Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund auf Drucksache 18/2848 dem
Haushaltsausschuss zur Mitberatung zu überweisen.
Darüber hinaus sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu Stellungnahmen des Bundesrates und
Gegenäußerungen der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3000 und 18/3004 zu den bereits überwiesenen
Gesetzentwürfen zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes bzw. zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf den Drucksachen 18/2581 und 18/2592 an die
entsprechenden federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes - Ausweitung der Lkw-Maut.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Herr Alexander Dobrindt. - Bitte schön, Herr
Minister.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nicht nur in Deutschland,
sondern an vielen Stellen in Europa Diskussionen darüber, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum
unserer Wirtschaft und Arbeitsplätze in Zukunft verstetigen können. Eine der Grundlagen dafür ist immer Zustand, Qualität und Ausbau der Infrastruktur.
Deswegen hat sich die Bundesregierung zu Fragen
der Infrastrukturfinanzierung in der Vergangenheit immer dahin gehend geäußert, dass wir einen Investitionshochlauf organisieren werden, der die Chance bietet,
mehr Geld in Infrastruktur zu investieren. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Hochlaufs ist das 5-MilliardenEuro-Paket, das in dieser Wahlperiode einen Hochlauf
der Investitionen um 500 Millionen Euro mehr in diesem
Jahr, 1 Milliarde Euro mehr im nächsten Jahr usw. vorsieht, bis dann im Jahre 2017 in der Gesamtsumme der
Investitionen ein Spitzenwert von 12 Milliarden Euro erreicht werden kann.
Wir begleiten diesen Investitionshochlauf unter anderem mit der stärkeren Nutzerfinanzierung. Ein Teil dieser Nutzerfinanzierung ist die Lkw-Maut. Sie wissen,
dass gerade der Güterverkehr in den nächsten Jahren
weiter massiv ansteigen wird: auf der Straße, auf der
Schiene und auf den Wasserwegen. Wir werden in den
nächsten 15 Jahren auf der Straße einen Zuwachs von
40 Prozent beim Güterverkehr zu verzeichnen haben.
Das zeigt auch schon die Herausforderungen: erstens für
die Belastung der Straßen und zweitens für Unterhalt,
Reparatur und auch Neubau von Straßen.
Wir haben im Rahmen der Beratungen des Entwurfs
eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes heute beschlossen, dass wir im
nächsten Jahr die Verbreiterung und Vertiefung der LkwMaut vornehmen werden. Verbreiterung und Vertiefung
heißt, dass zum 1. Juli die vierspurigen Bundesstraßen in
das Mautsystem und zum 1. Oktober 2015 die LkwKlasse von 7,5 bis 12 Tonnen in das Mautsystem einbezogen werden.
Zusammen werden diese beiden Maßnahmen in einem ganzen Jahr Mehreinnahmen in Höhe von 380 Millionen Euro erbringen. Im Startjahr, dem Rumpfjahr
2015, werden es in der Summe circa 115 Millionen Euro
sein. Das ist klar, weil wir erst Mitte bis Ende des Jahres,
also zum 1. Juli bzw. zum 1. Oktober, starten können.
Langfristig stärkt das unsere Möglichkeiten zu mehr Investitionen in unsere Straßeninfrastruktur. Perspektivisch planen wir, die Lkw-Maut im Jahr 2018 auf alle
Bundesstraßen auszudehnen. Das Finanzvolumen wird
durch ein entsprechendes Wegekostengutachten ermittelt
werden. Dieses Gutachten wird perspektivisch bereits
vorbereitet.
Wenn wir das Ziel, die Einbeziehung von Lkws mit
7,5 Tonnen bis 12 Tonnen und von vierspurigen Bundesstraßen, erreicht haben, werden wir einen wesentlichen
Teil der Investitionslücke schließen können, die gemäß
dem Wegekostengutachten aufgrund von Mindereinnahmen bei der bisherigen Lkw-Maut entstanden ist. Diese
gehen auf einen Zinseffekt zurück: Zinsvorteile aufgrund der geringen Zinsen, die zurzeit herrschen, müssen nämlich an die Nutzer der Straße weitergegeben
werden. Straße ist letztlich gebundenes Kapital und wird
zumindest nach der bisherigen Lesart auch mit Zinsen
versehen. Ich habe in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass ich mir im Sinne einer langfristigen und
verlässlichen Finanzierungsstruktur wünschen würde,
dass der Zinseffekt bei der Berechnung der Mautgebühren nicht so durchschlägt. Wir sind deswegen in Brüssel
initiativ geworden. Wir wollen gemeinsam mit den Kollegen der Kommission dafür sorgen, dass bei zukünftigen Wegekostengutachten, die ja die Grundlage für
Mautgebühren sind, der Zinseffekt geringer ausfällt und
dadurch mehr Verlässlichkeit bei den Einnahmen und
damit für die Finanzierung der Infrastruktur sichergestellt werden kann.
In der jetzigen Wahlperiode helfen uns die gerade dargestellten Maßnahmen, die entstandene Lücke zu schließen. Wir werden sie auch überkompensieren. Das heißt,
am Schluss wird von den Einnahmen, die wir über Verbreiterung und Vertiefung erreichen, auch zusätzliches
Geld für Investitionen in die Infrastruktur übrig bleiben.
Das sind also Maßnahmen, die auf dem Weg zur stärkeren Nutzerfinanzierung einen weiteren Meilenstein darstellen und umgehend, das heißt schon im nächsten Jahr,
haushaltswirksam werden können.
Ich freue mich, dass dies allgemein sehr positiv aufgenommen wird. Es ebnet uns den Weg zur Hereinnahme aller Bundesstraßen in die Lkw-Maut 2018 und
damit zu einer noch stärkeren Nutzerfinanzierung.
Danke schön.
Wir haben eine ganze Reihe von Fragen. Ich lese die
Fragesteller vor, damit sich jeder geistig darauf einstellen kann: Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, Herr
Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Behrens, Fraktion
Die Linke, Herr Bilger, CDU/CSU-Fraktion, Frau
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, und Frau Leidig, Fraktion Die Linke.
Ich gebe jetzt Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister
Dobrindt, Sie haben eben gesagt, Sie wollen im Rahmen
der Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut auf
7,5 Tonnen heruntergehen. Hier klafft aber noch eine
Lücke zu Ihrem Referentenentwurf, der letzte Woche auf
der Pressekonferenz zum Thema „Pkw-Maut“ bekannt
geworden ist; da hat man dies vernehmen können. Es
gibt jetzt die schöne Lücke zwischen 3,5 Tonnen und
7,5 Tonnen. Aus welchem Grund nehmen Sie eigentlich
diese Fahrzeuge - mit Ausnahme der Wohnmobile aus? Was steckt dahinter? Ich kann das irgendwie nicht
nachvollziehen. Auch solche Fahrzeuge nutzen doch die
Straßen und nutzen sie in irgendeiner Weise ab.
({0})
Herr Minister.
Verzeihung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass
Frau Wilms schon fertig ist. - Liebe Frau Wilms, wenn
Sie sich den Gesetzentwurf, wie wir ihn heute im Kabinett beschlossen haben, anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass da ein Prüfauftrag formuliert worden ist,
nämlich zu prüfen, wie und ob - wahrscheinlich eher:
wie - man die Klasse von Fahrzeugen zwischen 3,5 und
7,5 Tonnen in ein Mautsystem miteinbeziehen kann. Das
war auch ausdrücklicher Wunsch von beteiligten Ressorts.
Ich teile nicht hundertprozentig Ihre Einschätzung,
dass es eine Lücke gibt. Wir haben vielmehr zwei Systeme, die nebeneinander existieren: zum einen das System der Güterverkehre, das von den Lkws abgebildet
wird, zum anderen das System der Personenverkehre,
das von den Pkws abgebildet wird. Sie existieren nebeneinander und unterliegen daher sehr unterschiedlichen
Regelungen. Sie wissen: In der Eurovignetten-Richtlinie, also dem europäischen Regelwerk, sind Regelungen
für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen aufwärts formuliert - nicht
darunter.
Es gibt aktuell keine Überlegungen im Haus, was die
Bemautung der 3,5- bis 7,5-Tonner betrifft; aber im Gesetzentwurf ist ein diesbezüglicher Prüfauftrag deutlich
formuliert. Der Prüfauftrag wird auch umgesetzt werden.
Von daher kann man davon ausgehen, dass wir uns in naher Zukunft mit dieser Frage beschäftigen müssen. Das
wird allerdings nicht mehr in diesem Jahr sein. Ergebnisse einer Prüfung kann ich - da bitte ich um Verständnis - beim besten Willen nicht vorwegnehmen.
Nächste Frage: Herr Abgeordneter Gastel, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich habe eine Frage, die
sich auf einen datenschutzrechtlichen Vergleich zwischen der bestehenden Lkw-Maut und Ihrer geplanten
Pkw-Maut bezieht. Sie planen ja, die Daten bei der PkwMaut einen Monat länger, als das jeweils abgelaufene
Jahr dauert, zu speichern. Was ist da der Hintergrund?
Planen Sie ein ähnliches Vorgehen, eine entsprechende
Änderung auch im Bereich der Lkw-Maut, wo die Daten
ja bisher sofort wieder gelöscht werden?
Herr Minister.
Lieber Kollege Gastel, wir haben die Regelungen
zum Datenschutz, die wir aus dem Bereich der LkwMaut kennen - es sind die schärfsten Datenschutzregelungen, die bisher in einem Gesetz zu finden sind -, gerade was die ausschließliche Verwendung dieser Daten
für das Mautsystem und den Ausschluss der Verwendung der Daten für andere Zwecke - sprich: auch durch
andere Behörden - anbelangt, in unseren Gesetzentwurf
zur Infrastrukturabgabe, der sogenannten Pkw-Maut,
übernommen. Das heißt - ich habe auch dies schon öffentlich formuliert -, dass wir ausdrücklich widersprechen, dass die Daten einer anderen Nutzung zugeführt
werden.
({0})
Dass dies passiert, ist sogar explizit ausgeschlossen.
Die Kontrolldaten, die wir erheben, werden grundsätzlich unverzüglich gelöscht. Das ist im Gesetz so vorgesehen. Bei der erstmaligen Kontrolle innerhalb des
Gültigkeitszeitraumes einer Jahresvignette werden das
Kennzeichen und der Tag der Kontrolle festgehalten,
wobei die Aufbewahrungszeit je nach Zeitpunkt der
Kontrolle innerhalb des Zeitraums der Gültigkeit einer
Jahresvignette 1 Monat bis maximal 13 Monate betragen
kann. Es geht dabei darum, dass wir uns für Härtefälle
eine Erstattung auf Antrag vorstellen können, wenn
nachgewiesen wird, dass ein Kraftfahrzeug im gesamten
Entrichtungszeitraum nicht genutzt worden ist. Um jedoch ungerechtfertigten Erstattungen vorzubeugen, ist
vorgesehen, dass einmalig innerhalb der Gültigkeit der
Jahresvignette das Kennzeichen und der Tag der Kontrolle des Kfz mit einer Jahresvignette gespeichert werden können.
Es geht dabei um die einmalige Feststellung der Nutzung des Netzes innerhalb des Gültigkeitszeitraums einer Jahresvignette. Die Feststellung findet ausschließlich
über das Kennzeichen und den Tag der Nutzung statt.
Eine Verwendung dieser Daten ist ausschließlich für den
Zweck der Erstattung vorgesehen. Eine Übermittlung
oder Beschlagnahme dieser Daten für andere Zwecke ist
nicht zulässig.
({1})
Von daher sehen Sie, worum es an dieser Stelle geht,
nämlich darum, einmalig festzuhalten, ob ein Befahren
des Netzes stattgefunden hat. Grund dafür ist, Erstattungen oder Erstattungsanfragen möglich zu machen bzw.
unberechtigte Anfragen entsprechend zu beantworten.
Schönen Dank. - Ich bin von der Fraktion Die Linke
darauf hingewiesen worden, dass die Abgeordneten und
die Regierungsmitglieder bitte die Redezeitampel beachten. Die Frage war allerdings so komplex, dass eine ausführliche Antwort aus meiner Sicht für das Haus wichtig
war.
({0})
Herr Kollege Behrens von der Fraktion Die Linke
stellt die nächste Frage.
Herr Minister, ich würde mich über eine kurze, aber
hoffentlich inhaltsreiche Antwort freuen. - Sie stellen
jetzt einen von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf vor, in
dem es um die Frage der Ausweitung der Maut für Lkw
geht. Dieses Thema ist nicht neu. Wir haben bereits im
letzten Jahr darüber gesprochen, dass es eigentlich notwendig ist, weitere Straßen mit einer Lkw-Maut zu belegen. Zum damaligen Zeitpunkt war das angeblich aus
technischen Gründen nicht möglich. Das Argument ist
jetzt aufgehoben.
Aber auch in der zweiten Runde sind es nicht mehr
als 1 000 Kilometer Bundesstraßen, die zusätzlich in die
Bemautung einbezogen werden können. Das ist eindeutig zu wenig, weil dahinter nicht nur steht, dass wir mehr
Geld für das Verkehrssystem brauchen, sondern wir auch
eine verkehrspolitische Maßnahme damit verbinden
wollen, nämlich eine Lenkungswirkung erzielen wollen.
Darum sind die Anforderungen an eine Maut einfach andere als die bloße Überlegung, ob wir damit genug Geld
hereinbekommen oder nicht.
Die Zeitspanne der Verbändeanhörung - nun zu meiner Frage - war sehr kurz bemessen. Der Bundesverband
Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung hat das angemahnt. Warum ist die Frist für die Verbändeanhörung
so kurz gewesen? Wie viele Stellungnahmen gab es?
Welche dieser Stellungnahmen haben Sie in Ihrem neuen
Entwurf eingebaut?
Das waren jetzt schon drei Fragen und damit eigentlich zwei mehr, als die Geschäftsordnung vorsieht. Deswegen braucht der Minister auch die Zeit, sie zu beantworten. - Bitte, Herr Minister.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Behrens,
bemängeln Sie zwar, dass die Entscheidung zur Bemautung der vierspurigen Bundesstraßen zu spät getroffen
worden sei, aber Sie begrüßen, dass sie kommt.
({0})
- Bitte? Der Schritt ist gut?
({1})
Die von Ihnen angesprochenen 1 000 Kilometer sind
tatsächlich 1 100 Kilometer. Das heißt, dass alle vierspurigen Bundesstraßen, die an Autobahnen angebunden
sind, in das Mautsystem aufgenommen werden. Das ist
dann letztlich ein flächendeckendes Netz von Autobahnen und vierspurigen Bundesstraßen.
In der Tat gab es in vergangenen Zeiten offensichtlich
technische Fragen, die aber auf dem Weg bis hierhin geklärt werden konnten, sodass dies jetzt möglich ist.
Des Weiteren wissen Sie, dass wir einen Betreibervertrag haben. Dieser Betreibervertrag ist eindeutig und
lässt zu, dass wir ihn um diese beiden Maßnahmen
erweitern. Eine Bemautung von allen Bundesstraßen
braucht deutlich längere Vorbereitungen, weil sie erstens
technisch kompliziert ist - sie muss aufgebaut werden und zweitens auch inhaltlich kompliziert ist. Eine Vergabe an ein bestehendes System halte ich nicht für möglich; vielmehr müssen wir, bevor wir alle Bundesstraßen
bemauten, dafür sorgen, dass auch die Frage, wer dies
durchführt, vorbereitet und geregelt wird. Hier unterliegen wir auch den europarechtlichen Rahmenbedingungen.
Wir haben innerhalb der Frist in der Tat Stellungnahmen erhalten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Stellungnahmen eingegangen sind, aber ich reiche das gerne
nach, wenn dies für Sie von besonderem Interesse ist.
Ich stelle fest, dass die allgemeine Zustimmung zu
unserer Entscheidung für diese Entscheidung groß ist,
vor allem, weil jeder weiß, dass die Einnahmen, die wir
durch die Maßnahmen erzielen, direkt wieder in die Infrastruktur investiert werden. Alle Beteiligten, auch beteiligte Verbände, profitieren davon, dass wir eine stabile
Infrastruktur haben.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Herr Kollege Bilger von der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben dargestellt, wie Sie sich den Weg hin zu einer Erhöhung der Einnahmen für die Infrastruktur vorstellen. Wie
hoch schätzen Sie denn den nötigen Bedarf, wenn wir
den Rückstau beim Erhalt aufholen, aber auch die fehlenden Mittel für den nötigen Ausbau aufbringen wollen? Wie ist sichergestellt, dass die durch die Ausweitung der Lkw-Maut und die durch die Einführung der
Pkw-Maut eingenommenen Mittel dann auch tatsächlich
für die Infrastruktur zur Verfügung stehen?
Sehr geehrter Kollege Bilger, wir wissen, dass es in
der Vergangenheit eine ganze Reihe von Kommissionen
gegeben hat, die versucht haben, den nötigen Mittelbedarf zu spezifizieren. Die Daehre/Bodewig-Kommission als letzte Kommission, die darüber getagt hat, hat
einen jährlichen Mehrbedarf von 7,5 Milliarden Euro beziffert, der allerdings Bund, Länder und Kommunen erfasst, sodass wohl von einem ungefähren Mehrbedarf
beim Bund von 3,5 bis 4 Milliarden Euro auszugehen ist.
Wir haben einen Investitionshochlauf vorgezeichnet.
Innerhalb des Zeitraums, den die Daehre/Bodewig-Kommission vorsieht, nämlich über das Jahr 2018 hinaus, soll
der entsprechende Finanzierungsbedarf gedeckt werden.
Durch die Schritte hin zu einer Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut, insbesondere ab 2018 die Ausweitung auf alle Bundesstraßen, durch die Einführung der
Pkw-Maut, sprich: der Infrastrukturabgabe, durch ÖPPModelle, das heißt durch neue öffentlich-private Partnerschaften, durch eine Verstetigung der Investitionsmittel
aus dem Haushalt und durch eine klare Priorisierung und
das Bekenntnis „Erhalt vor Neubau“, was wir durch unser Brückenmodernisierungsprogramm deutlich unterstrichen haben, werden wir die notwendigen Investitionen für die Zukunft, wie sie auch von der Daehre/
Bodewig-Kommission vorgeschlagen worden sind, sicherstellen.
Danke schön. - Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Frau Kollegin Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie
sprachen gerade im Rahmen der zusätzlichen Vorschläge
zur Lkw-Maut von einem Investitionshochlauf. Ich
glaube, wir können hier eher von einem Fliegenschiss
reden. Wir sprechen bei Ihren Änderungen bei der LkwMaut, die ja unzureichend ist im Hinblick auf die Nichterfassung von Fahrzeugen mit einem Gewicht von 3,5
bis 7,5 Tonnen, von einer zusätzlichen Erfassung auf
1 100 Kilometern. Angesichts der Tatsache, dass wir
40 000 Kilometer Bundesstraßen haben, fragen wir uns
als Grüne schon, weshalb Sie ein so kleinteiliges Konzeptchen so groß feiern.
Liebe Frau Haßelmann, wenn ich die Diskussionen
der letzten Tage auch in den Medien richtig verfolgt
habe, würde ich mich an Ihrer Stelle an noch mehr Punkten fragen; ich denke da an Äußerungen, die von maßgeblichen Personen aus Ihrer Partei zu diesem ganzen
Thema zu lesen waren.
Wir haben aufgenommen, dass viele Beteiligte eine
Unterfinanzierung im Investitionsbereich beklagt haben, und wir haben einen Lösungsansatz erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Paketlösung, mit der wir
- das habe ich gerade schon in meiner Antwort auf die
Frage des Kollegen Bilger gesagt - die von der Daehre/
Bodewig-Kommission formulierte Lücke füllen können.
({0})
Ein Teil dieser Paketlösung befindet sich in dem vorgelegten Gesetzentwurf: 380 Millionen Euro MehreinBundesminister Alexander Dobrindt
nahmen pro Jahr. Dass Sie 380 Millionen Euro Mehreinnahmen pro Jahr als irrelevant bezeichnet haben - ({1})
- Ich habe „irrelevant“ verstanden. - Dass Sie das als irrelevant bezeichnet haben, kann ich nicht nachvollziehen. Für die meisten Menschen in diesem Land sind
380 Millionen Euro immer noch relativ viel Geld. Für
mich auch, und für das Bundesverkehrsministerium
auch.
({2})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Herr Minister, Sie haben kundgetan,
dass Sie die Mauterhebungslücke bei Lkws mit 3,5 bis
7,5 Tonnen zunächst nicht schließen wollen, sondern einen Prüfauftrag in den Gesetzentwurf haben schreiben
lassen. Es gibt das Wegekostengutachten, in dem die den
verschiedenen Fahrzeugklassen anzulastenden Wegekosten stehen. Sie können mir jetzt sicherlich erklären,
wie hoch die Einnahmen wären, die der Bund zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verwenden könnte,
wenn man Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen in
die Bemautung einbeziehen würde.
Sehr geehrter Herr Kühn, nein, diese Frage kann man
nicht beantworten, und zwar aus dem einfachen Grund,
dass es keine Vorschrift gibt, wie die Klasse von 3,5 bis
7,5 Tonnen zu bemauten ist.
({0})
Wenn Sie eine Antwort auf diese Frage haben wollen,
müssen Sie erst einmal festlegen, in welchem System
und mit welchen Bedingungen Sie die Maut für diese
Klasse ausgestalten wollen. Wenn Sie das formuliert haben, dann können Sie am Ende einen Betrag errechnen.
Ohne eine klare Formulierung, mit welchem Mautsystem man diese Klasse bemauten will, ist kein Euro-Betrag zu ermitteln.
({1})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Krischer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Sie wollen hier jetzt die Botschaft vermitteln, dass Sie die Lkw-Maut ausweiten. Vor einigen
Wochen haben wir hier die Senkung der Lkw-Maut beschlossen. Wenn ich die Zahlen richtig zusammenbringe,
ist das ein Nullsummenspiel. Das kennen wir schon von
der Pkw-Maut. Das Nullsummenspiel ist, glaube ich, typisch für Sie.
Sie haben viel über Verbreitung und Vertiefung gesprochen. Ja, die Einschätzung teile ich: In Deutschland
verbreiten und vertiefen sich die Schlaglöcher. Das ist
auch Folge der Politik der vergangenen Jahre, die von
Ihnen fortgesetzt wird.
Es gibt viele Studien und Untersuchungen - auch das
Wegekostengutachten liefert Anhaltspunkte dafür -, in
denen festgestellt wird, dass weit über 90 Prozent - manche sprechen sogar von 98 Prozent - der Schäden im
Bereich unserer Straßeninfrastruktur - Brücken und Belag - von Lkws verursacht werden, dass die Pkws hinsichtlich des Verschleißes also nur eine marginale Rolle
spielen. Meine Frage ist: Wie soll nach Ihrer Vorstellung
sichergestellt werden, dass die Lkws in Zukunft verursachergerecht zum Erhalt der Straßeninfrastruktur beitragen? Durch eine Ausweitung der Lkw-Maut auf weitere
1 000 Kilometer gegenüber dem heutigen Stand scheint
dies nicht möglich zu sein.
Herr Minister.
In den letzten Tagen gab es gerade auch von Ihnen
Meldungen, dass Sie eine Verstetigung, Verbreiterung,
Vertiefung, Ausweitung der Lkw-Maut befürworten. Das
sei das richtige Konzept. Die Bundesregierung hat heute
beschlossen, die Lkw-Maut auszuweiten - nicht unbedingt in Erfüllung Ihrer Aufforderung, vielmehr aus eigenem Antrieb, weil wir es für notwendig erachten, die
Nutzerfinanzierung konsequenter umzusetzen. Deswegen habe ich heute auch sehr deutlich formuliert, dass
wir alle Vorbereitungen dazu treffen, die Lkw-Maut im
Jahr 2018 auf alle Bundesstraßen anzuwenden. Diesen
Schritt fordern, glaube ich, auch Sie. Auch diesen Schritt
gehen wir, und zwar nicht, um Ihrer Forderung nachzukommen, sondern weil wir es für dringend geboten halten, die Nutzerfinanzierung hier zu stärken.
({0})
- Nein. Es ist in der Tat einige Zeit Vorbereitung notwendig, damit es auf 40 000 Kilometern Straße funktionieren kann.
Wir erheben bisher Lkw-Maut auf 13 000 Kilometern
Autobahnen. Jetzt kommen 1 100 Kilometer vierspurige
Bundesstraßen dazu; 1 200 Kilometer vierspurige Bun5736
desstraßen sind bereits im System enthalten. Wir wollen
dann auf 40 000 Kilometern Mautgebühr erheben, so
wie wir es heute für die genannten Straßen umgesetzt haben. Es ist bekannt, dass entsprechende Vorbereitungen
notwendig sind. Sie werden innerhalb dieses Zeitraums
möglich sein. Dadurch wird dann nutzerfinanziert ein erheblicher Mehrbeitrag für Investitionen zur Verfügung
stehen. Dies ist auch richtig, weil die Lkws in der Tat zu
einem erheblichen Teil die Belastung der Straße ausmachen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau
Leidig, Fraktion Die Linke.
Ich möchte gerne zwei kurze Fragen stellen. Die erste
Frage bezieht sich auf die Antwort, die Sie Herrn
Behrens gegeben haben. Ich möchte fragen, ob ich es
richtig verstanden habe - auch in der jetzigen Antwort -,
dass Sie im Grunde perspektivisch das Ziel verfolgen,
alle Straßen für Lkws zu bemauten.
({0})
Außerdem möchte ich fragen, ob dieser Plan derzeit daran scheitert, dass das Erfassungssystem, sprich Toll
Collect, dafür nicht geeignet ist.
Herr Minister.
Liebe Kollegin Leidig, Sie haben beides falsch verstanden.
({0})
Ich will die Lkw-Maut nicht auf allen Straßen in
Deutschland einführen, sondern auf den Bundesstraßen
in Deutschland im Jahr 2018. Die Tatsache, dass jetzt
keine Ausweitung über das System von Toll Collect
möglich ist, liegt nicht daran, dass das System das nicht
kann, sondern es liegt daran, dass es sich um eine Größenordnung handelt, bei der die Vergabe nach europäischen Vorschriften organisiert werden muss. Deswegen
kann dies von uns nicht einfach direkt zur Bemautung an
ein existierendes Unternehmen gegeben werden, das
dann die Mauteinnahmen generieren würde. Das Generieren der Mauteinnahmen in einem großen System von
40 000 Kilometern ist unter europäischen Vergaberechtsbedingungen auszuschreiben.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich will
den „Fliegenschiss“ einmal ein bisschen definieren. Sie
haben uns vorhin gesagt, dass Sie mit 40 Prozent Zuwachs beim Güterverkehr rechnen. Sie haben uns vorgerechnet, dass die jetzt bei der Lkw-Maut beabsichtigten
Reformen 380 Millionen Euro einbringen sollen. Bisher
bringt die Maut, glaube ich, mindestens 4 Milliarden
Euro ein. 380 Millionen Euro sind also nur ein relativ
geringer Teil davon. Schon heute - das hat Kollege
Krischer gerade ausgeführt -, also ohne 40-prozentigen
Zuwachs, verursachen die Lkws 90 Prozent der Straßenschäden. Jetzt machen Sie mir bitte einmal die Rechnung
auf, wie diese 380 Millionen Euro angesichts der Dimensionen, über die wir reden - die Lücke beträgt
7,5 Milliarden Euro -, etwas anderes sind als ein Fliegenschiss.
Herr Minister.
Liebe Frau Kotting-Uhl, offensichtlich tun Sie sich
schwer, ein Paket zu beschreiben, das aus vielerlei Maßnahmen besteht und in der Gesamtsumme zu einem erheblichen Mehr an Investitionen führt.
({0})
Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie sich aus ideologischen Gründen etwas dagegen wehren, dass wir mehr
Geld in die Straße investieren wollen.
({1})
Aber es ist trotzdem unsere Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass der Güter- und Personenverkehr auch auf der Straße
weiterhin stattfinden kann.
Wenn man die Zahlen nimmt, die Sie gerade beschrieben haben ({2})
die heutige Summe und das, was wir durch Verbreiterung und Vertiefung schaffen -, dann heißt das, dass man
im Bereich der Lkw-Maut nahezu 10 Prozent mehr zur
Verfügung hat. Ein Anwachsen um 10 Prozent ist für
mich ein relevantes Anwachsen.
({3})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Herr Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Minister, Sie sind vorhin schon auf die Frage des
Kollegen Gastel eingegangen. In der Presse haben Sie
sich noch viel eindeutiger geäußert. Sie haben den Bürgern nämlich versprochen:
Die Mautdaten werden ausschließlich für die Mautentrichtung aufgenommen und unter keinen Umständen
- unter keinen Umständen! anderen Zwecken zur Verfügung gestellt, auch
nicht dem Bundeskriminalamt oder anderen Sicherheitsbehörden.
Aus dem Bundeskriminalamt kam prompt die Forderung, genau dies solle erfolgen.
({0})
Wenn das unter keinen Umständen geschehen soll, wie
Sie sagen, wie wollen Sie dann gesetzlich verhindern,
dass ein künftiger Gesetzgeber durch einen neuen Gesetzesbeschluss
({1})
nach einer schlimmen Kriminaltat beschließt, dass die
Daten den Sicherheitsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen zur Bekämpfung schwerster Kriminalität
zugänglich gemacht werden?
({2})
Ich meine, eine Technologie, die nicht von Anfang an
auf Datenarmut zielt, ist kein guter Datenschutz. Deshalb frage ich Sie: Mit welchen gesetzgeberischen Kniffen wollen Sie in der Verfassung verhindern - wollen Sie
es zum Beispiel mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag
und Bundesrat im Gesetz absichern? -,
({3})
dass mit einfacher Mehrheit eine neue Mehrheit hier in
diesem Hohen Hause genau das Gegenteil von dem beschließt, was Sie allen Bürgerinnen und Bürgern hier so
vollmundig garantieren wollen?
({4})
Herr Minister.
Erstens. Das Zitat ist richtig und bleibt richtig.
({0})
Zweitens. Das ist schon ein erhöhtes Maß an Heuchelei vor dem Hintergrund,
({1})
dass Ihre Fraktion und Ihre Partei jetzt Woche für Woche
nach einer intelligenten Maut schreien,
({2})
die verkehrslenkend wirken
({3})
und deswegen nach Tagen und Tageszeiten unterscheiden und in einzelnen Regionen unterschiedlich bemauten soll.
({4})
- Sie haben verkündet, dass Sie die Autofahrer - je
nachdem, wo der einzelne Autofahrer sich zu welcher
Tageszeit gerade befindet - unterschiedlich bemauten
wollen.
({5})
Das sichert das absolute Profil eines Autofahrers.
({6})
Derjenige, der das fordert, fragt jetzt bei mir nach: Wie
können Sie das für die nächsten 100 Jahre sicherstellen? Ich stelle das im Gesetz sicher, und Gesetze gelten, Herr
Beck.
({7})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Hartmann,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Minister, auf den Ausgangspunkt
der Befragung zurückkommend, möchte ich auf das
Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes eingehen und vor allen Dingen Ihren Bericht
aufgreifen. Vielen Dank auch für Ihre Klarstellung im
Hinblick auf den Weg, der, glaube ich, auch im Koalitionsvertrag aufgezeigt worden ist, was die Ausweitung
und die Verbreitung der Maut angeht.
Sie haben in Ihrem Bericht auf die Rolle Europas und
die der EU-Kommission hingewiesen. In dem Entwurf
ist auch enthalten, dass die Kosten für Luftschadstoffe
entsprechend angelastet werden können. Nun gab es ja
den Hinweis, dass man bestimmte Einnahmen einer be5738
stimmten Kategorie nur in geringem Maße als wirklich
relevant bezeichnet. Wie würde es sich denn auswirken,
wenn die Kosten für Luftschadstoffe vollumfänglich angelastet würden? Haben Sie jenseits des Themas der
Zins- und Kapitalkosten auch in dieser Richtung noch
Gespräche geführt? Welche Möglichkeiten gäbe es,
wenn die EU-Kommission uns dort entgegenkäme?
Herr Minister.
Sehr geehrter Herr Hartmann, unser Ziel ist es, dafür
zu sorgen, dass die Kosten für Luftschadstoffe mit angelastet werden. Dies ist theoretisch auch möglich. Allerdings muss der explizite Nachweis geführt werden, wie
hoch die Schadstoffbelastung im Laufe einer Strecke ist.
Dazu müssten erhebliche Messungen durchgeführt werden. Diese Möglichkeit steht uns zurzeit nicht auf der
gesamten bemauteten Strecke zur Verfügung.
Unser Ziel ist es, dass diese Daten in naher Zukunft
zur Verfügung stehen, damit wir bei der nächsten Änderung der Mautsätze die Kosten für die Luftschadstoffe
mit einbeziehen und relevant machen können in dem
Sinne, dass der Nutzer, der verstärkt Luftschadstoffe
emittiert, deutlich mehr belastet wird als der Nutzer, der
dies in geringerem Maße tut.
Schönen Dank. - Wir haben zwar das Ende der für die
Regierungsbefragung vereinbarten Zeit erreicht, aber ich
lasse die mir vorliegenden vier weiteren Fragen noch zu
und ziehe dann einen Strich darunter. Zu Wort gemeldet
haben sich noch Frau Dr. Wilms von Bündnis 90/Die
Grünen, Herr Behrens von den Linken, Herr Kühn von
Bündnis 90/Die Grünen und Herr Krischer von Bündnis 90/Die Grünen.
Sind Sie einverstanden, dass wir dann die Befragung
der Bundesregierung beenden? - Dann machen wir das
so.
Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich
komme noch einmal zurück auf unser Lieblingsthema
Toll Collect, also auf das System, mit dem zurzeit die
Lkw-Maut erfasst und berechnet wird. Ich möchte das in
Zusammenhang bringen mit der Aussage meiner lieben
Kollegin Haßelmann, die von einem „Fliegenschiss“
sprach.
Sie haben gerade gesagt, dass wir das, was eigentlich
notwendig ist, nämlich eine Ausweitung auf alle Bundesstraßen, angeblich gar nicht können, weil wir dann
eine Vergabe machen müssten. Gleichzeitig haben Sie
aber gesagt, dass das System Toll Collect dies leisten
könnte.
Presseberichten habe ich entnommen, dass Sie den
Vertrag verlängern wollen, sodass Sie die Möglichkeit
nutzen könnten, die der derzeitige Vertrag bietet, nämlich das System Toll Collect als Bund zu übernehmen,
indem Sie die Call-Option ziehen, und dann in eigener
Regie eine Ausweitung auf die 40 000 Kilometer Bundesstraßen vorzunehmen. Dann bräuchten wir nämlich
keine Ausschreibung. So hätten Sie doch sofort die
Chance, diesen „Fliegenschiss“ zu nutzen und die riesige
Verbreiterung und Vertiefung umzusetzen.
Wie weit sind Sie mit Ihren Entscheidungen in Sachen Toll-Collect-Vertragsverlängerung bzw. Call-Option?
Herr Minister.
Liebe Frau Wilms, die bisherigen Aussagen heute waren korrekt. Weitere Entscheidungen müssen Sie abwarten.
Der Betrieb eines Mautsystems auf 40 000 Kilometern Bundesstraßen wäre auszuschreiben.
Ihr Plädoyer für eine Call-Option nehme ich gerne zur
Kenntnis. Entscheidungen werden aber getroffen und
dann entsprechend mitgeteilt.
({0})
Nächste Frage: Abgeordneter Behrens, Fraktion Die
Linke.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, dass die
ökologische Lenkungswirkung der Maut durchaus berücksichtigt worden sei. Allerdings haben wir beim
Zweiten Änderungsgesetz gerade an diesem Punkt eher
einen Rückschritt dadurch gemacht, dass wir ab dem
1. Januar 2015 die Maut nach Achsen berechnen. Ein
Schadstoffzuschlag kommt zwar hinzu; aber die differenzierte Möglichkeit, die wir vorher hatten, nämlich die
Steuerung über Emissionsklassen, war auf jeden Fall näher an einer ökologischen Verkehrspolitik dran.
Darauf hat auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung hingewiesen und insbesondere kritisch angemerkt, dass schon jetzt klar ist, dass
wir ab 1. Oktober 2015 eine veränderte Mautstruktur
und andere Sätze brauchen, weil andere Fahrzeugkategorien einbezogen werden. Was ist vor diesem Hintergrund der Wert dieses in gewisser Weise Schnellschusses, den Sie hier gemacht haben, der weder die
tiefgehende Substanz einer ökologischen Verkehrspolitik
hat, noch vom Ertrag her so ausreichend ist, dass er einen enormen finanziellen Schub bringt?
Herr Behrens, das Zweite Änderungsgesetz, das zu
Beginn nächsten Jahres in Kraft tritt, war notwendig,
weil wir aufgrund des Wegekostengutachtens die Mautsätze anpassen müssen. Die ökologische Lenkungswirkung, wie Sie es nennen - Umweltkomponente würde
ich es nennen -, haben wir berücksichtigt, indem wir mit
der Euroklasse 6 eine eigene Klasse eingeführt haben,
sodass die betreffenden Fahrzeuge besser dastehen als
andere.
Das erachte ich übrigens für überzeugend und richtig.
Von daher sind Anforderungen, die Sie stellen, umgesetzt, denke ich. Dass wir dies nicht zum 1. Juli und
1. Oktober des nächsten Jahres mit der Verbreiterung
und Vertiefung in einen zeitlichen Einklang bringen können, versteht sich von selber, weil die technische Umsetzung entsprechend vorbereitet werden muss.
Nächste Frage: Abgeordneter Kühn, Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - In der Frage der LkwMaut ist es das Ziel, entsprechend der Inanspruchnahme
und Abnutzung der Infrastruktur die Nutzer zur Kasse zu
bitten. Wir hatten in den vergangenen Jahren auf unseren
Straßen eine sprunghafte Zunahme an Großraum- und
Schwerlastverkehren mit Sondergenehmigung zu verzeichnen, die mit deutlich mehr als 40 bzw. 44 Tonnen
Lasten - also deutlich höheren Lasten - gerade unsere
Brücken zusätzlich in Anspruch nehmen. Diese Verkehre zahlen aber trotz der deutlich höheren Last und der
damit verbundenen Inanspruchnahme und Beschädigung
der Infrastruktur nicht mehr als ein 40-Tonner oder 44Tonner im kombinierten Verkehr, weil sich die Mautsätze nach der Anzahl der Achsen richten. Halten Sie es
vor dem Hintergrund der besonderen Inanspruchnahme
bzw. Beschädigung der Infrastruktur gerade auch vor
dem Hintergrund des dramatischen Zustands vieler Brücken für richtig, so weiter zu verfahren, oder wäre es
nicht sinnvoll, über einen höheren Mautsatz gerade für
solche Verkehre nachzudenken? Wie ist Ihre Position
dazu?
Herr Minister.
Schwerlastverkehre sind spezifisch genehmigungspflichtig. Von daher haben wir eine genaue Kontrolle,
unter welchen Bedingungen der Schwerlastverkehr auf
der Straße unterwegs ist. Dem ist auch eine besondere
Berücksichtigung des Zustands der Straßeninfrastruktur
hinterlegt. Daneben wird die direkte Beschädigung bei
den Schwerlastverkehren explizit aufgenommen und
muss auch umgehend ersetzt werden. Von daher gibt es
schon heute eine andere Behandlung von Schwerlastverkehren als von normalen Lkw-Verkehren.
Letzte Frage in der Regierungsbefragung: Abgeordneter Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Herr Minister, Sie haben uns gerade erklärt, dass Sie
2018, in der nächsten Legislaturperiode, die Ausweitung
der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und damit auf
40 000 Kilometer vornehmen wollen. Die Begründung
für diesen Zeitpunkt war, dass das aufwendig ist und
eine Menge vorzubereiten ist. Wir diskutieren das Thema
seit Jahren. Damit erklären Sie natürlich auch, dass Sie
in dem Ressort, das schon länger in der Verantwortung
der CSU liegt, in der Vergangenheit an der Stelle nichts
gemacht haben und es insofern ein Versagen gibt und
dass wir die Lkw-Maut deshalb erst später ausweiten
können.
Ich frage Sie: Warum beschäftigen Sie die Republik
jetzt mit einer Ausländermaut für Pkw, während nicht
einmal die Ressourcen für die notwendige Ausweitung
der Lkw-Maut zur Verfügung stehen? Warum konzentrieren Sie nicht das Handeln Ihres Ministeriums bzw. aller Ressorts der Bundesregierung auf die Ausweitung
der Lkw-Maut, statt sich mit einer Pkw-Maut oder, genauer gesagt, einer Ausländermaut zu beschäftigen, die,
wenn überhaupt, nur einen winzigen Bruchteil der notwendigen Einnahmen erbringen würde?
Herr Minister.
Ich verfolge aus persönlicher Sympathie alle Ihre
Aussagen dezidiert
({0})
und stelle fest, dass es sich in dieser Wahlperiode - und
wahrscheinlich wird es sich auch in der letzten Wahlperiode so verhalten haben - um ein Versagen der Opposition handelt. Deswegen muss ich Ihnen noch einmal
mitteilen: Es geht um ein Gesamtpaket, um die Infrastrukturinvestitionen zu stärken. Dieses Gesamtpaket hat
mehrere Elemente. Ein Element davon ist die Infrastrukturabgabe, die sogenannte Pkw-Maut.
Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/3013
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Uwe
Beckmeyer bereit.
Die Fragen 1 und 2 beschäftigen sich mit dem Thema
Fracking. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten
Hubertus Zdebel von der Fraktion Die Linke auf:
Sieht sich die Bundesregierung angesichts erhöhter Krebsraten in Gasförderregionen ({0}) veranlasst, die Beweislast für mögliche Schäden an Mensch und Natur durch die Gasförderung im Rahmen
ihrer Gesetzesvorschläge zur Regulierung der Fracking-Gasfördertechnik den Unternehmen aufzuerlegen, und ist es aus
Sicht der Bundesregierung möglich, bestehende bergrechtliche Genehmigungen zu entziehen, sofern sich Verdachtsfälle
erhärten, in denen bergbauliche Maßnahmen gravierende
Schäden für Mensch und Natur verursacht haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt:
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Beweislastumkehr im Bundesberggesetz auf den Bohrlochbergbau
auszudehnen. Diese Beweislasterleichterung gilt jedoch
nur für typische Bergschäden, zu denen Krebserkrankungen nicht zählen. Weitergehende Änderungen der Beweislastregeln sind zurzeit nicht geplant. Die zuständigen
Landesbergbehörden haben die Möglichkeit, Förderbetriebe vorläufig ganz oder teilweise einzustellen, wenn
eine unmittelbare Gefahr für Beschäftigte oder Dritte besteht. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, falls sich
Verdachtsfälle erhärten sollten, obliegt der Entscheidung
der zuständigen Landesbergbehörde.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Zdebel? Bitte schön.
Ich habe eine Zusatzfrage. - Herr Staatssekretär,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, können schon geltende bergrechtliche Genehmigungen entzogen werden.
Meine Frage lautet: Beabsichtigen Sie, eine Regelung
zur Entziehung geltender bergrechtlicher Genehmigungen in Schadensfällen in den Gesetzentwurf zur Regelung des Fracking aufzunehmen, ja oder nein?
Herr Staatssekretär.
Die Frage ist so einfach nicht zu beantworten, Herr
Kollege, weil ganz bestimmte Voraussetzungen berücksichtigt werden müssen. Es ist festzuhalten, dass die Erdgasförderung bzw. die Fortsetzung der Erdgasgewinnung in Deutschland durchaus Folgen haben können.
Sollten mögliche Zusammenhänge nachgewiesen werden, müssen die zuständigen Bergbehörden alle ursächlichen Tätigkeiten verbieten bzw. dürfen sie nicht genehmigen. Das gilt schon jetzt. Insofern stellt bereits das
geltende Bergrecht die erforderlichen Instrumentarien,
zum Beispiel Betriebsplanungsgenehmigung, allgemeine Anordnungsbefugnisse betreffend das Ergreifen
von Sicherheitsmaßnahmen und zur Verhinderung des
Austritts von Schadstoffen sowie Betriebsstilllegung, zur
Verfügung. Welche Maßnahmen dies im Einzelfall sein
können, lässt sich vor Feststellung der konkreten Ursache nicht bestimmen. Wir werden keine weiteren Maßnahmen ergreifen; denn es gibt bereits diverse Möglichkeiten.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Zdebel? - Bitte
schön.
Herr Präsident, ich habe noch eine Zusatzfrage betreffend die Beweislastumkehr. Meines Wissens wollen die
Bundesregierung bzw. die Bundesminister Gabriel und
Hendricks in ihrem Eckpunktepapier eine Beweislastumkehr bei möglichen Schäden an Mensch und Natur
durch die Gasförderung vorsehen. Ich bin nun ein bisschen irritiert über Ihre Äußerung betreffend die Krebsfälle. Sie haben gesagt, dass solche Fälle nicht vorgesehen seien. Sie wissen aber sicherlich, dass entsprechende
Zusammenhänge in Studien aus den USA stärker gesehen werden, gerade in Gebieten, in denen es Gasförderung gibt. Ich frage Sie daher noch einmal: Wäre es nicht
geboten, wenn es zu einer signifikant höheren Zahl an
Krebsfällen wie in der Region Bothel kommt, entsprechende Regelungen bezüglich der Beweislastumkehr im
Rahmen der Fracking-Gesetzgebung vorzusehen?
Herr Staatssekretär.
Die Beweislastumkehr ist kein Allheilmittel. Vielmehr geht es darum, welche Fracking-Technologien und
welche Frack-Flüssigkeiten eingesetzt werden. Sie haben behauptet, dass diese in den USA untersucht worden
seien. Ich kann dazu nur so viel sagen: Den Einsatz der
in den USA gängigen Frack-Flüssigkeiten können wir
uns hier in Deutschland nicht vorstellen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Ausführungen zum Thema Beweislastumkehr und Fracking.
Ich habe es so verstanden, dass Sie da keine Beweislastumkehr vorsehen. Wir haben ja - das ist von der Bundesregierung angekündigt worden - das Thema Beweislastumkehr auch in anderen Themenbereichen, zum Beispiel
beim obertägigen Braunkohlebergbau. Hier gibt es einen
einstimmigen Beschluss des Landtages Nordrhein-Westfalen; es gibt eine Bundesratsinitiative aus NordrheinWestfalen, die von mehreren Ländern unterstützt wird.
Meine Frage: Plant die Bundesregierung im Rahmen
der angekündigten Änderungen im Bereich Bergbau und
Fracking eine Beweislastumkehr für den obertägigen
Braunkohlebergbau, wie wir es heute schon bei der
Steinkohle haben?
Herr Staatssekretär.
Wir werden uns sicherlich in diesem Zusammenhang
diverse Gesetze anschauen. Das ist einmal das Wasserhaushaltsgesetz, Herr Abgeordneter, zum anderen sind
es die Allgemeine Bundesbergverordnung, aber auch die
Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung;
darin sind unter anderem auch bergbauliche Vorhaben
abgedeckt.
Das Bundesberggesetz mit Einwirkungsbereich-Bergverordnung dehnt unter anderem den Anwendungsbereich der Bergschadensvermutung und damit die Beweislastumkehr zugunsten der Geschädigten auf den
Bergbau durch Tiefbohrungen und die Errichtung und
den Betrieb von Kavernen aus. Das ist zurzeit vorgesehen.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Behrens,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben darauf
hingewiesen, dass derzeit keine Planung besteht, die Beweislastumkehr gesetzlich zu regeln. Nun haben wir in
einer Fragestunde über das Thema erhöhter Krebsraten
in Bothel, das nahe an einer Gasförderstelle liegt, gesprochen. In diesem Zusammenhang haben Sie uns geantwortet, dass derzeit von den zuständigen Landesgesundheits- und -bergbehörden untersucht werde, was
dort vor sich geht. Wann kann man mit dem Ergebnis
dieser Prüfung rechnen?
Herr Staatssekretär.
Uns liegen noch keine Ergebnisse der Landesbehörden vor. Wir werden auf sie noch zu warten haben. Ich
habe die Hoffnung, dass dann, wenn entsprechende Erkenntnisse in Niedersachsen gewonnen worden sein
werden, diese der Bundesregierung unmittelbar zur Verfügung gestellt werden.
Die nächste Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Lenkert,
Fraktion Die Linke.
Herr Kollege Staatssekretär, Sie führten vorhin aus,
dass in dem Fall, dass sich die Gesundheitsgefahren bestätigen, eine Betriebsstilllegung drohe. Wie ist es für
Betroffene möglich, zu Entschädigung, zu Schadensersatz für ihre Schäden zu kommen, wenn Sie die Beweislastumkehr ausschließen? Dann muss ja jeder Einzelne
diesen Beweis gesondert führen. Wie soll dies praktikabel sein? Oder wollen Sie das anders regeln?
Herr Staatssekretär.
Wir haben ein gültiges Bergrecht, in dem alle erforderlichen Instrumentarien, die ich Ihnen eben vorgetragen habe, enthalten sind. All diese Instrumentarien
werden von den für das Bergrecht verantwortlichen Landesbehörden genutzt.
Wir kommen damit zur Frage 2, die ebenfalls vom
Abgeordneten Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, gestellt wurde:
Wie begründet die Bundesregierung ihren Standpunkt,
dass bereits nach geltendem Bergrecht eine ausreichende Gefahrenprävention bei der Gasförderung gegeben sei ({0}) vor dem Hintergrund bekannter und
möglicher Auswirkungen der Gasförderung mittels Fracking
und der Entsorgung von Lagerstättenwasser auf Mensch und
Natur ({1}), und welche konkreten Maßnahmen zur
Gefahrenprävention leitet sie aus den geltenden bergrechtlichen Regelungen ab?
Herr Staatssekretär, bitte.
Für die Bundesregierung beantworte ich die Frage
wie folgt: Im Bundesberggesetz wird die Gefahrenprävention dadurch erreicht, dass im bergrechtlichen Genehmigungsverfahren Vorsorge gegen Gefahren für Leben
und Gesundheit getroffen werden muss. Ausführende
Vorschriften werden von den Ländern erlassen. Im Hinblick auf das besondere Risikopotenzial beim Einsatz
der Fracking-Technologie sollen zudem Ergänzungen im
Bergrecht sowie im Wasser- und Naturschutzrecht aufgenommen werden. Das ist die Aufgabe der Länder. Da
die Bundesregierung nicht für die Ausführung der bergrechtlichen Regelungen zuständig ist, kann sie daraus
keine konkreten Maßnahmen zur Gefahrenprävention
ableiten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Zdebel? - Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung wie ich, dass die
Gefahrenprävention versagt hat, wenn erst nachdem erhöhte lokale Krebsraten bekannt werden eine mögliche
Gefährdung durch naheliegende Bohrungen untersucht
wird?
Herr Staatssekretär.
Die Aufklärung der Ursachen für die ungewöhnliche
Häufung der Krebsneuerkrankungen liegt in der Zuständigkeit der Landesbehörden. Ich unterstreiche das noch
einmal. Die Ursachen der Häufung der Krebserkrankungen werden derzeit von den zuständigen Gesundheitsbehörden im Landkreis Rotenburg, in dem die Samtgemeinde Bothel liegt, mit Unterstützung durch das
Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie des Landes Niedersachsen untersucht. Sie sollen zeitnah in einer
Arbeitsgruppe der Vertreter des Landkreises, des Krebsregisters und der örtlichen Bürgerinitiativen ausgewertet
und kommuniziert werden.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Zdebel. Bitte schön.
Nach meiner Meinung macht dies noch einmal
deutlich, wie schwach die Regelungen in dieser Angelegenheit sind. Ich frage deshalb nach, ob es unter den gegebenen Umständen - es geht ja auch um eine Bundesgesetzgebung bezüglich des Fracking, die Sie jetzt in
Vorbereitung haben - nicht doch erforderlich wäre, bei
einer solchen vermuteten Gesundheitsgefährdung bundeseinheitliche Regelungen für eine Gefahrenprävention
zu treffen.
Herr Staatssekretär.
Wir werden sehen, in welcher Form sich diese Gesundheitsgefährdung aufgrund von Fracking oder Erdgasgewinnung in dem dortigen Landkreis tatsächlich
zeigt. Meines Erachtens wird es dann zu einer Bewertung durch das Land Niedersachsen kommen, und wir
werden dann eine erneute Diskussion auch auf Bundesebene führen. Zurzeit ist dieser Zusammenhang nicht abschließend sicher bestätigt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krischer, Bündnis 90/
Die Grünen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär Beckmeyer, ich muss noch einmal
bezüglich Ihrer Antwort auf meine Nachfrage von vorhin nachfragen. Sie haben gesagt, Sie wollen die Bergschadensvermutung und Beweislastumkehr für unterirdische Bohrungen und Kavernen einführen; so habe ich es
jedenfalls verstanden.
Meine Frage, die Sie auch ganz kurz mit Ja oder Nein
beantworten können, lautet: Plant die Bundesregierung
die Einführung der Bergschadensvermutung für den
obertägigen Braunkohleabbau, ja oder nein?
Herr Staatssekretär.
Wir sind dabei, bei typischen Bergschäden die Beweislastumkehr letztendlich anzudenken, und dies deshalb, weil Senkungen, Pressungen und Zerrungen der
Erdoberfläche typische Bergschäden aufgrund von untertägigen Bergbautätigkeiten sind, die dem Einblick der
Betroffenen naturgemäß entzogen sind. Das ist eigentlich der Grund für eine Beweislastumkehr.
({0})
Eine Beweislastumkehr im Bergrecht, was den Umgang mit Chemikalien angeht, ist zurzeit nicht vorgesehen.
({1})
- Und ich habe von dem unterirdischen Bergbau gesprochen.
({2})
Daraus können Sie den Schluss ziehen, dass es für den
anderen Bereich nicht vorgesehen ist.
({3})
Die nächste Zusatzfrage stellt der Abgeordnete
Behrens, Fraktion Die Linke.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
dass es im Moment nicht erforderlich und auch nicht
möglich sei, entsprechende bundesgesetzliche Regelungen zu treffen, weil für verschiedene Bereiche die Länder zuständig seien? Sie sagten aber auch, dass man sich
dieses Problems dann noch einmal annehmen müsse,
wenn es entsprechende Berichte seitens der Landesbehörden gebe, die auf ein besonderes neues Gefahrenpotenzial, nämlich erhöhte Krankheitsraten oder erhöhte
Anzahl von Krebserkrankungen in der Nähe von Fracking-Bohrstellen, hinweisen, das vielleicht in der VerHerbert Behrens
gangenheit noch nicht ausreichend reflektiert worden ist.
Deutet das darauf hin, dass wir unter Umständen doch zu
einer bundeseinheitlichen Regelung kommen müssen,
um diese Unterschiedlichkeit in den Ländern für die Betroffenen zu verhindern?
Herr Staatssekretär.
Ich wäre töricht, wenn ich sagte, das schließe ich generell aus. Gleichwohl ist Folgendes der entscheidende
Punkt: Der Fragesteller bezieht sich ja auf einen Fall in
der Nähe von Rotenburg in Niedersachsen. Der Zusammenhang mit Fracking-Technologien ist aus meiner
Sicht zurzeit sehr unwahrscheinlich, da potenzielle Gefahrenquellen wie Benzol, Quecksilber oder auch freigesetztes Methan, die möglicherweise eine krebserregende
Wirkung haben, dort nicht vorhanden gewesen sind.
Nach meiner Kenntnis hat dort eine einzelne Erdgasförderung im Sandstein mit Einsatz von Fracking-Technologien stattgefunden - eine einzige! Dabei sind FrackFlüssigkeiten mit Zusatzstoffen verwendet worden, in
denen lediglich ein einziger Bestandteil potenziell krebserregend ist, und sein Anteil belief sich auf einen verschwindend geringen Wert von 0,03 Prozent.
Es ist nun die Frage an das Land Niedersachsen zu
richten: Hat dieser Bestandteil in diesem Fluid dazu beigetragen, dass die Wirkung, die Sie beschrieben haben,
tatsächlich eingetreten ist? Ich kann den Zusammenhang
zurzeit nicht begründen. Ich denke, das Land Niedersachsen wird uns darüber aufklären.
Die nächste Zusatzfrage ist von dem Abgeordneten
Tiefensee, SPD-Fraktion.
Herr Staatssekretär, ich möchte unmittelbar an das anschließen, was Sie gerade ausgeführt haben. Wir diskutieren nicht zum ersten Mal über Fracking. Sind Sie mit
mir einer Meinung, dass wir auf der einen Seite zwar den
hier in der Fragestunde konkret angesprochenen Fall in
Niedersachsen, veröffentlicht in den Medien, sehen müssen, auf der anderen Seite aber mehr dafür tun müssen,
dass dieser konkrete Fall in der allgemeinen Debatte von
solchen Fällen unterschieden wird, die zum Teil noch
gar nicht aufgeklärt sind?
Die allgemeine Debatte ist nötig. Dabei muss die Diskussion über das konventionelle Fracking - das heißt,
über das herkömmliche Fracking, welches Fragen des
Wasserhaushaltsgesetzes und des Bergrechts betrifft,
nämlich wo gefrackt werden darf und wie es sich mit der
Beweislastumkehr verhält - von der Diskussion über das
unkonventionelle Fracking getrennt werden, das jetzt auf
der Tagesordnung steht und zu dem die Bundesregierung
und die Koalition eindeutig gesagt haben, dass wir umwelttoxische Bedingungen ausschließen wollen.
Müssen wir nicht mehr dafür tun, dass die heutige Debatte nicht mit der generellen Debatte vermischt wird
und dass zwischen den beiden Fracking-Methoden unterschieden wird? Sonst leisten wir einer Diskussion in
der Öffentlichkeit Vorschub, die eher auf Angst als auf
konkrete Fakten setzt.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir vermeiden müssen,
dass diese beiden Debatten vermischt werden. Die Kollegen wissen - zumindest einer kommt aus Niedersachsen -, dass seit mindestens 45 bis 50 Jahren in Niedersachsen Tight Gas gefördert wird. Die Technologie, über
die wir jetzt reden, ist aber eine andere und könnte den
Einsatz anderer Stoffe umfassen, den wir in Deutschland
nicht befürworten.
Herr Abgeordneter Lenkert, Fraktion Die Linke, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben davon, dass
Sie vermutlich krebserregende Schädigungen durch
Quecksilber, Methan etc. ausschließen können. Inwieweit sind Untersuchungen im Gange, um zu prüfen, ob
Lagerstättenwasser durch Verdrängung eventuell das
Grundwasser erreicht haben könnte oder auf andere Art
und Weise mit Menschen in Kontakt gekommen ist?
Herr Staatssekretär.
Lagerstättenwasser ist - wer sich damit beschäftigt
hat, weiß das - ein natürlicher Bestandteil von Erdgaslagerstätten und wird bei der Gewinnung von Erdgas und
Erdöl mit gefördert. Das ist bekannt. Das Wasser besteht
aus verschiedenen Substanzen, gelösten Salzen, Kohlenwasserstoffen usw. Es kann teilweise bei Leckagen in
bestimmten Bereichen zu einer Verunreinigung führen;
das will ich gar nicht ausschließen.
Die Frage ist, ob das ursächlich miteinander verbunden werden kann und etwas miteinander zu tun hat. Ich
denke, dass die niedersächsische Landesregierung und
die einschlägigen Behörden auch das genau untersuchen
werden. Wir werden darüber Nachricht bekommen.
Danke schön.
Wir verlassen damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Inge Höger
auf:
Vizepräsident Peter Hintze
Beabsichtigt die Bundesregierung, in der UN-Vollversammlung der bevorstehenden Ächtung von DU-Munition
- Uranmunition - durch eine erneute Resolution zuzustimmen, und wenn nicht, wie begründet sie diese Änderung des
Abstimmungsverhaltens angesichts der Tatsache, dass die
Bundesrepublik Deutschland bisher den Resolutionen zum
Thema DU-Munition immer zugestimmt hat und die einzige
Änderung gegenüber dem Text der früheren Resolutionen darin besteht, dass der Resolutionstext um die Forderung nach
weiteren Studien über den Einfluss von Uranmunition auf Gesundheit und Umwelt sowie die Forderung, dass Staaten wie
der Irak, die durch den Einsatz von Uranmunition langfristigen und schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsschäden
ausgesetzt sind, von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden sollen, erweitert wurde?
Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete
Höger, ich möchte zu Beginn meiner Antwort feststellen: Anders als möglicherweise Ihre Frage nahelegt, geht
es in der Resolution, auf die Sie in Ihrer Frage Bezug
nehmen, nicht um eine Entscheidung zur Ächtung von
Munition mit abgereichertem Uran, sondern es geht um
mögliche Auswirkungen ihres Einsatzes.
Sie wissen auch, dass die Bundesregierung bereits im
Jahr 2012 der eingebrachten Vorgängerresolution zu den
Auswirkungen des Einsatzes von Waffen und Munition,
die abgereichertes Uran enthalten, mit Einschränkungen
zugestimmt hat. Diese Resolution aus dem Jahr 2012 ist
damals von Indonesien und den blockfreien Staaten im
Ersten Ausschuss der 69. VN-Generalversammlung eingebracht worden. In einer Stimmerklärung hat die
Bundesregierung bereits damals kritisiert, dass diese Resolution den Inhalt eines Berichts des Weltumweltprogramms vom 21. Juli 2010 nicht ausgewogen wiedergibt.
Die Bundesregierung begrüßt weiterhin Untersuchungen, die zum Ziel haben, die Auswirkungen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem Uran wissenschaftlich zu erforschen, und sie hatte deshalb ebenso
wie zahlreiche weitere Mitgliedstaaten der Europäischen
Union gehofft, dass die bisherige Darstellung im Resolutionsentwurf 2014 richtiggestellt würde.
Diese Hoffnung stützte sich vor allem auf die Tatsache, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
also UNEP, die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA, die Weltgesundheitsorganisation WHO und
die EU bereits umfangreiche Untersuchungen zu eventuellen Gesundheits- und Umwelteinflüssen durch Munition mit abgereichertem Uran durchgeführt haben. Diese
Studien ergaben übereinstimmend, dass Rückstände von
abgereichertem Uran, das geringer radioaktiv ist als Natururan, in der Umwelt kein radiologisches Risiko für
die Bevölkerung vor Ort darstellen.
Die Bundesregierung bedauert, dass diese Erkenntnisse bei der diesjährigen Resolution abermals nicht berücksichtigt wurden und dass damit wiederum der Stand
der Forschung zu diesem Thema nicht angemessen berücksichtigt wurde. Das war der Grund, warum sich die
Bundesregierung in diesem Jahr bei der Abstimmung gemeinsam mit vielen weiteren EU-Mitgliedstaaten enthalten hat. Wir haben die detaillierten Gründe für unsere
Enthaltung in einer Stimmerklärung erläutert.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Höger.
Vielen Dank für die Antwort. - Da Sie 2012 einer Resolution zur Ächtung von DU-Munition zugestimmt haben, erschließt sich mir nicht, wieso Sie es jetzt nicht
mehr machen. Gerade in der neuen Resolution ist angemahnt, dass neue Studien notwendig sind, um die Gefährlichkeit von DU-Munition nachzuweisen. Alles, was
ansonsten darüber bekannt ist, ist - das habe ich zum
Beispiel auf meinen Reisen auf dem Balkan erlebt und
durch zahlreiche Berichte erfahren -, dass wir es in allen
Bereichen, wo die DU-Munition eingesetzt wird, mit erheblich erhöhten Krebsraten zu tun haben, dass die Umwelt über Jahrzehnte, Jahrtausende verseucht ist und
dass Menschen an den Folgen sterben. Darüber so einfach hinwegzusehen, kann ich nicht verstehen.
Meine Nachfrage: Geht es Ihnen um zusätzliche Studien, oder geht es Ihnen darum, die Mittel zur Deckung
der Folgekosten nicht finanzieren zu wollen? Was ist der
Unterschied zum bisherigen Abstimmungsverhalten?
Herr Staatsminister.
Frau Abgeordnete Höger, ich habe in meiner ersten
Antwort schon klargestellt, dass es in der von Ihnen in
Rede gestellten Resolution nicht um eine Ächtung dieser
Munition geht. Selbstverständlich nehmen wir die Sorgen, die dieser Resolution zugrunde liegen, sehr ernst.
Ich habe aber auch schon darauf hingewiesen, dass es
eine Reihe von Studien der genannten Organisationen,
unter anderem der UNEP und der Europäischen Union,
gibt, die den Zusammenhang, den Sie jetzt dargestellt
haben, nicht bestätigen. Das haben wir noch einmal
deutlich gemacht. Unsere klare Erwartungshaltung ist,
dass weitere Studien vorgelegt werden bzw. dass man
die vorhandenen Studien entsprechend bei der Bewertung und bei der Formulierung einer Resolution berücksichtigt.
Es geht um Ausgewogenheit, Frau Kollegin Höger
- das ist der entscheidende Punkt -, und darum, dass einschlägige Studien, deren Qualität bislang niemand in
Zweifel gezogen hat, angemessen Berücksichtigung finden.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Höger.
Hat diese Stimmenthaltung vielleicht etwas mit aktuellen Bürgerkriegssituationen in dieser Welt zu tun?
Die USA haben angedroht, gegenüber dem IS DU-Munition zum Einsatz zu bringen oder die Peschmerga im
Nordirak mit MILAN-Raketen zu beliefern. MILANInge Höger
Raketen enthalten ja Thorium. Das ist genauso gefährlich wie DU-Munition und würde genauso die Umwelt
belasten.
Nein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lenkert, Fraktion Die
Linke.
Herr Kollege Staatsminister, ich möchte nicht in
Zweifel ziehen, dass nach den Studien eine radiologische Belastung durch die Uranmunition nicht stattfindet.
Aber Uran ist ein Schwermetall und als solches hochgiftig. Nicht umsonst beträgt der Trinkwasservorsorgewert
in Deutschland 10 Mikrogramm je Liter. Durch die mit
Uran angereicherte Munition gelangen Unmengen eines
Schwermetalls, das hochgiftig ist, nämlich Uran, in die
Umgebung, in die Umwelt, und verseuchen das Trinkwasser und die Atemluft. Die Folgewirkungen von
Schwermetallbelastungen sind Fehlgeburten, Missbildungen bei neugeborenen Kindern und extrem erhöhte
Krebsraten. All dies ist in den Gebieten, in denen Uranmunition angewendet wurde, nachweislich feststellbar.
Ich frage Sie: Sind außer den radiologischen Auswirkungen auch die sozusagen ganz einfachen Auswirkungen der erhöhten Schwermetallbelastung durch die massive Uranverwendung in den betroffenen Ländern
untersucht worden, und haben Sie diese in Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt, oder haben Sie sie außer Acht gelassen?
Herr Abgeordneter, Ihre Überlegungen, Ihre Kritik
widersprechen den einschlägigen Studien, die ich in
meiner Antwort mehrfach zitiert habe. Das sind Studien
von UNEP, WHO und IAEO. Diese Studien kommen
übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Schädigungen und der
Munition mit abgereichertem Uran nicht besteht. Die
Bundesregierung hat bislang überhaupt gar keinen Anlass, an der Seriosität dieser Studien zu zweifeln.
Weil es aber solche kritischen Stimmen wie die Ihrige
gibt, haben wir nach wie vor ein großes Interesse daran,
dass weitere Untersuchungen vorgelegt werden, die zum
Ziel haben, ungeklärte Fragen hinsichtlich der Auswirkungen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem
Uran wissenschaftlich zu erforschen. Meine Antwort
gründet sich auf den vorliegenden Studien, und die widersprechen dem, was Sie hier zum Ausdruck gebracht
haben.
Ich darf die Damen und Herren von der Presse auf der
Tribüne bitten, sich an die Akkreditierungsregeln zu halten, dort nicht mit Beleuchtung zu arbeiten und dort auch
keine Interviews zu führen. Ich bitte auch die Kollegen
vom Plenarassistenzdienst, sich darum zu kümmern. Schönen Dank.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Hänsel,
Fraktion Die Linke.
Jetzt kommt eigentlich die Frage des Kollegen
Movassat.
Nein. Ich habe eine Nachfrage. Aber gut, dass Sie
aufpassen. Das war jetzt ein kleiner Test.
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Hänsel.
Herr Staatsminister, das Präsidium hat alles im Blick.
Herr Staatsminister, meine Kollegin haben Sie ein
bisschen barsch abgefertigt; deshalb meine Nachfrage:
Was sagen Sie denn ganz konkret zu dem Einsatz von
MILAN-Raketen, die radioaktives Thorium enthalten?
IPPNW hat beklagt, dass es mindestens genauso gefährlich ist wie DU. Wird die Bundesregierung solchen Vorwürfen nachgehen und in der Richtung forschen?
Frau Kollegin Hänsel, ich will für alle hier im Plenarsaal sitzenden Abgeordneten noch einmal klarstellen,
dass die Bundeswehr, also der Bereich, auf den wir unmittelbar einwirken können und Einfluss haben, keinerlei Munition mit abgereichertem Uran besitzt. Wir haben
auch nie solche Munition besessen.
Wir haben uns auch noch einmal mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Verbindung gesetzt.
Dieses Komitee, das Ihnen hinreichend bekannt ist, hat
angesichts der Faktenlage bislang keinen Anlass gesehen, ein Moratorium für diese Munition zu fordern.
({0})
Kollege Zdebel möchte jetzt auch noch eine Nachfrage stellen; im letzten Moment erkannt. Bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade in Ihrer Antwort auf die Frage von meinem Kollegen Lenkert auf die
vorliegenden Studien verwiesen. Ich habe dazu noch
eine Nachfrage. Beziehen sich diese Studien auch auf radiologische Auswirkungen, also auf Strahlungsauswirkungen der Uranmunition?
Herr Staatsminister.
Ich habe erst einmal keinen Anlass, daran zu zweifeln, biete aber ausdrücklich an, das noch einmal en détail zu klären.
Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatsminister, auch ich muss mich noch einmal
auf eine Aussage von Ihnen beziehen. Sie sagten, nach
den Studien, auf die Sie und die Bundesregierung Ihre
Haltung zu diesem Thema gründen, sei es so, dass kein
Zusammenhang zwischen der verwendeten Uranmunition und gesundheitlichen Schäden bei Menschen bestehe.
Ja.
Besteht dieser Zusammenhang tatsächlich nicht, oder
ist er nicht nachweisbar? Ihre Aussage nimmt mich sehr
wunder; denn Zusammenhänge können in Studien nicht
bewiesen werden. Jetzt aber soll der Nichtzusammenhang bewiesen worden sein. Stand in der Studie vielleicht nur, dass ein Zusammenhang nicht nachweisbar
ist?
Ich will mit Blick auf Ihre Nachfrage deutlich machen, dass die bereits vorliegenden umfangreichen Untersuchungen eventuelle Gesundheits- und Umwelteinflüsse beinhaltet haben. Ich kann jetzt nur wiederholen,
Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, dass diese Studien bislang übereinstimmend deutlich gemacht haben, dass
Rückstände von abgereichertem Uran in der Umwelt
kein radiologisches Risiko für die Bevölkerung vor Ort
darstellten. Das abgereicherte Uran ist geringer radioaktiv als das Natururan.
Schönen Dank. - Wir kommen damit zur Frage 4 des
Abgeordneten Niema Movassat:
Warum hat die Bundesregierung bisher die im Mai 2014
von der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe e. V.
angebotenen Hilfeleistungen für die von Ebola betroffenen
westafrikanischen Länder, über 18 Millionen Untersuchungshandschuhe, 900 Liter Handdesinfektionsmittel, 44 ad hoc
verfügbare Behandlungsbetten in Isolationszellen sowie weitere aus Norwegen abrufbare Isolationsbetten und insbesondere deren einsatzbereites medizinisches Hilfspersonal, nicht
abgerufen ({0}), und wie plant sie, diese
Hilfe in naher Zukunft, beispielsweise mit der Zurverfügungstellung von geeigneten Transportkapazitäten und sonstigen
bürokratischen Erleichterungen, umzusetzen ({1})?
Herr Abgeordneter Movassat, Bundestag und Bundesregierung stimmen sicherlich darin überein, dass wir
nichts unversucht lassen wollen, um den Kampf gegen
Ebola entschieden zu führen, und wir für jedes Hilfsangebot ausgesprochen dankbar sind. Unser Krisenstab
und viele Kolleginnen und Kollegen in den Ministerien
sind wirklich rund um die Uhr damit beschäftigt, die dramatische Lage in Afrika zu verbessern, auch im Rahmen
der Europäischen Union und im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft.
Deswegen haben wir natürlich den Zeitungsartikel in
der taz vom 27. Oktober 2014 sehr ernst genommen, in
dem von einem Angebot der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe gesprochen wurde, das bereits im
Mai dieses Jahres unterbreitet worden sei. Ich kann Ihnen dazu, Herr Abgeordneter, nur sagen, dass das Auswärtige Amt den Leiter der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe, Herrn Teichert, kontaktiert hat
und ihn telefonisch und per E-Mail gebeten hat, uns das
erwähnte Angebot zu übersenden. Das war unsere Bitte.
Das Bundesministerium für Gesundheit erhielt am
29. September dieses Jahres ein Schreiben, in dem Herr
Teichert unter anderem nach Fördermöglichkeiten für einen solchen Einsatz fragte. Das Angebot, von dem in
dem Artikel der taz die Rede war, lag uns bis dato aber
überhaupt nicht vor. In dem Schreiben vom 29. September an das Bundesgesundheitsministerium wurde nach
eventuellen Fördermöglichkeiten für einen Einsatz gefragt.
Noch am selben Tag hat es eine erste telefonische
Rückmeldung gegeben. Am 1. Oktober wurde Herrn
Teichert durch das BMG die zuständige Ansprechpartnerin in meinem Hause per E-Mail genannt. Erst vor anderthalb Tagen, am 3. November und damit nach der
Veröffentlichung in der taz, hat Herr Teichert per E-Mail
ein Schreiben mit konkreten Vorschlägen zur Ebolabekämpfung in Westafrika an mein Haus übersandt. Diese
prüfen wir derzeit.
Ich kann eine Aussage über eine mögliche Zurverfügungstellung geeigneter Transportkapazitäten und über
sonstige bürokratische Erleichterungen - das war die
Bitte von Herrn Teichert - erst nach Prüfung dieser Vorschläge machen.
Zusatzfrage, Herr Movassat?
Danke, Herr Staatsminister, für die Antwort. Trotzdem möchte ich eine detaillierte Nachfrage stellen. Es ist
offensichtlich, dass es ein ziemlich umfassendes Hilfsangebot einer Organisation gibt: 18 Millionen Untersuchungshandschuhe, 900 Liter Handdesinfektionsmittel,
44 Behandlungsbetten. Also genau das, was wir gerade
brauchen, wird angeboten. Derjenige, der dies anbietet,
wird aber von Stelle zu Stelle verwiesen. Das Bundesgesundheitsministerium verweist ihn an Sie, und bei Ihnen
dauert die interne Befassung lange.
Es gibt seit dem 20. Oktober dieses Jahres eine
E-Mail-Adresse der Ebolataskforce. Diese Taskforce hat
die Organisation bisher dreimal angeschrieben, aber
keine Antwort erhalten. Möglicherweise wurde Ihnen
die dritte E-Mail vorgelegt, die versandt wurde. Es läuft
in Ihrem Hause doch offensichtlich etwas falsch. Daher
meine Frage: Wie kann es sein, dass ein Angebot dermaßen lange herumliegt?
Herr Abgeordneter, ich kann nur noch einmal klarstellen: Das Angebot lag uns überhaupt nicht vor. Erstmals ging ein Angebot am 3. November, also vor anderthalb Tagen, bei uns ein. Ich weiß nicht, was daran so
kompliziert sein soll, wenn auf eine E-Mail an das Bundesgesundheitsministerium prompt eine Mitarbeiterin
den Absender auf die verantwortliche Ansprechpartnerin
im Auswärtigen Amt hinweist. Das ist keine bürokratische Überforderung. Es ging um genau zwei Ansprechpartner: Erster Ansprechpartner ist das Bundesgesundheitsministerium, und zweiter Ansprechpartner ist das
Auswärtige Amt, weil wir im Wesentlichen mit der Koordination betraut sind.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Movassat?
Ja. - Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich auf die
Hilfe der Bundesregierung insgesamt. Es gibt ein sogenanntes 60-70-70-Ziel der WHO. Das besagt: Wir müssen innerhalb von 60 Tagen die Kapazitäten bereitstellen, um 70 Prozent der Infizierten zu isolieren und
70 Prozent der Toten fachgerecht zu beerdigen. Nur
dann kann eine weitere Ausbreitung der Epidemie gestoppt werden. Das Erreichen dieses Ziels war für Ende
Oktober vorgesehen. Die internationale Gemeinschaft
hat die Anforderungen nicht erfüllt, die die WHO aufgestellt hat. Mich würde interessieren: Was hat die Bundesregierung konkret zur Erreichung des 60-70-70-Ziels getan? Wo sieht sie Defizite? Was wird sie noch tun?
Sie wissen, dass die Bundesregierung sowohl auf internationaler Ebene, aber auch insbesondere im Rahmen
der Europäischen Union darauf gedrängt hat, zu einer
bestmöglichen Koordination der nationalen Aktivitäten
zu kommen. Die Europäische Union stellt insgesamt
- das ist ein riesiger Kraftakt - 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Der größte Geber innerhalb der Europäischen
Union ist die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben
Haushaltsmittel in Höhe von 108,7 Millionen Euro bereitgestellt. Die Kosten für den Betrieb der Luftbrücke
sind in dem Paket überhaupt noch nicht eingerechnet.
Ich finde, wir müssen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Ich gebe aber unumwunden zu, dass es selbstverständlich noch eine Reihe von Problemen gibt. Wir sind
nicht so schnell und umfassend vor Ort tätig gewesen,
wie es nötig gewesen wäre. Deswegen drängen wir auch
auf eine entsprechende internationale Koordination.
Wir selbst - darüber sprach ich schon - haben die
Luftbrücke eingerichtet. Wir stellen medizinische Ausrüstung und Materialien zur Verfügung, und wir entsenden auch - das wissen Sie - Hilfskräfte. Wir arbeiten dabei sehr eng mit dem Deutschen Roten Kreuz, dem
Technischen Hilfswerk, dem Bernhard-Nocht-Institut,
dem Robert-Koch-Institut und weiteren kompetenten
Hilfsorganisationen zusammen.
Nachfrage des Abgeordneten Lenkert, Fraktion Die
Linke.
Herr Staatsminister, plant die Bundesregierung wegen
der Ebolaepidemie einen Abschiebestopp für abgelehnte
Asylbewerber nach Liberia, Sierra Leone und Guinea?
Herr Abgeordneter, davon ist mir nichts bekannt. Ich
müsste das prüfen und reiche das gerne nach.
Danke schön. - Nachfrage der Abgeordneten Frau
Höger, Fraktion Die Linke.
Herr Staatsminister, Sie haben eben gemeint, die bürokratischen Hürden in Deutschland seien nicht besonders hoch und Sie würden sich nach Kräften bemühen, in
der Ebolakrise zu helfen. Wie steht es um die vielen Helfer - dem medizinischen Personal, den Ärzten -, die sich
gemeldet haben? Sind sie im Einsatz? Wie lange dauert
das noch?
Selbstverständlich sind schon Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter im Einsatz. Aber wir arbeiten derzeit in enger Abstimmung mit unseren Partnern daran, die Zahl
der Einsatzkräfte zu erhöhen. Ich glaube, es geht nicht
allein um die Quantität, sondern vor allem um die Einsatzbedingungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
vor Ort sind erheblichen Belastungen ausgesetzt. Insofern achten wir sehr darauf, die Voraussetzungen dafür
zu schaffen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auch unter diesen denkbar schwierigen Rahmenbedingungen ihre Arbeit bestmöglich erledigen können. Diesem Anspruch sollten wir gerecht werden.
Zusatzfrage der Abgeordneten Pau, Fraktion Die
Linke. Bitte.
Die Kriterien, die Sie eben genannt haben, sind
durchaus nachvollziehbar. Wir haben da auch eine Fürsorgepflicht. Können Sie uns vielleicht sagen, wie viele
Kräfte tatsächlich schon im Einsatz sind?
Die genaue Zahl kann ich Ihnen nicht sagen. Ich
könnte Ihnen nur die nennen, wie viele Todesfälle wir zu
beklagen haben. Über die Finanzmittel habe ich Sie
schon im Einzelnen informiert.
({0})
- Ja, natürlich. Ich reiche das nach.
Danke schön. - Dann kommen wir zur Frage 5 ebenfalls des Abgeordneten Niema Movassat:
Wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige politische Lage in Burkina Faso, bei der es bei dem Versuch einer
einseitigen Verfassungsänderung mit dem Ziel des Machterhalts des autoritären Präsidenten Blaise Compaoré über das
Jahr 2015 hinaus zu massiven Protesten und Unruhen und der
Stürmung des Parlaments und anderer öffentlicher Gebäude
am 30. Oktober 2014 gekommen ist ({0}), und inwiefern versucht die Bundesregierung, über ihre diplomatischen Kanäle
Einfluss auf die Situation im Sinne der Bevölkerung und zu
derem Schutz zu nehmen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter
Movassat, die Beantwortung dieser Frage fällt mir nicht
ganz leicht, weil sich die Lage in Burkina Faso stündlich
verändert. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis dafür,
dass das, was ich jetzt sage, möglicherweise nicht die aktuellsten Entwicklungen wiedergibt. Ich versuche trotzdem mein Bestes.
Die Lage ist, wie Sie sich angesichts solch einer Revolution vorstellen können, derzeit sehr instabil. Es hat
Massenproteste der Bürgerinnen und Bürger gegeben,
und diese führten zum Rücktritt des Präsidenten von
Burkina Faso am 31. Oktober. Dann, nach dem Rücktritt
des Präsidenten, ist das Militär in dieses Machtvakuum
getreten. Jetzt wird es kompliziert: Der Generalstabschef
Traoré hat zunächst die Regierungsgeschäfte übernommen und das Parlament aufgelöst. Nur wenige Stunden
später wurde er vom stellvertretenden Kommandeur der
Präsidentengarde, Oberstleutnant Isaac Zida, abgesetzt.
Zida kann sich nun der Unterstützung des Militärs sicher
sein. Er hat die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die
Opposition lehnt seine Machtübernahme derzeit ab. Es
kam daraufhin am 2. November zu Demonstrationsaufrufen. Den Aufrufen sind aber nur noch sehr wenige Einwohner Ouagadougous gefolgt.
Am 3. November hat sich Zida, also der Übergangspräsident bzw. der selbst ernannte Präsident, im Außenministerium dem Diplomatischen Korps als „Président
du Burkina Faso“ vorgestellt. Er will einen Übergangsprozess hin zu Wahlen einleiten, basierend auf umfassenden, auf Konsens ausgerichteten Gesprächen mit allen Akteuren. - Herr Movassat, da Sie die Frage gestellt
haben, wissen Sie vermutlich, dass die Bevölkerung und
die politischen Verantwortungsträger in Burkina Faso
sehr konsensorientiert sind.
Die Bundesregierung versteht die Geschehnisse in
Burkina Faso als einen von großen Teilen der Bevölkerung begrüßten Prozess, der aber zu einem Machtvakuum geführt hat, das nun das Militär gefüllt hat. Wir
fordern zur schnellstmöglichen Rückkehr zu verfassungsgemäßen Verhältnissen auf.
Danke schön. - Zusatzfrage, Herr Movassat? - Bitte.
Danke. - Es ist ja so, dass der gestürzte Präsident
Compaoré selber durch einen Putsch vor 27 Jahren an
die Macht gekommen ist und seinen Vorgänger Thomas
Sankara sozusagen abgesetzt hat. Es gibt bis heute zahlreiche Hinweise, dass Compaoré in zahlreiche westafrikanische Kriege wie in Liberia, Sierra Leone und der
Elfenbeinküste verstrickt war. Es gibt zudem viele Vorwürfe hinsichtlich Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere auch im Zusammenhang mit den
Todesfällen bei den Protesten am 30. und 31. Oktober.
Deshalb würde mich interessieren, ob sich die Bundesregierung, wie es große Teile der Zivilgesellschaft Burkina
Fasos fordern, für eine Zurrechenschaftziehung Compaorés
einsetzt - Deutschland selbst oder über die Kanäle innerhalb der Europäischen Union -, um die Vorwürfe hinsichtlich dieser Verbrechen aufzuklären, die sich gegen
Compaoré richten.
Wir haben erst einmal allergrößtes Interesse daran,
dass anstelle dieses Machtvakuums eine verfassungsmäßige Ordnung eintritt und man wieder zu stabilen Verhältnissen zurückkehrt. Alles Weitere werden wir mit
unseren internationalen Partnern, auch im Rahmen der
Europäischen Union, eng abstimmen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Movassat? Bitte schön.
Der ehemalige Präsident Compaoré ist in die Elfenbeinküste geflohen, was dort durchaus umstritten ist. Es
sollen auch Geldmittel mitgenommen worden sein, die
möglicherweise dem Staat Burkina Faso und damit der
dortigen Bevölkerung gehören.
Es ist nicht ganz unüblich, dass in diesen Fällen auch
die Vermögenswerte einer solchen Machtclique eingefroren werden, um erst einmal eine gewisse Sicherheit
zu schaffen. Mich würde interessieren: Hat sich die Bundesregierung für solch ein Einfrieren der Geldmittel
bzw. der Vermögenswerte der Familie Compaoré eingesetzt?
Solche Verfahren sind Ihnen - so traurig das auch immer sein mag - ja bekannt, Herr Kollege Movassat. Wir
haben ein Interesse daran - das ist unsere oberste Priorität -, dass wir helfen, schnellstmöglich eine verfassungsgemäße Ordnung herzustellen, die den Menschen dort
das notwendige Maß an Sicherheit gewährt.
Ansonsten stimmen wir weitere Maßnahmen, wie ich
es eben schon gesagt habe, mit unseren EU-Partnern,
aber auch mit der internationalen Gemeinschaft ab. Von
weiteren Aktivitäten ist mir nichts bekannt.
Danke schön. - Dann kommen wir zur Frage 6 des
Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke:
Welche Argumente haben die Bundesregierung dazu bewogen, auf der diesjährigen UN-Vollversammlung, wie schon
in den Vorjahren, gemeinsam mit der überwältigenden Mehrheit der UN-Mitgliedsländer gegen die Stimmen der USA und
Israels für eine sofortige Aufhebung der US-amerikanischen
Blockade gegen Kuba zu stimmen?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, lieber Kollege Wolfgang Gehrcke. Das ist keine neue Entscheidung gewesen. Die EU hat
wie in den vielen Jahren zuvor geschlossen für eine sofortige Aufhebung des US-amerikanischen Embargos
gegen Kuba votiert. Da gibt es großen Konsens in der
Europäischen Union. Es gibt nur wenige Partner auf der
internationalen Ebene, die den Vereinigten Staaten da
zugestimmt haben.
Sie haben nach dem Grund gefragt, warum die Bundesregierung so votiert hat. Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die US-amerikanischen Maßnahmen
wegen ihrer Drittwirkung rechtswidrig sind. Sie berühren unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und der Europäischen Union. Deshalb können wir
ihnen nicht zustimmen. Wir haben ihnen auch in den
vergangenen Jahren nicht zugestimmt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gehrcke.
Lieber Herr Staatsminister, ich habe lange nachgedacht, ob ich eine Frage finde, bei der ich die Bundesregierung einmal loben kann. Jetzt habe ich eine gefunden:
Würden Sie das Lob denn annehmen, dass es sehr vernünftig war, wie in den letzten Jahren für die Aufhebung
der bürgerrechtswidrigen Blockade Kubas zu stimmen
und Aktivitäten in diese Richtung in Gang zu setzen?
Ich habe Ihnen die Begründung dargelegt, die die
Bundesregierung dazu veranlasst hat, gegen dieses Embargo zu stimmen. Das ist keine neue Entscheidung.
Ich persönlich freue mich natürlich sehr darüber, von
- das darf ich jetzt mal so sagen - dir ein Lob zu empfangen. Das ist, glaube ich, das erste Mal, seitdem ich im
Amt bin.
({0})
Das empfinde ich als eine große Genugtuung.
Noch eine Zusatzfrage, Abgeordneter Gehrcke?
Ja, klar. Wenn ich schon lobe, dann will ich dafür
auch noch etwas haben. - Ich möchte natürlich nicht nur
wissen, was die Bundesregierung wie in den vergangenen Jahren zu dieser Entscheidung bewogen hat - das
finde ich alles ganz toll -, sondern ich möchte wissen,
was die Bundesregierung jetzt macht, um ihre Entscheidung zur Aufhebung der Blockade durchzusetzen und
zusammen mit anderen EU-Partnern in die Praxis umzusetzen. Sie könnte etwa in der EU vorstellig werden, um
den sogenannten Gemeinsamen Standpunkt gegenüber
Kuba aufzuheben.
Sie wissen, Herr Kollege Gehrcke, dass die Bundesregierung Gesprächen über den Ausbau der Beziehungen
zu Kuba offen gegenübersteht. Es laufen bereits diverse
intensive Gespräche innerhalb der Europäischen Union.
Wir sehen den Beginn von Verhandlungen zwischen
der EU und Kuba über ein Abkommen zum politischen
Dialog und zur Zusammenarbeit nicht als einen grundlegenden Wandel unserer Kubapolitik; denn wir haben
diese Position schon immer vertreten.
Wir haben uns aber - im Rahmen des Verhandlungsmandats der Europäischen Union - insbesondere dafür
eingesetzt, dass der Entwicklung der Menschenrechtslage bereits während der Verhandlungen eine zentrale
Bedeutung zukommen muss. Die jüngst ausgeschiedene
Hohe Repräsentantin der Europäischen Union, Lady
Ashton, hat dies nach dem Ratsbeschluss über das Mandat für die Verhandlungen mit Kuba auch noch einmal
ausdrücklich bestätigt. Das liegt nun schon wieder neun
Monate zurück; es war im Februar dieses Jahres.
Eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Hänsel, Die
Linke. - Bitte.
Danke schön. - Jetzt gibt es trotzdem den Fall, dass
europäische Banken aufgrund von Verstößen gegen das
Embargo zu Strafzahlungen verdonnert wurden. Meine
Frage lautet: Was machen Sie konkret dagegen? Gibt es
eine gemeinsame Initiative? Wie gehen Sie dagegen
vor?
Frau Abgeordnete Hänsel, Ihre Frage deckt sich mit
der Frage 7 des Abgeordneten Gehrcke, die als Nächstes
aufgerufen werden soll. Herr Präsident, es gibt jetzt zwei
Möglichkeiten: Ich beantworte jetzt die Frage der Abgeordneten Hänsel, dann wäre die Frage des Abgeordneten
Gehrcke schon beantwortet, oder ich beantworte jetzt die
Frage des Abgeordneten Gehrcke, die er schriftlich eingereicht hat.
Wir machen es so: Sie beantworten die Frage 7 des
Abgeordneten Gehrcke. Somit hat er die Möglichkeit,
zwei Nachfragen zu stellen. Damit ist allen inhaltlich
und auch formal am besten gedient, Herr Staatsminister.
Ich rufe also die Frage 7 des Abgeordneten Gehrcke
auf:
Gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer
ablehnenden Haltung zur US-amerikanischen Blockade gegenüber der Republik Kuba, sich auch aktiv für die deutschen
Unternehmen und Banken einzusetzen, die wie zuletzt die
Deutsche Bank AG und die Commerzbank Aktiengesellschaft
von Strafmaßnahmen durch die USA aufgrund ihrer Finanzbeziehungen zu Ländern wie Kuba bedroht sein sollen
({0})?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter
Gehrcke, Frau Abgeordnete Hänsel, Sie können sich
vorstellen, dass sich die Bundesregierung in berechtigten
Fällen und im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen grundsätzlich für deren Anliegen einsetzt. Sie
haben in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter Gehrcke, zwei
Beispiele genannt. Aber die Voraussetzung dafür, dass
wir uns für diese Unternehmen einsetzen, ist, dass sich
die Unternehmen mit der Bundesregierung ins Benehmen setzen und den Kontakt und das Gespräch suchen.
Ich muss Ihnen sagen, dass entsprechende Bitten deutscher Unternehmen bislang nicht an die Bundesregierung herangetragen worden sind. Das beschränkt die
Handlungsmöglichkeiten ziemlich deutlich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gehrcke? - Bitte
schön.
Herr Staatsminister, Sie merken, wie ich mich heute
bewege: Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich in einer
Frage oder in einer politischen Erklärung dafür votiere,
die Deutsche Bank in Schutz zu nehmen. Sonst habe ich
immer gegenteilige Äußerungen von mir gegeben.
({0})
Kann ich Ihre Antwort so interpretieren, dass Sie
deutschen Unternehmen, die von den USA auf Grundlage der Embargomaßnahmen gelistet werden - benutzen wir einmal diesen Ausdruck -, Rechtssicherheit und
Rechtsvertretung versprechen, wenn sich diese Unternehmen an Sie wenden? Das wäre ein beachtlicher Fortschritt.
Ich hatte schon in der Antwort auf die vorhergehende
Frage darauf hingewiesen, dass das zentrale Argument,
warum die Bundesregierung gegen das Embargo eintritt,
die negativen Auswirkungen auf die europäische und die
deutsche Wirtschaft sind. Das ist rechtswidrig; das habe
ich Ihnen erklärt.
Insofern haben wir natürlich ein Interesse daran, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Interessen bestmöglich zu wahren. Aber das setzt voraus, dass diese
Unternehmen auch den Kontakt und das Gespräch mit
der Bundesregierung suchen. Ich glaube, es ist deutlich
geworden, dass wir uns - das ist bislang die Tradition aller Regierungen gewesen - im Rahmen des Außenhandels selbstverständlich für die Interessen der deutschen
Unternehmen einsetzen.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Gehrcke.
Herzlichen Dank. - Ich freue mich, dass die Bundesregierung endlich aktiv wird. Wenn Sie sagen, das sei
schon immer so gewesen, dann ist mir das auch recht.
Haben Sie dabei bedacht, Herr Staatsminister, dass ein
solches verbessertes Verhältnis zu Kuba auch eine Eintrittskarte für bessere Beziehungen zu anderen lateinamerikanischen Staaten sein kann, die sich zusammen
mit Kuba immer mehr für eine andere Wirtschaftspolitik
in Lateinamerika einsetzen?
Sie wissen, dass mein Haus an bestmöglichen Beziehungen zu den lateinamerikanischen und mittelamerikanischen Ländern interessiert ist. Gerade in den vergangenen Jahren haben wir intensiv dafür geworben, dass es
konkrete Projekte nicht nur wirtschaftlicher, sondern vor
allem auch zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit
- Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Stärkung von Demokratie und Freiheit, Unabhängigkeit der Justiz - gibt.
Wenn wir uns in diese Richtung bewegen, dann steht
dem überhaupt nichts entgegen. Wenn wir im Zuge solcher Aktivitäten auch andernorts, beispielsweise bei der
Beurteilung des Embargos gegen Kuba, vorankommen,
dann soll mir das nur recht sein.
Danke schön. - Damit kommen wir zur Frage 8 des
Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Bewertung der
Arbeiterpartei Kurdistans PKK und ihrer syrischen Schwesterpartei PYD als terroristische Vereinigung, nachdem PKKMitglieder im Nordirak in weltweit gefeiertem, erfolgreichem
militärischem Einsatz gegen den IS die Bevölkerung der Jesiden vor Zwangsbekehrung, Versklavung und Mord geschützt
hatten und PYD-Mitglieder in Syrien in und um Kobane die
Stadt und die verbliebene Bevölkerung erfolgreich gegen den
IS schützen, und sieht die Bundesregierung die Unterstützung
dieser Parteien, etwa durch militärische Luftschläge oder
Waffenlieferungen in den Nordirak und nach Syrien oder
durch Sammeln von Spenden in Deutschland, als strafbares
Handeln an, das in Deutschland zu verfolgen ist?
Herr Staatsminister, bitte schön.
Vielen herzlichen Dank. - Herr Abgeordneter
Ströbele, die Frage „Wie gehen wir jetzt mit der PKK
um?“ treibt nicht wenige um; wenn ich das so sagen
darf. Ich will Ihnen erst einmal den Sachstand kurz darstellen.
Die sogenannte Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK,
ist in Deutschland schon seit 1993 als eine ausländische
terroristische Vereinigung eingestuft, und sie steht - das
ist das für unsere Entscheidung wesentliche Element auf der EU-Terrorsanktionsliste. Die Vorgaben dieser
Terrorsanktionsliste setzt Deutschland uneingeschränkt
um. Der Bundesinnenminister hat im November 1993
vereinsrechtliche Betätigungsverbote gegen die PKK
und die PKK-Europaführung verhängt. Bund und Länder haben in der Folge zahlreiche weitere PKK-Organisationen verboten, zuletzt im Jahr 2007 den PKK-TVSender und dessen Deutschlandstudio.
Diese Organisationen verstoßen gegen Strafgesetze.
Sie richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, und sie gefährden nach wie vor die innere Sicherheit Deutschlands. Auf das Konto der PKK gehen
außerdem zahlreiche terroristische Anschläge in der Türkei, von denen auch Zivilisten betroffen waren.
Nun versucht die PKK, sich wegen des Kampfes der
Kurden gegen den sogenannten Islamischen Staat als
Verfechter von Menschenrechten darzustellen. Sie hat
zwar, wenn auch erst seit 1996 unter dem Eindruck der
Verbote, weitgehend von massenmilitanten öffentlichen
Aktionen abgelassen, sie kalkuliert aber unbeschadet aller bisherigen Friedensbekundungen den weiteren Einsatz von Gewalt und Militanz, auch in Europa, ein.
Die Unterstützung der Bundesregierung für die Kräfte
der Region im Norden des Iraks, in Kurdistan, kann
überhaupt nicht mit einer Unterstützung der PKK gleichgesetzt werden. Die Kräfte der Region im Norden des
Iraks, in Kurdistan, sind nämlich verfassungsmäßiger
Bestandteil der irakischen Sicherheitsarchitektur. Falls
es konkrete Fälle des Sammelns von Spenden für die
PKK in Deutschland gibt, so ist die Strafbarkeit in
Deutschland von Ermittlungsbehörden oder Gerichten
zu beurteilen. Dazu kann ich nichts weiter ausführen.
Abgeordneter Ströbele, Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatsminister, ich weiß nicht, ob ich mich für
diese Antwort bedanken soll. Ich lasse es mal
({0})
und stelle eine Zusatzfrage: Herr Staatsminister, können
Sie verstehen, dass ein Mensch, der in Deutschland verhaftet wird - das ist vor ein paar Monaten geschehen und in Untersuchungshaft genommen wird unter der Beschuldigung, dass er Spenden für die PKK in Deutschland gesammelt und damit eine terroristische Vereinigung unterstützt hat, mit der Politik der Bundesregierung
schwer klarkommt, da er gleichzeitig über das Fernsehen
und die Zeitung zur Kenntnis nehmen muss, dass diese
PKK, die er angeblich - wir wissen es ja nicht genau durch eine Geldsammlung hier unterstützt hat, von der
Bundesregierung, den USA und anderen Staaten im
Nordirak massiv unterstützt wird, sogar durch Gewalthandlungen, durch Bombenangriffe und Ähnliches?
Können Sie das verstehen und nachvollziehen? Was sagen Sie einem solchen Menschen?
Herr Abgeordneter Ströbele, ich habe in meiner ersten
Antwort darauf hingewiesen, dass man die Aktivitäten,
auch die militärischen Verteidigungsaktivitäten der Kurdinnen und Kurden im Norden Iraks, die sich im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung des Iraks bewegen, nicht gleichsetzen kann mit den Aktivitäten einer
Terrororganisation namens PKK. Das würde ich auch
diesem Bürger gerne erklären. Wenn er für eine terroristische Organisation in Deutschland Geld gesammelt haben sollte, ist dies zu ahnden. Da stehen - auch das habe
ich Ihnen bereits gesagt - die Ermittlungsbehörden bzw.
die Gerichte in Verantwortung. In dieses juristische Verfahren möchte ich nicht in irgendeiner Weise bewertend
eingreifen.
Aber Sie können hier doch nicht allen Ernstes einen
unmittelbaren Zusammenhang herstellen. Sie wissen
- diese Einschätzung teilt die große Mehrheit dieses
Hauses -, dass der sogenannte Islamische Staat auch mit
militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Deswegen
haben wir ja die umstrittene Entscheidung getroffen, entsprechende Ausrüstungs- bzw. Waffenlieferungen an die
Kräfte der Region Kurdistan/Irak zu gewähren. Dies geschieht aber alles in enger Abstimmung mit der irakischen Regierung, und es gibt entsprechende Kontrollund Abstimmungsmechanismen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? Bitte schön.
Herr Staatsminister, ist es für die Bundesregierung
nicht ein Anlass, ihre Politik gegenüber der PKK hier in
Deutschland zu überprüfen, wenn dieselbe Organisation
ja nicht nur im Nordirak, sondern die Schwesterorganisation auch im Norden Syriens, insbesondere in Kobane,
offenbar sehr humanitäre Aktionen, insbesondere zur
Rettung von Frauen und Kindern vor Mord, durchführt?
Diese sind zwar militärisch, aber bieten Schutz und Hilfe
für die Bevölkerung. Muss die Bundesregierung dann
nicht über ihre Politik, vielleicht auch die gemeinsame
europäische Politik, gegenüber einer solchen Organisation nachdenken?
Ich füge hinzu: Sind der Bundesregierung nicht viele
andere Fälle bekannt, in denen Organisationen als terroristische Vereinigung gestartet sind und sich dann später
so entwickelt haben, dass sie sogar den Staatspräsiden5752
ten stellen, wie es derzeit in El Salvador und in Uruguay
der Fall ist?
Herr Abgeordneter Ströbele, Sie können sich darauf
verlassen, dass die Bundesregierung angesichts der dramatischen Lage in dieser Region, der Tausende von
Menschen zum Opfer gefallen sind, ständig darüber
nachdenkt: Was ist besser zu tun? Wo müssen wir bisherige Strategien kritisch überprüfen? Wo ist ein Neustart
notwendig? Wo ist Hilfe zu leisten? Sie als Parlamentarier werden in diesen Prozess des Nachdenkens, Überlegens und Abwägens eng eingebunden.
Sie haben zum Schluss Ihrer ausführlichen Frage einen ganz wesentlichen Akteur genannt, nämlich die Europäische Union. Es wird und es kann keine Alleingänge
der Bundesregierung geben. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Einstufung der PKK als Terrororganisation
maßgeblich auf der Terrorsanktionsliste der Europäischen Union fußt. Bislang sind wir in den Institutionen
der Europäischen Union zu keiner anderen Auffassung
gekommen; es bleibt dabei. Aber wir sind in einem ständigen Prozess des Abwägens - und dazu haben einige
Abgeordnete schon entsprechende persönliche Beiträge
geleistet; das gilt auch für Mitglieder der Bundesregierung.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hänsel, Fraktion
Die Linke.
Danke. - Ich möchte da noch einmal nachhaken, Herr
Staatsminister. Konkret möchte ich fragen, ob sich die
Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür eingesetzt hat, dass die PKK anders eingeschätzt wird. Wenn
ich höre, dass Sie sagen, dass der Stand weiterhin ist,
dass sie als terroristische Vereinigung eingestuft wird, ist
es dann richtig, dass der Fraktionsvorsitzende Volker
Kauder hier vor kurzem in Erwägung gezogen hat, Waffen an die PKK zu liefern, also in Erwägung gezogen
hat, eine terroristische Vereinigung mit Waffen zu unterstützen? Ist das die richtige politische Analyse?
Die Frage müssten Sie dem Abgeordneten Kauder
selber stellen.
({0})
Ich bin Regierungsmitglied, und ich werde hier nicht
über Aussagen eines einzelnen Abgeordneten spekulieren.
({1})
Das steht mir als Mitglied der Bundesregierung und
Staatsminister auch überhaupt nicht zu.
Im Übrigen habe ich schon deutlich gemacht, dass die
Bundesregierung derzeit keinen Anlass dazu sieht, die
Einstufung der PKK als Terrororganisation zu verändern. Sollten wir das tun, wird das nur in einer engen
Abstimmung mit den Partnern innerhalb der EU geschehen. Derzeit sehe ich diese Situation noch nicht.
Wir kommen zur Frage 9 ebenfalls des Abgeordneten
Ströbele:
Plant die Bundesregierung, sich der deutschen kolonialen
Verantwortung zu stellen und die Verbrechen der deutschen
Kolonialmacht in Kamerun aufzuarbeiten, insbesondere sich
für die Rehabilitierung des Häuptlings Manga Bell einzusetzen, der von der deutschen Kolonialjustiz im August 1914
wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde, weil er sich
- ausnahmslos friedlich - etwa mit rechtlichen, parlamentarischen und publizistischen Mitteln in Deutschland gegen die
umfassende Enteignung des Grundeigentums der Ethnie Douala
zur Wehr setzte, und auf welche Gründe und Fakten stützt die
Bundesregierung die Ablehnung der Forderung der Vertreter
der Douala aus Kamerun, den „Vater des Landes“, Manga
Bell, zu rehabilitieren und mit einem solchen Rechtsakt und
einer solchen Geste ein klares Bekenntnis zur historischen
Verantwortung abzulegen ({0})?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank. - Herr Abgeordneter Ströbele, die Bundesregierung ist sich selbstverständlich der historischen
Verantwortung aus den Jahren der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun sehr bewusst. Sie haben die
geschichtliche Erforschung der von Ihnen angeführten
Vorgänge angemahnt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist das in erster Linie Aufgabe der Wissenschaft.
Eine Forderung der Vertreter der Douala aus Kamerun zur Rehabilitierung von Rudolf Douala Manga Bell
wurde gegenüber der Bundesregierung bislang nicht erhoben.
Im Jahr 2006 hat die Bundesregierung aus Mitteln des
Auswärtigen Amts im Rahmen des Kulturerhalts ein
Projekt in Douala finanziell unterstützt, mit dem unter
anderem an das Schicksal von Manga Bell und die Verantwortung der deutschen Kolonialverwaltung erinnert
wird. Die Deutsche Botschaft hat dabei sehr eng mit den
Nachfahren des Königs von Douala zusammengearbeitet. Es wird auch entsprechende Feierlichkeiten zum
100. Todestag von Manga Bell geben. Diese Feierlichkeiten werden von der Bundesregierung finanziell unterstützt. Auch unsere Botschaft in Jaunde hat ihre Bereitschaft bekundet, an diesen Feierlichkeiten zu Ehren des
Verstorbenen teilzunehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? - Bitte
schön.
Herr Staatsminister, es ist ja fast genau 100 Jahre her,
dass Manga Bell verurteilt und hingerichtet worden ist,
nachdem er von einem deutschen Kolonialgericht wegen
parlamentarischer und anderer friedlicher und ziviler
Aktivitäten für sein Volk in Deutschland zum Tode verHans-Christian Ströbele
urteilt worden ist. Nicht nur Manga Bell selber, sondern
über 150 Menschen sind seinerzeit in der deutschen Kolonie hingerichtet worden. Es geht hier nicht nur um die
historische Forschung - da gebe ich Ihnen ja recht; das
ist im Wesentlichen Aufgabe der Wissenschaft -, sondern meine Frage geht auch dahin, ob die Bundesregierung bereit ist, ein Rehabilitationsverfahren einzuleiten
oder eine solche Erklärung hier im Deutschen Bundestag
und gegenüber dem Volk der Douala abzugeben, ganz
unabhängig davon, ob dazu ein förmlicher Antrag vorliegt.
Aber es ist schon entscheidend, ob es ein solches Begehren und einen solchen Wunsch gibt. Er ist bislang
nicht an uns herangetragen worden. Wir stehen mit den
Nachkommen des Ermordeten und mit vielen anderen in
engem Kontakt. Wir werden auch an den Feierlichkeiten
mitwirken und sie finanziell unterstützen. Wie andere
Regierungen vor uns stehen auch wir selbstverständlich
zu diesem ganz schwierigen Kapitel der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika. Wir wissen um unsere historische Verantwortung.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? Bitte schön.
Herr Staatsminister, wollen Sie sich oder will sich der
Minister nicht vielleicht ein Beispiel an der früheren
Entwicklungshilfeministerin Frau Wieczorek-Zeul nehmen, die in die ehemalige Kolonie Deutschlands, nach
Namibia, gereist ist und dort eine sehr bewegende und
sehr zutreffende Erklärung zu dem Völkermord, den die
deutschen Kolonialtruppen dort zu verantworten hatten,
abgegeben hat? Ich glaube, das hat den Beziehungen zu
Afrika, aber insbesondere natürlich zu dem betroffenen
Land damals gutgetan. Das würde auch in diesem Falle
erheblich helfen.
Herr Abgeordneter Ströbele, Ihre positive Würdigung
der auch im Namen der Bundesregierung vorgetragenen
Bitte um Entschuldigung und Vergebung durch die damalige Bundesentwicklungshilfeministerin teile ich ausdrücklich; das sehe ich genauso wie Sie. Ich werde gerne
einmal mit dem Bundesminister des Auswärtigen darüber sprechen, wie wir mit unserer historischen Verantwortung in Kamerun umgehen.
Kamerun war immer ein Schwerpunkt unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Seit der Unabhängigkeit sind im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit über 900 Millionen Euro in konkrete Projekte
in Kamerun geflossen. Dass Geld die historische Verantwortung, die wir haben, nicht in irgendeiner Weise zu relativieren vermag, ist mir natürlich klar. Aber wir stehen
zu dieser Verantwortung. Wir stehen insbesondere zu
Kamerun. Das ist ja auch kein abgeschlossener Prozess.
Dazu gibt es keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zur Frage 10 der Abgeordneten
Heike Hänsel:
Teilt die Bundesregierung die Position des EU-Botschafters in Mexiko, Andrew Standley, dass für das Verschwinden
der 43 Studierenden in Iguala nicht der Staat verantwortlich
ist und deshalb auch keine Konsequenzen bezüglich der Beziehungen mit der EU gezogen werden - speziell das Freihandelsabkommen betreffend ({0})?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete
Hänsel, der EU-Botschafter in Mexiko, Andrew
Standley, hat in einem Fernsehinterview für CNN am
23. Oktober dieses Jahres Folgendes klargestellt: Er
sieht aufgrund der Vorfälle in Iguala keine Notwendigkeit von Konsequenzen für die Beziehungen zwischen
der EU und Mexiko und für das mit Mexiko auf Bundesebene - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen abgeschlossene Freihandelsabkommen, da die mexikanische Bundesregierung nicht Urheber der Menschenrechtsverletzungen im Gliedstaat Guerrero sei.
Er hat dabei die mutmaßliche Verstrickung lokaler
Behörden nicht erwähnt, aber auch nicht in Zweifel gezogen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Resolution des Europäischen Parlaments vom gleichen
Tage, die nach seiner Meinung einen ausgewogenen Ton
zwischen der Verurteilung der Taten und gleichzeitiger
Zusage der Unterstützung der mexikanischen Regierung
seitens der EU bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität trifft.
Der Resolutionstext des Europäischen Parlaments,
den wir ebenso unterstützen und auch würdigen, verweist im Übrigen, Frau Abgeordnete Hänsel, klar auf die
mutmaßliche Verwicklung lokaler Behörden in diese
schlimmen Vorfälle. Ich erspare es Ihnen jetzt, die entsprechende Formulierung auf Englisch vorzutragen.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie eine Nachfrage
dazu? - Dann haben Sie das Wort.
Danke schön. - Dazu muss man sagen, viele Delegationen von uns reisen regelmäßig nach Mexiko. Wir sind
dort seit Jahren mit einer fast 100-prozentigen Straflosigkeit auf allen Ebenen konfrontiert. Wenn Sie jetzt
nach Mexiko fahren, stellen Sie eine 98-prozentige
Straflosigkeit fest. Auch vor fünf Jahren bestand schon
eine 98-prozentige Straflosigkeit. Das gilt unabhängig
davon, welche Regierung an der Macht ist.
Daher können Sie doch nicht davon sprechen, es gebe
keine Verantwortung des Staates, wenn schlimme Verbrechen, egal auf welcher Ebene sie passieren, in großem Umfang nicht geahndet werden.
Der derzeit amtierende Präsident Nieto war seinerzeit
als Gouverneur des Bundesstaates Mexiko für einen brutalen Polizeieinsatz verantwortlich, den er befehligt hat.
Über 200 Menschen wurden dabei verhaftet und übel
misshandelt. Ein 14-Jähriger wurde getötet. 40 Frauen
wurden massenvergewaltigt durch die Polizei. Das alles
hatte keine Konsequenzen.
Wie können Sie behaupten, dass es keine Verantwortung der Bundesebene für solche Verbrechen gibt? Die
43 Studierenden sind nur die Spitze des Eisbergs. In einem anderen Bundesstaat sind 21 Jugendliche in einem
Kaufhaus öffentlich hingerichtet worden.
Das heißt, es gibt natürlich eine Verantwortung des
Bundesstaates. Diese können Sie hier auch nicht wegleugnen.
Herr Staatsminister.
Nicht nur Delegationen des Deutschen Bundestages,
sondern auch Delegationen der Bundesregierung reisen
nach Mexiko. Erst kürzlich hat meine Kollegin Böhmer
aus dem Auswärtigen Amt Mexiko besucht, und zwar
vom 19. bis zum 24. Oktober. Ich kann Ihnen versichern,
dass Frau Staatsministerin Böhmer die Vorfälle, die von
Ihnen kritisiert werden, gegenüber hoch- und höchstrangigen Stellen der mexikanischen Regierung angesprochen hat.
Darüber hinaus hat sie sich zusammengesetzt mit
Menschenrechtsverteidigern Mexikos. In Vorbereitung
dieser Reise hat es eine Fülle von Gesprächen mit Vertretern hiesiger Menschenrechtsorganisationen zu diesem Thema gegeben.
Das Auswärtige Amt hat bereits am 8. Oktober zu
diesen Vorfällen Gespräche mit der Nichtregierungsorganisation Menschenrechtskoordination Mexiko und mit
Amnesty International geführt. Ich darf hinzufügen, dass
auch unser Menschenrechtsbeauftragter, Herr Strässer,
ein Gespräch mit der NGO Menschenrechtskoordination
Mexiko geführt hat. Darüber hinaus hat sich unsere Botschaft auch gegenüber der EU-Delegation in Mexiko für
eine entsprechende EU-Erklärung eingesetzt. Diese lokale Erklärung wurde am 12. Oktober veröffentlicht.
Ferner habe ich deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Resolution des Europäischen Parlaments teilt,
das sich sehr kritisch geäußert hat.
Nun möchte ich auf Ihre Forderung zurückkommen
- ich insinuiere das jetzt einfach einmal so -, die Modernisierung des Freihandelsabkommens mit Mexiko auszusetzen bzw. das in Verhandlung befindliche Sicherheitsabkommen auszusetzen. Da es gerade um den
Kampf gegen die organisierte Kriminalität geht, wäre es
aus meiner Sicht geradezu hanebüchen, wenn wir jetzt
vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Verbrechen
im Bundesstaat Guerrero unsere Verhandlungen aussetzen würden. Wir brauchen mehr Sicherheit. Wir müssen
die Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ausweiten. Daher bin ich dafür,
dass wir diese Verhandlungen entschieden fortsetzen.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine zweite
Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Danke schön. - Herr Staatsminister, wenn Sie so umfassend mit Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und anderen sprechen, dann ist es eigentlich
noch schlimmer, dass Sie nicht agieren, weil all diese
Gruppen Ihnen wie auch uns allen bei allen Besuchen erzählen, dass der Staat Teil des Problems ist und dass
diese Verbrechen nicht vonseiten der organisierten Kriminalität begangen werden, sondern von Teilen des Sicherheitsapparates, der Polizei auf lokaler Ebene und auf
Bundesebene und von Teilen des Militärs.
Genau deswegen fordern wir - damit komme ich zu
meiner Frage -, dass man in dieser Situation einer massiven Unterwanderung seitens der Polizei- und Sicherheitskräfte, die Teil der organisierten Kriminalität und
Täter dieser staatlichen Repressionen sind, kein Sicherheitsabkommen abschließt, bei dem es unter anderem
darum geht, den Datenaustausch weiter zu forcieren und
die Aufstandsbekämpfung weiter zu trainieren. Das
heißt, man trainiert im Grunde Sicherheitskräfte, die kriminell vorgehen und für Menschenrechtsverletzungen
verantwortlich sind. Das können Sie nicht verantworten.
Frau Abgeordnete Hänsel, ich teile Ihre Interpretation
eines Sicherheitsabkommens ausdrücklich nicht. Es geht
gerade darum, Bürgerinnen und Bürger zu schützen und
die individuelle Sicherheit zu erhöhen. Ich will auch vor
dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung hinzufügen,
dass nach aktuellem Stand auf der mexikanischen Seite
die Generalstaatsanwaltschaft, die auch mit der Strafverfolgung der Täter des Verbrechens von Guerrero beauftragt wurde, gerade über 20 verdächtigte Polizeibeamte
festgenommen hat. Insofern will ich das jetzt nicht weiter bewerten.
Es tut sich etwas, aber Sie können sich darauf verlassen, dass wir in enger Abstimmung sind. Wir verlassen
uns eben nicht nur auf die Gespräche mit der mexikanischen Regierung, sondern - ganz im Gegenteil - wir suchen den engen Austausch und das direkte Gespräch mit
den NGOs, mit Amnesty und anderen Organisationen,
die ich Ihnen eben genannt habe. Das fließt auch in unsere jeweilige Beurteilung mit ein. Die Beurteilung sieht
aber anders aus als die Ihrige.
Der Kollege Ströbele hat noch eine weitere Nachfrage. Darum erteile ich ihm das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich
glaube, Sie haben etwas an der Frage vorbei geantwortet.
Ich finde es gut, dass Sie dort mit Oppositionellen, aber
auch mit NGOs und gerade auch mit Menschenrechtsorganisationen reden. Das ist dringend erforderlich.
Aber dann müssen Sie doch auch die Schreie aus den
Massendemonstrationen zur Kenntnis genommen haben,
die man aus Mexiko-Stadt bis nach Berlin hört. In Berlin
findet derzeit - ich weiß nicht, ob Sie das wissen - eine
43-stündige Mahnwache im Gedenken an die Toten und
an die Zustände in Mexiko statt. Sie müssen doch zur
Kenntnis nehmen, dass die Beschuldigungen sich nicht
darauf beschränken, dass lokale Behörden eine direkte
Verantwortung für die mutmaßliche Ermordung - wir
wissen noch nicht genau, was passiert ist - haben, sondern dass man die gesamte Administration bis in die Regierung hinein der Komplizenschaft verdächtigt und beschuldigt. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen,
statt einfach zu sagen: Wir liefern denen jetzt Waffen
und machen Sicherheitsabkommen und alles Mögliche,
weil wir der Regierung vertrauen.
Uns interessiert: Welchen Wert legen Sie auf die Argumente der Menschenrechtsorganisationen und der Demonstranten, die solche Feststellungen oder Mutmaßungen äußern? Sagen Sie: „Da ist überhaupt nichts dran;
die Regierung ist in jeder Hinsicht vertrauenswürdig und
duldet diese schrecklichen Geschichten nicht, sondern
sie macht wirklich etwas dagegen“? Die Beauftragung
eines Generalstaatsanwalts ist wenig wert, solange man
nicht weiß, ob er nicht selber mit den örtlichen Behörden
in Verbindung steht. Deshalb ist meine Frage: Wie ernst
nehmen Sie die anderen Darstellungen? Überprüfen Sie
sie, und welche Meinung haben Sie dazu?
Herr Staatsminister.
Herr Abgeordneter Ströbele, wir nehmen alle Vorwürfe sehr ernst. Deshalb befinden wir uns auch mit allen Verantwortlichen im engen Austausch. Damit hier
kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin stolz darauf, für
ein Auswärtiges Amt arbeiten zu dürfen, das sich nicht
nur als Ministerium für internationale Beziehungen versteht, sondern vor allem als Menschenrechtsministerium.
Das ist ein wesentliches Element unserer politischen Bemühungen auf der internationalen Ebene. Ich darf Ihnen
versichern, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen, die
in meinem Haus in Verantwortung stehen, der Stärkung
der Menschenrechte und ihrer Universalität verpflichtet
fühlen. Dabei ist uns völlig egal, um welches Land es
geht. Wir setzen uns überall für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Ich freue mich, dass Sie dabei an unserer Seite stehen, Herr Abgeordneter Ströbele.
({0})
- Ich beantworte die Fragen so, wie ich meine, sie beantworten zu müssen.
Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Lenkert
das Wort.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, es gibt zumindest
berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit von Behörden
in einigen mexikanischen Bundesstaaten. Wir haben im
Gegensatz zu Ihnen auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit
einiger Verhaltensweisen der Zentralregierung in Mexiko. Vor dem Hintergrund, dass Schusswaffen, die von
Heckler & Koch nach Mexiko geliefert wurden, in völlig
andere Kanäle gelangt sind, möchte ich Sie fragen, ob
Sie zukünftig planen, keine Waffenlieferungen nach Mexiko mehr zuzulassen.
Wie Sie wissen, gibt es eine sehr restriktive Regelung
betreffend den Export von Waffen in Länder außerhalb
der Europäischen Union und der NATO. Wir werden
weiterhin - hier ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie federführend - auf die restriktiven
Maßstäbe bei der Umsetzung achten. Darauf können Sie
sich verlassen.
Damit kommen wir zu Frage 11 der Kollegin Heike
Hänsel:
Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob
die extrem rechte Partei Swoboda vor allem deshalb trotz
Scheiterns an der Fünfprozenthürde über Direktmandate im
ukrainischen Parlament vertreten sein wird, weil die Partei
des ukrainischen Präsidenten, Block Petro Poroschenko, in
den Wahlkreisen, in denen Swoboda bei den vergangenen
Wahlen Direktmandate geholt hat, als Dank für die Unterstützung bei der Auflösung des Parlaments und damit der Ausrichtung von vorgezogenen Wahlen auf eigene Kandidaten
verzichtet bzw. nur schwache Kandidaten aufgestellt hat und
somit dieser extrem rechten Partei einen Verbleib in der
Werchowna Rada gesichert hat, und teilt die Bundesregierung
die Auffassung, dass diese Art der Organisation des Wahlergebnisses derjenigen stark ähnelt, die die Partei der Regionen unter dem Präsidenten Wiktor Janukowitsch bei den Parlamentswahlen 2012 angewandt hat ({0})?
Das Wort hat wiederum der Herr Staatsminister.
Vielen Dank. - Frau Abgeordnete Hänsel, in Ihrer
Frage beziehen Sie sich auf die jüngsten Wahlen zum
ukrainischen Parlament, zu der sogenannten Rada. Bei
den Wahlen am 26. Oktober haben - das darf ich persönlich hinzufügen - erfreulicherweise extremistische, radikale Parteien - anders als noch im Jahr 2012 - einen ausgesprochen geringen Zulauf erhalten. Die Partei Rechter
Sektor scheiterte sehr deutlich an der Fünfprozenthürde
und konnte nur ein einziges Direktmandat erzielen. Die
rechtsnationalistische Swoboda scheiterte ebenfalls an
der Fünfprozenthürde. Die rechtspopulistische Radikale
Partei blieb mit etwa 7,5 Prozent hinter den Erwartungen
zurück. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus
- das ist die Bewertung der Wahlergebnisse -, dass nationalistische, extremistische und radikale Kräfte keinen
Einfluss auf die Politik der Ukraine haben werden. Auch
dieser Hinweis sei mir gestattet: Solche schlechten
Wahlergebnisse von Rechtsextremisten und Populisten
würde ich mir auch in manchem Mitgliedsland der Europäischen Union wünschen.
Der Bundesregierung sind Presseberichte bekannt,
nach denen sich der Block Petro Poroschenko und die
Partei Swoboda bei der Aufstellung von Direktkandidaten abgesprochen haben sollen. Bei dieser Absprache
ging es vor allem darum, die Erfolgschancen der jeweiligen Kandidaten beider Parteien zu erhöhen. Absprachen
dieser Art verstoßen nach Kenntnis der Bundesregierung
nicht gegen ukrainisches Recht. Sie werden sich daran
erinnern, dass noch im Jahr 2012 der Partei der Regionen klar rechtswidrige Handlungen vorgeworfen worden
sind wie Wählerbestechung, Missbrauch administrativer
Ressourcen und direkte Wahlfälschung. Nun liegen die
vorläufigen Schlussfolgerungen der OSZE-Wahlbeobachtungsmission vor. Die OSZE hat bei den jüngsten
Wahlen am 26. Oktober derartige Praktiken nicht beobachtet bzw. nur in einigen wenigen Einzelfällen. Dabei geht es um Wählerbestechung.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie dazu eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke schön, Herr Staatsminister. - Teilen Sie eventuell die Auffassung, dass es schon etwas merkwürdig
ist, dass sich nun der Poroschenko-Block mit Swoboda
einigt, um die gegenseitigen Erfolgschancen zu erhöhen,
und durch Absprachen vor Ort Swoboda sechs Sitze im
ukrainischen Parlament ermöglicht hat? Zwar haben einzelne extremistische Parteien keinen großen Erfolg erzielt. Aber zahlreiche extrem rechte Kandidaten sind nun
im Parlament vertreten. Sie haben Absprachen mit anderen Parteien getroffen und wurden so in das Parlament
gewählt. Ich nenne als Beispiel die Volksfront von
Jazenjuk.
Dazu nur ein paar Beispiele: Zum Beispiel sind mittlerweile im Parlament der Gründer der neonazistischen
Nationalen Partei der Ukraine, Andrej Parubij, der zugleich der Führer des Bataillons Dnjepr 1 ist, dann
Tatjana Tschornowol, der die faschistische Miliz
UNA-UNSO nicht radikal genug war und sie deswegen
sogar verließ, Andrej Biletski, bekennender Neofaschist
und Kommandeur des im Kern aus extrem Rechten bestehenden Asow-Bataillons - darüber wurde auch in den
Medien berichtet - sowie eine weitere Anzahl von extrem Rechten.
Würden Sie nicht sagen, dass diese Anzahl der rechtsextremen Abgeordneten auf alle Fälle einen Einfluss auf
die Politikgestaltung des Landes hat?
Frau Abgeordnete Hänsel, ich habe erst einmal darauf
hingewiesen, dass im Vergleich zur Wahl 2012 der Einfluss von rechtsextremistischen, nationalistischen, populistischen Abgeordneten massiv zurückgegangen ist. Das
ist ein großer Erfolg. Bei den Rada-Wahlen sind proeuropäische Kräfte, die sich der europäischen Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen, gestärkt worden; sie stellen eine deutliche Mehrheit.
Sie können sich darauf verlassen, Frau Abgeordnete
Hänsel - wir haben uns hier schon in vielen Fragestunden
darüber kritisch ausgetauscht -, dass diese Bundesregierung sehr wachsam ist, wenn es um Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Gewalt gegen religiöse Minderheiten geht, egal wo, selbstverständlich
auch in der Ukraine. Ich habe Ihnen immer wieder geschildert, dass wir klare Erwartungshaltungen auch an
die ukrainische Regierung und die anderen ukrainischen
Verantwortlichen haben.
Nun sollten wir doch angesichts eines solchen Wahlergebnisses, das eine drastische Verminderung der Zahl
von Abgeordneten aus populistischen, nationalistischen
und rechtsextremen Bereichen zur Folge hatte, die Dinge
nicht schlechter reden, als sie realiter sind. Das, was Sie
kritisieren, nämlich, dass es vor einer Wahl Absprachen
gegeben habe, steht ja zumindest nach unserer Kenntnis
nicht im Widerspruch zu den Gesetzen der Ukraine. Da
ist kein Gesetz und kein Recht infrage gestellt worden.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine weitere
Frage? - Dann haben Sie das Wort dazu.
Danke schön. - Herr Staatsminister, so etwas muss
man sich einmal in Deutschland vorstellen: Würde die
CDU Kandidaten der NPD auf ihre Liste nehmen, gäbe
es hier doch einen Aufschrei. Ihn gibt es doch schon bei
der Frage, dass einzelne Abgeordnete in Erwägung ziehen, dass die AfD als Bündnispartner nicht ausgeschlossen werden dürfe. Daher müssen wir es doch absolut kritisieren - es gibt doch einen demokratischen Konsens -,
wenn auf der Jazenjuk-Liste - er ist Ministerpräsident
gewesen und wurde von den USA unterstützt - die
Volksfront jetzt stärkste Kraft ist und Anführer des berüchtigten Asow-Bataillons und weitere andere faschistische Kandidaten stehen, die eindeutige NS-Bezüge in ihrer politischen Ausrichtung haben. Angesichts dessen
kann ich doch nicht sagen, wir dürfen das jetzt nicht
überbewerten. Der Poroschenko-Block, der von der
Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird - da gibt es
auch einen direkten Einfluss -, macht vor Ort Absprachen mit Abgeordneten der Swoboda-Partei. Das sind
doch Zustände, die man nicht einfach so negieren kann.
Dazu müssen Sie sich doch politisch verhalten!
Danke, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Hänsel,
darauf habe ich nun nur noch gewartet, dass jetzt die
Vereinigten Staaten von Amerika kommen und dann
gleichzeitig insinuiert wird, dass die auch noch Faschisten in der Ukraine unterstützten. Dass dies genau auf Ihrer propagandistischen Linie lieg, das mag ja so sein.
Aber ich habe darauf hingewiesen, dass diese Bundesregierung dem Kampf gegen Rechtsextremismus verpflichtet ist und dass wir alles in unseren Möglichkeiten
Stehende tun, um diesen auch zu ahnden.
({0})
Ich kann mich doch nur auf Wahlergebnisse und die
Erkenntnisse der OSZE-Wahlbeobachtermission beziehen, die eine kritische und eine sehr aufmerksame Bewertung des Wahlergebnisses vorgenommen hat, und darauf vertrauen. Wenn uns gesagt wird, es sei alles mit
rechten Dingen zugegangen, die Zahl der gewählten
Rechtsextremisten, Nationalisten und Populisten sei
deutlich nach unten gegangen, dann kann ich mich doch
nicht hier hinstellen und ein Gefahrengemälde an die
Wand zeichnen, das sich mit der Realität nicht deckt.
Gleichzeitig bin ich für jeden Hinweis dankbar, und wir
werden diesen Hinweisen auch nachgehen.
Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass wir
sehr frühzeitig beispielsweise die jüdischen Gemeinden
in der Ukraine eingeladen haben. Sofort, nachdem der
Vorwurf erhoben wurde, es habe Handlungen gegen Jüdinnen und Juden in der Ukraine gegeben, haben wir uns
mit den jüdischen Gemeinden in Verbindung gesetzt.
Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben den Vorsitzenden des Vereins der jüdischen Gemeinden eingeladen und das Gespräch gesucht.
Wir sollten doch hier nicht den Eindruck erwecken,
als sei uns das alles egal oder als seien wir auf dem rechten Auge blind. Aber die Ukraine ist ein Land auf dem
ganz schwierigen und langen Weg in eine Demokratie, in
eine Rechtsstaatlichkeit, und wir wissen doch alle, dass
da vieles noch im Argen liegt. Aber wir haben ein Interesse daran, dass unsere Wertvorstellungen, die sich mit
rechtsextremistischen Vorstellungen nicht vereinen lassen, auch in der Ukraine dauerhaft mehrheitsfähig bleiben.
Deshalb bleibe ich dabei - dies ist die Auffassung der
Bundesregierung -, dass wir erst einmal froh darüber
sind, dass Parteien und Kräfte, die sich der europäischen
Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen, am 26. Oktober
bei den Rada-Wahlen eine deutliche Mehrheit bekommen haben.
({1})
Für eine weitere Nachfrage hat das Wort der Kollege
Manfred Grund.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Verwunderung,
dass die Kollegin Hänsel in einem gewagten Konstrukt
einen Einfluss von vorgeblich faschistischen Kräften auf
die kommende ukrainische Regierung konstruiert, aber
gleichzeitig überhaupt kein Wort über den Einfluss der
rechtsextremen Schirinowski-Partei auf die Moskauer
Politik findet und auch kein Wort dazu sagt, dass rechtsextreme europäische Parteien, angefangen von der deutschen NPD über Le Pen in Frankreich, über Ataka aus
Bulgarien bis hin zu Jobbik aus Ungarn, nach Moskau
pilgern und sich dort die Klinke in die Hand geben, nicht
aber nach dem angeblich faschistischen Kiew? Teilen
Sie meine Verwunderung über dieses Konstrukt?
Erst einmal, Herr Abgeordneter, danke ich allen hier
im Hause, die uns dabei helfen, objektive Informationen
über die Lage nicht nur in der Ukraine zu erhalten. Deswegen freue ich mich immer, wenn Sie die Länder besuchen, wenn Sie sich vor Ort intensiv informieren, wenn
Sie kritisch nachfragen und auch nachhaken.
Mich verwundert derzeit leider fast gar nichts mehr,
Herr Abgeordneter Grund, was die teilweise einseitige
Bewertung anbelangt. Ich kann Ihnen nur versichern,
dass diese Regierung - egal, welches Land es betrifft sich immer verpflichtet fühlt, sich zu engagieren und
konsequent für Respekt, für Demokratie, für Freiheit und
Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Wir treten immer für die
Ächtung des Antisemitismus ein. Wir sind für ein friedliches Miteinander der Religionen, der Kulturen, der Ethnien. Dieses Verständnis liegt allen unseren Bewertungen zugrunde.
Die Frage 12 der Abgeordneten Marieluise Beck und
die Frage 13 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden
schriftlich beantwortet. Deshalb haben wir den Geschäftsbereich des Ministeriums des Auswärtigen abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Staatsminister.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Frage 14 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich
beantwortet.
Deshalb kommen wir jetzt zur Frage 15 der Kollegin
Petra Pau:
Aufgrund welcher gewissenhaften und sachgerechten
Überprüfungen des Sachverhalts kam die Bundesregierung
dazu, die Frage, welche Differenzen es zwischen dem Bundesministerium des Innern, dem Generalbundesanwalt, dem
Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, hinsichtlich der Definition des Rechtsterrorismus
seit dem Jahr 1992 gab, wie folgt zu beantworten: „Der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt orientieren sich
bei ihrer Aufgabenerfüllung an dem Begriff der terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a des Strafgesetzbuchs und
den hierzu vom Bundesgerichtshof ({0}) aufgestellten Voraussetzungen, z. B. zur Mitgliederzahl von mindestens drei
Personen … Im Gegensatz dazu ist die verfassungsschutzrelevante Definition von ,Terrorismus‘ … nicht zwingend an
mehrere Täter gebunden. Dieser Unterschied resultiert aus
den jeweiligen gesetzlichen Aufgaben- und Befugnisnormen
der verschiedenen Behörden. Differenzen zwischen dem
BMI, dem Generalbundesanwalt, dem Bundeskriminalamt
und dem BfV sind der Bundesregierung insoweit nicht bekannt“ ({1}), und würde die Bundesregierung diese Antwort nach wie vor für richtig halten?
Das Wort hat der Staatssekretär Dr. Krings.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Vizepräsidentin,
Differenzen zur Frage, ob terroristische Bedrohungen im
Bereich des Rechtsextremismus vorlagen, sind der Bundesregierung aus dem Kontext dieser ganzen Aufarbeitung, darunter der des NSU-Komplexes, und auch nach
nochmaligem Abgleich mit den Aussagen des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in der
letzten, der 17. Wahlperiode, nicht bekannt.
Deshalb: Ja, wir bleiben bei unserer Bewertung, die
wir auch schon in der Antwort auf Ihre im September gestellte Kleine Anfrage gegeben haben.
Sie, Frau Kollegin, haben mit Sicherheit eine Nachfrage.
Ja, ich habe Nachfragen. - Für all diejenigen, die die
Frage gelesen haben, auf die sich die Antwort des Herrn
Staatssekretärs bezieht, sage ich gleich: Die komplizierte
Formulierung geht nicht etwa auf mich oder meine Fraktion zurück, sondern auf eine Antwort, die die Bundesregierung gegeben hat, vielleicht sogar der Herr Staatssekretär selbst im September unterschrieben hat.
Uns interessierte, inwieweit man den Befund, den der
Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex gefunden
hat, nämlich dass es in den unterschiedlichen Behörden
- Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt und zum Schluss auch im
Bundesinnenministerium - sehr unterschiedliche Einordnungen hinsichtlich der Existenz von rechtsterroristischen Strukturen und Gefahren gab, aufgearbeitet hat
und ob man jetzt vielleicht zu einer gemeinsamen Definition gekommen ist.
Sie haben eben gesagt, Sie hätten alles noch einmal
überprüft. Ich will Ihnen helfen. In der 72. Sitzung des
NSU-Untersuchungsausschusses am 16. Mai 2013 hat
die Leiterin des Referats Rechtsterrorismus im Bundesamt für Verfassungsschutz - an diesem Tag hieß sie Rita
Dobersalzka - ausgeführt:
Wir haben aber im BfV diesen Begriff Rechtsterrorismus nie so definiert, wie es der Begriff der terroristischen Vereinigung nahelegt und wie es auch
von der Polizei oder vom GBA als Maßstab genommen wird, sondern wir haben immer nach den Ansätzen gesucht … Und diese Ansätze … haben wir
eben in diesem Referat verfolgt.
Dann hieß es weiter im Disput mit dem Kollegen
Binninger von der CDU/CSU-Fraktion:
Die Notwendigkeit für uns, immer zu sagen: „Es
sind keine Strukturen erkennbar“, hat sich daraus
ergeben, dass sich in der Zusammenarbeit mit der
Polizei und mit dem Generalbundesanwalt, ja ich
sage mal, definitorische Unterschiede ergaben.
Wenn wir gesagt hätten: „Es gibt in Deutschland
Rechtsterrorismus“, dann hätten wir das mit keinem
Einzelfall belegen können.
Deshalb, so geht es dann weiter, seien diese Fälle im
Allgemeinen auch nicht verurteilt worden, obwohl
Strukturen festgestellt worden seien, welche Waffen,
Sprengstoff und anderes gehortet hätten. Also übersetzt:
Wenn es nicht drei Personen waren, die Bomben gebaut
und Waffen gehortet haben, sondern nur zwei, dann
durften sie nicht als rechtsterroristische Vereinigung eingestuft werden.
Meine Frage ist: Würden Sie das heute noch - nach
NSU - so bewerten, oder gibt es jetzt eine gemeinsame
Definition?
Herr Staatssekretär.
Sie haben zu Recht etwas weiter ausgeholt; auch ich
möchte das tun. Die Frage, ob zwischen dem Bundeskriminalamt und insbesondere dem Bundesamt für Verfassungsschutz abweichende Auffassungen zur Einschätzung
der terroristischen Bedrohungslage in concreto vorlagen, ist
auch im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses
differenziert nachgezeichnet worden. Man hat sich auch
auf Diskussionen in der Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer und
rechtsterroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher
Gewaltakte bezogen. Aufgabe auch dieser Informationsgruppe war es, Analysen zur Sicherheitslage zu erstellen.
Hierzu wurden in dem Zeitraum, der hier untersucht
wurde, Lagebilder zum Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus erörtert.
1999 führte das Bundesamt für Verfassungsschutz
etwa aus, dass es derzeit keine rechtsextremistische Organisation gebe, die zur Durchsetzung ihrer politischen
Ziele terroristische Aktionen plane. Ich könnte das weiter ausführen, will aber vor allem auf eines hinweisen.
Das, was Sie ansprechen und ich nicht als Widerspruch sehe, sondern was ich als unterschiedlichen Zugang von verschiedenen Ämtern bezeichnen möchte, ist
gerade die Folge der verschiedenen Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Wir wollen mit dem Bundesamt für
Verfassungsschutz und den Landesämtern ein Frühwarnsystem haben, das schaut, wo es Ansätze und Strukturen
gibt. Das gilt auch für den Bereich des Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus. Entsprechend weit gefasst
muss natürlich der Begriff des Rechtsterrorismus sein,
den die Verfassungsschutzämter zugrunde legen, während wir beim Generalbundesanwalt, bei den Polizeibehörden und dem Bundeskriminalamt von dem strafrechtlichen Begriff ausgehen, also insbesondere von § 129 a.
Natürlich ist hier durch die Rechtsprechung ein ganz anderer Zugang definiert worden.
Wenn es auf die konkrete Bewertung ankam, kam es
in all den Jahren im Ergebnis in concreto nicht zu einer
Differenz, so die Aussagen der Sicherheitsbehörden am
heutigen Tag.
Frau Kollegin, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Ja. - Jetzt kommen wir einmal zur Praxis im Jahr
2014. Wie ist es denn jetzt? Angenommen, das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt im Rahmen des Frühwarnsystems, wie Sie es gerade beschrieben haben, fest,
dass nicht etwa drei, sondern zwei Personen unterwegs
sind, die sich bewaffnen, die sich mit Sprengstoff ausrüsten, die Planungen vornehmen. Aber Gott sei Dank ist
noch nichts passiert. Speisen Sie diesen Sachverhalt zumindest als mögliche rechtsterroristische Gefahr in das
Gemeinsame Abwehrzentrum ein? Wird das dann
adäquat behandelt, oder wird es aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten und Zugänge erst einmal
beiseitegelegt, bis etwas passiert ist? Tauchen solche
Strukturen im nächsten Verfassungsschutzbericht zumindest als heraufziehende rechtsterroristische Gefahr auf,
oder wird das aufgrund dieser unterschiedlichen Definitionen in den einzelnen Behörden weiter unterschiedlich
behandelt und nicht gemeinsam als Rechtsterrorismus
bekämpft?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Wir haben ja gerade deshalb diese
Möglichkeiten des Informations- und Erfahrungsaustausches zwischen Behörden in den letzten Jahren geschaffen. Aus dem Grunde ist es aus meiner Sicht selbstverständlich, dass diese Informationen ausgetauscht werden
und dass man zu einer gemeinsamen Bewertung kommt.
Wenn es Anhaltspunkte für rechtsterroristische Strukturen gibt, wie Sie es eben dargestellt haben, gehe ich davon aus, dass das entsprechend berücksichtigt wird und
dass das in die entsprechenden Berichterstattungen und
in die entsprechenden Analysen aufgenommen wird.
Eine weitere Nachfrage, und zwar des Kollegen
Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wenn ich Sie jetzt richtig interpretiere - korrigieren Sie
mich; ich hoffe, Sie können mich korrigieren -, haben
Sie auch heute noch keine gemeinsame Definition für
„rechtsterroristische Aktionen“ bzw. für „rechtsterroristische Aktivisten“?
Es kann keine im Wortlaut identische Definition geben. Das eine ist die strafrechtliche Definition nach
§ 129 a. Wir haben ja das Bestimmtheitsgebot und andere verfassungsrechtliche Grundsätze zu beachten. Der
Verfassungsschutz in Bund und Ländern muss natürlich
- deshalb gibt es ihn auch - schon zu einem frühen Stadium ansetzen und Informationen sammeln.
Wenn es eine solche Definition gäbe, wäre sie aus
meiner Sicht zu eng. Aus dem Grunde brauchen wir die
beiden Zugänge; aus dem Grunde brauchen wir Informationsaustausch. In concreto hat sich noch keine Differenz ergeben, etwa in der Form, dass die eine Behörde
sagt: „Hier geht es um Rechtsterrorismus“ und dass eine
andere sagt: Das ist weit weg davon. - Man hat also
noch immer zueinandergefunden.
Damit ist auch Frage 15 beantwortet.
Die Frage 16 der Kollegin Pau wird unter Hinweis auf
Anlage 4 Nummer 2 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung
- Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen - schriftlich beantwortet. Dahinter
verbirgt sich, dass wir im Anschluss an die Fragestunde
eine Vereinbarte Debatte zu diesem Gegenstand führen.
Die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Martina Renner
sowie die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Dr. André
Hahn werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zu Frage 21 des Kollegen Markus
Tressel:
Ist es zutreffend, dass sich die Bundesregierung für die
umfassende Speicherung von Fluggastdaten auf europäischer
Ebene einsetzen will und sich folglich für eine solche anlasslose Datenspeicherung von mehr als 80 Millionen Deutschen
und 500 Millionen reisenden Europäern ausspricht, und, wenn
ja, aus welchem Grund?
Herr Abgeordneter Tressel, das Thema Fluggastdatenspeicherung beschäftigt uns in diesem Hause schon
länger. Ich will vorwegschicken: Dieses Thema bzw. die
EU-Richtlinie, die in Arbeit ist, ist durch den Beschluss
des Europäischen Rates vom August dieses Jahres und
auch durch die VN-Resolution vom 24. September 2014
im Kontext mit den Terrorkämpfern und ihren Reisebewegungen natürlich drängender geworden.
Die Europäische Kommission hat 2011 einen Vorschlag für eine Richtlinie für ein EU-PNR-System vorgelegt. Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass die
bei der Buchung von Flügen über EU-Außengrenzen erfassten Passagierdaten - also Sitzplatz, Reisebüro, Gepäcknummer usw. - an die jeweilige PNR-Zentralstelle
der Mitgliedstaaten übermittelt werden. Es sollen aber
nur die Daten angefordert werden, die bei den Fluggesellschaften ohnehin gesammelt werden. Das heißt, die
Richtlinie begründet keine Pflicht für die Fluggesellschaften, zusätzliche PNR-Daten zu erfassen. Von dem
Richtlinienvorschlag der EU-Kommission sind natürlich
auch nicht die Daten, wie es in der Frage etwas plakativ
heißt, von rund 80 Millionen Deutschen oder 500 Millionen Europäern erfasst, sondern nur die Daten derjenigen
Bürger, die Linienflüge über EU-Außengrenzen antreten
wollen.
Die von den Behörden der Mitgliedstaaten erfassten
PNR-Daten sollen ausschließlich zur Bekämpfung von
terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität verarbeitet werden. Es bleibt darüber hinaus den einzelnen
Mitgliedstaaten überlassen, zu entscheiden, ob und welche Daten einer Analyse unterzogen werden. Die Mitgliedstaaten sind somit nicht zu einer routinemäßigen
Datenanalyse verpflichtet.
Nach Ansicht der Bundesregierung ist wegen der Gefahr von Anschlägen durch aus Syrien und aus dem Irak
zurückkehrende Dschihadisten dringliches Handeln geboten. Ein Element, um dieser Bedrohung der inneren
Sicherheit zu begegnen, ist das Aufspüren verdächtiger
Reisebewegungen. Hierzu könnten PNR-Daten wichtige Dienste leisten, indem sie unter anderem die Feststellung von Reisebewegungen von terrorismusverdächtigen Personen und Rückschlüsse auf den Aufenthalt
solcher Personen in Terrorcamps oder in Kampfgebieten
ermöglichen.
Der Europäische Rat hat am 30. August 2014 vor dem
Hintergrund der Bedrohung durch die sogenannten
Foreign Fighters den Rat und das Europäische Parlament
ersucht, die Arbeiten an der EU-PNR-Richtlinie vor
Ende dieses Jahres abzuschließen. Es ist daher davon
auszugehen, dass die Arbeiten an der Richtlinie zur Einrichtung eines EU-PNR-Systems zeitnah abgeschlossen
werden. Deutschland wird sich hierbei weiterhin für Verbesserungen insbesondere im Bereich des Datenschutzes
einsetzen.
Herr Kollege Tressel, ich vermute, Sie haben dazu
eine Nachfrage. Dann erteile ich Ihnen dazu auch das
Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade gesagt, dass das zeitnah geschehen
soll. Wann rechnen Sie mit einer Umsetzung der Fluggastdatenrichtlinie?
Eine zweite Nachfrage. Um den 29. Oktober herum
hat das Justizministerium verlauten lassen, man wolle
Datenschutzschranken in die Fluggastdatenrichtlinie hineinverhandelt sehen. Ist das die Auffassung der gesamten Bundesregierung, und wie können solche Schranken
Ihrer Auffassung nach aussehen?
Vielen Dank. - Ich habe mir abgewöhnt, bei solch
sensiblen europäischen Richtlinien exakte Zeitpläne anzunehmen. „Zeitnah“ heißt natürlich: Wir sollten, wenn
der Vorschlag in diesem Jahr vorliegt, im nächsten Jahr
zu Ergebnissen kommen. Dann gibt es natürlich noch die
Umsetzungsfristen. Einen genauen Zeitplan können Sie
von mir heute leider nicht bekommen. Jedenfalls ist es
angesichts der aktuellen Bedrohungslage eine dringliche
Angelegenheit.
Ich kenne die Verlautbarung der Kollegen aus dem
Justizministerium und auch den exakten Hintergrund
nicht, aber ich habe Ihnen in meiner Antwort schon gesagt, dass auch wir - da sind wir, glaube ich, die beiden
Häuser und die gesamte Bundesregierung, nicht weit
voneinander entfernt - auf hohe Datenschutzstandards
drängen. Wir haben uns bereits in der Vergangenheit für
relativ kurze Speicherfristen eingesetzt. Man kann auch
überlegen, ob man stärkere Vorgaben braucht, wenn es
um die Weitergabe von Daten an Drittstaaten und ähnliche Dinge geht. Verfahrensregelungen kann man verschärfen. Es ist eine ganze Fülle von datenschutzfreundlichen Regelungen denkbar und richtig.
Herr Kollege Tressel, haben Sie dazu noch eine Nachfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 22, die ebenso vom Kollegen Tressel gestellt worden ist:
Hält die Bundesregierung die Fluggastdatenspeicherung
vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom April dieses Jahres zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie für mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar, und,
wenn ja, aus welchen Erwägungen?
Diese Frage bewegt sich im gleichen thematischen
Kontext und nimmt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Thema Vorratsdatenspeicherung Bezug. - Das Urteil des EuGH vom 8. April 2014 betrifft
natürlich in erster Linie die Richtlinie 2006/24/EG zur
Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten.
Darin hatte der Europäische Gerichtshof unter anderem
bemängelt, dass die Richtlinie keine ausreichenden Garantien für den Schutz der Grundrechte vorsah. Aus der
Entscheidung folgt nicht, dass ein EU-System zur Speicherung von PNR-Daten gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen würde.
Der Innenkommissar Avramopoulos hat erst kürzlich,
in seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament am
30. September, angekündigt, den Entwurf für eine EUPNR-Richtlinie auch im Lichte des Urteils des EuGH
zur Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu überprüfen. Unabhängig davon wird sich die Bundesregierung
im Rahmen der weiteren Beratungen zwischen dem
Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament über
den Entwurf der EU-PNR-Richtlinie, wie ich das eben
schon gesagt habe, für die Aufnahme weiterer Datenschutzgarantien einsetzen.
Der Herr Kollege Tressel hat dazu keine Nachfrage.
Dann können wir den Geschäftsbereich des Innenministeriums abschließen. Ich darf an dieser Stelle dem
Vizepräsident Johannes Singhammer
Herrn Staatssekretär für die Beantwortung herzlich danken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die
Frage 23 des Kollegen Hunko wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 24 und 25 der
Kollegin Karawanskij werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Lösekrug-Möller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Corinna Rüffer
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die
Kosten der Unterkunft in einem ersten Schritt ab 2018 in
Höhe von 5 Milliarden Euro und ab 2020 komplett aus Bundesmitteln zu finanzieren, und welcher inhaltliche und zeitliche Zusammenhang besteht aus Sicht der Bundesregierung
zwischen einer solchen finanziellen Entlastung der Kommunen und der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im
Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention?
Verehrte Kollegin Rüffer, ich darf Ihnen auf Ihre
Frage antworten: Nach dem Koalitionsvertrag sollen die
Kommunen im Rahmen der Verabschiedung eines Bundesteilhabegesetzes im Umfang von 5 Milliarden Euro
jährlich von den Kosten der Eingliederungshilfe entlastet
werden. Die Bundesregierung prüft auch den Vorschlag,
eine Entlastung der Kommunen über eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft zu erreichen. Die Bundesregierung steht gleichzeitig zu ihrer
Zusage, in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines
Bundesteilhabegesetzes zu erarbeiten, um das Teilhaberecht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention
weiterzuentwickeln.
Frau Kollegin, haben Sie dazu eine Nachfrage?
Ja. - Angesichts der Bedeutung dieses Gesetzgebungsvorhabens - unheimlich viele Menschen schauen
darauf: betroffene behinderte Menschen, die sie vertretenden Verbände - ist es offensichtlich, dass ein Teil der
Dynamik, die im Gesetzgebungsprozess von Anfang an
wahrzunehmen war, damit zusammenhing, dass es eine
enge Verbindung zwischen der Reform der Eingliederungshilfe, der Vorlage eines Bundesteilhabegesetzes auf
der einen Seite und der Entlastung der Kommunen auf
der anderen Seite gab. Der Vorschlag auf der Grundlage
des Schäuble-Scholz-Papiers, der jetzt im Raum steht,
geht in eine andere Richtung und sieht eine Entkoppelung dieses Zusammenhanges vor; so viel zum Hintergrund.
Frau Nahles war heute Morgen im Ausschuss und hat
klar gesagt, dass das BMAS dem Vorschlag, ab 2020
100 Prozent der KdU zu übernehmen, kritisch gegenübersteht. Daraus resultiert jetzt meine Frage: Welche alternativen Vorschläge werden gegenwärtig einer tieferen
Prüfung unterzogen, um die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention mit der finanziellen Entlastung der Kommunen zu verknüpfen? Welche Rolle spielt dabei
gegebenenfalls die stärkere Beteiligung der Sozialversicherung?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Ich kann Ihnen darauf gerne antworten. Auch ich war
heute im Ausschuss zugegen und habe die Ministerin gehört. Für mich stand sehr im Vordergrund, dass sie gar
keinen Zweifel daran gelassen hat, dass ein Bundesteilhabegesetz in dieser Legislatur nicht nur vorbereitet,
sondern auch verabschiedet wird. Jetzt gibt es einen
neuen Vorschlag über einen Finanzierungspfad. Ich
würde mich wiederholen und merke nur an: Dieser Vorschlag wird geprüft. Der Koalitionsvertrag enthält außer
der von mir zitierten Regelung keinen anderen Finanzierungsweg.
Sie können versichert sein, dass wir in der fachlichen
Vorbereitung des Gesetzes sehr stark voranschreiten. Sie
wissen auch um den breiten Beteiligungsprozess, in den
wir eingestiegen sind. Das ist der gegenwärtige Stand
der Arbeit zu diesem aus der Sicht des Ministeriums
wichtigen Gesetzesvorhaben.
Frau Kollegin Rüffer, haben Sie noch eine zweite
Nachfrage? - Dann bitte ich Sie, diese zu stellen.
Genau. - Sie lautet wie folgt: Zieht die Bundesregierung in Betracht, im Zuge des angekündigten Bundesteilhabegesetzes ein Teilhabegeld zu schaffen? Wenn ja:
Soll dieses Teilhabegeld in erster Linie der finanziellen
Beteiligung des Bundes an den Ausgaben der Träger der
Eingliederungshilfe oder der Schaffung eines Nachteilsausgleichs für Menschen mit Behinderung dienen?
Frau Kollegin Rüffer, vielen Dank für diese Frage. Sie werden wissen, wir haben im Koalitionsvertrag zu
diesem Thema aus gutem Grund einen Prüfauftrag vereinbart. Wir sind in diese Prüfung eingestiegen. Sie ist
noch nicht abgeschlossen. Wir haben noch kein Ergebnis. Deshalb kann ich Ihnen gar nicht sagen, worauf genau das hinauslaufen wird. Wir befassen uns sehr ernsthaft mit dem Thema, aber es liegt noch kein Ergebnis
vor.
({0})
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir kommen
damit zum Ende der Fragestunde. Die vereinbarte Redezeit ist vorüber, und Sie haben auch noch Ihre beiden Zusatzfragen stellen können. Ich danke der Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller für das Bundeministerium
für Arbeit und Soziales und beende damit die Fragestunde.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Vereinbarte Debatte
anlässlich des 3. Jahrestages der Aufdeckung
der NSU-Verbrechen am 4. November 2011
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für
die Bundesregierung Herrn Bundesminister Dr. Thomas
de Maizière.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut zwei
Jahre ist es her, da hielt Semiya Simsek, die Tochter eines der ersten Mordopfer des NSU, bei der zentralen Gedenkveranstaltung im Konzerthaus eine sehr bewegende
Rede. Viele von uns waren dabei, und viele werden sich
ihr Leben lang daran erinnern. Ein Satz von ihr ist mir
ganz besonders in Erinnerung geblieben. Sie sagte:
Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens
Opfer sein.
Dieser Satz fasst wie unter einem Brennglas das Versagen des deutschen Staates, vielleicht aber auch unserer
Gesellschaft insgesamt, im Umgang mit dem NSU zusammen. Lange, viel zu lange hatten die Sicherheitsbehörden in die falsche Richtung ermittelt, die Lage falsch
eingeschätzt. Sie haben damit den Opfern und ihren Familien - sicher unbeabsichtigt - im Ergebnis zusätzliches Leid zugefügt. Es waren aber nicht lediglich einzelne Fehler, Ermittlungspannen, die dafür gesorgt
haben, dass der NSU so lange unentdeckt bleiben
konnte. Nein, es waren auch die Strukturen und die Haltungen von Sicherheitsbehörden, von Verantwortlichen,
die dazu führten, dass die Ermittlungen so lange auf das
Umfeld der Opfer begrenzt blieben.
Unser Staat - das ist mehrfach gesagt worden, auch
bei dieser Veranstaltung, auch durch die Verantwortlichen der Sicherheitsbehörden selbst - hat mit diesem
Versagen Schuld auf sich geladen. Diese Schuld und das,
was wir den Opfern und ihren Familien damit angetan
haben, können wir nicht ungeschehen machen. Es war,
es ist und es bleibt deshalb unsere erste Pflicht, weiter
aufzuklären, wie es zu diesem fürchterlichen Versagen
kommen konnte, aufzuklären, welche Strukturen und
Haltungen dieses Versagen begünstigt haben. Zugleich
kommt es darauf an, das für die Zukunft abzustellen.
({0})
Vieles ist getan worden, um Licht in das Dunkel zu
bringen, um besser zu werden, vor allem auch durch die
Parlamente. Seit drei Jahren wurden und werden die Versäumnisse von insgesamt sechs parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet. Über die Arbeit
des Untersuchungsausschusses dieses Parlaments haben
wir viel geredet: 47 kluge, weitreichende und einstimmige Empfehlungen, die die Koalition komplett umsetzen möchte. Auf Länderseite haben die Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen ihre Arbeit
beendet. Die Untersuchungsausschüsse in Hessen und
Nordrhein-Westfalen nehmen ihre Arbeit auf. Heute hat
Baden-Württemberg beschlossen, auch einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Das Verfahren vor dem OLG München - am Anfang
auch kritisch begleitet; es hieß: zu lang, zu aufwendig;
gefragt wurde: „Wie ist es mit der Presseberichterstattung?“; wir erinnern uns daran - mit fünf Angeklagten,
90 Nebenklägern und 600 Zeugen zeigt in seinem bisherigen Verlauf eindrucksvoll, mit welcher großen Ernsthaftigkeit und Sorgfalt Gericht und Bundesanwaltschaft
an der Aufklärung dieser konkreten Taten arbeiten. Das
ist langsam, aber, glaube ich, gerade wegen der Gründlichkeit auch im Interesse der Opfer.
Im Hintergrund ermitteln Bundesanwaltschaft und
Bundeskriminalamt unermüdlich und akribisch weiter
gegen potenzielle weitere Täter. Sie gehen zahllosen
Spuren nach, sehen sich Asservate immer und immer
wieder im Lichte aktueller Erkenntnisse an. Bund und
Länder arbeiten gemeinsam unaufgeklärte Mordfälle
auf, die lange zurückliegen, in der Hoffnung, sie doch
noch aufzuklären, indem man jetzt einen anderen Blick
auf denkbare Ursachen, auch auf rechtsextremistische
Tathintergründe richtet.
Unmittelbar nach der Entdeckung der NSU-Terrorzelle sind die Behörden des Bundes im Verbund mit den
Ländern aktiv geworden. Die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen
Bundestages läuft auf Hochtouren. Das gilt für die Justiz- und Polizeibehörden, aber auch für die Nachrichtendienste. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus
und des Rechtsterrorismus hat sich in den vergangenen
drei Jahren im Bund und in den Ländern sehr viel verändert: angefangen von der innerbehördlichen Organisation über die Zusammenarbeit der Behörden bis zur Ausund Fortbildung in vielen Bereichen. Stellvertretend für
viele Einzelmaßnahmen steht das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus in
Köln. Nach rund zwei Jahren hat es sich zu einer unverzichtbaren Kommunikations- und Kooperationsplattform für die Länder und den Bund entwickelt. Das bedeutet: Heute wissen wir besser, wer die sogenannten
gefährdungsrelevanten Personen im Bereich rechts sind,
auf wen wir also besonders achten müssen.
Auch bei Empfehlungen, die nur von Bund und Ländern gemeinsam umgesetzt werden können, sind wir auf
einem guten Weg. Viele Änderungen bei der ZusammenBundesminister Dr. Thomas de Maizière
arbeit im Verfassungsschutzverbund sind durch die Innenministerkonferenz bereits beschlossen worden. Auch
das Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ - das war ja, Herr Präsident, eben noch Gegenstand
der Fragestunde - wird zurzeit zusammen mit den Ländern grundlegend auf Verbesserungsbedarf geprüft.
Das Gesetz über die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist mit den Ländern weitgehend erörtert,
und wir legen es in Kürze, das heißt in wenigen Wochen,
vor, sodass es dann im Deutschen Bundestag beraten
werden kann. Da geht es insbesondere um die Beschreibung und Führung von V-Leuten und die Informationsweitergabe - all das Dinge, die wir zu kritisieren hatten.
Auch bei der Aus- und Fortbildung unserer Mitarbeiter besteht ein großer Handlungsbedarf. Darauf weisen
auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses immer wieder hin. Wir müssen kontinuierlich um Mitarbeiter werben, die eigene Migrationserfahrungen haben.
Wir müssen das Versagen bei den Ermittlungen gegen
den NSU auch im Hinblick auf unsere Schulungsmaßnahmen aufarbeiten, gerade mit Blick auf junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie müssen sich mit der
Frage beschäftigen: Wie konnte das geschehen?
Wir brauchen einen anderen Umgang mit Fehlern.
Auch das ist ein Prozess, bei dem wir sicher noch nicht
da angekommen sind, wo wir hinwollen. Aber wir haben
im Bund und in den Ländern begonnen, Fehler aufzuarbeiten.
Wir müssen unsere eigenen Mitarbeiter nachhaltig
dazu ertüchtigen und ermutigen, Fehler und Zweifel an
der Richtigkeit des bisher eingeschlagenen Weges auch
anzusprechen. Nur so können wir aus den Fehlern und
dem Versagen im Umgang mit dem NSU lernen.
Semiya Simsek sprach vor zwei Jahren von ihrer
Trauer um den ermordeten Vater und davon - das hat
mich genauso bewegt -, dass Deutschland immer noch
ihre Heimat sei und bleiben werde, auch wenn sie, die
sie sich noch nie in ihrem Leben Gedanken über Integration gemacht habe, erkennen musste, dass es hier in unserem Land Menschen gibt, die zu Mördern werden, nur
weil jemand aus einem anderen Land stamme.
Gerade vor diesem Hintergrund - damit will ich
schließen - ist es für mich unerträglich, dass vor gerade
einmal zwei Wochen randalierende Rechtsextremisten
gemeinsam mit anderen gewaltbereiten Chaoten in Köln
rechtsradikale Parolen gebrüllt haben und die Menschen
in der Kölner Innenstadt in Angst und Schrecken versetzt haben, Polizisten verletzt haben, und all das mit Alkohol und mit Ansage. Das können und werden wir nicht
dulden.
({1})
Wir können es erst recht nicht dulden, dass sich diese
Rechtsextremisten unter dem Deckmantel des Kampfes
gegen Islamisten in unseren Städten zusammenrotten.
Hier muss unser Staat hart reagieren, um Grenzen aufzuzeigen. Wir sind und bleiben eine wehrhafte Demokratie, und wenn unsere Polizei, wenn unser Staat und wenn
unser Zusammenleben derart angegriffen werden, so
müssen wir alle Kräfte bündeln, um gemeinsam unser
friedliches Zusammenleben zu verteidigen. Das kann
auch mal ein Verbot einer Demonstration sein, vor allen
Dingen, wenn sich absehen lässt, dass sie wahrscheinlich
nicht friedlich verläuft. Ich möchte die Behörden in Hannover ausdrücklich ermuntern, diesen Weg so zu prüfen,
dass ein solches Verbot möglichst auch vor Gericht Bestand hat.
({2})
Aber ein Verbot einer Demonstration allein löst das
Problem natürlich auch nicht. Wir brauchen eine gesellschaftliche Isolierung von Gewalt als Mittel innenpolitischer Meinungsbildung. Toleranz und Vielfalt, Freiheit
und Menschenwürde bleiben prägend für unser Land.
Toleranz endet dort, wo Vielfalt, Freiheit und Menschenwürde gewaltsam angegriffen werden. Dies gemeinsam
anzugehen, auch das sind wir den Opfern des NSU
schuldig.
({3})
Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Petra Pau.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 14 Monaten haben wir hier den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum NSU-NaziMord-Desaster und zum Staatsversagen debattiert.
Mein Fazit seither: Die Fragezeichen sind nicht weniger, sondern mehr geworden. Der Aufklärungswille der
Behörden verharrt weiterhin nahe null. Und: Von den beschlossenen Veränderungen ist so gut wie nichts tatsächlich schon abschließend umgesetzt. Kurzum: Das Staatsversagen geht weiter, so als wäre nichts geschehen. Das
ist politisch nicht hinnehmbar, aber auch menschlich
nicht.
Sie sehen, Herr Minister: Ich befinde mich im deutlichen Widerspruch zu Ihrer Aussage. Ich komme nachher
noch zu Beispielen.
Gestern hat Barbara John, die Ombudsfrau für die
Überlebenden und die Angehörigen der Opfer des NSU,
ein Buch mit dem Titel Unsere Wunden kann die Zeit
nicht heilen vorgestellt. Darin beschreiben Angehörige
der NSU-Mordopfer, was ihnen seither widerfahren ist
und wie mit ihnen umgegangen wurde von Staats wegen.
Die Schilderungen sind sehr bedrückend. Ich gestehe:
Beim Lesen ergriffen mich Wut und Scham. Seitdem
geht mir das Wort „Opferperspektive“ nur noch schwer
über die Lippen. Es ist mir zu distanziert, zu kalt, zu
deutsch. Aber ich gestehe: Ich habe noch kein besseres
gefunden.
Dennoch oder gerade deshalb empfehle ich dieses
Buch dringend. Es geht um Menschen und um Menschlichkeit. Sie rangieren am Rand der Aufklärung und gehören endlich ins Zentrum.
Bei fast allen Betroffenen des NSU-Desasters ist das
Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat tief erschüttert.
Wenn es doch noch einen Rest von Vertrauen gibt, hängt
er an einem sehr seidenen Faden.
Sie schauen auch mit Sorge auf den NSU-Prozess in
München. Als Innenpolitikerin merke ich an: Wir haben
nur einen Rechtsstaat, nicht etwa drei, also nicht etwa einen für Urdeutsche, einen für Migranten und einen dritten für Asylsuchende. Es gibt zwar für alle drei Gruppen
unterschiedliche Rechte, was schon bedenklich genug
ist, aber spätestens wenn es um Leib und Leben geht, gilt
der Rechtsstaat entweder für alle oder für keinen. Deshalb betreffen die Schilderungen in diesem Buch uns
alle.
Umso mehr bringt es mich in Rage, wenn Behörden
oder auch Regierungen immer noch versuchen, Untersuchungen zum NSU-Komplex zu behindern oder gar zu
verhindern. Beispiele dieser Art gibt es viele - viel zu
viele. Das vorerst jüngste stammte aus Brandenburg, wo
sich der Verfassungsschutz weigerte, einen ehemaligen
V-Mann mit NSU-Bezug vor dem Münchener Gericht
befragen zu lassen. Ich finde: Wer so agiert, hat keinerlei
Respekt vor den NSU-Opfern und ihren Angehörigen.
({0})
Außerdem treiben diese Hintertreiber die Bundeskanzlerin Angela Merkel damit zum Meineid, ohne dass
sie etwas dagegen tun kann. Denn sie hat im Februar
2012 bedingungslose Aufklärung versprochen. Davon
kann bislang keine Rede sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt im Bundestag aktuell keinen Untersuchungsausschuss zum NSUKomplex. Gleichwohl ist dieser Komplex für mich nicht
abgeschlossen. Ich weiß mich darin einig mit der Kollegin Eva Högl von der SPD, dem Kollegen Clemens
Binninger aus der CDU, der Kollegin Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen und natürlich vielen anderen hier im
Haus.
Aber: Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages hat dieses Jahr das Gros seiner Zeit dem NSU-Komplex gewidmet.
({1})
Das kann kein Dauerzustand sein; denn die innenpolitische Palette ist viel breiter. Deshalb haben wir jetzt gemeinsam eine Lösung gefunden, die den Innenausschuss
entlastet, ohne die offenen Fragen - auch nicht die
neuen - aus dem Blick zu nehmen.
Lassen Sie mich zur Illustration zwei neue Fragen andeuten. Im Frühjahr starb plötzlich ein ehemaliger
V-Mann mit NSU-Bezug namens „Corelli“, ausgerechnet im Zeugenschutzprogramm und just, als seine Aussagen gefragt waren. Die Umstände sind bis heute unklar
und die Darstellungen des Bundeskriminalamtes und des
Bundesamtes für Verfassungsschutz dazu wenig überzeugend; ich habe mich jetzt sehr bemüht, das diplomatisch zu formulieren.
({2})
Im selben Zusammenhang wird bekannt, dass der Verfassungsschutz seit Jahren über CDs bzw. Datenträger
aus der Naziszene - eben auch aus dem Hause „Corelli“ verfügt, die Bezüge zum NSU hatten. Wurden diese lediglich leichtfertig missachtet, oder wussten die Behörden lange vor dem 4. November 2011, dem Auffliegen
der NSU-Bande, mehr, als sie bislang einräumen?
Die Brisanz dieser Fragen dürfte klar sein. Deshalb
wiederhole ich auch hier für die Linke: Erstens. Der
NSU-Komplex und das Staatsversagen sind für uns nicht
abgeschlossen; wir bleiben dran. Zweitens. Die Ämter
für Verfassungsschutz sind als Geheimdienste aufzulösen, und die unsägliche V-Mann-Praxis ist sofort zu beenden.
({3})
Vor wenigen Wochen hatte die Fraktion Die Linke zu
einer öffentlichen Fachtagung in den Bundestag zum
Thema „NSU-Komplex: Bilanz und Ausblick“ eingeladen. Es ging um Rassismus in der Gesellschaft, um Entwicklungen in der Naziszene, um Probleme in Sicherheitsbehörden, um Initiativen gegen Rechtsextremismus,
Rassismus und Antisemitismus und vieles mehr. Die Tagung hat zu zwei Erkenntnissen geführt, die ich hier wiederholen möchte, obwohl sie nicht neu sind:
Erstens. Die rechtsextremen Gefahren hierzulande
werden offiziell noch immer unterschätzt und heruntergespielt. Herr Minister, Sie haben das Thema bereits angesprochen: Wer die aktuellen Ausschreitungen von
Hooligans und Nazis gegen Salafisten lediglich als Orgien unter Gewalttätern brandmarkt, greift zu kurz. Es
geht um militanten Nationalismus und Rassismus und
um den Missbrauch von Religionen.
Zweitens. Dagegen agieren Initiativen für Demokratie
und Toleranz, regional und vor Ort. Ihre Förderung ist
noch immer kurzatmig und unzureichend. Hier haben
wir vor 14 Monaten fraktionsübergreifend Besserung gefordert. Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2015 hingegen birgt sogar Verschlechterungen - eine schwarze
Null, die sich als braunes Plus erweisen könnte.
Beides darf nicht so bleiben, weder die Unterschätzung des Rechtsextremismus noch die mangelnde Unterstützung der Initiativen dagegen. Dafür sollten wir uns
über alle Fraktionen hinweg einsetzen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesminister
Heiko Maas.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als die Verbrechen des NSU vor
drei Jahren bekannt wurden, waren alle von uns vor allen
Dingen eines, nämlich fassungslos: fassungslos angesichts der brutalen Taten, aber auch fassungslos, weil es
uns nicht gelungen war, die Morde früher zu stoppen und
unsere Mitbürger besser zu schützen, fassungslos auch
wegen des Versagens unseres Staates und seiner Behörden. Wir waren aber auch fassungslos, dass neben dem
Leid des Verlustes eines nahen Angehörigen anschließend noch das Leid durch Demütigung hinzukam, weil
man vielfach aus Opfern Täter gemacht hat, etwa als sie
in den Ermittlungen in den Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität gestellt worden sind. Man muss
ganz klar sagen, sehr geehrte Frau Pau: Das Leid, das
Terroristen angerichtet haben und das durch das Staatsversagen verstärkt wurde, können wir nicht wiedergutmachen. Aber was wir tun müssen, ist, dafür zu sorgen,
dass sich das nie wiederholt.
({0})
Damit sich solche Taten nicht wiederholen, sind alle gefordert, die Rechtsprechung, die Gesetzgebung, die Exekutive, aber auch unsere Gesellschaft, wir alle.
Die Rechtsprechung handelt zurzeit in München. Dort
findet vor dem Oberlandesgericht der NSU-Prozess statt.
Das ist kein einfaches Verfahren. Wir befinden uns beim
155. Verhandlungstag. Die Beteiligten bei Gericht sind
mit großer Sorgfalt dabei, die schrecklichen Verbrechen
aufzuarbeiten. Dies ist nicht nur sinnvoll, sondern bitter
notwendig; denn es trägt dazu bei, neben der Aburteilung von Straftaten auch die Wahrheit ans Licht zu bringen, vor allen Dingen das, was noch nicht das Licht der
Welt gesehen hat. Das ist wichtig für die Angehörigen
der Opfer, und es hilft vor allen Dingen uns, verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen.
Wie wir die Gesetze ändern müssen, damit rassistische oder fremdenfeindliche Taten künftig früher erkannt und vor allen Dingen auch verhindert werden, darüber werden wir zum Beispiel in der nächsten Woche
hier im Plenum miteinander diskutieren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt vor. Er hat vor allen Dingen ein Ziel: In Zukunft sollen die Extremismusexperten
vom Generalbundesanwalt häufiger und früher in Ermittlungen eingreifen und sie auch übernehmen können.
Schließlich müssen wir darüber hinaus auch die ganz
alltägliche Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden
verbessern. Auch das ist ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses gewesen. Staatsanwaltschaften müssen über die Arbeit des Verfassungsschutzes besser informiert werden und häufiger den Kontakt mit diesen
Ämtern suchen. Außerdem wird der Generalbundesanwalt auch der Länderjustiz helfen, rechtsterroristische
Zusammenhänge besser erkennen zu können: Welche
Codes und Symbole nutzen die Rechtsextremisten? Wie
erkennt man, dass sich Verdächtige auf ein Leben in der
Illegalität vorbereiten? Diese und viele weitere Informationen müssen und werden wir innerhalb der Justiz besser aufarbeiten, weiter verbreiten und einfacher nutzbar
machen, damit rechtsextreme Taten als solche rechtzeitig erkannt und auch verhindert werden können.
Meine Damen und Herren, vor drei Jahren wurden die
NSU-Verbrechen aufgedeckt. Ein Jahrestag - das klingt
ein bisschen nach Geschichte. Tatsache ist aber leider:
Rechte Gewalt ist keine Geschichte, sondern brennend
aktuell. Rechte Hooligans und militante Neonazis haben
das kürzlich mitten in Deutschland deutlich gemacht;
Herr de Maizière hat es bereits angesprochen. Diese Gewalttaten - auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen - waren auch eine Kampfansage an unseren Rechtsstaat. Ich sage deshalb sehr deutlich: Wer die Gewalt auf
unsere Straßen trägt, der wird die ganze Härte unseres
Rechtsstaates zu spüren bekommen.
({1})
Wer die Versammlungsfreiheit für Gewaltexzesse missbraucht, für den wird es im Rechtsstaat keine Toleranz
geben. Wir werden deshalb aber ganz sicherlich nicht
das Demonstrationsrecht einschränken müssen. Es ist als
Verlängerung der Meinungsfreiheit in einer Demokratie
unantastbar.
({2})
Wir brauchen auch nichts einzuschränken; denn Verabredungen zur Gewaltausübung stehen ganz sicherlich
nicht unter dem Schutz von Artikel 8 des Grundgesetzes.
Ganz im Gegenteil: Landfriedensbruch ist die bessere
Bezeichnung, und Landfriedensbruch kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. Ich bin
mir absolut sicher, dass Polizei und Justiz diese Gewalttäter entschlossen ermitteln und auch bestrafen werden.
Und ja, wenn das zutrifft, was wir in den letzten Wochen wahrgenommen haben, wenn Hooligans und
Rechtsextreme zukünftig nachhaltig gemeinsame Sache
machen, dann werden wir auch überlegen müssen, ob
auch Hooligans zukünftig ein Thema für den Verfassungsschutz werden können. Wir brauchen ein gutes und
funktionierendes Frühwarnsystem gegen solche Gewalt.
Gleichzeitig müssen wir aber auch verhindern, dass
junge Leute in die rechte Szene abdriften. Deshalb ist die
Präventionsarbeit so wichtig. Anfang 2015 startet das
neue Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Es ist mit
mehr als 30 Millionen Euro ausgestattet und schafft Planungssicherheit für die kommenden fünf Jahre. Dafür
hat die Kollegin Schwesig mit gesorgt.
Rechtstaatliche Härte gegen Gewalttäter und kluge
Prävention, damit niemand zum Täter wird - ich meine,
das sind die richtigen Antworten auf die rechte Gewalt.
Diese Antworten sind wir den Opfern des NSU auch bitter schuldig.
Ich danke Ihnen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern
vor drei Jahren kamen Ermittlungsbehörden den NSUMördern auf die Spur - und zwar nachdem ein Bandenmitglied ihr Wohnhaus in die Luft gesprengt hatte und
zwei weitere in einem Wohnwagen - mittlerweile muss
man sagen: vermutlich - Selbstmord begangen haben.
Zuvor konnten sie unbehelligt mehr als ein Jahrzehnt
durch Deutschland ziehen und morden, Angst und
Schrecken verbreiten, Familien ins Unglück stürzen.
Ich stehe mit vielen der Familien der Opfer in Kontakt. Jede geschredderte Akte, jede mit Geheimschutz
begründete Aktenschwärzung und jeder verhinderte
Zeuge ist ein weiterer Stich ins Herz der Opferangehörigen, immer wieder aufs Neue.
In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Leistet
sich eigentlich die Politik einen Nachrichtendienst und
den entsprechenden Apparat, um Gefahren zu erkennen
und abzuwehren, oder haben wir es hier mittlerweile mit
einem gefährlichen Eigenleben der Nachrichtendienste
zu tun? Ich stelle mir die Frage: Wer hat hier eigentlich
gerade das Sagen: wir, die dafür vom Volk Gewählten,
oder der Apparat? Ich finde, diese Frage muss sich jeder
hier in diesem Hause stellen.
({0})
Ich will Ihnen eine weitere Frage der Opferangehörigen nicht vorenthalten. Es gibt sehr, sehr gute Berichte
aus Thüringen. Ich war vor Ort, als der Bericht des Untersuchungsausschusses dort fraktionsübergreifend vorgestellt wurde. Es gibt einen ausgezeichneten Bericht
dieses Hauses. Auch dieser wurde mit allen Fraktionen
gemeinsam erstellt. Es gibt ein sehr gutes Buch von
Stefan Aust und Dirk Laabs. Aber was es nicht gibt, ist,
dass die Verantwortlichen irgendwo und irgendwann
einmal auch zur Rechenschaft gezogen werden. Sicher,
einige Behördenchefs mussten gehen. Aber was ist eigentlich mit dem Apparat selbst? Steht der Apparat vielleicht außerhalb der Gesetze, Herr de Maizière? Wo sind
denn die strafrechtlichen Ermittlungen? Wo gibt es ein
Disziplinarverfahren? Leute werden umgesetzt, okay.
Aber reicht uns das wirklich?
({1})
Kann das ein frei gewähltes Parlament zufriedenstellen?
Vielleicht wäre eine Voraussetzung dafür, dass wir auf
diese Frage künftig anders antworten, dass wir endlich
aufhören, von einer NSU-Zelle zu sprechen, sondern
endlich darüber sprechen, was wirklich stattfand, nämlich darüber, dass wir es hier mit einem rechtsradikalen
Netzwerk zu tun haben. Ich habe Ihnen sehr aufmerksam
zugehört, Herr Innenminister. Ihren Worten konnte man
entnehmen, dass es sich möglicherweise nicht nur um
drei Täter handelt. Aber wenn stimmt, was der Innenminister hier gesagt hat, dann heißt das ja im Klartext:
Da draußen laufen rechtsradikale Mörder herum. Was
heißt das dann? Was folgt daraus? Drei Jahre nachdem
der NSU aufgedeckt wurde, haben wir mehr Fragen als
Antworten.
Ich will mit einem weiteren Mythos aufräumen. Der
Verfassungsschutz war - das sage ich auch an die eigene
Adresse - nicht so dumm, wie manche es dargestellt haben, und schon gar nicht faschistoid oder so etwas. Ganz
offensichtlich waren die V-Männer sehr nahe dran; vielleicht war der Verfassungsschutz in Gänze deutlich näher an den Mördern dran, als wir wissen.
Eines ist jedenfalls bereits heute klar: Die These, sobald die drei Täter - von denen zwei Selbstmord begingen und die Dritte gerade in München vor Gericht steht
- endlich verurteilt sind, ist der Fall gelöst, gehört ins
Reich der Märchen. Damit wird man den Fall nicht aufklären, meine Damen und Herren.
({2})
Mit Blick auf mein eigenes Bundesland will ich sagen: Die Theorie bzw. These, dass mit der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer getroffen
wurde und dieser Fall aufgeklärt sei, da man jetzt die
drei Täter habe, darf weder den Innenminister noch den
Landtag von Baden-Württemberg zufriedenstellen. Darum, glaube ich, kann ich im Namen von uns allen hier
im Hause sagen: Wir begrüßen, dass es jetzt endlich
auch in Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuss gibt. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Zum Schluss will ich ein Wort des Dankes sagen, und
zwar an all diejenigen, die hier im Haus immer noch die
Geduld und die Kraft haben, an diesem Fall festzuhalten.
Ich will aber ausdrücklich auch „NSU-Watch“ und „Tatort Theresienwiese“ danken, ohne die wir viele Erkenntnisse nicht hätten. Ich will den Medien, den Journalisten
und denjenigen danken, die bei der Aufklärung große
Verdienste haben und den Prozess in München nach wie
vor besuchen, auch jetzt, da er nicht mehr auf Seite 1 der
Zeitungen zu finden ist.
Meine Damen und Herren, es wird uns nur gelingen,
das Vertrauen der Angehörigen der Opfer zurückzugewinnen, wenn wir über diesen Fall nicht nur in Sonntagsreden und wichtigen Debatten reden, sondern wenn
wir das nächste Mal auch sagen können, was tatsächlich
geschehen ist, wer es war und welche Konsequenzen daraus gezogen werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Clemens
Binninger.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Ernsthaftigkeit der Debattenbeiträge aller vorherigen Redner hat, glaube ich, deutlich gemacht, dass
dieses Parlament dem Thema, die Verbrechen des NSU
möglichst umfassend aufzuklären und den Opfern, so
gut es eben geht, zu Genugtuung zu verhelfen, überfraktionell ein großes Interesse beimisst - nicht erst heute,
am Jahrestag, sondern, wie ich glaube, immer wieder in
den letzten drei Jahren. Dafür gilt der Dank allen. Er gilt
auch Ihnen, Herr Minister de Maizière, weil Sie heute,
wie ich finde, sehr klar und ohne es nur einen Deut abzuschwächen, für eine Zeit Verantwortung übernommen
haben, die größtenteils gar nicht in Ihrem Verantwortungsbereich liegt, und deutlich gemacht haben, dass
hier schwere Fehler passiert sind.
Ich will aber auch sagen: Es gab nicht den einen Fehler, es gab nicht die eine Ursache. Fehler sind in diesem
Zeitraum von 13 Jahren nahezu überall passiert: bei der
Polizei, beim Verfassungsschutz, bei der Justiz - auch
die Gesellschaft hat es nicht gesehen -, auch bei der
Politik, in den Parlamenten. 4 der 47 Empfehlungen, die
der Untersuchungsausschuss ausgesprochen hat, richten
sich übrigens ganz gezielt an das Parlament. Es steht
dort unter anderem sinngemäß drin: Eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Arbeit der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bekämpfung des Rechtsextremismus fand nicht statt. - Deshalb haben auch wir
hier im Parlament Konsequenzen gezogen und das Parlamentarische Kontrollgremium reformiert. Wir haben den
Reformprozess, der schon in der letzten Legislatur angestoßen worden ist, fortgesetzt. Wir haben eine Taskforce
gebildet, wir haben wirkliche Kontrollaufträge definiert,
und wir werden uns unter anderem sehr viel intensiver
über das Instrument der V-Leute beugen als in der Vergangenheit.
Wenn wir in den Spiegel schauen, stellen wir fest: Wir
müssen ein Weiteres tun. Als der NSU bzw. das Trio am
4. November 2011 aufflog, war sehr schnell klar: Das
sind Bankräuber und - weil man die Dienstwaffen im
Wohnmobil gefunden hat - die mutmaßlichen Polizistenmörder aus Heilbronn. Aber niemand - niemand in
den Medien, niemand in den Parlamenten, niemand
sonst irgendwo - hat in den Tagen danach den Gedanken
erwogen: Könnten das auch die Täter der - so wurden
sie damals ja noch genannt - Ceska-Mordserie sein?
Diesen Gedanken hat niemand geäußert, weder am
5. noch am 6. noch am 7. noch am 8. November 2011.
Erst als am 9. November die Ceska im Brandschutt vor
dem Haus in Zwickau gefunden wurde, war eine ganz
andere Dimension des Verbrechens da. Es muss uns zu
denken geben, dass wir nicht einmal, als dieses Trio namentlich präsent war und mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht wurde, die richtige Ahnung hatten.
Das heißt für uns alle: Wir alle haben in den vergangenen Jahren das Phänomen des gewaltbereiten bewaffneten Rechtsextremismus unterschätzt. Wenn wir eine
Lehre ziehen wollen, dann doch die, dass sich diese fatale Unterschätzung nicht wiederholen darf.
({0})
Ich will nicht noch einmal vertieft auf die Fehler eingehen; denn das haben wir schon an vielen Stellen gemacht.
Herr Kollege Özdemir, ich begrüße ebenfalls ausdrücklich, dass endlich auch in Baden-Württemberg ein
Untersuchungsausschuss eingesetzt worden ist. Ich habe
nie verstanden - Sie auch nicht; da waren wir uns vollkommen einig, obwohl wir unterschiedlichen Parteien
angehören -, warum man in dem Land, in dem 52 Personen zum NSU und zum NSU-Umfeld nachweislich Kontakte gehabt haben, gesagt hat: Das Parlament muss das
nicht untersuchen. Der Innenminister deckt das mit einem Bericht ab, und dann lassen wir es gut sein. - Das
haben wir beide nie verstanden. Insofern ist die heutige
Entscheidung eine gute und richtige Entscheidung.
({1})
Die Fehler sind genannt worden: Opfer wurden nochmals zu Opfern gemacht, schlechte Zusammenarbeit
zwischen Polizei und Verfassungsschutz, Unterschätzung des gewaltbereiten Rechtsextremismus, schlechte
Informationsweitergabe usw. Wichtig ist jetzt, dass wir
uns immer wieder fragen, ob wir daraus gelernt haben.
Ich will deshalb auf ein aktuelles Thema zu sprechen
kommen, Herr Minister. Ein Problem bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus war in der Vergangenheit,
dass wir geglaubt haben, immer alles in Schubladen stecken zu müssen. Wir haben für alles einen Begriff und
eine Organisation gesucht. Da packt man es hinein, und
dann hat man es im Blick. Dass dahinter häufig Personennetzwerke stecken, geht dabei ein bisschen verloren.
Deshalb werden wir uns jetzt sehr gründlich ansehen
müssen: Was steckt hinter der Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“? Ist das ein neues Instrument für Neonazis, um hier mehr Aktion zu finden? Ist das eine Vermischung der Szenen? Mischen noch andere mit? Ich
empfehle uns, nicht zu früh einen Begriff dafür zu verwenden und das einer bestimmten Schublade zuzuordnen. Vielmehr sollten wir uns sehr genau ansehen, was
es damit auf sich hat. Nur dann kann der Rechtsstaat
richtig, treffsicher und zielgenau agieren und solche
Umtriebe, die wir alle auf unseren Straßen nicht wollen,
verhindern und auch für die Zukunft ausschließen.
Wir sind heute an einem bestimmten Punkt angelangt.
Sie haben den Großteil Ihrer Rede darauf verwandt, Herr
Kollege Özdemir. Ich will auch ein paar Sekunden darauf verwenden und aufzeigen, dass es hier einen überfraktionellen Zusammenhalt gibt. Wir sind nicht bei
allem einer Meinung; es wäre unseriös, so etwas zu behaupten. Wir müssen heute aber auch sagen, dass noch
nicht alle Fragen geklärt sind. Wir haben das bereits
nach der Arbeit des Untersuchungsausschusses gesagt.
Da hatten wir nicht genügend Zeit. Wir sagen das auch
angesichts der Gerichtsverhandlung in München. Es sind
noch viele Fragen offen, die auch die Opferfamilien bewegen. Diese bitten uns dringend darum, Antworten auf
diese Fragen zu finden.
Wir sind dabei keine Ersatzermittler. Manchmal heißt
es: Warum kümmert ihr euch jetzt schon wieder darum
im Innenausschuss, im Kontrollgremium und im Parla5768
ment? Das ist doch Sache der Ermittlungsbehörden. Wir
sind natürlich keine Ermittlungsbehörde und auch keine
Ersatzermittler. Aber auch uns, dem Deutschen Bundestag, liegt die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land am Herzen. Außerdem ist es unsere Aufgabe, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass offene Fragen im Zusammenhang mit einer solchen Verbrechensserie geklärt werden, dass wir auf Antworten drängen,
dass wir das Thema im Blick haben und mit den Instrumenten arbeiten, die wir haben, zum Bespiel den Sonderermittler im Geheimdienstgremium und die Berichterstatterrunde im Innenausschuss. Wir leisten als
Deutscher Bundestag unseren Beitrag. Wir haben das in
den vergangenen drei Jahren getan und werden es auch
in Zukunft tun im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen in diesem Land. Das ist unsere
Aufgabe.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Irene Mihalic für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Gemeinsam erinnern wir uns heute an
die Aufdeckung der grausamen Terrorserie des NSU.
Die Familien und Freunde der Opfer - das haben heute
schon viele völlig zutreffend beschrieben - werden das
sicherlich niemals verwinden können. Auch drei Jahre
danach stehen wir tief in der Verantwortung, wirklich
rückhaltlos aufzuklären, wie es zu diesem eklatanten
Versagen der Sicherheitsbehörden kommen konnte.
Einige Details sind mittlerweile bekannt. Andere dagegen wurden hemmungslos geschreddert. Die unvollständige Aufarbeitung ist ein unfassbarer Skandal, der
mit jedem weiteren Tag größer und größer wird. Genau
an diesem Punkt würde ich mir wünschen, dass die Bundeskanzlerin - sie ist leider heute nicht anwesend - die
Aufarbeitung bei den Behörden höchstpersönlich einfordert. Frau Merkel hat - und das war vollkommen
richtig - den Familien der Opfer im Februar 2012 rückhaltlose Aufklärung versprochen. Sie steht dafür persönlich im Wort und damit auch in der Verantwortung.
({0})
Deshalb hätte ich auch gerne gewusst, wie das alles
heute aus ihrer Sicht zu bewerten ist. Hat das Bundesamt
für Verfassungsschutz bisher wirklich alles getan, um die
Aufklärung im Parlament nach Kräften zu unterstützen?
Was ist zum Beispiel mit der Frage, ob der Begriff „NSU“
dort früher schon bekannt gewesen ist? Was ist mit den
V-Leuten oder mit der jetzt aufgetauchten NSU-CD, die
seit Jahren beim Bundesamt für Verfassungsschutz irgendwo herumgelegen hat? Kann das alles so richtig
sein?
Wenn die Integrationsbeauftragte - sie wird gleich
auch noch in dieser Debatte sprechen - diese Meinung
zu haben scheint und sagt, dass die Behörden bereits auf
die Fehler von damals reagiert hätten, dann kann ich nur
sagen - und ich werde es nicht so diplomatisch ausdrücken wie die Kollegin Pau -: Die Reaktion der Behörden, die ich wahrnehme, ist vor allem Mauern, Vernebeln und Vertuschen.
({1})
Das hat mit proaktiver Aufklärung nicht das Geringste
zu tun.
Auch bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts habe ich persönlich
große Zweifel, was die Festlegung angeht, dass das Trio
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt alleine gehandelt hat.
Wie können wir denn sicher sein, dass der NSU nur aus
drei Leuten bestand? Wenn die wahre Dimension des
Rechtsterrorismus nicht erkannt wird, wäre das furchtbar
für die Familien der Opfer und eine große Gefahr für das
Erkennen solcher Strukturen in der Zukunft. Dass so etwas nicht erkannt wird, darf in Deutschland nie wieder
passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Politisch und in der öffentlichen Debatte müssen wir
dem Rechtsterrorismus den Boden entziehen. Das bringt
mich zu einem letzten Punkt, bei dem ich insbesondere
die Kolleginnen und Kollegen der Union ansprechen
möchte. Ich persönlich finde es unerträglich, wenn angesichts der aktuellen terroristischen Bedrohung durch
Islamisten Mitglieder Ihrer Partei wieder allzu leicht
Menschen mit Migrationshintergrund, die hier in Deutschland aufgewachsen und zum Teil auch hier geboren worden sind, als „Fremde“ oder als „Gäste“ bezeichnen, die
man in ihre Heimatländer abschieben solle, so die Autoren eines Positionspapiers aus Ihrer Fraktion.
({3})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bei aller Notwendigkeit,
dem ISIS-Terror mit Maßnahmen, die auch greifen, zu
begegnen, möchte ich die Saat solcher ausgrenzenden
Äußerungen nicht aufgehen sehen.
({4})
Ich fordere Sie auf - das gilt auch für Herrn Kauder -,
sich von einem solchen Sprachgebrauch ganz klar zu
distanzieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau
Bundeskanzlerin - vielleicht hört sie uns irgendwo zu -,
rückhaltlose Aufklärung ist mehr als nur eine Redewendung. Es geht um Verantwortung für das eigene Handeln, um Verantwortung für die Sicherheitsbehörden und
um Verantwortung für unbedachte Äußerungen. Drei
Jahre sind schon vergangen, Frau Merkel. Lösen Sie Ihr
Versprechen ein!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Die Kollegin Dr. Eva Högl spricht als nächste Rednerin für die Sozialdemokraten.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Morde und Sprengstoffanschläge des rechtsextremen Terrornetzwerks NSU waren Anschläge auf
unsere Demokratie. Wir alle waren gemeint: unser friedliches Zusammenleben, unsere tolerante Gesellschaft
und unser Rechtsstaat. Wir alle sollten getroffen werden
durch diese Anschläge. Wir mussten vor drei Jahren
schlagartig erkennen, dass wir in Deutschland rechtsextremen Terror haben. Wir mussten erkennen, wie gefährlich Rechtsextremismus ist und dass Rechtsextremisten zum Äußersten nicht nur bereit, sondern auch in
der Lage sind. Das war für uns eine schlagartige Erkenntnis. Wir mussten leider auch feststellen - das ist
sehr bitter -, dass niemand damit gerechnet hat, dass wir
solche rechtsextremen Terrorstrukturen haben, dass niemand darauf vorbereitet war und dass die Sicherheitsbehörden weder in der Lage waren, das untergetauchte Trio
zu fassen, noch bis in die letzten Tage hinein die Zusammenhänge zur Mordserie herzustellen. Deswegen - das
wurde schon gesagt; ich betone das, weil das für uns alle
eine Verpflichtung ist - ist es unsere Verantwortung, hier
im Deutschen Bundestag alles dafür zu tun - das eint
uns -, dass so etwas nie wieder passiert.
({0})
Zwei Botschaften sind für mich sehr wichtig; das ist
schon angeklungen, und ich wiederhole es. Wir haben
etwas daraus gelernt. Das ist die erste wichtige Botschaft. Der NSU stellt eine Zäsur dar, und wir haben etwas daraus gelernt. Die zweite Botschaft lautet: Wir lassen nicht locker.
({1})
Zwei Punkte möchte ich hervorheben. Das Erste ist:
Die Aufklärung geht weiter. Wir sind bei der Aufklärung
noch nicht am Ende. Es gibt noch viele offene Fragen.
Ich will sie kurz nennen. Es hat uns nie überzeugt - auch
im Untersuchungsausschuss nicht -, dass Michèle
Kiesewetter, die Heilbronner Polizistin, ein Zufallsopfer
gewesen sein soll. Es hat uns nie überzeugt, dass das
Trio nur ein Trio sein sollte, plus ein paar Unterstützer.
Wir sind der Auffassung, dass es sich um ein breites
Netzwerk rechtsextremer Strukturen, verteilt über ganz
Deutschland, handelt. Wir sind immer der Frage nachgegangen - das tun wir noch heute -: Gab es V-Leute, die
mehr hätten wissen können und dichter dran waren? Das
sind nur drei der vielen offenen Fragen, die uns auch hier
im Bundestag bewegen. Es eint uns - hier sollten keine
Differenzen herbeigeredet werden, die es nicht gibt -,
dass wir alle gemeinsam weiter aufklären wollen.
({2})
Es ist sehr wichtig, dass auch die Landtage aufklären.
Wir freuen uns, dass in Hessen und in Nordrhein-Westfalen Untersuchungsausschüsse eingesetzt wurden. Auch in
Baden-Württemberg wurde endlich ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Die Thüringer denken darüber
nach, ihren Untersuchungsausschuss fortzusetzen. Das
steht noch zur Diskussion. Wir erwarten, dass er fortgesetzt wird. Wir im Bundestag bleiben ebenfalls dran.
Wie gesagt, wir lassen nicht locker. Das machen wir
fraktionsübergreifend, Stichwort „Corelli“. Wir gehen
den offenen Fragen nach.
Der zweite Punkt ist die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses. Hier geht es manchen nicht schnell genug. Manche Dinge brauchen aber
auch Zeit. Es geht um die gemeinsame Verantwortung
von Bund und Ländern. Wir haben uns jedenfalls gemeinsam darauf verständigt, umfassende Reformen bei
Polizei, Verfassungsschutz und Justiz einzuleiten. Dass
es dringend erforderlich ist, dass wir besser aufgestellt
sind, haben die Ereignisse rund um Köln bei der gewalttätigen Demonstration der Rechtsextremen gezeigt. Köln
hat gezeigt, dass die Rechtsextremen in der Lage sind,
ein breites Netzwerk zu bilden, sich mit Hooligans zu
verbünden, breit zu mobilisieren, und zwar in ganz
Deutschland, und mehrere Tausend Leute an einem Ort
zu versammeln. Das muss uns große Sorgen machen.
Wir müssen besser aufgestellt sein und dürfen die Gefahr des Rechtsextremismus auch bei solchen Demonstrationen auf keinen Fall unterschätzen.
({3})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der die
Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses betrifft. Das ist unser Einsatz für Prävention und zivilgesellschaftliches Engagement gegen Extremismus. Wir
haben bereits einen Punkt der Empfehlungen des NSUUntersuchungsausschusses umgesetzt. Ich bin sehr
dankbar - ich schaue dabei unsere Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend an -, dass wir es
geschafft haben, die Programme verlässlicher zu gestalten, für mehr Planungssicherheit zugunsten von Verbänden, Vereinen und Organisationen zu sorgen und eine
langfristigere Finanzierung zu ermöglichen. Das war
eine wichtige Forderung, weil viele Projekte insbesondere unter der Kurzfristigkeit ihrer Förderung sehr gelitten haben.
Was wir aber gemeinsam noch nicht geschafft haben,
woran wir noch arbeiten müssen und wozu wir einen
Auftrag haben - wir haben die Haushaltsdebatte hier im
Plenum ja noch vor uns -, ist Folgendes: Wir müssen die
Mittel aufstocken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Wir brauchen mehr Geld im Kampf gegen Rassismus,
gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen
politischen und religiösen Extremismus.
Vor allen Dingen brauchen wir mehr Geld für Prävention. Wir müssen Anlaufstellen auch zum Beispiel für
diejenigen schaffen, die sich jetzt den Salafisten anschließen. Es besorgt uns sehr, dass gerade junge Menschen den Salafismus attraktiv finden und sich dort in
die Moscheen begeben.
Deswegen werbe ich auch an dieser Stelle, bei dieser
Debatte, dafür, dass wir uns gemeinsam dazu entschließen, die Mittel nicht nur zu verstetigen, sondern auch
aufzustocken, und dass von dieser Debatte das klare Signal ausgeht: Kein Platz in Deutschland, in Europa und
überall für Rassismus und Rechtsextremismus, kein
Platz für Gewalt! Ich habe mich sehr gefreut, dass wir,
drei Jahre nachdem der NSU aufgeflogen war, hier noch
einmal zu diesem Thema diskutieren. Es wird sicherlich
nicht das letzte Mal gewesen sein; denn wir bleiben an
diesem Thema dran.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU der Kollege
Armin Schuster.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Systemversagen, großes Leid,
Schuld, die wir auf uns geladen haben - ich möchte nicht
alles wiederholen -, all dies führt uns zu der Frage, was
gut ein Jahr danach daraus folgt. Ich empfinde es heute
Nachmittag jedenfalls als sehr eindrucksvoll, dass es
nicht um eine routinemäßige Gedenkdebatte geht. Dass
das nicht alles sein kann, wurde jetzt schon deutlich; dafür müsste ich nicht hier vorne ans Pult gehen. Nein, der
Sinn dieser wertvollen 60 Minuten ist es, uns selbst den
Finger in die Wunde zu legen, die für mich noch deutlich
spürbar ist.
Was ist aus unseren Empfehlungen geworden, wie
werden sie umgesetzt? Diese Frage im deutschen Parlament jährlich zu stellen, halte ich im Sinne der Opfer
noch eine ganze Zeit für unabdingbar, ja, sogar für würdig und angemessen.
({0})
Ich halte dies auch deshalb für angemessen, weil sich
unsere Aufklärungsarbeit noch so unvollendet anfühlt;
jedenfalls fühle ich es so. Viele Fragen bleiben offen; einige Rätsel sind ungelöst. Dass wir deswegen eine eigene Ermittlungsgruppe einsetzen, Herr Özdemir, erscheint mir irgendwie merkwürdig. Das ist hier immer
noch das deutsche Parlament und nicht die Exekutive.
Meine Damen und Herren, dass viele Fragen offengeblieben sind, heißt aber nicht, dass ich hier ein Plädoyer
für den 3. Untersuchungsausschuss halte. Da sich die
Kolleginnen und Kollegen nicht selber loben können,
möchte ich an dieser Stelle für die vielfältigen Aktivitäten, die hier im Parlament ohne Untersuchungsausschuss
seit 14 Monaten laufen, den Berichterstattern, wie ich
hoffe, fraktionsübergreifend einmal danken, die diese
Arbeit ohne Untersuchungsausschussreferenten und wen
auch immer intensiv, sensibel und, Frau Mihalic, zumeist viel konsensualer leisten, als Sie es jetzt hier vorgestellt haben. Ich glaube, dass Clemens Binninger, Eva
Högl, Petra Pau und Irene Mihalic dafür einmal einen
großen Dank von uns entgegennehmen sollten. Das ist
eine sehr aufwendige, aber wichtige Arbeit.
({1})
Frau Mihalic, die Unionsfraktion anzugreifen wegen
ihrer Haltung zu Ausländern, ist ziemlich an der Sache
vorbei. Wissen Sie, diese Fraktion sorgt seit neun Jahren
in wechselnden Koalitionsbesetzungen dafür, dass wir
das Einwanderungsland Nummer 2 auf der Welt sind.
Wenn das nicht ein Erfolg von Integrations- und Zuwanderungspolitik ist! Davon träumen Sie doch in Wirklichkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, ich werde wie viele andere
Kollegen auch zu Polizei- und Verfassungsschutzbehörden eingeladen, um Vorträge über den NSU zu halten:
60 Minuten, 90 Minuten, 120 Minuten, toll. Vor allem in
NRW - das muss ich einmal sagen - ist man hierbei vorbildlich. Aber unsere Empfehlung ging einen Schritt
weiter.
Die Idee, sich den NSU-Fall im Führungsnachwuchs
des höheren Dienstes planspielartig gerne auch mehrere
Tage vorzunehmen, hat einen besonderen Hintergrund.
Fragen des Trennungsgebots, der überregionalen Zusammenarbeit verschiedenster Behörden deutschlandweit,
Ermittlungspannen, Rechtsextremismus und Terrorismus
sind schon rein kognitiv wichtige Lerneffekte. Wir wollten damit aber eigentlich etwas anderes: Planspiele sorgen für emotionale Betroffenheit. Diese würde ich gern
beim Führungsnachwuchs des höheren Dienstes in Polizeibehörden und Verfassungsschutzbehörden sowie bei
Staatsanwaltschaften auslösen. Das sorgt für die größte
Multiplikationswirkung, die wir unbedingt brauchen, damit der Fall lebendig bleibt.
({3})
Auch mit und in der Gesellschaft ist das Thema nicht
einfach abgehakt worden. Ich erlebe das sogar im eigenen Wahlkreis immer wieder und bin davon überrascht,
wie viel Power da ist. Ich begrüße zum Beispiel die Initiative des Freiburger Filmemachers Peter Ohlendorf,
der die Hintergründe zum Mord an Michèle Kiesewetter
recherchieren und in einem Film verarbeiten möchte. Ich
merke für diejenigen an, die Interesse haben: Das Projekt soll über Crowdfunding finanziert werden. Ich
könnte viele andere Beispiele nennen.
Es ist in unserer Gesellschaft angekommen, und deswegen sehe ich nicht alles negativ, Herr Özdemir. Meines Erachtens haben wir Grund zum Optimismus. Dies
Armin Schuster ({4})
ersetzt nicht unsere Aufklärungsarbeit, aber es ergänzt
sie.
Was haben wir in gesetzgeberischer Hinsicht getan?
Meine Damen und Herren, das GAR ist ein voller Erfolg. Es war sehr schnell, konsequent und hat sich komplett bewährt. Dafür stehen die Rechtsextremismusdatei
und das Bundesamt für Verfassungsschutz mit einem
umfangreichen Reformprozess, der nahezu abgeschlossen ist. In Kürze werden wir hier einen Entwurf des
Ministers beraten, der insgesamt 48 Einzelregelungen
beinhalten wird, die wir allesamt mit den Ländern abstimmen mussten.
Wenn es Ihnen zu langsam geht, Frau Pau - leider regieren Sie ja hier und da mit in den Ländern,
({5})
zunehmend mehr -,
({6})
dann sollten Sie sich einmal dort informieren, warum
das Verhalten hier und da so sperrig ist und ein Innenminister immer wieder persönlich Hand anlegen muss,
damit die Dinge vorwärtsgehen. - Herr Dr. de Maizière,
ich halte es jedenfalls für beachtlich, welches Megaprojekt das Innenministerium hierbei schultert; wir werden
es demnächst hier im Deutschen Bundestag behandeln.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss
noch zwei Punkte bringen, die mir sehr wichtig sind. Der
erste Punkt bezieht sich auf Kritik. Ich halte es nicht für
akzeptabel, dass angesichts eines Gesetzespakets, das
zur Reform des Verfassungsschutzes kommen wird, und
angesichts dessen, dass auch bei den Polizeien nichts
passiert, die Länderinnenminister es kategorisch ablehnen, sich mit dem Bund auf einen Staatsvertrag zu einigen, in dem wir regeln, wie künftig ein NSU-Fall 2.0
oder andere Fälle länderübergreifend konsequent geführt
werden sollen.
Der Leiter der BAO Bosporus hat uns in seinem Erfahrungsbericht ins Stammbuch geschrieben: So kann
kein Mensch führen. Das Gleiche würde wieder passieren, wenn wir debattieren und keine Bindungswirkungen
entstehen. Solange Nordrhein-Westfalen Angst hat, von
Bremen geführt zu werden, ändert sich nichts.
({8})
- Entschuldigung, wir finden Bremen gar nicht so
schlecht. Immerhin holen wir uns von da, glaube ich,
den BKA-Präsidenten. Das kann man doch einmal sagen. - Ich denke, wir brauchen diesen Staatsvertrag.
Liebe Frau Dr. Högl, wenn ich nur eine Minute gehabt hätte, dann hätte ich dieses Thema herausgegriffen,
das Gegenteil von Frau Pau: Wer dem Bundesamt für
Verfassungsschutz so viele neue Aufgaben aufbürdet wie
wir, sie ihm zu Recht aufbürdet, der muss nach dem
Prinzip „Wer anschafft, bezahlt auch“ in Haushaltsverhandlungen dafür sorgen, dass diese Behörde unseren
berechtigten Qualitäts- und Quantitätsanforderungen
überhaupt gerecht werden kann. Das Motto „Du hast
zwar keine Chance, aber nutze sie“ kann nicht für das
BfV gelten.
Nach meiner Auffassung brauchen wir Nachrichtendienste. Ich hoffe, ihr schafft das in Thüringen nicht ab.
Meines Erachtens sind Nachrichtendienste in dieser Sicherheitslage unverzichtbar. Das Land braucht mehr als
soziale Sicherheit in diesen Tagen, und deshalb werbe
ich darum, auf der Zielgeraden der Haushaltsverhandlungen noch einmal im Sinne des NSU-Abschlussberichts und unserer weitreichenden Forderungen, die entsprechenden Mittel in Köln zur Verfügung zu stellen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Staatsministerin Aydan Özoğuz spricht jetzt für die
Bundesregierung.
({0})
Ja, und ich bin sehr tolerant.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Neun Menschen wurden offensichtlich umgebracht, weil sie eine Einwanderungsgeschichte hatten,
und wir wissen auch heute noch nicht, warum gerade sie
ausgewählt wurden. Eine Polizistin wurde umgebracht,
und auch hier wissen wir immer noch nicht, warum.
Die eine - „die Einzige“ will ich bewusst nicht sagen;
mittlerweile haben wir durchaus einen anderen Eindruck -, die etwas dazu sagen könnte und die wir kennen, schweigt. Diese wichtigen Fragen können auch
nach drei Jahren immer noch nicht beantwortet werden.
Herr Binninger hat das angesprochen. Es sind viele weitere Fragen offen. Aus welchem Grund - ich wiederhole
das - wurden diese Opfer ausgewählt? Wer hat auf sie
aufmerksam gemacht? Wer hat tatsächlich auf sie geschossen?
Ich glaube, dass diese Fragen für die Angehörigen
nicht erst seit drei Jahren quälende Fragen sind.
Wer hat den drei mutmaßlich Hauptverantwortlichen
geholfen? Das ist eine weitere Frage, die uns sehr beschäftigt und die wir unmöglich unbeantwortet lassen
können. All die anderen Fragen, zum Beispiel, was nun
wirklich in dem Wohnmobil geschah, gehören natürlich
auch dazu. Waren zwei so abgebrühte Menschen wirklich so leicht von nur einem Polizeiwagen aus der Fassung zu bringen? Ich bin den Kollegen Binninger und
Ströbele sehr dankbar, dass sie dies in einem gemeinsa5772
men Interview noch einmal angesprochen und dargestellt haben, dass viele Fragen noch offen sind.
Ich bin auch dem Kollegen Jerzy Montag sehr dankbar, der sich nun als Untersuchungsbeauftragter für den
Bundestag zur Verfügung stellt. Ich denke, er weiß, welche schwierige Aufgabe vor ihm liegt. Er verdient jede
mögliche Unterstützung dieses Hauses.
({1})
Was sich in der Öffentlichkeit festgesetzt hat - Frau
Mihalic, ich würde es vielleicht ein bisschen anders ausdrücken -, sind natürlich diese Schredderaktionen. Fast
jeder spricht einen darauf an. Das ist durchaus ein riesiger Vertrauensverlust. Da brauchen wir uns gar nichts
vorzumachen. Daran erinnern sich viele. Nun kommt
wieder etwas hinzu: die aktuellen Geschehnisse rund um
den V-Mann Corelli, die Geschichte seines Ablebens,
die plötzlich wiedergefundene CD mit den NSU-Bezügen. Ich will es an dieser Stelle etwas überspitzt formulieren: Manchmal kann man schon den Eindruck gewinnen, wir klärten auf, was vorher bewusst verschleiert
wurde. Das ist eine sehr schreckliche Einsicht. Bei den
eigentlichen Fragen, die ich ja eben angerissen habe,
sind wir hingegen noch nicht zufriedenstellend weitergekommen.
Richtig ist aber auch, dass die Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern eine sehr wichtige
Aufgabe haben und hatten. Sie haben einiges in Sachen
Aufklärung und Rückgewinnung von Vertrauen geleistet, natürlich nur ein Stück weit. Es ist für die Angehörigen der Opfer unglaublich wichtig, zu sehen, dass wir
mit einer großen Ernsthaftigkeit dabei sind und dass sich
nicht jeder mit einer Einwanderungsbiografie fragen
muss: Wie geht man eigentlich mit mir um, wenn ich
Opfer werde? Was ist mit meiner Familie? - Das ist doch
eine schreckliche Frage für ein Einwanderungsland, das
wir eben auch sind.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle schon daran erinnern, dass erst vor einigen Monaten der Europarat
Fälle von Rassismus und Diskriminierung in Deutschland gerügt hat. Die dem Rat unterstehende Europäische
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat dabei
auf Gewaltdelikte Bezug genommen, die durch Rassismus, Homophobie und Transphobie ausgelöst seien. Was
nachdenklich macht, ist, dass die Kommission eben auch
zu dem Schluss kommt, dass Opfer von Diskriminierung
in Deutschland unzureichend unterstützt werden.
Es kann, wie ich finde, kein verheerenderes Signal
geben. An dieser Stelle müssen wir sehr stark ansetzen.
Opferschutz - egal wer das Opfer ist - muss immer einen sehr hohen Stellenwert bei uns einnehmen; denn diejenigen, denen etwas Schreckliches angetan wurde, müssen wissen, dass wir alle neben ihnen stehen und ihnen
jede Hilfe zukommen lassen.
({2})
Ich möchte zum Schluss nur noch eine Sache ansprechen. Ich glaube, dass es eine Daueraufgabe bleibt, das,
was wir interkulturelle Kompetenz nennen, bei der Polizei, der Justiz und den Nachrichtendiensten zu steigern
und den Anteil der Menschen, die Einwanderungsbiografien haben, überall, auch in den Länderpolizeien, zu
erhöhen.
Die genannten Einrichtungen sollen die Gesellschaft
abbilden. Sie sollen ein Stück weit zeigen, dass sie für
diese Gesellschaft arbeiten. Sie sollen verstehen, was in
dieser Gesellschaft vor sich geht. Darum glaube ich, dass
es so wichtig ist, dass wir uns vorgenommen haben, alle
47 Empfehlungen tatsächlich umzusetzen. Das wird ein
bisschen Zeit erfordern. Ich glaube, man kann personalpolitische Vorstellungen dieser Art nicht in wenigen Monaten umsetzen. Wir alle sollten zusammen dafür sorgen,
dass wir nächstes Jahr sagen können: Es hat sich an allen
Punkten Erhebliches getan, und wir nehmen diese Empfehlung alle gemeinsam sehr ernst.
Vielen Dank.
({3})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Dr. Volker Ullrich.
({0})
Begreifen … bedeutet … die Last, die uns durch die
Ereignisse auferlegt wurde, zu untersuchen und bewußt zu tragen … Begreifen bedeutet, sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit,
was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Worte stammen von Hannah Arendt. Sie sind
in einem anderen, aber nicht wesensfremden Zusammenhang formuliert worden. Auch heute beschreiben
diese Worte unsere Herausforderung, der wir uns drei
Jahre nach Aufdeckung des Terrors des NSU zu stellen
haben. Wir haben zu begreifen, dass sich ein Schatten
auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land gelegt hat. Verbrechen sind geschehen, die durch ihre Skrupellosigkeit und Menschenverachtung unser Land erschüttert haben. Der Schatten bekommt ein Gesicht
durch den Schmerz und die Trauer der Angehörigen. Ihnen gehören auch heute unser tiefes Mitgefühl und unsere aufrichtige Anteilnahme.
Wir haben neben mitfühlenden Worten und Gesten eigene Wut zu verspüren. Es ist die Wut über sprachlos
machende Versäumnisse bei denen, die von Berufs wegen unsere Verfassung schützen sollten und es nicht
konnten. Unbehagen, ja, mehr noch, tiefe Scham haben
wir zu empfinden, dass in der Öffentlichkeit die Opfer
und ihre Angehörigen über lange Jahre oftmals mit nur
wenig Mitgefühl und mit - was sich als zynisch herausgestellt hat - an sie selbst gerichteten Verdächtigungen
zu kämpfen hatten. Wer also heute keine FassungslosigDr. Volker Ullrich
keit über die Abgründe der Taten und das Umfeld, in denen sie geschehen konnten, besitzt, der hat die Dimension ihrer Angriffe auf die Menschlichkeit und das
Miteinander in unserem Gemeinwesen nicht verstanden.
Wir haben die Pflicht, verlorengegangenes Vertrauen
in den Rechtsstaat und die ihn schützenden Einrichtungen wiederherzustellen und zu festigen. Wesentlich dafür ist die Suche nach Wahrheit. Das meint „Begreifen“.
Aufklärungsinteresse ist kein Spielball politischen
Taktierens. Es ist daher ermutigend, dass der Bundestag
und einige Landtage über Parteigrenzen hinweg Untersuchungsausschüsse eingesetzt und erfolgreich zu Ergebnissen geführt haben, die wir vollständig umsetzen
werden. Wir suchen nach der Wahrheit nicht aus Interesse an einer historisch richtigen Geschichtsschreibung,
sondern weil sich der wehrhafte Rechtsstaat die Pflicht
zur allumfassenden Aufklärung zu eigen machen muss.
Auch wenn dadurch nichts ungeschehen wird und Wunden vielleicht nicht heilen können: Die Wahrheitsfindung ist ein wichtiger Beitrag, damit die Angehörigen
die Möglichkeit haben, einen inneren Frieden mit ihrer
Trauer und mit ihrem Verlust zu finden.
Es sind wesentliche Fragen, die noch der Beantwortung harren, beispielhaft sei genannt: Aus wie vielen
Mitgliedern bestand das Terrornetzwerk tatsächlich? Ist
die These, dass nur jene drei bekannten Personen den
NSU gebildet haben, tatsächlich haltbar? Es ist zu fragen, wie es sein konnte, dass das Trio trotz zahlreicher
V-Leute in der rechtsextremen Szene über ein Jahrzehnt
unentdeckt blieb. Wir wollen wissen, was am 25. April
2007 und am 4. November 2011 in Eisenach tatsächlich
passiert ist und wie sich die vielen Ungereimtheiten erklären lassen.
Die Beantwortung von Fragen ist aber nicht ausreichend. Wir benötigen Vertrauen in die Geltung des
Rechts und den Schutz unserer Verfassung. Dazu brauchen wir fortwährend eine von allen gelebte Kultur der
Wehrhaftigkeit unserer freiheitlichen demokratischen
Grundordnung. Das Wissen um die Bedrohung der
menschlichen Würde und die Zerbrechlichkeit unserer
Freiheit zwingt uns stets zur Wachsamkeit. Das gilt in
diesen Tagen besonders.
Es darf zu keinem Zeitpunkt eine Situation entstehen,
in welcher die tatsächliche Fähigkeit des Staates, unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen,
ernsthaft infrage gestellt wird. Gleichwohl ist es keine
allein staatliche Aufgabe. Der Einsatz gegen Gleichgültigkeit und Vorurteile, das Aufstehen für Toleranz und
das Eintreten für eine demokratische und offene Gesellschaft gehen uns alle an. Es ist eine notwendige Anstrengung der gesamten Zivilgesellschaft.
Diese Anstrengung für Demokratie und ein friedliches Miteinander ist nicht immer bequem. Manchmal
sind Passivität und Gleichgültigkeit bei oberflächlicher
Betrachtung ein einfacher Weg. Es ist aber der Weg des
süßen Giftes. Wer sich nicht für die Werte einsetzt, die
unsere Gemeinschaft begründen, wird morgen nicht
mehr die Umgebung vorfinden, die ihm seine Bequemlichkeit erst ermöglicht hat.
Manche mögen - abschließend - einwenden, dass
keiner abzuschätzen vermag, ob unsere Anstrengungen
von Erfolg gekrönt sein werden. Zweifel dürfen uns aber
nicht erschüttern. Wir werden erfolgreich sein, weil das
Vertrauen in die Idee der Unverletzlichkeit der Würde
des Menschen unerschütterlich ist. Es ist die beste Idee,
die wir haben. Hannah Arendt hat die Hoffnung in das
Gelingen so formuliert: Es ist nur möglich „im Vertrauen
auf die Menschen. Das heißt, in einem - schwer genau
zu fassenden, aber grundsätzlichen - Vertrauen auf das
Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es
nicht.“
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit zugleich am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. November
2014, 9 Uhr, ein. Kommen Sie alle gesund wieder! Die
Sitzung ist geschlossen.