Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Herr Bundesminister des Innern, Herr
Dr. Thomas de Maizière. - Herr Minister, Sie haben das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es ist geboten, dass ich mitteile, dass das
Bundeskabinett heute zu Beginn der Sitzung der Opfer
des Flugzeugabsturzes gedacht hat; auch um den Angehörigen zu zeigen, dass wir gemeinsam mit ihnen trauern, habe ich gestern in Absprache mit Spanien eine
dreitägige Trauerbeflaggung bis einschließlich Freitag
für die Bundesbehörden angeordnet. Ich bin sicher, die
Länder werden das übernehmen. Es wird vermutlich
auch eine Trauerfeier geben. Dann wird diese Beflaggung sicher auch noch einmal erfolgen.
Ich will einen weiteren Satz sagen, da Sie das wahrscheinlich von mir erwarten und ich nicht möchte, dass
dazu Nachfragen provoziert werden: Spekulationen und
Mutmaßungen zu möglichen Unfallursachen sollten unterbleiben. - Das ist schon mit Rücksicht auf die Opfer
und deren Angehörige meine dringende Bitte an alle Beteiligten. Auch nach aktuellem Stand gilt: Es gibt keine
belastbaren Hinweise darauf, dass die Ursache für den
Absturz absichtlich durch Dritte herbeigeführt wurde.
Selbstverständlich ist aber, dass mit Hochdruck in alle
Richtungen ermittelt wird. - Ich glaube, das Parlament
hat Anspruch darauf, dass der Bundesinnenminister zu
Beginn seine Einschätzung mitteilt.
Neben anderen Tagesordnungspunkten waren in der
Tat das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im
Bereich des Verfassungsschutzes ein zentrales Thema;
auch das ist in diesem Hause nichts Neues. Der Bundestag hat darauf gedrungen, dass es Reformmaßnahmen
gibt - viele sind in Bund und Ländern angelaufen -, aber
auch gesetzgeberischen Umsetzungsbedarf gesehen. Das
hat natürlich mit dem Schock des NSU-Versagens zu tun
und findet jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
eine Antwort, soweit diese gesetzgeberisch erfolgen
kann.
Zunächst einmal wollen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz stärken. Das geschieht dadurch, dass das
Bundesamt für Verfassungsschutz eine koordinierende
Rolle bekommt und wie eine Zentralstelle arbeiten kann.
Da hätte sich mancher aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, wie ich weiß, noch mehr gewünscht. Aber das ist
einem Kompromiss mit den Ländern geschuldet. Wir haben umgekehrt darauf bestanden, dass dann, wenn es gewaltbereite Bewegungen oder Organisationen in einzelnen Ländern gibt, im Einzelfall im Benehmen - auch
ohne Einvernehmen - das Bundesamt für Verfassungsschutz dort beobachten können muss. Ich hatte den Eindruck, das wäre ein Kompromiss gewesen. Neuerdings
höre ich daran wieder Kritik. Ich glaube aber, es ist ein
vernünftiger Kompromiss. Im Übrigen haben wir das
Gesetz so ausgestaltet, dass es nicht zustimmungspflichtig ist.
Zweitens haben wir in diesem Gesetzentwurf geregelt,
dass der Umgang mit den vorhandenen Daten vernünftig
erfolgt. Ich wage es kaum zu sagen: Wir schreiben jetzt
in das Gesetz hinein, dass sich die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes verpflichten, alle relevanten Informationen untereinander auszutauschen.
Das wird dann Gesetzeslage. Ich bedauere, dass wir
diese Formulierung in das Gesetz schreiben müssen;
aber es gab dazu ja Anlass.
Es gibt jetzt einen klaren Zugang zu NADIS, das ist
das Informationssystem. Es gibt auch die Verknüpfung
von Informationen zu Personen und Ereignissen. Auch
das war mangelhaft. Daran kann es natürlich daten9104
schutzrechtliche Kritik geben. Die ist auch vorgetragen
worden. Man kann aber nicht verlangen, dass die vorhandenen Informationen besser ausgetauscht werden,
und gleichzeitig verlangen, dass man es nicht darf, weil
es ein Datenschutzproblem ist. Das passt beides nicht
zusammen.
Gleichwohl haben wir den datenschutzrechtlichen
Umgang genauer geregelt. Die Befugnis derer, die zugreifen können, ist zum einen begrenzt, zum anderen
gibt es eine Protokollierungspflicht, wer zugreift. Auch
das war ja ein Problem. Ich hoffe, dass damit auch dem
Datenschutz Rechnung getragen wird.
Wir haben außerdem - das ist ein sehr wichtiger
Punkt - Klarheit bei den V-Leuten geschaffen. Diese
V-Leute sind ja Menschen, mit denen man vielleicht
nicht so gerne zusammenarbeiten möchte, aber man
braucht sie, um an Informationen zu gelangen. Und sie
sind in einer Szene, in der es ein szenetypisches Verhalten gibt, das wir politisch oder sogar rechtlich missbilligen. Bisher gab es zum Einsatz von V-Leuten nur spezielle Regelungen in Verwaltungsvorschriften und durch
lose Absprachen. Wir schaffen dafür erstmals einen klaren gesetzlichen Rahmen und klare Grenzen.
Grenzen heißt: Szenetypisches Verhalten einschließlich Straftaten ist zulässig. Erfolgt rechtswidrig eine Beteiligung an erheblichen Straftaten, soll der Einsatz
unverzüglich beendet werden. Die Verletzung von Individualgütern wie Körperverletzung ist nicht zulässig.
Gleichwohl haben wir vorgesehen, dass dies grundsätzlich gilt. Wenn es im Einzelfall einmal anders ist, muss
darüber der Behördenleiter oder sein Vertreter entscheiden. Nehmen wir einmal den Fall eines Dschihadisten,
der aus Syrien oder dem Irak zurückkommt und bei dem
wir vermuten, dass er schwere Straftaten begangen hat,
mit dem wir aber die Möglichkeit hätten, in die Szene hineinzusehen, um einen Anschlag zu verhindern. Wir wären ja fahrlässig, wenn wir diese Information nicht nutzen würden und diesen V-Mann nicht abschöpfen
würden. In diesem Einzelfall muss der Behördenleiter
oder sein Vertreter sagen, dass abweichend vom Grundsatz so verfahren wird.
Das ist eine schwierige rechtsstaatliche Abwägungsentscheidung, weil wir hier Menschen, die es nicht verdienen, sozusagen in gewisser Weise straffrei stellen.
Dass aber in der Abwägung so entschieden werden kann,
ist nötig zur Gewinnung von Informationen, die wir für
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und für den
Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
brauchen. Das ist eine klare Regelung. Sie ist rundum
abgestimmt. Sie ist neu. Der Rechtsstaat regelt das erstmals aufgrund der Erfahrungen des NSU-Untersuchungsausschusses.
Dieses Gesetz ist sorgfältig abgestimmt. Wir werden
bald eine erste Lesung haben, und ich hoffe, dass wir es
schnell beraten können, damit wir damit eine Konsequenz
aus dem NSU-Untersuchungsausschuss ziehen können.
Vielen Dank, Herr Minister. - Als erste Abgeordnete
hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke
das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, es ist kein
Geheimnis, dass wir beide wohl in diesem Leben nicht
mehr zu einer übereinstimmenden Positionierung hinsichtlich der Existenz des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommen. Meiner Ansicht nach wäre es konsequent gewesen, den Verfassungsschutz als Geheimdienst
aufzulösen und die V-Leute-Praxis sofort zu beenden.
Gleichwohl werde ich konkrete Fragen zu Ihrem Gesetzentwurf stellen.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Personen als
V-Leute angeworben werden können, gegen die Vorstrafen in Höhe von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf
Bewährung verhängt wurden. Laut Strafverfolgungsstatistik aus 2013 fielen darunter neben schweren Gewaltdelikten sogar Tötungsdelikte. Ist es nach Auffassung
der Bundesregierung angemessen und zur Bekämpfung
und Verhinderung von Straftaten geeignet, dass der Staat
mit solchen Schwerverbrechern zusammenarbeitet?
Herr Minister.
Frau Abgeordnete Pau, zunächst will ich sagen: Ich
respektiere in vollem Umfang Ihre Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss, auch Ihre ganz persönliche, und
weiß uns in vielen Fragen einig, in der Frage der Abschaffung des Bundesamtes allerdings nicht.
Ich glaube, es wäre nicht sinnvoll, der Polizei Vorfeldbeobachtungsaufgaben zu übertragen. Außerdem
wäre es überhaupt nicht sinnvoll, den Rechtsstaat im
Hinblick auf die Beobachtung von Vorfeldarbeit extremistischer Bestrebungen blind zu machen. Das haben
wir, glaube ich, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt. Wir sind ein wehrhafter Staat, und deswegen ist das so absolut richtig. Deswegen hat das Bundesamt ja auch keine exekutiven Befugnisse, aber eine
Frühwarn- und Warnfunktion.
Der Vorwurf im Zusammenhang mit dem NSU war
doch: Wie konnte es geschehen, dass ihr das nicht habt
kommen sehen?
({0})
- Trotz der vielen V-Leute. Von mir aus, ja. - Ohne eine
Verfassungsschutzbehörde würde man jedenfalls diesen
Vorwurf in Zukunft immer hören. Deswegen halte ich
Ihre Konsequenz nicht für gerechtfertigt.
Was nun das Führen der V-Leute angeht, so gab es
dort in der Tat Mängel und Missbrauch. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf räumen wir damit auf - mit klaren gesetzlichen Regelungen, die es bisher nicht gab.
Das, was Sie gesagt haben, mag, was den Strafrahmen
angeht, zutreffen; im Entwurf ist jedoch ausdrücklich
geregelt, dass V-Leute keine Individualgüter verletzen
dürfen. Dies ist zum Beispiel schon bei einer einfachen
Körperverletzung oder sogar einer einfachen Sachbeschädigung der Fall. Das von Ihnen geschilderte ProBundesminister Dr. Thomas de Maizière
blem, nämlich dass jemand wegen eines Tötungsdelikts
vorbestraft ist, stellt sich deshalb nicht, weil bei Verurteilungen wegen Verbrechen eine Verpflichtung grundsätzlich nicht in Betracht kommt, selbst wenn eine Bewährungsstrafe verhängt wurde - mit der extremen
Ausnahme, über die ich geredet habe und über die dann
der Behördenleiter entscheiden muss. Sie können das
auch gar nicht - - Die Zeit läuft ab. Entschuldigung! Ich
habe nur eine Minute. Vielleicht sage ich es dann bei der
nächsten Antwort.
Das ist sicherlich noch möglich. - Als nächste Fragerin hat die Kollegin Renner von der Fraktion Die Linke
das Wort.
Danke, Herr Minister. - Ich würde gleich beim Komplex „Versagen im Zusammenhang mit dem NSU“ anschließen. Es geht ja auch darum, dass die Informationen
der Spitzel in keiner Weise dazu geführt haben, die Analysefähigkeit des Amtes insbesondere hinsichtlich Erkennen von Rechtsterror und Verhinderung dieser Mordserie zu heben. Es ist vielmehr so, dass wir es hier mit
kriminellen Neonazis zu tun haben, die sowohl das Bundesamt belogen haben als auch jetzt die Unverfrorenheit
besitzen, als Zeugen vor dem OLG in München im
NSU-Verfahren weiter zu lügen. Ich erinnere an Tino
Brandt, Carsten Szczepanski, Marcel Degner. Einige
brüsten sich sogar mit ihren Lügen, die sie dort Richter
Götzl vortragen.
Inwieweit glauben Sie denn, dass Ihr Gesetzentwurf
etwas daran ändert und dazu führt, dass diese alimentierten Lügner und Verbrecher irgendetwas dazu beitragen,
dass die Behörde das, was wir tatsächlich an rechtsterroristischer Gefahr haben - ich erinnere an die vielen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, an die Anschläge auf
Gebäude des Bundestages usw. -, in Zukunft adäquat erkennt? Ich glaube, Spitzel sind die Letzten, die dazu beitragen.
Ihre Vermutung hätte dann eine gewisse Schlüssigkeit, wenn wir davon ausgingen, dass die Informationen
dieser V-Leute die einzige Informationsbasis wären, die
Verfassungsschutzbehörden zur Analyse eines Sachverhalts nutzen könnten. Das darf natürlich nicht sein. Natürlich muss man wissen, mit wem man es zu tun hat.
Man muss wissen, wie zuverlässig oder glaubwürdig
derjenige ist. Man muss wissen, ob man belogen wird
oder nicht. Das gilt aber für jede Information: Man muss
sie mit anderen Informationen abgleichen. So kann die
Information eines solchen V-Menschen ein Baustein zur
Gewinnung von Erkenntnissen zu einer Lage sein. Dazu
gehören auch andere Maßnahmen. Dazu gehört, ehrlich
gesagt, auch das Abhören eines Telefons. Dazu gehört
eine Analyse der programmatischen Schriften, die es
gibt, und vieles andere mehr. Daraus ergibt sich dann ein
Lagebild.
Aber ausdrücklich darauf zu verzichten, V-Leute aus
einer Szene heraus nicht nutzen zu können, das hielte ich
für falsch.
Herr Hahn, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, in
dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass der Einsatz von
V-Leuten, von V-Personen beendet werden soll, wenn
sie während ihrer Tätigkeit im Dienst der Ämter erhebliche Straftaten begehen, und dass über Ausnahmen allein
der Behördenleiter entscheidet. Dazu möchte ich Sie
gerne fragen, warum im Gesetzestext formuliert wird,
dass der Einsatz beendet werden „soll“ und nicht „muss“.
Das ist der erste Punkt. In welchen Fällen sollen nach
Auffassung der Bundesregierung denn Ausnahmen möglich sein? Und wer kontrolliert die Entscheidung des Behördenleiters? Es ist ja wohl nicht vorgesehen, eine
Kommission zu schaffen, die den Einsatz von V-Leuten
konkret überprüft und auch deren Anwerbung sowie Abschaltung kontrolliert.
({0})
Herr Abgeordneter Hahn, ich habe eben schon ein
Beispiel genannt. Richtig ist, dass es eine Sollvorschrift
zu Straftaten von erheblicher Bedeutung ist. Das ist auch
noch eine Teilantwort auf die Frage der Abgeordneten
Pau. Und da kommt es nicht auf das Strafmaß an, sondern auf die Straftat.
Warum jetzt der Behördenleiter? Dazu muss man sagen: Es ist natürlich so, dass möglicherweise ein V-MannFührer ein besonderes Interesse daran hat, die Zusammenarbeit mit jemandem fortzusetzen. Er ist vielleicht
stolz auf seinen V-Mann, oder er tut vielleicht so, als
hätte er von der Straftat keine Kenntnis gehabt, oder
Ähnliches. Jedenfalls ist es richtig, das auf eine Ebene zu
heben, wo es keine Vorbefangenheit im Umgang mit den
V-Leuten gibt. Das ist nun einmal der Behördenleiter
oder sein Vertreter, wenn der Behördenleiter nicht da ist.
Der muss das in jedem Einzelfall entscheiden. Da muss
man abwägend entscheiden: Wie schwer ist das rechtsstaatliche Bedenken, mit so jemandem zusammenzuarbeiten, in Abwägung zu der denkbaren Information, an
die wir zur Abwehr einer Gefahr kommen könnten. Das
ist eine verdammt schwierige Einzelfallentscheidung.
Die muss im Einzelfall möglich sein. Sie soll nicht die
Regel sein. Genauer kann, ehrlich gesagt, ein Gesetzgeber gar nicht definieren, als einem Behördenleiter eine
solche Ermessensentscheidung zuzumuten. Dafür ist
dieser auch Behördenleiter.
Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste bleibt natürlich bestehen. Sie sind ja Mitglied eines solchen parlamentarischen Kontrollgremiums. Sie
können jederzeit fragen: In welchen Einzelfällen ist dies
erfolgt? Warum ist das erfolgt? Dann wird der Behör9106
denleiter Ihnen dazu in geheimer Sitzung Rechenschaft
ablegen.
Herr Kollege Binninger, Sie haben das Wort.
Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen. Ich will an den Beginn stellen, dass wir es sehr begrüßen, dass die Bundesregierung die 47 Empfehlungen, die
dieses Hohe Haus parteiübergreifend beschlossen hat,
sehr zügig umsetzt. Letzte Woche hatten wir Änderungen im Bereich des Generalbundesanwaltes beraten,
jetzt im Bereich des Verfassungsschutzes.
Ich habe den Medien entnommen, dass die Länder
dieses Gesetz kritisch sehen. Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht ganz nachvollziehen, weil wir immer gesagt
haben: Wir brauchen eine steuernde Einheit innerhalb
des Verfassungsschutzverbundes. - Teilen Sie die Kritik
der Länder? Wie ist sicherzustellen, dass es in der Arbeit
am Ende nicht wieder einen Rückfall dahin gehend gibt,
dass jede Behörde macht, was sie will, aber sich nicht
austauscht?
Herr Abgeordneter Binninger, zunächst ist es so, dass
wir den Entwurf sehr eng mit den Ländern abgestimmt
haben, mehr als andere Gesetzentwürfe. Er ist zwar nicht
zustimmungspflichtig, aber die Sache funktioniert ja nur
durch einen Geist der Zusammenarbeit. Interessanterweise - das will ich gerne mitteilen - haben die Länder
in den Anhörungsverfahren darum gebeten, eine Vorschrift aufnehmen zu dürfen, die es den Ländern erlaubt,
Ämter für Verfassungsschutz von Ländern zusammenzulegen. Dieser Bitte sind wir gerne nachgekommen. Bisher hatten sie diese Bitte noch nicht geäußert.
Was jetzt die Kritik angeht: Sie richtet sich eigentlich
nur dagegen, dass das Bundesamt bei gewaltbereiten Organisationen nicht nur im Einvernehmen, sondern auch
im Benehmen mit den Ländern beobachten darf. Benehmen heißt ja immer, man bemüht sich. Ich finde, wenn
wir in einem Land, das sich weigern sollte, zu beobachten, eine gefährliche Bestrebung finden, dann muss es
um der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger willen
möglich sein, dass das Bundesamt beobachtet. Den Streit
finde ich überflüssig, und ich hoffe, dass wir die Länder
noch davon überzeugen können, dass sie irren.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, der Deutsche Bundestag hat bei der Beratung des abschließenden
Berichtes des NSU-Untersuchungsausschusses 47 Veränderungen im Bereich des Bundesverfassungsschutzes
angemahnt. Wie viele davon haben Sie umgesetzt?
Kann man wirklich sagen, dass mit dem, was Sie jetzt
vorschlagen, der Einsatz von V-Leuten in Zukunft
besser, unabhängiger und wirksamer kontrolliert wird?
Sie schreiben ja nun zum ersten Mal in ein Gesetz, dass
V-Leute Straftaten begehen können und die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung absehen kann. Bisher ist
das zwar praktiziert worden, wie wir aus dem Fall Tino
Brandt wissen: Er hatte sich zwölfmal verdächtig gemacht, aber kein einziges Strafverfahren wurde zu Ende
geführt
Und wie wollen Sie in Zukunft vermeiden, dass solche hochbezahlten V-Leute vom Bundesamt für Verfassungsschutz Hunderttausende von damals D-Mark bzw.
jetzt Euro rechtsradikalen, rassistischen oder islamistischen Organisationen zukommen lassen, um diese aufzubauen oder zumindest einen maßgeblichen Beitrag
zum Aufbau zu leisten?
Das waren jetzt aber drei Fragen. - Zur letzten Frage
will ich sagen, dass ausdrücklich geregelt ist, dass mit
dem Geld keine Finanzierung dieser verfassungsfeindlichen Organisationen erfolgen darf. Falls diese erfolgen
sollte, wird in der Regel entschieden, dass die Zusammenarbeit mit dem entsprechenden V-Mann zu beenden
ist. Auch das ist eine Erfahrung aus dem NSU-Untersuchungsausschuss.
Zur zweiten Frage. Eine solche Regelung - ich habe
es schon einmal gesagt - trifft man nicht gerne; aber ich
finde, eine gesetzliche, rechtsstaatliche Regelung in Bezug auf den Umgang mit V-Leuten und deren Straftaten
ist besser als nur eine Verwaltungspraxis. Das müssten
Sie eigentlich eher begrüßen als ablehnen.
Zur ersten Frage. Wie viele Empfehlungen im Einzelnen umgesetzt wurden, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.
Das Bundesamt hat mit seinem neuen Präsidenten ein
großes Reformprojekt mit Hunderten von Projekten aufgesetzt, von denen 200 Einzelprojekte bereits umgesetzt
wurden. Man kann aber nicht immer einfach sagen: Das
wird mit einer Maßnahme umgesetzt; darüber haben wir
häufig diskutiert. Wenn man für eine Mentalitätsänderung sorgen will, damit man rechts nicht blind ist oder
Ähnliches, und eine Mentalitätsänderung im Umgang
mit Migranten und Ähnliches will, dann helfen dabei
keine Maßnahmen, die man umsetzt, sondern dabei handelt es sich um einen Prozess, der dauerhaft verfolgt
werden muss. Da sind wir dran.
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, wir
reden über die Konsequenzen aus dem NSU-Skandal,
und zwar vor dem Hintergrund, dass man Konsequenzen
aus den gemachten Fehlern ziehen möchte. Meine erste
Frage lautet: Teilen Sie die Einschätzung, dass es bei den
Vorkommnissen und Geschehnissen um den NSU auch
ein erhebliches Behördenversagen gegeben hat? Wenn
Sie diese Einschätzung teilen: Könnten Sie mir konkret
einen einzigen Fall im Zusammenhang mit dem NSUKomplex benennen, der aufgrund des Gesetzentwurfs,
den Sie heute vorlegen, so nicht wieder passieren würde?
Welcher V-Mann genau würde heute nicht wieder rekrutiert werden? Welche Informationsdefizite zwischen den
Behörden würden aufgrund welcher konkreten Regelung, die wir hier besprechen, behoben? Nur wenn das
geklärt ist, kann man sich gegen den Vorhalt schützen,
dass die Behörde für ihr extremes Versagen noch belohnt
wird, indem man ihr nämlich massiv mehr Geld gibt.
Zu Ihrer ersten Frage zum Versagen: Ich habe bereits
hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages gesagt,
dass es um ein Staatsversagen ging und dass wir daraus
die entsprechenden Konsequenzen ziehen möchten. Wir
fragen uns: Wo wurde versagt? Erstens. Die V-Leute waren nicht ordentlich ausgewählt und geführt. Zweitens.
Die Informationsgewinnung und vor allem der Informationsaustausch zwischen den Ländern und dem Bund
waren nicht in Ordnung; das war Wildwuchs, es gab vor
allem zu wenig Austausch. Drittens. Die Analysefähigkeit war unzureichend, weil man Personen und Ereignisse nicht verknüpft hat. Alle drei Dinge werden durch
das geplante Gesetz abgestellt.
({0})
Jetzt fragen Sie - ich sage es einmal ganz allgemein -:
Welcher Mord wäre nicht passiert, wenn wir ein solches
Gesetz schon gehabt hätten? Da hinten sitzt meine Kollege Steinbrück. Er hat zu solchen Überlegungen schon
einmal einen Reim gebildet. Mir ist dabei und heute
schon gar nicht nach Witzen zumute. Ich will nur sagen:
Eine solche Frage: „Was wäre, wenn?“, kann man nicht
stellen. Wäre dieser oder jener V-Mann richtig geführt
worden und hätte man informiert, dann wäre dieser
Mord nicht geschehen - wie soll ich diese Aussage jetzt
treffen und einem Angehörigen dabei in die Augen
schauen? Wie soll das gehen? Wie soll ich diese Kausalkette nachweisen? So kann man nicht fragen, und ich
weigere mich, in dieser Logik zu antworten. Wir tun alles, was möglich ist, damit sich so etwas nicht wiederholt.
Frau Kollegin Pau, Sie haben das Wort.
Herr Minister, genau da will ich anknüpfen. Natürlich
können wir nicht spekulieren: Was wäre gewesen, wenn?
So ist es.
Mich interessiert aber Folgendes: Wir sind ja im gesamten NSU-Komplex darauf gestoßen, dass überall, sowohl bei der Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz als auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz,
der Quellenschutz immer vor Unterstützung von Fahndungsmaßnahmen oder Aufklärung von Verbrechen ging.
Wäre mit Ihrem Gesetz zwingend gesichert, dass Informationen wie die des verurteilten Todschlägers
Szczepanski alias „Piato“ - die sind untergetaucht; die
sind auf der Suche nach Waffen, um weitere Überfälle zu
begehen; die sind im Besitz eines Passes, um ins Ausland zu gehen - heute von dem Amt für Verfassungsschutz, das ebendiese Informationen hat, an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, oder geht
weiter Quellenschutz vor Aufklärung von Straftaten?
Auch da gilt - Sie haben es ja auch selber gesagt -:
Wir sollten Spekulationen über konkrete Kausalität nicht
befördern. Aber ich sage einmal: Der Grundsatz, wenn
er denn gegolten hat: „Am besten behalte ich meine Informationen für mich und sage niemand anderem etwas,
dann habe ich ein Exklusivwissen, und das ist gut, weil
ich ein selbstbewusstes Land bin“, oder so ähnlich, muss
aufgegeben werden; mit dieser Mentalität muss gebrochen werden. Da ist ja schon einiges passiert: Rechtsextremismusdatei, ein gemeinsames Zentrum, in dem die
Informationen ausgetauscht werden, Verabredungen
- jetzt noch ohne gesetzliche Grundlage -, welche V-Leute
überhaupt geführt werden sollen. Das gab es schon 2012,
2013.
Jetzt schaffen wir eine gesetzliche Grundlage. Jetzt
schreiben wir ins Gesetz: Sie müssen alle relevanten Informationen austauschen. - Viel mehr kann man da nicht
machen. Die Mentalität muss dem vielleicht noch folgen. Ich kann nicht ausschließen, dass jemand der gesetzlichen Pflicht zur Weitergabe von Informationen, die
er weiterzugeben hat, nicht nachfolgt. Das kann passieren. Fehler werden weiterhin passieren. Aber die Botschaft, die wir haben, ist doch: Ihr sollt zusammenarbeiten, wenn es um gefährliche Tendenzen geht, und nicht
auf euren Informationen hocken. Ihr sollt keine Fehler
vertuschen. Ihr sollt rechtsstaatlich arbeiten, und ihr sollt
gemeinsam arbeiten. Das wird mit diesem Gesetz klar
zum Ausdruck gebracht.
Herr Kollege Dr. Ullrich, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Der Bundestag hat in der letzten Sitzungswoche die Befugnisse des
Generalbundesanwalts gestärkt und strafschärfende Merkmale ins Gesetz aufgenommen, um damit als wehrhafter
Rechtsstaat auf die erschütternde Mordserie des NSU zu
reagieren. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf betrifft
den Teil des Verfassungsschutzes. Es ist richtig, dass damit der Verfassungsschutz die Szene gerade im rechtsradikalen Bereich weiterhin beobachten kann. Ich würde
aber gerne von Ihnen, Herr Bundesminister, erfahren, ob
Ihnen dieses Gesetz auch in anderen Phänomenbereichen, insbesondere beim Kampf gegen Linksextremismus und im Kampf gegen Dschihadisten und Salafisten,
hilft, diese Gefahren wirksam zu bekämpfen.
Absolut. Ich begrüße diesen Gesetzentwurf. Ich habe
ja vor der Herbsttagung des BKA gesagt: Ich könnte mir
sogar vorstellen, dass auch im Bereich von OK manches
an Zuständigkeit beim Generalbundesanwalt gestärkt
werden könnte. Wir reden jetzt über die Folgen aus dem
NSU-Komplex. Wir dürfen aber nicht nur nach rechts,
auf den Rechtsextremismus schauen, sondern müssen
genauso auch auf den Linksextremismus schauen.
Wir haben ja beim NSU gesagt: Oh, jetzt haben wir
da plötzlich terroristische Strukturen. - Anderswo haben
wir terroristische Strukturen oder eine Affinität dazu,
beispielsweise im Bereich des islamistischen Extremismus. Deswegen ist das natürlich ein besonderer Grund
zur Sorge und im Moment, ehrlich gesagt, eine unserer
Hauptsorgen; Sie wissen das. Deswegen muss all das
dort genauso angewendet werden wie im Kampf gegen
den Rechtsextremismus.
Frau Kollegin Renner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Innenminister,
eine Bemerkung vorweg: Wenn man, nachdem sich der
NSU selbst enttarnte, formuliert: „Oh, da haben wir
Rechtsterror“, und die Augen davor verschließt, dass der
schwerste terroristische Anschlag in der Bundesrepublik
Deutschland aus genau diesem Bereich, dem Bereich des
Rechtsterrors, kam, dann kann man in diesem Amt tun,
was man will - da kann man auch die Gesetze ändern,
wie man will -, und man wird es trotzdem nie schaffen,
sicherzustellen, dass diese Behörde in der Lage ist, das
Gefährdungspotenzial des Neonazismus adäquat zu erkennen; das ist meine feste Überzeugung. Deswegen ist
diese Entwicklung vollkommen fehlgeleitet, auch mit
Blick auf das notwendige NPD-Verbotsverfahren.
Zu meiner Frage. Das Bundesverfassungsgericht steht
vor dem Problem, dass ihm der Nachweis fehlt, dass die
Spitzel in der Führungsebene der NPD - das betrifft
nicht nur den Funktionskörper - abgeschaltet sind. Wäre
es, wenn wir ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren
wollen - das unterstelle ich der Mehrheit dieses Hauses,
auch allen Vertretern aufseiten der Regierung -, nicht
der richtige Weg, die V-Leute in diesem Bereich abzuschalten, um den Weg für ein Verbotsverfahren frei zu
machen, an dessen Ende tatsächlich das Aus für diese
Partei und nicht ein erneuter höchstrichterlicher Ritterschlag, der im Nachgang nur zu einer Stärkung der
Szene führen würde, steht? Könnte zum Beispiel das,
was Thüringen gerade unternimmt, nicht für uns alle
zum Vorbild gereichen?
Zu dem ersten Punkt - das war ja keine Frage - will
ich sagen: Sie haben das, was ich gesagt habe, bestätigt.
Nicht nur die Regierung und die Verfassungsschutzämter, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit und wir alle
waren schockiert, dass wir im rechtsextremen Bereich
Terrorstrukturen haben, die keiner erkannt hat. Das darf
uns nicht noch einmal passieren. Das lässt sich am besten durch gute Vorfeldarbeit sicherstellen, aber nicht dadurch, dass man sich blind macht, indem man die Verfassungsschutzbehörden abschafft.
Jetzt zum Bundesverfassungsgericht. Mich hat, ehrlich gesagt, die Überraschung, die es jetzt gibt, ein bisschen verwundert. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits beim ersten Verfahren gesagt: Wir wollen nicht,
dass V-Leute die NPD führen. Wir wollen nicht, dass sie
einen inhaltlichen Einfluss haben. Deswegen müssen
V-Leute in Führungspositionen abgeschaltet werden,
und es muss eine gewisse zeitliche Distanz zwischen
dem Beginn des Verfahrens und dem Führen von V-Leuten geben. - Das hat das Bundesverfassungsgericht klipp
und klar gesagt. Im Übrigen hat mein Vorgänger die
Länder ziemlich deutlich darauf hingewiesen.
Jetzt fragt das Bundesverfassungsgericht: Habt ihr
das gemacht? - Es dürfte eigentlich nicht besonders
schwer sein, dem Bundesverfassungsgericht diese Frage
zu beantworten; denn man wusste ja, dass es exakt danach fragen wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die
Länder diese Hausaufgabe schnellstmöglich erledigen.
Die politische Aufregung um diesen Maßgabebeschluss
des Bundesverfassungsgerichts verstehe ich nicht. Er lag
eigentlich in der Luft.
Jetzt zu Ihrer Frage. Es geht darum, dass V-Leute vom
Staat nicht dahin gehend benutzt werden dürfen, dass
man, obwohl man einerseits eine extremistische Organisation ablehnt, sie andererseits steuert. Aber steuern ist
etwas ganz anderes, als Informationen aus der Szene zu
gewinnen. Dass wir Letzteres tun, halte ich für dringend
geboten.
Herr Kollege Hahn.
Frau Präsidentin! Herr Minister, es ist, denke ich,
schon ein gravierender Vorgang, wenn ein Staat Menschen per Gesetz erlaubt, Straftaten zu begehen, oder sie
zumindest straffrei stellt. Es muss gute und nachvollziehbare Argumente geben, mit denen man der Öffentlichkeit die Notwendigkeit hierfür begründen kann. Bisher war es aber so, dass weder die Bundesregierung noch
die Inlandsgeheimdienste konkrete Fälle benennen
konnten, in denen nur mithilfe von kriminell gewordenen V-Leuten erhebliche Ermittlungserfolge erzielt werden konnten; jedenfalls ist mir kein solcher Fall bekannt.
Deshalb frage ich Sie - da dies ja jetzt gesetzlich beschlossen werden soll -: Können Sie Fälle nennen, in denen kriminelle V-Leute Informationen geliefert haben,
die so wichtig waren, dass dadurch wesentliche Ermittlungserfolge erzielt werden konnten?
Ich will unterstreichen: Eine solche Regelung trifft
man nicht gerne. Man muss eine Abwägung zwischen
dem Ziel der Informationsgewinnung und den rechtlichen Regelungen vornehmen.
Das Zweite ist: Es geht nicht nur um die V-Leute,
sondern auch um die Beamten. Es kann nämlich sein,
dass, wenn ein V-Mann eine szenetypische Straftat begeht, der V-Mann-Führer gegebenenfalls gewärtigen
muss, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen
Beihilfe eingeleitet wird. Das kann man unseren Beamten, ehrlich gesagt, nicht zumuten.
Einer der Anlässe für diese Gesetzgebung war, dass
es auch in der Rechtswissenschaft und von Mitarbeitern
des Generalbundesanwalts Andeutungen und Hinweise
gegeben hat, exakt ein solches Verfahren einleiten zu
können und dies gegebenenfalls auch zu tun. Wir haben
gegenüber den Beamtinnen und Beamten und den anderen Mitarbeitern in Verfassungsschutzbehörden auch
eine Fürsorgepflicht. Wenn wir wollen, dass sie V-Leute
führen, dann können wir nicht sagen: Im Zweifel macht
ihr euch allein dadurch strafbar, dass ihr das tut. - Das
kann nicht richtig sein. Deswegen ist das auch ein wichtiger Gesichtspunkt.
Die Frage, welche Fälle in diesem Zusammenhang
genannt werden können, ist deswegen nicht zu beantworten, weil wir eine solche Regelung bisher nicht hatten.
({0})
Ich bitte Sie, gegebenenfalls eine neue Frage zu stellen. - Herr Kollege Ströbele.
Herr Minister, Sie haben hier noch einmal betont,
dass V-Leute sogenannte szenetypische Straftaten begehen können, falls das erforderlich ist. Das soll auch in
Zukunft so bleiben. Was sind nach Ihrer Auffassung szenetypische Straftaten?
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz schlägt beispielsweise vor, auch im islamistischen
Bereich V-Leute - etwa Personen, die zu ISIS ziehen einzusetzen. Was sind im Bereich von ISIS szenetypische Straftaten? Mir wird gruselig, wenn ich daran
denke; das kann ich nur immer wieder betonen. Gehören
zu den Straftaten, die ein Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz geradezu verzeihen kann, auch Mord,
Totschlag und andere erhebliche Straftaten? In dem Gesetzentwurf gibt es ja die Bestimmung, dass die Leitung
des Amtes sogar davon absehen kann, jemanden zu entlassen, auch wenn er erhebliche Straftaten begangen hat.
Zur ersten Frage: Ich hatte eigentlich geglaubt, sie beantwortet zu haben. Szenetypische Straftaten schließen
nicht die Verletzung von Individualgütern ein. Körperverletzung und Sachbeschädigung sind Verletzungen
eines Individualgutes. Die Zusammenarbeit mit dieser
V-Person ist dann im Regelfall sofort zu beenden. Hier
gilt eine Sollvorschrift, über die wir geredet haben. Es
gibt also die Befugnis des Präsidenten des Bundesamtes
für Verfassungsschutz und seines Stellvertreters, davon
abzuweichen.
Szenetypische Straftaten sind also insbesondere Propagandadelikte - gerade im rechtsextremen Bereich.
Beispiele für eine szenetypische Straftat sind das Zeigen
eines Hitler-Grußes und Ähnliches. Wir wollen nicht,
dass das geschieht. Das ist ein Straftatbestand, und wir
sind stolz darauf, dass wir diesen Straftatbestand haben.
Wenn es aber in der Szene sozusagen zum Ritterschlag
gehört, auch einmal einen Hitler-Gruß zu zeigen, und
wenn wir dadurch Informationen darüber bekommen,
welche gewalttätige Demonstration aus diesem Bereich
vorbereitet wird, dann halte ich es im Einzelfall für vertretbar, diesen V-Menschen nicht abzuschalten und
durch ihn diese Information zu bekommen. Das wäre ein
solches Beispiel.
Jetzt komme ich zu der Frage nach besonders erheblichen Straftaten. Das lässt sich nicht im Vorhinein sagen.
Sie unternehmen den Versuch, den Gesetzgeber sozusagen zu zwingen, solche Abwägungsentscheidungen vorher zu treffen. Meine Antwort ist: Je schwerer die Straftat ist, umso gewichtiger muss die denkbare Information
sein.
Ich sage Ihnen einmal meine Meinung - einmal angenommen, ich sei Behördenleiter -: Wenn wir einen geplanten Anschlag nur durch konkrete Informationen eines V-Menschen - findet der Anschlag morgen oder
heute um 18 Uhr statt? - verhindern können, dann kann
eine erhebliche Straftat dieses V-Menschen gerechtfertigt sein, um an diese Informationen zu kommen und sie
nutzen zu können. Das muss dann aber schon ein ganz
erheblicher Vorgang sein. Ich möchte natürlich vermeiden, dass wir solche Abwägungen vorzunehmen haben.
Das sind extreme Ausnahmeentscheidungen, die dann
von einem Behördenleiter zu treffen sein werden.
Ich muss jetzt doch noch einmal an die Zeit erinnern;
denn sie rennt uns wirklich davon. Mir liegen noch mehrere Wortmeldungen vor. - Ich gebe jetzt Frau Binder
das Wort, und danach hat Herr Ostermann die Möglichkeit, seine Frage zu stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Innenminister,
wie wollen Sie künftig verhindern, dass Staatsanwaltschaften von den Geheimdiensten und den sogenannten
Nachrichtendiensten weiterhin an der Nase herumgeführt und manipuliert werden, zum Beispiel dadurch,
dass ihnen Informationen und auch Zeugen vorenthalten
werden?
Durch eine gute Arbeit der Verfassungsschutzbehörden und der Staatsanwaltschaften. - War das jetzt kurz
genug?
({0})
Vorbildlich kurz. - Jetzt hat der Kollege Ostermann
das Wort.
Herr Minister, der Gesetzentwurf beschäftigt sich mit
der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verfassungsschutzbehörden; Sie haben darauf hingewiesen.
Nun ist unlängst im Bereich einer Verfassungsschutzbehörde eine folgenschwere Entscheidung getroffen worden. Ich spiele auf die Entscheidung der rot-rot-grünen
Landesregierung in Thüringen an, in ihrem Bundesland
keine V-Leute mehr einsetzen zu wollen. Ich frage Sie:
Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein? Welche Folgen wird dies haben, insbesondere für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden?
Nach dem, was ich bisher vorgetragen habe, wird es
Sie nicht überraschen, dass ich diese Entscheidung für
falsch halte. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen
sind, möchte ich nicht öffentlich ankündigen. Ich finde,
wir sind im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern gut beraten, eine solche Frage erst einmal intern zu
besprechen. Das machen die Fachleute. Im Juni bei der
Innenministerkonferenz wird Gelegenheit sein, darüber
zu sprechen. Aber eins ist klar: In einem Verbund gehören Nehmen und Geben zusammen. Man kann nicht nur
nehmen, aber nicht geben.
Frau Pau hat jetzt das Wort.
Ich bin, auch wenn dieser Gesetzentwurf gegen unseren Willen durch das Parlament kommt, guter Hoffnung,
dass es gerade im rechtsextremen und rechtsterroristischen Bereich Massenentpflichtungen von V-Leuten geben wird. Das würde aber bedeuten, dass das Kriterium,
das Sie gerade genannt haben, tatsächlich greift, dass die
V-Leute, die bestimmte Straftaten begehen, also Gewalttaten und Verletzung von Individualrechten, abgeschaltet
werden. Schließlich ist dies das Kerngeschäft der meisten V-Leute, was uns nicht nur bei der Untersuchung des
NSU-Komplexes bekannt geworden ist.
Ich habe aber eine Frage, die mit Ihrem Gesetzentwurf nichts zu tun hat. Als Konsequenz aus den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses hat die
Innenministerkonferenz bereits 2013 beschlossen, eine
V-Leute-Datei von Bund und Ländern anzulegen. Das
hätte, selbst wenn ich dieser Idee skeptisch gegenüberstehe, wenigstens den Effekt, dass sich nicht jeder abschirmt und nicht so handelt wie bisher, nämlich sich
nicht in die Karten schauen zu lassen, um zu verheimlichen, wer da alles unterwegs ist. Diese Datei gibt es bis
heute nicht. Können Sie dem Hohen Haus irgendetwas
dazu sagen, ob es sie noch geben wird, ob also der Beschluss noch umgesetzt wird? Wenn nein, ist die Frage,
was dem bisher entgegensteht.
Frau Abgeordnete Pau, diese Frage kann ich Ihnen
aus dem Stand nicht beantworten. Das würde ich gerne
schriftlich nachholen.
Dann hat jetzt der Kollege von Notz das Wort.
Herr Minister, ich wollte zu meiner Frage von vorhin
etwas sagen. Ich habe nicht gefragt: „Welche Tat hätte
verhindert werden können?“, sondern: „Welcher V-Mann
würde heute auf der Grundlage dieses vorliegenden Gesetzentwurfes nicht geführt werden?“ Das ist zugegebenermaßen eine schwierige Frage, aber vor dem Hintergrund der NSU-Geschehnisse eine relevante Frage. Es
geht darum, ob wir wirklich Lehren daraus gezogen haben. Deswegen frage ich noch einmal: Welchen V-Mann
würden wir heute aufgrund der neuen Gesetzeslage nicht
führen?
Noch einmal ganz kurz zu dem, was Sie eben über
Thüringen gesagt haben: Ich muss das aber nicht so verstehen, dass Sie im Verbund der Landesämter für Verfassungsschutz dem Land Thüringen sicherheitsrelevante
Informationen vorenthalten würden und dieses Land
über vorliegende Erkenntnisse nicht informiert würde?
({0})
- Herr Binninger, ich frage einfach: Ist es so zu verstehen, dass man sicherheitsrelevante Informationen, die
man selber hat, nicht an Thüringen weitergeben würde?
Zu Ihrer ersten Frage: Ich verstehe Ihren Einwand. Sicher ist es so - das sage ich auch mit Blick auf die Frage
der Frau Abgeordneten Pau -, dass die Zahl der V-Leute
nach Inkrafttreten des Gesetzes sinken wird. Diese Absicht wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt.
Wer das im Einzelnen ist, kann ich nicht sagen; ich
bleibe bei der Antwort. Übrigens dürfte ich es, selbst
wenn ich es wüsste, gar nicht sagen, weil die Existenz
von V-Leuten - wie Sie vermutlich selbst wissen - sicher nicht im Plenum des Deutschen Bundestages mitzuteilen ist.
Zur zweiten Frage: Ich möchte den Satz einmal so
stehen lassen. Wir müssen in der Innenministerkonferenz darüber beraten. In der Polizei sind wir aber ein
Verbund. Wir tauschen und führen Bereitschaftspolizeien im Rahmen einer erstklassigen Zusammenarbeit.
Auch bei der Zusammenarbeit zwischen Landeskriminalämtern und Bundeskriminalamt sind wir ein sehr guter
Verbund. Das muss auch so sein, weil sich Verbrecher
nicht nach Landesgrenzen richten. Im Verfassungsschutzverbund sind wir - trotz all der Mängel, die es gab - eigentlich auf dem Weg, ein besserer Verbund zu werden,
als wir es vor dem NSU waren. Dazu gehört unter Zurückstellung von Bedenken eine wechselseitige Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das bedingt, dass man nicht
nur Informationen bekommt, sondern auch welche gibt.
Mehr will ich dazu nicht sagen, bevor ich nicht mit meinem Thüringer Kollegen intern darüber gesprochen
habe.
Für diesen Themenbereich liegen mir keine weiteren
Fragen vor. Gibt es Fragen zu den anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung? - Als Erster hat sich, wenn
ich das richtig gesehen habe, Herr Ströbele gemeldet.
Herr Ströbele, bitte.
Herr Minister, war heute in der Kabinettsrunde auch
eine Äußerung des Ministers Gabriel gegenüber dem
geehrten und verehrten Journalisten Glenn Greenwald
Gegenstand der Erörterung? Er soll geäußert haben, dass
die US-Regierung der Bundesregierung - für den Fall,
dass Edward Snowden nach Deutschland kommt - gedroht habe, dass sie dann Deutschland keine Informationen über geplante Anschläge und Ähnliches mehr geben
werde. War das Gegenstand der heutigen Diskussion?
Wenn nein, warum nicht?
({0})
Zur ersten Frage: Herr Gabriel konnte heute bei der
Kabinettssitzung nicht dabei sein. Auch deswegen - aber
auch sonst - war der von Ihnen genannte Sachverhalt
heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. Und warum etwas nicht Gegenstand einer Kabinettssitzung ist,
gehört sicher zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.
({0})
Dann hat Frau Haßelmann das Wort.
Der Minister kann noch einmal darüber nachdenken,
bis gleich die Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung kommen. Dann stellt Herr Ströbele diese Frage
bestimmt noch einmal.
Meine Frage bezieht sich auf einen anderen Komplex.
Es geht um die steuerliche Entlastung durch eine Erhöhung des Kinderfreibetrages und um die Erhöhung des
Kindergeldes. Damit hat sich das Kabinett, nehme ich
an, befasst; zumindest habe ich das der Presseberichterstattung entnommen. Die fällige Anhebung des Kinderfreibetrages - und damit auch die Erhöhung des Kindergeldes - ist verfassungsrechtlich seit 2014 geboten.
Warum vollziehen Sie das erst jetzt? Und warum vollziehen Sie das nicht vollständig, wo doch die Finanzsituation so gut ist?
Dann habe ich noch folgende Fragen: Haben Sie sich
im Kabinett in diesem Kontext auch mit der Lebenssituation Alleinerziehender und mit dem Thema „Kinderarmut“ befasst? Warum gedenken Sie nicht, hier auch
noch bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen?
Zunächst haben wir die Frage, ob eine solche Anhebung bereits 2014 geboten gewesen wäre, innerhalb der
Bundesregierung erörtert und sind zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Betrag so niedrig gewesen wäre
- 1 Euro und noch etwas -, dass es verfassungsrechtlich
nicht geboten war, eine Anhebung durchzuführen. Das
hätte im Übrigen auch dazu geführt, dass uns die betroffenen Eltern eher kritisiert als gelobt hätten.
Wir haben jetzt diesen verfassungsrechtlich gebotenen Nachvollzug in einer Größenordnung vorgenommen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Ich kann, ehrlich gesagt, dem Grundgesetz die
einzelnen Beträge nicht unmittelbar entnehmen. Im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gibt es mit Blick auf das Existenzminimum bestimmte Vorgaben. Noch aber treffen Bundesregierung
und Bundestag im Gesetzgebungsverfahren die Entscheidung, wie hoch ein Kinderfreibetrag sein soll und
um wie viel das Kindergeld erhöht wird.
Ich will immerhin sagen, dass diese ganze Operation
alle gesamtstaatlichen Ebenen über 3 Milliarden Euro
kostet, den Bund allein 1,7 Milliarden Euro. Das ist bezogen auf die Gesamtsumme eine wirklich erhebliche
Summe.
Wir haben uns natürlich auch mit der Frage der Alleinerziehenden befasst. Wenn man für sie besondere
Maßnahmen umsetzen würde, würde das wiederum andere verfassungsrechtliche Fragen der Gleichbehandlung
aufwerfen. Wir halten jedenfalls den Gesetzentwurf, den
wir heute beschlossen haben - so wir ihn in den Deutschen Bundestag einbringen; dazu gibt es sicherlich
noch Beratungen in die eine oder andere Richtung -, für
verfassungsrechtlich und sozialpolitisch richtig.
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
habe eine Nachfrage im Hinblick auf die Gesetzesänderung beim BND. Sie ändern, soweit ich es richtig verstehe, in dem Paket unter dem Begriff der Cybersicherheit die strategische Rasterfahndung des BND.
Das BND-Gesetz wird - wenn die Frage beendet
war ({0})
dem neuen Gesetz zum Verfassungsschutz nur insoweit
angepasst, als das, was für die V-Leute und wegen Beihilfe auch für die Beamten gilt, analog für die Tätigkeit
des BND im Inland, soweit der BND überhaupt zuständig ist, entsprechend angewendet wird. Eine weitere Änderung des BND-Gesetzes sehe ich nicht.
({1})
Ich darf an die Zeit erinnern. Wir haben die vorgesehene Zeit bereits überschritten und nutzen jetzt schon
Zeit der Fragestunde. Deshalb bitte ich, das zu berücksichtigen.
Ich rufe jetzt noch die weiteren Wortmeldungen auf. Herr Krischer, Sie haben als Nächster das Wort.
Herr Minister, es war lange angekündigt, dass heute
gesetzliche Regelungen zum Thema Fracking Thema der
Kabinettssitzung sein sollten. Meine Frage: Waren sie
Gegenstand der Kabinettssitzung, hat es dort Beschlüsse
gegeben und, wenn nein, warum nicht? Was ist die Ursache, dass diese Entscheidungen nicht gefallen sind?
Wie habe ich Äußerungen der Bundesumweltministerin im Morgenmagazin im Hinblick auf die Kabinettsbefassung mit dem Thema Fracking zu interpretieren, dass
die Union - so habe ich Frau Hendricks verstanden sich erst einmal intern über ihre Haltung zu dem Thema
verständigen müsste? Das betrifft offensichtlich Kabinettsmitglieder; denn es ging dabei um die Kabinettsbefassung. Ich bitte Sie um Erläuterung.
Das Thema Fracking stand heute nicht auf der Tagesordnung. Wenn Sie fragen, warum: weil es nicht auf der
Tagesordnung stand. Wenn Sie fragen, warum es nicht
auf der Tagesordnung stand: weil es noch nicht entscheidungsreif ist. Entscheidungsreif ist es dann, wenn die
Ressortabstimmung zu einem erfolgreichen Ende geführt wurde. Das ist dann der Fall, wenn alle einer Meinung sind. Das ist hier noch nicht der Fall. Wie wir
handeln, war auch bei Hunderten von Gesetzgebungsverfahren üblich. Deswegen sage ich Ihnen als ehemaliger Chef des Bundeskanzleramts: Man sollte sich hüten,
öffentlich anzukündigen, dass an einem bestimmten Tag
etwas auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung stehen
wird.
({0})
Als Nächster hat der Kollege Kekeritz das Wort.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland durchaus auch negative Entwicklungen trotz dieser hervorragenden Regierung. Ich möchte die rechten Tendenzen
erwähnen, die immer mehr um sich greifen: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und ein absolut aggressives Potenzial. Immer mehr wird bei den Menschen auch Angst vor
Flüchtlingen geschürt.
Ich frage Sie: Wie ist es möglich, dass ein beamteter
Staatssekretär in Zusammenarbeit mit dem Vizevorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion drei Pegida-Mitglieder
in diesem Haus empfängt? Ist das mit dem Minister abgesprochen gewesen? Weiß die Regierung davon? Wie
bewertet die Regierung diese Aktion?
Auch ich habe das der Presse entnommen. Soweit ich
weiß, waren es keine Mitglieder von Pegida, sondern
Bürgerinnen und Bürger, die bei solchen Demonstrationen mitgelaufen sind. Ich stehe für ein solches Gespräch
nicht zur Verfügung.
({0})
Als letzter Fragesteller hat der Kollege Meiwald das
Wort.
({0})
- Okay. - Frau Haßelmann, Sie haben das Wort.
Herr Minister, im Rahmen der Debatte über die PkwMaut haben Sie im Gesetz keine Widerspruchsbehörde
vorgesehen. Deshalb lautet meine Frage: Haben Sie im
Kabinett und bei der Gesetzgebung sozusagen billigend
in Kauf genommen, dass Bürgerinnen und Bürger, die
Widerspruch gegen ihren Infrastrukturbescheid einlegen
möchten, das Verkehrsministerium als Widerspruchsbehörde ansehen?
Frau Abgeordnete, ich kann diese Detailfrage nur so
beantworten: Das Kabinett hat alle Paragrafen dieses
Gesetzentwurfs „billigend in Kauf genommen“ und beschlossen; das ist so. Der Bundestag berät nun in zweiter
und dritter Lesung, was daraus wird.
({0})
- Klagen des Kollegen Dobrindt sind mir nicht bekannt.
({1})
- Er hat den Gesetzentwurf eingebracht. Normalerweise
kennt ein Minister das, was er einbringt.
({2})
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort für Ihre
Frage.
Ich will auch etwas zur Maut fragen. Ein 21 Seiten
umfassender Änderungsantrag hat uns heute Morgen um
7.54 Uhr erreicht. Das kann man so machen, hilft aber
nicht. Im Innenausschuss haben wir lebhaft unter Datenschutzgesichtspunkten diskutiert - das fällt in Ihren Zuständigkeitsbereich -, wie es um Bildlöschungen und
Standortdaten von 42 Millionen Pkws in Deutschland
bestellt ist.
Das Innenministerium hat gesagt, diejenigen, die die
Maut nicht zahlen wollten, müssten ein Fahrtenbuch
führen.
({0})
Jeder Autofahrer, der einen Rückerstattungsanspruch
hat, müsste also ein Fahrtenbuch führen. Daher frage
ich, ob das so sein kann oder, wenn das nicht der Fall ist,
wie der Rückerstattungsanspruch gewährleistet sein soll,
wie also nachgewiesen werden soll, dass jemand auf einer Autobahn oder einer anderen mautpflichtigen Straße
nicht gefahren ist.
Ich war bei der gestrigen Sitzung des Innenausschusses nicht zugegen. Der Parlamentarische Staatssekretär
Schröder, der hier auf der Regierungsbank sitzt und an
dieser Sitzung teilgenommen hat, ruft mir zu, dass das
Führen eines Fahrtenbuches eine Möglichkeit darstellt.
Wenn jemand sein Geld zurückbekommen will, muss er
nun einmal irgendwie nachweisen, dass er die Autobahn
nicht genutzt hat. Wie er das macht, ist seine Sache. Das
Führen eines Fahrtenbuchs ist dabei eine gute Möglichkeit, einen solchen Nachweis zu erbringen. Wer nicht
zahlen will, muss nachweisen, dass er nicht zahlen muss.
So ist das nun einmal im Leben.
Frau Haßelmann.
Herr Minister, in diesem Zusammenhang komme ich
noch einmal auf das Widerspruchsverfahren zurück. In
einem Rechtsstaat ist es ein hohes Gut, gegen staatliche
Bescheide Widerspruch einlegen zu können. Vorhin hieß
es, man könne Widerspruch bei einem beauftragten Dritten einlegen. Das ist eigentlich nicht möglich, weil man
dann sofort den Verwaltungsgerichtsweg einschlagen
muss. Deshalb muss eigentlich das Verkehrsministerium
die Widerspruchsbehörde sein. Wie ist vor diesem Hintergrund das geplante Vorgehen zu bewerten? Es besteht
zwar die Möglichkeit, einen Nachweis durch ein Fahrtenbuch zu führen. Aber Widerspruch gegen einen solchen Bescheid müsste man auf jeden Fall beim Verkehrsministerium einlegen können, oder?
Frau Präsidentin, das ist die Regierungsbefragung.
Ich bin gerne bereit, zu allen Themen, mit denen sich das
Kabinett befasst hat, Stellung zu nehmen. Ich glaube, ich
habe die entsprechende Bereitschaft gezeigt. Ob wir aber
eine Generaldebatte über alle Themen, über die diskutiert wird, machen sollten und ob ich dann der richtige
Ansprechpartner bin, weiß ich nicht. Wahr ist, dass der
eigentliche Akteur bei der Verabschiedung des infragestehenden Gesetzentwurfs nicht die Bundesregierung,
sondern der Deutsche Bundestag ist. Daher müssten Sie
das doch viel kundiger vortragen können als ich.
({0})
- Darüber wird noch im Ausschuss beraten werden. Dabei wird Ihnen das zuständige Ministerium sicherlich
alle Ihre Fragen beantworten.
({1})
Ich kann Ihre Fragen betreffend die Details des Widerspruchsverfahrens im Gesetzentwurf, der sich zur Beratung im Deutschen Bundestag befindet, ehrlich gesagt
nicht zufriedenstellend beantworten.
Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Künast
das Wort.
Herr Minister, es ist natürlich schwer, zu fragen, wenn
man die Tagesordnung nicht erhält, aber nur zur Ta9114
gungsordnung fragen soll. Das erinnert mich an angewandtes Spaltungsirresein.
Ich frage weiter zur Maut. Was sind die Überlegungen
und Erwägungen der Bundesregierung hinsichtlich der
Notifizierung dieser Mautregeln oder der Infrastrukturabgabe, wie immer Sie das nennen mögen? Normalerweise besteht die gute fachliche Arbeit, bevor Gesetzentwürfe in zweiter und dritter Lesung hier behandelt
werden, darin, herauszufinden, ob die EU-Kommission
dieses Gesetz notifizieren würde. Ich frage Sie, warum
das beim Thema Maut nicht gemacht wurde.
Ich will Ihnen auch sagen, wie ich dazu komme. Im
Rechtsausschuss hat heute Vormittag der Staatssekretär
des BMJV gesagt, es gebe in seinem Ministerium rechtliche Bedenken bezüglich der Höhe der Abgabe und anderer Fragen. Die Vertreterin des Bundesministeriums
für Verkehr hat gesagt: Wir haben uns der EU-Kommission angenähert, aber es bleibt jetzt abzuwarten, wie
diese auf die aktuelle Vorlage reagiert. - Ein SPD-Abgeordneter hat mit leichtem Seufzen gesagt: Je schneller
das Gesetz verabschiedet wird, desto schneller kommen
wir zu einer EuGH-Überprüfung.
Ich frage Sie: Ist das ein normales Verfahren, oder
wäre es nicht richtiger gewesen, wegen einer Notifizierung eine Endversion auch mit der EU-Kommission abzustimmen? Das können Sie nicht uns als Parlament aufhalsen, weil die Kommunikation mit der Europäischen
Kommission nicht zu unserer Aufgabe gehört. Das ist
Aufgabe der Exekutive.
Zunächst einmal möchte ich Folgendes zu Ihrem Einwurf sagen: Ich bin gut vorbereitet, das vorzutragen, was
zu meinem Geschäftsbereich gehört und im Kabinett behandelt wurde. Ich bin ziemlich gut auf das vorbereitet,
was im Kabinett behandelt wurde, auch wenn es nicht
meinen Geschäftsbereich betrifft. Ich bin nicht so gut
vorbereitet auf alle denkbaren Themen, die irgendwie
politisch diskutiert werden. Auf dieser Basis will ich
trotzdem versuchen, Ihnen zu antworten.
({0})
Das Bundesverkehrsministerium hat unendlich viele
Gespräche mit der EU-Kommission darüber geführt, wie
man die Maut ausgestaltet, damit sie europatauglich ist.
Auch wenn jetzt irgendein Mitarbeiter irgendeines Hauses Bedenken äußert, was ich nicht beurteilen kann, so
kann ich sagen, dass im Kabinett alle Kabinettsmitglieder dieser Fassung so zugestimmt haben: der Innenminister, der Justizminister und alle anderen.
Stellen Sie sich einmal vor, die Bundesregierung
würde Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen und verlangen, daran dürfe kein Jota geändert werden, weil der Gesetzentwurf exakt so mit der EU-Kommission vorbesprochen worden sei. Was würden Sie dann sagen? Das
kann wohl nicht richtig sein.
Ich möchte jetzt gerne diesen Teil der Befragung der
Bundesregierung beenden. Wir haben die vereinbarte
Debattenzeit schon um 23 Minuten überzogen.
Wir haben noch den Punkt „Sonstige Fragen an die
Bundesregierung“. Auch dazu liegt mir eine Wortmeldung vor. Die möchte ich jetzt aufrufen.
Herr Movassat.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte auf einen Aspekt zurückkommen, den mein Kollege Kekeritz bereits
angesprochen hatte, nämlich das Treffen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung mit Pegida-Vertretern. Sie haben hier gerade gesagt, das seien irgendwelche Menschen, die bei
Pegida mitliefen.
Ausweislich der Artikel bei Spiegel Online, n-tv und
Tagesspiegel handelt es sich um Vertreter von Pegida.
Mich würde ganz konkret interessieren, warum trotz klarer Aussagen auch der Bundeskanzlerin ein offizieller
Vertreter der Bundesregierung - ein Staatssekretär ist ein
offizieller Vertreter der Bundesregierung - sich in dieser
offiziellen Funktion, im Übrigen sogar hier im Parlament, morgen mit Vertretern von Pegida trifft. Ist das
eine Haltung, die die Bundesregierung unterstützt? Falls
Sie das nicht unterstützen: Warum verhindern Sie das
nicht?
({0})
Ich habe schon gesagt, dass der Ausdruck „Vertreter
von Pegida“ nicht so ganz trennscharf ist. Das ist ein
Verein von sieben Mitgliedern. Mit denen würde ich
mich schon gar nicht treffen. Von den sieben ist auch
keiner dabei. Daher ist das ein etwas unklarer Begriff.
Ich kann nur wiederholen: Ich stehe für ein solches
Gespräch nicht zur Verfügung. Damit habe ich Ihnen,
glaube ich, meine Meinung dazu gesagt.
({0})
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/4370, 18/4420
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer
10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen
Fragen auf.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Es handelt sich um eine Frage auf Drucksache
18/4420 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Harald
Ebner auf:
Welche Sofortmaßnahmen plant die Bundesregierung, um
die Bevölkerung vor den wahrscheinlichen schwerwiegenden
Gesundheitsgefahren durch den auch in Deutschland häufig
eingesetzten ({0}) und frei verkäuflichen Unkrautvernichtungsmittel-Wirkstoff Glyphosat ({1}) zu schützen, der am Freitag von der International
Agency for Research on Cancer, IARC, der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde, und wie wird die Bundesregierung angesichts des
Widerspruchs in der Risikoeinschätzung durch das IARC einerseits und durch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung andererseits, das Glyphosat erst kürzlich als unbedenklich klassifiziert hat, als EU-Berichterstatterin für die im
Jahr 2015 anstehende EU-Zulassungserneuerung für Glyphosat weiter verfahren?
Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Dr. Flachsbarth antwortet für die Bundesregierung. - Sie
haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Kollege Ebner, die Bewertung des gesundheitlichen Risikos, das vom Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff Glyphosat ausgeht, erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Wie Sie wissen, nimmt die Bundesregierung auf die Bewertung durch die zuständige Bundesoberbehörde keinen Einfluss.
Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass hinsichtlich
möglicher krebserregender Eigenschaften die Auffassung des BfR bestätigt wird von den Einschätzungen der
Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, also
der EFSA, der Europäischen Chemikalienagentur, also
der ECHA, dem Joint Meeting on Pesticide Residues,
JMPR, der Weltgesundheitsorganisation, WHO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, sowie den nationalen Zulassungsbehörden zum Beispiel in Australien, in den USA und in
Brasilien. Zurzeit ist noch nicht klar, warum ein Gremium der WHO, nämlich die aktuell zitierte Internationale Agentur für Krebsforschung, zu einer Auffassung
gelangt ist, die vollkommen konträr ist zu der vom bereits genannten JMPR.
Das BfR hat unverzüglich eine erneute Prüfung aller
vorliegenden epidemiologischen Studien - das sind 30
an der Zahl einschließlich der drei Studien, die gemäß
einer ersten Verlautbarung der IARC geprüft wurden eingeleitet. Darüber hinaus werden alle vorliegenden Erkenntnisse zu tumorbildenden Eigenschaften nochmals
überprüft. Mit den Ergebnissen wird der Abgleich mit
Informationen der IARC durchgeführt. Hierzu werden
zusätzliche Informationen von den zuständigen Stellen
der WHO angefordert.
Die ausführliche abschließende Begründung der
IARC für die vorgenommene Einstufung als „wahrscheinlich krebserregend“ liegt bislang noch nicht vor.
Die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Bundesoberbehörde, nämlich das Bundesamt
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, hat
sich gemeinsam mit dem BMEL im Rahmen der Koordinierung der Sitzung des Codex Committee on Pesticide
Residues im April 2015 unverzüglich mit der EFSA, der
EU-Kommission und den zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten in Verbindung gesetzt. Ziel ist es,
zu erörtern, wie die WHO zu der unterschiedlichen Einschätzung zweier ihrer Institutionen zum Wirkstoff Glyphosat steht. Die Frage soll in der oben genannten
CCPR-Sitzung an die WHO, konkret an das JMPR, herangetragen werden.
Sollte jedoch die noch ausstehende finale IARC-Monografie mit der ausführlichen Begründung der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeugend“ Hinweise auf der Basis neuer Informationen, die
im Zuge der aktuellen Neubewertung von Glyphosat in
der EU nicht berücksichtigt werden konnten, liefern, ist
die Anpassung der Bewertung einzufordern. Dann wird
das BfR diese unverzüglich vornehmen. In der Folge
müssten dann weitere Handlungsoptionen geprüft werden.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass das
BfR auf diese neuen Informationen unverzüglich reagiert hat, unter anderem mit der Einstellung von umfangreichen Informationen auf seiner Homepage, die ich
Ihrer Lektüre sehr gern empfehle.
Auch für die Fragestunde - darauf möchte ich hinweisen - gelten Regeln für die Dauer der Frage und für die
Dauer der Beantwortung. Ich habe einfach die Bitte,
doch gelegentlich einen Blick auf die Uhr zu werfen; da
ist das sehr gut erkennbar.
Herr Ebner, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Staatssekretärin. - Es ist schön, dass jetzt auch die Bundesregierung
ins Nachdenken kommt. Ich möchte aber dazusagen:
Das BfR hat einige Tage leider gar nicht reagiert; so war
es zumindest der Presse zu entnehmen. Das BfR stand
für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.
Ich möchte jetzt aber darauf abzielen: Die IARC stellt
fest, dass Glyphosat und seine Formulierungen Schäden
an der DNA und an Chromosomen von Säugetieren sowie von menschlichen und tierischen Zellen verursachen, Schäden, die unter anderem zu Lymphdrüsenkrebs
führen können. Glyphosat wird mittlerweile fast überall
gefunden, auch in der Muttermilch und im Urin.
Auf eine Kleine Anfrage von uns hat die Bundesregierung 2013 geantwortet, dass von 26 Langzeitstudien
gerade mal eine einzige nicht aus den Labors der Hersteller kommt und dass alle anderen bislang aus Gründen
der Vertraulichkeit nicht veröffentlicht wurden.
Deshalb frage ich Sie: Was hat die Bundesregierung
seither getan, um die offenbar verbreitete und andauernde sogenannte Hintergrundbelastung mit Glyphosat
bei Menschen zu überwachen, deren gesundheitliche
Auswirkungen unabhängig von der Industrie zu überprüfen und für die Zukunft den öffentlichen Zugang zu solchen Studienergebnissen zu ermöglichen?
Herr Kollege Ebner, Glyphosat wird derzeit auf europäischer Ebene routinemäßig neu bewertet. Informationen zum Verfahren finden Sie auf der Internetseite des
Bundesamtes für Verbraucherschutz. Deutschland ist in
diesem Routineverfahren berichterstattender Mitgliedstaat.
Im Rahmen dieser Überprüfung, die das BfR vorgenommen hat, gab es mehr als 1 000 neue Veröffentlichungen zum Wirkstoff Glyphosat. Es wurden alle Studien überprüft, die in den letzten Jahren zu Diskussionen
in der Öffentlichkeit und in den Medien geführt haben.
Deshalb sind wir davon überzeugt, dass sich das BfR tatsächlich ein sehr umfassendes Bild bezüglich der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit gemacht
hat.
Ich darf noch einmal auf die Veröffentlichung des
BfR bezüglich der IARC-Studie und darauf hinweisen,
dass der statistische Zusammenhang, der von dieser
Organisation zwischen einer Glyphosatexposition und
einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome
hergestellt wurde, in anderen Studien - in großen Kohortenstudien und in 30 weiteren epidemiologischen Studien - nicht nachvollzogen wird. Das BfR kennt die drei
Studien, die die IARC herangezogen hat, meint jedoch in
einer ersten Abwägung, dass diese nicht einschlägig
seien. Es überprüft sie aber noch einmal.
Herr Ebner.
Danke schön. - Das war zwar nicht die Antwort auf
meine Frage, aber ganz offenbar stand das so auf dem
Sprechzettel.
Diese Antwort widerspricht, finde ich, auch Ihrer ersten Antwort. Denn Sie sagten, das BfR hat jetzt vor, auch
die bislang nicht berücksichtigten Studien noch zu bedenken.
Glyphosat ist derzeit für die Anwendung im Haus und
im Kleingartenbereich weiterhin zugelassen; es kann
also in jedem Baumarkt ohne Sachkenntnis erworben
werden. Ihr Haus hat im letzten Jahr selbst eingeräumt,
dass es in diesem Bereich zu missbräuchlicher Anwendung auf befestigten Flächen kommt, verbunden mit
dem hohen Risiko der Abschwemmung in Kanalisation
und Oberflächengewässer. In Nordrhein-Westfalen - das
hat sich herausgestellt - ist in jedem zweiten untersuchten Gewässer Glyphosat nachweisbar.
Ich möchte Sie fragen: Welche Auswirkungen hat die
Einstufung von Glyphosat in die Kategorie 2 A - wohlgemerkt: Es ist nicht 2 B, wie Monsanto uns das gerne
glauben machen möchte -, also in die gleiche Kategorie
wie Acrylamid, Nitrosamine, Blei und UV-Strahlen?
Wie sollen die Umwelt und vor allem die Gesundheit der
unerfahrenen privaten Anwenderinnen und Anwender
- einschließlich der ihrer Kinder und Nachbarn - anders
geschützt werden, als durch ein klares Verbot, dieses
Mittel für Haus und Kleingarten zu erwerben?
Herr Kollege Ebner, ich möchte ausdrücklich anmerken, dass es unseres Wissens keine Studien gibt, die das
BfR nicht in seine Untersuchungen einbezogen hat. Das
BfR hatte diese Untersuchungen, die von der besagten
WHO-Behörde geprüft worden sind, selbstverständlich
auch in seine Überprüfungen einbezogen. Es wird diese
Studien aber jetzt, nach diesen Ergebnissen der Kollegen
aus den Vereinigten Staaten, noch einmal prüfen und
schauen, ob möglicherweise eine Neubewertung stattfinden muss.
Deshalb sind wir nach wie vor der Meinung, dass
Glyphosat im Rahmen der geltenden Vorschriften - auch
der Sicherheitsvorschriften aus der EU - Anwendung
finden kann.
Bezüglich der Sikkation hatte das BMEL allerdings
im letzten Jahr - dazu hatte ich auch im Ausschuss berichtet - Einschränkungen vorgenommen.
({0})
Jetzt hat Frau Binder die Möglichkeit zur Frage. Frau
Binder, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau
Flachsbarth, ich möchte an dieser Stelle anknüpfen: Im
Sinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes wäre
doch bei einem solchen Verdacht und mit Blick auf die
wahrscheinliche Existenz krebserregender Wirkstoffe in
diesen Produkten zumindest insofern eine Vorsorge zu
treffen, als man sie aus dem Verkehr zieht. Denkt die
Bundesregierung über einen Verkaufsstopp von Glyphosat nach?
Ich würde gern noch Folgendes fragen: Trifft es zu,
wie jetzt in der taz zu lesen war, dass es in der Bundesrepublik 92 zugelassene Pflanzenschutzmittel mit dem
Herbizidwirkstoff Glyphosat gibt? Da wüsste ich gerne:
Wie viele davon dürfen in der Landwirtschaft und wie
viele davon dürfen auch auf öffentlichen Wegen und in
privaten Gärten eingesetzt werden? Glyphosat ist nämlich tatsächlich im Urin der Städter nachzuweisen. Es
fließt also durch ihre Körper.
Frau Kollegin Binder, ich möchte wiederholen, dass
die Ergebnisse der Untersuchungen der IARC im Widerspruch zu Ergebnissen von Untersuchungen stehen, die
das JMPR, eine weitere Unterorganisation der WHO
bzw. der FAO, erzielt hat. Sie stehen ebenfalls im Widerspruch zu Ergebnissen der EFSA, der Europäischen
Chemikalienagentur und anderer nationaler Zulassungsbehörden wie zum Beispiel derer in Australien, in den
USA und Brasilien. Die Tatsachen werden noch einmal
wissenschaftlich abgeglichen, die konträren Ergebnisse
werden tatsächlich verifiziert und die zugrundeliegenden
Studien werden noch einmal angesehen. Es besteht zurzeit aber kein akuter Handlungsbedarf eines Verbotes.
Zur Frage der 92 Substanzen bzw. der verschiedenen
Mischungen, die angeboten werden, möchte ich Ihnen
bitte schriftlich antworten.
Frau Künast, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf etwas Zukünftiges, nämlich auf die neue Maislinie GA 21
und das Vorsorgeprinzip. GA 21 ist eine Maislinie von
Syngenta, die eine tolle Eigenschaft hat, nämlich dass sie
aufgrund einer gentechnischen Veränderung die Behandlung mit Glyphosat schadlos übersteht, während alles
um sie herum abstirbt. Diese Maislinie steht kurz vor der
Zulassung für den Anbau in der EU. Es gibt verschiedene Mitgliedstaaten, die sagen, dass sie den Anbau von
glyphosattoleranten Pflanzen kritisieren, da dieser mit
einer wirklich massiven Steigerung von Herbizideinsätzen einhergehen wird. Der Anbau ist in mehrfacher Hinsicht schädlich.
Meine Frage ist: Wie wird sich die Bundesregierung
jetzt verhalten? Sie haben viermal gesagt, Sie würden
das ernsthaft prüfen. Nach dem Vorsorgeprinzip - in der
EU ist das das „Precautionary Principle“ - sind Sie,
wenn es einen tatsachengestützten Verdacht gibt - ich
beziehe mich auf Aussagen der WHO -, verpflichtet, zugunsten der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher, auch mit Blick auf die steigenden Krebsraten
- ich glaube, jeder von uns erlebt das zumindest in seiner
Nähe -, zu entscheiden und zu sagen, dass Sie das Verfahren aufhalten wollen, bis es eine EU-weite Bewertung dieser WHO-Entscheidung gibt, die besagt: Es ist
krebserregend. - Alles andere würde sich auf die Gesundheit von uns allen auswirken.
Meine Frage ist: Werden Sie sich aus Gründen des
vorsorgenden Verbraucherschutzes in die Gruppe der
Länder begeben, die Nein zur Zulassung sagen, oder
werden Sie hilfsweise mit anderen Mitgliedstaaten eine
Initiative für ein Aufhalten des Verfahrens starten, bis
man klüger ist? Wenn Sie diese Initiative schon gestartet
haben, wüsste ich gern, mit welchen Mitgliedstaaten Sie
dazu im Gespräch stehen.
Frau Kollegin, ich darf wiederholen, dass die Ergebnisse der IARC im Moment allein dastehen gegenüber
Ergebnissen, die WHO, FAO und andere Unterorganisationen erzielt haben. Dazu gehören zum Beispiel Ergebnisse von Untersuchungen der EFSA, der Europäischen
Chemikalienbehörde oder von nationalstaatlichen Bewertungsbehörden. Deshalb wird dieser Einzelbefund
sehr ernst genommen und wird noch einmal auf seine
Validität überprüft. Deshalb ist jetzt aber kein sofortiges
Handeln angesagt.
Bezüglich der Zulassung von genveränderten Maislinien: Für die von Ihnen genannte Maislinie tritt das Gleiche in Aktion wie bei allen gentechnisch veränderten Organismen. Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck
an der Umsetzung der Opt-out-Möglichkeit, die von europäischer Seite gegeben wird, und ist dabei, diese Möglichkeit in nationales Recht umzusetzen.
({0})
- Frau Kollegin Künast, ich habe Ihnen gesagt, dass das
Ergebnis, das von der IARC erzielt worden ist, ein Einzelbefund ist und dass dieser sehr sorgfältig geprüft
wird, dass die zugrundeliegenden Studien noch einmal
angeschaut werden. Im Moment ergibt sich kein akuter
Handlungsbedarf.
({1})
Ich habe jetzt noch drei weitere Wortmeldungen zu
dem gleichen Komplex vorliegen. - Frau Kotting-Uhl,
Sie haben das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin Flachsbarth, ich möchte gerne einen Blick nach Dänemark werfen. Dort hat ein Schweinezüchter wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass er in seinem
Bestand erhebliche Gesundheitsprobleme bei den Muttersauen und ungewöhnlich häufig schwerwiegende
Missbildungen bei den Ferkeln beobachten musste, solange er gentechnisch verändertes Soja verfütterte. Er
bezieht glyphosattolerantes Gensoja, das aufgrund der
häufigen Spritzungen meist erheblich mit Glyphosat belastet ist. Die dänischen Behörden haben daraufhin eigene Fütterungsversuche bei den Schweinen eingeleitet.
In Deutschland wurde daraufhin die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit mit der Ausarbeitung
eines Versuchsdesigns für solche Versuche beauftragt.
Die deutsche Tiermedizinerin Professor Monika Krüger
fand in den Organen der missgebildeten Ferkel eine erhöhte Konzentration an Glyphosat.
Jetzt meine Doppelfrage dazu: Steht die Bundesregierung zu dieser Thematik im Austausch mit den dänischen Behörden? Was ist aus den Plänen geworden,
selbst Fütterungsversuche mit Schweinen durchzuführen, die einerseits den Menschen biologisch ähnlicher
sind als Mäuse und Ratten und andererseits im realen
landwirtschaftlichen Alltag über die Fütterung regelmäßig einer solchen Exposition ausgesetzt sind?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, bezüglich der von Ihnen
angesprochenen Studie kann ich keine detaillierten Auskünfte geben, kann sie Ihnen aber gerne nachliefern.
Ich kann Ihnen aber sagen: Im Rahmen des Bewertungsverfahrens, das das BfR für Deutschland als berichterstattende Nation gegenüber der EFSA und der
EU-Kommission durchgeführt hat, sind alle verfügbaren
Untersuchungen eingeflossen. Dann hat die EFSA einen
Bewertungsbericht veröffentlicht. Sie hat bis Januar
2012 ein Konsultationsverfahren durchgeführt. Im Rahmen dieses Konsultationsverfahrens konnten jeder Mann
und jede Frau, jede Institution, die sich zu dieser Problematik äußern wollte, entsprechende Eingaben machen.
Daraufhin sind über 700 Dokumente von den Firmen
nachgefordert worden, die Glyphosat - in Anführungsstrichen - verteidigen wollten. Die Prüfung hat stattgefunden. Dazu hat die Bundesrepublik Deutschland noch
bei der EU-Kommission eine Verlängerung der Frist eingefordert. Von daher kann ich nicht sehen, dass nicht alle
Befunde, die es in Bezug auf Glyphosat gibt, in die Bewertung eingeflossen sein sollten.
({0})
- Ich will Ihnen dazu gerne im Detail schriftlich Auskunft geben.
Herr Kollege Kekeritz hat das Wort.
Herzlichen Dank. - Ich denke, dass der Skandal zwei
Faktoren hat. Der erste Skandal besteht darin, dass Studien zugelassen worden sind, die von den Erzeugern,
von Monsanto, Syngenta usw., in Auftrag gegeben worden sind. Der zweite Skandal besteht darin, dass Sie offensichtliche Tatsachen schlicht ignorieren und nicht in
politisches Handeln ummünzen.
Ich bin Entwicklungspolitiker und beschäftige mich
zum Beispiel sehr viel mit Lateinamerika oder Sri
Lanka. Dort gibt es Hunderte von Studien. Es gibt auch
zig Dokumentationen dazu. Heute zu sagen, dass die Ergebnisse, die hier Zweifel aufkommen lassen, nicht da
sind, ignoriert die Realitäten. Ich stelle die Frage: Wie
werden die Studien eigentlich überprüft? Wie geht man
da ran? Wird das öffentlich gemacht? Sind die Studien
öffentlich? Ich habe überhaupt kein Vertrauen mehr in
eine Überprüfung dieser Studien. Ich kann die Studien
nehmen und nachprüfen, ob sie in sich logisch sind. Das
heißt aber, dass die Fakten, die Datenerhebung, nicht
überprüft werden. Das müsste getan werden. Es kann
aber Jahre dauern, bis das geschieht. Deswegen ist auch
davon auszugehen, dass diese Überprüfung nicht zu dem
Ergebnis führt, das die Realität eigentlich verlangt. Man
spricht davon, dass die Nierenerkrankungen in Sri Lanka
massiv auf den Einsatz von Glyphosat zurückzuführen
sind. In Lateinamerika gibt es Fehlgeburten, Fehlbildungen bei Neugeborenen, Krebserkrankungen, Hauterkrankungen, Nierenversagen. All das ist dokumentiert. Aber
Sie stellen sich hier hin und sagen: Es gibt keinen Handlungsanlass. - Das ist etwas, was die Bevölkerung nicht
versteht und was auch ich nicht verstehe.
Herr Kollege, ich will Ihnen gerne noch einmal über
das Zustandekommen des Bewertungsberichtes Auskunft geben, der am 19. Dezember 2013 an die EFSA
übergeben worden ist. Das BVL, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ist in
Deutschland für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig und koordinierte letztendlich die Sammlung all der Expertise, die in diesen Bericht eingebracht
wurde. Dabei war das BVL selbst für die Bewertung der
physikalischen und chemischen Eigenschaften verantwortlich. Es kamen dann aber weitere Teilberichte: vom
BfR - darüber hatten wir mehrfach gesprochen -, vom
Julius-Kühn-Institut hinsichtlich der Wirksamkeit, des
Nutzens und der Bienenverträglichkeit, vom Umweltbundesamt hinsichtlich der Auswirkungen auf den Naturhaushalt. Weiterhin war die Slowakei Koberichterstatter. Beiträge kamen auch von Umweltverbänden und
anderen Stellen oder Einrichtungen wie zum Beispiel
Nichtregierungsorganisationen oder Hochschulen. Darüber hinaus hatte in diesem Neubewertungsverfahren,
wie ich schon gesagt habe, grundsätzlich jede Person die
Möglichkeit, Informationen vorzulegen, die zur Bewertung beitragen können. Deshalb möchte ich es zurückweisen, dass nur selektiv Gutachten in diese Bewertung
eingeflossen sind.
Herr Kühn, Sie haben das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wir
befassen uns hier mit einer sehr relevanten Frage. In vielen Brötchen ist Glyphosat nachweisbar gewesen. Man
kann es im Baumarkt kaufen. Wir finden es in unserer
Umwelt überall. Sie tun nun so, als ob die Bewertung
der WHO sozusagen vom Himmel gefallen wäre und
völlig singulär dastünde. Jetzt ist es aber so, dass das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft im Mai 2014 mit gewissen Beschränkungen belegt hat. Für diese Beschränkungen muss es ja einen
Christian Kühn ({0})
Grund gegeben haben. Ich würde jetzt gern von Ihnen
wissen, welchen Grund das gehabt hat.
Aus meiner Sicht war natürlich schon zu dieser Zeit
deutlich geworden, dass es sich hier um einen Stoff handelt, der krebserregend sein kann, der die Gesundheit
von Menschen massiv schädigt. Ich denke, dass unter
anderem deswegen die Beschränkung vorgenommen
worden ist. Es wurde die Beschränkung vorgenommen,
dass dieser Stoff kurz vor der Ernte nicht mehr ausgebracht werden darf, damit er sich nicht mehr in Lebensmitteln findet. Ich hätte gerne von Ihnen eine Antwort
auf die Frage, warum diese Beschränkung vorgenommen
worden ist, wenn dieser Stoff so ungefährlich ist, wie es
die ganzen anderen Gutachten, die Sie hier angeführt haben, am Ende aussagen.
Herr Kollege, Glyphosat ist ohne Zweifel ein wirkkräftiges Herbizid, dessen Anwendung auf den unmittelbar notwendigen Bereich beschränkt werden sollte. Deshalb ist die Anwendung im Rahmen der Sikkation, wie
ich eben schon ausgeführt habe, begrenzt worden.
Der Bericht des BVL, von dem wir hier sprechen,
sieht keine unmittelbare gesundheitsschädigende Wirkung. Was er aber besagt, ist, dass durch die Anwendung
des Glyphosats die biologische Vielfalt, die Biodiversität, zurückgeht, also auf den Kulturflächen auch diejenigen Pflanzen abgetötet werden, die Insekten wie
Schmetterlingen und Wildbienen Nahrung bieten. Von
daher ist der Einsatz nur im unmittelbar notwendigen
Umfang zulässig.
Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da Sie, Frau Staatssekretärin, vorhin die Frage meiner Kollegin Künast
nicht beantwortet haben, möchte ich Ihnen jetzt noch
einmal die Gelegenheit geben, sie zu beantworten. Frau
Künast hat Sie gefragt, ob Deutschland zustimmen wird.
Das ist ja eine ganz einfache Frage.
Die Abstimmungen im Kabinett, liebe Frau
Haßelmann, sind noch nicht abgeschlossen.
({0})
Herr Kollege Wunderlich.
Ich versuche, das mal in einer Minute zusammenzufassen: Seit 1998 ist es Deutschland und seit spätestens
1999 ist es der EU bekannt, welche Folgen Glyphosat
auf Menschen und auf Tiere haben kann. 2010 hat ein
Konsortium von Wissenschaftlern eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass es Auswirkungen auf die DNA, auf
die Plazenta und auf die Embryonalstruktur hat, dass es
Alzheimer, Krebs usw. usf. fördert. Was macht die Politik? Nichts.
Jetzt heißt es immerhin: Wir beschäftigen uns mal damit. Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung,
sagt: Das sehen wir als nicht so schlimm an, wir gucken
jetzt erst einmal, was dafür- und was dagegenspricht.
Die Wirkstoffgenehmigung läuft Ende des Jahres aus.
Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass hier jetzt mit
einer Hinhaltetaktik so lange gezögert wird, dass diese
Studien nicht belegt werden, damit man am Jahresende,
wenn es um die Verlängerung geht, zustimmen kann.
Im Übrigen möchte ich jetzt ganz klipp und klar eine
Antwort der Regierung hören: Wie steht die Regierung
zu der Genehmigung von Mais, der herbizidresistent ist,
damit er mit solchem Dreck gedüngt werden kann?
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, dass Glyphosat
als Dünger eingesetzt wird; vielmehr wird es als Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Ich hatte Ihnen eben gesagt,
dass bezüglich der Zulassung noch die Abstimmungen
im Kabinett laufen. Ich will Ihnen darüber hinaus ganz
klar sagen, dass das BfR eine unabhängige Behörde ist
und politischen Weisungen nicht Folge leisten muss,
sondern absolut unabhängig arbeitet und Politik berät.
Die Frage, über die wir hier sprechen, nämlich über die
weitere Zulassung von Glyphosat, ist deshalb keine politische Frage, sondern eine nach naturwissenschaftlichen
Kriterien zu entscheidende Frage.
({0})
- Herzlichen Dank, Frau Kollegin Künast, für den Zwischenruf, auf den ich wahrscheinlich gar nicht antworten
darf oder muss; ich weiß es nicht. Ich will Ihnen nur sagen, dass gerade die Frage der gesundheitlichen Auswirkungen in umfangreichen Studien überprüft wird, zum
Beispiel vom BfR.
Damit schließe ich den Bereich der dringlichen Fragen. - Ich rufe jetzt die Fragen auf Drucksache 18/4370
in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Hier beantwortet der Staatssekretär Christian Lange die
Fragen.
Zunächst rufe ich die Frage 1 der Kollegin Künast
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Unterschied zwischen den Aussagen auf Bundestagsdrucksache 17/10495
einerseits ({0}) und auf Bundestagsdruck9120
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
sache 18/4238 andererseits - wonach es „einer Prüfung des
zuständigen Ressorts zu gegebener Zeit ({1}), ob eine
Präsentation in Form einer Ausstellung im jeweiligen Einzelfall tatsächlich geeignet und sinnvoll erscheint“, vergleiche
Antwort zu Frage 18 -, und ist die Bundesregierung nicht
mehr der Auffassung, dass eine Dauerausstellung zu den personellen Kontinuitäten in den Bundesministerien zwischen
der NS-Zeit und der Zeit nach 1945 eine gute gesellschaftliche Debatte befördern könnte?
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin! In ihrer Antwort auf die Frage 18 aus der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur NS-Aufarbeitung in den
Bundesressorts hat die Bundesregierung erneut zum
Ausdruck gebracht, dass die Ergebnisse der NS-Aufarbeitungsarbeiten der Bundesressorts auch durch Ausstellungen der Öffentlichkeit sinnvoll und angemessen
vermittelt und allgemein zugänglich gemacht werden
können. Dabei ist jedes Ressort aufgerufen, eine diesbezügliche Entscheidung hinsichtlich der Ergebnisse seiner
Aufarbeitungsarbeit zu treffen.
Was in der Frage angesprochene Durchführungen einer möglichen Ausstellung zum Rosenburg-Projekt betrifft, so ist der konkrete Entscheidungsprozess im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
noch nicht abgeschlossen.
Frau Künast.
Ich hatte damals gefragt, ob es überhaupt noch die
Idee gibt, eine Dauerausstellung zu machen. Ich frage
danach, weil das Konzept von Public History - das war
damals Frage 14 - in Wahrheit ein Konzept ist, das das
damalige BMJ selbst erfunden und mitentwickelt hat.
Man sagte damals nämlich: Geschichtsaufarbeitung und
das Lernen daraus müssen und dürfen nicht zwingend
nur zwischen zwei Buchdeckeln passieren, sondern sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Ich
frage Sie dies deshalb, weil Sie dieses Projekt im Ministerium damals quasi selbst entwickelt haben und weil bei
Umfragen - zum Beispiel neulich unter Jurastudierenden
des ersten und zweiten Semesters in Erlangen - ein Drittel der Befragten gesagt hat, sie seien für eine Wiedereinführung der Todesstrafe, deren Einführung nach unserem Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist.
Wenn man all dies sieht, dann habe ich die Sorge,
dass wir viel zu wenig Aufarbeitung betreiben und viel
zu wenig den öffentlichen Diskurs führen. Deshalb frage
ich ganz klar: Setzt sich das BMJV dafür ein, dass es nur
für seinen Bereich oder insgesamt - es gibt auch in anderen Ministerien Lücken - eine Ausstellung gibt, die tatsächlich Public History praktizieren kann, dass es also
eine öffentliche Auseinandersetzung an verschiedenen
Orten geben wird?
Ich will zunächst sagen, dass das Rosenburg-Projekt
unseres Hauses eine sehr große und positive öffentliche
Resonanz ausgelöst hat, sowohl bei Veranstaltungen, die
der Herr Bundesminister durchgeführt hat, als auch bei
einer Veranstaltung, die ich zum Beispiel beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe durchgeführt habe. Darüber hinaus nehmen Sie Bezug auf die Ausstellung des alten
BMJ - sie hieß Im Namen des deutschen Volkes - Justiz
und Nationalsozialismus -, die übrigens Bundesjustizminister Engelhard initiiert hatte. Da wir noch keine Entscheidung über unser konkretes Vorgehen getroffen haben, kann ich die Frage nach der Konzeption der
Ausstellung - Wanderausstellung? in welcher Form? nur hypothetisch beantworten.
Die Ausstellung des früheren Bundesjustizministeriums ist, wie Sie sagten, vom Ministerium selbst thematisch vorbereitet worden und befasst sich vor allem mit
der Justiz im nationalsozialistischen Unrechtssystem.
Nunmehr würde eine mögliche Ausstellung zum Rosenburg-Projekt auf den Ergebnissen der Arbeit der unabhängigen Wissenschaftskommission beim BMJV aufbauen, die sich mit der Aufarbeitung des Umgangs des
damaligen Bundesjustizministeriums mit der NS-Vergangenheit befasst und insbesondere die Tätigkeit in den
1950er- und 1960er-Jahren im Blick hat. Auf der Grundlage der vorhandenen Akten soll ein quellengeschütztes
Gesamtbild erstellt werden. Das ist noch nicht abschließend erfolgt. Wenn uns das Material vorliegt, werden
wir darüber entsprechend entscheiden.
Frau Künast.
Sie hatten mir damals in der Anfrage geantwortet,
dass es Unterstützungsleistungen für Professor Raphael
Gross vom Leo-Baeck-Institut und für das Jüdische Museum in Frankfurt gegeben hat. Ich würde gerne wissen:
Wie geht es hier eigentlich weiter? Was waren das für
Unterstützungsleistungen? Werden Sie zum Beispiel im
nächsten Bundeshaushalt - Sie sagen, das Haus denkt
noch darüber nach - einen ganz konkreten Finanzierungsantrag für eine wie auch immer geartete Dauerausstellung stellen, oder sehen Sie das in fernerer Zukunft?
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen dazu
nichts Konkretes sagen kann. Nehmen Sie aber bitte mit,
dass wir eine Öffentlichkeitsarbeit planen. Wie sie genau
aussehen wird, wie der Terminplan sein wird, wie sie
finanziell unterlegt sein wird, das kann ich Ihnen zum
jetzigen Zeitpunkt naturgemäß noch nicht sagen.
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele auf:
Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung eine Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform geregelt werden,
nachdem der Europäische Gerichtshof am 8. April 2014 die
Speicherung der Daten jeglicher Berufsgeheimnisträger sowie
solcher Personen ausschloss, „bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren StrafVizepräsidentin Edelgard Bulmahn
taten stehen könnte“ ({0}), und soll technisch, organisatorisch und regulativ
sichergestellt werden, dass solche Daten von Berufsgeheimnisträgern sicher erkannt, von anderen Personen unterschieden, ausgesondert und nicht gespeichert werden?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Ströbele, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten:
Eine gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung
müsste die Vorgaben beachten, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zu den bisherigen Regelungen auf
nationaler und europäischer Ebene ergeben. Dazu gehören der Schutz der Berufsgeheimnisträger und weitere
Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer solchen
Regelung, die sich, in den Worten des EuGH, auf das
- ich zitiere - „absolut Notwendige“ beschränken müssten. In welcher Weise dies umgesetzt werden kann, ist
zurzeit Gegenstand von Gesprächen, die noch nicht abgeschlossen sind.
Herr Kollege Ströbele.
Danke, Herr Staatssekretär. Nachdem heute im
Rechtsausschuss jegliche Diskussion zu diesem Thema,
das die Öffentlichkeit durchaus beschäftigt, verweigert
worden ist, durch einen Beschluss der Großen Koalition
ohne ein inhaltliches Wort vom Tisch gewischt wurde,
sind wir darauf angewiesen, Sie hier zu fragen. Deshalb
habe ich Ihnen diese konkrete Frage gestellt. Sie haben
sie aber nicht beantwortet.
Welche Möglichkeiten sehen Sie denn überhaupt,
dass die Berufsgeheimnisträger - ich schätze, es sind
2 Millionen: Geistliche, Ärzte, Psychiater, Rechtsanwälte, Abgeordnete - nicht aufgenommen werden?
Werden dann von allen diesen möglicherweise Millionen
Personen Kennnummern oder Kennzeichen in die Dateien aufgenommen, damit sie aussortiert werden, oder
wie stellen Sie sich das vor?
Herr Kollege Ströbele, zunächst lege ich Wert darauf,
darauf hinzuweisen, dass Ihre Frage, die Sie hier in der
Fragestunde gestellt haben, dem Ausschuss heute Morgen bekannt war. Es wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Diskussion darüber in der Fragestunde
stattfindet. Wir, jedenfalls was die Bundesregierung angeht, weichen also keinesfalls aus.
Ich antworte Ihnen wie folgt: Es ist richtig, dass der
Europäische Gerichtshof in seinem Urteil beanstandet
hatte, dass die Richtlinie - Zitat - „keinerlei Ausnahme“
bezüglich der Personen enthalte, die - erneutes Zitat „nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen“. Hier wird man eine Lösung finden
müssen. Das Thema ist nicht nur rechtlich, sondern auch
technisch komplex. Das alles ist Gegenstand der Gespräche, die wir führen. Daher kann ich nur auf das bereits
Gesagte verweisen. Ich will hinzufügen: Die Gespräche
verlaufen äußerst konstruktiv und vertrauensvoll.
Herr Ströbele.
Danke erst einmal, Herr Staatssekretär. Die Frage ist
leider immer noch nicht beantwortet. Aber vielleicht
kann ich jetzt in diesem Zusammenhang konkret eine
Frage an den Minister richten. In Deutschland beschäftigt sich nicht nur die Fachpresse, sondern auch die
Öffentlichkeit mit der Frage, was denn den Bundesjustizminister bewogen haben könnte, von seiner vorher
mehrfach immer wieder sehr betont vorgetragenen Auffassung abzuweichen, nämlich dass er, bevor Europa
eine Regelung vorschlägt, überhaupt nicht daran denkt,
die Vorratsdatenspeicherung zu erwägen oder gar einen
entsprechenden Gesetzentwurf in Auftrag zu geben. Was
hat ihn denn nun bewogen, seine Auffassung zu ändern?
Kann der Minister vielleicht etwas dazu sagen? Er ist
vielleicht authentischer als sein Staatssekretär. Was hat
Sie veranlasst, Ihre Auffassung zu ändern? War das alleine der Ukas oder die Anweisung des Parteivorsitzenden und Ministerkollegen Gabriel, oder gab es auch
sachliche Gründe, warum Sie die Entscheidung darüber
nun gerade für Ende Juni ankündigen, wenn Ihr Parteikonvent stattfinden soll? Da wollen Sie etwas dazu vorlegen. Geht es da um eine Befriedung der Partei, oder
geht es um ein wichtiges gesetzgeberisches Vorhaben?
Zunächst, Herr Kollege Ströbele, haben Sie drei Unterstellungen in Ihre Frage eingebaut. Die erste war, ich
hätte hier einen Zeitplan vorgestellt, der Minister hätte
einen Zeitplan vorgestellt. Davon kann keine Rede sein.
Einen solchen Zeitplan gibt es nicht.
Die zweite Unterstellung war, dass es eine Anweisung von wem auch immer gibt. Auch dies muss ich
zurückweisen. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat
darauf hingewiesen, dass der Justizminister und der Innenminister im Gespräch sind. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen April sprechen
wir innerhalb der Bundesregierung und übrigens auch
mit unseren europäischen Partnern darüber. Ich sagte bereits, dass die Gespräche mit dem Innenministerium
sachlich und konstruktiv verlaufen. Wasserstandsmeldungen, nach denen Sie hier immer wieder fragen, kann
ich Ihnen allerdings nicht geben. Die Lage, die wir seit
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs haben, ist mit
vielen Unsicherheiten verbunden. Genau aus diesem
Grund führen wir seit dem Urteil Gespräche, natürlich
insbesondere mit den Kollegen aus dem Bundesinnenministerium, wie mit den Vorgaben des Urteils umzugehen ist. Wie ich schon sagte: Einen Kompromiss zu fin9122
den, wird nicht einfach sein, und dies wird auch nicht
von heute auf morgen zu machen sein.
Ihre dritte Unterstellung war, wir hätten damit auf die
Anschläge in Paris und Kopenhagen, die wir alle sehr
bedauern, reagiert. Lassen Sie mich dazu sagen: Absolute Sicherheit - weder vor terroristischen Anschlägen
noch vor sonstigen Gefahren, die irgendwo lauern - können wir nun einmal leider nicht gewährleisten. Das haben wir immer klar und deutlich gesagt. Wer etwas anderes behauptet, sagt, glaube ich, nicht die Wahrheit.
Deshalb will ich noch einmal die Äußerungen von
Bundesminister Maas in Erinnerung rufen, die er nach
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor einem
Jahr getätigt hat. Er sagte am 8. April unter anderem:
Wir werden das Urteil jetzt sorgfältig auswerten.
Dann werden wir mit unserem Koalitionspartner
neu über das Thema Vorratsdatenspeicherung reden
müssen. Wir werden das weitere Verfahren und die
Konsequenzen ergebnisoffen besprechen. Ich bin
mir sicher, wir werden eine sachliche und konstruktive Debatte führen und am Ende eine tragfähige
Lösung finden.
Herr Kollege Ströbele, genau das machen wir jetzt, und
genau so verfahren wir.
Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich habe noch eine Nachfrage. Vizekanzler Sigmar
Gabriel hat sich ja neulich öffentlich dahin gehend eingelassen, das vom EuGH und vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, also der erste Anlauf, sei von der
schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen worden.
Nach meiner Erinnerung irrt er da. Ich habe das Gefühl
- ich glaube, das sieht meine Fraktion auch so; das entspricht auch den Tatsachen -, dass das erste Gesetz, das
vom Bundesverfassungsgericht und vom EuGH kassiert
worden ist und für nicht verfassungsgemäß gehalten
wurde, von der ersten schwarz-roten Koalition in der Regierungszeit davor, nämlich von 2005 bis 2009, beschlossen worden war. Sehen Sie das auch so? Können
Sie mir das bestätigen? Könnten wir allgemein sagen,
dass der Vizekanzler hier in seiner Einschätzung irrt?
Frau Kollegin, mir steht es nicht zu, den Bundeswirtschaftsminister zu kommentieren. Ich habe auch nicht
vor, dies zu tun.
({0})
Herr Kollege Wunderlich, Sie haben eine Frage?
Ich möchte an den Kollegen Ströbele anschließen.
Der EuGH hat ja festgestellt, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist, auch was
die EU-Verfassung angeht
({0})
- doch, das ist so ({1})
- ja, Europa -, wenn kein Zusammenhang mit schweren
Straftaten besteht. Frau Winkelmeier-Becker hat hier in
der Debatte zwar von Urheberrechtsverletzungen und
von Enkelbetrügereien im Internet gesprochen. Aber das
sind ja keine schweren Straftaten; ich gehe davon aus,
dass wir alle - bis auf Frau Winkelmeier-Becker - da einer Meinung sind. Demzufolge kann es also keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geben, weswegen
Minister Maas davon wohl auch Abstand genommen
hat. Es bleibt dabei: Woher kommt dieser Umschwung,
jetzt doch ein möglicherweise verfassungskonformes
Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorlegen zu wollen? Woher kommt dieser Sinneswandel im
Justizministerium?
Herr Kollege, lassen Sie mich zunächst einmal sagen,
wie sich der Europäische Gerichtshof geäußert hat. Er
hat hinsichtlich der Richtlinie moniert, dass sie keine
klaren, präzisen Regeln zur Tragweite und zum Eingriff
in die Artikel 7 und 8 der Charta - das ist, im Unterschied zum Bundesverfassungsgericht, der wichtige
Maßstab - enthalte, also im Hinblick auf Eingriffe in das
Recht auf Privatleben und das Recht auf Datenschutz.
Außerdem hat er festgestellt, Eingriffe seien geeignet,
das Gefühl einer ständigen Überwachung zu erzeugen,
da die Vorratsdatenspeicherung ohne vorherige Information der Betroffenen vorgenommen werde. Er hat auch
auf die Sicherheit und den Schutz der von den Telekommunikationsanbietern und den Netzbetreibern gespeicherten Daten Bezug genommen und das Fehlen ausreichender Garantien zum Schutz vor Missbrauch der
Daten festgestellt.
Das alles sind Vorgaben, über die wir reden müssen
und über die wir auch reden, wenn wir über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung diskutieren. Bereits
heute kann aber festgehalten werden - insofern antworte
ich Ihnen direkt -: Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller möglichen Daten wird es künftig sicher nicht
mehr geben können. Wir sollten nicht das Risiko eingehen - da sind wir uns sicher alle einig -, dass eine neue
Regelung wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Insofern gilt: Wir prüfen mit Hochdruck. Es
ist aber wichtig, hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit
walten zu lassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Die Frage 3 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Die Frage 4 der Kollegin Veronika Bellmann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Sabine
Zimmermann, die mündlich beantwortet wird, auf:
Wie hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren die Zahl
und der Anteil der Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit entwickelt, die an Weiterbildungen teilgenommen haben
- bitte jeweils Jahresdaten -, und in welchen zentralen Bereichen erfolgt die Weiterbildung?
Für die Bundesregierung antwortet die Staatssekretärin Anette Kramme. - Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank. - Meine Antwort fällt kurz aus: Das
entsprechende Zahlenmaterial steht uns nicht zur Verfügung.
Frau Zimmermann?
Das ist natürlich eine sehr kurze Antwort. Wenn Ihnen zur Qualifizierung in einer Bundesbehörde keine
Zahlen vorliegen, ist das aus meiner Sicht schon bedenklich. Dann werden Sie meine anderen Fragen ja auch
nicht beantworten können, zum Beispiel die Frage, ob,
wenn jemand für die Weiterbildung freigestellt wird, zumindest gewährleistet ist, dass es eine Vertretung gibt.
Frau Zimmermann, Sie haben sehr detaillierte Fragen
gestellt. Wie gesagt, wir haben schlichtweg kein Zahlenmaterial dazu. Wir kommen ja gleich zur Frage 6, die
auch Sie gestellt haben; dazu kann ich etwas sagen. Logischerweise kann ich zur Vertretungssituation insoweit
auch nicht Stellung nehmen.
Frau Zimmermann?
Dann können meine Fragen ja nicht beantwortet werden.
Soll ich gleich zu Frage 6 übergehen?
Ja, das werden wir dann wohl tun müssen.
Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Wie haben sich in den zurückliegenden zehn Jahren die
Ausgaben für die Weiterbildung der Beschäftigten der BA
entwickelt - bitte Jahresdaten zu den Gesamtausgaben und
den durchschnittlichen Ausgaben je Mitarbeiter ausweisen -,
und wie gestaltete sich die durchschnittliche Dauer der Weiterbildungsmaßnahmen ({0})?
Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank. - Zahlenmaterial liegt ab dem Jahr
2010 vor. Im Jahr 2010 sind 21 Millionen Euro für die
Weiterbildung ausgegeben worden, im Jahr 2011 18 Millionen Euro, im Jahr 2012 12 Millionen Euro, im Jahr
2013 13 Millionen Euro und im Jahr 2014 18 Millionen
Euro. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die
Ausgaben für haupt- und nebenamtliche Trainer, die als
Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit in die Fortbildung eingebunden sind, nicht berücksichtigt werden.
Im Übrigen haben Sie weitere Detailfragen gestellt.
Auch dazu liegt uns kein Zahlenmaterial vor.
Frau Zimmermann.
Ich muss schon sagen: Anhand der Zahlen, die Sie
jetzt hier genannt haben, kann man erst einmal feststellen, dass die Mittel für die Qualifizierung rückläufig
sind. Sie sagen, Sie haben im Jahre 2012 12 Millionen
Euro dafür ausgegeben. Um hierzu eine Nachfrage zu
stellen: Sie müssen doch wenigstens sagen können, für
wie viele Köpfe das Geld ausgegeben worden ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir können Ihre Fragen
nicht beantworten. - Ich kann Ihnen aber noch einmal
sagen: Es ist nicht zutreffend, dass die Fortbildungsmittel nur rückläufig sind, sondern zwischen dem Jahr 2013
und dem Jahr 2014 sind sie beispielsweise um 5 Millionen Euro gestiegen.
Vielleicht ist auch dieser Hinweis hilfreich: Immer
wenn große Reformen anstehen und Gesetze geändert
werden, ist der Fortbildungsbedarf zumindest vorübergehend natürlich höher.
Möchten Sie noch eine weitere Nachfrage stellen,
Frau Zimmermann?
Vielleicht können Sie einmal einen Bezug zum Reformbedarf herstellen. Sie sagen, dass es zwischen 2013
und 2014 eine Steigerung gab. Das ist natürlich schon
verwunderlich, da es in den anderen Jahren eine rückläu9124
Sabine Zimmermann ({0})
fige Entwicklung gegeben hat. Vielleicht können Sie darauf eingehen, warum es hier eine Steigerung gab und
warum die Mittel in den anderen Jahren rückläufig gewesen sind.
Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht beantworten. Möglicherweise ergibt hier eine Rückfrage bei der
Bundesagentur für Arbeit Näheres. Das wollen wir gerne
tun.
Sie fragen nach konkreten Gesetzesreformen und danach, wann diese vorgenommen worden sind. Verzeihen
Sie mir bitte, dass ich an dieser Stelle sicherlich keine
exakten Jahreszahlen wiedergeben kann.
Davon abgesehen: Meines Wissens sind Sie auch seit
einigen Jahren Parlamentarierin. Sie müssten das also in
gleicher Weise wissen wie meine Person.
({0})
Ich bitte, die Fragen wirklich sachlich zu beantworten
und nicht zu kommentieren.
({0})
Das Angebot, dass Sie sich bemühen, die Zahlen von der
Bundesagentur für Arbeit zu erhalten, wird von Frau
Zimmermann sicherlich gerne angenommen. Das ist mit
Sicherheit im Sinne der Fragestellerin.
Jetzt hat Frau Haßelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, erst einmal
sage ich Ihnen: Das steht Ihnen gar nicht zu. Sorry! Wir
stellen Ihnen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier
Fragen, Sie können sie nicht beantworten und sagen
dann auch noch, wir hätten als Parlamentarierinnen und
Parlamentarier in den letzten Jahren ja mal ein paar Fragen stellen können. Wo sind wir denn hier!? Ich bitte
Sie! Sie haben hier eine Auskunftspflicht gegenüber dem
Parlament.
Nun aber zu meiner sachlichen Frage: Wir reden hier
über Weiterbildungsmaßnahmen und über Jobcenter.
Sind Ihnen eigentlich der Wallraff-Bericht und die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern - Stichworte: Anstrengung, Belastung, Fluktuation,
Fortbildung - bekannt? Das alles muss ja ganz deutlich
in dem Kontext gesehen werden, den Frau Zimmermann
in ihren Fragen anzusprechen versucht hat.
Sie sagen, Sie beschäftigen sich damit eigentlich
nicht. Das ist eine furchtbare Analyse; denn das Arbeitsministerium müsste sich mit der eklatanten Situation, die
in dem Wallraff-Bericht und in der Darstellung der
Wirklichkeit in den Jobcentern beschrieben wird, doch
längst von sich aus aktiv beschäftigen.
Frau Staatssekretärin.
Allein im Ausschuss haben wir heute zwei Stunden
über dieses Thema diskutiert und uns natürlich auch intensiv mit der Arbeitsbelastung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Jobcentern befasst.
Zunächst einmal ist hier Folgendes anzumerken: Im
Bereich Aktivierung gibt es gesetzlich festgelegte Betreuungsschlüssel. Diese Betreuungsschlüssel werden in
der gesamten Bundesrepublik auch weitgehend eingehalten. Der Betreuungsschlüssel für die unter 25-Jährigen liegt bundesweit beispielsweise bei 1 : 70. Der Betreuungsschlüssel für die über 25-Jährigen liegt bei
1 : 147. Für den Bereich der Leistungsbearbeitung lag
der Bearbeitungsschlüssel zeitweilig bei 1 : 130. Dort
hat es dann Veränderungen gegeben, und mittlerweile ist
der Schlüssel bei 1 : 111 angelangt.
Insgesamt ist es so, dass der Anteil der befristeten
Stellen - ein Thema, über das das Parlament seit vielen
Jahren diskutiert - stark rückläufig ist. Bundesweit sind
noch circa 8,9 Prozent aller Stellen befristet. Das differiert ein klein wenig danach, in welcher Region man ist.
In Bayern gibt es fast keine Befristungen mehr. Das ist in
Bundesländern anders, in denen sich die Kommunen aus
der Arbeitsvermittlung zurückziehen und die Bundesagentur für Arbeit nachpersonalisieren muss. Noch etwas, was in diesem Zusammenhang interessant ist: Seit
2007 gibt es im Bereich der Jobcenter 26 000 zusätzliche
Stellen.
Es ist so, dass der Bund-Länder-Ausschuss darüber
hinaus ein Gutachten zur Personalbemessung bei den
Jobcentern in Auftrag gegeben hat. Erste Ergebnisse liegen vor: Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass keinesfalls
von einer durchgängigen Überbelastung im Bereich der
Jobcenter gesprochen werden kann. Allerdings gibt es
auch Defizite im zugrundeliegenden Zahlenmaterial,
weshalb in dieser Studie vorgeschlagen wird, dass man
bei den Jobcentern eine Clustereinteilung vornimmt und
sich dann die Strukturen genauer anschaut. Diesem Vorschlag stehen wir positiv gegenüber.
Noch ein Hinweis. Wir führen intensiv und ständig
Gespräche, sowohl mit den Mitarbeitern der Jobcenter
als auch mit den Geschäftsführungen. Allein ich habe
sicherlich im letzten Jahr mit Vertretern von 50 oder
60 Jobcentern gesprochen. Wir haben selbstverständlich
an der Hauptversammlung der Personalräte teilgenommen. Es gibt auch Gesprächskontakte zur Arbeitsgemeinschaft der Jobcenter-Personalräte.
Frau Staatssekretärin, ich muss Sie auf die Redezeit
hinweisen. Sie ist schon deutlich überschritten.
Ich denke, an dieser Stelle ist hinreichend belegt, dass
wir die Sorgen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr
ernst nehmen.
Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf. Frau
Staatssekretärin Dr. Flachsbarth steht zur Beantwortung
der Fragen bereit.
Die Frage 7 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 8 des Abgeordneten
Kekeritz:
Wie hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, BMEL, das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, in die Formulierung des „Konzepts Welternährung“, herausgegeben vom Referat 622 des BMEL im Januar 2015, eingebunden, und inwiefern ist das BMZ über eigenständige Aktivitäten des BMEL in
Entwicklungsländern informiert?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das BMEL-Konzept
„Welternährung“ beschreibt die Ziele, Instrumente und
Aktivitäten des Bundesministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft im Bereich der Welternährung. Inhaltlich
bewegt sich das Konzept im Rahmen gemeinsamer Positionen der Bundesregierung.
Entsprechend allgemeiner Praxis werden andere Ressorts nicht unmittelbar in die Formulierung ressortspezifischer Konzepte eingebunden. Das BMEL und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung arbeiten aber eng und vertrauensvoll zusammen, nicht nur die beiden Bundesminister Christian
Schmidt und Dr. Gerd Müller, sondern auch die Mitarbeiter beider Häuser. Deshalb ist das BMZ über die Aktivitäten des BMEL in Entwicklungsländern selbstverständlich informiert.
Herr Kekeritz.
Dann könnte man sagen: Es ist ja alles in Ordnung. Aber so ganz scheint mir das doch nicht zu sein. Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass die Konzepte des Entwicklungsministeriums den Konzepten des Landwirtschaftsministeriums diametral entgegengesetzt sind? Es werden
ganz andere Schwerpunkte gesetzt, die sich gegenseitig
ausschließen. Das BMZ versucht, den Hunger in der
Welt zu bekämpfen, und das Landwirtschaftsministerium fördert die Großagrarindustrie und setzt auf den
Export von Lebensmitteln. Der Export aber reduziert das
Angebot an Waren und Lebensmitteln im Inland. Das ist
eben der große Widerspruch. Wie erklären Sie mir das?
Herr Kollege, Sie haben die Antwort schon selbst mit
Ihrer Frage gegeben. Es gibt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen; das ist richtig. Das Landwirtschaftsministerium versteht sich selbst als Ministerium, das eben
auch wirtschaftliche Aspekte mit betrachtet. Wir versuchen in der Zusammenarbeit mit einigen Ländern, unter
anderem mit Ländern in Afrika, die wirtschaftlichen Aspekte der Landwirtschaft zu entwickeln, übrigens selbstverständlich immer in enger Zusammenarbeit mit den
Gastländern.
Herr Kekeritz.
Ich habe nicht die Antwort gegeben, sondern ich habe
Ihnen gesagt, dass das sich widersprechende Konzepte
sind. Das muss man mir erklären: Wie kann das Landwirtschaftsministerium sagen: „Wir versuchen, möglichst viel zu exportieren“, während dort die Lebensmittel fehlen? Das ist der Widerspruch.
Außerdem halte ich es für sehr fraglich, dass das
Landwirtschaftsministerium großagrarindustrielle Verhältnisse in Entwicklungsländern fördern muss. Mit welcher Legitimation nehmen Sie deutsche Steuergelder, um
zum Beispiel die deutsche Agrarindustrie dabei zu fördern, dass sie Maschinen, Saatgut und Düngemittel in
Entwicklungsländer exportiert?
Herr Kollege Kekeritz, ich will noch einmal konkretisieren: Die Zusammenarbeit mit der sambischen Regierung betrifft ein Projekt, das mit der Demonstration und
Versuchen nachhaltiger Anbauverfahren, der Fortbildung landwirtschaftlicher Fachkräfte und der Erprobung
standortangepasster Produktionsverfahren zu tun hat.
Das alles findet auf Flächen von staatlichen sambischen
Partnerbetrieben statt, die auch die Räumlichkeiten für
Schulungen zur Verfügung stellen. Es sind also tatsächlich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen von BMZ
und BMEL. Die Ministerien stimmen sich aber ab, um
gegenüber dem Gastland ein stimmiges Konzept darlegen zu können. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass
sich eine selbsttragende Wirtschaft in dem betreffenden
Land entwickeln kann.
Schönen Dank. - Wir kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Frage 9 des Abgeordneten Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau
Vizepräsident Peter Hintze
Parlamentarische Staatssekretärin Rita SchwarzelührSutter bereit.
Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Christian Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie viele Bundeshaushaltsmittel will die Bundesregierung
in den Jahren 2016 und 2017 für das Wohngeld in den Bundeshaushalt einstellen, und mit wie vielen Wohngeldempfängerhaushalten rechnet die Bundesregierung in diesen Jahren?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Kollege Kühn, das
Wohngeld wird zur Hälfte von Bund und Ländern gezahlt.
({0})
- Herr Kühn, ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich
jetzt Ihre Frage beantworte.
({1})
Es ist mithilfe des Kollegen Grund gelungen, diese
Kommunikation herzustellen.
Für den Bundesanteil sind in den Eckwerten für den
Haushalt 2016 und den Finanzplan bis 2019 715 Millionen Euro für das Jahr 2016 und 665 Millionen Euro für
das Jahr 2017 vorgesehen. Die Bundesregierung rechnet
mit 866 000 Wohngeldempfängerhaushalten im Jahr
2016 und 811 000 Wohngeldempfängerhaushalten im
Jahr 2017.
Zusatzfrage, Kollege Kühn? - Bitte.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich habe lange auf die
Antwort gewartet; denn diese Frage habe ich schon einmal in einer Fragestunde gestellt. Deswegen danke für
die ausführliche Antwort und auch für die Zahlen.
Ich wiederhole jetzt die Frage, die ich schon einmal
gestellt habe: Landen wir am Ende dieser Legislaturperiode beim Wohngeld auf dem Niveau, auf dem
Schwarz-Gelb schon einmal war?
Sie haben danach schon einmal in der Befragung der
Bundesregierung letzten Mittwoch gefragt. Auf jeden
Fall gibt es jetzt mehr Wohngeldempfänger als bisher.
Rund 320 000 Personen erhalten durch die Reform erstmals oder wieder einen Wohngeldanspruch. Darunter
sind 90 000 sogenannte Wechslerhaushalte, die zuvor
Leistungen der Grundsicherung erhalten haben. In den
Haushalten, die durch die Wohngeldreform erstmals
Wohngeld beziehen können, leben 110 000 Kinder, die
zukünftig einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen erhalten. Von der Reform profitieren insbesondere 27 000 Haushalte von Alleinerziehenden, da sie
erstmals einen Wohngeldanspruch erhalten.
Sie haben in Ihrer Frage letzten Mittwoch einen Zusammenhang zur Indexierung und zur Mietensteigerung
hergestellt. Die Ministerin hat Ihnen dazu eine Antwort
gegeben.
Es gibt noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?
Ich habe noch eine Zusatzfrage. Sie haben gesagt,
dass ungefähr 50 000 Bezieherinnen und Bezieher von
Wohngeld bis 2017 wieder aus dem Wohngeldbezug herausfallen werden. Können Sie mir die Größenordnung
der Kosten sagen, die dann auf die Kommunen zukommen werden? Denn diese Personen werden natürlich zu
einem Großteil KdU-Gelder erhalten.
Das kann ich Ihnen aus dem Stegreif jetzt so nicht sagen. Man kann auch nicht prophezeien, wie das tatsächlich sein wird. Unter anderem hängt das auch davon ab,
wie sich Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt entwickeln
werden. Ich habe Ihnen aber gerade solide gerechnete
Zahlen vorgestellt.
({0})
Es gibt eine weitere Frage, diesmal der Kollegin
Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin
Schwarzelühr-Sutter, können Sie uns vielleicht noch einmal kurz darlegen, was Sie veranlasst hat, den Heizkostenzuschuss im Rahmen der Wohngeldnovelle nicht wieder einzuführen? Denn es ist klar, dass die steigenden
Energiekosten ziemlich viele betreffen. Es gab auch Ankündigungen dazu, das zu machen. Es ist allerdings im
Rahmen der Novelle nicht mehr vorgesehen. Was hat Sie
dazu veranlasst?
Wir haben stattdessen die Berechnung an der Bruttowarmmiete orientiert, sodass der Effekt ungefähr der
gleiche ist. Sie haben die Diskussion mitverfolgt. Für die
Wohngeldempfänger ist das eine Verbesserung, weil wir
uns an der Bruttowarmmiete orientieren und die Erhöhung des Wohngeldes entsprechend erfolgt.
Dann kommen wir zur Frage 11 ebenfalls des Abgeordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Städte und Gemeinden werden durch die Neuberechnung der Mietstufen herabgestuft?
Frau Staatssekretärin.
Bei der Regierungsbefragung am 18. März 2015
wurde Frau Bundesministerin Dr. Hendricks unter anderem nach den Gemeinden gefragt, bei denen die neue
Mietenstufe gegenüber der aktuellen Mietenstufe herabgestuft werden soll. Dabei nannte Frau Bundesministerin
Dr. Hendricks versehentlich eine einstellige Anzahl der
Gemeinden. Dieses Versehen bedauern wir sehr.
Diese Größenordnung entspricht nämlich der Anzahl
der Gemeinden, die um mehr als eine Mietenstufe herabgestuft werden. Insgesamt führt die Mietenniveauberechnung auf der Grundlage der aktuellen Wohngeldstatistik mit Stichtag 31. Dezember 2012 dazu, dass
279 Gemeinden, die 2006 und/oder 2012 mehr als
10 000 Einwohner hatten, herabgestuft werden.
Wichtig ist dabei, die neuen Mietenstufen nicht isoliert zu betrachten. Die Mietenstufe bestimmt die Höhe
der zuschussfähigen Miete. Die isolierten Wirkungen der
Herabstufungen auf die Wohngeldhaushalte werden
durch Änderungen - das ist die gleichzeitige Erhöhung
der Miethöchstbeträge und der Tabellenwerte - aufgefangen, sodass alle Empfängerhaushalte von der Wohngeldreform profitieren werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?
Erst einmal danke, dass Sie diesen Fehler korrigiert
haben. Herzlichen Dank dafür! Dass man das hier im
Plenum tut, dazu gehört auch etwas. - Meine Frage bezieht sich auf Ihren letzten Satz. Sie sagten, dass kein
Wohngeldempfänger in Deutschland weniger Wohngeld
als in der letzten Legislaturperiode bekommt, weil auch
die Herabstufung in einzelnen Städten durch den Anstieg
des Wohngeldes insgesamt kompensiert wird.
Das erfolgt einmal durch die Tabellenwerte und andererseits natürlich auch durch die Miethöchstbeträge. Insofern profitieren alle davon.
Ich habe dazu eine zweite Nachfrage. Sie haben
- meine Kollegin Britta Haßelmann hat vorhin darauf
hingewiesen - den Heizkostenzuschuss in die Stufen integriert.
Genau.
Das ist bei der Bruttowarmmiete berücksichtigt. - Ich
komme jetzt auf meine erste Frage zurück. Dabei ging es
um Empfängerhaushalte und Geld. Insofern sind wir auf
dem Niveau von Schwarz-Gelb, zu deren Zeit der Heizkostenzuschuss bereits abgeschafft wurde. Ich verstehe
das nicht ganz; mir erschließt sich nicht, wie man dann
insgesamt darauf kommt, dass nun für jeden Einzelnen
mehr da ist.
({0})
Ich habe gerade noch einmal versucht, Ihnen zu erklären, dass es natürlich durch die Tabellenwerte, die Miethöchstwerte und die Orientierung an der Bruttowarmmiete einen Ausgleich gibt. Dadurch ergibt sich jetzt
doch noch einmal ein deutlicher Anstieg für all die Personen, die ich genannt habe, Personen, die jetzt wieder
Wohngeld bekommen oder dieses erstmals beziehen
werden.
Schönen Dank. - Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 12 und 13
des Abgeordneten Movassat werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie stellt das BMZ sicher, dass die Aktivitäten des BMEL
keine Inkohärenzen zu seinen eigenen entwicklungspolitischen Vorhaben aufweisen, und in welcher Weise kommt das
Bundeskanzleramt dabei seiner Rolle nach, die Arbeit der verschiedenen Ministerien zu koordinieren?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Silberhorn bereit. - Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung pflegen eine enge Zusam9128
menarbeit. Das Landwirtschaftsministerium informiert
uns über seine eigenen entwicklungspolitischen Vorhaben. Wir stimmen das bei uns hausintern ab. Es gibt dabei in aller Regel keinerlei Unstimmigkeiten. Von daher
ist auch eine Befassung des Bundeskanzleramtes nicht
erforderlich.
Wir bemühen uns im Übrigen um Kohärenz auch
dort, wo wir unsere Projekte umsetzen, beispielsweise
indem wir die deutschen Botschaften im Bereich der
Entwicklungszusammenarbeit stärken, damit wir in unseren Partnerländern kohärent auftreten. Alle Ressorts,
die öffentliche Mittel der Entwicklungszusammenarbeit
einsetzen, sind gehalten, sich vor Ort eng mit den Botschaften abzustimmen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wenn Sie es nicht angesprochen
hätten, wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Ich habe
gerade Äthiopien, Malawi und Sambia besucht, und ich
habe genau die Rückmeldung von den Botschaften bekommen, dass es landwirtschaftliche Projekte im sogenannten Entwicklungsbereich gibt. Meines Erachtens ist
das kein Entwicklungsbereich, sondern ein Exportförderungsbereich. Aber man wusste in den Botschaften zum
Teil überhaupt nicht, dass das Landwirtschaftsministerium dort solche Aktivitäten hat. So klar können die Absprachen also nicht sein, und so klar verhält es sich auch
nicht mit der Einbindung der Botschaften vor Ort.
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kekeritz, ich kann nicht bewerten, welche Erfahrungen Sie bei einem bestimmten Besuch und
bei bestimmten Gesprächen gemacht haben, bei denen
ich nicht zugegen war. Wir wissen allerdings, dass die
enge Abstimmung und Koordinierung eine ständige
Aufgabe ist. Gerade in Äthiopien - das Land haben Sie
angesprochen - praktizieren wir das, etwa in einem landwirtschaftlichen Beratungszentrum in Kulumsa. Dort
geht es keineswegs um Exportförderung; es geht vielmehr darum, wie es die Kollegin Flachsbarth vorhin
schon ausgeführt hat, dass wir in einem solchen Land zu
einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung beitragen und dass die Wertschöpfung, die in diesem Land
generiert werden kann, auch der breiten Bevölkerung zugutekommt. Gerade in Äthiopien spielt die Landwirtschaft eine zentrale Rolle, weil schätzungsweise 80 bis
90 Prozent der Bevölkerung im Landwirtschaftssektor
tätig sind.
Weitere Fragen gibt es nicht.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 15
des Abgeordneten Andrej Hunko wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 16 der Abgeordneten Britta
Haßelmann:
Auf welche Weise hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel von den Plänen der AVE Gesellschaft für Fernsehproduktion erfahren, einen Film über ihr Leben auf der Grundlage eines Drehbuches des Spiegel-Autors Dirk Kurbjuweit
im Wahljahr 2017 in die Kinos zu bringen, und wie hat die
Bundeskanzlerin auf dieses Vorhaben reagiert?
Zur Beantwortung steht der Staatsminister Dr. Helge
Braun bereit. - Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank. - Frau Kollegin, Die Bundeskanzlerin
hat von dem geplanten Film aus Medienberichten vom
17. und 18. März 2015 erfahren, und sie hat diese zur
Kenntnis genommen.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank auch Ihnen, Herr Braun. Meine Nachfrage ist: Haben Sie innerhalb des Bundeskanzleramtes diskutiert, welche Abgrenzungsschwierigkeiten es bei dieser Filmplanung
bezüglich der Frage einer indirekten Wahlkampfhilfe für
die Bundeskanzlerin gibt, wenn der Film gerade im
Wahljahr fertig werden soll? Haben Sie eine solche Problematik schon einmal erörtert, oder finden Sie es einfach nur toll, dass es diesen Film geben soll, und freuen
sich alle gemeinsam darüber?
Eine solche positive Bewertung, wie Sie sie unterstellen, hat es nicht gegeben, sondern ich stelle fest, dass wir
nicht beabsichtigen, als Bundesregierung dieses Filmprojekt in irgendeiner Weise organisatorisch oder inhaltlich zu unterstützen.
({0})
- Auch nicht durch die Hauptdarstellerin.
Kollege Kühn, Sie haben sich zurückhaltend, aber
sichtbar zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Danke, Herr Präsident, dass Sie noch eine Zusatzfrage zulassen. - Ich habe ebenfalls eine Nachfrage zu
dem Film über die Kanzlerin. Es ist sehr heikel, wenn
Christian Kühn ({0})
ein solcher Film im Wahljahr 2017 herauskommt. Es
wäre ein Skandal, einen solchen Film, der in einem
Wahljahr erscheinen und in dem es auch um Spitzenkandidaten gehen soll, mit öffentlichen Geldern zu fördern.
Wie gedenkt die Bundesregierung dafür zu sorgen, dass
es dafür keine öffentlichen Gelder der Filmförderung
gibt?
Soweit es im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung liegt - das habe ich ja schon gesagt -: Wir beabsichtigen nicht, diesen Film zu unterstützen. Das gilt sowohl in materieller als auch in finanzieller Hinsicht.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Zypries bereit.
Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die
Frage 18 des Abgeordneten Oliver Krischer und die
Frage 19 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Welchen Standpunkt hat Deutschland in der Ratsarbeitsgruppe für Atomfragen am 11. März 2015 beim ersten Tagesordnungspunkt „Energy Union Package - Nuclear Aspects Presentation by the Comission“ gegenüber der Europäischen
Kommission und den anderen Mitgliedstaaten vertreten, und
wie hat sie sich konkret zu den einzelnen Stellungnahmen von
Großbritannien zu TOP 1 verhalten ({0})?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich in
der von Ihnen genannten Sitzung der Ratsarbeitsgruppe
für Atomfragen nicht inhaltlich geäußert. Insofern kann
ich Ihnen dazu keine weitere Auskunft geben.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie man vernimmt,
haben sich relativ viele Staaten dort geäußert: Großbritannien, Frankreich und die meisten osteuropäischen
Staaten haben sich sehr positiv zum Ausbau der Atomkraft - wie es dort immer heißt: der Kernenergie - geäußert. Österreich dagegen hat sich so eingelassen, dass
man die Energieunion nicht nutzen sollte, um die Kernenergie zu fördern. Mich verwundert, dass sich Deutschland als Ausstiegsland gar nicht geäußert hat. Würden
Sie mir dafür eine Begründung geben?
Es handelte sich um ein ressortabgestimmtes Vorgehen. Bundesminister Gabriel hatte zuvor, am 5. März,
die Gelegenheit genutzt, sich deutlich dagegen auszusprechen, dass die Kernenergie finanziell gefördert wird.
Diesbezüglich gab es eine klare Stellungnahme von ihm.
Deswegen waren entsprechende Äußerungen in der
Ratsarbeitsgruppe nicht mehr nötig. Das politische
Statement Deutschlands war bereits abgegeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kotting-Uhl?
Nicht wirklich, vielleicht eine abschließende Bemerkung. - Mir erschließt sich nicht, warum man sich auf
der Sitzung der Ratsarbeitsgruppe - dort geht es schließlich darum, dass man sich berät - nicht mehr geäußert
hat, weil man zuvor Stellung genommen hat. Vermutlich
können Sie mir daraufhin nur das wiederholen, was Sie
schon gesagt haben.
Manchmal ist es sinnvoll, wenn nicht jeder immer
wieder dasselbe erzählt. Die Position Deutschlands war
klar. Wenn 28 Staaten beraten und jeder immer dasselbe
erzählt, dann ist das - das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen - auch nicht gerade immer zweckentsprechend.
Dazu gibt es Wortmeldungen von Frau Kollegin
Haßelmann und vom Kollegen Kekeritz. - Frau Kollegin
Haßelmann, bitte.
Frau Zypries, hat in diesem Kontext und in den Beratungen eigentlich die Beihilfe für Hinkley Point C eine
Rolle gespielt? Dazu wurde ja eine Entscheidung getroffen. Darüber haben wir im Plenum mehrfach gesprochen. Wir haben diverse Male gehört, dass die Bundesregierung noch keine abschließende Auffassung zu der
Frage hat, ob wir uns der Nichtigkeitsklage gegen diese
Beihilfeentscheidung, die maßgeblich Herr Oettinger
forciert hat, auf europäischer Ebene anschließen. Meine
Frage lautet: Haben Sie das in diesem Zusammenhang
diskutiert, und hat die Bundesregierung endlich eine abschließende Auffassung? Wir müssen ja langsam mal
entscheiden, ob wir uns der Nichtigkeitsklage anschließen.
Dazu kann ich Ihnen leider gar nichts sagen, Frau Abgeordnete. Die Antwort bekommen Sie schriftlich.
Die Nachfrage des Abgeordneten Kekeritz zum gleichen Sachverhalt hat sich offenbar erledigt.
Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Positionen wurden in den in der Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage 22, Plenarprotokoll
18/93, Seite 8839, genannten Gesprächen der Bundesregierung mit Vertretern der Atomkraftwerke, AKW, betreibenden
Energieversorgungsunternehmen, EVU, hinsichtlich des weiteren Umgangs mit deren Rückstellungen für den AKWRückbau und die Atommüllentsorgung jeweils auf beiden Seiten vertreten ({0}), und welche - insbesondere inhaltlichen - Konsequenzen
wird die Bundesregierung aus dem zu diesem Thema vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bei der Kanzlei Becker, Büttner, Held und Professor Dr. Wolfgang Irrek
beauftragten Gutachten ziehen ({1})?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Abgeordnete, im Plenarprotokoll vom 18. März
ist bei der Beantwortung der mündlichen Frage aufgelistet worden, mit wem Gespräche stattgefunden haben.
Diese Gespräche werden naturgemäß nicht schriftlich
dokumentiert. Wir machen keine Aufzeichnungen über
diese Art von Gesprächen, schon gar nicht systematisch.
Deswegen können wir Ihnen Positionen, die im Einzelnen in diesen Gesprächen vertreten wurden, nicht nennen.
Ich kann Ihnen aber gerne sagen, dass natürlich die
grundsätzliche Position der Bundesregierung bekannt
ist: Wir sind der Auffassung, dass die Energieversorgungsunternehmen gesetzlich zum Rückbau der Atomkraftwerke und zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle
verpflichtet sind und dass aus unserer Sicht zwingend sicherzustellen ist, dass diese gesetzlichen Vorschriften
auch dauerhaft eingehalten werden. Deswegen kann es
bei diesen Gesprächen, die da geführt worden sind, nur
um das Zumausdruckbringen dieser Position gegangen
sein. Die Vertreter der Energieversorgungsunternehmen
haben diese Position der Bundesregierung auch nicht infrage gestellt.
Im Koalitionsvertrag ist darüber hinaus vereinbart,
mit den Kernkraftwerke betreibenden Energieversorgungsunternehmen Gespräche über die Realisierung ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Tragung der Kosten für
den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu führen. Um diese Gespräche vorzubereiten, hat das Ministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das Gutachten wurde in der vergangenen
Woche auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlicht.
Auf der Basis der Erkenntnisse des Gutachtens wird
das Haus jetzt zur Vorbereitung weiterer Gespräche mit
den Energieversorgungsunternehmen wie folgt vorgehen: Zunächst einmal gibt es eine Bewertung der Entwicklung der Kernenergierückstellungen. Dann werden
wir die folgenden Aspekte prüfen: zum einen die Gewährleistung der Haftung der Energieversorgungsunternehmen auch bei möglichen gesellschaftsrechtlichen
Umstrukturierungen, zum anderen die Etablierung interner und/oder externer Fonds zur Sicherstellung der Erfüllung der Verpflichtung aus diesen Kernenergierückstellungen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. Vielen Dank, Herr Präsident. - Eine Vorlage über
die weiteren Prüfungsschritte, die jetzt vorgenommen
werden sollen, hat der Wirtschafts- und Energieminister
an die Kollegen der Koalitionsfraktionen geschickt. Ich
habe dazu Nachfragen.
Wer soll den Stresstest, der bewerten soll, wie werthaltig die Konzernrückstellungen für AKW-Rückbau
und Atommüllentsorgung tatsächlich sind, durchführen,
falls das schon feststeht, und vor allem: Bis ungefähr
wann soll dieser Test abgeschlossen sein?
Das muss ich Ihnen schriftlich beantworten.
Haben Sie noch eine Frage?
Ja, ich habe noch eine Frage. - Vergibt das BMWi den
Auftrag dafür ohne oder mit Abstimmung mit anderen
Ressorts, insbesondere dem Kanzleramt und dem
BMUB?
Falls ein solcher Auftrag vergeben wird - die Frage
muss ich Ihnen, wie gesagt, schriftlich beantworten -, ist
es sehr wahrscheinlich oder hundertprozentig sicher,
dass wir das in Abstimmung mit anderen Ressorts machen.
Eine Zusatzfrage dazu haben zunächst der Abgeordnete Kekeritz und danach der Abgeordnete Christian
Kühn.
Herr Minister Gabriel hat die Etablierung von internen oder externen Fonds angekündigt. Meine Frage geht
in folgende Richtung: Ist da so etwas Ähnliches wie eine
Bad Bank geplant? Kann diese Regierung mir sicher garantieren, dass der Steuerzahler und die Steuerzahlerin
nicht in Haftung genommen werden und die EVUs nicht
über den direkten oder indirekten Weg von irgendwelchen Fonds entlastet werden?
Herr Abgeordneter, ich hatte gerade ausgeführt, dass
wir aufgrund dieses Gutachtens jetzt erst überhaupt prüfen, ob es solche Fonds geben soll und, wenn ja, wie sie
gegebenenfalls ausgestaltet sein könnten. Ich kann deshalb auf Ihre Frage jetzt noch keine Antwort geben.
({0})
- Das kann ich im Moment nicht.
Kollege Christian Kühn hat die letzte Frage zu diesem
Komplex.
Prüfungen oder Prüfaufträge sind wir ja von dieser
Bundesregierung gewohnt. NAPE zum Beispiel ist voller Prüfaufträge. Es ist aber immer wichtig, ab wann man
zu politischem Handeln kommt. Das ist ja meist nach der
Prüfung.
Für uns wäre wirklich spannend, zu wissen, wann Sie
denn die Prüfungen zu dieser Fondslösung abgeschlossen haben werden. Bis wann erwarten Sie Ergebnisse?
Das kann ich Ihnen nicht abschließend sagen. Wir
werden dieses Gutachten jetzt auswerten. Wir werden
das auch mit anderen Häusern diskutieren. Wie lange das
genau dauert, auch mit Blick auf die kommende Osterpause, kann ich Ihnen nicht abschließend sagen.
Jetzt hat sich noch Frau Haßelmann gemeldet. - Bitte.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, mich
irritiert jetzt ein bisschen, dass Sie sagen, Sie könnten für
die Bundesregierung noch nicht klar sagen, dass es auf
jeden Fall verursachergerecht wird. Wir reden hier darüber, dass vier große Energiekonzerne Rückstellungen
in Höhe von 36 Milliarden Euro gemacht haben. Wir reden gleichzeitig darüber, dass diese Rückstellungen für
die Entsorgung und die einigermaßen sichere Endlagerung - wenn man davon überhaupt sprechen kann - nicht
ausreichen. Jetzt versucht man, das Ganze irgendwie zu
retten, indem man wenigstens diese Rückstellungen in
einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt, damit das
Geld unabhängig davon, was aus den Konzernen wird,
gesichert wird.
Eigentlich müsste doch das Verhandlungsprinzip der
Bundesregierung ganz klar sein und darin bestehen, dass
vonseiten der Atomkonzerne ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden und dass das Verursacherprinzip
gilt; denn sonst hieße das doch, dass die großen Energiekonzerne jahrelang Riesengewinne gescheffelt haben,
aber dass für die Verluste und die Endlagerung am Ende
wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, zahlen - nach dem
Motto: Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert. Das
kann doch nicht sein. Dazu muss es doch eine klare Haltung der Bundesregierung geben.
Frau Abgeordnete, vielen Dank für diese Nachfrage.
Das gibt mir Gelegenheit, ein offenbar bestehendes
Missverständnis aufzuklären.
Die Frage von Ihrem Kollegen war quasi ad ultimo,
also sozusagen für immer, gestellt. „Für immer“ kann
ich hier gar nichts sagen. Aber im Grundsatz ist das, was
Sie sagen, natürlich völlig richtig: Es gibt Rückstellungen. Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung der Betreiber
- das habe ich eingangs auch zitiert -, dafür zu sorgen,
dass die Entsorgung entsprechend funktioniert. Ob das
jetzt eingestellte Geld dafür reichen wird, wissen wir
nicht. Selbstverständlich besteht die Verpflichtung der
Betreiber von Kernenergieanlagen auch darüber hinaus.
Das ist mit den jetzt bestehenden Rückstellungen ja nicht
abgegolten, so wie Sie gerade formuliert haben.
({0})
- Die Gesetzeslage ist eindeutig. Entsprechend dieser
Gesetzeslage werden wir jetzt weiter prüfen, wie wir mit
den Rückstellungen zu verfahren haben, was darüber hinaus noch erforderlich ist und wie es dann wird.
Schönen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister
Michael Roth bereit.
Frage 22:
Mit welchem Ziel sollen Gespräche mit der syrischen Führung, wie sie der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. FrankWalter Steinmeier, nun nicht mehr ausschließt ({0}), geführt werden, und gibt es konkrete Vorstellungen, in welchem Format solche Gespräche
stattfinden sollen?
Fragesteller ist der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege
Gehrcke, sollten Sie mit Ihrer Frage eine Neuausrichtung unserer Syrien-Politik insinuieren, muss ich Ihnen
deutlich widersprechen. Das ist nicht der Fall.
Unser Bundesaußenminister hat mehrfach deutlich
gemacht, dass wir den furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien
militärisch nicht werden lösen können. Insofern sind
umfassende politische und diplomatische Anstrengun9132
gen gefordert. Selbstverständlich spielen dabei Verhandlungen die herausragende Rolle.
Es gibt bereits jetzt durch Staffan de Mistura, den Syrien-Gesandten der Vereinten Nationen, direkte politische Gespräche mit dem Assad-Regime in Damaskus.
Im Übrigen hat der Gesandte auch ein eigenes Büro in
Damaskus. Syrien selbst ist durch einen ständigen Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York präsent.
Um diese politischen Gespräche geht es. Auf diese politischen Gespräche, die bereits mit dem Assad-Regime
geführt werden, hat der Bundesaußenminister hingewiesen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
ich habe lange darüber nachgedacht, ob mir eine Frage
einfällt, mit der ich die Bundesregierung gleichzeitig loben kann. Sie ist mir eingefallen. Seien Sie doch so
forsch, und nehmen Sie das Lob auch an.
Die Erklärung des US-Außenministers Kerry, dass
man, wenn man muss, auch mit Assad verhandeln wird,
und die dementsprechende Erklärung des Bundesaußenministers unseres Landes sind, wie ich finde, ein effektiver Fortschritt. Ich habe darüber mit Vertretern des Nationalen Koordinierungsrates hier in Berlin gesprochen.
Auch die sagen nicht mehr: Erst muss Assad weg, und
dann wird verhandelt. - Kann ich unterstellen, dass auf
dieser Linie auch die Bundesregierung für Verhandlungen mit dem Assad-Regime eintritt?
Diese Frage verwundert mich jetzt ein wenig, lieber
Herr Kollege Gehrcke; denn die Haltung der Bundesregierung ist nicht neu. Bereits im Genfer Kommuniqué
vom Juni 2012 sind politische Verhandlungen selbstverständlich auch mit dem Assad-Regime vorgesehen. Anders kann ich mir solche politischen Gespräche auch
nicht vorstellen. Die zentrale Rolle dabei nehmen die
Vereinten Nationen und insbesondere der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de
Mistura, wahr.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Gehrcke.
Ich streite mit Ihnen nicht um das Erstgeburtsrecht.
Wir haben hier immer vorgeschlagen, dass verhandelt
wird, dass Assad - ob er in Person oder seine Vertreter -,
die Golfstaaten, Ägypten, selbstverständlich die USA,
Russland und andere mit an den Tisch müssen, und das
alles unter dem Dach der Vereinten Nationen. Es gibt
mindestens 200 000 Tote in Syrien, es gibt Millionen
von Flüchtlingen. Diese Situation ist nur über Verhandlungen lösbar. Der Vorschlag von de Mistura, jetzt lokale
Waffenstillstände durchzusetzen, ist ein wichtiger
Schritt; das unterscheidet ihn etwas von seinem Vorgänger.
Kann man es so formulieren: „Die Bundesregierung
wird ihre Kraft dafür einsetzen, dass Genf 3 stattfinden
und auf dieser Grundlage verhandelt wird“?
Herr Präsident! Lieber Kollege Gehrcke, wir unterstützen uneingeschränkt die Implementierung des Genfer Kommuniqués. Wir unterstützen nach Kräften die
Vereinten Nationen und den Sonderbeauftragten. Wir
sind in einer Reihe von Gesprächen involviert. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass dieser furchtbare
Bürgerkrieg des Diktators gegen sein eigenes Volk beendet wird, dass hoffentlich irgendwann einmal Millionen
von Flüchtlingen wieder in ihre Heimat zurückkehren
können und das Morden endlich ein Ende hat.
Zu diesem Gesamtkomplex gehört auch die Frage 23
des Kollegen Gehrcke:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die diplomatischen Beziehungen zur Syrischen Arabischen Republik wieder zu normalisieren?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Gehrcke, diese
Frage kann ich ganz kurz beantworten: Nein, für eine diplomatische Aufwertung des Assad-Regimes sieht die
Bundesregierung derzeit keinerlei Veranlassung.
Ich füge hinzu: Syrien ist in Berlin durch eine Botschaft vertreten, die von einer Geschäftsträgerin geleitet
wird. Diese Botschaft nimmt in erster Linie konsularische Angelegenheiten wahr. Die deutsche Botschaft in
Damaskus ist seit 2012 geschlossen.
Zusatzfrage, Herr Kollege?
Eine kurze Replik, damit meine Kollegin noch fragen
kann, Herr Präsident: Das ist ein typisch falsches Verhalten. Sie sollten alle Kanäle nutzen, die sich ergeben, um
Gespräche zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien
zu führen. - Das können wir so stehen lassen.
Das war auch keine richtige Zusatzfrage. Alle, die gelauscht haben, werden das bestätigen können.
Schönen Dank, Herr Staatsminister Roth.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit.
Die Frage 24 der Abgeordneten Sevim Dağdelen wird
schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Peter Hintze
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Martina
Renner:
Wie viele Quellenmeldungen des VM 2100/„Hagel“ des
Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz aus welchen
Jahren liegen im Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, vor?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden
69 Deckblattmeldungen - so der technische Ausdruck
für Quellenmeldungen - aus den Jahren 1997 bis 2001
identifiziert, in denen als Ursprung der ehemalige
VM 2100 der Thüringer Landesbehörde für Verfassungsschutz genannt wurde.
Die Zusammenstellung der Deckblattmeldungen wurde
anlässlich eines entsprechenden Amtshilfeersuchens des
Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages zu
„Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ vom Oktober
2013 vorgenommen.
Nach Vorgaben der Thüringer Landesbehörde für Verfassungsschutz zum Auftrag des V-Mannes und zur
Dauer seiner Tätigkeit wurden dabei diejenigen Aktenbestände im Bundesamt für Verfassungsschutz durchsucht, die thematisch und zeitlich unmittelbar einschlägig waren. Die Akten zum Thüringer Heimatschutz und
zu Blood & Honour gehörten dazu. Weitere nicht unmittelbar einschlägige Akten waren nicht Gegenstand der
Suche. Ich kann vor diesem Hintergrund nicht ausschließen, dass im einschlägigen Gesamtaktenbestand des
Bundesamtes für Verfassungsschutz noch weitere einzelne Deckblattmeldungen des ehemaligen VM 2100
vorhanden sind. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber
nicht auszuschließen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Herr Präsident, meine Fragen würde ich gerne nach
Beantwortung der nächsten Frage gemeinsam stellen.
In Ordnung. Sie können Ihre Zusatzfragen danach zusammen stellen.
Ich rufe damit die Frage 26 der Abgeordneten
Martina Renner auf:
Wie viele der im BfV vorliegenden Quellenmeldungen des
VM 2100/„Hagel“ des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz wurden jeweils dem 2. Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages zum Nationalsozialistischen Untergrund und dem Oberlandesgericht
München im Verfahren gegen Beate Zschäpe vorgelegt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Bundesamt
für Verfassungsschutz hat keine der genannten Deckblattmeldungen an das Oberlandesgericht München
übermittelt. Auch hat es keine Zusammenstellung sämtlicher Deckblattmeldungen des VM 2100 für den 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie
für den Thüringer Untersuchungsausschuss gegeben.
Mindestens eine Deckblattmeldung des VM 2100 war
Teil der dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten zum Thüringer Heimatschutz. Ob weitere Deckblattmeldungen übermittelt wurden, war in der Kürze der für
die Beantwortung einer mündlichen Frage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.
Ihre Zusatzfragen, Frau Renner.
Herr Präsident, ich habe vier Zusatzfragen:
Erstens. Warum wurde dem OLG München keine
Übersendung der Akten zugesagt, obwohl die in Rede
stehende Person, Marcel Degner, Zeuge vor dem OLG
München ist, eine erste Aussage getätigt hat und diese
Deckblattmeldungen für das Münchener Gericht natürlich beweiserheblich sind?
Zweitens. Warum wurden diese Unterlagen dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der
letzten Legislatur nicht zur Verfügung gestellt vor dem
Hintergrund, dass es sich bei dieser Quelle um einen
Funktionär von Blood & Honour mit einem Kennverhältnis zu den beiden Haupttätern Uwe Mundlos und
Uwe Böhnhardt handelt und es durch die gemeinsamen
Veranstaltungen in Thüringen und darüber hinaus - Konzerte, gemeinsame Fahrten zu Demonstrationen, aber
auch gemeinsam begangene Straftaten - in Rede steht,
dass die Quelle zu dem, wie man es nennt, Kerntrio des
NSU durchaus Auskunft gegeben hat?
Drittens. Warum wurden dem Thüringer Untersuchungsausschuss auf einen entsprechenden Beweisantrag die Akten des V-Mannes 2100 nicht zur Verfügung
gestellt?
Zunächst einmal bleibt offen, inwieweit das OLG
München nach der Zeugenaussage jetzt noch weitere Beweisbeschlüsse fasst; davon ist aber auszugehen. In diesem Fall werden sämtliche Akten, die unter den Beweisbeschluss fallen, selbstverständlich geliefert.
({0})
Aber bisher gibt es solche Beweisbeschlüsse eben nicht.
Daran ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nun einmal gebunden.
Das Gleiche gilt für den Ermittlungsbeauftragten des
Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages.
Dieser hat sich den Themenbereich Blood & Honour ge9134
nau angeguckt und dann auch Einzelstücke angefordert.
In dem Zusammenhang waren aber keine Deckblattmeldungen vorhanden, obwohl er sich den Bestand genau
angeschaut hat. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat themenbezogen den Komplex
„Thüringer Heimatschutz“ abgefragt. Dazu ist auch entsprechend geliefert worden.
Zu Ihrer Anfrage zu dem anderen V-Mann: Da fehlen
mir die Kenntnisse. Das würde ich nachliefern.
Eine Frage haben Sie noch.
Es war kein anderer V-Mann. Wir reden die ganze
Zeit über Marcel Degner, V-Mann „Hagel“, Deckname
2100. Die Frage, warum der Thüringer Untersuchungsausschuss die Akten nicht bekommen hat, würde ich
gerne noch beantwortet bekommen.
Vor dem Hintergrund, dass die Treffberichte dieses
V-Mannes im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz aus bisher unersichtlichen Gründen vernichtet wurden, habe ich noch eine vierte Frage: Inwieweit sehen Sie
das Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin und der
Bundesregierung im Zusammenhang mit dem NSU gewährleistet, wenn wir jetzt hören, dass die Unterlagen zu
einer zentralen Quelle in den entsprechenden Strukturen,
in denen das Kerntrio entstanden ist, weder dem PUA des
Deutschen Bundestages noch dem PUA in Thüringen
noch dem OLG zur Verfügung gestellt wurden?
Ich kann Ihre Nachfrage nicht nachvollziehen. Ich bin
davon ausgegangen, dass Sie noch einen anderen V-Mann
nennen; denn dem Thüringer Untersuchungsausschuss
sind 69 Deckblattmeldungen übermittelt worden. Alles
das, was im Bestand gesichtet werden konnte, ist übermittelt worden. Insofern kann ich nicht nachvollziehen,
dass wir irgendetwas nicht übermittelt hätten.
Es ist so, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz
aufgrund der Zentralstellenfunktion die Sachakten vorliegen, aber nicht die Personenakten. Deshalb ist es erforderlich, sämtliche Sachakten durchzusehen, wenn Sie
die Akten einer bestimmten V-Person bekommen möchten. Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand; man
muss überlegen, dass 1 000 Aktenbände zu durchsuchen
sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz tut selbstverständlich alles, um den Beweisanträgen Rechnung zu
tragen.
Schönen Dank. - Frage 27 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Frage 28 des Abgeordneten Volker Beck sowie
die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. André Hahn
werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG
durch Ausgliederung
Erste Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Abgeordnete Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Leistung muss sich wieder lohnen“, ein netter Slogan. Aber wenn ich auf die Deutsche Post AG
schaue, frage ich mich: Für wen muss sich Leistung wieder lohnen? Für diejenigen, die mit ihrer Hände harter
Arbeit den Erfolg erwirtschaften? Sicher nicht; denn
26 000 Euro verdienen Postzustellerinnen und Postzusteller im Schnitt im Jahr. Für das Management, für Anteilseigner und Aktionäre? Sicher ja; denn 3,5 Millionen
Euro verdient zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der
Post AG. Aber wieso eigentlich? Was haben die konkret
geleistet?
({0})
Steuert das Management der Post AG die Lkw? Liefern
die Anteilseigner die Pakete aus? Oder sind es die Aktionäre, die die Briefe von Haustür zu Haustür tragen? Diejenigen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Arbeit den Erfolg der Post AG im letzten Jahr erst möglich gemacht
haben, können nicht sagen, dass sich ihre Leistung lohnt,
ganz im Gegenteil.
Fast 3 Milliarden Euro Gewinn hat die Post 2014 erwirtschaftet. Damit liegt sie in der Spitzengruppe der
DAX-Unternehmen. Finanzielle Not ist es also nicht, die
die Post zu Restrukturierungsmaßnahmen zwingt. Bis
2020 will die Post den Gewinn auf 5 Milliarden Euro
steigern. Das würde wiederum bedeuten, dass in jedem
der kommenden Jahre der Gewinn um 8 Prozent steigen
müsste. Ich wiederhole: um 8 Prozent. Das wird sie sicher nicht mit einer Portoerhöhung von 2 Cent hinbekommen. Das kann und wird nur funktionieren, wenn
die Post ihre Personalkosten senkt. Aus Sicht des Konzerns steht der gültige Tarifvertrag dabei natürlich im
Wege. In der Vergangenheit hat sich der Konzern einer
besonders üblen Form des Einsatzes von befristeten Arbeitsverträgen bedient. Sie erinnern sich vielleicht an die
Postzustellerin, die über 17 Jahre hinweg auf Grundlage
von 88 Zeitverträgen bei der Post angestellt war.
({1})
- Das war ein Skandal, ganz genau.
({2})
Und das ist kein Einzelfall, wie mir die Kolleginnen und
Kollegen vom Betriebsrat bestätigten.
Den 26 000 befristet Beschäftigten, die Ende 2014 im
Zustelldienst waren, setzt man nun die Pistole auf die
Sabine Zimmermann ({3})
Brust. Neue entfristete Verträge gibt es nur noch in den
49 neu gegründeten Tochterfirmen. Nicht ganz überraschend werden die Beschäftigten dort nicht mehr nach
dem bei der Post üblichen Tarifvertrag bezahlt, sondern
nach dem der Speditions- und Logistikbranche. Natürlich sieht dieser deutlich schlechtere Bedingungen vor.
Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi können die
Beschäftigten bis zu 3 500 Euro weniger in ihrem Geldbeutel haben. Das meine Damen und Herren, ist wirklich
ein Skandal.
({4})
„Leistung muss sich wieder lohnen“? Für Postbedienstete wohl eher nicht. Das, meine Damen und Herren der CDU/CSU, ist Ihr sogenanntes Jobwunder. Dabei
wurden die Arbeitsbedingungen der Zustellerinnen und
Zusteller in den letzten Jahren immer härter: Immer längere Zustellrunden bei gleicher Arbeitszeit wurden den
Postzustellerinnen und -zustellern aufgebrummt. Noch
mehr lassen sie sich einfach nicht auspressen, und zur
Steigerung der Gewinne ist da natürlich nichts mehr zu
holen. Darum folgen jetzt Tarifflucht und Lohndrückerei. Solche perfiden Praktiken, meine Damen und Herren, sind unerträglich.
({5})
Es ist auch zynisch, wenn der Personalvorstand behauptet, die Beschäftigten hätten ja die freie Wahl, diese
Verträge anzunehmen, wenn als Alternative nach dem
Auslaufen der alten Verträge Hartz IV droht. Mit befristeter Beschäftigung und Hartz IV werden die Beschäftigten diszipliniert und das Lohnniveau nach unten gezogen. So funktioniert die Agenda 2010.
Was das mit dem Bund zu tun hat, werden Sie vielleicht fragen. Mit 21 Prozent ist der Bund immer noch
größter Einzelaktionär und damit voll in der Verantwortung. In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt
mehr als 8 Milliarden Euro als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Damit hat der Bund 1,7 Milliarden
Euro bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, will sich die Sozialdemokratie jetzt auch noch Profitmaximierung auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auf die Fahnen schreiben? Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ist es das, was Sie
unter sozialer Marktwirtschaft verstehen: die Aktienkurse steigen und die Löhne fallen?
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Das Grundgesetz gilt auch für den Anteilseigner Bund.
Machen Sie endlich Ihren Einfluss bei der Deutschen
Post AG geltend!
Danke schön.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte bei diesem sehr wichtigen Thema mit ein paar
Fakten beginnen.
Erstens. Die Deutsche Post beschäftigt im Briefbereich 100 000 Arbeitnehmer in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Zusätzlich werden jedes Jahr durchschnittlich 12 000 bis 15 000 Arbeitnehmer befristet
beschäftigt; davon werden jährlich 2 000 bis 3 000 übernommen.
Zweitens. Nun wird die DHL Delivery GmbH gegründet.
({0})
- Sie ist schon gegründet. Da haben Sie recht, Frau Kollegin. - Bis 2020 werden 10 000 unbefristete Stellen geschaffen,
({1})
bis 2025 wohl 20 000. Ein Großteil der Beschäftigten
wird aus den jetzt befristeten Arbeitsverhältnissen übernommen; aber ein Teil, circa ein Drittel, soll über den
freien Arbeitsmarkt eingestellt werden.
({2})
Deshalb muss man, um bei der Wahrheit zu bleiben, erst
einmal feststellen: Es wird Beschäftigung aufgebaut,
und zwar tarifgebundene Beschäftigung.
({3})
Drittens. Die neuen 20 000 Beschäftigten erhalten Tarife nach den von Verdi ausgehandelten und unterschriebenen regionalen Speditions- und Logistiktarifverträgen.
Bisherige befristete Arbeitnehmer erhalten darüber hinaus eine Zulage, die ihnen das bisherige Grundeinkommen sichert.
Viertens. Die Arbeitsplätze sind deutschlandweit die
bestbezahlten Arbeitsplätze im Brief- und Paketmarkt.
Während andere mit dem Mindestlohn kämpfen, zahlt
die Delivery GmbH im Schnitt immer noch über 12 Euro
pro Stunde. Die bisher befristet beschäftigten Arbeitnehmer fallen eben nicht in ein Loch, sondern in unbefristete Arbeitsverhältnisse.
({4})
Fünftens. Laut Stiftung Warentest ist die DHL Group
das Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen in
der Zustellbranche, am deutschen Paketmarkt.
Das waren jetzt die fünf Wahrheiten, die unwidersprochen sind - ob es Ihnen passt oder nicht.
({5})
Medial wird das Thema jedoch nur von einer Seite beleuchtet. Es wird gesagt, dass den Mitarbeitern der Deutschen Post nur eine Wahl bleibt - wir haben es von der
Vorrednerin gehört -: Entweder sie bleiben in befristeten
Beschäftigungsverhältnissen, oder sie wechseln. Damit
kommt etwas zu kurz, worum es hier geht: Die Konkurrenz ist auf diesem Gebiet relativ groß, vor allem im Bereich der Paketzustellung. Die DHL muss sich dem stellen. Insoweit handelt es sich um eine alltägliche
wirtschaftliche Umstrukturierung; unternehmerisches
Denken und Handeln liegen dem zugrunde.
({6})
Das ist auch notwendig, um im Wettbewerb bestehen zu
können. Denn nicht nur für DHL, sondern auch für die
Mitarbeiter ist unternehmerischer Erfolg im Hinblick auf
nachhaltige Beschäftigung notwendig.
Die Frage, die Sie aufgeworfen haben, bleibt daher,
inwiefern wir als Gesetzgeber gefragt sind. Wir können
Rahmenbedingungen für ein faires Arbeitsverhältnis und
insbesondere einen Ausgleich zwischen unternehmerischer Flexibilität und sicheren Arbeitsplätzen schaffen.
Das haben wir aber schon getan; denn wir haben die
Richtlinie von 1999 über befristete Arbeitsverträge über
das Ziel hinaus umgesetzt. Gefordert waren drei Alternativen: die Festlegung von Sachgründen, die eine Verlängerung von Befristungen rechtfertigen, die Festlegung
zeitlicher Höchstgrenzen für die zulässige Gesamtdauer
von Befristungen oder die Festlegung der zulässigen Anzahl von Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge. Der
Gesetzgeber hat dies in § 14 des Teilzeitbefristungsgesetzes nicht nur umgesetzt, sondern auch ausreichend
Regelungen geschaffen, um Arbeitnehmer zu schützen.
Dabei hat sich Deutschland - übrigens unter einer rotgrünen Bundesregierung - für die befristete sachgrundlose Beschäftigung und die mehrfache Befristung mit
Sachgrund entschieden, und das aus gutem Grund;
({7})
denn die Flexibilität war ein Grund dafür, dass wir in den
letzten Jahren während der europäischen Rezession sehr
gut überlebt haben.
({8})
Nicht zuletzt hat auch die Rechtsprechung diesen richtigen und funktionierenden Weg immer wieder bestätigt.
Dabei dürfen wir aber eines nicht vergessen: Neben
den gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen wir den
Unternehmen auch ein Mindestmaß an Flexibilität und
unternehmerischer Freiheit lassen. Kommt es hier zu
Missbrauch - dies hat das BAG immer wieder unter Beweis gestellt -, gibt es ausreichend Möglichkeiten, den
Rechtsweg zu beschreiten.
Ich warne hier also eindringlich davor, diese Thematik abstrahiert von den Umständen am Markt zu betrachten. Ein Schnellschuss kann ungewollt Gegenteiliges bewirken, insbesondere wenn es darum geht, befristet
beschäftigten Mitarbeitern einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten zu können. Diesen Schritt sollten wir
daher - natürlich mit einem kritischen Blick - weiter
verfolgen. Für das Buhei, das heute um diese Entscheidung der Post gemacht wird, habe ich allerdings kein
Verständnis. Aus meiner Sicht bleiben die Mitarbeiter in
tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen; das ist eine gute
Nachricht.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Post steht gut da, sie macht satte
Gewinne. Von einer Krise und von Existenznöten kann
also keine Rede sein. Und doch wird jetzt umstrukturiert,
von langer Hand geplant und mithilfe von externen Beratern. Ein gesundes Unternehmen wird zerlegt, und
zwar zulasten der Beschäftigten. Die Aktionäre aber bekommen mehr Geld. Was da gerade bei der Post passiert,
ist unanständig; anders kann ich das nicht bezeichnen.
({0})
Seit Jahren machen die Gewerkschaften Zugeständnisse. Bereits 2001 gab es ein neues Entgeltsystem; das
war eine Zäsur. Danach wurde sogar eine zusätzliche
Gruppe 0 eingeführt; das Eingangsgehalt wurde also
noch einmal abgesenkt. Der alte Posttarifvertrag ist
schon lange Vergangenheit, und doch gründet die Post
jetzt diese 49 Regionalgesellschaften. Die Paketzustellung mit 14 000 Stellen wird ausgelagert. Dort gilt jetzt
nicht mehr der Posttarifvertrag. Dies gehört jetzt zur Logistikbranche.
({1})
In manchen Fällen bedeutet dies bis zu 30 Prozent weniger Lohn.
({2})
Das ist ein klarer Fall von Tarifflucht, Herr Kollege, und
zwar von einem guten in einen schlechteren Tarifvertrag.
Das ist nicht akzeptabel. Wertschätzung von Beschäftigten sieht anders aus.
({3})
Die Post senkt aber nicht nur die Löhne; es gibt auch
die Flucht aus der Mitbestimmung. In allen 49 Regionalgesellschaften müssen jetzt neue Betriebsräte aufgebaut
werden. Neue Beschäftigte ohne jegliche Erfahrungen
müssen an diese wichtige Aufgabe herangeführt werden.
Ohne Freistellung müssen sie geschult werden. Sie müssen sich einarbeiten, und das kostet viel Engagement,
Kraft und Zeit. Auch mit Blick auf die Mitbestimmung
ist das Verhalten der Post nicht akzeptabel.
({4})
Der Skandal geht noch weiter. Die Post hat mittlerweile Tausende von Beschäftigten nur noch befristet angestellt. Wenn ihr Arbeitsvertrag ausläuft, haben sie jetzt
die Wahl: Sie können, so die Unternehmensleitung, freiwillig in die neuen Regionalgesellschaften wechseln. Im
Klartext heißt das: entweder einen Job für weniger Geld
annehmen oder arbeitslos sein. Diese Menschen haben
keine echte Wahl. Das kann ich nur als zynisch bezeichnen.
({5})
Das Vorgehen der Post ist ein Beispiel dafür, dass Anstand verloren geht, und auch dafür, dass die Tariflandschaft zunehmend zerfällt. Aber die Post ist natürlich
kein Einzelfall. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung,
die letzte Woche veröffentlicht wurde, hat deutlich gezeigt, dass die Lohnungleichheit in Deutschland immer
weiter zunimmt. Laut Bertelsmann Stiftung ist der
Grund dafür, dass sich immer mehr Arbeitgeber aus der
Tarifbindung verabschieden und so den Konsens der Sozialpartnerschaft aufkündigen.
({6})
Das drückt insbesondere die niedrigen Löhne, wie das
Beispiel Post gerade eindrücklich zeigt. Das spaltet die
Gesellschaft. Wenn viele immer weniger Geld bekommen und die Menschen mit hohen Einkommen immer
mehr bekommen, dann ist das nicht gerecht.
({7})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, ich hoffe, dass Sie aus den Vorgängen
bei der Post Konsequenzen ziehen. Lassen Sie mich ein
paar Punkte ansprechen.
Erstens. Ich komme nicht darum herum, das Thema
„gesetzliche Tarifeinheit“ anzusprechen. Die Ministerin
behauptet ja, die Spartengewerkschaften legten die Axt
an die Wurzeln der Tarifautonomie; die Arbeitgeber sagen das Gleiche. Nein, nicht die Tarifpluralität - die Post
hat ja zwei Gewerkschaften -, sondern Arbeitgeber wie
die Post zersplittern die Tariflandschaft.
({8})
Lassen Sie das also mit der verfassungswidrigen gesetzlichen Tarifeinheit, und überlegen Sie sich lieber echte
Maßnahmen gegen Tarifflucht zum Schutz der Beschäftigten.
({9})
Zweitens. Tun Sie endlich etwas gegen die unsäglichen jahrelangen Kettenverträge, und schaffen Sie endlich die sachgrundlose Befristung ab!
Drittens. Die Bundesregierung muss bei der Post
schon gewaltig auf den Tisch hauen. Immerhin ist der
Bund mit knapp 25 Prozent an der Post beteiligt. Sie
muss diese unanständige Geschäftspolitik stoppen, sonst
wird die Post von dieser Unternehmensleitung noch ganz
zerschlagen. Hier geht es um Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung.
({10})
Wenn die Bundesregierung hier tatenlos bleibt, dann verliert Politik an Glaubwürdigkeit.
Zum Schluss: Jetzt gibt es bei der Post garantiert einen heftigen Streik, und zwar zu Recht. Ich wünsche den
Streikenden und den Gewerkschaften schon heute viel
Kraft und einen langen Atem.
Vielen Dank.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte das heutige Thema von drei Seiten
betrachten.
Zum einen ist da der Mensch, der im Internet Produkte bestellt. Rücksendungen kosten nichts, und so
wird ein Paar Schuhe gleich in zwei, drei Größen bestellt. Dann aber wundert man sich, dass doch jemand
die Zeche bezahlen muss. Ich will mich da nicht ausnehmen. Auch ich habe schon solche Bestellungen getätigt.
Die Mehrheit macht das; so ist eben die Zeit. Aber wenn
man glaubt, dass dies wirklich kostenlos ist, dann irrt
man sich. Wir alle wissen um das Lohndumping im Bereich der Deutschen Post, bei Amazon und bei verschiedenen anderen Arbeitgebern. Darauf komme ich noch zu
sprechen.
({0})
- Wer die Post privatisiert hat? Das ist 20 Jahre her. Ich
war nicht dabei.
({1})
Zweitens möchte ich an dieser Stelle betonen, dass
ich Verständnis für DHL, für die Deutsche Post habe.
Der Druck ist enorm. Sie müssen sich in einem knallharten Wettbewerb durchsetzen. Sie müssen ein Geschäft
machen, die Marge ist klein, und es gilt viel zu investieren; das darf man bei der Betrachtung dieses Themas
nicht außen vor lassen. Es gibt hohe Anforderungen in
Bezug auf Logistik und Qualität. Wir wissen, dass der
Druck sehr groß ist. Man muss nur die Paketzusteller beobachten, wie sie auf der Straße von Kunde zu Kunde
hetzen.
Damit komme ich zum dritten Punkt meiner Rede,
nämlich zur Arbeitssituation der Beschäftigten.
180 000 Beschäftigte, habe ich gelesen, hat die Post,
26 000 davon sind befristet, und zwar - das haben wir
gehört - nicht nur kurz befristet, sondern schon sehr
lange. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde bis auf
den letzten Millimeter ausgenutzt. Tobias Zech, wir
wollten die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wir
wollten die Sachgründe reduzieren.
({2})
Denn wir haben gesehen, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlungen aber nicht darauf committen. Das gehört, glaube ich,
dazu.
Ich begrüße es, dass die Post jetzt erkannt hat, dass
diese Befristungen ein Fehler gewesen sind, dass die Beschäftigungsverhältnisse entfristet werden sollen. Aber
wer jetzt glaubt, alles sei gut, der irrt. Denn diese Entfristung kann nur in dieser neu gegründeten Delivery
GmbH stattfinden, eine Post in der Post sozusagen. Dort
sollen dann nicht die Posttarifverträge gelten, sondern
die regionalen Tarifverträge der Speditions- und Logistikbranche. Natürlich hat Verdi diese abgeschlossen
- das ist ja in Ordnung -, aber nicht für diesen Bereich.
In diesem sollen sie jetzt angewendet werden. Dadurch
erhalten Beschäftigte bis zu 13 000 Euro im Jahr weniger.
({3})
- Bis zu, habe ich gesagt. - Man darf das nicht jetzt sehen, sondern man muss schauen, wie sich das entwickelt
und wie es in fünf und in zehn Jahren aussieht. Wenn ein
Postbeschäftigter jetzt zwischen 36 000 und 43 000 Euro
Jahresgehalt hat, so kommt sein Kollege, der dann auch
schon lange beschäftigt ist, auf 25 000 bis 30 000 Euro
im Jahr.
Ich habe mich, wie viele Kolleginnen und Kollegen
auch, schon vor Wochen in meinem Wahlkreis mit Gewerkschaftsvertretern getroffen. Ich habe gestern noch
einmal mit der Spitze von Verdi telefoniert. Die hätten
sogar Verständnis für solche Maßnahmen, wenn es der
Post schlecht ginge, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel
stünden. Aber tatsächlich ist die Dividendenausschüttung im letzten Jahr um 14 Prozent und in diesem Jahr
um 6 Prozent gestiegen. In der Börsen-Zeitung habe ich
letzte Woche gelesen, dass der Vorstandsvorsitzende der
Post im letzten Jahr 9,6 Millionen Euro, ich sage: erhalten hat. Kollegin, Sie haben etwas von 13 Millionen
Euro verdienen gesagt.
({4})
Irgendwie ist das alles exorbitant. Ich will hier nicht über
die Höhe des Gehaltes diskutieren - das liegt mir fern -,
aber ich frage mich schon, ob man die Löhne der Mitarbeiter als zu hoch einstuft und das Unternehmen Post
sich solche GmbHs ausdenkt, um diese Löhne zu drücken.
({5})
Zum Schluss will ich sagen, dass der Bund mit
21,3 Prozent natürlich in der Verantwortung steht, aber
dass es, wie die Tagesordnung auch zeigt, trotz der Bundesbeteiligung operatives Geschäft ist und sich der Bund
da nicht einmischt. Dann hätte man vor 20 Jahren, Kollege, die Bahn und die Post nicht privatisieren dürfen.
({6})
Ich glaube, Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften machen einen sehr guten Job. Das sollte die Post
auch die nächsten 500 Jahre weiterhin tun.
Danke.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In den
vergangenen Wochen erschienen immer wieder Beiträge
in den Medien, ob nun bei Stern TV oder in den Zeitungen, die von aktuellen Stellenverlagerungen bei der Post
berichteten. Die Nachricht von der Schaffung der Servicegesellschaft, der DHL Delivery GmbH, löste bei so
manchem Zeitgenossen reflexartige Reaktionen wie
„Mehr Arbeit für weniger Geld“ aus. Passende persönliche Schicksale waren ebenfalls schnell gefunden und
rundeten dieses Bild ab.
In den Augen der Kritiker ist dies ein weiteres Beispiel für mangelndes Verantwortungsbewusstsein von
Unternehmen in unserem Land. In diesem Zusammenhang reichen die Vorwürfe von einer Auslagerung in prekäre Beschäftigungsverhältnisse über die Schaffung einer Zweiklassenbeschäftigung bis zur Aushöhlung der
Tarifverträge. Wir haben das alles schon gehört. Kurz
gesagt: Bei der Post würden die gleichen Zustände wie
damals bei Schlecker, der Fleischindustrie oder den Gebäudereinigern herrschen.
({0})
Vor diesem Hintergrund möchte ich den Kollegen von
der Linken danken, dass sie dieses Thema in einer Aktuellen Stunde aufgegriffen haben.
({1})
Doch während bei Ihnen die Alarmglocken schellen und
Sie alle rhetorischen Register ziehen, muss ich Ihnen sagen: Fehlalarm. Denn ich bin der Überzeugung, dass in
dem hier herangezogenen Fall die Schlagzeilen zu kurz
greifen und teilweise politisch motiviert sind. Deshalb
freue ich mich außerordentlich, hier jetzt einen Beitrag
zur Versachlichung leisten zu dürfen.
({2})
Die Logistikbranche in der Bundesrepublik ist ein Bereich, der wie kaum ein anderer von hoher Dynamik gekennzeichnet ist.
({3})
Wir sehen hier einen enormen Wachstumsmarkt. Zugleich stehen die Dienstleister wie DHL, Hermes, DPD
und UPS, um nur einige Beispiele zu nennen, in starker
Konkurrenz zueinander. Dieser Wettbewerb wird ganz
maßgeblich über den Preis ausgetragen. Das kommt
nicht zuletzt auch den Kunden zugute.
({4})
Die Post bzw. deren Logistikdienstleister DHL hat
das Wachstumspotenzial des Marktes erkannt. Der Konzern hat nun Schritte eingeleitet, um langfristig und erfolgreich auf dem Markt bestehen zu können. Damit
nimmt der Konzern die Verantwortung für seine Mitarbeiter wahr, da eine wettbewerbsfähige Unternehmensstruktur letztlich auch immer im Interesse der Mitarbeiter ist.
({5})
Den Vorwurf, das alles sei eine Art des plumpen
Lohndumpings, lasse ich an dieser Stelle nicht gelten.
({6})
So fand diese Umstrukturierung doch im Korsett von
Rechtsstaat und Tarifautonomie statt und nicht in einer
Wildwestmanier, wie wir sie in der Vergangenheit teilweise haben erleben müssen.
({7})
Wir sehen an dieser Stelle also kein Outsourcing oder
gar Tarifflucht. Was aktuell passiert, ist lediglich der
Wechsel eines kleinen Teils der Belegschaft in einen anderen Tarifvertrag. An dieser Stelle sei angemerkt, dass
wir in den Regionalgesellschaften von einem Durchschnittslohn von 12,79 Euro pro Stunde sprechen.
({8})
Im Übrigen werden bei den 49 Gesellschaften in den
kommenden Jahren etwa 20 000 Stellen geschaffen.
Noch einmal: Die hier geltenden Verträge sind nicht irgendwelche Schmuddelverträge. Nein, diese sind ordentlich tarifiert und auch unbefristet.
Die Entscheidung, tarifliche Gestaltungsspielräume
zu nutzen, fußt in diesem Fall also nicht etwa auf dem
Wunsch, jenseits der bestehenden Regelungen die schnelle
Mark zu machen. Nein, ein gutes Unternehmertum muss
sich auch immer wieder auf aktuelle Entwicklungen einstellen und darauf reagieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Sozialpartner solche Herausforderungen
gemeinsam und erfolgreich bewältigen können. Ich für
meinen Teil kann nicht erkennen, dass sich die Deutsche
Post nun von diesem Grundsatz verabschiedet hat. Eine
funktionierende Sozialpartnerschaft bedeutet aber nicht,
dass der Wunsch nach einer guten Tariflandschaft immer
auch mit dem Wunsch nach dem höchsten Tarifabschluss
einhergehen muss. Dieser letzte Satz ist kein Ausdruck
falsch verstandener Unternehmerfreundlichkeit, sondern
ein Ausdruck des Respekts vor der Unabhängigkeit der
Tarifpartner.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vertragsbruch nach dem Motto „Friss oder
stirb“ ist im Moment das Geschäftsmodell der Deutschen Post AG. Mit der Ankündigung der Geschäftsleitung, die Paketzustellung in eine neu gegründete Tochterfirma auszugliedern, hat die Deutsche Post ganz klar
gegen den Tarifvertrag zum Schutz vor Fremdvergabe
der Zustellung verstoßen.
({0})
Um diesen Tarifvertrag zu erhalten, mussten die Beschäftigten im Jahr 2000 auf arbeitsfreie Tage, Überstundenzuschläge und Kurzpausen verzichten. Sie erhielten
dafür Schutz vor Ausgliederung und damit die Sicherheit
der Beschäftigung. Eine Hand wäscht die andere.
({1})
Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum Ende dieses
Jahres; er endet nicht vorher. Er wäre vorzeitig kündbar,
wenn die Post AG in einer schwierigen wirtschaftlichen
Situation wäre.
({2})
Das ist nachweislich nicht der Fall. Der aktuelle Gewinn
der Post AG beträgt 3 000 Millionen Euro - nur um einmal deutlich zu machen, was 3 Milliarden Euro sind. Bei
einem so schweren Verstoß gegen Vertragsrechte müsste
eigentlich die Staatsanwaltschaft aktiv werden.
({3})
Das ist noch nicht alles. Der Betriebsrat und damit
auch die Belegschaft müssen nach dem Betriebsverfassungsgesetz rechtzeitig und umfassend über Betriebsänderungen informiert werden, damit sie die Chance erhalten, damit umzugehen und an dieser Stelle eigene
Ideen zu entwickeln. Am 5. Dezember 2014 fanden in
ganz Deutschland Betriebsversammlungen statt. Damals
wusste außer der Geschäftsleitung der Deutschen
Post AG noch niemand, was danach passiert. Dass die
Post das erst im Januar entschieden hat, kann man wirklich nur jemandem erzählen, der sich die Hose mit der
Kneifzange zumacht.
({4})
Schwerpunkte auf den Betriebsversammlungen im Dezember waren die massenhaften Befristungen der Arbeitsverhältnisse und die Forderung nach Entfristung
dieser Beschäftigten. Die Gewerkschaft Verdi hat dort
zur Entfristungspolitik bei der Deutschen Post AG eine
ganz tolle Erklärung auf den Weg gebracht. Ziel war die
Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen und der
Kettenbefristungen.
Ich habe den Kolleginnen und Kollegen im Dezember
zu ihrer solidarischen Aktion gratuliert und eine Kleine
Anfrage auf den Weg gebracht, um zu ergründen, was
bei der Post im Moment eigentlich passiert. Bei der
Deutschen Post AG sind mittlerweile 26 000 Beschäftigte von sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefristungen betroffen - so viele wie noch nie.
({5})
Genau diese Beschäftigten sollen jetzt in die neue
Lohndumpingfirma DHL wechseln. Ihre Verträge bei
der Deutschen Post AG sind ja nur befristet. Damit werden sie vor die Wahl gestellt: entweder weniger Geld
oder Arbeitsamt. Friss oder stirb! Dass dies von der
Deutschen Post AG als Jubelmeldung verkauft wird,
nach dem Motto: „Wir schaffen neue Arbeitsplätze“, ist
im Grunde eine Unverschämtheit.
({6})
Von der Deutschen Post AG weg, rein in die schlechter zahlende DHL Delivery GmbH: Die Gewerkschaft
Verdi hat das einzig Richtige gemacht. Sie fordert als
Antwort die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit
von 38,5 auf 36 Stunden für alle Beschäftigten bei vollem Lohnausgleich.
({7})
Der aufgekündigte Vertrag muss jetzt wieder zu einer
neuen Vereinbarung werden, mit der Beschäftigungssicherung besteht, und dazu gehört auch eine Arbeitszeitverkürzung.
Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Unternehmensbeteiligung von 21 Prozent dazu zu nutzen, Einfluss auf die arbeitnehmerfeindliche Politik der Deutschen Post AG zu nehmen.
({8})
Außerdem fordert die Linke die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen und der Kettenbefristungen.
({9})
Den Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi wünsche ich viel Erfolg im Kampf um Arbeitszeitverkürzung
mit Beschäftigungssicherung. Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Vielen Dank.
({10})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Waltraud Wolff, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben in den
letzten Wochen sehr viel über die Tarifeinheit gesprochen. Sehr oft ist betont worden, dass die Tarifeinheit ein
hohes Gut ist, und sehr oft ist auch darauf hingewiesen
worden, dass sie für Frieden in den Betrieben sorgt. Eigentlich wird damit immer die Kritik an den kleinen Gewerkschaften gerechtfertigt.
Die Tarifeinheit ist ein hohes Gut; das steht außer
Frage. Die Debatte heute zeigt uns aber auch, dass große
Löcher in der Tarifeinheit nicht durch die Spartengewerkschaften gerissen werden. Viele Löcher in der Tarifeinheit entstehen doch durch die Austritte von Arbeitgebern
aus den Arbeitgeberverbänden,
({0})
und sie werden auch durch sogenannte OT-Mitgliedschaften gerissen.
Den Begriff „OT-Mitgliedschaften“ muss ich einmal
kurz erklären: Unternehmer sind Mitglied im Arbeitgeberverband - ohne Tarifbindung. Das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen: ohne Tarifbindung. Diese Löcher resultieren auch daraus, dass Unternehmen Arbeitsplätze in tarifungebundene Töchter oder
in Werkverträge ausgliedern. Es sind also nicht die Gewerkschaften, sondern es sind die Arbeitgeber, die unsere Tariflandschaft zum Flickenteppich gemacht haben.
({1})
Waltraud Wolff ({2})
Was ist die Folge? Die Folge ist doch, dass Löhne und
Arbeitsbedingungen zu Wettbewerbsfaktoren werden.
Durch unsere Straßen fahren Zusteller und Zustellerinnen mit den unterschiedlichsten Verträgen: von denen
mit dem Haustarif der Deutschen Post AG bis hin zu
pseudoselbstständigen Einzelunternehmern. Wir alle haben erlebt, wie schnell hier die Abwärtsspirale in Gang
kommt. Der Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnbereich nimmt zu; das ist ablesbar. Bei den geringfügig Beschäftigten ist es genauso: Auch hier nimmt der Anteil
zu.
({3})
- Nein, ich bin Sozialdemokratin aus Leidenschaft.
({4})
Wir sprechen heute über die Arbeitsbedingungen bei
der Post. Ich sage als Sozialdemokratin hier ganz klar:
Ich freue mich nicht darüber, dass die Post Töchter gründet, in denen statt des Haustarifes der Logistiktarif gilt.
({5})
Aber eins ist doch auch klar: Die Post befindet sich nicht
im luftleeren Raum. Deshalb müssen wir uns doch die
gesamte Branche anschauen.
({6})
2012 lag der Durchschnittslohn im gewerblichen Bereich in der Briefzustellung bei der Post bei 16,01 Euro
pro Stunde, bei der Konkurrenz bei 9,46 Euro.
({7})
Deutlicher geht es nicht mehr. Der Flickenteppich in der
Tariflandschaft führt zu einem Wettbewerb auf Kosten
der Beschäftigten. Das wollen wir für die Zukunft nicht
mehr haben.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist aber
nicht nur die Tarifeinheit ein hohes Gut, auch die Tarifautonomie ist mir wichtig. Wir alle hier im Raum wissen, dass Tarifauseinandersetzungen Sache der Tarifpartner sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, ich sage jetzt völlig ohne Häme: In dieser Woche gab es im öffentlichen Dienst den Streik der Lehrer
mit Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt, in Sachsen und in
Thüringen. Ich beziehe mich einmal auf Thüringen, wo
Sie mit an der Regierung sind.
({9})
- Da sind die Linken aber leider nicht an der Regierung.
Darum beziehe ich mich auf Thüringen, wo Sie selber
mitregieren.
({10})
Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung die Tarifautonomie wahrt. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die
Linke in Thüringen weiß, dass sie bei aller Sympathie
für die Gewerkschaften dort Arbeitgeber ist. Ich habe in
den Medien nicht einen einzigen Satz darüber gefunden,
dass sich die thüringische Landesregierung außerhalb
der Tarifverhandlungen in die Auseinandersetzungen
einmischen würde. Richtig macht sie das.
Tarifautonomie ist wichtig. Das heißt aber nicht,
meine Damen und Herren, dass Politik nur Zuschauer
ist. Wir haben Verantwortung bewiesen. Wir als SPD
werden weiterhin eine aktive Rolle einnehmen. Wir als
Koalition haben den Mindestlohn beschlossen. Er ist in
Kraft getreten. Der nächste Schritt wird die Neuregelung
von Leiharbeit und Werkverträgen sein.
({11})
Auch diesem Missbrauch werden wir einen Riegel vorschieben. Wir arbeiten für faire Bedingungen auf dem
Arbeitsmarkt. Das, was da politisch möglich ist, packen
wir an.
Herzlichen Dank.
({12})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katharina Dröge, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
Sie haben beantragt, dass wir heute über den Tarifkonflikt bei der Deutschen Post diskutieren. Ich finde, das
sollten wir auch tun. Bei Ihren Wortbeiträgen ist mir aufgefallen, dass Sie, ehrlich gesagt, schon einen recht verkürzten Blick auf die gesamte Debatte haben. Die Kollegin Wolff hat dazu etwas gesagt.
Unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, die gesamte
Branche in den Blick zu nehmen, bevor wir uns mit einem einzelnen Unternehmen beschäftigen.
({0})
Wenn man sich die Branche der Paketzustellerinnen und
Paketzusteller anschaut, sieht man: Es gibt eine Reihe
von Gesichtspunkten, über die wir diskutieren sollten,
etwa über die Arbeitsbedingungen der in diesem Markt
operierenden Unternehmen und über die Probleme, die
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort haben.
({1})
- Nein, das können wir nicht getrennt voneinander diskutieren. Das hängt nämlich zusammen. - Ich finde
nicht, dass man über die Politik eines einzelnen Unternehmens diskutieren kann, ohne sich anzuschauen, in
was für einem Marktumfeld es sich bewegt und was für
Konditionen die konkurrierenden Unternehmen bieten.
Denn unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass es faire Arbeitsbedingungen und auch fairen Wettbewerb gibt.
({2})
Daran müssen wir arbeiten.
Deswegen müssen wir uns Unternehmen anschauen,
die beispielsweise mit Subunternehmern zusammenarbeiten und damit Tarifverträge umgehen. Wir müssen
uns Unternehmen anschauen, die sogar versuchen, trickreich Mindestlöhne zu umgehen. Wir müssen uns Unternehmen anschauen, in denen Tarifverträge gar nicht
gelten. Außerdem müssen wir uns die Vielzahl an befristeten Beschäftigungsverhältnissen anschauen. Ich finde,
das ist die erste Aufgabe, die wir als Politik haben, wenn
wir uns mit solchen Fragen beschäftigen.
Hier müssen wir klare Aussagen machen. Hier müssen wir auch handeln. Hier müssen wir auch für faire
Arbeitsbedingungen sorgen. Wir müssen gegen die sinkende Tarifbindung kämpfen. Wir müssen für die
Abschaffung sachgrundloser Befristung kämpfen. Wir
müssen uns in dieser Branche auch mit dem Problem der
Scheinselbstständigkeit beschäftigen. Das sind alles
Dinge, die wir als Erstes angehen müssen.
({3})
Im zweiten Schritt müssen wir über den Fall des Einzelunternehmens Deutsche Post sprechen. Das liegt an
der etwas seltsamen Konstruktion staatlicher Minderheitsbeteiligung. Hier müssen sich die Bundesregierung
und damit auch Sie als Koalitionsfraktionen schon die
Fragen gefallen lassen: Welche Ziele verfolgt der Staat
eigentlich mit einer Minderheitsbeteiligung, die er an einem Unternehmen hält? Geht es hier einzig und allein
um den schönen Geldstrom, der durch die Dividendenzahlungen in den Bundeshaushalt fließt, oder verfolgt
man mit einer Minderheitsbeteiligung auch andere
Ziele?
Man könnte beispielsweise den Anspruch formulieren, dass eine staatliche Beteiligung an einem Unternehmen auch dazu dienen soll, dass ein Unternehmen eine
Vorbildfunktion auf dem Markt hat, etwa hinsichtlich sozialer und ökologischer Ziele.
({4})
Wenn man sich unter diesem Aspekt anschaut, was die
Deutsche Post AG jetzt gerade tut, dann muss man sich
angesichts dieser Firmenstrukturierung schon Fragen
stellen.
Wir haben es schon gehört: Die Deutsche Post hat
sehr positive Gewinnerwartungen. Sie hat im letzten
Jahr ein Rekordergebnis erzielt. Sie verspricht uns bis
zum Jahre 2020 jährliche Wachstumsraten von 3 Prozent, und sie hat in diesem Jahr schon wieder die Dividende für die Anteilseigner um 6 Prozent erhöht. Das
sind gute Nachrichten für den Bundeshaushalt, gute
Nachrichten für Herrn Schäuble, nur eben nicht gleichzeitig gute Nachrichten für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Konzernen, die sich teilweise auf Gehaltskürzungen von minus 20 Prozent einstellen müssen.
Das ist für die Beschäftigten, die jetzt schon in dem
Konzern sind, sehr unangenehm.
Eigentlich geht es hier doch nicht um die Ausgliederung der Arbeitsplätze befristet Beschäftigter; vielmehr
geht es um die neu Eingestellten, die nach dem neuen
Tarifvertrag bezahlt werden dürfen. Während die jetzt
befristet Beschäftigten noch die Differenz zu ihrem jetzigen Lohn bekommen, soll das in Zukunft nicht mehr so
sein. Es geht darum, dass man über den geplanten Weg
die Löhne bei Neueinstellungen recht elegant drücken
kann.
Das muss man vor dem Hintergrund von wachsenden
Märkten und Rekordgewinnen bewerten, die auf die
Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht durchschlagen. Daher stellt sich schon die Frage: Entspricht
das unserer Vorstellung von einem vorbildlichen Unternehmen, das eine staatliche Beteiligung rechtfertigt?
({5})
Diese Frage möchte ich Ihnen jetzt stellen; schließlich
ist der Bund als größter Minderheitsanteilseigner durch
einen Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der
Deutschen Post AG vertreten. Folgende Frage können
vielleicht die Rednerinnen und Redner, die nach mir
sprechen, noch beantworten: Was haben Sie denn im
Aufsichtsrat gemacht? Haben Sie dort über Renditeerwartungen gesprochen, darüber, was von der Rendite in
den nächsten Jahren in den Bundeshaushalt fließen soll?
Oder haben Sie vielleicht auch über Ziele wie gute Beschäftigungsverhältnisse oder eine ökologische Umstrukturierung des Konzerns geredet? Wenn Sie nur über
Geld gesprochen haben, dann kann ich Ihnen sagen: Verkaufen Sie die Post lieber! Gewinnmaximierung ist nicht
die Aufgabe eines Konzerns mit staatlicher Beteiligung.
({6})
Wenn Sie nur über Geld gesprochen haben, dann sollten
Sie den ganzen Konzern lieber loswerden. Wenn Sie mit
der Beteiligung an diesem Konzern andere Zielsetzungen verfolgen, dann müssen Sie uns erklären, wie Sie
das gemacht haben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Axel Knoerig, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Als Bundestagsabgeordnete stehen wir in
der Pflicht, staatliche Unternehmen in ihrer Entwicklung
kritisch zu begleiten. Das betrifft sehr wohl auch die
Deutsche Post DHL Group, die sich weiterhin zu 21 Prozent in staatlichem Besitz befindet. Dabei liegt es sicherlich auch nahe, den Sinn und Zweck von 49 neuen Tochterunternehmen zu hinterfragen.
Doch das, was die Linke hier zur Beschäftigungssituation bei DHL ausgeführt hat, ist meines Erachtens
völlig realitätsfern;
({0})
denn sie ignoriert nämlich eines: den zunehmenden
Wettbewerb auf dem hart umkämpften Paketmarkt. Die
Deutsche Post DHL Group gehört in Deutschland mit einem Jahresumsatz von 56 Milliarden Euro und über
200 000 Mitarbeitern immer noch zu den Leuchtturmunternehmungen. Insbesondere im ländlichen Raum ist
diese Firma ein ganz bedeutender Arbeitgeber. Dabei
sind fast 90 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse unbefristet. Man weiß sehr wohl, dass dieser Anteil in der Branche sonst wesentlich geringer ausfällt.
({1})
Seit Jahresanfang wird die Paketzustellung nun von regionalen Tochterfirmen übernommen. Als Träger fungiert
die DHL Delivery GmbH. Diese will nun 20 000 unbefristete Arbeitsplätze schaffen. Das ist weitaus mehr, als
die Mitbewerber Hermes, UPS, GLS und DPD jeweils in
ihrer gesamten Belegschaft beschäftigen.
({2})
In den letzten zwei Monaten hat DHL Delivery bereits
5 000 Mitarbeiter neu eingestellt.
({3})
Dabei ist herauszustellen: Alle Mitarbeiter, die aus dem
Mutterkonzern kommen und bislang nur befristete Stellen hatten, erhalten nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Sicher ist - das ist unstrittig -: Der Eingangslohn wird
bei DHL Delivery niedriger ausfallen. Hier zahlt man
nur 12,49 Euro, während es bei DHL 13,72 Euro gibt.
Außerdem - auch das gehört zur Wahrheit - gibt es bei
DHL Delivery weder Weihnachtsgeld noch eine Jahresprämie.
({4})
Es greift, denke ich, nicht zu kurz, wenn man erwähnt,
dass es mittlerweile üblich ist, dass solche Tarifvereinbarungen in der Logistikbranche getroffen werden.
Vor allem muss man sich aber auch fragen: Was nützen einem Paketzusteller die finanziellen Vorteile, solange seine Stelle nur befristet ist, wenn sich Zeitverträge aneinanderreihen und keine dauerhafte Zukunft im
Job zu erkennen ist?
({5})
In diesem Zusammenhang ist es positiv zu bewerten,
dass die Regionalgesellschaften dem Arbeitgeberverband Spedition und Logistik beigetreten sind. Ebenso
wurden sie von Verdi anerkannt.
Auch wir als Politik, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, erkennen an, dass Sicherheit für die Arbeitnehmer, selbst bei Geldeinbußen, den größeren Mehrwert darstellt.
({6})
Genauso müssen wir aber auch die Marktveränderungen
berücksichtigen. Der Paketmarkt ist heute geprägt von
hohen Umsätzen, niedrigen Gewinnen, und das bei einem erheblichen Investitionsbedarf.
Die Gründung der Tochterfirmen ist insbesondere
auch eine Folge des stark wachsenden Onlinehandels.
Seit 2005 hat sich der Umsatz in Deutschland fast verdreifacht: von 15,5 Milliarden Euro auf etwa 43,6 Milliarden Euro in 2015.
Gestatten Sie mir einen ganzheitlichen Blick auf die
Privatisierung staatlicher Unternehmungen. Da meine
ich gar nicht einmal als erste Adresse nur die Post. Gerade mit dem Outsourcing von Personal wurden in Teilen Bedingungen geschaffen, die wenig arbeitnehmertauglich sind, sofern alte Beschäftigungsverhältnisse in
neue übergegangen sind, und das bei geringerem Lohn.
Das war aber bei der Post nicht der Fall. Hier sind die
Arbeitnehmer weiterhin über ihre bestehenden Verträge
geschützt. Auch die neuen Mitarbeiter erhalten mehr Sicherheit über entfristete Stellen. Insofern kann hier nicht,
wie es die Linke formuliert hat, von Tarifflucht die Rede
sein. Das ist übertrieben.
Wir als Union unterstützen eine markt- und wettbewerbsorientierte Personalpolitik, die sowohl die Zukunft
eines Unternehmens als auch die der Mitarbeiter sichert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Schabedoth, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vielleicht haben Sie auch schon einmal als
Besucher im Stadion oder bei einem Konzert die Erfahrung gemacht, dass plötzlich alle vor Ihnen aufspringen,
um besser sehen zu können. Was bleibt einem da übrig?
Man erhebt sich auch. Oft reicht das aber nicht. Denn die
vor einem stehen auch schon auf den Zehenspitzen. Dabei ist es doch offensichtlich: Weil es alle tun, sieht keiner besser, aber alle stehen schlechter. Wäre es da nicht
besser, alle würden sich wieder auf das Sitzen verständigen?
({0})
In einer ähnlichen Situation befindet sich jetzt die
Post AG. Da gibt es Konkurrenten, die stehen schon
längst auf den Zehenspitzen, um mit dem gelben Riesen
mithalten zu können. Die Post, heute die Post AG, wurde
einst aus guten Gründen „gelber Riese“ genannt. Das
war kein Spott. Gelber Riese: Da schwang Respekt mit,
weil er die besten Standards verkörperte. Doch für die
Post von heute scheinen die Aktionäre schon lange wichtiger geworden zu sein als ihre Beschäftigten und ihre
Kunden.
Wir, die Kunden, fragen uns schon lange: Gelber
Riese, warum machst du dich so klein? Warum vertraust
du nicht auf deine Stärke - gute Bezahlung und hervorragenden Kundenservice -, statt jetzt auf Billigtöchter
ausweichen zu wollen?
Ich hatte meine letzte 55-Cent-Briefmarke noch nicht
verbraucht, da stieg das Briefporto schon auf 58, 60 und
jetzt sogar 62 Cent. Das ist vielleicht noch okay, habe ich
wie viele andere gedacht, wenn es den Frauen und Männern nutzt, die uns die Post bei jedem Sauwetter zustellen. Doch schon lange hat sich die Gleichung „Guter Arbeitgeber, gute Bezahlung, gute Leistungen“ zum
Schlechteren verschoben. Das müssen wir leider festhalten.
Das genaue Hingucken bestätigt: Die Post arbeitet
schon seit Jahren bei den Zustellern inflationär, wie ich
meine, mit Zeitverträgen. Die vielen befristet, aber noch
nach Haustarif bezahlten Arbeitenden sehen sich jetzt zu
den Billigtöchtern der Post gedrängt, wenn sie nicht arbeitslos werden wollen. Das kann nicht die Lösung sein.
({1})
Es muss einen besseren Weg geben, die unfairen
Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Paketzustellung zu verändern. Solche Wege lassen sich aber nur
über Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft
Verdi finden und nicht gegen sie und die Beschäftigten.
Die vielen praktischen Erfahrungen mit Tarifflucht in allen anderen Branchen beweisen: Die Spirale nach unten
lässt sich nicht stoppen, wenn der Wettbewerbsdruck
einfach auf die Beschäftigten verlagert wird.
({2})
Im Übrigen haben auch die Kunden nichts davon; denn
es geht bei diesem Wettbewerb nicht um bessere Qualität, sondern um die Minderung der Arbeitskosten. Dabei
gibt es nur Verlierer.
Der intendierte Kostenvorteil bei der Post AG wird
schon bald wieder ausgeglichen, weil die anderen Wettbewerber nachziehen werden. Denken Sie an mein Eingangsbeispiel! Zum Glück haben wir die äußerste
Schamgrenze für den Lohnsenkungswettbewerb inzwischen durch den gesetzlichen Mindestlohn gezogen.
({3})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet das
wirklich, dass wir zuschauen, wenn alle, die es können,
ihre Entlohnung auf den gesetzlichen Mindestlohn herunterdrücken? Das ist doch nicht in unserem Sinne.
({4})
Der gelbe Riese, die heutige Post AG, ist nie nur irgendein Dienstleister unter vielen anderen. Er steht in
der Tradition eines Betriebes der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die jahrzehntelang bewährte Mitbestimmungskultur unterscheidet die Post immer noch von einem Unternehmen wie Amazon.
({5})
Das macht die Post AG unter lauter Zwergen zum standardsetzenden Riesen, im Guten, aber leider auch im
Schlechten.
Deshalb fordere ich bei allem Respekt vor der Autonomie der Post AG den Anteilseigner Bund auf, dem
Teilausstieg aus der Haustarifbindung bei der Paketzustellung zu widersprechen und die Mitbestimmungskultur bei der Post AG nicht zu belasten, sondern für Konfliktlösungen zu nutzen. Bei der Post AG soll es auch
zukünftig keine Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse
geben.
({6})
Herr Kollege, das waren wunderschöne Schlussgedanken, zumal Sie Ihr Zeitkontingent ausgeschöpft haben.
Deshalb frage ich den Postvorstand und die Aufsichtsräte: Gelber Riese, warum willst du dich so verzwergen? Nutz die Chance, mit Verdi eine bessere Lösung zu finden! Die Zukunft - auch bei der
Postzustellung - gehört den Besseren und nicht den Billigeren.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Ansturm auf neue Post-Zustellunternehmen“
titelte die FAZ am 5. Februar 2015 über die neuen DHLDelivery-Gesellschaften. Weiter heißt es in dem Artikel:
Die Aussicht auf einen dauerhaften Arbeitsplatz
zieht viele bisher befristet beschäftigte Postboten in
die umstrittenen neuen Zustellgesellschaften.
In der heutigen Stellungnahme der Deutschen Post AG
steht hierzu:
Bereits zwei Monate nach Gründung der Gesellschaften sind bereits 5 000 unbefristete Arbeitsverträge geschlossen worden, ca. 1 500 Kräfte wurden
vom externen Arbeitsmarkt eingestellt.
In den deutschlandweit gegründeten DHL-DeliveryGesellschaften sollen bis 2020 10 000 neue Arbeitsplätze, bis 2025 20 000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Die Deutsche Post wird 750 Millionen Euro in das Paketnetz investieren.
({0})
- Ich komme gleich auf die Gewerkschaften zu sprechen, liebe Kollegin.
Den ehemals befristet bei der Post angestellten Arbeitnehmern sichert die Post das bisherige Monatsgehalt
zu. Darüber hinaus gibt es für alle unter anderem Zusatzverdienstmöglichkeiten. Zur Gründung der 49 DHLDelivery-Gesellschaften führten insbesondere der Wettbewerbsdruck - das ist hier mehrfach zum Ausdruck gekommen - und das Preisniveau bei den Mitwettbewerbern. In den neu gegründeten Gesellschaften sieht die
Deutsche Post eine Antwort auf die Marktsituation und
kommt damit ihrer unternehmerischen Verantwortung
nach. Die Deutsche Post orientiert sich in den neuen Gesellschaften am Tarifvertrag der Speditions- und Logistikbranche. Demgegenüber steht aber die Aussicht auf
eine Dauerbeschäftigung, die offensichtlich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überzeugt.
({1})
Aus Sicht der Gewerkschaft und unter den Aspekten
der Mitbestimmung stellt sich die Situation so dar: Über
einen längeren Zeitraum wurden im Unternehmen befristete Verträge abgeschlossen, die nunmehr dazu genutzt
werden, die Beschäftigten in neu gegründete Gesellschaften einzusetzen. Wenn einem eine Festanstellung
angeboten wird, dann überlegt man sich, in die neuen
Gesellschaften zu wechseln. Beschäftigte, die unter dem
Druck einer Befristung stehen, gehen natürlich auf das
Angebot ein, ein Gehalt wie zuvor zu verdienen, allerdings ohne übertarifliche Zulage und Leistungen wie
Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Leistungsentgelt. Das
sind laut Verdi 3 500 Euro im Jahr weniger. Darüber hinaus kommt ein anderer Tarifvertrag, der erwähnte Vertrag der Speditions- und Logistikbranche, zur Anwendung. Dieser liegt unter dem Niveau des bisherigen
Tarifvertrags.
Ein weiterer Anstoß der Kritik ist die scheinbare
Nichteinhaltung eines Vertrages, der die Fremdvergabe
der Zustellung ausschließt. Das wiederum wird von der
Deutschen Post bestritten. Ich kann durchaus verstehen,
dass die Gewerkschaft, die in vergangenen Tarifverhandlungen zugunsten eines solchen Vertrags auf materielle
Dinge verzichtet hat, unzufrieden ist. Gleichermaßen ist
aber auch einzubeziehen, dass sich die Deutsche Post
vertraglich auf Paketmengen stützt, die ausschließlich in
ihrem Hoheitsgebiet aufkommen und nicht von der
DHL-Vertriebsgesellschaft eingebracht werden. Das alles müssen die Vertragspartner klären; das ist nicht unsere Aufgabe.
Darüber hinaus werden Strukturen der betrieblichen
und der Unternehmensmitbestimmung verändert. Ich
nehme die Deutsche Post daher beim Wort, wenn sie in
ihrer heutigen Stellungnahme schreibt, dass sie „die Arbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften nach Kräften
unterstützen und diesen bei der Wahl und Bildung von
Betriebsräten bestmöglich zur Seite stehen“ will.
Wir erleben wieder einmal den Umbau eines Unternehmens als Reaktion auf den Wettbewerb. Es ist wichtig für die Beschäftigten, die in der neuen Unternehmensstruktur arbeiten, gute Rahmenbedingungen zu
schaffen. Den Schlüssel dafür halten die Vorstände, die
Betriebsräte und die Gewerkschaften in der Hand.
Vielen Dank.
({2})
Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Abgeordnete Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ich möchte Sie alle recht herzlich hier im Deutschen
Bundestag begrüßen. Sehr geehrter Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ganz besonders begrüße ich die vielen jungen Menschen auf der Tribüne; denn es freut mich ganz
besonders, dass wir so viel Nachwuchs hier oben haben,
der sich für Politik interessiert. Sehr schön.
({0})
Was mich nicht so erfreut, ist: Wir haben heute einen
Antrag der Linken,
({1})
aber ich sehe leider nur einen, zwei, drei, vier, fünf
Linke. Ich hätte bei einem eigenen Antrag gerne mehr
gesehen. Aber das Leben ist nun einmal so. Damit muss
ich leben.
({2})
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.
Dies gilt auch an dieser Stelle für die Kollegen der
Linksfraktion. Die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde
ist geprägt von Kampfbegriffen
({3})
wie Tarifflucht und Zweiklassenbeschäftigung. Die Kollegin hat vorhin von Lohndrückerei gesprochen.
({4})
Das stellt einen ehrlichen Willen zur Aufarbeitung der
Problematik bzw. wahrheitsgemäßen Darstellung der
Wirklichkeit meines Erachtens infrage. Das soll genutzt
werden, um besonders die SPD zu kritisieren und um einen Machtkampf bei Verdi hier im Bundestag auszutragen. Das ist nicht schön, aber auch damit müssen wir leben.
Pacta sunt servanda. Ich denke, wir sind uns alle einig: Verträge müssen eingehalten werden. Ich will aber
auch für Verständnis für die vielen Mitarbeiter bei der
Deutschen Post AG werben, die betroffen sind und deren
Arbeitsverhältnis umgewandelt wird. Dieses ist zwar unbefristet, die Mitarbeiter aber werden geringer entlohnt.
Wie ist die Situation? Erstens. Es wird 10 000 neue
unbefristete Stellen bei der DHL Paket geben.
({5})
Zweitens. Bis 2025 sollen sogar 20 000 Beschäftigte
unbefristet eingestellt werden.
({6})
Das allein ist schon einmal eine sehr gute Nachricht
vom Grundsatz her.
Drittens. Die Mitarbeiter bleiben alle unter dem Dach
der DHL Delivery GmbH. Die Entlohnung in diesen Gesellschaften erfolgt - hören Sie bitte einmal zu - nach
dem von Verdi ausgehandelten Tarifvertrag für den Speditions- und Logistikbereich. Die neuen Mitarbeiter in
den Regionalgesellschaften werden nach den regionalen
Tarifen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt.
Unter diesen Tarifverträgen steht die Unterschrift von
Verdi, sodass man hier von einer Tarifflucht wirklich
nicht sprechen kann.
({7})
Für die Mitarbeiter der Deutschen Post mit unbefristeten Verträgen - das ist das absolute Gros der Mitarbeiter - ändert sich gar nichts. Der bestehende Tarifvertrag
für die Deutsche Post AG gilt natürlich weiterhin. Niemand kann also behaupten, dass die Deutsche Post Tarifverträge brechen will.
Ehrlicherweise muss man doch Folgendes zugestehen: Die Deutsche Post steht in deutlichem Wettbewerbsnachteil im hart umkämpften deutschen Paketmarkt, weil die Löhne bei ihr im Vergleich höher sind als
bei den Mitbewerbern. Da müssen wir etwas tun.
({8})
Fakt ist: Für die neuen Mitarbeiter gilt ein höheres Niveau als das der regionalen Tarifverträge der Speditionsund Logistikbranche. Das gilt auch für die Bezahlung:
Der Lohn liegt deutlich über dem Mindestlohnbetrag,
den selbst die Linkspartei fordert. Der Durchschnittslohn
soll bei 12,79 Euro liegen. Das sind etwas über
2 200 Euro im Monat. Alle neuen Verträge werden für
Vollzeit und unbefristet sein. Es soll leistungsorientierte
Prämien und attraktive Zuverdienstmöglichkeiten geben.
({9})
Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn von Sped-Log
beträgt 12,44 Euro. So viel zum Vorwurf der Zweiklassenbeschäftigung!
Der Vorstand der Post AG hat zugesichert, dass den
Mitarbeitern, die zurzeit einen befristeten Arbeitsvertrag
haben, eine Entfristung zusteht und dass mindestens das
derzeitige Monatsgrundgehalt gezahlt wird. Sie sehen:
An dieser Stelle hält die Post den mit Verdi ausgehandelten Tarifvertrag ein
({10})
und zahlt sogar noch etwas darüber hinaus und mehr als
andere Anbieter in der Branche.
Zusammengefasst kann man folgende Rechnung aufmachen:
({11})
Grundsätzlich werden die Arbeitnehmer etwas weniger
haben - das weiß ich -, aber sie kriegen einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
({12})
Entweder entstehen neue 20 000 unbefristete Arbeitsplätze
({13})
bei der Deutschen Post DHL zu den genannten Konditionen,
({14})
oder sie entstehen bei einem der zahlreichen Wettbewerber, meine Damen und Herren, zu deutlich schlechteren
Konditionen, oft in Unternehmen, in denen Verdi deutlich geringer vertreten ist.
Jetzt ist Verdi als Tarifverhandlungspartner gefragt,
weiterhin positive Tarifverträge für alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Post und der Sped-Log-Branche auszuhandeln, und nicht der Deutsche Bundestag.
Vielen Dank.
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Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. März 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.