerstören wollen, auf
keinen Widerstand stoßen. Ich sage als Sozialdemokrat
ganz klar in Richtung Großbritannien und in Erinnerung
an das, wofür schon Helmut Schmidt als Kanzler anlässlich der Volksabstimmung 1975 gekämpft hat, als es
darum ging, dass das United Kingdom in der Europäischen Gemeinschaft bleibt: Wir werden alles tun, dass
Großbritannien dabeibleibt. Nutzen wir die Möglichkeiten, die wir politisch haben, sei es über bilaterale Partnerschaften oder in europäischen Gremien. Aber eines
ist auch klar: Herr Cameron, der in Europa im Bremserhäuschen sitzt, darf nicht den Zug der europäischen Einigung zum Entgleisen bringen. Das werden wir nicht zulassen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, fünf Fraktionen im
Europäischen Parlament werden einen wichtigen Beitrag
dazu leisten, dass der Wahlsieger Jean-Claude Juncker
Kommissionspräsident wird. Der Deutsche Bundestag
sollte genau dies unterstützen. Glück auf!
({12})
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, nach Ihrer Rede frage ich mich
erneut: Was haben Sie uns eigentlich zum Kommissionspräsidenten sagen wollen? Herr Schäfer hat ein paar
klare Worte gesagt. Von Ihnen habe ich gehört: Ja oder
vielleicht; ja, wenn nicht Frau Lagarde, oder „mal sehen“. - Das Lavieren hat kein Ende. Es hat erst einen
Katholikentag gebraucht, damit Sie fünf Tage nach der
Europawahl wenigstens einmal den Namen von Herrn
Juncker ausgesprochen haben.
({0})
- Ich finde das großartig. - Ich finde das aber vor allen
Dingen paradox. Da wird diese Europawahl zum Duell
der Spitzenkandidaten ausgerufen - in diesem Fall muss
man bei der männlichen Formulierung bleiben -, auf der
einen Seite die Konservativen und auf der anderen Seite
die Sozialdemokraten, und danach sind es im Europaparlament die Grünen, die Liberalen und die Sozialdemokraten, die sagen: Der Konservative soll sich um eine
Mehrheit bemühen. - Frau Merkel, ich finde, das, was
Sie hier tun, ist eine Schwächung der Europäischen
Union, eine Schwächung des Europäischen Parlaments.
({1})
Es ist damit auch eine Schwächung der europäischen
Idee. Wenn es darum geht, Demokratie durchzusetzen,
dann muss Schluss sein mit der Hinterzimmerpolitik.
Darum geht es in diesen Tagen in Europa.
({2})
Zwischendurch habe ich mir einmal vorgestellt, was
gewesen wäre, wenn nach einer Bundestagswahl die
Wahlsiegerin Frau Merkel hieße und dann jemand sagen
würde: Sie werden es bestimmt nicht!
({3})
Ich kann mich an eine solche Situation erinnern; das war
2005.
({4})
Das ist regelrecht schröderesk, was Sie hier machen,
Frau Merkel. Insofern sage ich klar und deutlich: Bekennen Sie sich endlich zu den Mehrheiten, und sagen Sie
eindeutig, was Sie tatsächlich wollen! Ich finde, Sie können zu dem Spitzenkandidaten, den Sie ausgerufen haben, stehen. Sie sollten nicht herumlaufen und sagen:
Schauen wir einmal, was das Europäische Parlament
macht; das könnten wir am Ende noch berücksichtigen. Da hilft es auch nichts, Paragrafen vorzulesen. Wenn
man für Europa kämpfen will, dann muss man das mit
Leidenschaft tun, gerade an so einer Stelle.
({5})
Was es heißt, wenn man das nicht macht, was es
heißt, wenn man Europa von vornherein diffamiert, das
kann man ganz gut bei Ihrem Kollegen aus Bayern sehen, Herrn Seehofer.
({6})
- Herr Seehofer ist aber aus Bayern.
({7})
Er ist dort Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender. Frau Hasselfeldt musste schon zu sehr starken Worten
greifen.
({8})
„Testosterongesteuert“ hat sie Herrn Seehofer genannt.
Da scheint einiges los zu sein in der CSU.
({9})
Ich kann nur sagen: Entweder man bekennt sich zu
Europa, oder man bereitet denen den Boden, die mit
Populismus und Ausländerfeindlichkeit arbeiten, die gegen eine Willkommenskultur in Deutschland sind, die
dagegen sind, dass dieses Europa tatsächlich eine gemeinsame Sozialunion ist und bleibt, die dagegen sind,
Europa stark zu machen. Denen bereitet man auf diese
Weise den Boden. Deswegen ganz klar und deutlich:
Wer für Europa kämpft, macht es nicht wie die CSU in
Bayern.
({10})
Meine Damen und Herren, die Krise in der Ukraine
zeigt uns sehr gut, wie sehr wir Frieden und Rechtsstaatlichkeit zu schätzen wissen sollten. Der Kampf dafür
hier bei uns ist eben auch ein Zeichen für die Leute, die
dort mit ihrem Leben dafür eintreten, dass das gelingt.
Frau Wagenknecht, wenn ich mir Ihr Weltbild anschaue,
das Sie uns heute hier präsentiert haben,
({11})
dann muss ich sagen: Kein Wort über die Krim, kein
Wort über den Exodus der Tataren, kein Wort darüber,
dass dort tatsächlich Wahlen stattgefunden haben! Entschuldigung, bedeutet Ihnen denn das gar nichts?
({12})
Sie reden hier wieder von dem Einfluss von Neofaschisten in der Regierung der Ukraine. Meine Güte, die
haben am Sonntag, als auch die Europawahl stattfand,
bei der Wahl zum Präsidenten der Ukraine noch nicht
einmal 2 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie
das wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn
das vielleicht einen Moment an Ihrem Weltbild kratzt,
Frau Wagenknecht?
({13})
Wenn Sie sich hierhinstellen und versuchen, mit billigstem Populismus auf dem Rücken der Menschen in
der Ukraine, die es wahrlich nicht leicht haben, ich weiß
nicht was zu erreichen - möglicherweise wollen Sie in
Ihrer eigenen Partei eine Mehrheit bekommen; manchmal scheint mir das der eigentliche Grund für Ihre Rede
zu sein -, dann kann ich nur sagen: Das geht nicht. Dort
versuchen Menschen, ein demokratisches Land aufzubauen, dort versuchen Menschen, für Frieden zu sorgen.
Sie werden unterstützt, ja, sie werden auch von uns
unterstützt. Wer das nicht akzeptiert und wer das nicht
mit unterstützt, der stellt sich außerhalb von Friedensbemühungen und außerhalb von Demokratie, Frau
Wagenknecht.
({14})
Die Herausforderungen in Europa werden wahrlich
nicht geringer. Die Europäische Union muss mit ehrgeizigen Klimazielen in die UN-Verhandlungen im nächsten Jahr gehen. Ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen wäre doch einmal etwas. Frau Merkel, Sie stellen
sich hierhin, sagen: „wichtig, wichtig“, aber Sie handeln
nicht danach. Klar, wir müssen unsere Abhängigkeit von
russischen Gasimporten verringern, aber doch bestimmt
nicht durch Fracking oder durch Atomenergie und ganz
bestimmt nicht durch Kohleenergie.
({15})
Es geht um den Ausbau der erneuerbaren Energien, es
geht um die Energieunion, vor allem durch den Umstieg
auf die Erneuerbaren. Das wäre die Fortsetzung des Friedensprojekts Europa im 21. Jahrhundert.
Barack Obama hat vorgelegt und gezeigt, dass Klimaschutz Führung und Mut braucht und man sich auch einmal gegen Mehrheiten stellen muss, wenn man Verantwortung für die Zukunft übernehmen will. Wo ist Ihr
Engagement für ambitionierte Klimaschutzziele? Sie sagen, Deutschland sei Vorreiter. Ich sage: Nein, Deutschland war einmal Vorreiter, aber inzwischen steigen die
CO2-Emissionen wieder, und der Ausbau der erneuerbaren Energien wird ohne Not ausgebremst. Wenn Klimaschutz wirklich Chefsache wäre, dann würden Sie,
meine Güte, im Herbst nach New York zur Klimakonferenz fahren, statt zu Hause zu bleiben und das Klima
Klima sein zu lassen.
({16})
Mit Blick nach Brandenburg muss man klar und deutlich sagen: Wer jetzt neue Tagebaue aufmacht, um noch
mehr dreckige Kohle zu fördern, der macht das zu
80 Prozent gegen die Bevölkerung in Brandenburg und
der macht es zu 100 Prozent gegen den Klimaschutz.
SPD und Linke haben das beschlossen, und ich kann nur
sagen: Das hat nichts mit Klimaschutz zu tun. Sie sollten
hier nicht mehr herumlaufen und davon reden, dass Sie
den Kohleausstieg wollen; Sie sollten hier nicht mehr
herumlaufen und davon reden, dass Sie für den Klimaschutz sind.
({17})
Das gilt auch für das Fracking. Wenn eine Verordnung beschlossen werden soll, die am Ende dafür sorgt,
dass für 86 Prozent der Fläche in Deutschland Fracking
erlaubt ist, dann hat das mit Trinkwasserschutz und Gesundheitsschutz nichts mehr zu tun; vielmehr geht es darum, Fracking grundsätzlich zu erlauben. Darum soll
man nicht herumreden. Auch das hat nichts mit Klimaschutz zu tun.
({18})
Meine Damen und Herren, am Schluss will ich auf etwas eingehen, was mich an Ihrer Rede, Frau Merkel, geärgert hat,
({19})
ja, besonders betroffen gemacht hat. Wenn man über die
Krisenherde in der Welt mit drei Sätzen redet, wenn man
darüber redet, wie die Situation in Syrien ist und gleichzeitig kein Wort dazu verliert, dass wir nicht nur die
Aufgabe haben, im Rahmen der Möglichkeiten dort zu
helfen, sondern dass es ein Mindestmaß an Menschlichkeit wäre, wenn wir endlich sagen würden: „Wir müssen
hier mehr Flüchtlinge aufnehmen“,
({20})
dann entgegne ich klar und deutlich: Das ist eine falsche
Schwerpunktsetzung.
Ich will Ihnen sagen: Wenn wir in Europa eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik machen wollen, dann
heißt das für uns als Erstes, Verantwortung hier in
Deutschland zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass
wir eine Willkommenskultur haben, dafür zu sorgen,
dass wir ein offenes Europa haben, dafür zu sorgen, dass
wir ein Europa der Vielfalt haben, ein Europa, das wir
nicht den Rechten an die Hand geben, ein Europa, bei
dem wir klar und deutlich sagen: Nein, die AfD ist keine
Partei, die sich in irgendeiner Weise für Europa einsetzt,
sondern eine Partei, die sich gegen Europa einsetzt. Das
sollten Sie Ihren Kollegen in Sachsen vielleicht einmal
klar und deutlich sagen. Schließlich stellen sich Herr
Tillich und Herr Flath hin und behaupten, sie könnten
sich vorstellen, nach der Landtagswahl mit der AfD zusammenzuarbeiten.
({21})
Das ist eine klare Ansage gegen Europa, und das ist auch
eine klare Ansage gegen all das, was wir mit Vielfalt und
Liberalität in unserem Land und in Europa erreichen
wollen.
({22})
Ein solidarisches, friedfertiges Europa, darum muss es
auch an dieser Stelle gehen.
Vielen Dank.
({23})
Nun erhält die Kollegin Dağdelen das Wort für eine
Kurzintervention.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erinnerte mich an den großen Dichter und Denker Bertolt
Brecht, der einmal treffend formuliert hat:
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein
Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge
nennt, der ist ein Verbrecher!
({0})
Es entsetzt mich - ich bin darüber wirklich schockiert -,
dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit
den geringen Stimmenzahlen für die Kandidaten der
Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des
Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der
Ukraine erledigt habe.
({1})
Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt. Drei
Minister der Regierung in Kiew, also der Regierung der
Ukraine, sind Mitglied der neofaschistischen Partei
Swoboda. Ein Minister dieser Regierung steht der
Swoboda nahe. Ein weiterer Minister gehört der UNAUNSO, einer neofaschistischen Organisation, an. Das
heißt, eigentlich haben fünf Minister dieser Regierung
einen neofaschistischen Hintergrund. Der Rechte Sektor
kontrolliert weiterhin den ukrainischen Sicherheitsapparat.
({2})
Sie haben vergessen, davon zu sprechen, dass der Präsidentschaftskandidat der extrem rechten Radikalen Partei, Oleg Ljaschko, über 1,5 Millionen Stimmen und
damit über 8 Prozent bei der sogenannten Präsidentschaftswahl bekommen hat. Sie haben von diesen Wahlen gesprochen, ohne auch nur ein einziges Mal darauf
hinzuweisen, unter was für Kriegsumständen sie stattgefunden haben.
({3})
Kandidatinnen und Kandidaten, zum Beispiel von
Borotba oder der KP in der Ukraine, und viele andere
haben ihre Kandidaturen zurückgezogen, weil sie von
Faschisten bedroht worden sind. Der Kandidat der Partei
der Regionen ist während seiner Kandidatur unter Hausarrest gestellt worden. Wie kann man da eigentlich von
freien, fairen Wahlen sprechen, frage ich Sie.
({4})
Ich bin wirklich entsetzt darüber, wie hier die Faschisten, die Antisemiten verharmlost werden.
({5})
Ich bin entsetzt über diesen Tabubruch der deutschen
Außenpolitik, die von Ihnen, Frau Kollegin, mitgetragen
wird. Das ist wirklich schändlich.
({6})
Frau Göring-Eckardt hat das Wort zur Erwiderung.
Frau Dağdelen, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie
Wahlen, die in der Ukraine stattgefunden haben, ignorieren wollen.
({0})
Frau Dağdelen, ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie
die Situation in einem Land mit einer Freiheitsbewegung, die auf dem Maidan begann und die in alle Teile
des Landes ausgeweitet worden ist, so sehen. Unter
schwierigsten Bedingungen haben dort Wahlen stattgefunden. Diese schwierigsten Bedingungen waren wohl
vor allem, dass insbesondere im Osten der Ukraine Separatisten, die aus Russland unterstützt worden sind, dafür gesorgt haben, dass Menschen Angst hatten, ins
Wahllokal zu gehen. Trotzdem haben es viele gemacht.
Trotzdem wurde versucht, diese Wahlen so frei und so
fair wie möglich durchzuführen.
({1})
Die OSZE hat klar und deutlich festgestellt: Ja, diese Wahlen waren frei. Ja, diese Wahlen sind zu akzeptieren. Frau Dağdelen, ich finde, dann könnten Sie auch einmal
eine Sekunde darüber nachdenken, ob Sie diese Wahlen
ebenfalls akzeptieren können.
({2})
Ich glaube, dass Sie nicht akzeptieren, dass es ein
schwieriger Weg ist, bei dem es nicht einfach Ja und
Nein gibt. Es ist ein schwieriger Weg, dafür zu sorgen,
dass Demokratie auch tatsächlich einziehen kann, dass
Korruption tatsächlich bekämpft werden kann; dafür
sind die Leute nämlich auf die Straße gegangen.
({3})
Es ist wohl klar und deutlich - das sage ich für die Fraktionen, die hier in diesem Haus sitzen, für die SPD, für
die Union genauso wie für uns, und für jedes Mitglied
der Bundesregierung -: Niemand hier wird Faschisten
unterstützen wollen. Sie sollten aufhören mit dieser absurden Unterstellung, Frau Dağdelen!
({4})
Wenn Sie Bert Brecht zitieren wollen, Frau Dağdelen,
tun Sie das gern weiter. Ich jedenfalls werde nicht akzeptieren, dass Sie mich eine Verbrecherin nennen.
({5})
Ich will ausdrücklich sagen, dass es auch in einer
politischen Auseinandersetzung und in einer heftigen
Debatte - das möchte ich an Sie richten, Frau Dağdelen nicht gerechtfertigt ist, Kolleginnen und Kollegen etwas
zu unterstellen, für das es überhaupt keine sachliche Begründung gibt.
({0})
Jetzt hat der Kollege Schockenhoff das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will unterstreichen, was die Bundeskanzlerin zu
Recht betont hat: Die Ukrainer haben Petro Poroschenko
bei einer Wahlbeteiligung von deutlich über 60 Prozent
im ersten Wahlgang mit 54 Prozent zu ihrem Präsidenten
gewählt. Das ist ein starkes Zeichen. Die CDU/CSUBundestagsfraktion gratuliert Herrn Poroschenko zu diesem wichtigen Sieg. Er tritt eine äußerst schwierige Aufgabe an.
Die Debatte, die wir hier führen, verwundert mich
schon etwas. Es lohnt sich aber nicht, darauf weiter einzugehen.
Herr Schäfer hat zu Recht allen gedankt, die als Wahlbeobachter dabei waren. Frau Dağdelen, Mitglieder Ihrer
Fraktion waren an der OSZE-Wahlbeobachtermission
beteiligt, und sie haben diese Wahl als frei und fair bezeichnet. Wenn Ihnen, Frau Dağdelen, nun das Ergebnis
nicht passt - Sie haben wörtlich von einer „sogenannten
Präsidentschaftswahl“ gesprochen -, dann zeigt dies,
dass Sie noch nicht in der Demokratie angekommen
sind. Sie sind nach wie vor zutiefst von totalitärem Denken geprägt.
({0})
Ich will auch auf einen anderen Umstand ausdrücklich hinweisen. Herr Poroschenko ist in allen Wahlkreisen des gesamten Landes mit deutlicher Mehrheit ge3270
wählt worden - selbst in den umkämpften Orten im
Osten. Da dies in der Vergangenheit anders war - die
Wahlergebnisse der führenden Kandidaten zeigten im
Osten und im Westen deutliche Unterschiede -, hat dieses Wahlergebnis einen ganz besonderen politischen
Stellenwert. Herr Poroschenko ist der Präsident aller
Ukrainer. Das ist das wichtige Ergebnis der Wahl vom
25. Mai.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Präsidentenwahl setzen die Ukrainer ein klares Zeichen. Es ist
der unmissverständliche Auftrag, für Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung sowie für
die politische, wirtschaftliche und soziale Einheit des
Landes zu sorgen. Die Ankündigung des gewählten Präsidenten, zuerst in den Osten der Ukraine zu reisen und
sich um die Stärkung der Wirtschaft und um die Verbesserung der sozialen Lage dort zu kümmern, ist dafür eine
sehr wichtige Botschaft. Es muss darum gehen, dass die
Menschen im Osten der Ukraine wieder Vertrauen in die
Politik finden, die in Kiew gemacht wird, zumal es in
der Vergangenheit leider auch gravierende Fehler mit
Blick auf die Menschen im Osten des Landes gegeben
hat.
Gerade die Menschen im Osten der Ukraine müssen
schnell von den Wirtschafts- und Finanzhilfen des IWF
und der EU profitieren; denn dort ist die wirtschaftliche
und soziale Lage besonders schwierig. Dies wäre auch
eine wichtige Antwort an die Separatisten. Denn dann
lautet die Botschaft für die Menschen in den umkämpften Gebieten: Während die Separatisten für Unsicherheit
und Terror sorgen, während Moskau Waffen und Kämpfer schickt, leistet Kiew auch mithilfe der EU und mit
unserer Unterstützung konkrete Beiträge, damit es den
Menschen in der Ostukraine Stück für Stück besser geht
und ihre Region wirtschaftlich modernisiert wird. Die
Menschen dort wollen endlich sicher und in Frieden leben. Dazu brauchen sie unsere Unterstützung.
({2})
Herr Kollege Schockenhoff, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein.
Das Wahlergebnis ist deshalb auch ein starkes Signal
gegen die Gewalt der Separatisten und Terroristen und
gegen die Einmischung von außen. Die Ukrainer wollen
ihren eigenen, selbstbestimmten Weg gehen. Mit den
Stimmzetteln haben sie allen russischen Destabilisierungsaktivitäten der letzten Wochen eine klare Absage
erteilt. Das sollte Moskau endlich akzeptieren.
Doch was ist die Realität des russischen Handelns?
Inzwischen sprechen die Separatisten ganz offen davon,
dass sie von russischen Soldaten unterstützt werden und
sich ihrem Kommando unterstellt haben. Letzte Woche
haben wir aus dem Sicherheits- und Verteidigungsrat der
Ukraine Zahlen dazu erhalten: Circa 800 russische Berufssoldaten befinden sich allein in den Städten
Lugansk, Slowjansk und Donezk. Weiterhin sind dort
600 russische Freiwillige - vor allem pensionierte oder
aus der Armee ausgeschiedene russische Soldaten. Diese
Zahlen dürften in der Zwischenzeit weit höher sein; denn
wir hören jeden Tag von neuen Militärkonvois, die aus
Russland in die Ukraine einsickern. Der russische
Grenzschutz schaut dem tatenlos zu.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt deshalb nachdrücklich die Aufforderung der Staats- und Regierungschefs der EU von Anfang der Woche an Moskau, „seinen Einfluss auf die bewaffneten Separatisten
zu nutzen, um die Lage in der Ostukraine zu deeskalieren und vorrangig zu verhindern, dass Separatisten und
Waffen in die Ukraine gelangen“. Aber wir müssen feststellen, dass Russland dazu bisher nicht bereit ist. Wenn
russische Soldaten und andere mit modernsten russischen Waffen ausgerüstete Kämpfer mit Billigung der
russischen Grenztruppen und damit mit Billigung Moskaus in die Ukraine eindringen können, dann ist dies
auch eine Form militärischer Intervention Russlands in
der Ukraine.
Nach der Annexion der Krim stellt Russland mit diesen militärischen Destabilisierungsaktivitäten im Osten
der Ukraine auch weiterhin grundsätzliche Elemente der
europäischen Friedensordnung und die über viele Jahre
erarbeiteten Regelwerke einer europäischen Sicherheitsarchitektur infrage. Russland belastet durch sein Verhalten Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa weiterhin schwer.
Unsere Bündnispartner im Osten, insbesondere die
baltischen Staaten und Polen, fühlen sich besonders bedroht. Ich sage ganz deutlich: Deren Sorgen sind auch
unsere Sorgen. Deshalb ist es richtig, dass die NATOStaaten bereits eine Verstärkung ihrer Streitkräfte und
zusätzliche Truppen auf dem Boden unserer östlichen
Partner und in der Ostsee beschlossen haben.
({0})
Ob dort darüber hinaus auch permanente Stationierungen erforderlich werden, wird bis zum NATO-Gipfel
Anfang September zu prüfen sein. Das wird sehr davon
abhängen, ob Russland sein unberechenbares und aggressives Verhalten, vor allem gegenüber der Ukraine,
fortsetzt.
Ich sage aber auch - das ist von meinen Vorrednern
bis auf eine Ausnahme bestätigt worden -: Wir alle wissen und sind überzeugt, dass dieser Konflikt militärisch
nicht zu lösen ist. Deshalb wird es notwendig sein, dass
die neue ukrainische Führung unter Beteiligung und mit
Hilfe der USA und der EU das Gespräch mit Moskau
sucht, um eine Lösung zu finden, die die Gewalttätigkeit
beendet, die zur Entwaffnung der illegal bewaffneten
Gruppen und zum Abzug der russischen Soldaten und
Geheimdienstkräfte führt und die die Souveränität und
Integrität der Ukraine sichert.
Es ist genauso notwendig, auf Moskau einzuwirken,
damit es zu konstruktiven und lösungsorientierten GeDr. Andreas Schockenhoff
sprächen bereit ist. Wir bedanken uns bei der Bundeskanzlerin und beim Außenminister für ihre Bemühungen, die wir auch weiterhin mit Nachdruck unterstützen.
({1})
In diesem Zusammenhang ein Wort zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland: Es gibt
Menschen - auch ein ehemaliger Bundeskanzler gehört
dazu -, die davon reden, dass die Krim - so wörtlich für immer weg sei. Das ist nichts anderes als die Anerkennung von Landraub und Völkerrechtsbruch. Deswegen begrüßt und unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck, dass die Staats- und
Regierungschefs der EU die unrechtmäßige Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erneut scharf
verurteilt und zum Ausdruck gebracht haben, dass sie
diese Annexion nicht anerkennen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand weiß
heute, unter welchen Voraussetzungen und wann die
Krim wieder zur Ukraine gehören wird. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass die Wiedervereinigung
Deutschlands möglich war und dass die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen konnten. Warum sollte das nicht auch für die Krim möglich werden?
Gerade wir Deutschen, die nach 40 Jahren unsere Einheit wiedererlangen konnten, sollten nicht so reden, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Die Menschen in der Ukraine haben große Erwartungen an ihren neu gewählten Präsidenten Poroschenko.
Zugleich sind die Herausforderungen im Zusammenhang mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Veränderung enorm. Die Reformbemühungen im Bereich der Justiz, der Staatsanwaltschaft und im Sicherheitssektor sowie zur Bekämpfung von Korruption sind
eine echte Herausforderung. Deshalb begrüßen wir sehr,
dass die Europäische Union und auch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU umfangreiche Unterstützung zugesagt haben bzw. bereits konkrete Hilfe leisten.
Herr Poroschenko möchte so bald wie möglich den
Handelsteil des Assoziierungsabkommens unterschreiben. Auch das sollten wir nachdrücklich unterstützen,
zumal alle russischen Vorwürfe, dieses Abkommen
würde der russischen Wirtschaft schaden, in sich zusammengebrochen sind. Russland hat in den Verhandlungen
mit der Europäischen Union dazu keinerlei Belege vorlegen können.
Um es klar zu sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen. Wir müssen dabei den schwierigeren
Weg gehen: mit den Mitteln der Soft Power und des Völkerrechts gegen russische militärische Destabilisierung
und Völkerrechtsbruch.
Dies ist kein Konflikt fern im Osten der Ukraine. Dies
ist ein Konflikt, der uns direkt angeht.
({3})
Es geht um Frieden, um Sicherheit und die Stärke des
Rechts in ganz Europa.
Vielen Dank.
({4})
Jetzt erhält zunächst Herr Hunko das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben mich vorhin
als Wahlbeobachter angesprochen; ich habe die Wahlen
in Odessa beobachtet.
({0})
- Auch er hat eben von den Wahlbeobachtern der Linksfraktion gesprochen.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass die Wahlen in
Odessa, in Kiew, in Lwiw und in anderen Städten fair
und friedlich abgelaufen sind. Das Problem aber ist
- auch das ist von den internationalen Organisationen
benannt worden -, dass ein Großteil der Wähler im Gebiet Donezk und Lugansk, das 5,1 Millionen Wähler,
also ein Siebtel der Wahlbevölkerung, umfasst, nicht
wählen konnte, weil dort Bürgerkrieg herrscht,
({1})
und dass eine Reihe von oppositionellen Kandidaten aus
dem Spektrum der Kommunistischen Partei, zum Beispiel der Kandidat Simonenko, und aus dem Spektrum
der Partei der Regionen aufgrund von Übergriffen, die es
gegeben hat - sogar im Parlament; das kann man ja
nachprüfen -, ihre Kandidatur aus Angst zurückgezogen
hat. Auch das muss man benennen, wenn man abwägen
will, wie die Wahlen zu beurteilen sind.
({2})
Ich möchte Sie fragen - denn, Herr Schockenhoff, Sie
sind auf die Situation im Osten sehr intensiv eingegangen -, ob Sie bereit sind, öffentliche Signale in Richtung
Poroschenko, in Richtung der Übergangsregierung in
Kiew dahin gehend zu senden, dass der gegenwärtige
Militäreinsatz gestoppt wird, dass Waffenruhe eintritt,
um zu Verhandlungen zu kommen. Wir haben jetzt die
Situation, dass sogar die Luftwaffe gegen einzelne
Städte in der Region Lugansk eingesetzt wird. Das kann
doch nicht sein. Dies ist doch kein Weg, um zu einer
Deeskalation im Osten zu kommen.
({3})
Eine zweite Frage möchte ich stellen. Es wurde in der
Debatte darauf hingewiesen: Das Problem mit den Faschisten ist nicht so groß.
({4})
- Es wurde vorhin gesagt - ({5})
- Entschuldigung, hören Sie doch einmal zu!
({6})
Es wurde vorhin gesagt: Tjagnibok hat weniger als
2 Prozent erhalten; das Problem ist damit doch kleiner,
als wir es darstellen.
({7})
- Das erkläre ich überhaupt nicht.
({8})
Darf ich darum bitten, dass wir wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen.
({0})
- Nein, Entschuldigung, Herr Kauder, es geht nicht darum, Herrn Hofreiter anzugreifen. Ich sage nur: Wir sollten zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen
und keine Unterstellungen machen, Herr Hunko.
({1})
Es wurde vorhin gesagt - das ist auch richtig -, dass
die Swoboda-Partei -
Herr Hunko, ich darf daran erinnern: In der Auseinandersetzung ist keine Bewertung dahin gehend getroffen
worden, dass damit das Problem gering sei. Das ist nicht
getan worden. Das können Sie sicherlich im Protokoll
nachlesen.
({0})
Dann werde ich es anders formulieren. Es wurde vorhin gesagt, dass der Kandidat der Swoboda weniger als
2 Prozent erhalten hat.
({0})
Ich frage Sie: Werden Sie darauf hinwirken, dass die
Swoboda-Partei, die immer noch in der Regierung ist,
aus der Regierung ausscheidet? Warum sitzt sie noch in
der Regierung, wenn sie doch so wenig Rückhalt hat?
({1})
Herr Schockenhoff.
Herr Kollege Hunko, das Problem ist, dass eine Wahl,
von der Sie sagen, dass diese Wahl frei und fair abgelaufen sei, von der vor Ihnen sitzenden Frau Dağdelen als
eine „sogenannte Wahl“ bezeichnet wird, weil ihr das
Ergebnis nicht passt.
({0})
Von diesem totalitären Denken müssen Sie Abstand nehmen. Alles andere haben wir vorhin deutlich gesagt.
({1})
Als nächster Redner hat Franz Thönnes das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zehn Wahlbeobachter des Deutschen Bundestages waren am 25. Mai in Kiew und in anderen Teilen der
Ukraine unterwegs. Am Ende stellen alle fest - auch
Kollege Hunko hat es gerade wiedergegeben -: Diese
Wahl hat eindeutig den vereinbarten Prinzipien entsprochen, die die OSZE zu bewerten hatte. Vielleicht war es
sogar mit die demokratischste Wahl, die bisher in der
Ukraine stattgefunden hat. Die Wahl folgte einem eindeutigen, klaren, demokratischen Verfahren und hat ein
Ergebnis gebracht, das denjenigen zugutekommt, die die
Wahlen unter schwierigen Umständen vorbereitet haben;
sie verdienen unsere Anerkennung. Dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko ist zu gratulieren.
({0})
Vor der Wahl gab es von Russland Erklärungen, die
besagten, man werde das Ergebnis akzeptieren. Man
muss sagen: Angesichts der Spannungen war das schon
ein wichtiger Schritt. Aber eigentlich haben wir alle darauf gewartet, dass auch Moskau nach der Wahl deutlich
sagt: Wir erkennen die Entscheidung des ukrainischen
Volkes eindeutig an.
({1})
Dazu gehört auch die Erwartung, dass ein entsprechend
hochrangiger Gast aus Russland teilnimmt, wenn Präsident Poroschenko am kommenden Samstag in das Amt
eingeführt wird. Auch dadurch könnte die Anerkennung
der Wahlentscheidung zum Ausdruck gebracht werden.
Deutschland bringt sie zum Ausdruck; ich denke, es ist
gut, dass Bundespräsident Gauck in Kiew dabei sein
wird.
({2})
Die Wahlbedingungen waren natürlich eine große Herausforderung. Im Osten sind die Wahlen zum großen
Teil von Extremisten, von bewaffneten und gewalttätigen Gruppen, behindert worden, die teilweise Wahlurnen zerschlagen haben, die Menschen in Wahllokalen
bedroht und an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert
haben. Das zeigt ganz klar und eindeutig, welches Verhältnis diese Gruppen zur Demokratie haben; sie stehen
nicht für eine gute Zukunft der Ukraine. Doch in anderen
Teilen des Landes hat es geradezu einen Wahlenthusiasmus gegeben: Menschen, die bei 30 Grad zwei oder
zweieinhalb Stunden vor dem Wahllokal in der Schlange
stehen, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen,
nachmittags um 16 Uhr schon 60 Prozent Wahlbeteiligung, in einigen Regionen bis zu 80 Prozent. Welch ein
glaubhaftes Zeichen, wie wichtig man die Demokratie in
diesem Land nimmt!
({3})
Die Menschen sind im Kern - das müssen wir als
Wahlbeobachter der OSZE sagen - am Ende ihre eigenen demokratischen Wahlbeobachter geworden, weil sie
genau sehen konnten, dass jeder seinen Ausweis vorzeigen musste, dass man den Empfang der Wahlzettel quittieren musste. Ich denke, das war ein gutes Zeichen. Es
war ein eindrucksvolles Beispiel für lebendige Demokratie, und es war - das ist wichtig - ein deutliches Bekenntnis dazu, dass man eine geeinte und keine gespaltene Ukraine haben will.
({4})
Auch ich sage es jetzt hier - das muss man wahrscheinlich wiederholen -: Es war auch ein eindeutiges Zeichen
gegen rechts, ein eindeutiges Votum gegen rechts. Man
will die Zukunft der Ukraine nicht mit Nationalisten,
nicht mit Faschisten, nicht mit Antisemiten gestalten.
Das Votum war eindeutig dagegen gerichtet.
({5})
Damit sagt keiner, dass die rechte Bewegung weg
wäre; sie ist weiterhin entschieden mit demokratischen
Mitteln zu bekämpfen. Sie dürfen aber auch nicht negieren, dass das Abkommen vom 21. Februar eine inklusive
Regierung vorsah, sodass die damals existierenden
Kräfte einzubeziehen waren,
({6})
und dass das Parlament, das vom Volk demokratisch legitimiert worden ist, diese Regierung gewählt hat. Also
müssen so schnell wie möglich Neuwahlen in der
Ukraine erfolgen, mit einem vergleichbaren Resultat, sodass keine Antisemiten, keine Faschisten und keine Nationalisten im Parlament sitzen. Das ist die richtige Antwort.
({7})
Mit der Wahl ist klar geworden: Die einseitige Propaganda, dass die ganze Maidan-Bewegung faschistisch
wäre, wie wir es teilweise aus russischen Medien hören
und es manchmal auch hier geäußert wird, ist widerlegt;
ihr wurde der Nährboden entzogen. Wer im Zusammenhang mit der Ukraine mit Schwarz-Weiß-Bildern arbeitet, trägt nicht dazu bei, dass eine friedliche Lösung gefunden wird.
Spricht man mit den Menschen, die in der Schlange
stehen, darüber, welche Erwartungen sie haben, so wird
deutlich: Es geht um Demokratie, es geht um bessere Lebensbedingungen, es geht um einen Blick in Richtung
Europa. Es geht auch um die aktive Bekämpfung der
Korruption.
Der Präsident trägt nun große Verantwortung. Auch
die Kraft der Versöhnung und des Verhandelns ist gefordert. Aber diese Kraft wird von allen Beteiligten erwartet. Es ist ein Lichtblick, dass Russland und die Ukraine
zurzeit pragmatisch über Gaspreise verhandeln. Das ist
ein wichtiger Schritt.
Dieser Pragmatismus ist auch notwendig, wenn es darum geht, dass wir von Russland erwarten, dass es sich
wieder aktiv einschaltet, um die zwei OSZE-Teams aus
der Geiselhaft zu befreien.
({8})
Dieser Pragmatismus wird erwartet, wenn es darum
geht, dass auch von russischer Seite ein Beitrag dazu geleistet wird, dass die Gewalt, dass das Sterben in der Region beendet wird, dass Moskau die Separatisten aufruft,
den Kampf, auch die Attacken gegen die ukrainischen
Sicherheitskräfte und das Besetzen von Häusern, einzustellen.
All das zeigt: Es besteht die Notwendigkeit, die Kraft
aufzubringen, um zu einer Verhandlungslösung beizutragen. Deswegen wird neben dem Truppenabzug, den
Russland inzwischen wohl zu drei Vierteln geleistet hat,
auch erwartet - diese Erwartung richtet sich auch an die
ukrainische Regierung -, dass man gemeinsam pragmatisch etwas für die Grenzsicherung unternimmt, dass
nicht permanent Wagenkolonnen von bewaffneten und
militarisierten Menschen die Grenze passieren können,
dass damit ein Beitrag geleistet wird, dass sozusagen der
„Nachschub“ von Gewaltpotenzial endlich aufhört. Eigentlich müsste Moskau ein großes Interesse daran haben.
Wenn es Moskau mit der in den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen eingebrachten Resolution ernst ist
und wenn durch die Resolution auch noch die territoriale
Integrität der Ukraine gewährleistet werden würde, dann
wäre das ein gutes Zeichen, das zu mehr Glaubwürdigkeit beitragen würde. Das wäre ein ganz wichtiger und
zentraler Schritt.
Vier zentrale Pfeiler sind meines Erachtens für die
Stabilität in der Ukraine notwendig. Der erste Pfeiler
war die Entscheidung für die jetzt abgehaltene Präsidentschaftswahl. Der zweite Pfeiler wird sein, den Verfassungsprozess zügig voranzutreiben. Der dritte Pfeiler
wird sein, in der zweiten Jahreshälfte Neuwahlen auszurufen. Der vierte Pfeiler wird sein, eine neue Regierung
zu wählen. Damit wäre für die Ukraine ein entscheidender Schritt auf dem Weg in eine gute Zukunft getan.
Abschließend möchte ich festhalten - das ist für uns
ganz zentral; das wird auch in Zukunft so sein -: Die
Bundesregierung, die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister haben unsere Unterstützung bei dieser
wichtigen Arbeit, mit Besonnenheit und mit Balance in
Brüssel eine gemeinsame Antwort der Europäischen
Union zu finden.
Heute ist das Friedensgutachten 2014 vorgelegt worden. Ich glaube nicht, dass es ein guter Ratschlag ist,
Verteidigungsetats zu erhöhen. Eigentlich geht es darum,
Verzicht auf Konfrontation und Festhalten am Dialog zu
üben. Für Europa, die USA und auch für Russland gilt:
So wie wir hierbei Verlässlichkeit zu bewahren haben,
erwarten wir auch auf der anderen Seite Verlässlichkeit
durch klar belegbare Handlungen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wir erwarten, dass die Schlussakte von Helsinki eingehalten wird. Wir erwarten von Russland, dass es garantiert: keine Androhung und kein Gebrauch von Gewalt, die Unverletzbarkeit der Grenzen, die territoriale
Integrität der Staaten und eine friedliche Konfliktlösung.
Für unsere gemeinsame Zukunft in Europa erwarten wir
hierzu eine klare Antwort aus Moskau.
({0})
Das Wort hat jetzt Manuel Sarrazin von Bündnis 90/
Die Grünen.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich die Kanzlerin ins Kreuzfeuer nehmen
und mich nicht so sehr mit der Linkspartei beschäftigen.
({0})
- Sie sind noch da? Das ist hervorragend. Denn ich finde
das Spiel um die Kommissionspräsidentschaft schon bemerkenswert.
Oftmals ist von einem Demokratiedefizit der EU die
Rede, Frau Kanzlerin. Ich glaube, wir erleben gerade
eher ein Politikdefizit mancher Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat. Das ist das eigentliche Problem.
({1})
Ich möchte Sie da nicht ganz ausnehmen. Sie wissen,
dass ich nicht der Gemeinste hier im Haus bin, aber,
ganz ehrlich gesagt: Sie haben monatelang aus dem
Kanzleramt verlauten lassen: Ach, das mit den Spitzenkandidaturen, das wird am Ende schon anders werden.
Dass Sie sich jetzt hinter Cameron und dieser relativ billigen Drohung, vielleicht aus der EU auszutreten, verstecken, passt nicht zu Ihrem Format. Ich glaube, Sie haben
viel mehr Format zu bieten.
({2})
Frau Kanzlerin, die Menschen in Deutschland haben
ein Recht darauf, einen oder zwei Tage nach der Europawahl zu erfahren, welche Position Deutschland hinsichtlich der Besetzung des Spitzenpostens in der EU-Kommission vertritt. Sie hätten das genauso klar sagen
können wie Herr Cameron. Das schließt ja nicht aus,
dass man mit ihm redet.
({3})
Wenn Sie an dieser Stelle das Gesicht Englands wahren
wollen, heißt das nicht, dass Sie Herrn Cameron die
ganze Bank hinterherschmeißen müssen.
({4})
Das wirkliche Problem von Herrn Cameron dürfen
Sie aber nicht unterschätzen. Das wirkliche Problem von
Herrn Cameron ist der Rechtspopulismus von UKIP und
anderen. Sie können ihn unterstützen, indem Sie zur AfD
und den deutschen Rechtspopulisten klar Stellung beziehen. Zeigen Sie klare Kante und sagen Sie, dass für
Rechtspopulisten kein Platz ist. Damit wären Sie Herrn
Cameron ein Vorbild. Ihm nützt es nichts, wenn aus den
Reihen der CDU schon fast Koalitionsangebote unterbreitet werden.
({5})
Wenn wir darüber reden, dass man klare Kante gegen
rechts zeigen sollte, muss man auch sagen, dass sich manche hier im Haus deutlichere Aussagen der Linkspartei
über Kollegen wie Herrn Dugin, Herrn Naryschkin,
Herrn Schirinowski oder andere, die in Russland etwas
zu sagen haben, wünschen. Das kommt in Ihren Reden
nie vor. Vielleicht würde das aber auch helfen.
({6})
Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Diese Präsidentschaftswahlen sind eine große Chance für die
Ukraine, weil sie zur Stabilisierung beitragen können,
weil sie für eine neue Stimmung in Kiew sorgen
({7})
und weil niemand, mit dem man in der Ukraine spricht,
auch nicht die Vertreter der Partei der Regionen, die Legitimität dieser Wahl anzweifelt. Also sollten auch wir es
nicht tun. Wenn man das macht, handelt man nicht im
Interesse der Vertreter der Ostukraine.
({8})
Herr Poroschenko hat angekündigt, den Verfassungsprozess voranzutreiben und Neuwahlen durchzuführen.
Das ist doch genau der Weg, den Sie wollen. Sie wollen
doch, dass man über Wahlen die Geister der Vergangenheit, die Geister, die bei der Wahl 2012 erfolgreich waren - wie Swoboda -, endlich auf das Maß zurückschrumpft, das ihnen zusteht: am besten raus aus dem
Parlament!
({9})
Wenn wir möchten, dass die Menschen im Osten der
Ukraine an diesen Prozessen partizipieren können, wenn
wir möchten, dass ihre Interessen im neuen Parlament
vertreten werden, wenn wir möchten, dass der Osten im
Verfassungsprozess bei der schwierigen Frage der Gestaltung der Macht - Präsident, Parlament, Regierung Gehör findet, dann muss es in unserem Interesse sein,
dass in Donezk, in Lugansk und in anderen Städten ein
politisches Klima herrscht, in dem man sich traut, auf
demokratische Weise politisch zu streiten. Ich glaube,
dass die Separatisten diesen Gebieten einen Bärendienst
erweisen. Die Menschen im Osten der Ukraine haben
schlichtweg Angst. Sie haben inzwischen Angst davor,
auf die Straße zu gehen, weil Tausende von Kämpfern
aus dem Kaukasus mit schwerem Gerät auf den Straßen
stehen. Das ist kein Klima, in dem der Osten seine Anliegen in Kiew durchsetzen kann. Das müssen Sie meiner Ansicht nach deutlicher adressieren.
({10})
- Herr Gehrcke, in meinen Gesprächen in Kiew hat niemand, auch nicht die Vertreter aus der Ostukraine, die
dort sehr gut vernetzt waren, auch niemand von der Partei der Regionen, in Abrede gestellt, dass Russland zumindest nichts tut, um eine Einflussnahme zu verhindern.
({11})
Es wurde vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass Russland auf diesem Weg seine Interessen in der Ukraine vertritt, und Russland hat ein Interesse an der Destabilisierung und der Delegitimierung des neuen Präsidenten, der
gerade durch Wahlen legitim gewählt wurde. Das sollten
wir Russland bei allem Verständnis, das man haben
kann, nicht durchgehen lassen.
({12})
Wenn man möchte, dass die Antiterroroperation beendet wird,
({13})
dann muss man auch dafür sein, dass schweres Kriegsgerät und Kämpfer nicht mehr in die Ukraine einsickern
können.
({14})
Ich finde es absolut richtig, mit allen Mitteln, die einem
zur Verfügung stehen, friedlich auf Russland einzuwirken und das einzufordern. Wir haben bei den Wahlen gesehen, dass die Drohung mit Sanktionen ein effektives
Mittel ist, um darauf hinzuwirken, dass man sich aufeinander zubewegt. Ich glaube, dass der Kreml etwas Bewegung gezeigt hat. Deswegen sollte man den politischen Druck auf Russland hochhalten. Auf diese Weise
gewinnt man gleichzeitig Glaubwürdigkeit in Bezug darauf, die ukrainische Regierung in die Pflicht zu nehmen,
den Verfassungsprozess und die Neuwahlen demokratisch und freiheitlich anzugehen.
Vielen Dank.
({15})
Als nächste Rednerin hat Elisabeth Motschmann das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Frau Wagenknecht, Frau Dağdelen, Sie haben sich in
dieser Debatte komplett aus der Außenpolitik abgemeldet. Mit Polemik, Populismus und Demagogie - welche
Sie anderen vorwerfen - kann man kein einziges Problem lösen. Man kann nur hoffen, dass Sie in diesem
Land niemals irgendeine Regierungsverantwortung tragen werden.
({0})
Die Kanzlerin hat zu Recht gesagt, dass der G-7-Gipfel nicht unter normalen Bedingungen stattfindet: nicht
Sotschi, sondern Brüssel ist der Treffpunkt, nicht Putin,
sondern die EU ist Gastgeber, nicht acht, sondern sieben
Staaten nehmen teil. Russland wurde ausgeladen, und
das ist genau das richtige Zeichen. Diejenigen, die sich
in Brüssel nicht treffen, werden sich nun allerdings in
der Normandie zum Gedenken an den D-Day treffen.
Darin könnte man einen Widerspruch sehen. Ich sehe darin aber eine Chance, auf dieser anderen Ebene eine Begegnung möglich zu machen, Gespräche zu führen und
ein Stück weiterzukommen. Deshalb wünsche ich der
Kanzlerin alles Gute für diese Gespräche.
({1})
Die Einverleibung der Krim - das will ich hier in aller
Deutlichkeit sagen, weil wir es immer wieder sagen
müssen; Frau Wagenknecht, Sie vergessen das - war ein
schwerwiegender Bruch des Völkerrechts. Das kann die
westliche Welt nicht hinnehmen. Die Destabilisierung
der Ostukraine durch russische Separatisten, durch russische Soldaten mit russischen Pässen - wir wissen es
doch inzwischen -, ist eine nicht akzeptable Situation
und Provokation, und zwar nicht nur für die Ukraine,
sondern für jeden demokratischen Staat. Wladimir Putin
nimmt - auch das will ich ganz deutlich sagen - für
seine politischen Ziele Menschenrechtsverletzungen und
den Tod vieler Menschen, vieler Zivilisten, vieler Soldaten in Kauf. Das zeigt, dass Russland nichts, aber auch
gar nichts aus der Geschichte gelernt hat.
({2})
- Sie auch nicht, Herr Gehrcke. Darüber müssen wir
noch reden.
Umso positiver ist zu bewerten, dass die Reaktionen
des Westens trotz unterschiedlicher Positionen besonnener, verantwortungsbewusster und abgestimmter waren
und sind. Die Devise lautet Deeskalation. Dazu haben
die Bundeskanzlerin und der Außenminister maßgeblich
beigetragen. Dafür danke ich ihnen herzlich.
Es ist richtig, an einer politischen Lösung zu arbeiten.
Es ist richtig, alle Gesprächsmöglichkeiten auszuschöpfen. Es ist richtig, notwendige Sanktionen Schritt für
Schritt umzusetzen. Das alles ist kein Ausdruck von
Schwäche, sondern von Stärke. Das sage ich, weil manche ja auf die Idee kommen, das sei eine schwache Außenpolitik. Ich finde, das ist eine starke Außenpolitik. Es
ist richtig, der Ukraine nun mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Ein erster Erfolg war die Präsidentschaftswahl; das wurde hier schon wiederholt
gesagt. Die Wahlbeteiligung war erfreulich, und das Ergebnis war es auch. Erfreulich war natürlich auch - auch
das wollen Sie nicht wahrhaben - das vernichtende Ergebnis für die rechten Parteien, insbesondere für die
Swoboda-Partei.
({3})
- Da sind wir uns dann einmal einig. Das ist ja schön.
Der neu gewählte Präsident steht nun vor einer großen Aufgabe. Seine nächsten Ziele sind die Parlamentswahlen, die Verfassungsreform und der nationale Dialog.
Poroschenko muss nun selbstverständlich auch mit
Russland verhandeln. Dabei bleibt zu hoffen, dass Putin
diese Wahl nicht nur verbal akzeptiert, sondern den Worten nun auch Taten folgen lässt. Der Abzug seiner Truppen aus dem Grenzgebiet der Ukraine ist ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Aber weitere Taten müssen folgen.
Alle Mitarbeiter der OSZE müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden; ich glaube und hoffe, dass
wir uns auch da einig sind. Die Grenzen müssen so gesichert werden, dass kein Nachschub von Soldaten und
Waffen mehr möglich ist; da bin ich mir schon nicht
mehr so sicher, ob das passiert. Sämtliche Separatisten
müssen ihre Waffen niederlegen. Die russische Medienpropaganda, die übrigens in all diesen Ländern - nicht
nur in der Ukraine, sondern auch in den baltischen Ländern - nach wie vor betrieben wird, muss natürlich auch
endlich ein Ende finden. Des Weiteren dürfen wir nicht
zulassen - auch das hat die Kanzlerin gesagt -, dass Gas
als Mittel der Erpressung oder gar als Waffe gegen einen
souveränen Staat eingesetzt wird.
Vor kurzem war ich im Baltikum, das ja zu 100 Prozent vom Gas aus Russland abhängig ist. Der 29-jährige
Abgeordnete Smiltens von der liberal-konservativen
Partei in Lettland hat mir etwas gesagt, das mich doch
zum Nachdenken brachte. Er sagte: Wir wollen lieber in
Riga frieren als in Sibirien. - Man hat dort Angst.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. In den
letzten Tagen gab es wichtige Vorstöße, etwa von
Günther Oettinger im Hinblick auf das Gas. Wir haben
gestern von einer Initiative Barack Obamas erfahren. Er
verstärkt mit 1 Milliarde Dollar die militärische Sicherheit. Dabei handelt es sich um ein Sicherheitspaket für
Polen und die baltischen Länder. Das ist keine Kriegsstrategie, Frau Wagenknecht,
({4})
sondern das ist eine Antwort, die wir leider geben müssen, wenn auf der anderen Seite unendlich viele Soldaten
an den Grenzen stehen.
({5})
- Den haben wir aber nicht angefangen, Herr Gehrcke.
Überlegen Sie einmal, wer angefangen hat!
Ich hoffe und wünsche, dass der G-7-Gipfel zu einer
großen Geschlossenheit der beteiligten Länder führt
({6})
und dass wir dazu erheblich beitragen können. Das wird
die Kanzlerin mit Sicherheit sehr gut tun.
Vielen Dank.
({7})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katarina
Barley von der SPD das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir haben heute schon
sehr viel über Frieden und Demokratie gehört. Heute
Morgen haben wir an zwei Ereignisse in China und
Polen erinnert. Wir diskutieren sehr viel über die
Ukraine. Ich finde, gerade an einem solchen Tag sollte
man auch einmal sagen, wie froh wir sein können, dass
wir in diesem Haus so engagiert streiten, wie wir es hier
tun, und wie froh wir angesichts der Vergangenheit, die
wir haben, sein können, dass wir in einem Land leben, in
dem Demokratie und Frieden inzwischen zu einer
Selbstverständlichkeit geworden sind. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unsere Verantwortung wahrgenommen haben und Teil der Europäischen Union
geworden sind, Teil einer Institution, die als Friedensprojekt angelegt ist und dies hoffentlich auch immer
bleiben wird.
Die ersten Wahlen zum Europäischen Parlament nach
Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages liegen hinter
uns. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
sind zu diesen Wahlen mit zwei zentralen Versprechen
angetreten, nämlich Europa sozialer und demokratischer
machen zu wollen. Dem zweiten Versprechen - Europa
noch demokratischer zu machen - kommen wir gerade
ein Stück näher. Denn die großen Parteienfamilien hatten sich entschieden, für das Amt des Kommissionspräsidenten, eines der wichtigsten Ämter der Europäischen
Union, europäische Spitzenkandidaten ins Rennen zu
schicken. Die Bürgerinnen und Bürger sollten über dieses wichtige Amt entscheiden - ein großer Schritt zu
mehr Demokratie in Europa.
Die Alternativen lagen klar auf der Hand. Die Spitzenkandidaten waren Martin Schulz und Jean-Claude
Juncker. Beide haben sich einer öffentlichen Diskussion
gestellt, von der man, wenn man sie mit der Diskussion
über die Europawahlen der vergangenen Jahre vergleicht, sagen muss: Es gab ein viel stärkeres Interesse
der Medien, der Öffentlichkeit und - wahrscheinlich haben auch Sie es an den Wahlkampfständen gemerkt - der
Wählerinnen und Wähler an diesem Europa, weil es mit
Personen, mit Gesichtern, und erst dann mit Programmen verbunden wurde.
Die Tendenz sinkender Wahlbeteiligungen ist gestoppt worden bei dieser Europawahl; wir haben es
schon gehört. In Deutschland ist die Wahlbeteiligung
sogar erheblich gestiegen. Ich denke, auf dieses neue
Vertrauen, das Europa dadurch gewonnen hat, müssen
wir jetzt aufbauen, und das Versprechen, das die Parteien
vor der Wahl unter Beteiligung fast aller Staats- und Regierungschefs gegeben haben, muss auch nach der Wahl
gelten. Ich bin wirklich froh, dass die Bundesregierung
das ebenso sieht und Jean-Claude Juncker als Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten unterstützt.
({0})
Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass in vier europäischen Staaten - in Großbritannien, Griechenland,
Frankreich und Dänemark - extreme oder antieuropäische oder beide Merkmale vereinende Parteien jeweils
auf dem ersten Platz gelandet sind. Was machen wir nun
mit einem solchen Ergebnis, das den extremen Parteien
links wie rechts einen so enormen Zulauf beschert hat?
Die erste Möglichkeit wäre, das als Signal gegen die
europäische Einigung zu sehen und dementsprechend
Europa einzuschränken, sich für weniger Europa zu entscheiden und damit in gewisser Weise der britischen Linie unter David Cameron zu folgen.
Die zweite Möglichkeit - es wird Sie nicht verwundern, dass dies von mir favorisiert wird - ist, das Wahlergebnis durchaus als Kritik am gegenwärtigen Zustand
der Europäischen Union zu verstehen, sich zu fragen, wo
Europa besser werden muss, und die Europäische Union
entsprechend weiterzuentwickeln. Denn wir wissen: Für
viele Menschen ist die EU auch mit Befürchtungen, Unsicherheiten und Ängsten, teilweise auch mit erheblichen Einschränkungen verbunden. Wir müssen deshalb
dafür sorgen, dass die Europäische Union ein Projekt
bleibt - und noch stärker wird -, das das Leben der Menschen spür- und wahrnehmbar zum Positiven hin verändert. Das ist die Linie, die wir Sozialdemokraten vertreten.
({1})
Nach der Wahl geht es wieder an die inhaltliche Arbeit. Worum muss es gehen? Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen,
muss im Zentrum unserer gemeinsamen Anstrengungen
für Europa stehen.
({2})
Martin Schulz hat es einmal klar und deutlich formuliert: „Ohne Arbeit kein Zusammenhalt und keine Zukunft.“
({3})
Wir brauchen einen Pakt für gute Arbeit und existenzsichernde Mindestlöhne in ganz Europa. Die sozialen Sicherungssysteme und die Arbeitnehmerrechte müssen
gestärkt werden. Sozial- und Steuerdumping müssen beendet werden. Das dringlichste Problem ist sicherlich die
Jugendarbeitslosigkeit. Die Jugend - im Süden Europas
insbesondere - braucht eine konkrete Zukunftsperspektive; denn das sind die Menschen, die weiter an dem
Haus Europa bauen sollen. Sie müssen Europa als einen
Ort erleben, der ihnen Möglichkeiten eröffnet und sie
eben nicht hängen lässt. Die Jugendbeschäftigungsinitiative und ihr Hauptschwerpunkt, die Jugendgarantie,
müssen ein Erfolg werden. Damit das klappt, sind alle
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission gefragt - und natürlich der neue Kommissionspräsident;
denn Europa ist mehr als die Addition von 28 Einzelinteressen.
Wir dürfen bei allem Klein-Klein die zentralen Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren. Wir
kämpfen weiter für ein soziales und solidarisches Europa, für ein Europa, das Chancen und Perspektiven bietet, für ein Europa, von dem die Menschen sagen, es
trägt dazu bei, dass ihr Leben besser wird, ebenso die
Perspektive für das Leben ihrer Kinder. Das ist unser
Ziel und dafür streiten wir weiter.
Vielen Dank.
({4})
Als nächster Redner spricht Florian Hahn von der
CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Der Name und der Ort des diesjährigen
Gipfels der wichtigsten Industrienationen zeigen bereits:
Es hat sich etwas verändert in dieser Welt. Wir sprechen
von einem G-7- und nicht mehr von einem G-8-Gipfel.
Die Regierungschefs tagen in Brüssel und nicht, wie ursprünglich geplant, in Sotschi in Russland. Beides ist ein
markanter Ausdruck der veränderten Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Außenpolitik angesichts
der Ereignisse der letzten Monate in der Ukraine. Durch
den Ausschluss Russlands aus dem Kreis der großen
Acht sind wir auf den Stand von 1998 zurückgefallen.
Gleichzeitig sind wir mit unseren Partnern in den G 7 als
Werte- und Sicherheitsgemeinschaft noch näher zusammengerückt.
Im Hinblick auf den Debattenbeitrag unserer Kollegin
Wagenknecht von vorhin muss ich sagen: Das erinnert
mich schon sehr an ihre frühere Mitgliedschaft in der
Kommunistischen Plattform. Sie haben gesagt, es gebe
keinen Frieden in Europa ohne oder gegen Russland. Ich
sage Ihnen: Es gibt keinen Frieden in Europa, wenn sich
nicht alle an das Völkerrecht halten, und das gilt auch für
Russland.
({0})
Die Annexion der Krim durch Russland war und ist
eine massive Verletzung des geltenden Völkerrechts.
Das ist mit unseren gemeinsamen Werten in keiner
Weise vereinbar. Deshalb war der Schritt, nur unter den
G 7 zu tagen, notwendig und richtig - im Sinne unserer
Glaubwürdigkeit und unserer Prinzipientreue und für
uns Deutsche insbesondere auch im Spiegel unserer Geschichte.
Gleichzeitig haben wir uns - allen voran unsere Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister - in den letzten Monaten mit ganzer Kraft dafür eingesetzt, den Gesprächsfaden zu allen Beteiligten festzuhalten und
gemeinsam nach politischen Lösungen zu suchen. Dies
geschah aus der tiefen Überzeugung, dass es in unserer
Verantwortung liegt, alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen, und vor dem Hintergrund unserer Geschichte,
da wir um den besonderen Wert wissen, auch unter
schwierigen Bedingungen immer wieder das Gespräch
zu suchen.
Wenn wir heute auf die aktuellen Entwicklungen in
der Ukraine schauen, dann sehen wir neben den vielen
bedrückenden Nachrichten erstmals seit vielen Wochen
wieder schwache Hoffnungsschimmer. Das besonnene,
aber entschlossene Handeln der Bundesregierung, der
EU und der internationalen Staatengemeinschaft war
also nicht umsonst. Das kann die Linke so viel negieren,
wie sie möchte.
Die klaren Mehrheiten bei den Präsidentschafts- und
den Bürgermeisterwahlen für Poroschenko und
Klitschko sind ein starkes Signal nach innen und nach
außen. Sie zeigen: Der ganz überwiegende Teil der
ukrainischen Bevölkerung ist geeint in dem Bekenntnis
zur Demokratie und zu europäischen Werten. Besonders
erfreulich ist, dass auch die Menschen im von Unruhen
erschütterten Osten des Landes trotz der zahlreichen
Einschüchterungsversuche und Blockaden durch prorussische Separatisten ein eindeutiges Votum für die Freiheit und Einheit des Landes abgegeben haben.
Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung des russischen Präsidenten, das Wahlergebnis zu respektieren und
mit der neuen ukrainischen Führung zu kooperieren. Die
Lage in der Ostukraine ist aber noch immer brandgefährlich. Es gibt noch immer schwere Gefechte und viele
Tote. Hier sind wir in der Verantwortung, auch weiterhin
alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um zu einer
Stabilisierung beizutragen.
Zugleich müssen wir aber in der EU und in der NATO
einig bleiben und fest zu unseren Partnern und zu unseren bisherigen Entscheidungen stehen. Nur ein entschlossenes Bündnis, das mit einer Stimme spricht, wird
ernst genommen.
Ich begrüße es deshalb sehr, dass unsere Bundesministerin von der Leyen noch einmal betont hat, dass
die Sorgen unserer östlichen Partner auch unsere Sorgen
sind. Auch Poroschenko ist in der Verantwortung, durch
kluges und entschiedenes Handeln Herr der Lage zu
werden und sein Volk zu schützen. Dabei die richtigen
und angemessenen Mittel zu finden, ist sicherlich eine
extreme Herausforderung. Nicht zuletzt ist Putin in der
Verantwortung, seinen Einfluss auf die Separatisten zu
nutzen und zu einer Deeskalation beizutragen. Raketentests in Grenznähe sind sicher nicht das erhoffte Signal,
das wir uns wünschen.
Putin ist in den vergangenen Wochen wieder kleine
Schritte auf den Westen zugegangen. Dazu gehören sein
Engagement zur Freilassung der von den Milizen festgehaltenen OSZE-Beobachter, seine Forderung, das sogenannte Referendum in der Region Donezk zu verschieben, um zunächst die notwendigen Bedingungen für
einen Dialog zu schaffen, und die Ankündigung, mit der
neuen Führung in der Ukraine zusammenzuarbeiten. Das
waren kleine Schritte, aber sie führen in die richtige
Richtung. Jetzt gilt es: Putin muss seinen Ankündigungen endlich auch Taten folgen lassen. Die wenig konstruktive russische Haltung auf dem jüngsten NATORussland-Rat ist hier noch kein Aufbruchssignal gewesen.
Wir fordern den russischen Präsidenten auf, einen
Weg der Kooperation einzuschlagen und in die Mitte der
internationalen Staatengemeinschaft zurückzufinden.
Dazu gehören unter anderem eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen ukrainischen Führung und ein
gemeinsames Engagement zur Stabilisierung der Lage in
der Ostukraine. Die Grenze zur Ostukraine muss besser
kontrolliert und das Einsickern von Kämpfern und Waffen wirksam unterbunden werden. Außerdem muss die
Energieversorgung der Ukraine sichergestellt werden.
Der Gaspreis darf nicht dauerhaft dazu missbraucht werden, politischen Druck aufzubauen. Nicht zu vernachlässigen ist: Es muss eine angemessene Lösung gefunden
werden, um der ukrainischen Bevölkerung wieder einen
Zugang zur Krim zu ermöglichen.
Es ist unser ausdrücklicher Wunsch, dass ein G-8Gipfel irgendwann wieder stattfinden wird. Klar ist aber
auch: Bis dahin ist noch viel zu tun. Ich sage es noch einmal: Wir sehen derzeit einige Hoffnungsschimmer in der
Ukraine. Das sind Chancen für uns, für Poroschenko, für
Putin, vor allem aber für die Ukraine und die Menschen
vor Ort. Ich bin mir sicher, die überwältigende Mehrheit
des Bundestages will tatkräftig daran mitwirken, damit
wir alle gemeinsam diese Chancen nutzen.
Ich habe eingangs gesagt: Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine haben die Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Außen- und Sicherheitspolitik verändert. Damit verbunden müssen wir uns wieder mit
Fragen auseinandersetzen, die angesichts der europäischen Einigung und stabiler internationaler Partnerschaften lange Zeit keine oberste Priorität mehr besaßen. Der
Reiz der Friedensdividende hat zu lange den Blick auf
die Fragen verdeckt, wie wir uns langfristig in der
NATO und in der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik positionieren wollen. Welche Fähigkeiten
wollen wir erhalten? Welche Fähigkeiten müssen wir gemeinsam entwickeln, um neuen Bedrohungsszenarien
begegnen zu können? Wir müssen vor allem innerhalb
Europas die gemeinsame Sicherheitspolitik vertiefen
und endlich weitere konkrete Projekte auf den Weg bringen.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch der
Diskussion stellen, ob wir in Deutschland und in Europa
ausreichend Mittel für unsere Sicherheit aufwenden.
Auch die Frage der Energieabhängigkeit muss in den
Fokus rücken. Wir dürfen nicht zulassen, dass über die
Energieversorgung politischer Druck auf Deutschland,
auf die Europäische Union oder die Staaten der internationalen Gemeinschaft ausgeübt werden kann.
Wir dürfen nicht dauerhaft erpressbar sein. Deshalb
begrüße ich mit Nachdruck, dass sich die G 7 dieser
wichtigen Frage annehmen und einen gemeinsamen Aktionsplan entwickeln wollen. Darüber hinausgehend
stellt sich für uns die Aufgabe, mittelfristig eine Strategie zu erarbeiten, wie wir unsere Bezugsquellen, insbesondere beim Gas, diversifizieren, Transportwege sichern und eine leistungsfähige europäische Infrastruktur
sicherstellen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig
befürworten wir das klare Bekenntnis der großen Sieben
zur Weiterentwicklung der internationalen Handelsliberalisierung. Das war immer unsere Politik. Dieser Weg
hat Deutschland immer gutgetan; denn Deutschland
- vor allem auch meine Heimat Bayern - gehört als Exportspitzenreiter zu den größten Profiteuren eines offenen Weltmarktes und teilharmonisierter Wirtschaftsräume.
({1})
Das gilt für Europa wie für die zahlreichen internationalen Handelsabkommen.
Das europäische Freihandelsabkommen mit den
USA, TTIP, ist und bleibt deshalb zuallererst eine Riesenchance für unser Land und auch für Europa. Die USA
sind einer der wichtigsten Exportmärkte für unsere Unternehmen, und wir sind mit Abstand wichtigster Handelspartner der USA innerhalb der Europäischen Union:
30 Prozent aller EU-Exporte in die USA kommen aus
Deutschland.
Durch TTIP würde der weltweit größte Binnenmarkt
mit rund 800 Millionen Menschen entstehen. Schätzungen gehen für Europa von einem jährlichen Wachstumsimpuls von fast 120 Milliarden Euro und 400 000 neuen
Arbeitsplätzen aus. Ich sage es noch einmal: Das ist zuallererst eine Riesenchance und wäre auch ein Konjunkturprogramm gegen die hohe Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten - ohne Steuermittel.
({2})
Ich sage aber auch ganz klar: TTIP darf es nicht um
jeden Preis geben. Die Verhandlungen müssen transparent und offen und unter enger Einbindung der Mitgliedstaaten, ihrer Parlamente und der allgemeinen Öffentlichkeit geführt werden. Die Kommission hat hier in
letzter Zeit erste Schritte eingeleitet und die von vielen
Seiten geäußerten Bedenken ernst genommen. Dieser
Weg muss unbedingt fortgesetzt werden.
Das Freihandelsabkommen darf unter keinen
Umständen zu einer Absenkung unserer hohen Schutzniveaus führen, beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Tierschutz, Gesundheitsschutz und Arbeitnehmerschutz. Es muss natürlich auch
ein besonderes Augenmerk auf das Thema Datenschutz
gelegt werden. Es muss abgesichert sein, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls nicht durch
Schiedsgerichte unterwandert werden können. An einer
so ausgestalteten Partnerschaft wollen und werden wir
als CSU und als Union mit voller Kraft mitarbeiten.
Abschließend bleibt zu sagen: Der diesjährige G-7Gipfel nimmt sich der wichtigen Fragen unserer Zeit an.
Ich bin sicher, die Bundeskanzlerin wird unsere Interessen wie gewohnt und, wie sie es auch kürzlich bei dem
Treffen der Regierungschefs der EU-Staaten getan hat,
mit starker Stimme und Durchsetzungskraft einbringen
und vertreten. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben dabei
unsere volle Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich Kollegen Klaus
Barthel, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich hat uns heute das Thema Ukraine besonders beschäftigt und vieles andere überlagert. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Regierungserklärung darüber
hinaus viele andere Facetten hatte; Kollegin Barley und
Kollege Hahn haben schon einiges angesprochen.
Ich will mich jetzt, auch wenn es vielleicht auf Anhieb nicht sehr emotional erscheint, ein bisschen mit den
wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen. Die Kanzlerin hat darauf hingewiesen, dass es bei dem bevorstehenden G-7-Treffen auch um die Vorbereitung des G-20Gipfels gehen soll. Insofern lohnt sich ein Blick auf die
Lage der Weltwirtschaft.
Die Kanzlerin - sie musste das Plenum leider schon
verlassen - hat ein eher rosiges Bild von der Weltwirtschaft gezeichnet und gesagt, dass das Wachstum relativ
hoch ist. Wir alle können nur hoffen, dass sie recht hat.
Aber ich mahne zur Vorsicht. Wir haben nämlich eine
äußerst labile Situation der Weltwirtschaft. Russland
zum Beispiel ist schon ohne die Sanktionen ökonomisch
unter starkem Druck, etwa durch den Kapitalabfluss, um
nur ein Beispiel zu nennen. In der derzeitigen Sanktionsdebatte bedrohen wir uns gegenseitig mit wirtschaftlichem Schaden.
Aber nicht nur dieser Konflikt belastet die Weltwirtschaft, sondern in fast allen Schwellenländern wie
China, Indien, Brasilien und Südafrika kriselt es vor sich
hin. Die Wachstumsraten sind rückläufig. In den USA
war das Wachstum im ersten Quartal negativ. Wie es in
Japan weitergeht, weiß man nicht genau. Die Verschuldung steigt, und wir wissen nicht, ob die Abenomics
wirklich zum Ziel führen.
Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation,
kommt in ihrem aktuellen Weltarbeitsbericht zu dem Ergebnis, dass die Arbeitslosigkeit weltweit weiter ansteigen wird, und zwar um zusätzliche 3,2 Millionen Menschen in diesem Jahr und damit auf über 200 Millionen
Menschen 2014, und dass sich dieser Anstieg bis auf
213 Millionen Menschen im Jahr 2018 fortsetzen wird.
Der Schwerpunkt dieses Anstiegs wird laut Weltarbeitsreport der ILO in Nordafrika, in Nahost und in Zentral-, Ost- und Südosteuropa liegen. Ich komme später
darauf zurück. Die ILO, die ich zitiert habe, ist übrigens
keine arbeitspolitische Organisation, sondern sie arbeitet
tripartistisch mit Unternehmen, Regierungen und Gewerkschaften.
Deswegen soll und muss auf dem G-7-Gipfel auch
über die Weltwirtschaft geredet werden. Der Europäischen Union kommt dabei eine besondere Bedeutung zu,
die wir uns noch einmal klarmachen müssen.
Wir haben uns insbesondere in Deutschland, aber
auch in der EU in den letzten zehn Jahren ziehen lassen.
Unsere Exportkonjunktur war auf das Wachstum in den
Ländern gestützt, die ich gerade genannt habe: in den
Schwellenländern und in anderen Ländern dieser Welt.
Aber es ist klar: Das kann und wird nicht so weitergehen. Alle, die sich mit Prognosen beschäftigen, sagen:
Für Europa sind keine Impulse mehr aus der restlichen
Welt zu erwarten.
Die Europawahl - auch das müssen wir an dieser
Stelle sagen - war eine Absage der Wählerinnen und
Wähler an die bisherige Wirtschaftspolitik in Europa.
Deswegen sind Äußerungen aus der Bundesregierung
wie die von Staatsminister Roth, die EU müsse sich um
Wachstum kümmern, ausdrücklich zu unterstreichen. In
Italien formuliert Herr Renzi das ähnlich. Selbst in Spanien legt Ministerpräsident Rajoy jetzt ein Konjunkturprogramm auf. Darüber kann man zwar durchaus streiten, aber vielleicht findet die Europäische Zentralbank
mehr Gehör,
({0})
die vorletzte Woche ihren Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht hat. Ich will nur einige Stichworte nennen. Darin ist die Rede von der „Möglichkeit eines scharfen und
ungeordneten Abbaus der jüngsten Kapitalflüsse“. Zu
Deutsch: Es existieren Spekulationsblasen. Wir haben es
mit einer Überhitzung der Finanzmärkte zu tun. Es gibt
zu viele faule Kredite. Der Wendepunkt sei nicht erreicht, heißt es. Es gebe unsichere konjunkturelle Perspektiven und ein signifikantes Risiko einer weiteren
Verschlechterung der Kreditqualität. Des Weiteren wird
festgestellt, dass der Schattenbanksektor und die Derivatemärkte noch nicht im Griff sind, sondern weiter wachsen. Selbst Musterländer in Europa wie Finnland und die
Niederlande erleben einen Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir es
nicht noch einmal darauf anlegen dürfen, dass die Europäische Zentralbank - da stehen morgen Beschlüsse an die europäische Konjunktur und Finanzmarktstabilität
retten muss. Vielmehr müssen wir sehen, dass das eine
politische Aufgabe ist. Ich hoffe, dass von den bevorstehenden Gipfeln klare Signale zum Handeln ausgehen.
({1})
Das heißt, wir brauchen eine Kurskorrektur, auch vonseiten der Europäischen Kommission. Es geht nicht um
irgendwelches personelles Geplänkel, sondern um die
inhaltliche Ausrichtung. Der Kurs von Barroso und
Konsorten muss beendet werden. Die wirtschafts- und
sozialpolitische Geisterfahrt, die noch immer stattfindet
- die Europäische Kommission polemisiert beispielsweise gegen unsere Rentenpolitik und den Mindestlohn
und fordert, dass in den Krisenländern noch mehr gespart wird und in den öffentlichen Haushalten noch mehr
Kürzungen vorgenommen werden -, führt überhaupt
nicht zum Ziel. Deswegen brauchen wir auf europäischer Ebene ein neues Programm, das sowohl zur Bewältigung der eigenen Krise als auch zur Vorbeugung einer weltweiten Wirtschaftskrise beiträgt. Dabei müssen
wir eine wichtige Rolle spielen.
Wir müssen uns in der Bundesrepublik auch selber
ehrlich machen. Wir in der Großen Koalition haben diesen Kurswechsel doch längst vollzogen. Wir geben mehr
für Bildung und Forschung aus. Daher kann man von
Spanien, Griechenland, Italien und Frankreich nicht das
Gegenteil verlangen. Wir geben mehr für öffentliche Investitionen aus, wie unser Bundeshaushalt zeigt, den wir
in der nächsten Sitzungswoche verabschieden. Wir sorgen dafür, dass die Löhne steigen, die Gewerkschaften
gestärkt werden und der Mindestlohn eingeführt wird.
Wir geben mehr für soziale Leistungen, für Pflege und
Renten aus.
Der Kollege Schlecht von der Fraktion Die Linke
würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie das
zulassen?
Ja.
({0})
Herr Kollege Barthel, die Andeutungen hören sich, so
wie ich sie verstehe, ganz gut an. Sie sind offenbar der
Meinung, dass ein europäisches Konjunktur- oder Investitionsprogramm notwendig ist. Sehen Sie denn Chancen, dass die Austeritätspolitik, über deren Sinn nun in
Italien, Frankreich und Spanien diskutiert wird und die
diesen Ländern maßgeblich von Deutschland aufoktroyiert wurde, zurückgenommen wird und dass die Bundesregierung ein Zukunfts-, Investitions- oder Marshallprogramm für die südeuropäischen Länder auflegt? Sehen
Sie denn tatsächlich eine Chance, dass diese Regierung
und diese Große Koalition hier in Deutschland einen entsprechenden Kurswechsel in der Europapolitik vornehmen?
Ich habe gerade versucht, darzulegen, dass ich dafür
nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Chance
sehe; sonst hätte ich das nicht erwähnt. Der eine Ansatzpunkt ist, dass wir diesen wirtschaftspolitischen Wechsel
bereits vollzogen haben. Aber auch die Mehrheiten in
Europa haben sich verändert. Bei dem Programm der
Kommission geht es nicht um Herrn Schulz oder Herrn
Juncker, sondern um eine andere europäische Politik.
({0})
Wir von der Großen Koalition streiten für Wachstumsimpulse, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und
für mehr Investitionen. Ohne Investitionen wird auch
das, was die Kanzlerin erwähnt hat - Industrie 4.0, digitale Gesellschaft und Energiewende -, nicht zustande
kommen. Für ein entsprechendes Umdenken lassen sich
inzwischen Anzeichen in ausreichender Zahl finden. Ich
würde mich freuen, wenn es dafür nicht nur vonseiten
der Grünen, sondern auch von Ihrer Seite, Herr Schlecht,
Unterstützung gäbe und wenn nicht immer alles in
Bausch und Bogen verdammt würde.
({1})
Ich komme zum Schluss, da meine Redezeit sowieso
fast abgelaufen war, als die Zwischenfrage gestellt
wurde.
Das stimmt zu 100 Prozent.
Ich möchte nur darauf hinweisen: Es lohnt sich, sich
diese Studien der Internationalen Arbeitsorganisation
mit Blick auf die Weltwirtschaft und die Verarmungsprozesse, die gerade in Europa ablaufen, anzuschauen, und
es lohnt sich, über das angesprochene Freihandelsabkommen zu debattieren; denn, Kollege Hahn, wenn wir
wollen, dass dieses Abkommen wirklich etwas für Beschäftigung und Wohlstand bringt, dann müssen wir dafür sorgen, dass es nicht einfach nur freien Handel gibt,
sondern dass die sozialen Standards, an denen wir hier
arbeiten, nämlich die Lebensqualität, die Einkommenssituation, die Mitbestimmung usw., verbessert werden.
Das müssen wir über solche internationalen Handelsabkommen absichern.
Wir sollten nicht sagen, dass wir das Freihandelsabkommen auf jeden Fall abschließen, weil Freihandel per
se gut ist. Dafür braucht es Regeln auf dem Weltmarkt,
und dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen. Ich
hoffe, dass wir in Europa an einem Strang ziehen. Ich
glaube, dass die Koalition es tut. Aber wir müssen auch
innerhalb Europas und im Rahmen der G 7 und G 20
schon noch ein Stück Überzeugungsarbeit leisten.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Sibylle
Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen sehr breiten Raum hat sehr zu meiner und vielleicht
auch zu Ihrer Freude das Thema Entwicklungspolitik bei
der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum G-7Gipfel in Brüssel eingenommen. Das heißt, Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Bestandteil der Außen- und
Sicherheitsarchitektur nicht nur Deutschlands, sondern
auch Europas. Ich finde das richtig, ich finde das gut.
Es wird allerhöchste Zeit, dass wir darüber reden. Ich
glaube, dass die Themensetzungen der Troika unter der
Führung Deutschlands, die den Gipfel organisiert hat
- die Frau Bundeskanzlerin hat es eben gesagt -, richtig
waren. Die Themen sind mit der Unterstützung unserer
Bundeskanzlerin, die im Übrigen eine wunderbare Anwältin für Entwicklungspolitik ist, was wir alle wissen,
gesetzt worden. Ich freue mich darüber und danke ihr
sehr herzlich dafür.
Aus der Vielfalt der Themen wurden die Themen auf
dem G-7-Gipfel herausgesucht, die wichtig sind und auf
die die Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Eines dieser Themen - das beschäftigt uns auch in Deutschland
immer wieder - sind Steuern und Abgaben, aber auch
Steuerhinterziehung und Korruption. Wir als Entwicklungspolitiker wissen, dass Korruption eines der wichtigsten Hindernisse für die Entwicklung in den Ländern
ist. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe und die der internationalen Gemeinschaft, darauf zu achten, dass die Entwicklung der Länder vorangehen kann.
Dazu gehört auch, dass wir Strafverfolgungsbehörden
und Steuerfahndungsbehörden einrichten. Bei dieser
Aufgabe sollten wir den Entwicklungsländern unsere
Unterstützung zusagen, weil dieses ihnen selber nützt.
Das ist das eine. Das andere ist, dass wir in diesem Zusammenhang Hilfestellung leisten. Das kann Deutschland allerdings nicht alleine machen; das ist vielmehr
eine internationale Aufgabe, und deshalb ist es richtig
und gut, dass das auf dem G-7-Gipfel an vorderster
Stelle behandelt wird.
Die Senkung der Müttersterblichkeit - MDGs 4 und
5 - ist nach wie vor eine Aufgabe der internationalen
Gemeinschaft, die dringend gelöst werden muss. Diese
läuft als Nachfolge der Muskoka-Initiative 2010 in Kanada im Jahre 2015 aus. Das muss ein Thema sein, mit
dem wir uns auf internationaler Ebene auseinandersetzen
müssen. Damals sind 5 Milliarden Dollar seitens der internationalen Gemeinschaft zugesagt worden. Es muss
jetzt über eine Nachfolgeregelung geredet werden, weil
die Mütter- und Kindersterblichkeit für die Zukunft der
Länder sehr wohl ein wichtiges Thema ist. Deshalb ist es
wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen.
Das gilt auch für die Themen sexuelle und reproduktive Gesundheit, Zwangsverheiratung, Kinderheirat und
Genitalverstümmelung. Alles das behindert die Entwicklung einer Gesellschaft, vor allem deshalb, weil es
Frauen daran hindert, sich in die Gesellschaft einzubringen, ihre Stärken auszuspielen, die Gesellschaft zu stützen und nach vorne zu bringen.
Ich freue mich in diesem Zusammenhang - auch die
Bundeskanzlerin hat es schon gesagt -, dass wir die
GAVI-Wiederauffüllungskonferenz nächstes Jahr wahrscheinlich hier in Berlin, aber zumindest in Deutschland
haben werden.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Ernährungssicherung. Ich freue mich, dass unser Minister Müller dieses Thema zu seinem Thema gemacht hat, es als prioritär
identifiziert hat. Es handelt sich um ein internationales
Thema. Wichtig ist auch, dass wir erkennen, dass dieses
Thema innerhalb der internationalen Gemeinschaft behandelt werden muss. In Camp David haben wir vereinbart, dass wir bis 2020 die Anzahl der Hungernden um
50 Millionen reduzieren. Das ist ein ehrgeiziges Ziel.
Auch da können wir nicht allein handeln; das muss im
internationalen Kontext passieren.
Zur Rohstoffinitiative. Natürlich ist es wichtig, dass
wir über die Rohstoffe reden. Die Rohstoffe sollten vor
allen Dingen dazu da sein, Einkommen in den Entwicklungsländern zu generieren. Die Entwicklungsländer
müssen über ihre Rohstoffe und ihre Güter Einkommen
und Steuern generieren. Sie müssen über die Erlöse, die
sie im Zusammenhang mit ihren Rohstoffen erzielen,
selber entscheiden können. Ich finde, das muss international an erster Stelle diskutiert werden. Wir müssen eine
gemeinsame Lösung finden; denn wir müssen dazu beitragen, dass die Länder in der Lage sind, sich selber zu
erhalten und ohne unsere Unterstützung ihre Haushalte
aufzustellen. Ich glaube, das ist wichtig. Zu all diesem
gehören die Rohstoffe dazu. Wir können dazu beitragen,
dass es in diesem Bereich faire Verträge mit allen Beteiligten gibt.
Dieser G-7-Gipfel mit seinen Themenstellungen,
auch den entwicklungspolitischen, ist genau richtig im
Hinblick auf das, was an großen Ereignissen im nächsten
Jahr auf uns zukommt. Das sind der Klimagipfel Ende
2015 in Paris, die Post-2015-Agenda und vor allen Dingen die G-7-, vielleicht auch G-8-Präsidentschaft
Deutschlands. Wir haben da eine große Aufgabe vor uns.
Ich erinnere mich an den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Im Vorfeld fand eine hervorragende Parlamentarierkonferenz mit 170 Parlamentariern aus der ganzen
Welt statt. Das entwicklungspolitische Thema dabei war
„Gesundheit in den Entwicklungsländern“. Ich würde
mich freuen, wenn es uns gelingen würde, wieder ein
entwicklungspolitisches Thema zu finden, mit dem wir
uns im Vorfeld der G-7- oder G-8-Präsidentschaft nächstes Jahr einbringen können. Es wäre ein super Zeichen,
wenn wir Parlamentarier uns sowohl an der Themensetzung als auch an der Bearbeitung der Themen beteiligten.
Herzlichen Dank.
({0})
Als letztem Redner in der Aussprache zur Regierungserklärung erteile ich das Wort dem Kollegen Detlef
Seif, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Kollegen Katrin Göring-Eckardt und
Manuel Sarrazin zur Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten kann ich nicht nachvollziehen. Eins ist
klar: Die Union ist bundesweit und die EVP ist europaweit die stärkste Kraft geworden. Das heißt, wir haben
den Anspruch, den Kommissionspräsidenten zu stellen.
Das steht außer Frage. Die Kanzlerin hat das ausdrücklich erklärt.
Aber die Probleme sind vielschichtiger. Die Kanzlerin
hat erläutert: Artikel 17 des EU-Vertrages ist nicht ohne
Grund so ausgestaltet worden. Die EU hat 28 MitgliedDetlef Seif
staaten. Es gibt das Europäische Parlament. Es bedarf
zunächst Konsultationen der dann zu bildenden Fraktionen im Europäischen Parlament mit den Regierungschefs und keiner öffentlichen Diskussion. Wenn wir
Änderungen der Institutionen wünschen, sollten wir aufhören, die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten zum Spielball machtpolitischer Auseinandersetzungen zu machen. Das schadet dem Amt.
({0})
Meine Damen und Herren, wir können der Bundeskanzlerin dankbar dafür sein, dass sie in diesem Verfahren wie in vielen anderen Verfahren der ruhende Pol ist
und kein Marktschreier, der herumbrüllt und mit dem
Holzhammer auf Cameron einschlägt. Wir haben die
staatspolitische Verantwortung, mit den anderen Mitgliedstaaten vernünftig zusammenzuarbeiten. Auch wenn wir
die Meinung des britischen Premiers vielleicht nicht teilen, zählt seine Meinung. Warten Sie doch das Verfahren
ab. Wir werden danach sehen, wer Kommissionspräsident wird.
Kaum sind die Wahlen vorbei, gibt es auch schon die
ersten Ratschläge, nicht nur aus Paris, Rom, Madrid und
Athen, sondern auch von unserem Staatsminister
Michael Roth. Herr Barthel, auch Sie haben das in Ihre
Rede eingebaut: Wir brauchen einen grundsätzlichen
Wandel in der politischen Ausrichtung. - So war Ihre
Aussage.
({1})
Aber treffen Sie damit den Kern der Sache? Die Vorschläge sind sicherlich gut gemeint, aber wir alle wissen
doch: Wir haben zunächst einmal länderspezifische Probleme. Die Krisen der Vergangenheit, angefangen von
der Finanzmarktkrise über die Staatsschuldenkrise bis
zur Wirtschaftskrise in einzelnen Ländern, hängen doch
nicht damit zusammen, dass keine Sozialleistungen gezahlt wurden. Das Gegenteil ist der Fall: Es wurden Riesenbeträge für den Konsum zur Verfügung gestellt. Es
wurden die Stabilitätskriterien nicht eingehalten. Ich
warne davor, die Politik, die uns in den letzten Jahren
auf den richtigen Pfad gebracht hat, zu korrigieren.
Soweit Sie das im Sinne von Konjunkturprogrammen
meinen, im Sinne von - ich übersetze das einmal in die
europäische Sprache - „zweckgerichteter Verwendung
der Strukturförderungsmittel“, haben Sie unsere volle
Unterstützung. Auch wir sind für die Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit. Auch wir sind dafür, Wachstumsimpulse zu setzen, aber nicht dadurch, dass wir denselben Fehler wie in der Vergangenheit machen.
({2})
Eines ist klar: Solide Staatsfinanzen sind die Voraussetzung auch für künftiges Wachstum, aber sie schöpfen
es nicht. Deshalb ist es wichtig, dass die Fehler, die zurzeit immer noch bestehen, überwunden werden. Man
kann sich nur an den Kopf fassen: In Griechenland sind
immer noch keine Kredite an kleine und mittlere Unternehmen aus KfW-Mitteln ausgegeben. Wir haben die
Krise seit Jahren. Das hat noch nicht funktioniert. Erst in
den nächsten Wochen soll das umgesetzt werden. Es gibt
immer noch nicht ausreichende Verwaltungsstrukturen.
Steuererhebung, Steuereinzug funktionieren immer noch
nicht richtig. Das sind die Probleme, die wir haben.
Wenn die überwunden sind, dann geht es auch mit den
Wachstumsimpulsen aufwärts.
Meine Damen und Herren, es gibt vielfältige Ursachen für das Ergebnis der Europawahl; man kann das
nicht verallgemeinern. Betrachten Sie das einmal länderspezifisch: Es gibt Länder, in denen die linken Kräfte besonders zugelegt haben. Das sind in erster Linie die Programmländer. Es gibt Länder, in denen die rechten
Kräfte zugelegt haben. Das sind die Länder, die überwiegend mit europäischer Politik zu leben haben, zum Beispiel im Bereich der Zuwanderung.
({3})
Wir müssen uns Gedanken machen, welche Politik wir
auf europäischer Ebene umsetzen. Wir können nicht verallgemeinern und sagen: Dieses oder jenes ist der Grund.
Ganz entscheidend ist, Herr Barthel: Hier wird die
wichtigste Frage, die ich für die nächsten Monaten sehe,
kaum erörtert: Wer von Ihnen geht denn davon aus, dass
die EU-Kommission in den letzten Jahren die Kräfte, die
sie vom Personal und auch von den Mitteln her gehabt
hätte, tatsächlich genutzt hat? Woran liegt das? Haben
wir eine Bundesregierung mit 28 Ministern? Das könnten wir uns nicht vorstellen. Die Minister würden sich
behindern. So viele Kompetenzen gibt es gar nicht. Da
würde jeder dem anderen eine Kompetenz wegnehmen.
Es gäbe Überschneidungen. Genau das sieht man auch
an dem Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das
Jahr 2014. Wenn man einmal da hineinguckt, wenn man
sich vor Augen führt, wie erkennbar die gegenseitige
Blockade der Kommissare ist, kommt man zu dem
Schluss: Das ist die dringendste Maßnahme, die wir auf
den Weg bringen müssen.
({4})
Wir wissen, bei den europäischen Verträgen und bei
dem Machtgefüge können wir nicht sagen: Wir ändern
das jetzt, und zwar so, wie es ja eigentlich auch im Vertrag vorgesehen ist: Verkleinerung der Kommission auf
eine Zahl von Mitgliedern, die zwei Dritteln der Zahl der
Mitgliedstaaten entspricht. Das wird nicht funktionieren.
Also müssen wir einen anderen Weg wählen. Wolfgang
Schäuble hat einen guten Vorschlag gemacht. Diesen
Vorschlag sollten wir aufgreifen und mit Nachdruck vertreten und durchsetzen: Dem Kommissionspräsidenten
sollten Vizepräsidenten an die Seite gestellt werden, die
die Kernkompetenzen bearbeiten, und den Vizepräsidenten sollten die anderen Kommissare fachlich zugeordnet
sein.
Wir müssen erst einmal eine Organisation und Arbeitsmöglichkeiten schaffen, die inhaltlich optimales Arbeiten erlauben. Das ist zurzeit nicht umgesetzt, und das
wird eine unserer Hauptaufgaben sein.
({5})
Jetzt geht es um Inhalte, und es geht auch darum:
Mich erinnert die Europäische Union - bis auf die sehr
erfolgreiche Krisenpolitik, die wir, insbesondere natürlich
der Rat, auf den Weg gebracht und umgesetzt haben - so
ein bisschen an eine Durchwurschtelunion. Man könnte
es auf Englisch auch als „muddling-through union“ bezeichnen: Man hat ein Ziel, man will es erreichen - Augen zu und durch. Das merken wir bei allen wichtigen
Themen, auch bei den Themen der Gegenwart.
Fangen wir an bei der Gemeinschaftswährung. Die
Gemeinschaftswährung wurde auf den Weg gebracht,
ohne dass effektiv sichergestellt wurde, dass sich die
Euro-Länder tatsächlich an die Haushaltsdisziplin halten. Dieses große Problem war Mitauslöser der Krise.
In Griechenland wurde der Euro eingeführt, obwohl
die strengen Stabilitätskriterien dort nicht erfüllt waren Augen zu und durch. In der Vergangenheit wurden neue
Mitglieder aufgenommen, obwohl man wusste, dass man
bei einigen Kapiteln noch nicht so weit war. Es wurde
gesagt: Das wird schon werden. - Bei Rumänien und
Bulgarien ist es aber nicht geworden. Dort gibt es einen
hohen Korruptionsgrad, und auch die Rechtsstaatlichkeit
in diesen Ländern ist nicht so, wie wir uns das wünschen. Während des Aufnahmeprozesses schien alles in
Ordnung zu sein. Wir haben aber keine Kriterien, mit denen wir kontrollieren können, dass dies auch mittel- und
längerfristig der Fall ist. Da müssen wir in der Zukunft
besser aufpassen.
Ein weiterer Punkt. Nachbarschaftspolitik wird betrieben, ohne dass man bemerkt, dass es sich dabei um
Außenpolitik handelt - mit allen Risiken und Chancen.
Schauen Sie nur in die Ukraine; ich will das gar nicht
weiter ausführen. Wir brauchen eine Europäische Union,
die die wichtigen Themen nicht ausschließlich politisch
entscheidet und die Folgen ihres Tuns bedenkt. Auch
hier brauchen wir klare Kriterien.
Kurz und abschließend gesagt: Die Organisation der
EU-Kommission ist grundsätzlich zu ändern. Die Europäische Union soll nur Regelungen für die Dinge auf den
Weg bringen, die einheitlich geregelt werden müssen.
Da sind die Briten, die Niederländer und die Dänen nicht
unsere Gegner. Sie haben das Thema angestoßen, und
damit tragen sie dazu dabei, Europa zu verbessern. Nur
die wichtigen übergreifenden Themen gehören nach Europa, aber nicht das Klein-Klein.
Wenn das die EU-Kommission, die hoffentlich neu
formiert und anders organisiert wird, bei ihrer Arbeit beherzigt, dann hat das Projekt Europa, das für uns alle
eine Herzensangelegenheit ist, eine gute Chance.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über die drei
Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke.
({0})
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1621. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann
ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Linken mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
({1})
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1622. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Antrag
gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen aller
übrigen Fraktionen abgelehnt.
({2})
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1623. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen
der Linken mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen
abgelehnt.
({3})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung des ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Manuela Schwesig. - Bitte schön, Frau
Ministerin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass das
Bundeskabinett heute den von mir vorgelegten Gesetzentwurf zum ElterngeldPlus mit Partnerschaftsmonaten
und der flexibleren Elternzeit verabschiedet hat. Wir gehen mit diesen Vorschlägen neue Wege in der modernen
Familienpolitik. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken und setzen dabei vor allem auf das
Thema Partnerschaftlichkeit.
Die Lebenswirklichkeit von jungen Paaren in
Deutschland hat sich verändert. 60 Prozent der Paare mit
Kindern unter drei Jahren wünschen sich sowohl eine
partnerschaftliche Teilung der Erziehungs- und der
Hausarbeit als auch Zeit für den Job. Und genau darum
geht es beim ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten: Wir wollen zukünftig ermöglichen, dass Mütter
und Väter, die während des Elterngeldbezugs früh in den
Job einsteigen und Teilzeit arbeiten, nicht länger Nachteile haben. Vielmehr erhalten sie das ElterngeldPlus
länger als das bisherige Elterngeld.
Wenn sie die Elternzeit partnerschaftlich teilen, sich
also beide Zeit für das Kind oder die Kinder nehmen,
und beide in Teilzeit in einem Korridor zwischen 25 und
30 Stunden arbeiten gehen, gibt es zusätzliche Partnerschaftsmonate. Das ist die Idee des ElterngeldPlus mit
den Partnerschaftsmonaten. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vor allem die Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen stärken.
Dies gilt natürlich auch für Alleinerziehende. Auch sie
können von den zusätzlichen Partnerschaftsmonaten
profitieren.
Ein weiterer Punkt im vorliegenden Gesetzentwurf ist
die Flexibilisierung der Elternzeit. Wir wollen, dass Eltern die Möglichkeit haben, die dreijährige Elternzeit bis
zum achten Lebensjahr ihres Kindes flexibler aufzuteilen. Das bedeutet, dass die Elternzeit nicht vor allem am
Anfang der Lebenszeit des Kindes voll genommen werden muss, sondern noch Luft nach hinten ist und man die
Möglichkeit hat, auch später noch eine Auszeit zu nehmen, zum Beispiel wenn ein Kind zur Schule kommt.
Die Elternzeit kann laut Gesetzentwurf zukünftig ohne
Zustimmung des Arbeitgebers genommen werden. Auch
an dieser Stelle wollen wir die Eltern stärken.
In einer dritten Komponente des vorliegenden Gesetzentwurfes geht es um eine Klarstellung im Hinblick
auf die sogenannten Mehrlingsgeburten. Das Bundessozialgericht hat geurteilt, dass das Gesetz an der Stelle
derzeit unklar ist und Eltern von Mehrlingskindern im
Grunde - neben dem Mehrlingsbonus - doppelt Elterngeld beziehen können. Wir wollen an dieser Stelle klarstellen, dass es für Eltern von Mehrlingen einen einmaligen Anspruch auf Elterngeld und wie bisher einen
Mehrlingsbonus von 300 Euro gibt.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, das ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten und der flexibleren Elternzeit ist ein wichtiges familienpolitisches
Vorhaben der Regierungskoalition. Wir wollen neue
Wege beschreiten. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken. Wir wollen vor allem dafür
Sorge tragen, dass Männer und Frauen sowohl Zeit für
Kinder als auch Zeit für den Job haben. Dieser partnerschaftliche Gedanke tut nicht nur den Familien gut, sondern ist auch für eine moderne Gleichstellungspolitik
wichtig. Denn er unterstützt vor allem auch Frauen, die
wieder in den Job einsteigen wollen.
An Frauen darf nicht alles - Job und Kinder - hängen
bleiben. Das neue ElterngeldPlus sorgt deshalb dafür,
dass auch die Männer Zeit für Kinder haben. Die positive Nachricht ist: Die Politik muss das nicht verordnen.
Die Politik kann das fördern und unterstützen. Denn die
jungen Väter von heute wünschen sich das. Jeder zweite
Vater möchte seine Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren. Auch das sollten wir fördern. Wenn beide Elternteile Zeit für die Familie haben, tut das am Ende
nicht nur den Eltern, sondern auch und vor allem den
Kindern gut.
In diesem Sinne freue ich mich auf die parlamentarischen Beratungen im Bundesrat und natürlich in diesem
Hohen Hause. Wir gehen einen weiteren guten Schritt.
Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer
partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Vielen Dank.
({0})
Die erste Frage hat der Kollege Wunderlich, Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Schwesig, vielen
Dank für die Einführung in das ElterngeldPlus. Es tun
sich jedoch einige Fragen auf, insbesondere hinsichtlich
der vorgesehenen Erwerbsstundenvoraussetzung. Es ist
ja geplant, dass 25 bis 30 Wochenstunden gearbeitet
werden soll, wenn man in den Genuss des ElterngeldPlus und des Partnerschaftsbonus kommen will. Halten
Sie diese Zahl von Erwerbsstunden für realistisch, insbesondere im Hinblick auf Alleinerziehende?
Ich halte es für realistisch. Man muss hier zwei Dinge
voneinander trennen. Das ElterngeldPlus, also den längeren Elterngeldbezug während der Teilzeitarbeit, bekommen alle unabhängig von der Stundenzahl und unabhängig davon, ob der Partner Teilzeit arbeitet oder nicht.
Lediglich die Partnerschaftsmonate - vier Monate für
den Vater und vier Monate für die Mutter - gibt es nur
dann, wenn beide parallel Teilzeit arbeiten. Damit wollen wir dem partnerschaftlichen Gedanken, den 60 Prozent der Paare haben, aber nur 14 Prozent realisieren,
Rechnung tragen. Der Korridor von 25 bis 30 Stunden
ist gewählt worden, weil wir damit keine Minijobs unterstützen wollen. Wir wollen einen Arbeitszeitkorridor,
der eine wirtschaftliche Existenz ermöglicht. Das ist insbesondere für Alleinerziehende wichtig. Deshalb ist dieser Korridor zwischen 25 und 30 Stunden insbesondere
vor dem Hintergrund einer sicheren Erwerbstätigkeit,
einer guten Erwerbsperspektive und der Armutsvermeidung gut gewählt.
Die nächste Frage hat die Kollegin Frau Dr. Hein,
ebenfalls Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich
habe eine Frage zu den Mehrlingsgeburten. Warum wird
das Urteil des Bundessozialgerichtes, in dem steht, dass
Eltern bei Zwillings- oder Mehrlingsgeburten nicht nur
pro Geburt, sondern für jedes neugeborene Kind einen
eigenen Elterngeldanspruch haben, so nicht umgesetzt?
Um wie viel würde der Haushalt entlastet, wenn Sie
es so machen, wie Sie es beschrieben haben?
Bei der Einführung des Elterngeldes wurde die besondere Situation von Mehrlingseltern berücksichtigt. Man
hat sich damals ganz bewusst dafür entschieden, dass
auch diese Eltern den grundsätzlichen Elterngeldanspruch in der Dauer von zwölf plus zwei Partnermonaten
haben. Aber weil zwei Kinder auch eine besondere finanzielle Herausforderung sind, gibt es einen Extrabonus von 300 Euro. Das Bundessozialgericht hat jetzt
geurteilt - weil das Gesetz an dieser Stelle nicht klar formuliert war -, dass es neben den 300 Euro zukünftig
auch möglich sein kann, dass man zwei mal zwölf plus
zwei Partnermonate nimmt. Das hört sich natürlich gut
an. Aber es geht weit über das hinaus, was der Gesetzgeber damals gewollt hat. Mehr geht immer; gar keine
Frage. Aber das Urteil bewirkt Mehrkosten von 100 Millionen Euro. An dieser Stelle stellen wir im Gesetz nur
klar: Es gibt nicht weniger, sondern es gibt wie immer
die 300 Euro. Damit können wir die Mehrkosten in Höhe
von 100 Millionen Euro, die jetzt schon pro Jahr entstehen, auffangen und können diesen Betrag auch zur Finanzierung des Elterngeldes nutzen, weil das Elterngeld
insgesamt sehr dynamisch ist. Wie Sie aus dem Haushalt
wissen, sind die Mittel für das Elterngeld mittlerweile
auf insgesamt 5 Milliarden Euro angestiegen. Es waren
damals ungefähr 3 Milliarden Euro geplant. Diese Entwicklung hat sich ergeben, weil die Löhne steigen und
damit auch das Elterngeld steigt und weil immer mehr
Männer Elterngeld beanspruchen und deren gute Gehälter zu Buche schlagen. Ich denke, das Gesamtpaket ist
für Mehrlingseltern eine gute Lösung, weil sie weiterhin
das bekommen, worauf sie auch bisher einen Anspruch
hatten. Wir müssen aber zusehen, dass das Elterngeld
uns finanziell nicht ganz um die Ohren fliegt.
Der Kollege Marcus Weinberg hat heute erstens Geburtstag und zweitens beschlossen, ihn mit uns zu verbringen. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Er hat jetzt eine Frage an die Frau Bundesministerin. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist mir natürlich
eine große Ehre, mit Ihnen meinen Geburtstag zu verbringen. Ich greife das auf, was die Ministerin gesagt
hat, dass nämlich immer mehr junge Väter mehr Zeit mit
den Kindern verbringen wollen. Insoweit bedeutet diese
Flexibilisierung eine neue Epoche, um Arbeitszeit, Erwerbstätigkeit und Familienzeit zusammenzubringen.
Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass dies heute
im Kabinett verabschiedet wurde. Es ist mehr als nur
das, was im Koalitionsvertrag steht: Es ist tatsächlich
eine neue Epoche.
Es gab aber Kritik der Arbeitgeber, die gesagt haben,
dass die neuen Möglichkeiten, gerade die flexiblere Elternzeit, zu Problemen führen würden. Können Sie einmal skizzieren, wie Sie mit der Kritik der Arbeitgeber
und der Verbände umgegangen sind?
Das kann ich gerne tun. Vorweg auch von mir herzlichen Glückwunsch und vor allem Zeit für die Familie,
möglichst heute noch an Ihrem Geburtstag.
Es gibt die Kritik der Arbeitgeber, die sagen: Wenn
die Eltern ohne unsere Zustimmung in Elternzeit gehen
können, dann ist es für uns schwieriger; die Flexibilisierung sehen wir kritisch. - Aus deren Sicht kann man dies
so sehen. Aber am Ende mussten wir uns entscheiden. In
der gemeinsamen Abwägung, die sich auch schon im
Koalitionsvertrag findet, haben wir gesagt: Wir wollen
die Familien stark machen. Wir wollen damit deutlich
machen, dass die Eltern auf Elternzeit Anspruch haben.
Es ist eine wichtige Schonzeit für die Familien, es ist
eine wichtige Zeit für die Paare, um in der Partnerschaft
zusammenzukommen.
Wir sind den Arbeitgebern insoweit entgegengekommen, als wir die Frist für die Anmeldung der Elternzeit
von 8 auf 13 Wochen erhöhen, sodass die Arbeitgeber
mehr Planungssicherheit haben. So sind wir den Arbeitgebern entgegengekommen, aber setzen das klare Zeichen: Familien haben Vorfahrt. Das ist ein wichtiges
Zeichen; denn wir können nicht nur in unseren Sonntagsreden sagen: „Die Familien sind wichtig“, sondern
müssen dann, wenn es zum Schwur kommt, auch so handeln. Ich denke, das ist jetzt ein guter Kompromiss.
Als Nächster hat der Kollege Rix, SPD-Fraktion, das
Wort.
Herzlichen Dank. - Frau Ministerin, schon in den ersten Medienberichten zu dem Gesetzentwurf ist eine positive Resonanz zu erkennen. Das hätte sich manch anderer an dieser Stelle eines Gesetzgebungsverfahrens auch
gewünscht. Herzlichen Dank für die Vorlage, die das Kabinett jetzt dem Bundesrat und dem Bundestag zuleitet.
Das ist ein erster wichtiger Schritt beim gesamten
Thema Familienarbeitszeit. Ich finde, das ist unserer Koalition und Ihrem Hause besonders gut gelungen.
Ich möchte eine Nachfrage stellen. Wir beschäftigen
uns immer mit dem Thema „Teilzeit und Vollzeit“, das
natürlich auch bei der Elternzeit eine Rolle spielt. Welche Möglichkeiten haben Eltern beim ElterngeldPlus, in
Teilzeit zu gehen, und können sie wieder in Vollzeit gehen? Welche gesetzlichen Regelungen sind dort geplant?
Schon heute haben die Eltern die Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen. Wenn Eltern das in der Elterngeldzeit tun,
dann werden sie zurzeit benachteiligt. Ich habe aktuell
eine E-Mail von einer jungen Frau auf dem Tisch, die
beschreibt, dass sie aus beruflichen Gründen gerne während der Elterngeldzeit in Teilzeit arbeiten will, weil ihr
das in ihrem Job langfristig eine bessere Perspektive
gebe. Sie beschreibt aber, dass es sich für sie gar nicht
lohnt, weil der Elterngeldanspruch sonst verfällt. Wir
wollen mit dem ElterngeldPlus die Teilzeitarbeit unterstützen.
Nach meiner Einschätzung geht es nicht nur um eine
finanzielle Unterstützung, sondern auch um eine Wertschätzung. In der Vergangenheit wurde Teilzeitarbeit
viel zu häufig abgewertet. Ich finde es richtig, dass
Eltern die Möglichkeit haben, in bestimmten Lebensphasen, zum Beispiel wenn sie kleine Kinder haben, die
Arbeitszeit zu reduzieren - man könnte auch bei der
Pflege darüber nachdenken -, ohne große Nachteile zu
haben, ohne auf das Abstellgleis zu geraten, auch ohne
finanzielle Nachteile zu erleiden.
Wir helfen mit dem ElterngeldPlus und erhoffen uns
von den Partnerschaftsmonaten, dass sich Paare dadurch
auf die Diskussion einlassen - viele tun es jetzt schon -:
Wie können wir die Zeit für die Arbeit und die Zeit für
die Familie aufteilen? - Richtig gut flankiert wird diese
Idee, wenn das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit kommt, damit Teilzeit keine dauerhafte Sackgasse
ist. Deshalb freue ich mich sehr, dass meine Kollegin
Arbeitsministerin Nahles nach ihren anderen Mammutprojekten ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren
angeht. Wir brauchen ein Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit. Teilzeit darf keine Sackgasse sein.
Als nächster Fragestellerin erteile ich Frau Kollegin
Crone, SPD-Fraktion, das Wort.
Ich freue mich auch, dass dieses neue Gesetz bald das
Licht der Welt erblickt. Es ist bestimmt sehr schön, allerdings manchmal auch ein bisschen kompliziert. Deswegen habe auch ich eine Nachfrage: Wie wirkt sich das für
Selbstständige aus? Wie profitieren sie davon?
Vielen Dank. - Es ist einzuräumen, dass das Elterngeld und das ElterngeldPlus kompliziert wirken. Das
liegt meines Erachtens aber auch daran, dass die Lebenssituation in jeder Familie unterschiedlich ist. Das Gute
ist, dass wir hier nicht eine Einheitslösung für die Familien vorgeben, sondern zukünftig die Familien - ob alleinerziehend, ob in Partnerschaft - ihrer Lebenssituation entsprechend auf den Baukasten „Elterngeld,
Partnerschaftsmonate, ElterngeldPlus“ zurückgreifen können, so wie es zu ihrer Lebenswelt passt. Das ist für
Selbstständige unheimlich wichtig.
Selbstständige profitieren genauso wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom ElterngeldPlus und
vielleicht noch einen Tick mehr, weil es gerade die
Selbstständigen, die Kleinunternehmerinnen und -unternehmer sind, die sich oft nicht eine Auszeit von zwölf
plus zwei Monaten leisten können, sondern sagen: Ich
muss mich spätestens nach sechs Monaten in meiner
Firma sehen lassen. - Mit dem ElterngeldPlus werden
sie jetzt viel besser unterstützt. Insofern freue ich mich,
dass gerade das Unternehmertum, dass die Selbstständigen und die Soloselbstständigen - das hilft vor allem
auch den Frauen - mit dem ElterngeldPlus und den Partnerschaftsmonaten eine besondere Unterstützung erhalten.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Kömpel,
SPD-Fraktion.
Vielen Dank. - Zunächst möchte ich erwähnen, dass
ich es fast bedauere, dass ich vor 16 Jahren bzw. 11 Jahren meine Kinder bekommen habe, weil ich glaube, dass
es die Eltern heutzutage durch die entsprechenden Angebote sehr viel leichter haben.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie das mit der Aufgabenverteilung zu Hause war: Es war selbstverständlich, dass ich als Frau sowohl als Selbstständige gearbeitet als auch alle anderen Pflichten mit übernommen
habe. Meine Frage an Sie, sehr verehrte Frau Ministerin:
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Aufgaben wirklich
partnerschaftlich geteilt werden?
Man kann sich nicht wirklich in die Diskussion der
Paare einmischen; die muss jedes Paar für sich führen.
Aber das Gute ist: Die jungen Väter von heute sind
schon viel weiter. Jeder zweite Vater sagt: Ich möchte
meine Arbeitszeit reduzieren, weil ich mehr für meine
Familie da sein möchte. - Jede zweite Mutter sagt: Ich
möchte wieder früh in meinen Job einsteigen, aber bitte
nicht in einen Minijob, mit dem ich keine Perspektive
habe, sondern mit einer guten Perspektive, was die Stunden angeht.
Eine Frau hat nur dann die Möglichkeit, wieder gut in
ihren Job einzusteigen, wenn sie in der Partnerschaft Unterstützung durch den Mann hat. Eine erste Idee, die
Partnerschaftlichkeit zu unterstützen, wurde in den früheren Regelungen zum Elterngeld durch die Partnermonate verwirklicht.
Mit dem Partnerschaftsbonus machen wir nun einen
viel größeren Schritt. Wir fördern damit die parallele Erwerbstätigkeit und die parallele Zeit für Kinder. Wir geben deswegen den angesprochenen Stundenkorridor vor.
Wir wollen keine feste Stundenzahl vorschreiben, wir
wollen nur dafür sorgen, dass die Stundenzahl eine Höhe
erreicht, die wirtschaftlich trägt, möglichst für beide, für
die Frau und den Mann.
Wir erhoffen uns von diesem Anreiz, dass sich die
Paare, die ein solches Modell wollen, dafür entscheiden
und dass vielleicht auch andere Paare sich entsprechende
Gedanken machen. Ich glaube nicht, dass es ein familienpolitisches Instrument gibt, das den Familien alleine
helfen kann. Es geht immer um einen Mix aus Zeit, Infrastruktur und Geld.
Hinter jedem familienpolitischen Instrument sollte
aber eine Botschaft stehen. Die Botschaft des ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten ist: Wir wollen,
dass ihr Job und Familie vereinbaren könnt und dass ihr
es in guter Partnerschaft tut. - Die Partnerschaft zwischen den Geschlechtern stellt auch eine wichtige
gleichstellungspolitische Komponente dar.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Dr. Schlegel,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident, herzlichen Dank. - Frau Ministerin,
ich habe zu diesem Geburtstagsgeschenk, das Sie uns
bzw. den Vätern und Müttern machen, noch eine Frage
zur Statistik: Wie viele Eltern bzw. wie viele Alleinerziehende werden dieses Angebot wohl annehmen? - Danke
schön.
Es gibt derzeit 45 000 Elterngeldbezieher, die schon
während der Elterngeldzeit in Teilzeit arbeiten und dadurch den angesprochenen Nachteil haben. Es gibt derzeit 500 Paare, die sich das partnerschaftlich teilen. Das
stärkste Beispiel ist, wenn Mutter und Vater jeweils sieben Monate parallel Elternzeit nehmen. Dann ist aber
nach sieben Monaten Schluss mit der finanziellen Unterstützung in Form von Elterngeld. Mit dem ElterngeldPlus können sie die Dauer auf 14 Monate erhöhen.
Bei den Berechnungen für das ElterngeldPlus gehen
wir von der Basis aus, dass sich künftig mindestens
7 000 Paare für die Partnerschaftsmonate, die partnerschaftliche Aufteilung, entscheiden. Wir werden sehen,
wie sich das tatsächlich entwickelt. Das hängt ja auch
von den flankierenden Maßnahmen ab, zum Beispiel
vom Recht einer Rückkehr in Vollzeit nach Teilzeit.
Als nächster Fragestellerin erteile ich das Wort Frau
Kollegin Dr. Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke schön. - Die Elternzeit endet ja, wenn das
Kind das achte Lebensjahr erreicht. Ich möchte gerne
wissen, aus welchem Grund Sie sich entschieden haben,
die Grenze beim achten Lebensjahr zu ziehen. Der Gesetzentwurf geht auf den Achten Familienbericht zurück,
in dem vorgeschlagen wird, die Altersgrenze bei 14 Jahren zu ziehen. Manche gehen sogar weiter und sprechen
sich für eine Grenze bei 18 Jahren aus.
Wir wissen, dass zum Bespiel der Übergang in die
weiterführende Schule für manche Kinder eine schwierige Lebensphase ist, in der die Eltern eigentlich gern
Zeit hätten. Von daher die Frage an Sie: Warum bis zum
achten Lebensjahr?
Bis zum 14. Lebensjahr wäre wünschenswert. Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen darüber beraten. Wir verlängern aber nicht nur den Zeitraum, in dem
Elterngeld bezogen werden kann, bis zum achten Lebensjahr. Jetzt ist es so, dass am Anfang zwei Jahre
Elternzeit genommen werden müssen und nur ein Jahr
nach hinten hinaus verlagert werden kann. Mit der vorgesehenen flexiblen Elternzeit sorgen wir dafür, dass
zwei Jahre nach hinten hinaus verlagert werden können.
Es wäre natürlich wünschenswert, wenn dieser Zeitraum
bis zum 14. Lebensjahr verlängert würde.
Wir unternehmen jetzt einen ersten wichtigen Schritt
zur Flexibilisierung der Elternzeit. Um das für die Arbeitswelt handhabbar zu gestalten, haben wir uns entschieden, zunächst die Möglichkeit zu schaffen, dass
zwei Jahre Elternzeit aufgespart und bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen werden können. Damit
müssen Erfahrungen gesammelt werden. Alles andere
hätte aus Sicht der Arbeitgeber sehr viel Planungsunsicherheit mit sich gebracht. Das ist ein Kompromiss, den
wir in den Verhandlungen gefunden haben. Ich finde es
wichtig, dass zumindest die Einschulungszeit berücksichtigt wird.
Wir werden das ElterngeldPlus und die Partnerschaftsmonate evaluieren. Wir werden Erfahrungen mit
der Elternzeit sammeln. Ich bin gespannt, wie viele
Paare von diesem Angebot Gebrauch machen werden.
Ich persönlich glaube nicht, dass die Arbeitgeber besorgt
sein müssen. Nach meiner Einschätzung werden infolge
dieser Flexibilisierung viele sagen: Ich will früh in den
Beruf zurückkehren - die meisten wollen nach einem
Jahr wieder in den Job einsteigen, meistens nicht in Vollzeit, sondern mit einer vollzeitnahen Teilzeit -; ich habe
aber die Sicherheit, dass ich, wenn es aus irgendeinem
Grund nicht klappt, wenn es meinem Kind dabei nicht
gut geht oder es Probleme bei der Einschulung gibt,
noch einmal Elternzeit in Anspruch nehmen kann. - Wir
werden sehen, wie viele davon Gebrauch machen.
Die nächste Frage kommt von der Frau Kollegin
Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen.
Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Sie mit der Elterngeldreform, die jetzt ansteht, eine Gerechtigkeitslücke schließen, was das Teilelterngeld angeht. Eine andere Gerechtigkeitslücke bleibt aber aus Sicht der
Fraktion der Grünen ganz klar bestehen. Sie besteht darin, dass Familien mit einem sehr geringen Einkommen,
die ALG II beziehen, von dieser Reform gar nicht profitieren, weil bekanntermaßen das Elterngeld - das gilt
auch für alle Reformschritte, die jetzt anstehen - weiterhin beim Regelsatz angerechnet wird. Das ist aus unserer
Sicht eine weitere Gerechtigkeitslücke, die man dringend schließen sollte. Die Kolleginnen und Kollegen
von der SPD waren in der letzten Legislaturperiode völlig einer Meinung mit uns, dass das unbedingt angepackt
werden sollte. Insofern meine Frage an Sie: Haben Sie
das ins Kabinett eingebracht? Gedenken Sie, sich für die
Gleichstellung der Eltern, die ein geringes Einkommen
beziehen, an dieser Stelle einzusetzen?
Es ist wichtig, dass Eltern, die ein geringes Einkommen haben, durch das Elterngeld unterstützt werden. Das
gilt zum Beispiel für Studierende, die neben dem BAföG
300 Euro Elterngeld bekommen. Es ist so, wie Sie es sagen: Wenn Eltern arbeitslos sind, dann können sie
300 Euro Elterngeld beziehen; aber spätestens, wenn sie
Arbeitslosengeld II beziehen, wird es angerechnet. Das
wird kritisch gesehen. Wir haben darüber schon in den
Koalitionsverhandlungen beraten. Wir haben uns aber
nicht darauf geeinigt, Eltern, die ALG II beziehen, das
Elterngeld wieder anrechnungsfrei zu zahlen.
Ich finde aber, die größere Gerechtigkeitslücke besteht darin, dass diese Eltern vor der Geburt ihres Kindes
offensichtlich keine Arbeitsmarktperspektive hatten.
Ziel muss es sein, diesen Eltern eine Arbeitsmarktperspektive zu bieten, damit die dauerhafte Ungerechtigkeit, die weit über den Elterngeldbezug hinausgeht, geschlossen wird.
Als nächster Fragestellerin gebe ich das Wort Frau
Kollegin Schulte, SPD-Fraktion.
Danke, Herr Präsident. - Die Ministerin hat die Vorteile des ElterngeldPlus für die Familien schon gut erläutert. Ich möchte Sie gerne fragen, welche Vorteile die
Arbeitgeber vom ElterngeldPlus haben. Die zweite
Frage lautet -
Nur eine Frage. Es gibt noch ein paar andere, die Fragen stellen wollen. Deswegen bitte immer nur eine
Frage.
Gut, okay. Entschuldigung.
Die Arbeitgeber haben aus meiner Sicht immer Vorteile, wenn die Familien gestärkt werden; denn in den
Familien sind Frauen und Männer, die als Fachkräfte in
der Arbeitswelt gebraucht werden. Unternehmen beschweren sich über den Fachkräftemangel. Insbesondere
den Frauen werden in der Arbeitswelt noch nicht die
Chancen angeboten, die sie verdient haben und die unsere Unternehmen eigentlich nutzen müssten. Deshalb
ist es gut, dass mit dem ElterngeldPlus der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben, insbesondere von Frauen, unterstützt wird.
Das haben auch die Arbeitgeber erkannt. Sie unterstützen das ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten. Vereinzelte Stimmen, zum Beispiel die des DIHKChefs Schweitzer, unterstützen die Idee der Familienarbeitszeit, weil man erkannt hat, dass wir die Frauen auch
dadurch unterstützen, dass auch die Männer Zeit für Familie haben; denn dadurch haben die Frauen viel bessere
Arbeitsmarktperspektiven. Das ist für die Frauen gut,
weil sie für ihr Einkommen und für ihre Rente Jobs
brauchen, die gut bezahlt werden; aber es ist natürlich
auch aus Sicht der Arbeitgeber für die Bekämpfung des
Fachkräftemangels gut. Deshalb glaube ich, dass sich
auch die Arbeitgeber mit der flexiblen Elternzeit anfreunden können.
Wichtig ist, dass in Deutschland beides geht, Familie
und Job, und dass es nicht immer ein Gegeneinander ist.
Dieses Gegeneinander, dass sich eine Frau zwischen Job
und Kindern entscheiden muss - dies betrifft vor allem
junge Frauen -, passt nicht in das 21. Jahrhundert.
Als nächste Fragestellerin hat sich Frau Kollegin
Yüksel, SPD-Fraktion, gemeldet.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sie haben eben konkret das ElterngeldPlus genannt. Ich würde Sie bitten,
noch einmal konkret auf die Änderungen bei Mehrlingsgeburten einzugehen; denn darüber haben wir heute,
glaube ich, noch nicht viel gehört. - Danke.
Streng genommen gibt es im Gesetz keine Änderung
hinsichtlich der Mehrlingsgeburten, sondern eine Klarstellung. Als das Elterngeld eingeführt worden ist, hat
man sich für die Mehrlingsgeburten überlegt, neben dem
Elterngeld - die Eltern haben einen Anspruch auf Elterngeld für die Dauer von zwölf plus zwei Monaten - einen
Mehrlingsbonus von 300 Euro pro Kind zu zahlen. Man
hat sich damals entschieden, dieses Geld zur Verfügung
zu stellen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die
finanziellen Aufwendungen natürlich höher sind, wenn es
zum Beispiel zwei Kinder sind. Das fängt ganz schlicht
beim Windelkauf an. Jeder, der ein Kind hat, weiß, wie
viel das kostet. Diese 300 Euro gibt es weiterhin.
Das Sozialgericht hat geurteilt, dass die Frage, ob
diese Eltern für zwei Kinder einmalig oder zweimalig
zwölf plus zwei Monate Elterngeld beziehen können, im
Gesetz nicht klar geregelt ist. Das Gericht sagt: Weil es
nicht klar ist, bekommen die Eltern beides, doppeltes Elterngeld und den Mehrlingsbonus von 300 Euro. Wir
schaffen an dieser Stelle eine gesetzliche Klarstellung
und machen das Gesetz korrekter. Für die Mehrlingseltern wird es weiterhin diese 300 Euro geben.
Als nächste Fragestellerin hat Frau Kollegin Pantel,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Ministerin, dass das eine große Verbesserung für die Familien ist, ist, glaube ich, unbestrit3290
ten, egal ob es der Partnerschaftsbonus ist, ob es die flexibler gestaltete Wiedereingliederung ist oder eben auch
die Verbesserung der finanziellen Lage der Familien.
Wann haben Sie vor, uns vorzustellen, wie was von den
Familien angenommen wurde? Gibt es da schon einen
festen Zeitplan? Wann, glauben Sie, können Sie uns die
ersten Ergebnisse berichten?
Ich würde mich freuen, wenn das parlamentarische
Verfahren es ermöglicht, dass das Parlament das Gesetz
zum 1. Januar 2015 verabschiedet, sodass das ElterngeldPlus und die Partnerschaftsmonate für alle Geburten
ab 1. Juli 2015 gelten können. Die Änderungen müssen
vor Ort noch umgesetzt werden. Die Elterngeldstellen,
die sich in den Ländern befinden, müssen das natürlich
ordentlich umsetzen und die Paare gut beraten können.
Diese tolle Flexibilität, die es dadurch gibt, bedeutet natürlich gleichzeitig, dass man Paare darüber gut beraten
können muss. Dafür braucht man Zeit. Als ehemalige
Landesministerin weiß ich, dass man für die Umsetzung
einen Zeitpuffer braucht. Das Gesetz könnte dann ab
1. Juli 2015 zu wirken beginnen. Wir haben geplant,
2017 mit der Evaluation zu beginnen, weil wir natürlich
ein Stück Strecke brauchen, um zu schauen, wie es
wirkt. Wir können dann in 2017 erste Evaluationsergebnisse vorlegen.
Kollege Wunderlich hat noch eine Frage.
25 bis 30 Wochenarbeitsstunden sind völlig utopisch,
sagt auch der VAMV. Bei Alleinerziehenden funktioniert
das gar nicht.
Aber davon einmal abgesehen: Warum sollen denn
Alleinerziehende, die mit dem Kindesvater das gemeinsame Sorgerecht haben, von den Partnermonaten, vom
ElterngeldPlus ausgenommen werden? Es läuft doch gerade den Sorgerechtsregelungen, für die wir in der letzten Legislaturperiode gekämpft haben, nämlich dem
Sorgerecht bzw. der Sorgepflicht für beide Eltern, zuwider, wenn alleinerziehende Mütter oder Väter oder
Paare, die nicht verheiratet sind und zusammenleben,
letztlich vor die Alternative gestellt werden: entweder
ElterngeldPlus und Bonus oder gemeinsames Sorgerecht
in alleiniges Sorgerecht ändern. Man muss sich entscheiden zwischen dem gemeinsamen Sorgerecht für das gemeinsame Kind oder für die Partnermonate. Das kann
doch nicht der Sinn sein. Ich denke, darüber müssen wir
im Rahmen der Gesetzgebung dringend reden. Ich
denke, da ist wirklich Änderungsbedarf angesagt. Oder
sehen Sie das anders?
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich das, was Sie sagen, richtig verstanden habe. Ich verstehe den Punkt, den
Sie ansprechen, nicht.
({0})
- Ja, in Bezug auf Alleinerziehende verstehe ich das
schon. Es ist doch jetzt so: Bei einem gemeinsamen Sorgerecht müsste es in unserem Interesse sein, dass sich
zum Beispiel auch die Väter an der Elternzeit beteiligen;
das ist bei einem gemeinsamen Sorgerecht ja nicht
grundsätzlich ausgeschlossen.
Jetzt komme ich zu den Alleinerziehenden, bei denen
das gemeinsame Sorgerecht - ich sage es einmal salopp eher auf dem Papier steht, in der Realität aber nicht praktiziert wird, weil die Frau doch ganz alleine mit dem
Kind ist. Über diese Fälle haben wir gesprochen, auch
mit dem Verband. Da muss man sich aber fragen: Welche praktische Lösung gibt es? Wir können ja nicht die
Elterngeldstellen beauftragen, das zu überprüfen; das
wäre ein bisschen schwierig. In dem Fall, in dem eine
Alleinerziehende das alleinige Sorgerecht hat, sie also
definitiv alleine für das Kind verantwortlich ist, kann sie
zusätzlich zu den Regelungen, von denen sie Gebrauch
machen kann - oder er; es gibt ja auch alleinerziehende
Männer mit alleinigem Sorgerecht -, die vollen Partnerschaftsmonate und Boni bekommen.
Was die Wochenstunden anbetrifft, würde ich Ihnen
gerne mitgeben: Es muss unser Interesse sein, dass Alleinerziehende wenigstens durch die genannte Zahl von
Wochenstunden abgesichert sind. Dass das in der Realität oft nicht der Fall ist, weil es keine adäquate Kinderbetreuung gibt, ist ein zusätzliches Problem. Deswegen
ist es wichtig, dass wir auch bei diesem Thema vorankommen.
Ich wundere mich über Ihre Aussage, weil ich weiß,
dass gerade Sie - völlig zu Recht - kritisieren, dass es
nicht sein kann, dass viele betroffene Frauen nur wenige
Wochenstunden arbeiten und daher keine gute existenzielle Absicherung haben. Der Korridor von 25 bis
30 Stunden soll dazu führen, dass man nicht sagt: „Na
gut, wenn die Frau noch zehn Stunden Teilzeit macht,
dann ist die Welt ja wieder in Ordnung“; er soll dazu beitragen, dass die Frau eine höhere Stundenzahl bekommt.
Es ist so, wie Sie sagen: Das ist eine Sache, die wir im
parlamentarischen Verfahren gerne noch vertiefen können. Ich wollte nur berichten, warum der Korridor zustande gekommen ist, nämlich deshalb, weil es auch um
die wirtschaftliche Existenz geht.
({1})
Gibt es noch weitere Fragen zum Thema der heutigen
Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es andere
Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/1589
Vizepräsident Peter Hintze
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten
Sevim Dağdelen und die Fragen 3 und 4 der Abgeordneten Agnieszka Brugger werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Günter
Krings bereit.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Andrej Hunko
auf:
Welche Antworten bzw. sonstigen Hinweise kann die Bundesregierung ein Jahr nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden zur weltweiten Spionagepraxis von
US-Behörden über die erhoffte „zeitnahe Beantwortung“ auf
die zahlreichen „übermittelten Fragenkataloge“ mitteilen
({0}), und inwiefern
bzw. in welchem Umfang hat die Bundesregierung mittlerweile zwar Antworten erhalten oder Erkenntnisse gewonnen,
sich allerdings dagegen entschieden, diese „dann auch dem
Parlament öffentlich bekannt geben ({1}) können“ ({2})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Hunko,
das Bundesministerium des Innern hat mit Schreiben
vom 11. Juni, mit Schreiben vom 26. August und mit
Schreiben vom 24. Oktober 2013 Fragen an die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin gerichtet. Auf keines dieser Schreiben - wie in den Medien, glaube ich, schon bekannt geworden ist - liegt
bisher eine entsprechende Antwort vor.
Die Botschaft des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland in Berlin wurde mit Schreiben
des Bundesministeriums des Innern vom 24. Juni 2013
um Beantwortung eines Fragenkatalogs gebeten. Sie antwortete am gleichen Tag, dass die britische Regierung
grundsätzlich zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten nicht öffentlich Stellung nehme; derartige Gespräche
seien der Ebene der Nachrichtendienste vorbehalten.
Weitere Fragen wurden der britischen Botschaft mit
Schreiben vom 5. November 2013 gestellt. Darauf
wurde am 7. November, zwei Tage später, geantwortet;
es wurde für die weitere Sachverhaltsaufklärung erneut
auf die Ebene der Nachrichtendienste verwiesen.
Die damalige Bundesministerin der Justiz, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, hat sich bereits kurz nach
dem Bekanntwerden der Vorgänge mit Schreiben vom
12. Juni 2013 an US-Justizminister Eric Holder gewandt
und ihn darum gebeten, die Rechtsgrundlage für Prism
und seine Anwendung zu erläutern. Sie hat US-Justizminister Holder mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 an
die gestellten Fragen erinnert. Eine Antwort des US-Justizministeriums an das deutsche Justizministerium liegt
nach unserem Wissen bisher nicht vor.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2013 hat die damalige
Bundesministerin der Justiz ebenfalls kurz nach dem
Bekanntwerden der entsprechenden Vorgänge, den britischen Justizminister Christopher Grayling und die britische Innenministerin Theresa May gebeten, die Rechtsgrundlage für Tempora und dessen Anwendungspraxis
zu erläutern. Der britische Justizminister hat auf das
Schreiben der damaligen Bundesministerin der Justiz
mit seinem Schreiben vom 2. Juli 2013 geantwortet. Darin erläutert er die rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit der britischen Nachrichtendienste und für deren
Kontrolle.
Vertreter der Bundesregierung haben sich in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der amerikanischen und
der britischen Regierung für eine zeitnahe Beantwortung
der übermittelten Fragenkataloge eingesetzt und im Rahmen dieser Gespräche auch Sachverhalte erörtert, die
Gegenstand der Fragenkataloge waren. Im Übrigen wird
darauf hingewiesen, dass sich die Fragestellungen mit
der Aufklärungsarbeit des 1. Untersuchungsausschusses
der 18. Wahlperiode, die von der Bundesregierung unterstützt wird, überschneiden.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege Hunko?
Ja. - Vielen Dank, Herr Dr. Krings. Morgen ist,
glaube ich, der Jahrestag der Snowden-Enthüllungen. Es
gab, wie Sie gerade erwähnt haben, eine Reihe von
Schreiben der Bundesregierung an die USA, die offenbar alle, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht beantwortet worden sind. Meine Frage ist: Sind Sie der
Meinung, dass hier mit genug Nachdruck vorgegangen
wurde, oder welche Mittel sehen Sie, noch zu einer Antwort zu kommen? Oder sind Sie der Meinung, dass es
bei dieser Nichtbeantwortung bleiben wird? Dann
müsste man ja sagen, dass es keine Antwort geben wird,
und das entsprechend kommunizieren.
Herr Abgeordneter, ich teile die Feststellung - das
habe ich ja im Prinzip detailliert, wie es gewünscht war,
aufgelistet -: Es gab Schreiben, die seitens der Amerikaner unbeantwortet geblieben sind. Von daher habe ich
bereits in einer Bundestagsrede vor einigen Monaten gesagt, dass das Antwortverhalten der Amerikaner im Hinblick auf diese konkreten Fragen absolut unbefriedigend
ist; das ist offensichtlich. Die Briten haben geantwortet,
allerdings nur in formaler Hinsicht und auf den Verweis
auf die nachrichtendienstlichen Verbindungslinien und
Gesprächskanäle beschränkt. Insofern sind die Antworten auf diese konkreten Fragestellungen in der Tat unbefriedigend.
Es gibt keine völkerrechtlichen Zwangsmittel, die da
in Betracht kommen. Es gibt allerdings durchaus Gespräche zwischen den Nachrichtendiensten, auch zwischen den Regierungen. Der Bundesinnenminister war
erst kürzlich in den Vereinigten Staaten. Über die The3292
men wird also gesprochen, übrigens - das kann ich bei
dieser Gelegenheit feststellen - eher in den USA als in
Großbritannien, wenn Sie mir diese persönliche Einschätzung gestatten. Die Kritik aus Deutschland - seitens der Bundesregierung, aber auch aus anderen Kreisen in Deutschland - hat durchaus Widerhall gefunden.
Es gab sehr konkrete Ankündigungen des amerikanischen Präsidenten, die natürlich noch nicht im Einzelnen
umgesetzt sind, dass sich Dinge verändern werden, auch
im Hinblick auf den Schutz nichtamerikanischer Staatsbürger vor entsprechenden Aktivitäten. Es gibt insofern
schon Widerhall, aber eben keine Beantwortung der konkreten Fragestellungen; dafür fehlen uns in der Tat denkbare Zwangsmittel.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Hunko? Bitte.
Noch einmal die konkrete Frage: Rechnen Sie noch
mit einer Beantwortung, oder rechnen Sie nicht mehr mit
einer Beantwortung der Fragen?
Ich rechne nicht mit einer Beantwortung der konkreten Schreiben. Ich rechne aber damit - und bin da sogar
sehr zuversichtlich -, dass wir über die Themen, die dort
angesprochen werden, weiter im Gespräch bleiben und
es dort auch weitere Reaktionen geben wird und auch
Veränderungen erfolgen werden.
Eine Frage dazu vom Kollegen Ströbele, Bündnis 90/
Die Grünen.
Danke, Herr Staatssekretär. Da bin ich gerade noch
rechtzeitig gekommen.
Ich erinnere mich an den letzten Sommer ganz gut:
Da waren in der Tat sowohl Minister als auch die Chefs
der Dienste in den USA. Sie kamen wieder und haben
gesagt: Die Fragen, die die Bundesregierung schriftlich
an die US-Regierung gestellt hat, werden - so hieß es
erst - innerhalb von sechs Wochen beantwortet, weil zuvor noch einige Dokumente heruntergestuft werden
müssen. Dann waren sie wieder da, und als sie zurückkamen, wurde gesagt: Das dauert noch ein bisschen. Der
Termin für die Beantwortung wurde dreimal verschoben.
Der Endtermin, den ich mitbekommen habe, war Mitte
Dezember 2013, also kurz vor Weihnachten. Das war
dann aber auch nicht der Fall.
Herr de Maizière war jetzt dort zu Besuch, was sicher
richtig und wichtig war. Hat er bei dieser Gelegenheit etwas dazu gesagt? Hat er gefragt, warum sie ihre festen
Versprechen nicht einhalten? Oder waren das keine Versprechen? Sie haben selber gesagt, sich auch darüber geärgert zu haben, dass es keine Antworten gibt. Versucht
man, der Sache auf den Grund zu gehen, warum das
nicht der Fall ist und wie das entschuldigt wird?
Ich kann und will jetzt keine Einzelheiten aus den
vertraulichen Gesprächen des Ministers mit amerikanischen Stellen berichten. Wichtig und richtig ist aber
- ich glaube, das ist heute im Innenausschuss auch hinreichend zum Ausdruck gekommen -, dass genau die
Themen, die Gegenstand der schriftlichen Anfragen waren, auch in den Gesprächen des Ministers zur Sprache
gekommen sind. Über diese Themen wird also gesprochen, und zwar nicht nur auf dieser Ebene, sondern auch
auf fachlicher Ebene zwischen den Ministerien und den
Nachrichtendiensten.
Dass die Briefe mit den konkreten Anfragen unbeantwortet geblieben sind, halte auch ich für unbefriedigend.
Das heißt aber nicht, dass wir nicht zuversichtlich sind,
bei diesen Themen weiterzukommen und Informationen
zu erhalten. Im Übrigen wäre es auch noch nicht befriedigend und keine hinreichende Antwort auf die Briefe
gewesen, wenn bestimmte Rechtsregeln und Entscheidungen von amerikanischen Gerichten heruntergestuft
worden wären, was einmal in Aussicht gestellt worden
ist.
Es ist jetzt wichtig, dass wir den Dialog mit den Amerikanern vertiefen. Dafür gibt es unter anderem den
Cyber-Dialog, den das Auswärtige Amt mit den Amerikanern jetzt beginnt, um in den Themen weiterzukommen, um Lösungen zu finden und um die amerikanische
Praxis gegenüber deutschen Staatsbürgern zu verändern.
Darum geht es jetzt, nicht so sehr darum, sklavisch zu
sagen: Wir haben bestimmte Fragen in den Briefen gestellt, die jetzt beantwortet werden müssen. - Das wäre
zwar wünschenswert und richtig; aber mir geht es jetzt
um den Erfolg in der Sache und nicht um diese drei
Briefe aus dem letzten Jahr.
Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke:
Welche weiteren Details kann die Bundesregierung zu Inhalt, Dauer, Kostenübernahmen und Teilnehmern des unter
Federführung des Bundeskriminalamts organisierten Expertenaustauschs beim Spezialeinsatzkommando Hannover zur
Fortbildung der Spezialkräfte der brasilianischen Militärpolizei Batalhão de Operações Policiais Especiais, BOPE, und der
Divisão de Operações Especiais, DOE, in Vorbereitung auf
die Fußball-WM in Brasilien mitteilen, und inwiefern wurde
Erkenntnissen der Bundesregierung über die in der städtischen Kriegsführung spezialisierten BOPE bezüglich etwaiger unverhältnismäßiger Gewalteinsätze, einer rigorosen und
aggressiven Grundhaltung und von der brasilianischen Zivilgesellschaft und internationalen Menschenrechtsorganisatoren geäußerten Kritik an der Einheit, die sich im Siegerfilm
der Berlinale 2008 Tropa de Elite widerspiegeln, bei der Fortbildung Rechnung getragen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Hunko,
grundsätzliches Ziel aller Maßnahmen der polizeilichen
Aufbauhilfe ist natürlich auch die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie verfolgt das Ziel, bestehende Reformprozesse in den jeweiligen Empfängerstaaten voranzubringen.
Die Bundesregierung orientiert sich hierbei nicht an
fiktiven Filmen wie dem von Ihnen erwähnten Film
Tropa de Elite, der auch bereits einige Jahre alt ist, sondern an den eigenen Grundsätzen für polizeiliche Aufbauhilfe. Zudem darf ich erwähnen, dass die in diesem
Film offenbar thematisierten Sondereinheiten in Rio de
Janeiro unter ganz anderen - auch dramatischen - Bedingungen und einer ganz anderen Sicherheitslage arbeiten müssen als die von der Maßnahme, um die es hier
geht, begünstigten Einheiten aus der brasilianischen
Hauptstadt Brasilia. Schon aus diesem Grund ist ein Vergleich mit einem solch fiktiven Film aus meiner Sicht
unsinnig.
Im konkreten Fall wurde am 30. Januar 2013 über den
Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes ein bereits mehrfach vorgetragenes Ersuchen des Innenministers des brasilianischen Bundesstaates Distrito Federal
rund um die Hauptstadt Brasilia zur Fortbildung von
Spezialkräften der BOPE und der DOE in Vorbereitung
auf die anstehenden Großereignisse - Fußballweltmeisterschaft 2014 und Olympische Spiele 2016 - in Brasilien übermittelt. Das Ersuchen wurde sowohl durch das
Bundesministerium des Innern als auch durch das Auswärtige Amt geprüft und die Umsetzung vor dem Hintergrund der Stärkung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit befürwortet.
Aufgrund des positiven Votums wurde das Ersuchen
schließlich über die Bund-Länder-Koordinierungsstelle
für polizeiliche Aufbauhilfe an das Landeskriminalamt
Niedersachsen in Hannover, Bereich Spezialeinsatzkommando - SEK -, vermittelt. Das entsprechende Einsatzkommando SEK Niedersachsen führte daraufhin vom
28. Oktober bis zum 15. November 2013 in Deutschland
einen Fortbildungslehrgang durch, welcher vom Bundeskriminalamt mit 8 650 Euro finanziell unterstützt wurde.
Insgesamt nahmen zehn brasilianische Vollzugsbeamte
an der Veranstaltung teil.
Während der dreiwöchigen Ausbildungsmaßnahme
wurden das Sicherheitskonzept Fußball am Beispiel eines Bundesligaspiels, verschiedene Taktiken unter anderem bei Bus- und Flugzeuginterventionen im Falle von
Geiselnahmen und das Personenschutzkonzept vermittelt sowie Schießübungen durchgeführt und Selbstverteidigungstechniken eingeübt. Die jeweiligen Inhalte wurden stets nach rechtsstaatlichen Grundsätzen vermittelt.
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit bei solchen Maßnahmen und Strategien zur Deeskalation waren und sind
zentrale Inhalte derartiger Lehrgänge.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko?
Ja, vielen Dank. - Ich will noch einmal erläutern, worum es geht. Durch deutsche Polizeien wird eine, so
kann man sagen, höchst umstrittene brasilianische Militärpolizei aus- und fortgebildet, die nicht nur in dem
Film, sondern auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International wegen ihrer
Brutalität kritisiert wird. Das Logo dieser brasilianischen
Polizei zeigt einen Totenkopf mit zwei Revolvern und
einem Schwert.
Dies alles findet vor dem Hintergrund der bald beginnenden WM statt. In Brasilien gibt es aus meiner und
auch aus unserer Sicht zu Recht Proteste, weil die Bevölkerung aus ihren Wohnvierteln vertrieben wird und im
sozialen Bereich ein eklatanter Mangel herrscht, während gleichzeitig teure Stadien gebaut werden. Halten
Sie es vor diesem Hintergrund für sinnvoll, eine solche
Militärpolizei in Deutschland fortzubilden?
Ich erkenne durchaus an, dass es im Zusammenhang
mit der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien Fragestellungen gibt. Sie haben auf die sozialen Missstände hingewiesen; es gibt auch andere Bereiche. Aber das heißt
natürlich nicht, dass wir an der Sicherheit der Fußballer
und auch der Fans aus Deutschland, die nach Brasilien
reisen, kein Interesse haben. Im Übrigen gilt das auch für
nichtdeutsche Teilnehmer und Fans in Brasilien. Wir
wollen natürlich, dass diese Fußballweltmeisterschaft
- die Entscheidung für Brasilien ist so getroffen worden sicher ablaufen wird.
Teil des Sicherheitskonzepts sind offensichtlich auch
Militärpolizeieinheiten, die - noch einmal - in den verschiedenen Teilen Brasiliens sehr unterschiedlich operieren. Die Sicherheitslage in Rio de Janeiro, die Sie in Ihrer Frage als Anknüpfungspunkt genommen haben, ist
offenbar eine ganz andere als die in Brasilia, der Hauptstadt, die durch Gewalttaten nicht in dem Maße aufgefallen ist, wie wir das zum Teil von anderen Teilen Brasiliens hören mussten oder wie es von den Medien
kolportiert worden ist. Insofern ist die Zusammenarbeit
mit diesen Einheiten absolut gerechtfertigt, umso mehr,
als es gerade auch darum geht, rechtsstaatliche Prinzipien und Deeskalationsprinzipien in die Ausbildung einfließen zu lassen. Insofern glaube ich, dass wir einen
Beitrag zu einem Mehr an Sicherheit bei dieser Fußballweltmeisterschaft, aber auch zu einem Mehr an Rechtsstaatlichkeit bei den Sicherheitskräften geleistet haben.
Noch eine Frage? - Bitte.
Es ist sehr häufig so, dass, wenn es um umstrittene Sicherheitskooperationen geht, argumentiert wird: Wir
kümmern uns darum, dass rechtsstaatlich und deeskalativ vorgegangen wird und dass die Menschenrechte beachtet werden. - Können Sie konkretisieren, in welcher
Form das in die Fortbildung eingeflossen ist?
Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Teil des Sicherheitskonzeptes bzw. des Lehrgangskonzeptes sind
Deeskalationsstrategien, beispielsweise der in Deutschland juristisch entwickelte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei staatlichen und polizeilichen Maßnahmen.
Das ist ein zentraler Teil der Lehrgangsinhalte, nicht nur
im Fall Brasiliens, sondern auch bei anderen Kooperationen mit Ländern. Man mag bestimmte Kritikpunkte
formulieren; aber ich bin mir sehr sicher, dass das, was
wir in Deutschland an Ausbildung vermitteln konnten,
zu mehr Rechtsstaatlichkeit geführt hat und im Ergebnis
nicht nur der Sicherheit, sondern auch dem Vorgehen, im
positiven Sinne auch dem bürgerrechtlichen Vorgehen
der Kräfte zugutegekommen ist.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die
Frage 7 der Kollegin Halina Wawzyniak wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister
zur Verfügung.
Ich rufe Frage 8 des Kollegen Dr. Gerhard Schick auf:
Bedeuten die Äußerungen des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, der bei einer Veranstaltung am
30. April 2014 an der Universität Bielefeld Medienberichten
zufolge ({0})
gesagt hat: „OMT - wir werden die Voraussetzungen dafür
nicht schaffen, das geht nur einstimmig. … Denn Entscheidungen des ESM sind einstimmig, und wir werden ein solches
Programm nach dieser Ankündigung der EZB nicht beschließen“, dass die Bundesregierung keinem Unterstützungsprogramm für einen Staat der Euro-Zone im Rahmen des
Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, mehr zustimmen
wird, da dadurch die Europäische Zentralbank, EZB, die
Möglichkeit erhielte, im Rahmen ihres Programms „Outright
Monetary Transactions“, OMT, bei Bedarf unbegrenzt Staatsanleihen dieses Staates zu kaufen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Der ESM wird aktiv,
wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des EuroWährungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten
unabdingbar ist. Ein Programm muss zudem mit strenger
Konditionalität hinsichtlich der notwendigen Reformen
versehen sein. Nur wenn alle Voraussetzungen nach dem
ESM-Vertrag vorliegen und der Deutsche Bundestag zugestimmt hat, darf der deutsche Gouverneur im ESMRat einer Hilfe zustimmen. Das sind die zentralen Voraussetzungen, unter denen die Bundesregierung auch
künftig ein verlässlicher Partner sein wird.
Die wirtschaftliche Lage im Euro-Raum hat sich
deutlich stabilisiert. Die Krisenpolitik der Währungsunion hat sich daher als äußerst erfolgreich erwiesen.
Durch Strukturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kommen die Programmländer allmählich
auf einen nachhaltigen Wachstumskurs. Das Vertrauen
der Kapitalmärkte in Anlagen im Euro-Raum ist wieder
deutlich gestiegen. Spanien, Irland und zuletzt auch Portugal haben ihre Programme erfolgreich abgeschlossen
und können sich wieder selbstständig an den Kapitalmärkten refinanzieren. Es gibt daher keinen Anlass, über
ein neues ESM-Programm zu spekulieren.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schick.
Herr Staatssekretär, das beantwortet meine Frage leider nicht. Das Zitat, das ich in meiner Frage angeführt
habe, ist eindeutig. Es geht nicht darum, ob man das Programm braucht oder nicht; vielmehr heißt es in dem Zitat
des Ministers in Bezug auf das entsprechende Maßnahmenprogramm OMT der Europäischen Zentralbank:
„… wir werden die Voraussetzungen dafür nicht schaffen“, und weiter: „… wir werden ein solches Programm
nach dieser Ankündigung der EZB nicht beschließen“.
Darin geht es nicht darum, dass die wirtschaftliche Lage
so ist, wie sie ist, und es geht auch nicht darum, ob es
irgendwelche Bedingungen gibt, sondern es ist ein klares
politisches Statement.
Meine Frage ist: Steht die Bundesregierung zu dieser
Aussage „Wir werden ein solches Programm nicht beschließen“, oder folgt die Bundesregierung dem, was Sie
gerade vorgetragen haben, und korrigiert insofern den
Bundesfinanzminister? Das sind nämlich zwei unterschiedliche Aussagen. Ich glaube, es ist wichtig, dass
das im Parlament geklärt wird.
Herr Kollege Schick, das, was ich eben vorgetragen
habe, ist die Position der Bundesregierung, zu der auch
der Bundesfinanzminister steht. Er hat mit seiner Äußerung deutlich gemacht, dass ohne Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland ein entsprechendes Programm
nicht auf den Weg gebracht werden kann.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schick.
Ist die Äußerung des Bundesfinanzministers, die ich
zitiert habe, insofern missverständlich gewesen und
durch Ihre heutigen Äußerungen korrigiert worden?
Meine Äußerung heute entspricht der gemeinsamen
Haltung des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung. Ich habe nicht entdecken können, Herr Kollege
Schick, dass daran etwas missverständlich ist.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Dr. Axel Troost
und die Frage 11 des Kollegen Volker Beck werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 12 des
Kollegen Volker Beck, die Frage 13 der Kollegin
Veronika Bellmann und die Fragen 14 und 15 des Kollegen Markus Kurth werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die
Frage 16 des Kollegen Harald Ebner wird ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Inwieweit trifft es zu, dass die Bundesregierung in ihren
Haushaltsentwurf 2014 ({0}) bereits mehrere Hundert Millionen Euro eingestellt hat zur Verausgabung schon ab 2014
- nebst Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre - für
die Beschaffung militärischer Drohnen MALE-UAS im System SAATEG, obwohl die Bundesministerin der Verteidigung,
Dr. Ursula von der Leyen, mehrfach öffentlich erklärt hatte,
vor solchen Beschaffungsentscheidungen müsse eine vertiefte
„gesellschaftliche Debatte über den Einsatz von Drohnen“
stattfinden und es gebe „aktuell keinen Entscheidungsdruck“
({1}), und hält die Bundesregierung an der
Zustimmung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum
Beschluss des Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs vom 19./20. Dezember 2013 fest, prioritär eine europäische militärische Drohne zu „entwickeln“ ({2}), obwohl das Bundesministerium der Verteidigung durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr „marktverfügbare“
Systeme primär von fünf außereuropäischen Anbietern untersuchen ließ ({3}) und nachdem nun
kürzlich die Bundesministerin der Verteidigung ein entsprechendes Angebot dreier europäischer Unternehmen „heftig,
brüsk und knapp“ zurückwies ({4})?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe bereit. Herr Staatssekretär,
bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Ströbele,
ich antworte Ihnen wie folgt: Die im Haushaltsentwurf
2014 vorgesehenen Haushaltsmittel für die Realisierung
eines durch Piloten ferngesteuerten Luftfahrzeugs der
MALE-UAS-Klasse - MALE-UAS steht für Medium
Altitude Long Endurance Unmanned Aerial System sind Mittel, die bei einer Beschaffungsentscheidung im
Jahr 2014 für einen Kauf von unbemannten Aufklärungssystemen verwendet werden könnten. Mit der Einarbeitung dieser Werte in den Haushaltsentwurf ist keine
Entscheidung für die Beschaffung eines solchen Systems
präjudiziert. Ein Vertragsschluss für den Kauf eines
marktverfügbaren unbemannten Aufklärungssystems als
sogenannte Überbrückungslösung zur kurzfristigen
Schließung der bestehenden Fähigkeitslücke würde im
Rahmen der etablierten Verfahren erst nach der parlamentarischen Billigung einer entsprechenden Beschaffungsvorlage, einer sogenannten 25-Millionen-EuroVorlage, erfolgen.
Unabhängig davon unterstützt das Bundesministerium der Verteidigung grundsätzlich die Ratsschlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember 2013.
Darin begrüßt der Europäische Rat „die Entwicklung
von ferngesteuerten Flugsystemen ({0}) im Zeitrahmen 2020-2025: Vorarbeiten für ein Programm für die
nächste Generation von europäischen ferngesteuerten
Flugsystemen mit mittlerer Flughöhe und großer Flugdauer ({1})“. So weit das Zitat.
Eine deutsche Beteiligung an weiteren Arbeiten ist
damit nicht präjudiziert. Entscheidungen in Bezug auf
die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden
nicht vor der im Koalitionsvertrag vereinbarten Prüfung
völker- und verfassungsrechtlicher, sicherheitspolitischer und ethischer Fragen getroffen.
Die erwähnte Untersuchung des Bundesamtes für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr zu alternativen MALE-Plattformen dient einer
generellen Markterkundung mit Blick auf verfügbare
MALE-Systeme.
Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, den ersten Teil Ihrer Antwort
habe ich nicht ganz verstanden. Es wird eine nicht unerhebliche Millionensumme in den Haushalt eingestellt,
und Sie sagen: Ob sie genutzt wird, also ob wir das Geld
tatsächlich brauchen, wissen wir noch gar nicht. - Das
wird dann ab 2014, also ab diesem Jahr, für einen längeren Zeitraum bewilligt, und zwar mit Verpflichtungsermächtigungen. Dabei wissen Sie noch gar nicht, ob das
genutzt wird, weil die Diskussion, die Sie zu Recht einfordern, noch nicht stattgefunden hat. Man braucht doch
keine Mittel einzustellen, wenn man noch gar nicht
weiß, ob man sie nutzen will.
Herr Kollege Ströbele, zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen - es war der Kürze der Antwort geschuldet, dass ich darauf noch nicht ausdrücklich eingegangen
bin; aber es ist sicherlich auch keine neue Information
für Sie -, dass das Haushaltsrecht das Königsrecht des
Parlaments ist und dass der Deutsche Bundestag, dem
Sie genauso angehören wie ich, über den Haushalt 2014
noch gar nicht beschlossen hat. Daher bin ich an dieser
Stelle in der Verlegenheit, etwas zu kommentieren, was
der, dessen Recht es ist, abschließend darüber zu entscheiden, nämlich der Deutsche Bundestag, noch gar
nicht entschieden hat.
Ich beziehe mich nur auf den Haushaltsentwurf, der
seitens der Bundesregierung eingebracht wurde. Dazu
gehört natürlich, dass für verschiedene Fälle Vorsorge
getroffen wird und entsprechende Mittel bereitgestellt
werden müssen, im Übrigen für dieses Jahr für militärische Beschaffung in einem überschaubaren Umfang um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen.
Das ist ein völlig übliches Verfahren, Herr Kollege
Ströbele. Das kann auch gar nicht anders sein. Wir als
Deutscher Bundestag können keine Beschlüsse fassen,
für die im Haushalt keine Vorsorge getroffen ist.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Morgen wird über die
Verlängerung des KFOR-Mandats im Kosovo entschieden. Nach dem Antrag der Bundesregierung wird dieses
Mandat bis in das nächste Jahr verlängert. Selbstverständlich ist auch dafür im Entwurf des Haushalts 2014
Vorsorge getroffen, genauso wie in der Planung für
2015. Wenn der Deutsche Bundestag der Verlängerung
dieses Mandats nicht zustimmt, wird das Geld dafür
selbstverständlich nicht gebraucht. Wenn aber entsprechende Beschlüsse gefasst werden, müssen diese auch
finanziell unterlegt sein. Das ist ganz normales Haushaltsrecht.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.
Der Unterschied besteht darin, dass die Soldaten
schon da sind. Aber darauf will ich nicht näher eingehen.
Auch den zweiten Teil meiner Frage sehe ich als nicht
beantwortet an. Die Frau Bundeskanzlerin hat zu dem
Beschluss des Europäischen Rates - den haben Sie eben
zitiert -, in dem festgelegt werden sollte, dass prioritär
eine europäische militärische Drohne entwickelt werden
soll, gesagt, dass sie das unterstützt und richtig findet.
Aber einige Zeit später wird - wenn das, was in der FAZ
zu lesen war, stimmt - heftig, brüsk und knapp zurückgewiesen, dass die drei europäischen Unternehmen, die
ein entsprechendes Angebot unterbreitet haben, in Betracht kommen.
Zunächst lege ich Wert auf die Feststellung, Herr
Ströbele, dass der von Ihnen behauptete Unterschied so
nicht besteht. Es geht nicht darum, dass Soldaten schon
irgendwo sind. Wenn aus Sicht der Bundesregierung
Mandate verlängert werden sollen, dann kann dies nur
geschehen, wenn im Haushalt entsprechend Vorsorge
getroffen wird. Wenn keine Verlängerung erfolgt, werden die Soldaten abgezogen. Dann mögen dafür in dem
entsprechenden Jahr außerplanmäßig Kosten entstehen.
Aber die für den Einsatz im Haushalt vorgesehenen Mittel werden dann nicht verausgabt werden müssen.
Darüber hinaus gibt es den von Ihnen angesprochenen
bzw. skizzierten Widerspruch nicht. Ich habe Ihnen gesagt, dass das Bundesministerium der Verteidigung zu
dem steht, was der Europäische Rat im Hinblick auf dort
zu leistende Entwicklungsarbeiten beschlossen hat. Die
Bundesministerin der Verteidigung hat in dem Artikel,
den Sie ansprechen, darauf hingewiesen, wie es üblicherweise sein sollte, nämlich dass die Politik eine Lücke in
der militärischen Fähigkeit feststellt und sich dann mit
der Frage an die Industrie wendet, welches Unternehmen
eine Lösung dafür anbieten kann. Das ist das übliche
Verfahren. Wir sind bei weitem noch nicht in diesem
Stadium.
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass für den 30. Juni
eine öffentliche Anhörung des Verteidigungsausschusses
mit dem Titel „Völker-, verfassungsrechtliche sowie sicherheitspolitische und ethische Aspekte im Zusammenhang mit unbemannten Luftfahrzeugen, die über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten
haben“ geplant ist. Das ist aus Sicht der Bundesregierung und - so denke ich - der sie tragenden Koalitionsfraktionen ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen
Debatte, die wir über dieses Gebiet führen wollen. Ich
bin dankbar, dass diese Anhörung einvernehmlich - das
ist mein Kenntnisstand -, im Konsens der Obleute, beschlossen worden ist. Das ist die Debatte, die wir jetzt
führen wollen.
Entscheidungen sind in keiner Weise getroffen worden. Dazu verweise ich auf die Antwort, die ich Ihnen
schon gegeben habe, nämlich dass mit der Unterstützung
der Ratsschlussfolgerung eine deutsche Beteiligung an
weiteren Arbeiten nicht präjudiziert ist. Es gibt keinerlei
Präjudiz über eine bestimmte Entwicklung, die wir
selbst wollen, oder über den Kauf von bestimmten Systemen.
Die von Ihnen angesprochene Antwort meines Vorgängers Christian Schmidt auf eine entsprechende Frage
des Abgeordneten Hunko macht auch deutlich, dass
dem, was das BAAINBw dort untersucht hat, keine konkrete Beschaffungsabsicht zugrunde lag. Ich bitte deshalb, nichts hineinzuinterpretieren, wo nichts hineinzuinterpretieren ist, weil noch nichts entschieden ist und
noch keine Debatten geführt worden sind, insbesondere
noch nicht abschließend.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Elke Ferner bereit.
Ich rufe Frage 18 der Abgeordneten Veronika
Bellmann auf:
Welche Perspektiven haben Schulverweigererprojekte aus
dem Förderprogramm „Die 2. Chance“, die ursprünglich am
31. Dezember 2013 auslaufen sollten, aber bis zum 30. Juni
2014 unter der Maßgabe verlängert wurden, bis dahin verlässliche Rahmenbedingungen für eine Fortführung der Projekte
zu schaffen, und wie sieht der neue Zeitplan dafür aus?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Bellmann, das ESF-Bundesprogramm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ wäre regulär Ende Dezember 2013 beendet gewesen und wurde einmalig bis Ende
Juni 2014 verlängert. Die Schulverweigererprojekte haben zukünftig die Möglichkeit, sich über ihre Kommune
beim neuen ESF-Bundesvorhaben „JUGEND STÄRKEN
im Quartier“ zu bewerben.
Die Vorbereitungen für das neue ESF-Modellprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ laufen jetzt
auf Hochtouren. Die Standorte der bisherigen ESF-Programme - ich sagte es bereits - können sich über die Antragstellung ihrer Kommune für eine Teilnahme am
neuen Modellprogramm bewerben, sofern sie die Ausschreibungskriterien erfüllen. Für den Beginn des Interessenbekundungsverfahrens und die damit verbundene
Veröffentlichung der Förderrichtlinien müssen jedoch
zunächst die finanztechnischen Rahmenbedingungen für
die ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 im Detail feststehen.
Die Interessenbekundung ist für den Sommer 2014
vorgesehen. Mit dem Programmbeginn ist im vierten
Quartal 2014 zu rechnen, sofern bis dahin das operationelle Programm des Bundes von der EU-Kommission
genehmigt wurde. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission ist nach derzeitigem Stand im Oktober 2014 zu
rechnen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Bellmann?
Ja.
Bitte schön.
Das heißt, dass es in jedem Fall eine Lücke, also eine
Unterbrechung des Programms, geben wird, weil es
keine Überbrückung, beispielsweise aus dem Bundeshaushalt, geben wird?
Die Verlängerung bis Ende 2014 wurde über Restmittel aus dem ESF finanziert. Es stehen dafür derzeit keine
weiteren Mittel zur Verfügung. Es ist so, dass das Programm eigentlich im Dezember 2013 abgeschlossen gewesen wäre. Es war allen Beteiligten von vornherein
klar, dass es 2013 abgeschlossen ist. Es wurde dann mithilfe der ESF-Mittel bis Mitte des Jahres verlängert. Die
Kommission hat die Fristen, die ursprünglich vorgesehen waren, leider nach hinten verschoben, sodass die
Kommission nach derzeitigem Stand erst im Oktober
dieses Jahres über das operationelle Programm entscheidet.
Wir wollen das trotzdem so weit vorbereiten, dass
schon im Sommer ein Interessenbekundungsverfahren
stattfinden kann, sodass eine Vorauswahl getroffen werden kann, wenn am Ende die Förderkriterien von der
Kommission fest beschieden worden sind.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Das neue Programm ist, wie Sie es jetzt angedeutet
haben, schon relativ weit in der Entwicklung. Können
Sie etwas zu den Laufzeiten der Programme sagen?
Ich habe ein bisschen ein Problem damit, wenn Programme, die die Arbeit mit Menschen, ob Jung oder Alt
oder Jugendlichen, insbesondere benachteiligten Jugendlichen, zum Inhalt haben, durch die kurzen Laufzeiten
ihre Wirkung am Ende etwas verfehlen. Es ist schwierig,
wenn dort keine Kontinuität hineinkommt. Das ist sowohl für die Jugendlichen als auch für die Pädagogen
schwierig; denn nicht alle Pädagogen, die die Programmführung übernehmen, sind auch geeignet oder berufen. Deswegen sind wir immer sehr froh, wenn wir geeignete Leute finden, die mit den Jugendlichen arbeiten.
Wenn das nach kurzer Zeit wieder aufhört, verfehlt das
Programm letztendlich sein Ziel. Insofern meine Frage:
Haben Sie bei der Beantragung der Programme kontinuierlich längere Laufzeiten, wie sie in den bisherigen
Programmen üblich waren, eingeplant?
Die Laufzeit der Programme hängt mit der ESF-Förderperiode zusammen. Diese Förderperiode war zuletzt
von 2007 bis 2013, und sie wird jetzt von 2014 bis 2020
sein, also jeweils sechs bis sieben Jahre. Das ist von der
EU vorgegeben; darauf haben wir keinen Einfluss. Wir
können sagen: Das ist uns zu kurz; wir machen nicht mit.
Die Alternative ist: Wir nutzen diese Periode.
Insofern ist man jetzt daran interessiert, dass dieses
ESF-Bundesprogramm weiterläuft. Zunächst einmal ist
es auf vier Jahre befristet. Ich gehe aber davon aus, dass
sich das Programm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“
bewähren wird, dass es über die gesamte ESF-Förderperiode laufen wird.
Wir haben prinzipiell das Problem bei Bundesprogrammen, ob über ESF-Mittel oder über Bundesmittel
gefördert, dass der Bund dafür nicht originär zuständig
ist; denn die Jugendhilfe ist eindeutig eine kommunale
Aufgabe. Wir versuchen, mit zusätzlichen Modellprogrammen zu helfen. Diese Programme sind aber - das
muss ich leider sagen - zeitlich befristet.
Danke schön. - Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Florian
Pronold bereit.
Die Fragen 19 und 20 der Kollegin Heidrun Bluhm
werden nicht aufgerufen, weil die Kollegin Bluhm nicht
anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Frage 21 des Abgeordneten Christian Kühn ({0}) wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Peter Hintze
Wir kommen zur Frage 22 der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen:
Was sind die Gründe der Bundeskanzlerin für ihre Absage
der Teilnahme am VN-Klimagipfel von Ban Ki-moon im
September 2014, und ist der Bundesregierung bekannt, ob
der US-Präsident Barack Obama oder Chinas Präsident Xi
Jinping teilnehmen werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Bundeskanzlerin begrüßt das persönliche Engagement des UN-Generalsekretärs und hat ihre volle politische Unterstützung versichert, auch wenn ihr persönlich eine Teilnahme aus terminlichen Gründen nicht
möglich sein wird. Deutschland wird bei diesem Treffen
hochrangig vertreten sein. Eine Entscheidung, wer für
die Bundesregierung teilnimmt, wird rechtzeitig vor dem
Klimagipfel in New York bekannt gegeben. Über die
Teilnahme anderer Staats- und Regierungschefs liegt uns
zurzeit keine offizielle Information vor.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr
Pronold. - Auch wenn es mich immer wieder freut, mit
Ihnen in einer Diskussion zu stehen, wundert es mich
jetzt doch, dass das Bundeskanzleramt hier nicht antwortet; schließlich war die Frage, weswegen Frau Merkel an
diesem Gipfel nicht teilnimmt, an das Bundeskanzleramt
gerichtet. Gefragt war auch danach, was die Gründe dafür sind, welche Termine dieser Teilnahme also entgegenstehen. Diese Fragen stellen sich insbesondere vor
dem Hintergrund, dass der jetzige Chef des Bundeskanzleramts in seiner Zeit als Umweltminister in Warschau
die Aussage getätigt hat, dass die damalige Bundesregierung begrüßt, dass bis Anfang 2015 allen Staaten Pläne
zur CO2-Emissionsminderung vorlegen werden. Diese
Aussage findet man auch jetzt noch auf der Internetseite
Ihres Hauses. Dort wird außerdem betont:
Deutschland setzt sich dafür ein, dass möglichst
viele Staaten bereits auf dem im September auf Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon stattfindenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs
- das steht explizit auf der Seite des BMU Angaben machen.
Distanziert sich jetzt das BMU von dieser damals getätigten Aussage?
Noch einmal: Aufgrund welcher anderen Termine
kann Frau Merkel nicht selber zu diesem Gipfel reisen?
Ich weiß als Mitglied der Bundesregierung sehr viel;
aber ich kenne nicht jeden Termin und jede Begründung
der Bundeskanzlerin. Wir werden diesbezüglich nachfragen und Ihnen mitteilen, was sie an diesem Tag anderes
und wahrscheinlich auch Wichtigeres machen wird.
Ansonsten gilt - wir haben das im Ausschuss schon
mehrmals miteinander besprochen -: Das vordringliche
Ziel der Bundesregierung ist, die CO2-Einsparvorgaben
einzuhalten. Sie wissen ganz genau, dass unsere Bundesregierung in diesem Bereich nicht nur in Europa, sondern in der Welt wirklich führend ist. Das bringen nicht
nur die Bundeskanzlerin, sondern auch alle Minister,
egal ob in früherer oder in heutiger Funktion, an vielen
Stellen immer wieder zum Ausdruck.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja. - Meine Frage war außerdem, welche anderen
Staats- und Regierungschefs an diesem Gipfel teilnehmen. Sie haben gesagt, Ihnen lägen dazu keine Erkenntnisse vor. Obama hat ja persönlich erklärt, dass er teilnimmt. Das sollte auch der Bundesregierung bekannt
sein. Auch Frankreich hat seine Teilnahme zugesagt. Insofern frage ich noch einmal - Ihre Antwort können Sie
mir schriftlich nachreichen -, welche anderen Staatsund Regierungschefs gegenüber der Bundeskanzlerin
oder der Bundesregierung schon geäußert haben, dass
sie teilnehmen. Auch Großbritannien hat seine Teilnahme schon in Erwägung gezogen.
Darum habe ich gesagt: Uns liegen keine offiziellen
Informationen diesbezüglich vor. Selbstverständlich
können auch Mitglieder der Bundesregierung Zeitung lesen und Medienberichte zur Kenntnis nehmen, aber wir
wollen Ihnen qualifizierte Auskünfte geben. Wenn wir
diese Mitteilung als Bundesregierung offiziell erhalten,
können wir sie an Sie weitergeben. Solange sie uns offiziell nicht vorliegt, ist es mir leider nicht möglich, das so
zu beantworten.
Aber wenn Sie das eh schon aus Zeitung und Fernsehen wissen, stellt sich mir die Frage, warum Sie die Bundesregierung noch fragen.
Frau Kollegin Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, hat
eine Frage.
Herr Staatssekretär Pronold, da ich zwar davon ausgehe, dass Sie meine Einschätzung teilen, dass es ein
Skandal ist, dass Frau Merkel am Gipfel nicht teilnimmt,
das hier aber öffentlich nicht äußern können, möchte ich
Sie fragen, ob angesichts der jüngsten Äußerungen von
Präsident Obama die Bundesregierung die Entscheidung, dass Frau Merkel am Gipfel nicht teilnimmt, überdenken wird, da sie ja - ich glaube, das habe ich aus der
Zeitung erfahren - gesagt hat: Es muss etwas passieren
angesichts der dramatischen Entwicklung bei der Klimakatastrophe. - Vor dem Hintergrund der Daten, die wir
diesbezüglich haben, und der Tatsache, dass selbst die
USA, die bisher nicht als prioritäre Klimaschützer bekannt geworden sind, teilnehmen werden und Obama ein
ambitioniertes Programm angekündigt hat - mehr noch
nicht, aber zumindest angekündigt -, frage ich also:
Wird die Bundesregierung die Entscheidung der Nichtteilnahme jetzt überdenken?
Sie dürfen davon ausgehen, dass das, was ich hier
sage, und das, was ich nicht sage, miteinander vereinbar
ist. Ich bitte Sie, mir nicht zu unterstellen, dass ich etwas
für einen Skandal halte, was keiner ist.
Es ist an der Bundeskanzlerin, zu entscheiden, woran
sie teilnimmt, und zu berücksichtigen, welche anderen
terminlichen Verpflichtungen da sind. Man kann der
Bundesregierung nun alles Mögliche vorwerfen, aber
mit Sicherheit nicht, dass wir uns nicht mit allem Nachdruck für die Klimaschutzziele einsetzen. Wir haben sogar ambitioniertere Klimaschutzziele, als wir sie oft in
internationalen Vereinbarungen vorfinden, und das wissen Sie auch; ein Beispiel ist die europäische Ebene.
Deswegen ist die Bundesregierung hier führend.
Wir freuen uns darüber, dass jetzt auch Präsident
Obama auf die Linie einschwenkt, die die Bundesregierung schon über Jahre hinweg verfolgt und mit der sie
beispielgebend vorangeht. Ob das Änderungen an der
Planung der Bundeskanzlerin zur Folge haben wird,
kann ich Ihnen nicht sagen. Da es bisher wichtige
Gründe gibt, dass die Bundeskanzlerin nicht teilnehmen
kann, sondern aus dem Bereich der Bundesregierung
hochrangig vertreten sein wird, wird sich an der Planung, vermute ich, nichts ändern.
Damit kommen wir zur Frage 23 der Kollegin
Annalena Baerbock zur gleichen Thematik:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass das Fernbleiben der Bundeskanzlerin vom VN-Klimagipfel im September
2014 von der internationalen Staatengemeinschaft dahin gehend interpretiert werden könnte, dass der Klimaschutz in der
Bundesregierung nicht die höchste Priorität genießt und sich
die Bundeskanzlerin der VN-Klimastrategie verweigert?
Herr Staatssekretär.
Sie fragen mich - das ist auch schon aus den vorherigen Nachfragen deutlich geworden -, ob ich die besondere Gefahr sehe, dass aus der Nichtteilnahme der
Bundeskanzlerin geschlossen werden könne, dass die
Bundesregierung das Einhalten der Klimaziele nicht
mehr ernst nimmt. Diese Gefahr sehe ich nicht.
Erstens wird die Bundesregierung hochrangig vertreten sein.
Zweitens tritt die Frau Bundeskanzlerin - das ist Ihnen auch bekannt - in der internationalen Klimaschutzpolitik sehr ambitioniert auf. Das persönliche Engagement der Bundeskanzlerin zeigt sich zum Beispiel auch
in dem von ihr ins Leben gerufenen jährlichen Petersberger Klimadialog, zu dessen fünfter Sitzung die Bundesregierung in diesem Jahr circa 35 Minister und hochrangige politische Vertreter Mitte Juli nach Berlin einlädt.
Der Dialog mit persönlicher Beteiligung der Bundeskanzlerin wird zur Vorbereitung sowohl des informellen
Gipfeltreffens in New York als auch der 20. Vertragsstaatenkonferenz Ende 2014 in Lima beitragen. Darüber
hinaus hat die Bundeskanzlerin angekündigt, Klimaschutz zu einem wichtigen Thema der deutschen G-7Präsidentschaft im Jahr 2015 zu machen, um so einen
starken Impuls für die Verabschiedung eines ambitionierten internationalen Klimaschutzabkommens bei der
21. Vertragsstaatenkonferenz 2015 in Paris zu geben.
Damit sind alle Befürchtungen, die Sie so wohlmeinend in Richtung Bundesregierung formulieren, wirklich
ausgeräumt.
Haben Sie dazu eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, weil die Befürchtungen noch nicht ausgeräumt
sind.
Zum einen möchte ich nur einmal darauf hinweisen,
dass dieser Gipfel nicht „Gipfel der höchsten Vertreter
der Länder“, sondern explizit „Gipfel der Staats- und
Regierungschefs“ heißt. Deswegen entspricht ein Ersatz
durch höchste Vertreter nicht dem, was da angekündigt
wurde.
Zum anderen: Wenn das höchste Priorität genießt,
was in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
heute zumindest rhetorisch so angeklungen ist, und die
Bundeskanzlerin die G-7-/G-8-Präsidentschaft dem Klimaschutz widmen will, wäre es dann nicht sehr ratsam,
insbesondere bei einer G-7-Präsidentschaft, auf dem
Treffen, auf dem alle führenden Staats- und Regierungschefs anwesend sind - Sie haben auch von einem vorbereitenden Treffen gesprochen -, auch selbst anwesend zu
sein, um das zu diskutieren?
Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Umweltagentur heute deutlich gemacht hat, dass die EU ihre
Klimaschutzziele für 2020 schon so gut wie erreicht hat
- nämlich 19,7 Prozent CO2-Einsparung -, frage ich:
Müsste es jetzt nicht einen neuen Aufschlag vonseiten
der Bundeskanzlerin und der EU geben, für den Ban-Kimoon-Gipfel noch einmal nachzubessern? Alles andere
würde ja bedeuten, dass man in den nächsten sechs Jahren keine weiteren Anstrengungen bei der Einsparung
von CO2-Emissionen unternehmen möchte, während andere Länder, wie gerade die USA, angekündigt haben, in
diesem Bereich weiter voranzuschreiten.
Die erste der beiden Fragen, die Sie gerade gestellt
haben, würde ich nicht anders beantworten als vorhin.
Deswegen erübrigt sich eine weitere Antwort.
Zu Ihrer zweiten Frage. Die Bundesregierung - allen
voran die Bundeskanzlerin und die Ministerin - hat immer deutlich gemacht, dass sie sehr ambitioniert an Klimaschutzziele herangeht. Es ist erfreulich, wenn wir auf
europäischer Ebene dem Ziel näher gekommen sind, als
dies bisher vermutet wurde. Aber das ist natürlich kein
Grund, nachzulassen. Wir müssen weiter ambitioniert
voranschreiten.
Frau Kollegin Baerbock, Ihre zweite Nachfrage.
Sie haben gerade gesagt: „weiter ambitioniert voranschreiten“. Werden Sie also noch einmal nachbessern
und neue Ziele vorlegen?
Sie haben die großartige Fähigkeit, aus Antworten
ganz komische Schlussfolgerungen zu ziehen.
({0})
Wir treten auf europäischer Ebene sehr stark dafür
ein, dass wir in Europa weiterkommen. Darüber haben
wir heute im Ausschuss gesprochen. Auf europäischer
Ebene stellt sich die Situation so dar, dass nicht alle
Staaten die Erreichung von ambitionierten Klimaschutzzielen in dem Maße verfolgen, wie wir das tun.
Auf internationaler Ebene, also über die europäische
Ebene hinaus, gibt es jetzt die positiven Signale aus den
USA. Nichtsdestotrotz sind wir insgesamt sehr weit von
dem Anspruch der Bundesregierung entfernt, das globale Klimaschutzziel zu erreichen. Deswegen werden
wir weiter dafür kämpfen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden und dass wir zu besseren internationalen Übereinkommen gelangen.
Frau Kollegin Lemke.
Herr Staatssekretär Pronold, da Sie meine Bedenken
nicht haben ausräumen können und da ich Ihnen wohlmeinend unterstelle, dass Sie es eigentlich für einen
Skandal halten, dass Frau Merkel nicht zum Klimagipfel
fährt, habe ich folgende Nachfrage: Wird das Bundesumweltministerium darauf drängen, dass im Bundeskanzleramt Überlegungen angestellt werden, die Planungen von Frau Merkel zu verändern und doch zum
Klimagipfel zu fahren?
Bei all meiner Wertschätzung für Frau Bundesumweltministerin Hendricks muss ich sagen: Sie ist nicht
die Bundeskanzlerin. Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin ambitionierter für Klimaschutz verhandeln
kann, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Präsident Obama anwesend sein wird. Werden Sie diesbezüglich tätig werden?
Da das Bundeskanzleramt vertreten ist, wird diese
Debatte das Bundeskanzleramt vermutlich erreichen.
Darüber hinaus handelt es sich um eine Frage, die vorhin
schon indirekt gestellt worden ist. Die Termingestaltung
ist die Entscheidung der Bundeskanzlerin. Selbstverständlich wird die Bundesregierung die Klimaschutzziele, die sie sich selber gesetzt hat, auch auf internationaler Ebene mit aller Macht verfolgen.
Schönen Dank.
Die Frage 24 der Kollegin Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Ministeriums
für Bildung und Forschung.
Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Höhn werden
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Fragen 27 und 28 der Kollegin Rößner werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung.
Die Frage 29 der Kollegin Kotting-Uhl wird ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Jan van Aken
auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den illegalen Reexport von Pistolen des Typs SP2022 des Herstellers
SIG Sauer aus den USA nach Kolumbien - bitte unter Angabe
des genauen Datums der Kenntnisnahme -, und was hat sie
seit Kenntnisnahme des Sachverhalts unternommen, um diesen aufzuklären?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter,
die Bundesregierung hat durch die öffentliche Berichterstattung und damit in Zusammenhang stehenden Pressemeldungen Kenntnis von dem Vorwurf der Lieferung
von Pistolen des Modells SP2022 des Hersteller SIG
Sauer nach Kolumbien erlangt. Der Vorwurf wiegt in unseren Augen schwer, und der Vorgang muss aufgeklärt
werden.
Der in den Medien dargestellte Sachverhalt wirft noch
zahlreiche Fragen auf. Deswegen müssen wir zunächst
den Sachverhalt klären. Dazu hat das Ministerium seine
nachgeordnete Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft
und Ausfuhrkontrolle, beauftragt, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend aufzuklären.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte
schön.
Vielen Dank. - Eigentlich ist die Zusatzfrage relativ
simpel. Heißt das, dass Sie während der Aufklärung
überhaupt keine Rüstungsexportgenehmigungen mehr
für die USA erteilen? Die Frage ergibt sich daraus, dass
das Bundeswirtschaftsministerium mir vor einigen Wochen auf eine Kleine Anfrage schriftlich geantwortet hat
- ich zitiere -:
Bei erwiesenen Verstößen gegen Endverbleibszusicherungen wird die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für den betreffenden Empfänger
- hier: USA grundsätzlich so lange ausgesetzt, bis der Sachverhalt geklärt und die Gefahr erneuter ungenehmigter
Reexporte ausgeräumt ist.
Wir haben hier erwiesene Verstöße gegen die Endverbleibszusicherung. Sie klären noch auf. Insofern wäre
die logische Konsequenz aus dem, was Sie mir geschrieben haben: erst einmal keine Genehmigungen mehr für
die USA.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gerade vorgetragen, dass der Sachverhalt, wie er in den Medien berichtet
wird, für uns noch zahlreiche Fragen aufwirft und mit
verschiedenen Unsicherheiten behaftet ist. Das betrifft
sowohl die Annahmen zu möglichen Lieferwegen als
auch die in Rede stehenden Stückzahlen der Pistolen, die
aus deutscher Produktion stammen sollen. Deswegen
kann ich Ihnen nicht sagen, dass tatsächlich ein solcher
Verstoß vorliegt. Ich habe Ihnen gerade gesagt und deutlich gemacht, dass wir noch nicht hundertprozentig wissen, ob ein solcher Verstoß vorliegt, und deshalb das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beauftragt haben, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Deswegen kann ich Ihre
Nachfrage nicht mit Ja beantworten, weil sie einen Sachverhalt unterstellt, der nicht gegeben ist.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Zypries, ich gestehe zu, dass es noch ganz viele
Fragen gibt. Die habe ich auch. Die möchte ich auch
gerne beantwortet haben. Sie wissen aber zwei Dinge
ganz sicher:
Erstens. Es gab - das haben Sie mir schriftlich gegeben - keine Exportgenehmigung für diese Pistole aus
Deutschland.
Zweitens. Diese Pistole ist jetzt in Kolumbien mit
dem Aufdruck „Made in Germany“; die Fotos haben Sie
gesehen. Das heißt, es ist ein erwiesener Verstoß. Insofern können Sie sich hier nicht herausreden. Wenn Sie
mir schriftlich mitteilen, dass bei erwiesenen Verstößen
bis zur Aufklärung des Sachverhaltes erst einmal ausgesetzt wird, dann ist doch jetzt der Moment, wo Sie aufhören müssten, Exportgenehmigungen für die USA zu
erteilen.
Herr Abgeordneter, es bleibt dabei, dass die Wege,
auf denen geliefert wurde, unserer Auffassung nach
nicht hundertprozentig geklärt sind. Deswegen teile ich
Ihre Schlussfolgerung nicht. Ich bitte Sie einfach, einen
Moment zuzuwarten. Dann können wir uns entweder
hier oder bei anderer Gelegenheit gerne wieder darüber
unterhalten.
Dann kommen wir zur Frage 31 des Kollegen Jan van
Aken:
Wurden seitens der Bundesregierung Genehmigungen für
den Export von Fertigungsunterlagen - Technologieunterlagen und Ähnliches - sowie von Komponenten für diese
Pistole in die USA erteilt, und, wenn ja, benötigen die USA
Reexportgenehmigungen für die auf Basis der Fertigungsunterlagen produzierten Pistolen sowie für alle Pistolen, die
mit den Komponenten gefertigt wurden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Genehmigungen für Rüstungsgüter und Rüstungstechnologie werden nur bei Vorliegen von Endverbleibserklärungen, die grundsätzlich ein Reexportverbot mit
Erlaubnisvorbehalt enthalten, erteilt.
Die Frage zielt im Übrigen auf die Offenlegung des
Inhalts von Ausfuhrgenehmigungen für ein konkretes
Unternehmen ab. Aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen kann die Bundesregierung dazu keine Auskunft erteilen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Zypries, das meinen Sie nicht ernst, oder? Sie
wissen - Sie waren selbst einmal im Bereich der Juristerei tätig -, dass es, wenn dort steht: „grundsätzlich nur
mit Reexportgenehmigung“, dann nicht heißt „immer“.
Deswegen habe ich konkret nachgefragt, ob es in diesem
einen konkreten Fall, in dem wir illegalerweise deutsche
Pistolen in Kolumbien finden, eine Reexportgenehmigungsverpflichtung für die Lizenzlieferung gab und ob
es überhaupt eine solche Lizenzvergabe gegeben hat.
Auf beides verweigern Sie jetzt die Antwort. Das können Sie nicht ernst meinen. Hier gibt es eigentlich eine
andere Praxis in Ihrem Hause.
Sehr verehrter Herr Abgeordneter, da muss ich Ihre
beiden Zusatzfragen mitnehmen und im Hause nachfragen. In meinen Unterlagen hier steht nichts dazu, und ich
weiß es schlicht nicht.
({0})
Gut, dann ist das so verabredet.
Wir kommen zur Frage 32 der Kollegin Heike
Hänsel:
Wie viele deutsche Pistolen des Typs SIG Sauer SP2022
wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter Bruch der
deutschen Exportrichtlinien nach Kolumbien geliefert oder
weitergeliefert, und von wem bzw. über welchen Weg gelangten die Waffen nach Erkenntnissen der Bundesregierung nach
Kolumbien ({0})?
Das Ministerium hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, also eine nachgeordnete Behörde, beauftragt - Sie
haben es eben wahrscheinlich schon bei der Beantwortung der Frage Ihres Kollegen mitbekommen -, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend
aufzuklären. Das ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen würde ich auch Sie bitten, insoweit zu warten, bis
die Ergebnisse vorliegen.
Gleichwohl haben Sie das Recht zu einer Nachfrage,
Frau Hänsel.
Danke. - Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage; denn diese Waffenexporte sind ja mit einer Endverbleibserklärung verbunden. Meine Frage: Wie prüfen
Sie den Endverbleib? - Offensichtlich sind hier Waffen
weitergeliefert worden; zumindest gab es Genehmigungen für die Ausfuhr der Waffen in die USA, und sie sind
dann in Kolumbien gelandet. Also: In welcher Form prüfen Sie denn eigentlich den Endverbleib von Waffen?
Wenn wir eine Genehmigung erteilen, dann prüfen
wir den Endverbleib anhand von Informationen, die wir
aus dem jeweiligen Land erhalten. Wenn es Zweifel gibt,
dass die Waffen beim Empfänger verbleiben, dann werden Ausfuhranträge abgelehnt. Aber wir können natürlich nicht, wenn wir Ausfuhren einmal genehmigt haben,
neben den Waffen stehen bleiben und gucken, was mit
ihnen passiert; das geht nicht. Wir müssen darauf vertrauen, dass die Zusicherung eingehalten wird. Wenn sie
nicht eingehalten wird, passiert genau das, was der Kollege van Aken eben zitiert hat: Dann werden keine neuen
Ausfuhrgenehmigungen mehr erteilt. Das heißt, die
Strafe, wenn Sie so wollen, folgt erst mit dem nächsten
Antrag. Wie sollten wir ansonsten in einem Land, in das
einmal exportiert wurde, etwas vollziehen?
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. - Mich würde des Weiteren interessieren: Wie
kann es denn sein, dass zum Beispiel Journalisten und
die Medien mehr über den Endverbleib von Waffen wissen als die Bundesregierung, die diese Waffenexporte
genehmigt? Wie erklären Sie sich das?
Ich weiß nicht, was Sie jetzt damit meinen. Es kann ja
nur so sein, dass irgendjemand einer bestimmten Waffe
hinterherrecherchiert. Das macht aber die Bundesregierung nicht, wie ich gerade gesagt habe. Wir vertrauen
darauf, dass sich unsere Vertragspartner vertragsehrlich
verhalten. Es gibt beim Export ja eine Auflage, und wir
gehen davon aus, dass sie eingehalten wird. Wenn nicht,
dann kann es eben nur Sanktionen geben; das ist wie
auch sonst manchmal im Leben.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege HansChristian Ströbele das Wort.
Frau Staatssekretärin, dazu habe ich dann doch eine
Zusatzfrage. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ das ist ein alter Grundsatz; Sie kennen ihn wahrscheinlich auch. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe keine Journalisten: Würden Sie - nicht Sie persönlich, sondern die
Bundesregierung oder die einschlägigen Stellen - dann
nie etwas davon erfahren, wenn sich ein Land nicht an
die Vertragsverpflichtungen hält?
Es können sich auch aus anderen Umständen solche
Erkenntnisse ergeben.
({0})
- Was weiß ich? Man kann sich aber auf alle Fälle andere Umstände vorstellen, unter denen man mitbekommt, dass bestimmte Waffen weitergeliefert wurden,
obwohl sie nicht weitergeliefert werden durften.
Kollege van Aken hat noch eine Nachfrage.
Gestatten Sie mir vor der Nachfrage einen kurzen
Kommentar: Natürlich kann man neben einer Waffe stehen bleiben; die Amerikaner tun das zum Beispiel. Es ist
absolut möglich - auch nach Abgabe einer Endverbleibserklärung -, noch Jahre später vor Ort zu kontrollieren, wo eine Waffe geblieben ist. Im Rahmen des sogenannten Blue-Lantern-Programms der Amerikaner
findet das regelmäßig statt. Sie haben sich politisch entschieden, das nicht zu tun. Das ist aber etwas ganz anderes, als zu sagen, man könne es nicht. Sie wollen es
nicht. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber sagen.
Ich habe eine weitere Frage zu dem ganzen Komplex:
Gibt es jetzt eigentlich Ermittlungen der Staatsanwaltschaft?
Das weiß ich nicht.
({0})
- Wir sind ja im Moment, wie ich Ihnen schon sagte, an
dem Punkt, dass das Bundesamt die Frage klärt, was da
eigentlich passiert ist, und den Sachverhalt ermittelt.
({1})
Man könnte selbstverständlich parallel dazu einen
Antrag bei der Staatsanwaltschaft stellen; das wäre sicherlich möglich. Es würde zwar nichts passieren, weil
die warten würde, bis das Bundesamt den Sachverhalt
richtig ermittelt hat, aber nichtsdestotrotz will ich gerne
klären, ob so etwas schon einmal gemacht wurde. Danke schön.
Ich rufe nun die Frage 33 der Kollegin Heike Hänsel
auf:
Gedenkt die Bundesregierung, vom US-Außenministerium eine Erklärung über die Nichteinhaltung der Endverbleibserklärung im Zusammenhang mit den ursprünglich an
die US-Armee gelieferten deutschen Waffen des Typs
SIG Sauer SP2022 und nach Kolumbien ohne Genehmigung
des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
({0}) gelangten Waffen zu verlangen, und hat die Bundesregierung die US-Armee folgerichtig nun von der Belieferung
mit weiteren Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen
Rüstungsgütern ausgeschlossen ({1})?
Frau Abgeordnete, wir wollen - wie ich das eben bereits mehrfach sagte - den Sachverhalt zunächst aufklären. Dann werden wir die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.
Ihre erste Nachfrage.
Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Ich habe also
jetzt gelernt, dass die Bundesregierung nicht sehr gut
über den Endverbleib von Waffen, für die sie die Exportgenehmigung erteilt hat, informiert ist. Es gibt viele
Maßnahmen, um solche Vorgänge zu kontrollieren. Es
könnte ein regelmäßiger Mechanismus eingeführt werden.
Nach Ihren Aussagen werden jetzt Nachforschungen
von der nachgeordneten Behörde eingeleitet. Meine konkrete Frage lautet: Wenn sich jetzt herausstellen sollte,
dass die Waffen von den USA weitergeliefert wurden,
wird die Schlussfolgerung dann sein, dass es keine Ausfuhrgenehmigungen mehr geben wird? Und wird es
Sanktionen gegenüber der US-Regierung geben?
Wenn der Sachverhalt aufgeklärt ist, dann werden wir
entscheiden, was wir tun. Genau so ist es.
Ihre zweite Frage.
Ich habe noch eine generelle Frage. Gibt es eigentlich
eine rechtliche Verpflichtung deutscher Rüstungsunternehmen, zu melden, wenn sie selbst Hinweise auf Zuwiderhandlungen in Bezug auf die Endverbleibserklärung
haben? Wie wird gegebenenfalls eine Unterlassung, also
wenn die Unternehmen dies nicht melden, sanktioniert?
Diese Frage kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten.
Die Frage müssen wir schriftlich beantworten.
Gut, das halten wir so fest. - Danke.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Inwieweit trifft es zu, dass der Bundessicherheitsrat in seiner Sitzung am 7. Mai 2014 nicht auf Widerstand des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, hin
({0}) „fast zwei Drittel Exportanträge“ für
Rüstungsgüter „abgelehnt“ hat, sondern die meisten und heiklen Exportbeschlussvorlagen lediglich von der Tagesordnung
abgesetzt hat mit der Folge, dass für Juni 2014 eine neuerliche
Sitzung vorgesehen ist und derzeit über 200 Vorlagen unbeschieden bewusst offengehalten werden ({1}), und wie wird die Bundesregierung die Genehmigungspraxis gestalten, wenn das
Bundesverfassungsgericht die derzeitige Praxis auf meine
Verfassungsklage hin beanstandet, und insbesondere die vom
Deutschen Bundestag am 8. Mai 2014 verlangte rasche Unterrichtung über Rüstungsexportentscheidungen über eine Änderung der Geschäftsordnung hinaus regeln?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Ströbele, Sie wissen ja, dass der Bundessicherheitsrat geheim tagt und dass der Deutsche Bundestag
über die abschließenden Genehmigungsentscheidungen
informiert wird. Das Kabinett hat dazu heute eine neue
Geschäftsordnung beschlossen, sodass der Deutsche
Bundestag künftig schneller informiert werden wird.
Wie Ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
ausgehen mag, darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren. Wenn uns die Entscheidung vorliegt, werden wir
uns selbstverständlich danach richten, soweit sich aus
dieser Entscheidung Verpflichtungen für die Bundesregierung ergeben sollten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke. - Ich habe in meiner Frage ja zitiert, dass „fast
zwei Drittel der Exportanträge“ für Rüstungsgüter „abgelehnt“ wurden. Können Sie sagen, ob darunter auch
Exportanträge gewesen sind, für die schon vorher eine
Genehmigung vorgelegen hat bzw. über die schon eine
Vorentscheidung getroffen wurde?
Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich keine
Auskünfte aus den Sitzungen des Bundessicherheitsrates
geben darf; jenseits der Tatsache, dass ich nicht dabei
war.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe noch eine allgemeine Frage, die Sie mir vermutlich auch nicht beantworten können. Ich habe heute
einen Brief vom Bundesverfassungsgericht bekommen,
in dem auf die Antwort der Bundesregierung auf eine
Frage des Kollegen van Aken Bezug genommen worden
ist. Darin heißt es, dass die Entscheidung der jeweiligen
Bundesregierungen aus den vergangenen Jahren angeblich für die spätere Lieferung, für die Endentscheidung
verbindlich sein sollen. Ist das zutreffend?
Ich verstehe die Frage nicht. Die Entscheidungen sollen verbindlich sein?
Es gibt ja eine Voranfrage, eine Genehmigung und
dann gibt es noch einmal - Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie:
Sie meinen, dass die Entscheidungen über die Voranfragen verbindlich sind?
Ja, die Vorentscheidungen.
Die Voranfragen haben natürlich eine Bindungswirkung, sonst gäbe es sie nicht. Sie sind selber Jurist und
wissen das deshalb eigentlich auch. Natürlich können sie
geändert werden, es sind ja nur Voranfragen. Sie können
dann geändert werden, wenn sich die Verhältnisse in
dem Land, in das exportiert werden soll, geändert haben
oder wenn Besorgnis besteht, dass dort Menschenrechtsverletzungen und Ähnliches begangen werden.
Dann wird das erneut überprüft.
({0})
- Nein.
Kollege Ströbele, ich bitte, jetzt nicht ins Zwiegespräch einzutreten, so spannend das auch sein mag.
({0})
Der Kollege van Aken hat die Möglichkeit zu einer
Zusatzfrage. Dann wird die Informationsübermittlung
hier sicherlich funktionieren.
Es ist richtig gemein, dass mir meine Frage als Zusatzfrage angerechnet wird; denn der Kollege Ströbele
hatte die Frage schon schriftlich gestellt.
Ich frage Sie jetzt noch einmal ganz einfach: Ist es
richtig, dass im Juni wieder eine Sitzung des Bundessicherheitsrates stattfindet? Heute Morgen hat das Kabinett neue Transparenzregeln für den Bundessicherheitsrat beschlossen. Heute Mittag haben wir eine Liste der
Entscheidungen des Bundessicherheitsrates erhalten. Es
gibt in Sachen Transparenz ja einen neuen Wind, so
schwach er auch sein mag; deswegen frage ich: Das Datum der nächsten Sitzung des Bundessicherheitsrates
dürfen Sie mir doch nennen?
Nein.
({0})
Bis jetzt war es Usus, dass man es nicht sagen darf. Fakt
ist wenigstens, dass ich es nicht sagen kann, weil ich es
nicht weiß.
Mit dieser Klarstellung sind wir am Ende der Fragen
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, die hier mündlich beantwortet werden.
Die Frage 35 des Kollegen Christian Kühn soll
schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 36 und 37
der Kollegin Dr. Julia Verlinden werden entsprechend
unseren Richtlinien schriftlich beantwortet. Für diejenigen auf den Besuchertribünen, die sich jetzt fragen, was
das heißt, sage ich: Der Gegenstand dieser Fragen ist
noch Gegenstand von Debatten in dieser Sitzungswoche
des Bundestages. Deshalb werden sie in der Fragestunde
nicht beantwortet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen viel
Erfolg für all Ihre Vorhaben am heutigen Tag.